06 Wilhelm Ludwig Schneider _1887-1942

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06 Wilhelm Ludwig Schneider _1887-1942
06 Wilhelm Ludwig Schneider (1887-1942)
Wilhelm Ludwig Schneider heiratet am 10.12.1910 seine Braut Christiane Catharina Luise Hammer, die er
bestimmt im Tanzlokal ZUR INSEL in der Kasteler Straße in Biebrich kennen gelernt hat. Ihre erste Wohnung
ist in der Bleichstr. 17 in der Gibb. Von hier ziehen sie später in die Wiesbadener Straße 47 (heute: Am
Schloßpark 81) im 2. Stock. Sie bleiben in der Mansardenwohnung bis zu ihrer Trennung in den Jahren 1927
oder 1928. Wilhelm, der viel Spaß macht, jederzeit zu Streichen aufgelegt, keinen Händel aus dem Weg geht, sie
hin und wieder sogar provoziert, und wohl keine Tanzveranstaltung ausläßt (mit oder ohne seine Frau Luise) ist
ein Biebricher Urgestein, um den sich manche Legende rankt. Oft kommt die Polizei ins Haus und fragt, sind sie
die Ehefrau von Wilhelm Schneider und auf ein Kopfnicken bekommt Luise dann wieder einmal eine Vorladung
für ihren Wilhelm ausgehändigt. Ehefrau Luise hat es nicht leicht mit ihm, oft wird wohl in dieser Zeit gehungert
worden sein und an ein Extra für die Mahlzeit oder gar für Kleidung war überhaupt nicht zu denken. Unter der
Armut litten viele. In der Biebricher Chronik ist zu lesen, daß die Armenkommission der Stadtverwaltung im
Rechnungsjahr vom 1.4.1912 bis 31.3.1913 fast 64.050 Mark für Orts-Arme ausgegeben hat und am 1. August
bricht der I. Weltkrieg mit seinen verheerenden Folgen aus. So kommen bereits am 26. August 1914 die ersten
Verwundetentransporte in Biebrich an und am 10. Oktober wird das Schloß als Lazarett umfunktioniert.
Wilhelm Schneider ist als Soldat an der Front im Westen und seine Frau Luise sieht ihn lange Zeit nicht.
Heimaturlaub gab es ausgesprochen wenig. Einmal war er fast an der Haustür und mußte aber wieder umkehren,
ohne Frau und Kinder gesehen zu haben; es war seine Schuld. Als er am Westbahnhof (in der Gibb) dem Zug
entsteigt, fragte ihn ein Offizier, wo er seine Orden habe, die an der Uniform zu tragen sind. Soldat Schneider
zeigt auf ein Zigarrenkistchen, welches er bei sich trägt. Daraufhin wird er wegen Mißachtung militärischer Ordnung sofort zurück an die Front kommandiert. Die dem Krieg folgenden Jahre sind nicht besser als die
Kriegsjahre. Der Waffenstillstand wird am 11. November 1918 ausgerufen, Deutschland wird Republik und am
13. Dezember beginnt die Besetzung Biebrichs durch französische Soldaten, es sind über 1.000 Mann, welche
die Bevölkerung drangsalieren und sich unrühmlich als Siegermacht in jeder Situation präsentieren, es kommt
häufig zu Übergriffen. Bis 1924 besteht eine Zollgrenze mit Paßzwang. Die Not ist so groß, daß sich am 26. Juni
1920 Hunderte von Menschen vor den Lebensmittelgeschäften in Biebrich versammeln und die Inhaber zum
Verkauf von Lebensmitteln zu einem Preis zwingen, der von Arbeiterführern auf das Siebenfache des
Friedenspreises festgelegt wurde. Die Inflation treibt ihre Blüten. So gibt die Stadt Biebrich auf Grund der
Entwicklung am 7. Juni 1923 neues Notgeld heraus; es sind Scheine zu 20.000, 50.000 und 100.000 Mark. In
dieser Zeit kostet zum Beispiel eine Einzelnummer der Biebricher Tagespost 50 Millionen Mark. Ein Ende der
Repressalien durch die Besatzungsmacht ist 1925 in Sicht mit der Übergabe der Besatzungsbefugnisse von den
Franzosen an die Engländer.
Es gibt viele Geschichten über den Zimmermann mit Meisterbrief Wilhelm Schneider, so auch diese: Seine Farm
mit Perlhühnern bringt ihm den Spitznamen “Perlhinkel” ein, den er gar nicht gerne hört. So soll einmal ein
Maurergehilfe vom oberen Stockwerk eines Hauses ihn mit “Perlhinkel” gerufen haben, was der Polier hört, welcher Wilhelm gut kennt. Auf seine Frage, soll ich ihn dir runterschicken, nickt Wilhelm und der Polier setzt den
sich heftig Wehrenden auf die Rutsche, auf der normalerweise Baumaterial nach unten geschüttet wird. Wilhelm
empfängt den Maurergehilfen und vermöbelt ihn tüchtig.
Nach der Scheidung von seiner Frau Luise wohnt er in der Biebricher Imaginastraße 4 (Adtreßbuch-zusatz:
Zimmermann) und zuletzt in der Gaugasse 11 (Adreßbuchzusatz: Invalide). Mit seiner neuen Lebensgefährtin
hat er eine weitere Tochter und betreibt eine Wirtschaft. Wilhelm Ludwig Schneider stirbt am 3. Oktober 1942.
(Verfasser Günter Borm)