Zivilprozessrecht für Referendare

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Zivilprozessrecht für Referendare
Vahlen • Jura / Referendariat
Zivilprozessrecht für Referendare
von
Dr. Rainer Oberheim
9., neu bearbeitete Auflage
Zivilprozessrecht für Referendare – Oberheim
schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG
Thematische Gliederung:
Gesamtdarstellungen – Referendarpraxis
Verlag Franz Vahlen München 2012
Verlag Franz Vahlen im Internet:
www.vahlen.de
ISBN 978 3 8006 4216 8
Inhaltsverzeichnis: Zivilprozessrecht für Referendare – Oberheim
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§ 7 Beweis
2. Beweiserhebung
a) Beweisanordnung
Während die Ablehnung eines Beweisantrags in der Regel in den Gründen eines 17
Urteils erfolgt, ergeht die Entscheidung über die Durchführung der Beweisaufnahme
im Laufe des Verfahrens. Zur Vorbereitung der Beweisaufnahme kann das Beweismittel für die mündliche Verhandlung bereitgestellt werden durch eine terminsvorbereitende Verfügung des Vorsitzenden nach § 273 II ZPO.32 Ob der Beweis dann erhoben wird, kann das Gericht formlos (konkludent durch Erhebung des Beweises)
oder förmlich durch einen Beweisbeschluss entscheiden. Eines Beweisbeschlusses
bedarf es zwingend, wenn die Beweisaufnahme bereits vor der mündlichen Verhandlung erfolgen soll (§ 358a ZPO), wenn diese einen besonderen Termin (dh einen weiteren Haupttermin) erfordert (§ 358 ZPO) oder wenn eine Parteivernehmung durchgeführt werden soll (§ 450 I 1 ZPO).
Die notwendigen Bestandteile eines Beweisbeschlusses enthält § 359 ZPO.
18
32 Zur Frage, ob ein zufällig in der Verhandlung anwesender, nicht geladener Zeuge vernommen
werden darf OLG Schleswig NJW 1991, 303; Gießler, Vernehmung des nicht geladenen Zeugen,
NJW 1991, 2885.
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1. Teil. Grundbegriffe
Inhalt des Beweisbeschlusses
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§ 4 AktO
...-gericht ...
Geschäftsnummer ...
Beweisbeschluss
In dem Rechtsstreit
Schneider ./. Krause.
I. Es soll Beweis erhoben werden über
1. die Behauptungen des Klägers
a) ...
b) ...
2. die Behauptungen des Beklagten
a) ...
b) ...
durch
Vernehmung der Zeugen
a) ... benannt vom (Kläger/Beklagten) zu den Beweisthemen ...
b) ... benannt vom (Kläger/Beklagten) zu den Beweisthemen ...
Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens
angeboten vom (Kläger/Beklagten) zu den Beweisthemen ...
Inaugenscheinnahme des ...
angeboten vom (Kläger/Beklagten) zu den Beweisthemen ...
II. Zum Sachverständigen wird bestimmt ...
III. Die Versendung der Akten an den Sachverständigen wird
davon abhängig gemacht, dass der Kläger einen Auslagenvorschuss in Höhe von ... € einzahlt; hierfür wird ihm eine
Frist gesetzt bis zum ...
IV. Die Vernehmung des Zeugen ... soll im Wege der Rechtshilfe
durch das Amtsgericht ... erfolgen.
V. Termin zur Durchführung der Beweisaufnahme und zur Fortsetzung des mündlichen Verhandlung wird bestimmt auf ...
Ort, Datum
gez. ... (Richter)
§ 359 Nr. 1 ZPO
§ 359 Nr. 2 ZPO
§ 359 Nr. 3 ZPO
§ 404 I ZPO
§§ 402, 379 ZPO
§ 362 ZPO
§ 370 ZPO
streitig
Schema 7.3: Inhalt des Beweisbeschlusses
19 Anmerkungen:
1 Wie jedes gerichtliche Schriftstück enthält auch der Beweisbeschluss neben der
Bezeichnung des Gerichts die Geschäftsnummer (§ 4 AktO).33
33 Zurückgehend auf die Preußische Aktenordnung vom 28.11.1934 haben heute die einzelnen
Bundesländer inhaltsgleiche Aktenordnungen für die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit
und die Staatsanwaltschaften.
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§ 7 Beweis
2 Der Beweisbeschluss muss nicht als solcher bezeichnet werden, zur Klarstellung
aber ist dies zu empfehlen. Anordnungen nach §§ 404 I, 402, 379, 362, 370 ZPO werden von der Überschrift »Beweisbeschluss« abgedeckt, andere Anordnungen (zB
Hinweise nach § 139 ZPO) können eine andere Überschrift erforderlich machen (zB
»Auflagen-, Hinweis- und Beweisbeschluss«).
3 Eindeutig klargestellt werden muss, dass Beweis erhoben werden soll.
4 Wie in jeder gerichtlichen Entscheidung ist der Rechtsstreit zu bezeichnen. Dabei
genügt ein (aus dem Nachnamen der Parteien bestehendes) Kurzrubrum.
5 Der Beweisbeschluss muss das Beweisthema erkennen lassen, dh, die streitige, erhebliche Tatsache, über die Beweis erhoben werden soll (§ 359 Nr. 1 ZPO).34 Wird
über mehrere Themen Beweis erhoben, sind diese zu trennen um klarmachen zu
können, zu welchem Beweisthema welches Beweismittel erhoben werden soll (unten
Anm. 7).
6 Der Beweisbeschluss muss auch das Beweismittel bezeichnen, mit dem der Beweis
geführt werden soll (§ 359 Nr. 2 ZPO).
7 Dabei ist eine Differenzierung nicht nur nach den einzelnen Beweismittelarten,
sondern auch innerhalb dieser zu unterscheiden, wenn etwa mehrere Zeugen vernommen, mehrere Urkunden vorgelegt werden sollen. Die einzelnen Beweismittel
sind den jeweiligen Beweisthemen eindeutig zuzuordnen.
8 Schließlich muss der Beweisbeschluss auch den Beweisführer ausweisen, dh, die
Partei, die sich auf das Beweismittel berufen hat. Dies kann erfolgen durch Zuordnung des Beweismittels zu einer Partei (»vom Kläger benannt«) oder durch Zuordnung des Beweisthemas (»die Behauptung des Klägers«).35
9 – 12 In der Praxis enthält der Beweisbeschluss darüber hinaus häufig weitere, für
die Beweisaufnahme bzw. die Prozessfortsetzung wichtige Anordnungen, oder er
wird mit anderen Beschlüssen kombiniert.
Hierzu gehören beispielsweise Angaben über die Art der Beweiserhebung (zB im Wege der
Rechtshilfe, §§ 362, 363 ZPO), die Bestimmung eines Termins zur Durchführung der Beweisaufnahme (und damit in der Regel auch zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung: § 370 ZPO),
die Anordnung eines Auslagenvorschusses für Zeugen oder Sachverständige (§ 379 ZPO), Auflagen an die Parteien (zB bestimmte Urkunden vorzulegen, ladungsfähige Anschriften mitzuteilen),
Benennung von Sachverständigen (§ 404 ZPO), Ladungen von Prozessbeteiligten usw. Häufig ist
auch eine Verbindung mit einem Hinweisbeschluss nach § 139 ZPO.36
13 Der Beweisbeschluss bedarf der Schriftform, muss also unterschrieben werden.
Streitig ist allerdings, ob dies durch den Vorsitzenden bzw. den Berichterstatter oder
durch den kompletten Spruchkörper zu erfolgen hat.37
34 Reinecke, Die Information des Zeugen über das Beweisthema, MDR 1990, 1061.
35 Zur Fassung bei einer ausnahmsweisen Beweiserhebung von Amts wegen BGH NJW-RR 2010,
1059.
36 Zu Formulierungsvorschlägen Theimer/Theimer, § 2.
37 Für die Notwendigkeit einer Unterschrift aller Mitglieder des Spruchkörpers OLG Düsseldorf
MDR 1980, 943; aA RGZ 3, 400, wo die Unterschrift des Vorsitzenden bzw. Berichterstatters für
ausreichend angesehen wird.
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1. Teil. Grundbegriffe
20 Der Beweisbeschluss kann nachträglich abgeändert oder aufgehoben werden, wenn
das Gericht zu der Ansicht gelangt, eine Beweisaufnahme sei nicht (mehr) erforderlich. Nach einer mündlichen Verhandlung ist dies ohne weiteres möglich,38 ohne
erneute Verhandlung lediglich in den Grenzen des § 360 ZPO.
b) Beweisgrundsätze
Für die Beweisaufnahme gilt eine Reihe von Grundsätzen (zu weiteren Beweisgrundsätzen Rn. 44 f.):
21 (1) Soweit die Beweisaufnahme Teil der mündlichen Verhandlung ist, erfolgt sie
grundsätzlich öffentlich (§ 370 I ZPO, § 169 GVG). Möglich ist auch, dass Teile der
Beweisaufnahme unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.
Beispiele: Ausschluss der Öffentlichkeit nach §§ 170–172 GVG; Beweisaufnahme außerhalb des
Gerichtsgebäudes (§ 219 ZPO); Ortstermin des Sachverständigen; Beweisaufnahme vor dem beauftragten oder ersuchten Richter (§§ 361, 362 ZPO).
(2) Der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit gibt den Parteien das Recht (nicht die
Pflicht: § 367 ZPO), an allen diesen Verhandlungsabschnitten (auch den nicht allgemein-öffentlichen) teilzunehmen (§ 357 ZPO).
Nicht möglich ist ein beweisrechtliches Geheimverfahren, dh eine Beweisaufnahme, an der das
Gericht oder der Gegner nicht beteiligt sind, selbst wenn dies zum Schutz von Betriebs- oder sonstigen Geheimnissen erforderlich scheint. Der Partei, die ihr Geheimnis schützen will, bleibt nur die
Wahl, ob sie (wegen Beweisfälligkeit) den Prozess oder (wegen Offenlegung) ihr Geheimnis verlieren
will.39
22 (3) Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 355 I ZPO) ist ein
Unterfall des allgemeinen Grundsatzes der Unmittelbarkeit ( § 1 Rn. 38) und verlangt rein formell, dass sich die zur Entscheidung berufenen Richter einen persönlichen Eindruck vom Ergebnis der Beweisaufnahme verschaffen müssen.
Eine Ausnahme hiervon ist die Möglichkeit der Beweisaufnahme durch den ersuchten oder beauftragten Richter, doch darf die Entscheidung dann nur auf solche Umstände gestützt werden, die aus
dem Protokoll hervorgehen. Unzulässig ist es daher zB, eine Entscheidung auf die Glaubwürdigkeit
eines im Wege der Rechtshilfe vernommenen Zeugen zu stützen.40
Einen Grundsatz materieller Unmittelbarkeit kennt die ZPO dagegen nicht, sodass
auch mittelbare Beweise erhoben und verwertet werden können, soweit die Parteien
diese – und nicht die unmittelbaren – anbieten ( § 1 Rn. 38).41
38 Erforderlich ist lediglich die Gewährung rechtlichen Gehörs: OLG Köln NJW-RR 1992, 719;
Mertens, Förmlicher Beweisbeschluss – Abänderbarkeit ohne erneute mündliche Verhandlung,
MDR 2001, 666.
39 BVerfG NJW 2000, 1175; BGH NJW 1992, 1817; OLG Köln NJW-RR 1996, 1277; Kürschner,
Parteiöffentlichkeit vor Geheimnisschutz im Zivilprozess, NJW 1992, 1804; Prütting/Weth, Geheimnisschutz im Prozessrecht, NJW 1993, 576; Völzmann-Stickelbrock, Unmittelbarkeit der
Beweisaufnahme und Parteiöffentlichkeit, ZZP 118 (2005), 359. zu Grenzen bei medizinischen
Untersuchungen OLG Frankfurt MDR 2010, 652.
40 BGH NJW-RR 2011, 568; BGH NJW 2000, 2024; 1997, 1586; BGH NJW-RR 1997, 152; BGH
NJW 1996, 983; 1991, 1302 mit Glosse Büttner, FamRZ 1992, 394 und Anm. Pantle, NJW 1991,
1279; Völzmann-Stickelbrock, Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und Parteiöffentlichkeit,
ZZP 118 (2005), 359.
41 BVerfG NJW 1994, 2347; BGHZ 168, 79; Weth, Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, JuS 1991, 34 mwN.
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§ 7 Beweis
Beispiele: So können auf Antrag der Parteien Zeugen vom Hörensagen vernommen oder anstelle
der Vernehmung von Zeugen die Protokolle früherer Aussagen im Wege des Urkundenbeweises
verwertet werden. Allerdings muss dann dem geringeren Beweiswert durch besonders sorgfältige
Beweiswürdigung und Begründung Rechnung getragen werden.42
Beantragt eine Partei die Erhebung des unmittelbaren Beweises, so muss diesem Antrag entsprochen werden. Dies gilt auch für eine beantragte Augenscheinseinnahme einer Örtlichkeit, die nicht
zugunsten einer Inaugenscheinnahme von Skizzen oder Lichtbildern unterbleiben darf.43 Ein
Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit liegt auch vor, wenn das Gericht auf die Glaubwürdigkeit eines Zeugen abstellt, obwohl dieser im Wege der Rechtshilfe vernommen wurde und
kein an der Entscheidung mitwirkender Richter an der Beweisaufnahme teilgenommen hat.44
(4) Nach dem Grundsatz des Strengbeweises ist die Beweisaufnahme weitgehend 23
typisiert und beschränkt. Beweis kann nur in dem in der ZPO vorgeschriebenen
Verfahren und mit den dort vorgesehenen Beweismitteln (= numerus clausus) geführt
werden. In Betracht kommen nur die aus Schema 7.4 folgenden Beweismittel.
Beweismittel
Geregelt in
Zeuge
Parteivernehmung
Sachverständiger
Augenschein
Urkunde
§§ 394 ff. ZPO
§§ 445 ff. ZPO
§§ 407 ff. ZPO
§§ 373 ff. ZPO
§§ 425 ff. ZPO
sinnliche
Wahrnehmung
(Sehen, Hören,
Riechen,
Schmecken,
Fühlen)
Lesen
Person,
Sache oder
Zustand.
schriftlich
verkörperte
Gedankenerklärung.
Beweiserhebung
durch
Vernehmung einer natürlichen Person,
die Partei ist,
die nicht
Partei ist
und über
besondere
Sachkunde
verfügt
die nicht
Partei ist,
über
eigene Wahrnehmung
vergangener Tatsachen.
Tatsachenfeststellung
oder
-bewertung.
Schema 7.4: Beweismittel
c) Beweismittel
(1) Zeuge kann jede natürliche Person sein, die eigene Wahrnehmungen vergangener 24
Tatsachen bekunden soll.45 Abzugrenzen ist der Zeuge von den anderen zu Beweiszwecken anhörbaren Personen, den Sachverständigen und den Parteien.
Der Sachverständige ist – da er nicht eigene Wahrnehmungen wiedergibt, sondern
auf Grund seiner Sachkunde Schlussfolgerungen zieht – gegen jeden anderen
Sachverständigen mit gleicher Sachkunde austauschbar. Er wird, anders als ein
42 BGH NJW 2000, 1420; 1993, 2881; OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 638; Huber, Urkundenbeweis statt Zeugenvernehmung und Beweisantritt, Jus 2003, 907.
43 BGH NJW 1995, 2856; 1992, 2019; OLG Frankfurt OLG-Report 1992, 178; Zöller/Greger, § 355
Rn. 4 mwN.
44 OLG Düsseldorf OLGZ 91, 373.
45 Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts, 1984, Rn. 59 ff.; Thomas/Putzo/Reichold,
Vorbem § 373 Rn. 1.
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1. Teil. Grundbegriffe
Zeuge, nicht von den Parteien benannt, sondern vom Gericht ausgesucht
(§ 404 ZPO) und kann von den Parteien abgelehnt werden (§ 406 ZPO).
Eine Mischform stellt insoweit der sog sachverständige Zeuge nach § 414 ZPO dar. Dieser ist
nicht beliebig austauschbar, weil er in einer einmaligen, nicht wiederholbaren Situation auf Grund
seiner besonderen Sachkunde eigene Wahrnehmungen gemacht hat, so zB der Arzt an der Unfallstelle, der später über die Verletzungen befragt wird.46
Im Wege der Parteivernehmung sind natürliche Personen zu vernehmen, die Partei
oder gesetzlicher Vertreter der Partei sind.47
Schwierigkeiten können hier auftreten bei den Vertretungsverhältnissen und den neben den Parteien am Prozess beteiligten Personen. So kann der Prozessbevollmächtige einer Partei als Zeuge
vernommen werden, auch ohne dass er sein Mandat niederlegen oder sich während der Vernehmung von einem anderen Rechtsanwalt vertreten lassen müsste.48 Bei den Gesellschaftern von
OHG und KG sind die vertretungsberechtigten Gesellschafter Partei, die nicht vertretungsberechtigten Gesellschafter Zeugen.49 Der Streithelfer (Nebenintervenient, § 67 ZPO) ist immer Zeuge,50
der Streitgenosse (§ 61 ZPO) kann – je nachdem, ob auch sein eigenes Prozessrechtsverhältnis betroffen wird – entweder Zeuge oder Partei sein ( § 16 Rn. 8).
Ausnahmsweise kann eine Partei als Zeuge vernommen werden, wenn sie selbst prozessunfähig
ist und als Partei nicht sie selbst, sondern ihr gesetzlicher Vertreter zu vernehmen wäre
(§ 455 ZPO).
Die Eigenschaft als Zeuge oder Partei kann sich während des Prozesses ändern.
Beispielsfall: Scheidet der vertretungsberechtigte Komplementär einer OHG während des Verfahrens aus der Gesellschaft aus, so kann er danach als Zeuge vernommen werden. Erfolgte die Vernehmung einer Person zunächst als Zeuge und wird diese (zB im Wege der Klageerweiterung)
danach Partei, so ist dies im Wege der Beweiswürdigung zu berücksichtigen.51
Zeugnisfähig sind – unabhängig vom Alter – Personen, die Wahrnehmungen machen, diese in Erinnerung behalten und (ggf. auf ihm verständliche Befragung) wiederzugeben.
25 Zeugen obliegt die Pflicht, sich auf die Aussage durch Nachforschungen vorzubereiten (§ 378 ZPO), zum Termin zu erscheinen (§ 380 ZPO), vollständig und wahrheitsgemäß auszusagen (§§ 390, 395 ZPO) und auf Verlangen den Eid zu leisten (§§ 390,
391 ZPO).52
Von diesen Pflichten gibt es Ausnahmen: Nicht erscheinen müssen der Bundespräsident, Minister
und Abgeordnete (§§ 375 II, 382 ZPO), nicht aussagen müssen nahe Angehörige und Vertreter bestimmter Berufe, soweit ihnen ein Aussageverweigerungsrecht zusteht (§§ 383 ff. ZPO),53 keinen Eid
leisten müssen Jugendliche unter 16 Jahren (§ 393 ZPO).
46 Zur Abgrenzung zum reinen Sachverständigen BVerwG NJW 1986, 2268; OVG NW NVwZ-RR
2008, 214.
47 So zB der Bürgermeister einer Stadt: BGH LM § 374 Nr. 1 oder der Geschäftsführer einer GmbH:
Schmitz, Die Vernehmung des GmbH-Geschäftsführers im Zivilprozeß, GmbHR 2000, 1140.
48 Baumbach/Hartmann, Übers § 373 Rn. 21.
49 Str., Nachweise bei Thomas/Putzo/Reichold, Vorbem § 373 Rn. 7.
50 Zöller/Vollkommer, § 67 Rn. 1; anders der streitgenössische Nebenintervenient nach § 69 ZPO.
51 BGH NJW 1965, 2254; RGZ 49, 425.
52 Schneider, Haftung für falsche Zeugenaussagen, ZAP (2008) Fach 13, 1511; Stackmann, Nichterscheinen von Zeugen, JuS 2008, 974.
53 Zu sonstigen Aussageverweigerungsrechten Kretschmer, Das Bankgeheimnis in der deutschen
Rechtsordnung, wistra 2009, 180; Prütting/Gehrlein/Trautwein, § 383 Rn. 20.
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§ 7 Beweis
Verstöße gegen diese Pflichten sind sanktioniert: Erscheint ein Zeuge unentschuldigt nicht, so sind
ihm die Kosten des Ausbleibens sowie ein Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft,54 aufzuerlegen,
im Wiederholungsfall kann seine Zwangsvorführung angeordnet werden (§ 380 ZPO). Nur bei rechtzeitiger genügender Entschuldigung können diese Maßnahmen nachträglich wieder aufgehoben
werden (§ 381 ZPO). Ein Verstoß gegen die übrigen Pflichten führt nach §§ 378 II, 390 ZPO, soweit
er ohne Angabe von Gründen erfolgt, zur Verhängung von Ordnungsmitteln, soweit er begründet
wird, zu einem Zwischenstreit zwischen dem Zeugen und dem Beweisführer (§ 387 ZPO), in dem
über die Berechtigung der Verweigerung zu entscheiden ist.
Einen Überblick über den Ablauf der Zeugenvernehmung55 gibt Schema 7.5.
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Ablauf der Beweisaufnahme (Zeugenvernehmung)
Ausnahmefall
Prüfungsschritte Regelfall
nein
Verhängung von
Ordnungsmitteln
Ist der Zeuge erschienen?
ja
nein
Prüfung Zeugnisverweigerungsrecht
ggf. in Zwischenstreit
§ 160 I Nr. 4 ZPO
§§ 380 f. ZPO
Belehrung (aller) erschienenen Zeugen
§ 395 I ZPO
Andere Zeugen verlassen den Saal
§ 394 I ZPO
Vernehmung zur Person
§ 395 II ZPO
Ggf. besondere Belehrung
§ 383 II ZPO
Ist der Zeuge zur Aussage bereit?
§ 387 ZPO
ja
Vernehmung zur Sache
• Schilderung im Zusammenhang
• Befragung durch
- Vorsitzenden
- Übrige Richter
- Prozessbevollmächtigten Beweisführer
- Prozessbevollmächtigten Beweisgegner
- Beweisführer
- Beweisgegner
Protokollierung der Aussage durch den Vorsitzenden
Genehmigung des Protokolls durch den Zeugen
ja
Eidesbelehrung
Beeidigung
Norm
Beeidigung des Zeugen erforderlich?
nein
Entschädigung und Entlassung des Zeugen
§ 396 I ZPO
§ 396 II ZPO
§ 396 II ZPO
§ 396 III ZPO
§ 397 II ZPO
§ 397 II ZPO
§ 397 II ZPO
§ 397 II ZPO
§ 160 III Nr. 4 ZPO
§ 162 ZPO
§§ 391 ff. ZPO
§§ 480 ff. ZPO
§ 401 ZPO
Schema 7.5: Ablauf der Beweisaufnahme – Zeugenvernehmung –
54 Höhe nach Art 5 ff. EGStGB: 2,50 bis 500,– €, Haft von 1 Tag bis zu 6 Wochen.
55 Dazu auch Kassebohm, Zeugen richtig befragen, NJW 2009, 200; Oexmann, Zeugenvernehmung
und Fortsetzung der mündlichen Verhandlung durch den Referendar nach § 10 GVG, JuS 1976, 36.
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1. Teil. Grundbegriffe
27 (2) Natürliche Personen, die Partei oder gesetzlicher Vertreter der Partei sind, werden
zu Beweiszwecken im Wege der Parteivernehmung vernommen (§§ 445 ff. ZPO).
Um diese auch äußerlich von der (der Aufklärung nach § 139 ZPO dienenden) informellen Parteianhörung zu unterscheiden,56 bedarf sie stets der förmlichen Anordnung durch Beweisbeschluss (§ 450 I ZPO).
In Anbetracht des eigenen Interesses der Partei am Ausgang des Rechtsstreits und der
daraus resultierenden Interessenkollision ist im Rahmen der Parteivernehmung nur
selten eine vom bisherigen Parteivortrag abweichende Aussage zu erreichen, sodass es
sich hier um das schlechteste Beweismittel überhaupt handelt. Aus diesem Grund ist
die Parteivernehmung häufig unzulässig (so nach § 445 II ZPO, wenn das Gegenteil
der zu beweisenden Tatsache bereits feststeht, nach § 592 ZPO im Urkundenprozess
für die anspruchsbegründenden Tatsachen oder nach § 581 II ZPO im Wiederaufnahmeverfahren). Immer ist sie nur als ultima ratio in den Fällen statthaft, in denen
Beweis mit anderen Beweismitteln nicht (mehr) geführt werden kann.
28 Um wenigstens ein Mindestmaß an Beweiswert sicherzustellen, wird im Wege der
Parteivernehmung grundsätzlich nur der Gegner des Beweisführers vernommen
(§ 445 ZPO). Verweigert dieser die Aussage oder den Eid, so ist das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung frei, inwieweit es die Behauptungen des Gegners schon
hierdurch als erwiesen ansehen will (§ 446 ZPO).
Eine Vernehmung der beweisbelasteten Partei selbst kommt nur ausnahmsweise in
Betracht
nach § 447 ZPO, wenn der Gegner hierin einwilligt;
nach § 448 ZPO auch ohne eine solche Zustimmung von Amts wegen, wenn vorher schon ein Anfangsbeweis geführt wurde und damit für die zu beweisende Tatsache zwar eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die zum Beweis erforderliche
Überzeugung des Gerichts aber noch nicht erreicht ist.57
zur Wahrung der Waffengleichheit der Parteien, wenn dem Gegner aus einer zufälligen tatsächlichen Konstellation ein »in seinem Lager stehender« Zeuge zur Verfügung steht, der beweisbelasteten Partei aber nicht.
Dies kommt bspw. in Betracht, wenn bei einem Verkehrsunfall in einem Fahrzeug ein Beifahrer war, im anderen nicht, oder wenn Vertragsverhandlungen auf der einen Seite durch die Partei, auf der anderen Seite durch einen Vertreter geführt wurden (»4-Augen-Gespräch«).58
29 (3) Der Sachverständige soll die Sachkunde des Gerichts um seine Spezialkenntnisse
erweitern, er wird damit als Hilfsorgan des Gerichts im Prozess tätig (oben Schema 3.7).59 Er kann eingesetzt werden, wenn es um die Feststellung von Tatsachen (sog
56 BGH WM 1987, 1562; Lange, Parteianhörung und Parteivernehmung, NJW 2002, 476; Noethen,
Parteivernehmung oder Parteianhörung, NJW 2008, 334; Schöpflin, Die Parteianhörung als Beweismittel, NJW 1996, 2134; Terbille, Parteianhörung und Parteivernehmung im Rechtsstreit um
die Leistungspflicht des Versicherers aus Diebstahlsversicherungsverträgen, VersR 1996, 408.
57 BAG NJW 2002, 2196; BGH NJW 1999, 363; Burkhard Schmidt, Die Begründung der Ablehnung einer Parteivernehmung nach § 448 ZPO, MDR 1992, 637.
58 EuGH NJW 1995, 1413; BGH NJW 1999, 363; BGH NJW 2002, 2247; zu weitreichend BAG
NJW 2009, 1019; Bruns, Gespräche unter 4 Augen im Zivil- und Arbeitsgerichtsprozess, MDR
2010, 417.
59 BGH NJW 2006, 3214; Franzki, Der Sachverständige Diener oder Herr des Richters?, DRiZ 1991,
314.
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