VORBILDER

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VORBILDER
Prof. Dr. Hartmut Rupp, RPI
VORBILDER
Religionspädagogischer Tag, Schwetzingen, 5. April 2011
Noch in den 90er Jahren meinte man in der Pädagogik, die Zeit der Vorbilder sei vorbei.
Wenn jeder einmalig sein will, dann braucht man kein Vorbild, ja man muss Vorbilder sogar
abweisen.
Im Gefolge der Amokläufe stellte sich jedoch der Eindruck ein, dass Heranwachsende Vorbilder nachahmen und sich dabei offenbar von Computerspielen und Filmen bestimmen lassen. Die Frage stellt sich, ob schon allein das Betrachten solcher Szenen prägt. Die Frage
bricht auf, ob man nicht andere, bessere Vorbilder ins Spiel bringen muss. Diese Frage stellt
sich auch angesichts der Sorge über die Wertvorstellungen Heranwachsender. Sie brauchen
positive Vorbilder wird dann gesagt. Angesichts einer erkennbaren Entkirchlichung machen
sich auch die Kirchen Sorgen um die Akzeptanz christlicher Lebensorientierungen. Sie sind
fremd und für manche schräg geworden. Naheliegend ist es dann, verstärkt christliche Vorbilder anzubieten und ihnen nachzuspüren.
Hinzu kommt, dass das Leben immer komplizierter und unübersichtlicher wird. Der Gedanke,
dass ein Mensch seinen Lebensweg ganz allein findet, ist verwegen. Offenbar brauchen
Menschen um „ihren“ Weg und ihren Lebensstil zu finden, Orientierungsmarken, die ihnen
helfen, ihr eigenes Konzept zu entwickeln.
In diesem Zusammenhang stellt sich Aufgabe, neu über Vorbilder und das Vorbildlernen
nachzudenken. Ich will dies in sechs Schritten und mit sechs Fragen tun:
1. Was ist eigentlich ein Vorbild?
2. Wozu braucht es Vorbilder?
3. Was sind gute und schlechte Vorbilder?
4. Sind Märtyrer, Heilige und Glaubenshelden gute Vorbilder?
5. Ist Jesus ein Vorbild?
6. Wie geht das Vorbildlernen im Religionsunterricht?
Lassen Sie uns gemeinsam einen Weg gehen.
1. Was ist eigentlich ein Vorbild?
Ich versuche eine Definition:
Ein Vorbild ist das Bild einer realen, aber auch virtuellen Person, aus der Gegenwart oder
der Vergangenheit, das von einem Individuum bewundert, verehrt oder geliebt wird und dessen eigenes Leben, Erleben, Urteilen, Verhalten und Handeln nachhaltig beeinflusst. Diese
Bewunderung kann der Person als Ganzer gelten, aber auch in Teilen. So kann mir Luther
vor dem Reichstag in Worms imponieren oder Franz von Assisi in seinem Verhältnis zu Tieren.
Manche unterscheiden vom Vorbild das Ideal als Inbegriff des Vollkommenen, das aber nicht
mehr an eine reale Person gebunden ist; das Idol, das eine fast göttlich verehrte, idealisierte
Person bezeichnen soll; den Star, der aus dem Alltäglichen herausgehoben ist und angehimmelt wird, den Helden, eine Person also, die in einem bestimmten Bereich herausragende Fähigkeiten hat und besondere Leistungen vollbracht hat. Manche reden lieber von
Modellen statt von Vorbildern. Sie wollen damit betonen, dass es nicht so sehr darum geht,
einem Vorbild ganz nachzufolgen, sondern über das Leben eines Menschen nachzudenken,
über Entscheidungen zu diskutieren und zu prüfen, was daran sinnvoll und gut ist. Man kann
sich bei Modellen auch mit Teilaspekten beschäftigen. Modelle repräsentieren Einstellungen
und Verhalten, aber sie drängen nicht auf Nachvollzug.
Ich möchte im Moment bei dem Begriff Vorbild bleiben. Auch deswegen, weil er uns so vertraut ist. Helden, Stars, Idole, aber auch die personalen Modelle sind für mich alle Vorbilder,
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die sich jemand vor sich hin stellt, um sich damit auseinander zu setzen, um sich über sich
selbst klar zu werden, um daran irgendwie Anteil zu nehmen oder sich daran zu orientieren.
Über die Art der Beziehung soll damit noch nichts ausgesagt sein. Das kann Bewunderung
sein, aber auch eine kritische Auseinandersetzung.
Meist haben Menschen verschiedene und ganz unterschiedliche Vorbilder. Im Sport ist jemand anderes ein Vorbild, im Glauben jemand anderes.
Offenbar verändern sich im Laufe des Lebens die Vorbilder. Wie war das bei Ihnen? Als
Junge beschäftigte ich mich mit Winnetou und Old Shatterhand, mit Prinz Eisenherz, in späteren Schuljahren mit französischen Existenzialisten, im Beruf hat mich ein Bischof unserer
Kirche geprägt. An dieser Reihe merkt man auch, dass verschiedene Zeiten ganz verschiedene Vorbilder haben. Prinz Eisenherz lesen heutige Jugendliche wohl nicht mehr. Sie leben
in PC-Spielen, wie z.B. WOW (world of warcraft). Doch nicht nur das. In einem persönlichen
Leben verändern sich mit fortschreitendem Lebensalter auch die Vorbilder. Wie war das bei
Ihnen? Sprechen Sie einmal darüber!
Das Entscheidende an einem Vorbild ist der personale Bezug, die Bewunderung, die Verehrung, die Liebe, die Neugierde. Ganz allgemein die subjektive Bindung. Ohne diese Bindung
ist die Biografie eines Menschen eine nette Geschichte, aus der wir vielleicht viel aus anderen Zeiten lernen können. Es sind aber noch keine Vorbilder. Ganz bestimmt hat diese Bindung mit dem zu tun, was heutzutage als Vorbild gehandelt wird und was andere für gut
halten. Meist werden Personen zu Vorbildern, die auch von anderen hochgehalten werden.
Ich bringe durch ein Vorbild auch zum Ausdruck, zu wem ich gehören möchte.
Letztlich aber wählen sich Menschen ihre Vorbilder selbst.
Die neurologische Basis für die Aneignung von Vorbildern sind nach Joachim Bauer die so
genannten „Spiegelneuronen“. Das sind Nervenzellen in der Hirnrinde, die eine Handlung,
eine Empfindung oder auch eine Äußerung, die man wahrnimmt, unwillkürlich „spiegeln“. Sie
beginnen dann zu feuern und lassen in einer Art innerer Simulation spüren, was in einem
anderen vorgeht. Es macht bei dem Empfinden offenbar keinen Unterschied, ob ich etwas
selbst mache oder dieses bei einem anderen beobachte. Jedes Mal feuern die Nervenzellen
gleich intensiv. Spiegelneuronen sind die neurologischen Grundlagen von Empathie. Dazu
gehört auch das Mitleid. Ich verziehe das Gesicht, wenn jemand eine klaffende Wunde hat.
Ich spüre selber, was jemand anders empfindet. Spiegelneuronen sind in der Lage, beobachtete Aspekte zu einer Gesamttendenz zusammenzusetzen. Selbst die Handlungsabsichten anderer finden im Gehirn ihren Niederschlag. Dieser fällt umso differenzierter aus,
je mehr Erfahrungen ich schon selber gemacht habe. Dann kann ich sogar relativ gut Voraussagen treffen. Diese Nervenzellen speichern auch Handlungen und erlauben nicht nur
ein Mitfühlen, sondern auch eine Nachahmung. Sie beeinflussen auch unser Befinden, was
z.B. Mobbing erklärt. Die Ablehnung anderer lösen Unsicherheit aus, führen zu Selbstzweifel
und lassen Dinge tun, die man eigentlich gar nicht wollte.
Allerdings sind diese Spiegelneuronen auf Entwicklung angewiesen. Um Mitgefühl entwickeln zu können, braucht es der Erfahrung persönlich erlebten Mitgefühls.
Das klingt wie die behavioristische Verhaltenstheorie von Burrhus Frederik Skinner, die davon ausgeht, dass unser Verhalten total durch die Umwelt bestimmt wird. Wir richten uns
nach dem, was andere gut finden und nicht negativ bestrafen oder ablehnen. Joachim Bauer
weist darauf hin, dass auch diese Spiegelungen Konstruktionsprozesse sind (86f.), die
immer auch von Vorerfahrungen mit den anderen und mit sich selbst abhängig sind.
Bauer bezieht diese Einsichten auch auf PC-Spiele und bewertet diese kritisch (120f.). Aber
er betont zugleich, dass für Lernende die zwischenmenschliche Beziehung mit lebendigen
Personen von überragender Bedeutung ist (118. 120f.).
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2. Wozu braucht es Vorbilder?
Offenbar haben alle Menschen Vorbilder, zumindest gab es Phasen in Ihrem Leben, in dem
sie irgendwelche Personen bewundert und sich an ihnen orientiert haben. Das kann im
Jugendalter, wie wir wissen, durch Nachahmung entstehen. Dann kleiden sich Jugendliche
so wie Tokio Hotel, gehen wie die Models bei Heidi Klum oder piercen sich wie Stefan
Kretzschmar. Interessanterweise sind es aber gar nicht die Medienstars, die so sehr bewundert werden. Auf solche Ideen kommt man nur, wenn man bei einer Umfrage 30 Popstars
vorlegt und danach fragt, wer am ehesten ein Vorbild ist. Fragt man hingegen offener, z.B.
zu wem schaue ich auf oder wem würde ich ein Bundesverdienstkreuz verleihen, dann
kommt etwas ganz anderes heraus.
Die Zeitschrift „Eltern“ fragte 2000 1.842 7 - 17Jährige: „Wem würdest du ein Bundesverdienstkreuz verleihen?“ Was kam heraus? Das Ergebnis ist: 34,1% sagen ihre Mutter, 28,6%
der eigene Vater, 23,4% Lady Diana, 18,9% Großeltern, 14% sehen Freunde als Vorbild an.
Diese Vorbilder stammen also nur zu einem geringen Teil aus der Fernwelt oder aus der
Medienwelt, sondern überwiegend aus der Nahwelt. Auffallend ist, dass Mädchen überwiegend weibliche, Jungen hingegen überwiegend männliche Vorbilder wählen und offenbar
auch brauchen. Das muss man sich für den Religionsunterricht merken, der zwar überwiegend von Frauen erteilt wird, aber meist mit männlichen Vorbildern hantiert.
All das erklärt aber noch nicht, warum Kinder und Jugendliche sich innerlich an Personen
binden und zu einem Leitbild für ihr eigenes Leben machen. Warum sind sie geradezu auf
Vorbilder angewiesen?
Das hat ganz stark mit lebensgeschichtlichen Bedürfnissen und Entwicklungsaufgaben zu
tun. Nach Robert Havighurst stellen für sich Menschen in verschiedenem Alter ganz unterschiedliche Entwicklungsaufgaben, die sich aus dem Zusammenspiel von drei Faktoren
ergeben: personalen Bedürfnissen (wie Anerkennung, Selbstbehauptung oder Selbstbewusstsein), aus den biologischen Veränderungen und Erwartungen der Umwelt.
Zwischen 6 und 12 stellen sich z.B. die Aufgaben, eine positive Einstellung zu sich selbst als
einem wachsenden Organismus zu gewinnen, Konzepte und Denkschemata zu entwickeln,
die für das Alltagsleben notwendig sind, Gewissen und eine Moral zu bilden, gegenüber
sozialen Gruppen und Institutionen Einstellungen zu entwickeln.
Zwischen 12 und 18 stellen sich z.B. die Aufgaben, neue und reifere Beziehungen zu Altersgenossen beiderlei Geschlechts aufbauen, die männliche oder weibliche Geschlechtsrolle zu
übernehmen, die eigene körperliche Erscheinung zu akzeptieren, von den Eltern und von
anderen Erwachsenen emotionale Unabhängigkeit zu erreichen, Werte und ein ethisches
System zu erlangen, das als Leitfaden für das Verhalten dient.
Das Eigentümliche dieser Entwicklungssaufgaben ist, dass man jeden Tag damit beschäftigt
ist. Sie begleiten alles, was man tut oder unternimmt. Die Lösungen prägen die Art und
Weise, wie man später neue Aufgaben bearbeitet.
Auf diesem Hintergrund möchte ich sagen:
Vorbilder sind Gestalten,
• an denen seelische Bedürfnisse stellvertretend abgearbeitet werden können,
• die es erlauben, eigene Sehnsüchte und Wünsche zu spiegeln,
• die eine einigermaßen verlässliche und verstehbare Weltordnung repräsentieren und
garantieren,
• die moralische Regeln und Prinzipien veranschaulichen,
• die beispielhafte Lebensverläufe bieten und erkennen lassen, wie das Leben verlaufen kann.
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Ich will dies an einigen Beispielen begründen:
Alle Kinder haben mit narzistischen Kränkungen zu kämpfen. Da wird das Geschwisterchen
scheinbar mehr geliebt oder man bekommt an der Kasse die Bonbons nicht, die man unbedingt will. Da muss man ins Bett, obwohl man noch spielen will und sich selber noch gar
nicht müde fühlt. Pippi Langstrumpf bietet die Möglichkeit, narzistische Allmachtsphantasien
auszuagieren und ein Gegengewicht zu den Kränkungen zu entwickeln. Pippi wohnt ganz
alleine zu Haus, ist riesenstark, achtet nicht auf ordentliche Kleidung und macht alles, was
sie will. Offenbar brauchen Menschen solche Vorbilder bis ihr Ich realistisch wird. Das kann
jedoch dauern.
Buben beschäftigen sich derzeit gerne mit wilden Ungeheuern von Play mobil oder sonst wo
her. Ich vermute, dass hier die wilden, schrecklichen, chaotischen und ungezogenen Seelenanteile ausagiert werden. Doch sie werden nicht nur ausagiert, sondern sie werden auch
bekämpft und besiegt durch Kämpfer, durch Ritter oder sonstige Helden. Ich habe einst
Siegfried aus dem Nibelungenlied bewundert und mit großer Freude angesehen, wie der
Kasper das Krokodil austrickst. Sollten wir nicht auch in der Grundschule uns mit dem Heiligen Georg oder mit dem Erzengel Michael beschäftigen? Buben brauchen männliche Vorbilder mit Kraft, mit Witz und wenn es sein muss auch mit Waffen. Terminator 2, alias Arnold
Schwarzenegger, belegt, dass Jugendliche auf Erzengel Michael geradezu abfahren.
Was reizt eigentlich an Michael Jackson, an Madonna, an Christina Aguilera, an Tokio Hotel
und all den anderen Popstars?
Sie spiegeln eigene Sehnsüchte. Gerade Kids in der Vorpubertät und dann in der Pubertät
sehnen sich danach, im Mittelpunkt zu stehen, bejubelt zu werden und gut auszusehen und
Erfolg zu haben. Die Spiegelneuronen zeigen, dass ich an ihrem Erfolg und an ihrer Bewunderung innerlich teilhaben kann. Das gilt auch für Michael Schumacher, Dirk Nowitzki oder
Lukas Podolski. Während die einen deren Trikots oder Mützen tragen, hängen die anderen
deren Poster an die Wand oder verfolgen Fernsehsendungen, in denen sie vorkommen.
Wiederum geht es um den Wunsch, angehimmelt zu werden, Erfolg zu haben, im Fernsehen
zu sein. Jungen orientieren sich offenbar mehr am Sport, Mädchen mehr an Popstars.
Das hat auch problematische Seiten, wie die Barbie Puppe zeigt. Da werden auch Körperbilder transportiert, die zur Ablehnung eigener körperlichen Entwicklungen führen können.
Möglicherweise hängen davon Essstörungen ab und die Schwierigkeit, ein eigenes akzeptiertes Körperbild aufzubauen. Es gibt gute und schlechte Vorbilder.
Kinder und Jugendliche erleben die Welt als unübersichtlich. Da gibt es bedrohliche, aber
auch hilfreiche Aspekte. Muss man Angst haben und sich gar bewaffnen? Darf man Vertrauen haben und auf Hilfe rechnen? Comic-Helden wie Superman, Batman, aber auch
Filme wie Matrix mit dem messianischen Neo im Mittelpunkt, nehmen diese Unsicherheiten
auf und erklären auf dramatische Weise die Welt: Es gibt böse Mächte, die einen bedrohen
und zu überwältigen scheinen. Doch es gibt gute Begleiter, die eingreifen, wenn wir nicht
weiter wissen. Sie repräsentieren Werte, wie Hilfsbereitschaft, Verantwortung, Empathie,
Intelligenz, Mut, Durchsetzungsvermögen, die diese Welt erhalten und sie wohnlich machen.
Die Frage ist, ob das wahr ist.
Die Fantasy Romane über Harry Potter unterstützen den Traum, etwas Besonderes, ja sogar
ein verkanntes Genie zu sein. Doch in der Geschichte des Zauberers von Hogwarts wird
gleichzeitig ein Weltbild entworfen. Diese Welt ist gefährlich und durch Bosheit und Heimtücke gekennzeichnet. Das Böse, Lord Voldemort, nimmt stets eine andere Gestalt an und
lässt sich nicht recht fassen. Doch es gibt überraschende Helfer und vor allem Freunde, die
zu einem halten. Und überhaupt: die Liebe der Mutter schützt vor der allerletzten und größten Gefahr.
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Daily soaps (Lindenstraße) und Telenovelas (Anna und die Liebe) sind Beziehungs- und vor
allem Liebesgeschichten. Sie zeigen, wie Personen, ständig neue Alltagskonflikte zu bewältigen haben und dabei ganz unterschiedliche Gefühle durchleben. Sie spiegeln die Beziehungswünsche von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, vor allem von Frauen, bieten
aber zugleich Verhaltensmodelle für das Alltagsleben an, die in Gesprächen mit anderen
diskutiert werden. Die Identifikation mit solchen Vorbildern und das Gespräch darüber vermittelt gleichzeitig das Gefühl, zur Gruppe jener zu gehören, die diese Sendungen sehen.
Man will mitsprechen können und dabei im Gespräch Alltagskonflikte bearbeiten.
Mit dem Jugendalter stellt sich die Aufgabe, eine personale Identität aufzubauen: Wie will ich
sein? Wer will ich sein? Gleichzeitig stellt sich die Aufgabe, sich ein Weltbild und eine entsprechende Moral zu erarbeiten. Biographien, wie z.B. von Martin Luther King geben immer
Einblick in eine bestimmte Phase der Weltgeschichte, hier die USA während der Zeit der
Bürgerrechtsbewegungen. An Martin Luther King wird aber auch deutlich, wie die Bergpredigt gelebt werden kann und dass dies nichts für Feiglinge ist. Hier werden moralische
Regeln und Prinzipien anschaulich und verständlich. Für mich repräsentiert Dietrich Bonhoeffer (Sie merken, ich bin immer bei Männern) das Prinzip Verantwortung vor Gott und den
Menschen.
Bei dieser Auseinandersetzung ist aber wichtig, dass nichts beschönigt wird. Fatal ist es,
wenn sich nachher herausstellt, dass ein solches Vorbild idealisiert wurde und negative
Aspekte verschwiegen worden sind. Menschliches Leben ist aber immer auch von Widersprüchen durchzogen, nie rund, sondern stets bruchstückhaft.
Die Biographien großer Menschen der Weltgeschichte lassen auch erkennen, wie das Leben
läuft und wie es gestaltet werden kann. In einer Lebensphase, in der ich ständig dabei bin zu
entwerfen, wie ich leben möchte, wie ich leben könnte und wie ich leben sollte, lassen diese
erkennen, was den Lebenslauf bestimmt, was ihn verändert und herausfordert.
Wichtig scheint mir aber, dass Heranwachsende sich mit verschiedenen, auch gegensätzlichen Biographien beschäftigen. Lohnend ist, nach einem roten Faden und nach den Quellen in einem solchen Leben zu suchen. Lohnend fände ich darüber nachzudenken, warum
diese Personen sich so und nicht anders entscheiden und was sie dabei motiviert. Biographien sind einzigartig. Jeder lebt sein eigenes Leben. Aber vielleicht zeigen sich Grundhaltungen und Quellen, die auf das eigene Leben bezogen werden können.
Ich habe die ganze Zeit die Bedeutung von Vorbildern für die Individuation betont. Das ist gut
und richtig so. Vorbilder haben jedoch auch mit Sozialisation zu tun und deshalb auch mit
dem gesellschaftlichen Zusammenleben. Vorbilder repräsentieren Tugenden, die menschliche Gemeinschaften brauchen, um auf menschliche Weise und soziale Weise zu funktionieren. Aus diesem Grunde hat die Zeitschrift „Die Zeit“ im November 2009 knappe Beschreibungen von 50 Deutschen vorgelegt, die das repräsentieren, was eine Bürgergesellschaft
hierzulande braucht, um zivil zu sein. Sie alle kennen das von Dienstjubiläen, bei denen älter
gewordene Kolleginnen und Kollegen als Vorbilder des deutschen Bildungswesens vorgestellt werden. Offenbar brauchen wir auch Vorbilder und Leitbilder für einzelne Institutionen
und die Gesellschaft als ganzes.
3. Was sind gute und schlechte Vorbilder?
Gut sind Vorbilder und damit subjektive Bindungen an eine Person, wenn sie einem helfen,
zu einem eigenständigen, zuversichtlichen und verantwortungsbewussten Leben zu gelangen (Individuation). Sie sind Vorbilder, wenn sie zu einem Leben in Freiheit, Gerechtigkeit
und einem gewaltfreieren Umgang mit der Schöpfung beitragen (Sozialisation).
Gut sind Vorbilder, die Mitgefühl und Verlässlichkeit zeigen. Denn das ist genau das, was
jeder Heranwachsende braucht. Darin liegt auch das Geheimnis, warum Mama die Beste ist.
Heutige Mütter repräsentieren viel Zuwendung und Zuneigung, viel Lebenskompetenz und
das Interesse an einem gesicherten Leben. Da dies grundlegenden eigenen Bedürfnissen
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entspricht, werden sie am ehesten als Vorbilder gewählt. Gute Vorbilder helfen zudem, bei
der Bearbeitung von Entwicklungsaufgaben, insbesondere bei der Identitätssuche im
Jugendalter.
4. Sind Märtyrer, Heilige und Glaubenshelden gute Vorbilder?
Das wird man nicht bestreiten können. Deshalb spielen sie im Religionsunterricht beider
Konfessionen eine wichtige Rolle. In der Grundschule sind Elisabeth von Thüringen Bildungsplanthema, der Heilige Nikolaus und Sankt Martin, auf evangelischer Seite kommt
Martin Luther hinzu. In der Sekundarstufe I werden gerne biblische Personen vorgestellt:
Amos, Paulus, Petrus, Maria. Dazu kommen aus der Kirchengeschichte der Heilige Franziskus, aber auch Johann Hinrich Wichern (1808-1861), Adolph Kolping (1813-1865), Wilhelm
Emmanuel Ketteler (1811-1877). Dazu kommen dann aus dem 20. Jahrhundert Martin
Luther King, Johannes der XXIII oder Dietrich Bonhoeffer, Frauen wie Mutter Teresa oder
Sophie Scholl. Sie repräsentieren moralische Regeln und Prinzipien. In ihrem Leben finden
sich Entscheidungssituationen, die exemplarisch durchgespielt, auf eigene Weise gelöst und
dann mit ihrem Leben verglichen werden können.
Doch wir sollten sorgfältig darauf schauen, was wir da tun. Viele Heilige der katholischen
Kirche lebten zölibatär und taten Wunder. Können und wollen wir das zum Vorbild machen?
Viele haben sich selbst aufgeopfert. Manchmal hat man den Eindruck, das geschah irgendwie auch lustvoll. Kann das Vorbild sein? Manche haben große Entbehrungen gesucht und
auf sich genommen. Sollen wir das Jugendlichen als Vorbild anbieten? Die großen Vorbilder
lebten in einer ganz anderen Zeit. Für Schülerinnen und Schüler sind sie Weltrekordler, die
eine Sprunghöhe überqueren, die sie selber nie schaffen können. Und ich vermute, dass Sie
und ich das auch nicht können. Hinzu kommt, dass sie häufig idealisiert und dadurch überhöht werden. Das könnte ein Grund sein, warum sie so wenig nachhaltig wirken. Dennoch
liegen auch da Chancen. Sie zeigen sich bei Fragen wie: Wofür will ich mein Leben einsetzen? Aber auch: Was gibt mir Kraft?
Schaut man genauer hin, dann zeigen sich meist noch andere Züge. Hier will ich ganz bei
uns Evangelischen bleiben: Luther war in Worms mutig, aber vielleicht nicht so, wie man das
im 19. Jahrhundert sah. Doch er hat Sätze über die Juden geschrieben, die sind antisemitisch. Er hat aus ganz opportunistischen Gründen die Zweitehe Philipps von Hessen gesegnet. Gute Vorbilder sind realistisch. Sie zeigen auch die Spannungen und die Widersprüche
auf. Die Idealisierungen nehmen uns Jugendliche sowieso nicht ab. Offenkundig können wir
auch aus ihrem Leben nur Aspekte herausgreifen.
Für Hans Mendl, ein katholischen Religionspädagoge aus Passau, sind gute Vorbilder vor
allem Vorbilder aus der Nahwelt. Er sucht nach so genannten local heroes, nach kleinen
Heiligen, nach Alltagshelden, die sowohl in der Gegenwart leben, als auch in der Lebenswelt
der Schülerinnen und Schüler anzutreffen sind. Die sind nicht so groß und nicht so ideal. Die
Hochsprunglatte liegt niedriger. Da ist die Frau, die sich für Asylbewerber einsetzt. Da ist der
Kirchenälteste, der Hilfstransporte nach Rumänien organisiert. Da ist der Jugendliche, der
ein Kind vor dem Ertrinken rettet. Diese Heiligen kann man einladen, man kann sie besuchen, man kann sie befragen, man findet von ihnen Artikel auf der Lokalseite der Tageszeitung.
5. Ist Jesus ein Vorbild?
Für viele Menschen war und ist Jesus ein attraktives Vorbild. Nach einer Stern Umfrage aus
dem Jahre 2003 sagen 26,3% der Befragten, sie schauten zu Jesus Christus auf und suchten ihm nachzueifern (35% der Mutter). Wie ist das bei uns selbst? Franz von Assisi hat ihn
nachgeahmt und dabei sogar die Wundmale erfahren. Thomas von Kempen hat den Begriff
der Imitatio, der Nachahmung Christi geprägt, der gerade in der Mystik viel Aufmerksamkeit
gefunden hat.
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Der katholische Religionspädagoge Georg Langenhorst weist darauf hin, dass Jesus in verschiedener Hinsicht zum Vorbild werden kann:
• als Lehrer diakonischer Liebe, er wendet sich den Armen zu
• als provozierender Prophet: Weh euch, die ihr reich seid
• als Hinweisgeber für das, was im Leben ganz wichtig ist. Beten und Handeln gehören
zusammen
• und als Lehrer der Gottesbeziehung. Gott ist wie ein barmherziger Vater. Das Vaterunser ist Grundmodell der Beziehung zu Gott.
Langenhorst sieht Jesus als wahren Menschen. Jesus zeigt, was es heißt als Ebenbild Gottes zu leben, möglicherweise bis hin zur Art und Weise, wie er seinem Tod entgegengeht.
Das kann im Einzelfall jedoch ganz schwierig werden. In der Bergpredigt legt Jesus den
Männern seiner und unserer Zeit ein Handeln nahe, das allen Idealen der Männlichkeit
widerspricht. Da soll man die andere Wange hinhalten, da soll man seinen Feind lieben. Das
wurde schon in der Antike als Schwächlichkeit ausgelegt. Das ist auch heute so. Fünfzehnjährige Jungs, die sich wie Machos benehmen können, gehen da auf Gegenkurs. Sie stehen
ja vor der Aufgabe, für sich selbst überhaupt erst einmal zu entdecken, wie sie Mann sind
und wie sie Mann sein wollen. Dabei orientieren sie sich ganz selbstverständlich an den
Mann-Bildern unserer Zeit. Hier stellen sich zwei Aufgaben: über das eigene Bild der Männlichkeit nachzudenken und zu entdecken, dass Gewaltverzicht Mut braucht. Wer Angst hat,
der muss eine Waffe nehmen. Ich vermute aber sehr, dass das viel Zeit braucht.
Unser Glaube versteht Jesus sowohl als wahrer Mensch als auch als wahrer Gott. Seine
Lebensgeschichte zeigt uns die Barmherzigkeit Gottes auf anschauliche, eben menschliche
Weise. Jesus lebt die Liebe Gottes bis hin zur letzten Konsequenz, damit Menschen erfahren, wer sie sind und wie sie leben können. Selbst das Kreuz ist ein Zeichen der Liebe Gottes. Sie zeigt uns die Feindesliebe Gottes. Gott bleibt uns treu, obwohl wir alles tun, um ihn
davon abzubringen. Jesus lässt Menschen entdecken, was sie sind: Gottes geliebte Söhne
und Töchter, die glücklich werden wollen, die ihr Leben im Griff behalten wollen, die sich
aber selbst und anderen im Wege stehen; die Angst haben, nicht geliebt zu werden und die
ihren eigenen Grenzen und ihren Schwächen nicht ins Auge sehen können und die selbst
dann noch, wenn sie für andere da sind, klammheimlich bewundert werden wollen.
Jesus Christus lässt Menschen erfahren, dass sie als Personen Gott recht sind. Sie müssen
weder ihre Grenzen und ihre Schwächen wegstecken, noch ihr Versagen und ihre Schuld
verbergen. Sie brauchen nicht perfekt zu sein und auch nicht so, wie andere wollen. Jesus
verspricht einem jeden von uns Gottes Begleitung in einer unübersichtlichen und uneindeutigen Welt. Jesus traut uns zu, für andere da sein zu können und einen Beitrag leisten zu können für eine gerechtere, friedlichere, solidarische Welt. „Ihr seid das Salz der Welt. Ihr seid
das Licht der Welt.“ Jesus zeigt Wege, wie man zu Gott als Quelle finden kann.
Jesus Christus stellt uns ein gutes Vorbild vor Augen. Er zeigt uns, wie wir menschlich leben
können und er zeigt uns zugleich, was uns die Kraft gibt als Menschen zu leben. Er ist sozusagen das Urbild guter Vorbilder. Er liefert Maßstäbe für gute Vorbilder.
Gute Vorbilder machen nicht klein, sondern sie machen Mut. Gute Vorbilder nehmen die
Angst und gestehen Schwäche ein. Vorbilder muten einem nicht alles zu, sie nehmen Rücksicht auf eigene Möglichkeiten und lassen diese entdecken. Gute Vorbilder machen aufmerksam auf die Not anderer. Gute Vorbilder lassen erkennen, dass Menschen nicht einfach
aus eigener Kraft leben können.
Ein solches Vorbild ist für mich in der Bibel Petrus (wieder ein Mann). Er lässt sich begeistern für Jesus und das Reich Gottes. Er ist der Mann der ersten Stunde. Ein Held. Er blickt
fast ganz durch, nimmt jedoch den Mund zu voll, verliert den Mut, versagt erbärmlich und
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läuft davon. Ausgerechnet aber er wird zum Fels für die Gemeinde Jesu Christi bestellt.
Ausgerechnet er bekommt die Gewalt der beiden Schlüssel. Ausgerechnet ihm mutet Jesu
zu, seine Lämmer zu weiden. An ihm kann man lernen, dass Gott und sein Christus Menschen brauchen können, obwohl sie kläglich versagt haben. Vielleicht gerade deswegen.
6. Und wie geht jetzt das Vorbildlernen im Religionsunterricht?
Vorbildlernen hat mit dem Aufbau subjektiver Bindungen an realen und virtuellen Personen
zu tun. Das können auch Personengruppen sein. Bindung hat sicherlich mit Aufmerksamkeit
und Auseinandersetzung zu tun. Zeit spielt da eine wichtige Rolle. Deshalb sind auch Religionslehrerinnen und Religionslehrer eher Vorbilder, wie jene Personen, die sie in 45 Minutenpaketchen vorstellen. Ich meine das ganz ernst. Wir sind potentielle Vorbilder, vor allem
für den christlichen Glauben, für die mit ihm verbundenen Wertvorstellungen und für das
Leben in der KIrche.
Doch ich kann uns trösten. Wir können Bindungen wollen, doch wir können sie nicht erzeugen. Das machen die Schülerinnen und Schüler selbst. Sie wählen selber aus, was sie beeindruckt und womit sie sich identifizieren. Zwischen Modell und Verhalten vermitteln kognitive Prozesse. Diese werden durch Lob und Tadel, Belohnung und Strafe beeinflusst, aber
nicht determiniert.
Das entspricht dem Lernen am Modell von Albert Bandura. Vorbildlernen hat mit vier
verschiedenen Faktoren zu tun: Der Aufmerksamkeit, der gedanklichen Verarbeitung,
dem Ausprobieren und der Verstärkung von anderen aber auch durch sich selbst. Die
gedankliche Verarbeitung hat immer auch mit Wissen zu tun. Vorbildlernen funktioniert am besten mit lebendigen Modellen, funktioniert aber auch bei beim Betrachten
von Filmen oder dem Lesen von Geschichten. Aufmerksamkeit finden Modelle, die im
Trend liegen, die positiv verstärkt werden, die zu der Bezugsgruppe gehören, zu der
ich selber gehören möchte, die klar umrissen sind, die Prestige haben, Intelligenz,
Einfluss, die selbstsicher sind, aber eben auch emotionale Wärme zeigen. Das Modell
muss aber zu der Person irgendwie passen und die Identifikation muss elementaren
Bedürfnissen gerecht werden. Solche Bedürfnisse sind die Wünsche nach Selbstachtung und dem Einbringenkönnen von eigenen Gaben, nach Wertschätzung, nach
Liebe und sozialer Bindung aber auch nach gewisser Sicherheit. Hier wird noch einmal deutlich, warum moderne Mütter so bedeutsam sind.
Eine Siebtklässlerin schreibt: „Ich habe kein Vorbild, da ich mich nicht festlegen möchte. Es
gibt viele Promis, Bekannte oder andere, die ich als Vorbild nennen könnte. Aber von denen
haben viele nur eine Eigenschaft, die mir gefällt und die ich auch gerne haben möchte. Aber
es gibt keine Person, an der ich alles perfekt finde. Wenn es eine Person aus Sarah Connor,
LaFee und Hermine aus Harry Potter geben würde, könnte ich diese Vorbild nennen. Wer für
jemanden ein Vorbild ist, ist jedermanns eigene Entscheidung!“
Diese eigene Konstruktion findet sich nicht erst bei Jugendlichen, sondern schon bei Kindern, und zwar von Anfang an. Das hat jedoch didaktische Konsequenzen. Es kommt offenbar darauf an, eigene Bindungsprozesse zu unterstützen, zu begleiten, aber auch zu befragen.
Ich sehe drei Bereiche des Vorbildlernens:
(1) die persönlichen Vorbilder, die Stars und die Helden
(2) die kleinen Heiligen des Alltages
(3) die großen Vorbilder des Christentums und andere Religionen
Bei den persönlichen Vorbildern, bei den Stars und Helden geht es um jene Vorbilder, die
Schülerinnen und Schüler schon längst haben. Wir entdecken sie, wenn wir danach fragen,
was sie beeindruckt, wem sie ähnlich werden wollen, welches ihre Stars sind, ihre Helden
und ihre Vorbilder. Das können Leitfragen sein für Collagen, für Präsentationen, für Installa8/9
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tionen. Ich denke dabei vor allem an die Schülerinnen und Schüler ab neun Jahren. Da sollte
auch die Mama und der Papa erscheinen können, aber auch Raum bleiben für Harry Potter,
für Batman und Spiderman. Bei größeren kommen Pop- und Sportstars zum Zuge. Was
finde ich an denen gut? Da sie meist nur von einer Seite wahrgenommen werden, wäre es
wichtig, Biographisches herauszufinden. Dabei geht es auch um Befragungen. Meinen die es
ganz ehrlich, wenn sie bei einer Charity-Show mitmachen? Glauben die an Gott oder an was
glauben die eigentlich? Wir sollten uns nicht scheuen, uns auch Helden aus PC-Spielen zeigen zu lassen. Wir verstehen sonst nicht, wo die Jugendlichen leben und wen sie anhimmeln, mit wem sie sich identifizieren.
Für Christen ist es wichtig zu entdecken, ob Attraktivität, Erfolg, Leistung und Glauben zusammengehen können.
Bei den kleinen Heiligen oder Helden des Alltages besteht die erste Aufgabe darin, diese
überhaupt einmal zu finden. Wem sollte man eigentlich hier bei uns das Bundesverdienstkreuz verleihen? Da muss man schon recherchieren in der Zeitung, in der Zeitungsredaktion,
im Mitteilungsblatt, im Rathaus oder im Pfarramt. Wonach man suchen kann, findet man
auch auf der Homepage Local Heroes von Hans Mendl. Daraus entsteht dann eine Ausstellung, eine Homepage, ein Buch. Wichtig ist das Gespräch. Warum ist da so etwas wie ein
Held oder wie ein Heiliger oder eine Heilige? Hier geht es um Vorbilder, zu denen man selber Schritt für Schritt erst seine Bindung aufbaut. Zu der Bewunderung kommt dann der Stolz
über die eigene Recherche. Ich vermute, dass Vorbilder durch eine persönliche intensive
Beschäftigung erst zu Vorbilder werden.
Meines Erachtens sollte jedoch kein Schüler / keine Schülerin die Schule verlassen haben,
ohne sich mit einem der großen Vorbilder des Christentums, aber auch anderen Religionen,
detailliert und persönlich befasst zu haben. Einige Namen sind schon gefallen, andere kommen noch dazu: Franz von Assisi, Thomas Morus, Mutter Teresa, Nikolaus von der Flüe,
Martin Luther King, Sophie Scholl, Dietrich Bonhoeffer, Bischof Romero, Dorothee Sölle,
Mahatma Gandhi, Dalai Lama, Paul Schneider, Maximilian Kolbe, Alfred Delp, Bartholomaeus de las Casas und viele andere mehr. Aber das könnte bei jedem Schüler, bei jeder
Schülerin jemand anderes sein. Eine wichtige Rolle spielt dabei das eigene Interesse, die
eigene Neugier. Dies kann der Person, der Zeit oder einem Detail gelten. Grundlage dafür
sind Biographien, wie die von Renate Wind über Dietrich Bonhoeffer oder Filme über Martin
Luther oder jetzt Albert Schweitzer. Im Laufe der Klassen 9 und 10 hätte jeder (realistischer
Weise wohl doch eine Kleingruppe) die Aufgabe, seine Person in 45 Minuten vorzustellen.
Dazu gehört jedes Mal auch ein Gespräch: Was imponiert mir an diesem Leben? Womit tue
ich mich aber auch schwer? Wo gibt es so etwas wie einen roten Faden? Welche Entscheidungen waren besonders wichtig? Wie hätte ich gehandelt? Was hat die Person bewogen so
zu handeln wie sie gehandelt hat? Ist das ein Heiliger oder eine Heilige? Aber was ist eigentlich ein Heiliger? Wichtig ist, dass ganz verschiedene Biographien vorgestellt und erarbeitet
werden.
Abschließend möchte ich noch einmal drei Aspekte hervorheben.
(1) Heranwachsende stricken sich ihre Vorbilder selbst. Aber ohne Wolle kann man nicht
stricken. Darin gründet die Aufgabe, im Religionsunterricht Vorbilder zu thematisieren.
(2) Vorbildlernen braucht Zeit und Aufmerksamkeit. Der normale Unterricht reicht dazu
nicht aus. Dazu braucht es schon Zeit neben dem Unterricht, z.B. in Recherchen oder
Projekten. Ohne eine gewisse Begeisterung geht das jedoch nicht, aber auch nicht
ohne viel Verstärkung durch Lehrende.
(3) Zum Vorbildlernen gehört auch das Nachdenken über das Vorbildlernen. Aber das
kann ich mir erst bei älteren Schülerinnen oder Schülern vorstellen.
Soweit meine Einsichten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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