Dramaturgie in der DEFA. Die Institutionalisierung - DEFA

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Dramaturgie in der DEFA. Die Institutionalisierung - DEFA
Dramaturgie in der DEFA. Die Institutionalisierung einer Profession
Dieter Wolf (film-dienst 20/1991)
„Heute steht die Dramaturgie in Verdacht, nicht nur die ideologische Keule, nein, das
Zensurinstrument des Regimes schlechthin gewesen zu sein, Kern einer DEFA-Struktur, die es
(...) zu zerschlagen galt.“ So endete der Beitrag von Dieter Wolf „Das Ende einer Institution
... und Profession ?“ über die DEFA-Dramaturgie in fd 11/1991. Im nachfolgenden Artikel
blickt der Autor zurück auf die Entwicklung der Filmdramaturgie im Rahmen des DEFAStudiosystems und analysiert die künstlerische und politische Rolle eines Berufsstandes, den
der westdeutsche Film gar nicht (mehr) kannte. Dieter Wolf, Jahrgang 1933, war von 1964
bis 1990 Leiter der Künstlerischen Arbeitsgruppe/Dramaturgengruppe „Babelsberg“ (von
1975-78 auch Leiter der Fachrichtung Film- und Fernsehwissenschaft der Hochschule für
Film und Fernsehen Postdam-Babelsberg). In dieser Gruppe entstanden 90 abendfüllende
Spielfilme, darunter alle Arbeiten von Konrad Wolf sowie mehrere Spielfilme von Frank
Beyer, Heiner Carow, Egon Günther, Rainer Simon und Lothar Warneke. Für zahlreiche
dieser Filme war Wolf in den Bereichen Stoffführung und Dramaturgie tätig („Solo Sunny“,
„Der Aufenthalt“, „Einer trage des anderen Last“, „Der Bruch“ u.a.). Derzeit ist er Mitglied
der Drehbuchkommission beim Bundesinnenministerium – als einziger Mitarbeiter der DEFA
und als einer von drei Filmfachleuten aus der ehemaligen DDR.
In den Titellisten der ersten DEFA-Filme sucht man vergeblich nach dem Dramaturgen. Doch
der sich konstituierende Alleinhersteller von Kinospielfilmen in der SBZ sah schon frühzeitig
in einer theaterähnlichen Dramaturgie die Basis einer gesicherten Produktion und gezielter
Spielplan-Arbeit. Dass sich ein Regisseur (wie Wolfgang Staudte) mit einem fertigen
Drehbuch („Die Mörder sind unter uns“) um Lizenz und Budget bemühte, war und blieb die
absolute, zeit- und situationsbedingte Ausnahme.
Erfahrene Filmautoren waren nach Kriegsende im Osten kaum in Sicht, denn viele von ihnen
waren durch ihre Mitwirkung an den Kriegs- und Nazi-Filmen der Ufa diskreditiert.
Kameramännern wie Bruno Mondi mochte man ihren Beitrag zur Goebbels-Propaganda (u.a.
„Jud Süß“, „Kolberg“) eher nachsehen als deren Scriptverfassern und Regisseuren. Die
meisten aber hatten wohl schon aus vitalen Gründen zum Kriegsende rechtzeitig ihren
Aufenthalt in westlicheren Gefilden gesucht. Schon im März 1946, lange vor der offiziellen
DEFA-Gründung, macht eine dramaturgische Abteilung von sich reden: Ihr Leiter Dr. Georg
C. Klaren bekundet öffentlich, bereits „mit mehr als 400 Einsendungen von Manuskripten,
Drehbüchern und Vorschlägen für Spielfilme ... aus dem ganzen Reich überschüttet“ worden
zu sein. Vergleicht man die angekündigten Projekte mit den realisierten, ahnt man die Mühsal
und Risiken, interessante Themen, ergiebige Stoffe, ja selbst aussichtsreiche Ideen in
drehreife Bücher zu verwandeln, geschweige denn aus Zuschauer-Wünschen Filme zu
machen. Klaren jedenfalls zieht es alsbald in die eigene Buch- und Regie-Arbeit. Sein
„Wozzeck“ nach Georg Büchner wird die erste Literaturverfilmung der DEFA, von nun an
ein fester und erfolgreicher Bestandteil ihres Repertoires.
„Fehler erkennen“
Akuter Drehbuchmangel veranlasst schon kurz nach der Lizenz-Erteilung den „1. Deutschen
Filmautorenkongress“ im Juni '47, zugleich der letzte seiner Art. Kurt Maetzig warnt die
schreibenden Kollegen, auf „Richtlinien von oben“ zu warten, „welche Filme wohl jetzt
,erwünscht' und welche ,unerwünscht' wären“, „denn dem Künstler, der innerlich frei ist, der
die Vergangenheit überwunden hat, sind heute keine Schranken in seinem künstlerischen
Schaffen gesetzt. Die Drehbücher werden heute im Kreise der Produktion einer lebhaften und
interessierten Diskussion unterworfen, aber nicht, um auf diese Weise eine Zensur auszuüben,
sondern um in gemeinsamer Arbeit Fehler der dramaturgischen Konstruktion zu erkennen...“.
Das klingt naiv und war doch ganz ernst gemeint. Ein Insider bestätigt: „In den ersten
Jahren... ging die gesamte Leitungsarbeit verhältnismäßig unbürokratisch vonstatten. Das
Angebot an verfilmbarer Literatur war relativ groß. Es gab auch noch nicht so viel kritische
Vorbehalte, und wir dachten weniger an ein ausgewogenes Programm als an die Möglichkeit,
einen interessanten Film zu machen.“ (A. Wilkening) Doch die „Richtlinien von oben“ lassen
nicht lange auf sich warten. Die wachsende Produktion drängt auf eine Programmdebatte und
den Ausbau der Dramaturgie. Wolff von Gordon tritt Klarens Nachfolge an, erhält ein eigenes
Besetzungsbüro und ist für das neugeschaffene Nachwuchsstudio für Schauspieler und
Regisseure verantwortlich. Doch auch er verlässt das Amt bald, um selbst zu schreiben. Damit
bleibt ausgerechnet im Gründungsjahr der DDR diese Stelle vakant, obwohl ihr erster
Ministerpräsident, Otto Grotewohl, wie Wilhelm Pieck in dieser Zeit sehr um die DEFA
besorgt, höchstpersönlich einen Nachfolger designiert, einen Parteifreund noch aus SPDZeiten: Dr. Helmut Brandes. Doch offenbar kann sich eine allein politisch motivierte
Berufung damals noch nicht durchsetzen. Der Kandidat muß sich mit der Leitung des
Kurzfilms und der Herausgabe der Betriebszeitung „DEFA-Blende“ begnügen.
Quadratur des Kreises
In der Folgezeit wird der Leitungsstuhl in der Dramaturgie zum Schleudersitz: In eineinhalb
Jahrzehnten amtieren noch fünf weitere Chefs, bis man nach dem Desaster des 11. Plenums
das ZK der SED mit einem direkt aus dem Apparat delegierten Kulturfunktionär für politische
Ruhe sorgt. Die Kader-Konsequenzen folgen meist mehr oder weniger scharfer, nur selten
öffentlicher Kritik am Konzept und auch an einzelnen Filmen. Kein künstlerischer Bereich ist
in diesen Jahren von solch regem Kommen und Gehen betroffen wie die Dramaturgie. Als die
Sowjetunion 1950 ihre kurzzeitige Aktienbeteiligung an den Filmbetrieben aufgibt und das
Babelsberger Studio wieder eine deutsche Unternehmung wird, ziehen sich bald auch die
sowjetischen Berater zurück, die zu den Künstlern ein enges, durchaus kollegiales Verhältnis
entwickelt hatten. Dem DEFA-Vorstand wird nun zusätzlich zum politisch dominierten
Aufsichtsrat ein weiteres Kontrollorgan vorgesetzt: die DEFA-Kommission. Geschaffen, die
Leitung in Grundsatzfragen zu beraten, wird sie alsbald zum Entscheidungsgremium. Hier
und nicht an der Studio-Basis, meist ohne Autoren und Regisseure zu hören, entscheidet sich
nun das Schicksal jedes einzelnen Projekts mit der Produktionsfreigabe des Drehbuchs oder
seiner Ablehnung oder der Auflagenerteilung für „Verbesserungen“. Die Besetzung des
Gremiums mit Spitzenfunktionären der Partei- und Staatsführung lässt keinen Zweifel an der
politischen Dominante dieser Einrichtung. Die Vita dieser Spielfilmproduktion ist von
Kindesbeinen bis zu ihrem Ende von der Gretchenfrage begleitet: Wie lassen sich
vorgegebene Programm-Orientierungen in künstlerische Ideen verwandeln, oder wie wird aus
den individuellen Plänen und Projekten kreativer Filmleute ein anspruchsvoller, vielseitiger
Kino-Spielplan, der den Bedürfnissen einer großen Zuschauergemeinde entspricht? Zu keiner
Zeit hat die DEFA die Quadratur dieses Kreises zu lösen vermocht.
Zu Zeiten ihrer Gründung lässt die allgemeine Programmatik noch einen breiten Spiel-Raum
für Ideen, Pläne und Projekte. Paul Wandel, Präsident der vorgesetzten Zentralverwaltung für
Volksbildung, fordert vom Film „Antwort auf alle Lebensfragen unseres Volkes“, „nicht mehr
Opium des Vergessens (zu) sein, sondern den breiten Schichten Kraft, Mut, Lebenswillen und
Lebensfreude (zu) spenden“. Wenig später verwandeln sich solche ideellen Prämissen in
spezifizierte thematische Pläne, nach Lebens- und gar Volkswirtschaftsbereichen gegliedert,
für die gezielt Stoffe gesucht, Bücher in Auftrag gegeben werden. Leicht erklärt sich, dass
dabei im Gegenwarts-Sujet stets die größten Programm- und vor allem Kunstdefizite verbucht
werden. Kein Wunder, dass die DEFA unumstrittene Kontinuität, eine auch international
anerkannte und wende-beständige Tradition nur im Bereich des antifaschistischen Films
entwickeln konnte und im Kinderfilm, dem tagespolitische Gängelei erspart blieb.
Kurzschlüssig wie die häufig personalisierte Kritik sind auch die Folgerungen für die
Organisation der dramaturgischen Arbeit. Immer wieder ist Strukturveränderung angesagt:
Vier leitende Dramaturgen teilen 1950 dreißig namhafte Autoren unter sich auf. Der Versuch
bringt wenig: Mit vielen von ihnen kommt kein Projekt zustande – so mit Brecht,
Kantorowicz, Eggebrecht, Julius Hay, Dinah Nelken oder Günther Weisenborn. Im Jahr
darauf wird die Dramaturgie in drei Bereiche gegliedert: in die Chefdramaturgie sowie in eine
stoffführende und eine stoffsuchende Abteilung. Die Dramaturgen werden ins Land
hinausgeschickt, um das Leben an der Basis aufzuspüren: in Großbetriebe, Dörfer, Werften,
Kliniken und Kaufhäuser, nach Mecklenburg und Thüringen, Dresden, Leipzig und Böhmen.
Sie kommen zwar mit einem Problemkatalog zurück, nicht aber mit konkreten Stoff-Impulsen
oder gar Ideen. Dafür jedoch mit vielen kritischen Äußerungen der Zuschauer zur DEFAProduktion, die das Bedürfnis nach heiterer Unterhaltung unterschätze, zu sehr „Herz, Gemüt
und Sonne“ vermissen lasse. Die Leitung tröstet ihre verunsicherten Freigänger damit, dass
nur mit fortschreitendem Aufbauwerk die Arbeit zum ersten Bedürfnis aller Menschen und
damit auch zu ihrem ersehnten Gestaltungsobjekt werde, zu dem ihn die thematische Planung
vorauseilend bereits erhoben hatte. Von der frühen Aufforderung, die Kunst möge den
Zweijahresplan (1949-51) verwirklichen helfen oder danach „die Menschen zur Vollbringung
großer Leistungen reif (zu) machen, für die Erfüllung des Fünfjahrplans (zu) begeistern“,
stolpert die kurzatmige Tagesprogrammatik hin zur griffigen Losung der 60er Jahre „Kunst
hilft Kohle“. Erst nach dem VIII. Parteitag macht sich die Parteiführung den Gemeinplatz zu
eigen, die Kunst in „ihrer vollen ästhetischen Eigenart und in ihrer besonderen
persönlichkeitsbildenden Wirkungsweise“ zu achten.
Uniformer DEFA-Stil
Die Verunsicherungen der frühen Jahre erwachsen auch aus den großen Kampagnen dieser
Zeit: Die Formalismus-Diskussion trifft zwar mit ihrer verheerenden Wucht zunächst andere
Gattungen, vor allem die Musik und die Bildende Kunst, doch hat sie auch auf alle anderen
eine einschüchternde Signalwirkung. Erfolglos warnt Maetzig das Parteiforum vor den
Gefahren des Schematismus und mit einem Zitat des noch geheiligten Mao vor einer
Unterschätzung der Form. Die Uniformität des DEFA-Stils der folgenden zehn Jahre ist
gewiss auch dieser kunstfeindlichen Debatte geschuldet. Von Alfred Kurella, dem
langjährigen Politbüro-Beauftragten für Kunstfragen, wird erzählt, er habe in jenen Tagen die
Augenhöhe zur einzig menschlichen Perspektive der Kameraarbeit erklärt.
Schon im September 1952 folgt eine eigene Filmkonferenz des Zentralkomitees, der
vorsorglich eine Entschließung des Politbüros mit vielen Grundsatzbeschlüssen vorauseilt.
Die ideelle Stoßrichtung zielt auf eine sehr enge, dafür streng verbindliche Auslegung und
Anwendung des sozialistischen Realismus im Film, auf den „positiven Helden“, ja die
positiven Erscheinungen des Lebens. Die erzieherische Funktion wird zum Maß aller Dinge.
Nach dem Formalismus wird von nun an der kritische Realismus als das Trojanische Pferd
der fremden, wenn nicht feindlichen Ideologie in den eigenen Reihen gehandelt. Noch einmal
trifft das Politbüro-Urteil den bereits zurückgezogenen Film „Das Beil von Wandsbek“ nach
Arnold Zweig, weil er „nicht die Kämpfer der deutschen Arbeiterklasse zu den Haupthelden
macht, sondern ihren Henker“. So verliert die DEFA einen hochbegabten Regisseur und
künstlerischen Leiter – Falk Harnack. Die öffentliche Rüge der DEFA-Kommission und des
Vorstands ist zugleich auf Langzeitwirkung berechnet. Trotz verbaler Retuschen, zeitweiliger
Lockerungen bis hin zur Aufgabe engstirniger Tabus bleibt die kritische Funktion der Kunst
bis ans Ende ihrer staatlichen Finanzierung Kern und Streitpunkt aller Auseinandersetzungen.
Mit der Bildung selbständiger Volkseigener DEFA-Studios unter dem Dach eines Staatlichen
Komitees für Filmwesen beim Ministerrat der DDR, der späteren Hauptverwaltung Film im
Ministerium für Kultur, endet das Außen-Regiment der DEFA-Kommission. Der Weg vom
Buch zum Film aber und erst zur Leinwand wird deshalb nicht kürzer. Nach dem XX.
Parteitag Ende der 50er Jahre unternimmt Kurt Maetzig einen Vorstoß, die hemmende
Zentralisierung zu durchbrechen und schlägt die Bildung kleiner künstlerischer
Arbeitsgruppen mit größerer Verantwortung vor. Das Scheitern des Aufstands in Ungarn mit
seinen restriktiven kulturpolitischen Folgen hier lässt solchen Reformplänen vorerst keine
Chance.
Dramaturgen-Gruppen
Doch 1959 erscheint der erste DEFA-Film mit dem Gruppensignet: „Roter Kreis“. Bald
danach bildet sich um Konrad Wolf die Gruppe „Heinrich Greif“', gründet Dudow die Gruppe
„Berlin“. Von der bis dahin zentralen Dramaturgie bleibt nur ein Chefdramaturg, während
sich die Stoffentwicklung über die betreuenden Dramaturgen ganz in diese Gruppen verlagert.
Um die Regisseure von allzu viel administrativer Arbeit zu entlasten, fungieren bald schon
Produktionsleiter als Teamchefs, auch da, wo keine Regie-Persönlichkeit das Profil bestimmt.
Die Lokalisierung in den kleinen Dramaturgen-Gruppen bringt viele Vorteile: Man kennt
sich, arbeitet gezielter für die in der Gruppe beheimateten Regisseure, die Autoren sehen sich
keinem anonymen Apparat gegenüber oder wechselnden Diskussionspartnern. Maetzigs frühe
Idee scheint sich zu bewähren. Der Gedankenaustausch führt, in den einzelnen Gruppen
unterschiedlich, sehr verschiedene Professionen zusammen: Autoren, Dramaturgen,
Regisseure, Produktionsleiter, Szenenbildner und auch filmfreundliche Außenseiter. Die
Produktion nimmt, mindestens zahlenmäßig, einen raschen Aufschwung. Sie klettert in einem
Jahr auf 28 Titel. Im Studio ist plötzlich eine Wettbewerbssituation entstanden, auch mit
neuen Kontroversen: Kunst contra Kommerz, Zuschauerzahlen werden gegen Festivalpreise
ins Feld geführt. Operative Filmemacher kommen mit Schnellschüssen kurzfristig in den Plan
und können auch mit mittlerem Resultat auf die Gunst der Leitung bauen, die ein neues
Wunder vollbringen soll: „Mehr, bessere und billigere Filme!“ Aus Sorge um die Qualität der
Produktion werden Dramaturgen mit der Leitung der Gruppen betraut, ökonomische
Selbständigkeit winkt. Die 2. Bitterfelder Konferenz 1964 scheint den Aufwind zu
bekräftigen, die Künste sollen sich enger mit dem Leben verbinden, die Autoren inmitten der
gesellschaftlichen Praxis schreiben. Dass dem Künstler dabei die „Sicht des Planers und
Leiters“ abgefordert wird, hätte stutzig machen können. Über das folgende 11. Plenum und
die verbotenen Filme ist schon viel geschrieben, weniger bekannt, dass eine Parteikommission
alle Stoffentwicklungen überprüft und die Zensur neben Geschaffenem auch Künftiges trifft.
Damit nicht genug. In der Hauptverwaltung Film wird eine eigene dramaturgische Abteilung
mit einem Chefdramaturgen installiert. Nun müssen unbequeme Filme nicht mehr verboten
werden. Sie entstehen gar nicht erst. Ohne Wissen der Filmleute gehen die Bücher von hier
aus nicht nur in das Kulturressort des ZK, sondern auch in seine Fachabteilungen und andere
Ministerien. Vielfach werden Projekte kurz vor Produktionsbeginn aus dem Plan genommen.
Das trifft noch 1973 das Drehbuch „Einer trage des anderen Last“ oder 1976 einen Kinderfilm
zur deutsch-deutschen Problematik.
Diese Leitungspyramide mit ihren Stufen von der Gruppe zum Chefdramaturgen, von ihm
zum Studiodirektor und seinem Gremium, von dort zum Dreisprung der Hauptverwaltung
(Dramaturg, Chefdramaturg, HV-Leiter) wird nach dem VIII. Parteitag und dem 6. Plenum
1972 zum offen diskutierten Anachronismus. So schickt die Parteiführung einen Mann mit
künstlerischer Autorität und Parteiamt ins Studio, den Generalintendanten der Staatstheater
Dresden und Karl-Marx-Stadt, das ZK-Mitglied Made. Unter seiner Leitung geht das
mehrfach vertagte Projekt „Bis dass der Tod euch scheidet“ (G. Rücker/H. Carow) in
Produktion und hat spektakulären Erfolg. Es folgt „Solo Sunny“ und eine kurze Periode
relativer Stabilität mit souveräner Produktionsentscheidung im Studio. Aber 1983 wird die
staatliche Zulassung (d. i. Freigabe der HV Film für die öffentliche Vorführung eines jeden
Films) für „Jadup und Boel“ zurückgezogen, die terminierte Premiere abgesagt. Dem gingen
schon heftige Diskussionen mit der Studioleitung und viele Schnitt- und Textänderungen
voraus. Ein Leitartikel im „Neuen Deutschland“, als Leserbrief getarnt, macht den Berliner
Unmut über Babelsberg so deutlich, dass sofort klar ist, dass hier dem entrüsteten Genossen
Vater in Erfurt ein anderer die Feder nicht nur geführt, sondern aus der Hand genommen hat.
Zwar gibt es keine neuen Verbote, aber die Parteirüffel für „Erscheinen Pflicht“ (H. Dziuba),
über die FDJ-Zeitung „Junge Welt“ von Egon Krenz lanciert, und wenig später für „Insel der
Schwäne“ (U. Plenzdorf/H. Zschoche) bremsen nicht nur den Kino-Einsatz, sondern auch
zunehmend die Risikobereitschaft im Studio. Die versteckte Aufführung von „Jadup und
Boel“ 1987, die Zulassung des 1967 verbotenen Films „Die Russen kommen“ (Heiner Carow)
und der staatliche Segen für „Einer trage des anderen Last“ (Lothar Warneke) 1988, die
Gründung einer eigenverantwortlichen Nachwuchsgruppe (Nachwende-Nomen DaDaeR)
lassen eine kulturpolitische Kurskorrektur vermuten, für die es aber längst zu spät ist.

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