Geldpolitik: Die EZB auf dem Weg zur Bad Bank

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Geldpolitik: Die EZB auf dem Weg zur Bad Bank
Geldpolitik:
Die EZB auf dem Weg zur Bad Bank
Jürgen Stark
Mit ihren jüngsten Entscheidungen hat die Europäische Zentralbank ihrem strategischen Umbau einen weiteren
Baustein hinzugefügt. Die Neuorientierung der EZB wurde verstärkt seit Ende 2011 im Zuge des Krisenmanagements
vorangetrieben. Das hat ihr Lob und Anerkennung gebracht. Übersehen werden die durch die EZB-Politik verursachten
fundamental verzerrten Marktbedingungen, etwa für Anleihen hochverschuldeter Euro-Länder und Übertreibungen in
anderen Finanzmarktsegmenten. Die notwendige Korrektur, wann auch immer sie kommt, kann zu einer neuen
schweren Krise führen.
Jede geldpolitische Entscheidung erfordert eine umfassende Analyse der mittel- bis längerfristigen Risiken für
Preisstabilität im Rahmen des jeweiligen Mandats und der Strategie einer Zentralbank. Ein seriöser
Entscheidungsprozess erfordert die Beantwortung folgender Fragen:
1. Wird mit den ergriffenen Maßnahmen der erwünschte Effekt im Rahmen des Auftrags erreicht?
2. Können im Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Analyse unerwünschte Nebeneffekte in Kauf genommen werden?
3. Kann ein friktionsloser Ausstieg aus den beschlossenen Maßnahmen erfolgen?
Alle drei Fragen sind mit Blick auf die jüngsten Entscheidungen des EZB-Rats mit „Nein“ zu beantworten. Die
Leitzinssenkung um 0,10 Prozentpunkte auf 0,05 Prozent wäre lächerlich, wäre die Sache nicht zu ernst. Man könnte sie
als symbolisch abtun, stünde dahinter nicht erstmals die Verfolgung eines Wechselkursziels und die gezielte
Schwächung des Euro-Wechselkurses, wie dies französische und italienische Politiker immer wieder fordern. Die
Nullzinsen werden aber keinen einzigen Euro an zusätzlicher Kreditvergabe bewirken und diese Ineffektivität wird
längerfristig unter anderem die Reputation der EZB noch mehr untergraben. Dennoch feiern kurzsichtige Finanzmärkte
und europäische Politiker die Entscheidungen. Der Präsident der EZB hat „Wort gehalten“. Ja, er hat sogar noch mehr
geliefert als erwartet.
Die Entscheidungen vom Juni 2014, den Banken gezielt zusätzliche langfristige Liquidität (bis 2018) zur Verfügung zu
stellen und die jetzt getroffene Entscheidung, verbriefte Kredite (Asset Backed Securities, ABS) der Banken durch die
EZB aufzukaufen, werden die Bilanz des Eurosystems um geschätzte 1 000 Milliarden Euro oder circa 50 Prozent
erhöhen. Die Märkte werden also zu einem Zeitpunkt zusätzlich geflutet, in dem sowieso schon reichlich überschüssige
Liquidität weltweit vorhanden ist.
Die mittelfristigen negativen Nebenwirkungen einer zu laxen Geldpolitik für zu lange Zeit sind nicht zu leugnen. Die
Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel weist seit Jahren darauf hin. Immerhin verfolgen die großen
westlichen Zentralbanken eine solche Politik seit 2009 2010. Insbesondere die inzwischen völlig eliminierte Signal- und
Steuerungsfunktion des Zinses werden sowohl von der EZB als auch von den Finanzmarktakteuren sträflich
vernachlässigt, wenn nicht ignoriert. Letztere sind sowieso nur an kurzfristigen Wirkungen interessiert. Sie folgen dem
Mantra „Mehr und billigere Liquidität für länger“, insbesondere angesichts der schrittweisen Rücknahme der
quantitativen geldpolitischen Lockerung (Tapering) der US-Federal Reserve und der dort erwarteten Zinswende.
Der Ausstieg aus dieser Politik wird wegen der Gewöhnungseffekte und der Abhängigkeit der Finanzmärkte und der
Regierungen von der Geldpolitik nicht möglich sein, ohne erhebliche Friktionen auszulösen. Ganz zu schweigen vom
politischen Druck, der bei einem späteren Politikwechsel auf die Zentralbank ausgeübt werden wird. Ein Ausstieg wäre
außerdem angesichts von Nullzinsen und der beschlossenen neuen, massiven Liquiditätsflut nur graduell möglich. Alles
andere würde an den Finanzmärkten einen Schock auslösen. Das zeigt schon das Beispiel der Federal Reserve. Das
heißt, die EZB wird wohl bis zum Ende der regulären Amtszeit des derzeitigen EZB-Präsidenten eine ultralockere
Geldpolitik im Euro-Gebiet verfolgen - mit allen potenziellen Konsequenzen!
Was bezweckt die EZB mit den im Juni 2014 und den jetzt beschlossenen Maßnahmen?
Im Euro-Gebiet herrscht ja Preisstabilität. Die Gründe dafür sind gesunkene Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise und
die schmerzhaften aber unausweichlichen Preis- und Kostenanpassungen in den Peripherieländern. Die EZB hat also
derzeit ihren Auftrag erfüllt, zumal entgegen früheren Erwartungen auch mittelfristig wegen der schwachen Kredit- und
Wirtschaftsentwicklung und den verzögerten Strukturreformen nicht mit einer signifikanten Inflationsbeschleunigung
im Durchschnitt des Euro-Gebiets gerechnet wird.
Von den Vorteilen eines stabilen Preisniveaus spricht aber niemand mehr, auch nicht die EZB. Stattdessen wird die
Belastung hochverschuldeter Länder durch eine zu niedrige Inflationsrate betont. Dabei „profitieren“ diese Länder von
den extrem niedrigen Zinsen - teils sogar Negativzinsen - auf ihre Anleihen. Ein deutlich höheres Zinsniveau würde
angesichts der angehäuften Staatsschulden in manchen Ländern zum Kollaps führen.
Was trieb die EZB zu diesen Entscheidungen?
Von Finanzmarktteilnehmern, internationalen Institutionen und der EZB selbst wird der Gefahr besonderes Gewicht
beigemessen, im Euro-Raum könne es zu einem Deflationsszenario kommen. Die EZB hat selbst Erwartungen
zusätzlichen Handelns geschürt, dass „etwas getan werden muss“, unabhängig von der erwarteten Effektivität der
Maßnahmen. Dies wäre jedoch nur ein, wenn auch ein wichtiges Motiv. Als weiterer und wohl entscheidender Grund
bleibt, den in den notwendigen Strukturreformen nachhinkenden Ländern des Euro-Gebiets noch mehr „Zeit zu
kaufen“, um die notwendigen Anpassungen vorzunehmen.
Mit den neuen Maßnahmen geht man vor allem auf die politischen Wünsche und Forderungen Frankreichs und Italiens
ein, dass neben der Lockerung der Haushaltsvorgaben im Rahmen des Stabilitätspaktes auch die EZB eine noch
expansivere Politik betreiben solle, wozu auch ein schwächerer Euro-Wechselkurs gehört. Diese Forderungen kommen
aber gerade von Ländern, die sich vor ernsthaften Reformen scheuen oder die - mit anderen Worten - reformunfähig
oder - unwillig sind. In den jüngsten Entscheidungen werden daher auch - nicht unerwartet und das überrascht nicht die personelle Zusammensetzung des EZB-Rates und nationaler politischer Druck spürbar.
Wenn im Euro-Gebiet tatsächlich die Gefahr japanischer Verhältnisse bestehen sollte, so hängt dies zu allererst mit
politischen Versäumnissen der Vergangenheit zusammen. Zu nennen sind die verkrusteten Wirtschaftsstrukturen,
verloren gegangene Wettbewerbsfähigkeit und insbesondere die ungelösten Bilanzprobleme der Banken in einigen
Ländern des Euro-Gebiets. Der Umfang fauler Kredite in Italien, Spanien, Irland und Griechenland ist beträchtlich und
ist der eigentliche Grund einer stagnierenden Kreditentwicklung.
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Das ist ein Aspekt, der der EZB nicht gleichgültig sein kann. Aber es ist Sache der jeweiligen Regierungen, hier
einzugreifen und für eine Lösung zu sorgen. Das bedeutet, die Banken müssen von den faulen Krediten entlastet,
angemessen rekapitalisiert oder abgewickelt werden. Es ist nicht die Aufgabe der Zentralbank, hier aktiv zu werden.
Indem sie dies dennoch tut und mit dem ABS-Ankaufprogramm die Banken entlastet, betreibt sie eine länderspezifische
Politik. Sie verwischt dabei ganz klar und bewusst die Zuständigkeiten zwischen Regierungen und Zentralbank. Mehr
noch: mit dem Ankauf von ABS - welcher Qualität auch immer - nimmt die EZB enorme Risiken auf ihre Bilanz und
macht sich zu einer europäischen Bad Bank. Dies ist ein Begriff, den ich bisher für die EZB für unberechtigt hielt.
Mit dieser neuen Rolle schafft die EZB ein neues Element gemeinschaftlicher Haftung im Euro-Gebiet. Letztlich haften
die Steuerzahler der Mitgliedstaaten im Falle von Verlusten. Die potenziellen Umverteilungseffekte wären enorm. Für
Entscheidungen mit derart weitreichenden Folgen ist der EZB-Rat nicht demokratisch legitimiert.
Die jüngsten Einlassungen des EZB-Präsidenten bei der Zentralbank-Konferenz in Jackson Hole (USA) im August und
die Entscheidungen des EZB-Rats bedeuten eine Änderung der geldpolitischen Strategie. Sie signalisieren eine
veränderte Rolle, die der Geldpolitik im Rahmen des sogenannten geld- und fiskalpolitischen Policy Mix und bei einer
bisher aus guten Gründen tabuisierten Ex-ante-Politikkoordinierung zugeschrieben wird. Es wird auch eine
Neupositionierung der EZB in den Fragen der Haushaltskonsolidierung und der fiskalpolitischen Eigenverantwortung
der Mitgliedstaaten erkennbar.
Weniger denn je ist die Geldpolitik der EZB auf den Euro-Raum als Ganzes ausgerichtet, sondern auf die
wirtschaftlichen Probleme einzelner Länder. Die Einheitlichkeit der Geldpolitik im Währungsgebiet wurde längst
aufgegeben. Dabei hat die EZB schleichend, aber konsequent einen Strategiewechsel vollzogen. Sie ist kurzfristig und
nicht mehr mittelfristig ausgerichtet. Zwar wird in der Kommunikation neuer Entscheidungen immer wieder das EZBMandat betont. Dies grenzt jedoch an Heuchelei. Faktisch bewegt sich die EZB nicht mehr innerhalb ihres engen
Mandats. In der Verknüpfung von Kurzfristigkeit, in Form einer „Reaktionsfunktion“, „Forward Guidance“ und
erneuter Bilanzausweitung hat sie Elemente eines neuen geldpolitischen Konsenses anderer großer Zentralbanken
übernommen, die ein sehr aktives kurzfristiges Nachfragemanagement betreiben.
Strategisch geht es um Globalnachfragesteuerung im Euro-Gebiet in naivem keynesianischen Sinn über einen
entsprechenden Policy Mix von Fiskal- und Geldpolitik. Zwar sieht die EZB nach wie vor die strukturellen Probleme,
insbesondere der großen Mitgliedstaaten Frankreich und Italien. Aber sie werden, politischem Druck folgend, in einem
neuen Licht bewertet. Die konjunkturellen Gründe der Arbeitslosigkeit werden nun besonders betont, was zu falschen
politischen Schlussfolgerungen führt. Der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte wird keine Priorität mehr
eingeräumt, obwohl die Schuldenstände in manchen Fällen die Grenze der wirtschaftlichen Tragfähigkeit erreicht
haben. Angemerkt sei hier, dass eine Insolvenz einzelner Länder des Euro-Gebiets in der Vergangenheit nur durch die
Interventionen und Garantien der EZB vermieden wurde!
Zusammen betrachtet machen die Entscheidungen vom Juni und von Anfang September mit den Leitzinssenkungen auf
0,05 Prozent, der Verknüpfung der langfristigen Liquiditätszuteilung mit der Kreditvergabe durch Banken und der
Ankauf von ABS den Interessenkonflikt zwischen der Geldpolitik und der Bankenaufsicht - als neue EZB-Aufgabe immer deutlicher sichtbar. Finanzstabilität und Aufsichtsfragen dominieren bereits heute die Geldpolitik.
Vor dem Einzug in den Neubau der EZB im Osten von Frankfurt wurde die Institution funktional und organisatorisch
grundlegend umgebaut. Die EZB steht heute strategisch sehr nahe bei den anderen großen westlichen Zentralbanken.
Sie wurde im Laufe des Krisenmanagements zum „Geldgeber der letzten Instanz“, dem „Lender of Last Resort“ für
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Staaten, eine Funktion, die niemals vorgesehen, ja rechtlich ausgeschlossen war. Sie hat über eine massive
Bilanzausweitung versucht, einen zusätzlichen Beitrag zur Krisenbewältigung zu leisten und versucht es jetzt erneut mit
langfristiger Liquiditätsbereitstellung, dem Kauf von ABS und der gleichzeitigen Neubelebung dieses Marktes, was
nicht ihre Aufgabe ist.
Bis weit in das Jahr 2011 hinein bestand der Konsens, dass die EZB alles zur Krisenbewältigung getan hat, wobei sie
schon damals ihr Mandat bis ins Extrem gedehnt hatte. Alles andere sei nun Sache der Regierungen. Der Druck auf die
supranationale und nationale Politik wurde aufrechterhalten.
Der Umbau in den letzten drei Jahren erfolgte schleichend, aber auch überraschend und auf jeden Fall konsequent. Er
hat zur Beruhigung der Finanzmärkte geführt. Gelöst ist aber keines der strukturellen Probleme, insbesondere nicht in
den großen Mitgliedstaaten Frankreich und Italien. Die Arbeitslosigkeit ist ebenso wie die Staatsverschuldung
inakzeptabel hoch. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Noch mehr Schulden können nicht die Lösung sein. Und die
Geldpolitik kann diese strukturellen Probleme nicht lösen. Sie ist heute schon überfordert.
Die EZB hat ein Mandat für Finanzstabilität übernommen und wird bald die Aufgabe der Bankenaufsicht übernehmen.
Die Stimmrechte der nationalen Zentralbankgouverneure werden ab 2015 rotieren und die Anzahl der geldpolitischen
Sitzungen des EZB-Rates wird zu einem Zeitpunkt verringert, zu dem die Krise noch lange nicht vorüber ist. Diese
letzten beiden Punkte stärken die Rolle des Präsidenten (...und des Direktoriums ...?) noch weiter. Endgültig vorbei ist
die Zeit intensiver intellektueller Auseinandersetzung mit den geldpolitischen Herausforderungen, eines ausgeprägten
Teamgeistes des EZB-Rates und der Entscheidungen mit Einstimmigkeit bei fundamentalen Fragen oder im „breiten“
Konsens. Zumindest bis Anfang 2010 war dies gelungen.
Die heutige EZB hat nur noch wenig mit derjenigen zur Zeit ihrer Gründung gemein. Das betrifft nicht nur die
personelle Zusammensetzung des EZB-Rates. „Die EZB hat faktisch alle Restriktionen des Maastricht Vertrages
verworfen, die die Bank an das Modell der Deutschen Bundesbank gebunden hatten“ (Alan Greenspan). Sehr viele
finden das gut. Jedenfalls ist die Strategie derjenigen aufgegangen, das Maastricht-Konzept der Währungsunion
zunächst wegen des deutschen Widerstands gegen einen anderen Ansatz zu akzeptieren, aber den Umbau bei der ersten
sich bietenden Gelegenheit vorzunehmen. Für diesen „Erfolg“ wird ein hoher wirtschaftlicher und politischer Preis zu
zahlen sein.
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