Erster weltwaerts Bericht Katharina Bader

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Erster weltwaerts Bericht Katharina Bader
Erster Bericht zum Freiwilligendienst „weltwärts“
Katharina Bader
Santa Cruz de la Sierra, Bolivien
08. Dezember 2010
Gliederung
1) Einleitung
2) Der Hogar de Niños Santa Cruz
3) Meine Aufgaben
4) Erfahrungen mit der fremden Kultur
5) Entwicklung des Spracherwerbs
6) Fazit
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1) Einleitung
Am Samstag, dem 28. August 2010 ging für mich die große Reise in ein anderes
Leben los. Nach einem langen aber angenehmen Flug landete ich in den frühen
Morgenstunden des folgenden Tages in der Stadt, die ich nun für ein Jahr mein
zu Hause nennen darf. Die Brüder nahmen mich herzlich auf, gaben sich die
größte Mühe mir alles so zu erklären, dass ich es auch verstand und mir mein
Heimweh zu nehmen, was auch glückte☺.
2) Der Hogar de Niños Santa Cruz
Der Hogar de Niños Santa Cruz (kurz HNSC) ist ein Heim für Jungen im Alter von
5-19 Jahren, die aus verschiedenen Gründen wie psychischer und physischer
Gewalt, Vergewaltigung, finanzieller Nöte oder bei einigen wenigen auch der
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Tod der Eltern institutionellen Schutz und Hilfe brauchen. Geleitet wird er von
den Amigonianern, einem Ordenszweig der Franziskaner.
Der HNSC ist in 5 Hogares eingeteilt:
• Hogar 1 – HOGAR BUEN PASTOR - Alter zwischen 5 und 12
• Hogar 2 – HOGAR SAN FRANCISCO - Alter zwischen 12 und 14
• Hogar 3 – HOGAR P. LUIS AMIGO - Alter zwischen 13 und 16
• Hogar 4 – HOGAR MARTIRES AMIGONIANOS - Alter zwischen 15 und 17
• Hogar 5 – HOGAR ZAGALES DEL BUEN PASTOR - Alter zwischen 16 und 18
Des Weiteren gibt es noch einen sogenannten Hogar 6, ein Projekt, was vor
einem Jahr begann, in dem 6 Jungen im Alter von 18/19 Jahren zusammen mit
einem Betreuer (23 Jahre) leben. Diese Jungen sind ehemalige Bewohner der
unteren Hogares und sollen im Projekt lernen, alleine zu leben um so für ihr
baldiges eigenständiges Leben zu lernen. Im Januar werden die ersten 3 Jungen
ausziehen.
Jeder Hogar wird von 2 Erziehern („Educadores“) geleitet. Einer ist in den
Morgenstunden, der andere den Nachmittag und Abend mit den Kindern
zusammen. In der Nacht ist in jedem Hogar ein Bruder des Ordens anwesend.
Jeder Hogar hat seinen Aufenthaltsraum mit Fernseher, seine Schlafräume mit
einfachen Hochbetten und ein Bad.
Es gibt drei Sportplätze: Einen kleinen Betonplatz, einen großen, überdachten
Betonplatz und einen Sandplatz. Außerdem gibt es eine Aula, in der Feste,
Versammlungen und Ausstellungen stattfinden.
An den HNSC ist eine Schule angeschlossen, die 8 Schuljahre umfasst und hier
sowas wie die Grundschule („Primaria“) darstellt. Die Schule wird auch von
externen Kindern besucht und ist somit gemischt. Die Klassen der Schule sind
nicht nach Alter sondern nach Können eingeteilt, doch in der Regel beginnen
die Kinder im Alter von 5/6 Jahren und beenden die Primaria mit 14/15 Jahren.
Lehrpläne oder ähnliches gibt es (glaube ich) nicht. Es wird von den Lehrern das
weitergegeben, was sie wissen. Die Klasse ist nie ruhig und generell wird nicht
viel Wert auf Disziplin und Ordnung gelegt und da kann es auch schon mal
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vorkommen, dass man lieber eine Woche lang Tänze übt anstatt Unterricht zu
geben. Alle Jungen besuchen die Schule des HNSC bis zur Octavo – der achten
Klasse. Anschließend gehen sie dann auf eine weiterführende Schule in der
Umgebung, die noch einmal 4 Jahre umfasst und mit dem „Bachiller“, zu
vergleichen mit dem Abitur, abschließt
Des Weiteren ist ein „Colegio“ an den HNSC angeschlossen, das den Namen
„Centro de Capacidad“ (kurz: CeCap) trägt. Im
CeCap hat man die Gelegenheit verschiedene
Berufe
zu
erlernen,
wie
z.B.
AutomechatronikerIn, SchneiderIn u.v.m. Des
Weiteren hat man die Möglichkeit
Computerkurse zu belegen. Das Colegio wird
hauptsächlich von externen Schülern besucht.
Der typische Tagesablauf im HNSC ist der Folgende:
7.00Uhr Frühstück
8.00Uhr Schulbeginn: Versammlung auf dem Sportplatz, singen der
Landeshymne und der Hymne Santa Cruz´, Tagesevangelium, Gebet o.ä.,
anschl. Unterricht
10.00Uhr – 10.30Uhr PAUSE
12.00Uhr Mittagessen
ab 13.00Uhr Hausaufgaben
15.30Uhr Merienda (Zwischenmahlzeit)
16.00Uhr Sport
18.00Uhr Duschen, anschl. Beendigung der Hausaufgaben
19.00Uhr Abendessen
19.30Uhr Fernsehen o.ä.
21.00Uhr Schlafen (für den Hogar 1)
Der HNSC hat außerdem eine eigene Krankenschwester und eine Zahnärztin,
denen in ihren eigenen Räumlichkeiten auch die entsprechende Ausrüstung zur
Verfügung steht. Auch arbeitet ein Psychologe hier, sowie 2
Sozialarbeiterinnen.
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3) Meine Aufgaben
In den ersten 6 Wochen hatte ich noch keine eigenen Aufgaben, da ich mich
erst einmal an all das Neue gewöhnen musste, was auf mich einwirkte, wobei
zuallererst natürlich die Sprache zu nennen ist, dazu aber auch das Klima, die
Menschen, die Jungen, das Essen, die Trennung von meiner Familie und
meinem ganzen gewohnten Umfeld, um nur mal einen Ausschnitt zu nennen.
Ich begleitete in den Morgenstunden eine spanische Freiwillige, die
Nachhilfeunterricht in kleinen Gruppen gab. So konnte ich einzelne Kinder
näher kennenlernen, neue Wörter lernen und nach einiger Zeit auch ein
bisschen helfen. Nachmittags verbrachte ich die Zeit dann wöchentlich
wechselnd in den Hogares 1 und 2. Die Kinder des Hogar 1 nahmen mich
schnell und herzlich in ihre Mitte auf und es war überhaupt kein Problem mich
mit ihnen anzufreunden. Geduldig wiederholten sie mir ihre Sätze,
buchstabierten mir ihre Wörter oder schrieben sie auf, fragten mich über
meine Familie und Deutschland aus und wollten, dass ich ihnen alles Mögliche
ins Englische oder Deutsche übersetze wobei sich mein kleines Wörterbuch
natürlich zu einem tollen Spielzeug entwickelte. Ich bekam sogar ein Heft
geschenkt, um mir all die neuen Wörter zu notieren und jedes Mal wenn sie
mich sehen kommt mir ein „Gutten Morgen, Kattarina!“ aus 30 Mündern
entgegengeschallt.
Im Hogar 2 stellte sich die Kontaktaufnahme schon etwas schwieriger dar. Die
Jungen sind schon etwas älter und so auch distanzierter, aber nach dem ersten
Fußballspiel mit Ihnen lockerte sich die Lage auch ziemlich schnell und ich
freundete mich mit den Jungs an☺!
Die spanischen Freiwilligen reisten Ende September ab, wodurch meine
morgendliche Aufgabe wegfiel. Ich bekam nun die Zeit die Akten der Kinder des
Hogar 1 zu lesen, in denen ihre Vergangenheit, ihre momentane Situation und
ihre psychische Verfassung festgehalten sind. Das Lesen dieser 30 oft traurigen
Lebensgeschichten der kleinen Jungen, die ich zu dem Zeitpunkt schon wie
Brüder in mein Herz geschlossen hatte war nicht einfach und kostete viel Zeit.
Es half mir aber auch die Kinder besser zu verstehen und individueller zu
behandeln. Als ich diese Aufgabe fast beendet hatte setzte ich mich mit den
Bruder zusammen, der für mich verantwortlich ist um ein Projekt zu
entwickeln, dass ich mit meinem Unterstützerkreis finanzieren könnte. Wir
kamen auf die Idee, ein Musikprojekt zu starten, da der Bruder herausgefunden
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hatte, dass ich Klavier spielen kann. Er schlug vor ein gutes Keyboard
anzuschaffen, mit dem ich Klavierunterricht geben könnte. So kauften wir am
06. Oktober 2010 ein YAMAHA Keyboard und 6 Gitarren, die auch für den
Musikunterricht gedacht sind. In der darauf folgenden Woche begann dann
also meine neue Tätigkeit, mit der ich niemals gerechnet hatte. Ich selbst hatte
meinen
Klavierunterricht
oftmals
nicht
genossen
und
sollte
nun
selber
unterrichten.
Ohne Hilfsmittel
stand ich nun
also vor meiner
ersten Stunde
und musste mir
was
einfallen
lassen.
Man
vertraute mir 8
Jungen an (je 4
aus
den
Hogares 1 und
2), die wirklich sehr lernbegierig und offen waren, die Welt der Musik kennen
zu lernen. Man muss dazu sagen, dass das Instrument „Klavier“ hier sehr
unbekannt ist. Nur wenige können Klavier spielen und ich habe bis jetzt auch
noch kein richtiges Klavier gesehen, was daran liegt, dass man bei diesem Klima
so gut wie jeden Tag einen Klavierstimmer bräuchte. In den Morgenstunden
ordnete ich die Bibliothek, da in diesem Raum nun ein Musikzimmer
eingerichtet wird. Ich inventarisierte alle Bücher und ordnete sie dann im
neuen Raum wieder in die Regale ein. Diese Aufgabe war weniger spaßig und
ich war froh als ich sie beendet hatte. Seitdem bin ich morgens immer
unterschiedlich beschäftigt. Immer dort, wo ich grade gebraucht werde.
Zweimal war ich auch schon mit der Sozialarbeiterin unterwegs und habe mit
einzelnen Jungen ihr zu Hause besucht um mit den Eltern über die momentane
Lage zu sprechen. Diese Besuche waren auch nicht einfach. Dort bekam ich die
Realität der Jungen zu sehen und hautnah zu spüren. Sah ihr Angst, Not und
Trauer in den Augen, die sie hier im HNSC oft verstecken können.
In den letzten Wochen sind wir hier alle stark mit den
Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt. Alles wird reichlich und mit vielen
bunten Lichtern geschmückt. Vor zwei Wochen haben die Sommerferien
begonnen und die meisten Jungen sind nach Hause gegangen. Daher läuft hier
alles etwas ruhiger und ich habe momentan keine konkreten Aufgaben. Sobald
die Jungen jedoch im Januar zurückkehren werde ich den Klavierunterricht
wieder aufnehmen.
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4) Erfahrung mit der fremden Kultur
Schon am ersten Tag wurde ich mitten in die Kultur
der Bewohner des Departamento Santa Cruz
eingeführt. Ein Gebiet mit seiner eigenen Hymne,
Flagge und wenn man so will auch mit ihrem
eigenen Wortschatz. Alles wird gefeiert, das sagen
sogar die Einheimischen von sich, sogar zum
Geburtstag der Katze wird die ganze Nachbarschaft
eingeladen und es wird bis tief in die Nacht getanzt
- Traditionelle Partnertänze genauso wie
Reggaeton. Ich habe in meinen drei Monaten hier
schon mehr getanzt als in meinem ganzen Leben in
Deutschland und es gefällt mir! Die traditionelle Tracht hatte ich auf einer
Kostümparty auch schon an. Zu dieser Feier wurde ich dann in eine „Camba“ –
eine Einwohnerin Santa Cruz´ verwandelt.
Das typische Essen schmeckt sehr lecker. Vieles davon ist mit dem typischen
Käse zubereitet, den ich so in Deutschland noch nie gesehen, geschweige denn
gegessen habe und der köstlich ist. Des Weiteren gibt es hier eine riesige
Obstauswahl und die Früchte schmecken meist besser als zu Hause. Es wird
zweimal warm gegessen und alles mit Reis. Das hat mir am Anfang schon
Probleme bereitet, doch inzwischen hab ich mich gut daran gewöhnt. Hier wird
viel auf der Straße gekocht und verkauft. Das ist natürlich sehr unhygienisch
und ich erinnerte mich letztens an einen Zeitungsartikel des letzten Winters,
der einen Weihnachtsmarktstand anprangerte, der wohl nicht jeden Tag sein
Fett gewechselt hatte. Hier wird dieses Fett glaub ich nie gewechselt. Da ich oft
von den Einheimischen eingeladen werde habe ich mir vor 2 Wochen eine
Lebensmittelvergiftung zugezogen und war eine Woche krank. Keiner der
Einheimischen hatte Probleme mit dem Essen, dass wir in einem Restaurant
eingenommen hatten. Dafür ich umso stärker. Doch auch das habe ich jetzt
wieder gut überwunden und werde in Zukunft vorsichtiger sein.
Ein letzter wichtiger Bestandteil der Kultur hier, die mir sofort ins Auge gefallen
ist: Sobald mehr als zwei Menschen zusammensitzen wird eine Gitarre
herausgeholt und man beginnt zu singen. Inzwischen kann ich auch schon
einiges mitsingen, was diese Angewohnheit der Menschen für mich nur umso
schöner macht.
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5) Entwicklung des Spracherwerbs
„Nach drei Monaten verstehst du alles!“ – Ich weiß nicht, wie oft ich diesen
Satz vor meiner Abreise zu hören bekommen habe und jetzt frage ich mich, wie
diese Menschen, die teilweise noch nie eine solche Erfahrung gemacht haben
eine so genaue Zeitgrenze setzen können. Ich kann auf jeden Fall jetzt sagen:
„Nein! Ich verstehe noch nicht ALLES!“ Ich verstehe, was die Menschen von mir
wollen und kann mich auch gut unterhalten, aber trotzdem muss ich ab und zu
nochmal die ein oder andere Vokabel nachfragen oder mir aus dem
Zusammenhang erschließen. Ich bin aber sehr guter Hoffnung, dass sich diese
kleine Hürde auch in den kommenden Wochen ergibt, denn wenn ich
zurückblicke auf den Anfang habe ich wirklich schon unglaublich viel gelernt
und ich habe schon angefangen in Spanisch zu träumen, was wirklich eine
Erfahrung wert ist! Die Einheimischen hier sagen, dass die meisten Freiwilligen
mehr oder weniger 6 Monate brauchten um sich gut und ohne Probleme
ausdrücken zu können. Das würde heißen, dass ich an meinem Geburtstag im
März dann perfekt spreche☺!
Ich freue mich schon darauf!
6) Fazit
Ich kann wirklich sagen, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe
indem ich mich für ein FSJ entschieden habe und ich bin unendlich dankbar,
dass ich diese Stelle hier in Santa Cruz gefunden habe. Die Menschen sind alle
so unheimlich nett, hilfsbereit und gastfreundlich, dass ich oft gar nicht weiß,
wie ich ihnen in rechtem Maße danken kann.
Hinzu kommt noch, dass ich in einer Jugendgruppe des HNSC von Jugendlichen
von außerhalb Anschluss gefunden habe und neue Freunde die meinen nennen
darf. Mit Ihnen unternehme ich viel in meiner freien Zeit.
Die Jungen der Hogares 1 und 2 sind inzwischen wie meine Brüder und ich
habe sie in mein Herz geschlossen.
Mit den Ordensbrüdern komme ich nach einigen Startschwierigkeiten nun auch
problemlos klar.
Also, es ist glaub ich unschwer zu erkennen, dass ich mich wohl fühle und mich
auf die noch vor mir liegende Zeit freue!
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