Integrationsbetriebe in Frankfurt am Main

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Integrationsbetriebe in Frankfurt am Main
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Integrations betriebe
in Frankfurt am Main
Cook Company I DialogMuseum I fbb I hoffmanns höfe I kombinat
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Integrations betriebe in Frankfurt am Main
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Keine Arbeit ist so beschwerlich,
dass man sie nicht der Kraft dessen,
der sie verrichtet, anpassen könnte.
Vorausgesetzt, dass die Vernunft
«
und nicht die Habsucht sie regelt.
Montesquieu, 1689-1755
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Editorial
Soziale Unternehmen behaupten sich am Markt
Die Erfolgsgeschichte der Integrationsfirmen
von Arnd Schwendy
Arnd Schwendy
war bis 2003 Leiter des Sozialamtes der Stadt Köln.
Er war bis 2010 Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen, deren Beirat er
jetzt angehört.
D
ie fünf Frankfurter Integrationsfirmen, die
dieses Heft vorstellt, sind Teil eines Netzwerkes
von rund 600 sozialen Unternehmen, die mindestens 20 Prozent ihrer Arbeitsplätze mit behinderten Menschen besetzen, also deutlich
mehr als gesetzlich verlangt. Nach dem Urteil
des CDU-Sozialpolitikers Karl-Josef Laumann
sind sie „unverzichtbar, wenn behinderte Menschen mit besonderen Eingliederungshemmnissen eine faire Chance auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt haben sollen“. Als Sozialminister in
Nordrhein-Westfalen hatte Laumann daher mit
den Integrationsämtern Rheinland und Westfalen-Lippe ein 20-Millionen-Programm zur
Schaffung weiterer 1.000 Arbeitsplätze in derartigen Firmen gestartet. Schon vorher hatte
seine Kollegin Malu Dreyer für Rheinland-Pfalz
Erfolge mit ähnlichen Bemühungen.
Als Anfang der 1980er Jahre in Freiburg im
Breisgau, Gütersloh, Münster und Walldorf die
ersten Versuche starteten, für Arbeitslose mit
schweren psychischen Beeinträchtigungen kleine
Firmen zu schaffen, ernteten die Gründer nichts
als Spott und Hohn aus den Kreisen der etablier-
ten Reha- und Arbeitsmarktpolitik. Sie erblickten in den damals so genannten Selbsthilfe-Firmen eine Gefährdung der Qualitäts- und
Sicherheitsstandards der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). Sie übersahen dabei
freilich, dass deren Unfähigkeit, neben Menschen mit geistigen oder schweren körperlichen
Handicaps auch ehemalige Psychiatrie-Patienten aufzunehmen, diese Form der Selbsthilfe erst
erforderlich gemacht hatte. Es gab damals nur
wenige auf psychisch Beeinträchtigte spezialisierte WfbMs, wie beispielsweise pionierhaft in
Frankfurt am Main. Was war der Auslöser der
Entwicklung? In den späten 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden im Zuge
der Umsetzung der Psychiatrie-Enquête überall
die großen psychiatrischen Anstalten verkleinert.
Es entstanden psychosoziale Hilfevereine, die in
den Städten und Kreisen ambulante Hilfen, Kontaktstellen und kleine Heime für die ehemaligen
„Anstaltsinsassen“ schufen. Was aber – nicht zuletzt wegen der Negativentwicklungen am
Arbeitsmarkt – zunehmend fehlte, waren Arbeitsplätze. Die Stiftung Freudenberg des Weinheimer Familienunternehmens nahm sich der
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Sache an. War doch Dr. Rudolf Freudenberg, ein
vor den Nazis nach England geflohener Sozialpsychiater, einer der Pioniere der beruflichen
Reintegration psychisch Kranker. Er konnte zusammen mit Douglas Bennett bei der Vorbereitung der Auflösung eines Großkrankenhauses in
London praktisch und wissenschaftlich belegen:
Patienten, die unter weitgehend normalen Bedingungen arbeiten dürfen, gesunden schneller,
wiedererkranken seltener, finden leichter den
Weg zurück in die Gesellschaft, weil die Arbeitnehmerrolle ihr Selbstvertrauen stärkt und ihren
sozialen Status hebt – beides heikle Punkte im
Leben langfristig psychisch Kranker.
Die Freudenbergstiftung erkannte die betriebsund marktwirtschaftlichen Defizite der ersten
Selbsthilfefirmen-Gründer und stellte ihnen
daher eine fachkompetente Beratung zur Seite,
nämlich die Fachberatung für Arbeits- und Firmenprojekte (FAF). Diese berät Gründer und Finanzierer und begleitet mit Teams in mehreren
Bundesländern das Werden und Wachsen der
Firmen. Die FAF war zunächst ein Verein, dem
sich immer mehr Projekte anschlossen, um auch
ihre sozialpolitischen Forderungen gemeinsam
zu vertreten. Da unabhängige Fachberatung und
Lobbyarbeit aber zwei paar Schuhe sind, wurden
diese Funktionen getrennt: Für die fachpolitische
Interessenvertretung wurde die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsfirmen e. V.
(BAG-IF) gegründet, die FAF wurde in eine gemeinnützige GmbH umgewandelt.
Beharrliche Überzeugungsarbeit im politischen
Raum, ein Modellprogramm des Bundesarbeitsministeriums sowie Studien der FAF im Auftrag
der Arbeitsministerien von Nordrhein-Westfalen
und Bayern führten schließlich dazu, dass der
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Widerstand gegen die neue Beschäftigungsform
schwand. Im Sozialgesetzbuch IX, das die Teilhabe behinderter Menschen in allen Lebensbereichen international vorbildlich regelt, wurden
2001 Bestimmungen zur Aufgabe, Struktur und
Finanzierung der Integrationsprojekte, wie die
Selbsthilfefirmen jetzt heißen mussten, aufgenommen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen wurde zu ihrer Vertretung im
Beirat des Bundesarbeitsministeriums bestimmt.
Kern der gesetzlichen Regelung war das, was die
Gründer wollten, nämlich keine weitere Sondereinrichtung, sondern eine Positionierung im
normalen Arbeitsleben. Daher sind die Integrationsunternehmen ausdrücklich als Teil des allgemeinen (und nicht des besonderen oder des
zweiten Arbeitsmarktes) definiert. Das bedeutet:
Die behinderten Mitarbeiter haben die gleichen
Rechte wie alle anderen Arbeitnehmer. Die Unternehmen müssen sich am Markt behaupten.
Sie erhalten im Grunde die gleichen finanziellen
Hilfen wie jeder andere Arbeitgeber, der sich besonders für die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen engagiert, auch:
Investitionskostenzuschüsse
fachliche Beratung
Minderleistungsausgleiche zur Kompensation der Wettbewerbsnachteile, die sie gegenüber anderen Anbietern haben, die nur
voll Leistungsfähige beschäftigen.
Diese Hilfen werden ergänzt durch Zuschüsse der
Aktion Mensch, die hier wesentliche Entwicklungsimpulse gibt, sowie z. T. durch Stiftungen
auf Länder- und Regionalebene. Voraussetzung
dafür ist jeweils die Gemeinnützigkeit der Antragsteller.
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Das Wichtigste ist der Minderleistungsausgleich,
der inzwischen auf rund 30 Prozent der Nettolohnkosten abgesenkt wurde. Das bedeutet: Ein
schwerbehinderter Beschäftigter in einer Integrationsfirma sollte eine Leistungsfähigkeit von
70 Prozent haben. Um zu ermitteln, ob das im
Einzelfall möglich oder erreichbar ist, bieten die
Unternehmen im Auftrag der Arbeitsverwaltung
die unterschiedlichsten betrieblichen Fördermaßnahmen an. Wer sich positiv entwickelt,
kann – vorausgesetzt, die Auftragslage lässt es
zu – übernommen werden. Diese Perspektive ist
für Motivation und Stabilität der Betroffenen
äußerst bedeutsam, denn viele sind schon jahrelang von Maßnahme zu Maßnahme gereicht
worden.
Die Firmenprojekte der Gründerjahre waren ganz
auf Menschen mit psychiatrischen Vorgeschichten ausgerichtet; hier herrschte schließlich der
größte Nachholbedarf. Inzwischen aber haben
auch andere Gruppen von Behinderten den Weg
in die Firmen gefunden: Menschen, die früher
30
Integrationsunternehmen sind in
vielen Branchen aktiv
25
(Angaben in Prozent)
20
15
10
29,4
11,2
9,5
6,9
7,2
5,9
5,3
5
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Ein gewöhnliches Unternehmen mit mehr als
19 Arbeitsplätzen muss in der Regel 5 Prozent
der Stellen mit schwerbehinderten Menschen
besetzen, andernfalls hat es eine Ausgleichsabgabe von monatlich bis zu 250 Euro für jeden
nicht besetzten Pflichtplatz zu entrichten. Diese
fließt in den Ausgleichsfonds, aus dem die Hilfen
für die berufliche Eingliederung schwerbehinderter Arbeitnehmer gefördert werden. Für die
Integrationsämter stehen davon jährlich rund
500 Millionen Euro zur Verfügung, davon wenden sie rund 10 Prozent für die Integrationsfirmen auf.
Das Aufkommen aus der Ausgleichsabgabe
schwankt und stagniert. Dies setzt der Weiterentwicklung der Firmen trotz des großen Bedarfs
und trotz vieler solider Neugründungspläne in
manchen Regionen Grenzen. Die Politik hat
daher die Aufgabe, diesen Engpass durch Erschließung anderer Geldquellen zu beseitigen;
ein erster – leider nicht konsequent umgesetzter
– Schritt in diese Richtung ist die Zahlung von
Minderleistungsausgleich aus dem Budget der
Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende
16,4
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wegen geistiger Behinderungen in einer Werkstatt für behinderte Menschen waren, schwer
Hörbehinderte, Rollstuhlfahrer, Blinde. Diese
Gruppen sind ausdrücklich neben den seelisch
behinderten Menschen im SGB IX benannt, man
will die Firmen damit zu Recht zwingen, sich
derer anzunehmen, die ohne ihre Hilfe keinen
Platz im normalen Arbeitsleben finden. Gesteuert wird das im Einzelfall von den Integrationsämtern, die auch für die Finanzierung zuständig
sind und sich nach anfänglicher Skepsis in Sachen Unternehmensentwicklung zu engagierten
und kompetenten Behörden entwickelt haben.
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(SGB II/§16e). Eine andere Quelle sehen Fachleute in der Eingliederungshilfe (SGB XII), die
dann zu zahlen ist, wenn ein Betroffener eine
Förderung in einer Werkstatt für behinderte
Menschen beanspruchen kann, aber lieber woanders tätig ist. Einen Teil dieser Mittel kann er
in Rheinland-Pfalz und auch Niedersachsen als
„Persönliches Budget“ nehmen und sich damit
quasi einen Job auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kaufen. Wer das Inklusions-Gebot der UNKonvention zu den Rechten behinderter
Menschen ernst nimmt, kommt kaum darum
herum, derartige Alternativen zu nutzen. Wie anders soll das Recht der Betroffenen, sich ihren
Arbeitsort frei zu wählen, möglichst mitten im
normalen Arbeitsleben, umgesetzt werden?
An Betätigungsfeldern für Integrationsbetriebe
herrscht kein Mangel. Standen in den Gründerjahren industrielle Serviceaufgaben im Vordergrund, so gibt es jetzt – siehe Grafik – einen breit
gefächerten Branchenmix. Sozial- und kommunalpolitisch interessant und zukunftsträchtig
sind dabei nicht zuletzt Projekte zur Stabilisierung der Infrastruktur in benachteiligten Stadtteilen und ländlichen Regionen, z. B. durch
Betrieb kleiner oder mobiler Supermärkte (rollende Dorfläden), Übernahme pflegeergänzender häuslicher Dienstleistungen, Pflege von
Gärten und Wohnsiedlungen, Betrieb von Hotels, Cafeterias und Kantinen (Museen, Behörden
etc.). Zunehmend entdecken große Träger von
Sozial- und Gesundheitseinrichtungen, dass es
günstiger (und sozialer!) ist, Dienstleistungen
nicht outzusourcen, sondern einer dafür geschaffenen Integrationsabteilung oder Integrationsfirma zu übertragen. Sie bleiben damit Herr
des Geschehens und können gleichzeitig Stellen
für ihre Klienten schaffen.
Die meisten Integrationsprojekte sind gemeinnützig. Die dadurch möglichen Steuervorteile erhalten sie, wenn sie mindestens 40 Prozent der
Stellen mit schwerbehinderten Menschen besetzen. Voraussetzung für die Anerkennung der
Förderungsfähigkeit durch die Integrationsämter ist eine Quote von 20 Prozent.
Durch die Länderprogramme in Rheinland-Pfalz
und Nordrhein-Westfalen konnten erfreulicherweise auch Unternehmen dazu gewonnen werden, intern Ingegrationsabteilungen zu gründen.
Ein weiterer wichtiger Zuwachs findet statt
durch die Gründung von Integrationsbetrieben
durch Werkstätten für behinderte Menschen, die
sich damit „zukunftsfester“ machen, weil sie den
Betroffenen mehr Alternativen bieten können.
Der Wirtschaftskrise 2009/10 haben die Firmen
erstaunlich gut standgehalten, es gab nur ganz
wenige Insolvenzen. Der Geschäftsführer der
Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen
Anton Senner: „Die Betriebe sind es seit ihrer
Gründung gewohnt, hart an den wechselnden
Winden des Marktes zu segeln. Da sie klein sind,
meist mehrere Geschäftsfelder haben, können
sie sich relativ schnell auf neue Situationen einstellen.“
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen appelliert an Kommunen und Behörden,
Vergaben so zu gestalten, dass soziale Unternehmen eine Chance haben. Das neue Vergaberecht
lässt dies ausdrücklich zu. Es gibt zu diesem
Thema Arbeitshilfen des Städtetages, des Bundesarbeitsministeriums und der Europäischen
Union
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Cook Company
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Cook Company
„Es macht Freude, dass wir
eine gute Leistung erzielen“
G
äste, die das Kasino der Cook Company in
Frankfurts Stadtteil Enkheim besuchen, betreten
zunächst ein Areal mit Bäumen samt Wiese und
Gebäuden, in denen Arztpraxen sowie weitere
Betriebe untergebracht sind. Dass es das Projekt
Cook Company gibt, verdankt sich einer Gründung aus dem Jahre 2005, zu der sich die Praunheimer Werkstätten gGmbH (pw), die Lebenshilfe
Frankfurt e. V. und die Frankfurter Werkgemeinschaft e. V. (fwg) entschlossen hatten. Der Leitgedanke aller drei Organisationen lautet, behinderten
Menschen solidarisch zu begegnen und ihnen
Selbstbestimmung, Respekt sowie Teilhabe an
der gesellschaftlichen Lebens- und Arbeitswelt
zu verschaffen. Menschen mit einer Behinderung
beizustehen verlangt von denen, die das wollen,
sich individuell auf den Einzelnen einzulassen.
Die Werkstätten für behinderte Menschen für
diesen Personenkreis sind mit ihren Produkten
und Leistungen zwar auch auf dem Markt vertreten, doch deren Verkauf deckt nicht die kompletten Produktionskosten. Die Werkstätten sind
ein Betreuungsangebot und auf finanziellen
Ausgleich angewiesen. Unternehmen, die behinderten Mitarbeitern eine weitgehende Selbstständigkeit am ersten Arbeitsmarkt ermöglichen,
gibt es nur selten.
Ein vollständig selbstbestimmtes Leben im selbst
gewählten Wohnumfeld samt einer motivierenden Erwerbsarbeit muss dennoch das Ziel der
Bemühungen sein. Daher riefen die drei Gründungsorganisationen einen solchen Betrieb mit
tarifentlohnten Arbeitsplätzen ins Leben. Die
Cook Company, Frankfurts erste integrative Großküche, kocht nicht nur
werktäglich ca. 1.000 Essen für
die Praunheimer Werkstätten
und andere Kunden, sondern
betreibt auch ein Kasino.
Nach großen ökonomischen
Schwierigkeiten in den ersten Jahren hat sich die Cook
Company am Markt durchgesetzt und schreibt unterdessen schwarze Zahlen.
Dass man jetzt stolz auf das Ergebnis täglicher Anstrengung ist, liegt
im Wesentlichen an der engagierten Kochmannschaft und ihrem gut organisierenden Küchenchef.
Innen- und Außensicht auf die Küche der
Cook Company
Patrick Lachmann, gelernter Koch, ist seit Mai
2009 Küchenchef in der Cook Company, die täglich an die 1.000 Essen (Vollkost und auch vegetarisch) zubereitet. „Eloquenz ist fehl am Platze“,
so der Chef, der anfangs die Erfahrung machte,
dass „die Kartoffeln kommen weg“ wörtlich verstanden wurde. Arbeitsanweisungen teilt er in
kleine Schritte auf, um sie erst dann im Ganzen
zu geben. „Wichtig ist die Grundhaltung, jeden
Menschen als Menschen zu verstehen. Wir unterscheiden die Mitarbeiter nicht nach ihren Behinderungen, sondern danach, was einer kann.
Gründung
Die Cook Company wurde 2005 von den Praunheimer Werkstätten, der Frankfurter Werkgemeinschaft und der Lebenshilfe Frankfurt als gemeinnützige GmbH gegründet mit dem
Ziel, Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz zu bieten. Für jeden behinderten Mitarbeiter bekommt die Cook Company, die ihre Mitarbeiter nach dem Tarif für Gastronomiebetriebe bezahlt, Zuschüsse vom Integrationsamt.
Seit 2010 arbeitet das Unternehmen mit Gewinn.
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chen Fragen ist. Trotz allem aber versteht der Küchenchef die Cook Company als Unternehmen
auf dem ersten Arbeitsmarkt, das seinen Verpflichtungen nachkommen muss: „Wir arbeiten
für den Markt, der den Betrieb erhält. Jeden Tag
um 10.00 Uhr müssen die Essen raus. Wie ich zu
diesem Ziel komme, ist dem Kunden egal.“ Der
Kunde, der hauptsächlich mit den Fahrern zu tun
hat, die die Essen in den Thermoporten anliefern,
lobt dann neben der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Fahrer auch die Pünktlichkeit.
Wir müssen herausfinden, wo sein Platz ist.“ Fordern, aber auch fördern, ist des Kochs Devise, der
seine Leute in Arbeitszusammenhänge einführt,
„die sie vorher nie gemacht haben“.
Vom geschenkten Vertrauen kommt viel wieder
zurück, denn einer seiner Mitarbeiter organisiert
die Großbestellung der Lebensmittel. „Er ist in
der Lage“, so der Küchenchef, „komplett jeden
Artikel zu bestellen, den wir in der Großküche
benötigen.“ Lachmann hält viel von seiner
Mannschaft: „Manche sind so gut, dass sie in ein
anderes Unternehmen gehen könnten. Ich will
sie aber nicht hergeben, und die Mitarbeiter
möchten auch nicht weg.“ Michael Schwarzer,
der mit zum Team gehör, und am liebsten Würstchen und Schnitzel anbrät, ist stolz auf sich und
froh, dass er mit dabei ist. „Der Dank ist der
Motor, der mich antreibt“, gibt der Chef zu, der
sich freut, „wenn der Mitarbeiter Spaß hat und
sich entwickelt.“
Fordern und fördern ist die
Devise von Küchenchef
Patrick Lachmann.
Seit April 2011 wird die Friedrich-Fröbel-Schule
mit 150 Essen werktäglich beliefert, die „heiß,
sehr heiß sogar“ ankommen, wie Monika Brandt
bestätigt, die die Verpflegung der Ganztagsschule sicherstellt. Der Speiseplan mit drei
Menüs zur Auswahl wird 14 Tage vorab per Fax
verschickt. „Die Kinder bekommen den Speiseplan in die Klasse und dürfen ihr Gericht selbst
auswählen, auch die kleinen Kinder.“ Die Küche
der Cook Company hat die Küchenleiterin über
ihre Raumaufteilung beeindruckt: „Da ist alles
klar gegliedert, alles hat seine Ordnung. Man
sieht, was wo gemacht wird.“ Das Wichtigste ist
aber wohl der Geschmack der Essen, über die die
Kinder in einer Befragung ausgezeichnete Noten
verteilten. Frau Brandt bewundert die Kochkunst,
die das vermag.
Weil er erst 25 Jahre ist, hat er den Vorteil, wie er
selber sagt, dass er auch die relativ jungen Mitarbeiter erreicht, die ihn auch mal ärgern dürfen
und für die er Ansprechpartner für alle mögli-
Geschäftsfelder
Das Hauptgeschäft des Gastronomiebetriebs ist das Catering für den Mittagstisch.
Jeden Tag werden ca. 1.000 Essen (vegetarisch und Vollkost) zubereitet und in Thermoporten ausgeliefert. In der hauseigenen Kantine bewirtet die Cook Company mit 70 bis
100 Essen hauptsächlich Stammkunden aus dem Stadtteil Frankfurt-Enkheim. Sie richtet
Catering für Großveranstaltungen bis zu 500 Personen aus. Sie ist HACCP-zertifiziert
(ein Kontrollsystem für Lebensmittelsicherheit) und hat die EU-Zulassung.
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Cook Company
im Gespräch mit
HOLGER MOELLER
Holger Moeller, Betriebswirt mit kaufmännischem Hintergrund und seit 20 Jahren bei den
Praunheimer Werkstätten, ist seit Gründung der
Cook Company Mitglied der Geschäftsführung.
Herr Moeller, Sie sind als Prokurist für die Cook
Company verantwortlich. Wie kam es dazu?
Vor sechs Jahren haben wir mit der Planung eines
Integrationsbetriebs begonnen. Unsere Idee war,
Menschen mit Behinderung Arbeitsplätze auf
dem ersten Arbeitsmarkt zu bieten. Schon damals
dachten wir daran, dass es entweder ein Hausreinigungsbetrieb oder ein Küchenbetrieb werden sollte, um uns mit den Diensten auch selbst
versorgen zu können. Gleichzeitig wollten wir
damit dem Unternehmen das finanzielle Wagnis
nehmen, das eine Gründung mit sich bringt. Wir
haben uns dann aus Zufall für die Gastronomie
entschieden: Eine unserer Mitarbeiterinnen hatte
die Liegenschaft in Bergen-Enkheim entdeckt, in
der eine Ausbildungsküche untergebracht war.
Die Essen für unsere Werkstätten hatten wir
zuvor von verschiedenen Caterern bezogen und
manchmal auch in den Betriebsküchen selber gekocht. Wenn wir als Integrationsbetrieb diese
knapp 600 Essen an die Praunheimer Werkstätten verkaufen könnten, dann hätten wir eine
gute wirtschaftliche Basis, so die Überlegung. Die
Praunheimer Werkstätten, die Frankfurter Werkgemeinschaft und die Lebenshilfe Frankfurt
gründeten dann 2005 die Cook Company.
Ist Ihr Konzept gleich aufgegangen?
Anfangs nicht. Die ersten zwei, drei Jahre haben
wir Lehrgeld bezahlt, wirtschaftlich lagen wir
hinter den Erwartungen deutlich zurück. Nie-
mand von uns hatte Erfahrung im Bereich Großküchenbetrieb, insofern mussten wir uns das entsprechende Fachpersonal erst suchen und hatten
dabei zunächst keine glückliche Hand. Es hat also
nicht alles so reibungslos geklappt, wie wir es
wünschten. In der Folge haben wir schließlich mit
Patrick Lachmann einen neuen Koch und Küchenleiter gefunden, der sich als absoluter
Glücksgriff für den kompletten Betrieb erwiesen
hat. Mittlerweile schreiben wir schwarze Zahlen
und konnten uns in den letzten Jahren von 13
auf 17 Mitarbeiter vergrößern.
Zwar sind wir wirtschaftlich noch nicht ganz gesund, was die Gesamtbetrachtung der fünf Jahre
angeht, aber wir sind mittlerweile in der Lage,
positive Jahresergebnisse zu erzielen und einen
Teil der aufgelaufenen Schulden abzutragen. Das
ist sehr gut, aber die neuen sportlichen Aufgaben warten schon. Die Anfangsförderungen laufen langsam aus und die Zuschüsse werden von
Jahr zu Jahr weniger. In diesem Jahr gibt es noch
einen „Restschluck“: Das heißt, in dieser Zeit
muss auch die Rentabilität um den Faktor wachsen, um den diese Zuschüsse abnehmen. Wir
haben eine Förderquote von knapp 14 Prozent,
diese wird auf 10 Prozent sinken.
Herr Lachmann muss eine hohe Konzentrationsfähigkeit auf Menschen haben, nicht nur auf seinen Job. Darunter verstehe ich das permanente
In Zahlen (2010)
Umsatz
Personalaufwand
Öffentliche Förderung
Anzahl der Mitarbeiter
971.000 Euro
370.000 Euro
65.000 Euro
17 Personen
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Begleiten auch von der emotionalen Ebene her.
Er muss als Betriebsleiter ein Gefühl dafür haben,
ob etwas funktioniert oder ob etwas nicht mehr
richtig läuft. Wir sind immer wieder in Testphasen, wo etwas ausprobiert wird, da kann dann
auch mal was schiefgehen. Herr Lachmann hat
ein gutes Gespür, wann er steuernd eingreifen
muss.
In der hauseigenen Kantine
bewirtet die Cook Company mit
70 bis 100 Essen hauptsächlich
Stammkunden aus dem Stadtteil
Frankfurt-Enkheim.
Als Küchenbetrieb stehen Sie zudem unter der
Aufsicht des Gesundheitsamts.
Im Prinzip stehen wir unter ständiger Beobachtung, weil wir HACCP-zertifiziert sind. Das Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt kommt einmal
im Jahr, und da wir die EU-Zulassung erhalten
haben, fallen wir unter die strengste Form der
Kontrolle. Wir haben eine Zulassung für die Produktion von maximal 1.300 Essen pro Tag.
Die beste Kontrolle haben wir aber über unsere
Kunden, die uns ein Feedback geben, wenn
etwas nicht gut läuft. Das ist eine Spannung, die
man aushalten muss. Jede Essenslieferung wird
protokolliert und dokumentiert, die Temperatur
der Speisen wird gemessen. Reklamiert werden
beispielsweise zu wenig Soße oder zu viel Salat.
Dem gehen wir nach. Denn es kann bei aller
Sorgfalt schon mal passieren, dass eine Komponente woanders mit reingerutscht ist. Dann hat
der eine zu wenig, der andere zu viel Salat. Wir
konzentrieren uns sehr auf die Rückmeldungen
und werten diese aus.
Wer liefert die Essen aus?
Das machen unsere Mitarbeiter nach einem
entsprechenden Training. Der Betriebsleiter oder
der stellvertretende Betriebsleiter begleitet den
Mitarbeiter die ersten drei bis fünf Tage und
lässt ihn dann die Route selbst fahren. Wenn er
merkt, dass alles klappt und der Mitarbeiter die
erste Tour alleine bewältigt hat, findet nochmals
ein Gespräch statt. Wenn der Mitarbeiter beispielsweise in die Werkstatt nach Praunheim
fährt, ist das eine feste Route, die jeden Tag gefahren wird.
Blitzlicht
Herr Moeller, was empfehlen Sie, wenn Kunden mit Personal zu tun haben, das eine
Behinderung hat? Ganz wichtig sind klare Ansprechpartner für den Menschen mit Behinderung.
Und dann müssen sich die Leute wohlfühlen. Das ist das, was wir auch wollen. Wer sich nicht
wohlfühlt, erbringt keine gute Leistung. Dann sind die Trainingszeiten viel länger: Wieder-
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Cook Company
Sie arbeiten in einem Integrationsbetrieb, der Behinderten Anerkennung verschafft und Entwicklungschancen gibt. Motiviert Sie das?
Das motiviert mich sehr, es macht Spaß, mit
einem Personenkreis zusammenzuarbeiten, der
sonst nicht so viele Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat. Gerade für jemanden, der aus dem Betriebswirtschaftlichen kommt und der einen
ökonomischen Blick auf die Dinge hat, ist es eine
spannende Frage, wie man das hinkriegt. Das andere: Es ist einfach ein schönes Zusammenarbeiten. Es macht Freude, zu sehen, dass wir eine
gute Leistung erzielen und das gesamte Team das
gute Ergebnis verantwortet und erzielt hat.
Sehen Sie in der weltweiten Behindertenrechtskonvention eine Chance, dass die Wirtschaft mit
ihren harten Umgangsformen humanere Züge
bekommt?
Das ist eine schwierige Frage. Wenn der ökonomische Druck zu groß ist, dann handeln Menschen oft ausschließlich ökonomisch. Aber was
bemerkenswert ist: Wenn wir mit behinderten
Menschen in solche Betriebe gehen, lockern wir
das auf. Wir bringen diese menschliche Komponente hinein, dieses empathische Gefühl. Wenn
der Mitarbeiter sich im Betrieb wohlfühlt, dann
geht es ihm dort gut, und danach streben wir
doch alle.
Täglich werden ca. 1.000 Essen
in Thermoporte verpackt und
ausgeliefert.
Die Kontrolle der Anlagen ist
in Großküchen besonders
wichtig.
Cook Company gGmbH
Geschäftsführer Wolfgang Rhein
Vilbeler Landstraße 45 b
60388 Frankfurt am Main
fon 06109 I 50 47 90
[email protected]
[email protected]
www.cook-company.de
holen schafft Sicherheit. Das geht nicht innerhalb von zwei, drei Monaten. Wir haben Trainingsphasen bei Einzelpersonen von über einem Jahr, und auch danach werden noch deutliche
Fortschritte in der persönlichen Entwicklung gemacht.
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DialogMuseum
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DialogMuseum
„Das Auge sucht, das Ohr findet“
A
m Puls des Frankfurter Ostends, an der
Hanauer Landstraße zwischen Ausstellungsräumen von Autofirmen, Industriebetrieben und
Party-Locations, liegt das DialogMuseum – ein
Projekt, das den Sehenden die Welt der Blinden
vor Augen führt. Und dabei sinnvolle Arbeitsplätze für Blinde schafft.
Das Konzept – Dialog im Dunkeln
Am Anfang stand eine soziale Vision. Der Journalist Andreas Heinecke wird 1986 beauftragt,
einen erblindeten Kollegen wieder einzuarbeiten.
Durch die Arbeit mit dem blinden Kollegen ändert sich seine allgemeine Sicht auf Menschen.
Andreas Heinecke erkennt, dass Vorurteile eine
Ursache in der Unkenntnis des anderen haben.
Und dass die Kenntnis des anderen die Fähigkeit
schafft, so mit ihm umzugehen, dass beide Seiten aus dem Kontakt gewinnen. Daraus entsteht
die Idee, eine Plattform zu schaffen, auf der
Blinde und Sehende sich auf Augenhöhe begegnen und austauschen.
Von der Ausstellung zum Museum
1988 beginnt Andreas Heinecke für die Stiftung
Blindenanstalt zu arbeiten. Dort entwickelt er
das Konzept für eine Ausstellung zum Thema Lebenswelt von Blinden: In vollständig abgedunkelten Räumen führen blinde Menschen ihr
Publikum in kleinen Gruppen durch Alltagssituationen, ohne dass die Besucher ihre Augen benutzen können. Ein Spaziergang durch einen
Park oder das Überqueren einer Straße – ohne
sehen zu können – wird so völlig neu wahrge-
nommen. 1989 finden die ersten Pilotveranstaltungen in Frankfurt und Düsseldorf statt, es folgen Anfragen aus Nachbarländern. Mittlerweile
ist „Dialog im Dunkeln“ als Wanderausstellung
an über 150 Orten in 25 Ländern präsentiert
worden. Im Jahr 2000 wird in Hamburg eine
Dauerausstellung eingerichtet, die als Beschäftigungsprojekt für behinderte Menschen vom
Senat als dauerhafte Einrichtung gefördert wird.
Die Gründung des DialogMuseums in Frankfurt
im Jahr 2005 ist der nächste logische Schritt.
Mit den Fingern lesen: Mithilfe der Brailleschrift ertasten Blinde Texte. Ein Raster
aus sechs Punkten, die wie
die Sechs eines Würfels angeordnet sind, gibt das Alphabet wieder. Erfahrene
Leser können mithilfe einer
Braille-Kurzschrift eine Lesegeschwindigkeit nahezu
vergleichbar der eines
Sehenden erreichen.
Das Frankfurter Modell
Das DialogMuseum ist ein privates soziales Unternehmen, das sich zum Ziel gesetzt hat, neben
Gründung
Das Frankfurter DialogMuseum entstand aus der weltweiten Ausstellung „Dialog im Dunkeln“.
Die Idee dahinter ist, Sehenden die Welt der Blinden sinnlich erfahrbar zu machen, um so
eine Basis für eine respektvolle Verständigung auf Augenhöhe zu schaffen. Darüber hinaus
bietet das Museum Arbeitsplätze vorrangig für behinderte Menschen. Das Museum wurde am
2. Dezember 2005 eröffnet, Träger ist die DialogMuseum GmbH.
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werden ohne den dominanten Sinn durchlebt.
Der Blindenstock, Tastsinn und Gehör ersetzen
die Augen. Der Besucher bewegt sich durch
einen Park, über eine wackelige Hängebrücke,
über unebenen Boden und auf dem Bürgersteig
einer befahrenen Straße und bekommt einen
völlig neuen „Blick“ auf die Alltagswelt – aus der
Perspektive eines Blinden.
Dialog im Dunkeln: Die Dauerausstellung macht Sehenden in sechs
Erlebnisräumen die Welt aus der
Perspektive der Nicht-Sehenden
erfahrbar.
seiner Idee des Dialogs zwischen Sehenden und
Blinden insbesondere schwer behinderten Menschen einen Arbeitsplatz und die Chance auf
einen Eintritt in den allgemeinen Arbeitsmarkt
zu bieten. 75 Prozent des Startkapitals liefert das
Integrationsamt des LWV Hessen aus Mitteln der
Ausgleichsabgabe, 5 Prozent kommen vom Blinden- und Sehbehindertenbund Hessen e. V., die
restlichen 20 Prozent steuert ein Risikokapitalgeber bei. Die ersten drei Jahre trägt sich das Unternehmen selbst – zu 80 Prozent aus eigener
Kraft, 20 Prozent kommen aus der Regelförderung für die Eingliederung behinderter Menschen durch die Agentur für Arbeit sowie den
Landeswohlfahrtsverband.
Drei Säulen
Das DialogMuseum gründet sich im Wesentlichen auf drei Säulen:
Das Herzstück ist die Dauerausstellung „Dialog
im Dunkeln“. In einem lichtlosen Parcours aus
sechs Erlebnisräumen, durch den man von blinden Führern geleitet wird, wird die Welt der Blinden erfahrbar gemacht. Alltägliche Situationen
Im Restaurant „Taste of Darkness“ werden Gäste
in völliger Dunkelheit von blinden Servicekräften mit kulinarischen Köstlichkeiten bewirtet –
die sie sich erst einmal erschmecken müssen.
Während die Augen keine Informationen liefern,
entfaltet sich der unbelastete Geschmack umso
stärker.
Im „Casino for Communication“ haben Besucher
jeden Alters an neun Spieltischen mit kooperativen Spielen nicht nur Spaß, sondern können ihre
Fähigkeiten und Fertigkeiten zur zwischenmenschlichen Kommunikation erproben – mit
Spielen, in denen nicht Glück eine Rolle spielt,
sondern die Fähigkeit zur Zusammenarbeit.
Dieses dialogische Prinzip durchzieht alle Einrichtungen des Museums wie ein roter Faden
und liefert auch die Grundlage für Workshops,
Seminare und Managementtrainings im Dunkeln, die vor allem Unternehmen zum Ausbau
von Teamfähigkeiten nutzen. Darüber hinaus
bieten Workshops für Schulklassen, geleitet von
blinden Mitarbeitern und unterfüttert von pädagogischem Begleitmaterial, eine Vertiefung der
Auseinandersetzung mit der Welt von Blinden.
Von der Finanzkrise zur Finanzierungskrise
Mit einer Auslastung von nahezu 90 Prozent und
400.000 Besuchern bis zum Dezember 2010 ist
Geschäftsfelder
Das Museum gliedert sich in drei Bereiche: die Ausstellung Dialog im Dunkeln, das Casino for
Communication als Erlebnisraum für kooperative Spiele und das Restaurant Taste of Darkness.
Angeschlossen ist das Dialogcafé mit Mittagstisch, des weiteren werden Seminare, Workshops,
Special Events und Teamtrainings für Unternehmen angeboten. Das DialogMuseum kooperiert mit
anderen Museen, Einrichtungen und Unternehmen, u.a. mit dem Museum für Kommunikation („Dialog im Stillen“) und mit dem Hotel Hessischer Hof.
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DialogMuseum
das Museum aus Sicht des sozialen Anliegens ein
großer Erfolg. Aber die Ausstellung ist schlicht
zu personalintensiv, als dass sie sich selbst tragen kann. Das Museum ist darauf angewiesen,
in anderen Bereichen Gewinne zu erzielen. Vor
allem die an Unternehmen gerichteten Angebote
subventionieren die Ausstellung. Als im Herbst
2008 die Finanzkrise Deutschland erreicht, wirkt
sich dies sofort aus. Zwar sind die Besucherzahlen trotz der Krise konstant hoch, aber die Einnahmen aus dem Unternehmensbereich gehen
kritisch zurück. „Die Unternehmen haben storniert, als die Krise startete – sofort“, klagt die Geschäftsführerin Klara Kletzka.
Die Möglichkeiten für das Management sind begrenzt: Die Eintrittspreise für die personalintensive Ausstellung decken nicht die Kosten.
Kostensenkungen beim Personal stoßen dort an
ihre Grenzen, wo sie das soziale Anliegen gefährden. Schließlich geht es auch darum, reguläre
Arbeitsplätze zu fairen Löhnen und fairen Arbeitsbedingungen zu schaffen. Der einzige vertretbare Ausweg aus dem Dilemma bietet sich in
einer Unterstützung durch die Stadt.
„Beitrag zu einer humanen Gesellschaft“
In dieser Situation springt die Stadt in die Bresche – in Gestalt der Oberbürgermeisterin. Für
Petra Roth ist das Museum eine Herzensangelegenheit, seit sie ihre erste Runde durch die Dunkelräume drehte. „Die Arbeit des DialogMuseums
ist Sozialtherapie, ist Arbeitsmarkttherapie, ist
Behindertenpolitik und Bildungspolitik“, so Roth.
„Es ist ein Laboratorium, in dem all diese Dinge
gelehrt werden können, in dem sie aber auch
von Neublinden erlernt werden können. Damit
ist es ein großer Beitrag zu einer humanen Gesellschaft.“ Da die Arbeit des DialogMuseums so-
wohl im Kultur- als auch im Sozialbereich relevant ist, fühlt sich zunächst kein Dezernat zuständig. Gelder in fünfstelliger Höhe fließen nur
auf Aufforderung Roths. Erst in den Koalitionsverhandlungen 2011 wird eine jährliche Unterstützung von 100.000 Euro ab 2012 im Haushaltsplan festgeschrieben – bis zum Ende der Legislaturperiode 2016. Aus dem Oberbürgermeisterhaushalt. Danach will das Museum wieder auf
eigenen Beinen stehen.
Ein Ziel ganz anderer Art hat das DialogMuseum
bereits erreicht: Seit dem 1. Januar 2011 steht
mit Matthias Schäfer als zweitem Geschäftsführer ein blinder Mitarbeiter in der Verantwortung.
Er war bisher schon für Ausstellung und Personalführung zuständig.
Das Restaurant „Taste of Darkness“
nimmt die Gäste mit auf eine
kulinarische Reise in völliger
Dunkelheit.
An neun Spieltischen haben Besucher jeden Alters im „Casino for Communication“
nicht nur Spaß, sondern können ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Zusammenarbeit erproben.
In Zahlen
Besucher
Umsatz
Öffentliche Förderung
Anzahl der Mitarbeiter
400.000 Euro (bis Dezember 2010)
1.573.000 Euro (2009)
100.000 Euro (seit 2010)
51 (Dezember 2010), davon 60 % behindert oder
benachteiligt, zzgl. 20 freiberufliche Mitarbeiter
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im Gespräch mit
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KLARA KLETZKA
Foto: Carsten P. Englert
Geschäftsführerin des DialogMuseums
Markus Hanitz verlor bei
einem Überfall sein Augenlicht und konnte seinen alten Beruf nicht
mehr ausüben. Nach einer
Umschulung als Telefonist
begann er als einer von
zwölf fest angestellten
Guides beim DialogMuseum. Seine Arbeit gefällt
ihm, langfristig sieht er sie
aber als Sprungbrett für
eine Anstellung in seinem
Ausbildungsbereich.
Frau Kletzka, das DialogMuseum bietet als Integrationsbetrieb Arbeitsplätze für Blinde und andere behinderte Menschen und versteht sich als
ein sozialpolitisches Projekt?
Natürlich ist unser erstes Ziel, behinderte Menschen in Arbeit zu bringen, und zwar so, dass man
ihre Stärken sieht und nicht ihre Schwächen. Das
ist das Tolle bei „Dialog im Dunkeln“: Blinde sind
uns ja im Dunkeln überlegen und können so ihre
Stärken leben und erleben. Ich habe immer wieder
bemerkt, wie unsere blinden Mitarbeiter hier unglaublich wachsen. Das ist sehr schön zu sehen.
Ein zweites Ziel von „Dialog im Dunkeln“ ist eine
Sensibilisierung, die in die Gesellschaft wirkt. Wir
haben in Hamburg eine Besucherumfrage gemacht. Fast 60 Prozent der Besucher haben angegeben, ihr Verhalten und ihre Haltung gegenüber
Blinden habe sich durch den Besuch nachhaltig
verändert
Sie vermitteln mit Ihrer Ausstellung nicht-blinden Menschen einen Einblick in die Lebenswelt
von Blinden. Was verändert sich dadurch?
Die Besucher sind alle sehr beeindruckt. Viele
kommen aus der Ausstellung heraus und sagen,
ach, wie gut, dass ich sehe – aber alle kommen
raus und sagen: Respekt! Mitleid weicht Respekt,
und das ist ganz entscheidend für uns, weil das
auch die Botschaft ist: Blinde Menschen können
ein sehr selbstbewusstes, sehr, sehr reiches Leben
führen. Wir glauben, weil das Auge so dominant
ist, sei das ein armseliges Leben, aber tatsächlich
haben blinde Menschen eine sehr reiche Kom-
munikation. Das erlebt man beispielsweise im
Dunkeln. Und natürlich werden Berührungsängste abgebaut. Wenn Sie das erste Mal mit
einem blinden Menschen im Dunkeln waren,
dann werden Sie auf jeden Fall anders auf ihn
zugehen, sie werden offener sein. .
Glauben Sie, dass die Zusammenarbeit mit Blinden die Empathie fördert? Mehr als die Arbeit
mit Sehenden?
Ja. Sehr. Es ist wirklich so, dass ich dadurch
immer wieder in Frage gestellt werde mit dem,
was ich so tagtäglich tue … Wenn ich mit nichtblinden Menschen rede, arbeite ich mit Händen
und Füßen und mache mich so irgendwie verständlich, aber wenn ich mit einer blinden Mitarbeiterin rede, dann nutzen mir die Hände und
Füße nichts, dann muss ich mich präziser ausdrücken. Und das sind Dinge, die sind in der Unternehmenskultur auch schon angekommen.
Das merkt man bei uns auch, bei uns gibt es ein
bestimmtes Selbstverständnis im Umgang miteinander – gemeinsam an einer Lösung arbeiten,
zuhören, sich auf den anderen einstellen, die
persönlichen Stärken und Schwächen des anderen berücksichtigen und in das eigene Verhalten
einbauen ...
Für uns sind solche Dinge im persönlichen Umgang miteinander, die andere Leute erst mal erlernen müssen, mittlerweile selbstverständlich,
die gehen irgendwann in den Alltag über. Das
glaube ich schon, dass das eine Unternehmenskultur auch prägt. Empathie ist das Stichwort.
Blitzlicht
„Manchmal besuchen Kinder die Ausstellung. Sie haben Angst vor der Dunkelheit. Nach dem
Besuch der Ausstellung fürchten sie die Dunkelheit nicht mehr. Darauf bin ich stolz!“
Ein blinder Mitarbeiter
„Mein Mann besuchte die Ausstellung, und sie lehrte ihn, wie ich mich fühle.“
Eine blinde Mitarbeiterin
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DialogMuseum
Sehen Sie das DialogMuseum auch als Sprungbrett für Ihre Mitarbeiter?
Ja, wir sehen uns natürlich gerne für jeden blinden, für jeden behinderten Menschen als
Sprungbrett, und wir schaffen ja auch hier die
Kontakte. Die Unternehmen sind ja auch im
Haus, und wir registrieren da auch eine Sensibilisierung. In Hamburg ist es mir geglückt, sogar
Leute direkt zu vermitteln. Hier ist es nur auf
Umwegen passiert, aber sehr viele Menschen, die
blind sind, haben nicht sehr große andere Chancen. Unsere Kultur ist sehr visuell orientiert. Das
macht es sehr schwer für blinde Menschen, eine
andere Stelle zu finden. Wir schöpfen die Möglichkeiten aus, aber klar ist, dass wir nur die
Möglichkeiten ausschöpfen können, die sich uns
hier auch bieten.
Was für Möglichkeiten sehen Sie für Blinde?
Blinde Menschen können sehr vieles machen.
Das Problem ist eher, dass die Personalentscheider es ihnen nicht zutrauen. Es gibt unglaubliche High Potentials unter den Blinden, es gibt
Menschen, die sehr, sehr gut ausgebildet sind –
aber keinen Job bekommen. Die Hürde in das Arbeitsleben ist gerade bei blinden Menschen sehr
hoch, höher noch als z.B. bei Gehörlosen.
Und wir haben tolle Leute hier. Wir haben ITLeute hier, die eine komplette Ausbildung haben,
wir haben Pädagogen in der Ausstellung, wir
haben Leute, die mehrere Sprachen beherrschen
… Also ein relativ hohes Niveau auch an Ausbildung. Wir haben bei uns in der Verwaltung
blinde Mitarbeiter. Wenn Sie sehen, wie sie am
PC arbeiten, wie fit sie sind … es gibt Sprachausgaben, es gibt Braille-Zeilen, es gibt heute so
viele technische Möglichkeiten, die uns helfen,
das Thema Blindheit als Problem zu vergessen.
Ich habe blinde Kollegen, die international arbeiten, die alleine unterwegs sind in der Welt, die
kommunikativ supergut drauf sind, ihre Informationen immer und überall finden … Blindsein
muss nicht automatisch heißen, dass man keinen Zugang hat zu Informationen, aber es gibt
nach wie vor hartnäckig dieses Vorurteil. Und solange dieses Vorurteil sich hält, solange diese
Hürde im Kopf da ist, so lange werden Personalentscheider jeden anderen vorziehen und nicht
einen blinden Menschen. Warum kann ein blinder Mensch nicht in der Presseabteilung arbeiten
und gute Texte schreiben? Es gibt Übersetzer, die
blind sind, Simultanübersetzerinnen. Es gibt
Richter, die blind sind. Im Beratungsbereich gibt
es eine Menge Leute, die blind sind. Die haben
sogar einen Vorteil gegenüber anderen: Sie lassen sich von Äußerlichkeiten nicht so leicht ablenken, sie sind vielleicht dadurch etwas präziser.
Und sie hören besser zu. Im Beratungsgeschäft
kann das sehr wichtig sein. Ich kenne auch im
Trainingsbereich einige sehr gute Leute, die blind
sind.
Ich glaube, dass es heute weit mehr Berufe gibt,
als wir gemeinhin denken, in denen Blinde
gleichwertige Arbeit leisten können – oder sogar
bessere.
Öffnungszeiten:
Dialog im Dunkeln
Di bis Fr 9–17 Uhr
Sa, So, Feiertag 11–19 Uhr
Taste of Darkness
Mi,Fr und Sa 19 Uhr
Sa, So, Feiertag 11–19 Uhr
Casino for Communication
Di bis Fr 9–17 Uhr
Sa, So, Feiertag 11–19 Uhr
DialogCafé
Mo bis Fr 9–17 Uhr
Sa, So, Feiertag 11–19 Uhr
DialogMuseum
Hanauer Landstraße 137–145
60314 Frankfurt am Main
fon
fax
069 I 90 43 21 44
069 I 90 43 21 90
[email protected]
www.dialogmuseum.de
„Als ich anfing, als Guide zu arbeiten, sprachen wir von ‚Dialogfieber‘ – weil es wie ein
Anstieg von Adrenalin ist – das Wachstum von Selbstbewusstsein, das Wachstum von Selbstvertrauen – es verändert komplett deine Sicht auf das Leben.“
Ein blinder Mitarbeiter
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fbb
Frankfurter Beschäftigungsbetrieb
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fbb
„Klare Abfolgen sind zu beachten und
Arbeitsschritte gut zu erklären.“
D
as lichte Zweiraum-Büro der Frankfurter
Beschäftigungsbetrieb gGmbH, die sich offiziell
fbb nennen, befindet sich im Bürotrakt des Gebäudes von „hoffmanns höfe“ im Stadtteil Niederrad. Von hier aus werden alle Aktivitäten von
fbb, dem ältesten Integrationsbetrieb in Frankfurt, gesteuert. Dass es diesen Betrieb gibt, geht
auf eine Initiative des VdK Hessen-Thüringen zurück. Das Unternehmen fbb gewährt seit 1997
behinderten Menschen ein reguläres und dauerhaftes Arbeitsverhältnis auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Das Unternehmen fbb gGmbH kooperiert u. a.
mit den Reha-Werkstätten des Frankfurter Vereins und bereitet die Mitarbeiter der Werkstätten
für den Schritt in eine weniger betreute Arbeitswelt vor, wenn sie sich das zutrauen. Im Gegensatz zum beschützten Werkstattumfeld erwarten
die fbb-Mitarbeiter auch Arbeitseinsätze direkt
beim Kunden, wo beispielsweise der Postversand,
Telefondienste, Kopierarbeiten oder Datenverwaltung zu erledigen sind. Den mobileren Mitarbeitern sind die Botendienste vorbehalten.
Allen diesen Arbeiten ist eine klare Tätigkeitsabfolge gemeinsam. Die Arbeitsschritte können
routiniert nur eingehalten werden, wenn sie
zuvor auch gut erklärt und erprobt wurden.
Concierge-Dienste sind einer der Tätigkeitsbereiche des fbb.
Die Poststelle des Staatlichen Schulamts in
seiner Aufgabenvielfalt. Ein Beispiel für eine
glückliche Konstellation.
Seit 2007 wird die Poststelle des Staatlichen
Schulamts von Mitarbeitern des fbb geführt.
Herr Markus arbeitet seit Februar 2010 auf diesem „Außenposten“ des fbb im größten Schulamt Hessens mit allein 80 Personen in der
Bildungsverwaltung. Diese Behörde steht in
regem Briefwechsel mit Frankfurts 160 staatlichen und 40 Privatschulen. „An alle 200 Schulen wird jeden Dienstag und Donnerstag
Schulpost verschickt“, so Herr Markus, dem die
Gründung
Der Frankfurter Beschäftigungsbetrieb (fbb) wurde 1997 vom VdK in Form eines eingetragenen Vereins gegründet. Der Gedanke war leitend, neben der Beschäftigung in den
Werkstätten, eine Möglichkeit für behinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu
schaffen. 2009 wurde der Verein in eine gemeinnützige GmbH übergeführt.
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auch die Kunst.“ Beispiele für nur zwei Fälle: Teilzeitanträge aus den Schulen werden per Namensliste Sachbearbeitern zugeordnet, Post zur
Unterrichtsgarantie Plus „hat einen separaten
Verteiler, das geht alphabetisch“. Beate Krahl legt
Wert auf schnelle Postverteilung: „Es sind oft
ganz eilige Sachen dabei.“
Nicht alle fbb-Mitarbeiter konnten diese Anforderung erfüllen. Die Büroleiterin, die sich
darüber wundert, „dass überhaupt so wenig
Probleme in der Zusammenarbeit vorkommen“,
lobt dann auch das Konfliktmanagement von
Herrn Wieß, der im Beschwerdefall sofort einschreitet und Gespräche führt.
Arbeit keineswegs langweilig wird, wie er sagt,
weil er „täglich an die 300 bis 400 Briefe“ frankiert und verschickt und morgens die Eingangspost in 300 Fächer verteilt. „Die Zuordnung“, so
Beate Krahl, Büroleiterin im Schulamt, „ist dann
Dem Mann in der Poststelle, der jetzt zwischen
8.00 Uhr und 16.30 Uhr höchst selbstständig arbeitet, teilt sich die Wertschätzung der anderen
mit. Herrn Markus macht die Arbeit nicht nur
Spaß, weil sie „Leistung abverlangt“, sondern
auch, weil er weiß: „Die Leute sind zufrieden mit
dem, was ich mache.“ Beate Krahl bestätigt das:
„Bei ihm stimmt alles. Er macht die Arbeit gut –
das ist ja das Wichtigste. Er ist ein freundlicher,
aufgeschlossener und höflicher Mensch. Ich
kann mich nur positiv über ihn äußern. Immer
engagiert und voll bei der Sache.“
Die schnelle und korrekte
Verteilung der Post weiß die
Büroleiterin vom Stadtschulamt, Beate Krahl ,
zu schätzen.
Geschäftsfelder
Die Tätigkeitsbereiche des fbb sind Concierge-Dienste, die Poststelle im Staatlichen
Schulamt, Kulturprogramme und Trainingsmaßnahmen für Arbeitslose, Bürodienste und
Botendienste sowie das Info-Telefon für einen Kunden.
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fbb
im Gespräch mit
KARL H. WIEß
Karl H. Wieß führt die Geschäfte des
Unternehmens fbb. Der Betrieb beschäftigt
mittlerweile 30 Mitarbeiter, wobei er sich
auf Wachstumskurs befindet.
Herr Wieß, wie ist Ihre Unternehmensstrategie?
Mit Unternehmen zu kooperieren, die Aufgaben
auslagern, die wir dann übernehmen. Im letzten
Jahr habe ich einen EDV-Fachmann eingestellt.
Obwohl wir eine kleine Organisation sind, ist mir
bewusst, dass wir mit den heute üblichen technischen Mitteln arbeiten sollten.
Ist der fbb das erste Integrationsunternehmen in
Frankfurt am Main?
Meiner Kenntnis nach ja. Hessen hat über 40
Integrationsunternehmen, und fünf davon sind
am Platz Frankfurt.
Mit welchen der vier anderen arbeiten Sie
zusammen?
Einmal abgesehen davon, dass ich auch noch im
„kombinat“ tätig bin, arbeiten wir eng mit der
DGT in Hattersheim – einem Dienstleister zur beruflichen Integration – zusammen und auch mit
dem Frankfurter Verein für soziale Heimstätten,
der wiederum kein Integrationsunternehmen ist.
Mit der Cook Company tauschen wir uns aus
und kaufen auch dort ein. Zum DialogMuseum
haben wir leider keine Verbindung. Sozial vernetzt sind wir mit den Integrationsfachdiensten
Frankfurt und Rhein-Main ( Bad Homburg ), mit
der DGT in Hattersheim, mit dem Berufsbildungswerk Frankfurt in Bad Vilbel und mit anderen Organisationen, die ich aber nicht als
Integrationsunternehmen bezeichnen würde.
Das heißt, Sie öffnen sich dem Markt.
Ja, das tun wir.
Bewerben Sie Ihre Dienste?
Wir werben nicht direkt, etwa durch Anzeigen.
Einmal haben wir in Rhein-Main-TV einen Versuch gestartet, der aber keine größere Wirkung
hatte.
Gehört dann die Akquisition nicht zum Konzept
der Unternehmen insgesamt?
Das würde ich so nicht sagen. Mainfeld, unter
dem Dach von „kombinat“, hat beispielsweise
einen fantastischen Internetauftritt und baut
gerade einen Kontakt zu „Bett & Bike“ auf.
Solche Aktionen gibt es im fbb nicht.
Wie finanziert sich der fbb?
Wir haben die Ausschreibung um die Poststelle
des Staatlichen Schulamtes Frankfurt am Main
gewonnen und beim Landeswohlfahrtsverband
(LWV) finanzielle Unterstützung beantragen
können. Mit den Geldern wurde u. a. auch eine
Frankiermaschine finanziert. Mit dieser werden
etwa 360 und mehr Briefe täglich frankiert. An
diese Unterstützung hatte der LWV seinerzeit die
Verpflichtung geknüpft, dass wir für die Dauer
von drei Jahren mindestens zwei schwerbehinderte Menschen beschäftigen.
In Zahlen (2011)
Umsatz
Personalaufwand
Öffentliche Förderung
Anzahl der Mitarbeiter
602.00 Euro
461.000 Euro
223.000 Euro
30 Personen
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Mit dem Fahrrad oder dem Auto?
Zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Übernehmen Sie auch Aufträge wie Telefondienst in Abwesenheit?
Ja. Die technischen Möglichkeiten beherrscht
unser EDV-Mann, der sich mit den Kommunikationsmedien auskennt. Daten werden übertragen,
verwaltet und die Arbeitsgänge protokolliert,
damit der Auftraggeber informiert wird und
weiß, dass alles mit rechten Dingen zugegangen
ist. Telefonleitungen und E-Mail-Adressen können umgestellt werden.
Eine „Außenstelle”des fbb:
das Staatliche Schulamt
nahe Hauptbahnhof.
In der Poststelle?
Insgesamt, da auch eine Vertretung eingeplant
werden musste. Der Raum der Poststelle ist klein,
da arbeitet nur ein Einziger – gewissermaßen auf
einem Außenposten ohne Anbindung an die
Mitarbeiter des Amts. Hier müssen wir stärker
persönlich betreuen, da die soziale Anbindung
fehlt. Wir benennen einen Paten, der ihn anruft
und fragt, wie es ihm geht, und an den er sich
wenden kann. Ich fahre auch zu ihm. Dabei ist
es auch wichtig, den Kontakt zum Auftraggeber
zu halten.
Wie ist das mit dem Botendienst?
Für die Botendienste haben wir einen Mitarbeiter, der für einen Kooperationspartner im Stadtgebiet Frankfurt die Post zwischen der Zentrale
und ihren verschieden Einrichtungen austrägt.
Eine Heidenarbeit ist es, E-Mail-Adressen auf Aktualität hin zu überprüfen. Machen Sie das auch?
Ja, aber dabei möchte ich mit aller Wertschätzung auf die Einschränkungen – 48 Prozent unserer Mitarbeiter sind behindert – zu sprechen
kommen. Die Aktualisierung von Adressen, die
Sie angesprochen haben, ist eine ideale Tätigkeit.
Hier sind klare Abfolgen zu beachten und die
Schritte sind gut zu erklären. Der Mitarbeiter hat
dann auch am Abend oder am Ende der Woche
ein Erfolgsgefühl.
Wenn die Adresse nicht mehr stimmt, das Unternehmen umgezogen ist oder der Ansprechpartner die Abteilung gewechselt hat, dann kann
man im Internet recherchieren oder telefonisch
nachfragen.
Das können sie gut arbeitsteilig machen. Wenn
der Einzelne nicht anzurufen wagt, dann machen wir ein Team. Einer recherchiert, der andere
ruft an.
Rechnet sich das wirtschaftlich?
Wir hatten 2010 einen Umsatz von ca. 600.000
Euro, wobei ca. 175.000 Euro Zuschüsse einzu-
Blitzlicht
Herr Wieß, was leisten Integrationsbetriebe für die Gesellschaft? Der Staat muss keineswegs nur geben, wir müssen auch zurückgeben. Darüber muss eine Diskussion stattfinden.
Wir haben ein Ziel im Auge, das müssen wir erreichen. Auch wir müssen wirtschaftlich
sein. Wir nehmen aber hin, dass wir nicht 100 Prozent von vornherein erreichen werden.
Zuerst kommen die behinderten Menschen, die müssen entsprechend vorbereitet werden.
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rechnen sind, und zwar vom Landeswohlfahrtsverband, vom Jobcenter und entsprechenden
Stellen der Landkreise. Von der öffentlichen
Hand bekommen wir Eingliederungszuschüsse.
Gelder, die gesetzlich gegeben werden.
Ja. Und jetzt die Gegenrechnung: Wir zahlen unseren 30 Mitarbeitern Löhne nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD), und von
diesen Löhnen zahlen diese wieder rund 178.000
Euro an den Staat zurück. Rechnen wir die Arbeitslosenunterstützung von ca. 312.000 Euro
dazu, die wegfällt, weil diese Menschen bei uns
Arbeit gefunden haben, erzielt der Staat letztendlich eine Rendite von 80 Prozent.
Das ist eine ideale Form: Der Staat gibt Zuschüsse, wir geben Arbeit, und das Geld fließt
über die zahlreichen Steuern und Abgaben wieder an den Staat zurück. Dies möchte ich als „social return“ bezeichnen. Schade nur, dass die
sozialen Leistungen zurückgefahren werden.
Ist das so?
Ja. Das ist so. Die sozialen Leistungen werden gekürzt. Die Jobcenter sind nicht mehr in der Lage,
Eingliederungszuschüsse in der Höhe zu gewähren, wie das noch vor zwei oder drei Jahren der
Fall war.
Würden Sie sagen, je mehr Mitarbeiter die
Betriebe haben, desto höher der Gewinn für den
Staat?
Ja. Eine ideale Lösungsmöglichkeit zum Geldsparen des Staates und zur Wiederherstellung der
Würde des Arbeit suchenden Menschen.
Die Bürogruppe von fbb hat
in Teamarbeit ein Motiv für
eine Briefmarke entworfen.
Der Integrationsbetrieb verwendet die von der Deutschen Post genehmigte
„eigene” Marke zum Versand
seiner Post.
fbb
Frankfurter
Beschäftigungsbetrieb gGmbH
Geschäftsführer Karl H. Wieß
Heinrich-Hoffmann-Straße 3
60528 Frankfurt am Main
fon
fax
069 I 71 37 89-90
069 I 71 37 89-919
[email protected]
www.fbb-frankfurt.de
Wir zahlen unseren 30 Mitarbeitern Löhne nach dem Tarifvertrag des öffentlichen
Dienstes, und von diesen Löhnen zahlen diese wieder rund 178.000 Euro an den Staat
zurück. Rechnen wir die Arbeitslosenunterstützung von 312.000 Euro dazu, die wegfällt,
weil diese Menschen bei uns Arbeit gefunden haben, erzielt der Staat letztendlich eine
Rendite von 80 Prozent.
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hoffmanns höfe
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hoffmanns höfe
„Unsere Kompetenz ist es, die Arbeit an die
Mitarbeiter anzupassen, nicht die Mitarbeiter
an die Arbeit“
W
enn Gäste in den hoffmanns höfen einkehren, wissen sie meistens nicht, welche Geschichte das Gebäude aus den 50er Jahren des
20. Jahrhunderts birgt. Es wurde 1959/1960 als
„Haus der Parität“ vom Deutschen Paritätischen
Wohlfahrtsverband errichtet und diente zu
dieser Zeit als Organisationshauptsitz, Tagungsstätte und Schwesternwohnheim. Der Paritätische Wohlfahrtsverband, 1924 im Jahrzehnt der
Weltwirtschaftskrise als Vereinigung der freien
privaten gemeinnützigen Wohlfahrtseinrichtung
e .V. gegründet, ist einer der sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland. Er hat heute seinen Hauptsitz in Berlin.
Als Beispiel für diese gesamte Entwicklung in
den Wohlfahrtsverbänden kann der Ausbau der
Hilfen zur Teilhabe behinderter Menschen am
Arbeitsleben gesehen werden. Aus einfachen Anfängen in den 60er Jahren des vergangenen
Jahrhunderts hat sich bis heute ein differenziertes System entwickelt, das berufliche Teilhabe
mit vielfältigen Anforderungen in mannigfaltigen Arbeitsfeldern bietet. So sind rund 300.000
schwerbehinderte Menschen in über 1.000
Werkstätten für behinderte Menschen tätig, fast
15.000 schwerbehinderte Mitarbeiter zählen die
über 1.000 Integrationsfirmen in Deutschland.
Integrationsunternehmen zwischen Wirtschaftlichkeit und angepasstem Arbeiten.
Auch wenn das vorrangige Ziel die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens ist, zeigt sich im Füh-
rungsstil des Integrationsbetriebs die Maxime:
Zuerst der Mensch und das Ideal eines sinnerfüllten Arbeitens.
Veranstaltung in der Aula
der hoffmanns höfe.
Das Tagungshotel wird von Muhammet Tekin,
gelernter Kaufmann und Ausbilder (IHK), in
seinen Aufgaben koordiniert. Er hilft seinen
Mitarbeitern, die für ein Tagungshotel üblichen
Serviceleistungen gut zu erbringen. Er ist präsent, „wenn etwas rasch gemanagt werden
muss“, und stärkt seinen Mitarbeitern in kritischen Situationen den Rücken. „Nicht alle unsere Mitarbeiter sind körperlich behindert. Da sie
in der Regel eher psychische Probleme haben,
brauchen sie zwar zugewandte Unterstützung,
aber auch Distanz. Es geht um die Wahrung des
Respekts für beide Seiten.“ Auch wenn es das gemeinsame Ziel ist, für alle Anforderungen der
Gäste eine Lösung zu finden, stellt sich, anders
als im normalen Hotelbetrieb, keine kühle Routine ein. „Der Mitarbeiter“, so ein Kunde, der regelmäßig in hoffmanns höfen Tagungen abhält,
Gründung
Die gemeinnützige Gesellschaft für Bildung und berufliche Integration mbH (gbbi)
wurde von sechs Gesellschaftern am 1. Oktober 2006 mit dem Ziel gegründet, Arbeitsund Qualifizierungsplätze für Menschen mit Behinderungen zu schaffen. In ihrem Projekt “hoffmanns höfe” ermöglicht die gbbi das produktive Miteinander von Tagungsgästen, Mietern von Büroräumen und behinderten Mitarbeitern, die im Service des Hauses
arbeiten.
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Der lange, lichtdurchflutete
Flur ist Raum für Begegnung
und Kommunikation.
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„vermittelt das Gefühl, dass er das, was er sagt,
auch meint. Er nimmt seine Aufgabe wirklich
wahr und entwickelt über das Erbrachte einen
Stolz. Wenn man in einem Haus einer Hotelkette
untergebracht ist, hat man häufig den Eindruck,
dass alles perfekt ist und sich am Ablauf nichts
mehr ändert.“ Um das Geschäft professionell zu
organisieren, „aber trotzdem mit zusätzlichem
Engagement dabei zu sein“, so Muhammet Tekin,
der umfassend für seine Mitarbeiter ansprechbar ist, „arbeitet jeder seinen Fähigkeiten gemäß“.
Die Mitarbeiter lernen in gegenseitiger Wertschätzung, wie man den PC bedient, den Kunden anspricht sowie Zimmer und Tagungsräume
vorbereitet. Frau Nasrin Selur, gebürtige Frankfurterin mit türkischem Pass und seit Juli 2009
an der Hotelrezeption, schätzt das stressfreie
Lernen: „Herr Tekin hält den Druck von uns fern,
er will nicht, dass wir uns überlasten, beispielsweise indem wir uns nicht trauen zu fragen.
Diese Haltung gefällt mir. Das gibt mir Sicherheit.“
Da die Arbeit in der Gastronomie und im Hotelbetrieb stets Neues bringt, bedarf es des Muts,
sich auf diese unerwarteten Situationen auch
einzulassen. „Die Mitarbeiter wissen“, so Tekin,
„dass der Geschäftserfolg wesentlich von ihnen
abhängt, und fühlen sich als Teil des Unternehmens.“
Das originäre Bemühen um einen zufriedenen
Gast erlebt der Kunde nun seinerseits als Offenheit. Der ihn umsorgende Mitarbeiter begegnet
ihm mit Respekt, oder wie ein zufriedener Kunde
ganz allgemein von Integrationsbetrieben sagt:
„Gemeinsam ist allen diesen integrativen Tagungshäusern, dass man dort Menschen trifft,
die normale Dienstleistungen erbringen und
einem dabei auf gleicher Ebene begegnen. Das
ist das Besondere, weil man das ja sonst nicht
erwartet.“
Die Erfahrung lehrt dann auch, dass 90 Prozent
der Tagungsgäste wiederkommen. Das Restaurant wird von seinen Stammgästen, dem Personal der umliegenden Kliniken und Institute,
weiterempfohlen.
Geschäftsfelder
Die Geschäftsfelder umfassen: Gastronomie, Hotel- und Tagungsbetrieb – mit 31.000
Gästen, 7.200 Übernachtungen im Jahre 2010 – sowie Vermietung von Einzelbüros und Büroetagen. Die seit vier Jahren stetig wachsenden Erträge aller vier Geschäftsfelder
fließen in den Betrieb zurück.
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hoffmanns höfe
im Gespräch mit
WOLFGANG SCHRANK
Im Hauptberuf verantwortet Wolfgang Schrank
im Frankfurter Verein für soziale Heimstätten,
einem sozialwirtschaftlichen Unternehmen in
Frankfurt, die Bereiche Gemeindepsychiatrie, Arbeit und berufliche Integration. Ursprünglich hat
er Maschinenbauer gelernt und äußert sich im
Folgenden über das Projekt hoffmanns höfe.
Herr Schrank, Sie führen die Geschäfte des Tagungshotels.
hoffmanns höfe sind ein Projekt, das wir parallel
zu unserer Arbeit im Frankfurter Verein entwickeln.
Es gibt wenige Gebäude im Gastronomie- und
Tagungsbereich in Frankfurt, die so schöne Innenhöfe haben wie dieses Gebäude-Ensemble.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Heinrich Hoffmann da gerne gesessen hätte. Heute ist hier das
„Archiv Frau und Musik“ Mieter, das „Paritätische
Bildungswerk“ auch, und wir haben Mieter aus
Kunst, Wissenschaft und der Sozialarbeit. Der Mix
der Szenen sorgt für überraschende Begegnungen
und unerwartete Gespräche auf den Fluren, in den
Tagungsräumen, im Kasino und in den Büros.
Ist das Gemisch der Welten Ihre Firmenphilosophie?
Ja, das ist gewollt. Und mittendrin spielen die
behinderten Mitarbeiter eine wichtige Rolle bei
der Reservierung, an der Rezeption, in den Zimmerdiensten und der Gastronomie. Das ist unsere Vorstellung von gelebtem Miteinander und
das funktioniert wirklich gut und macht allen
einen Riesenspaß. Die Mitarbeiter erleben, wie
sie gebraucht, geschätzt und akzeptiert werden.
Sie erleben schon, dass hier Integration wirklich
gelebt wird?
Auf jeden Fall. Es kommt meiner Idealvorstellung
schon sehr nahe.
Was müssen Sie an Voraussetzungen schaffen,
damit die Behinderungen innerhalb dieser Arbeitsstruktur gut kompensiert werden können?
Wir sagen: Jeder Mensch kann am Arbeitsleben
teilnehmen – jeder. Der Vorgang, eine Suppe
auszugeben oder ein Zimmer gästefertig zu machen oder eine Reservierung aufzunehmen, ist
an sich immer gleich. Bei manchen dauert das
länger, bei manchen muss die Arbeit in Schritte
untergliedert werden, ein anderer braucht eine
Hilfsvorrichtung oder es müssen zwei Personen
statt einer da sein. Unsere Kompetenz ist es, die
Arbeit an die Mitarbeiter anzupassen, nicht die
Mitarbeiter an die Arbeit.
Grundsätzlich?
Wer ein Reservierungssystem am PC bedienen
muss, sollte selbstverständlich lesen und
schreiben können. Aber unter denen, die das
potenziell können, sind ja viele, die auf dem
ersten Arbeitsmarkt nie eine Stelle bekämen. Und
an diese passen wir die Arbeit an. Und das funktioniert gut.
Glauben Sie, dass das anderen Unternehmen
auch gelingen könnte?
Mit dem Ziel der Integration würde es ihnen gelingen, mit dem Ziel der Profitmaximierung gelingt es nicht. Wir wollen mit hoffmanns höfen
selbstverständlich ein lukrativer Betrieb sein,
aber der Gewinn dieser Firma wird nicht privati-
In Zahlen (2010)
Umsatz
Personalaufwand
Öffentliche Förderung
Anzahl der Mitarbeiter
1.276.000 Euro
81.000 Euro
94.000 Euro
11 Personen
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Institut und der Blutspendedienst angesiedelt.
Wir haben kaum bürgerliche Nachbarn, sondern
eher medizinisch-wissenschaftliche Institutionen. Da werden Räume für Tagungen und
Konferenzen benötigt und es gibt den einen oder
anderen, der möchte mittags in der Kantine
nicht immer mit denselben Leuten zusammensitzen, die er schon den ganzen Tag sieht.
siert und ausgeschüttet, sondern der bleibt im
Unternehmen.
Die Räumlichkeiten der
hoffmanns höfe sind hell,
freundlich und funktional
gestaltet.
Was Sie entwickeln, ist etwas, das die Gesamtgesellschaft leisten sollte?
Wenn alle Betriebe das so machen würden, gäbe
es überhaupt keinen Widerspruch von meiner
Seite. Aber darauf zu warten, dass sich die Gesamtgesellschaft und die Welt ändern, dazu
reicht die Zeit nicht mal. Wir fangen lieber bescheiden an: Diese fünf Integrationsbetriebe in
Frankfurt (in dieser Broschüre vorgestellt), in
denen zusammen 120 oder 150 Menschen arbeiten, kooperieren zum Teil sehr eng mit den
Werkstätten für behinderte Menschen, die ihrerseits noch mal 2.000 Personen allein in Frankfurt
beschäftigen. Und diese 2.200 schwerbehinderten Menschen sind doch schon etwas!
Was macht hoffmanns höfe für die Nachbarschaft attraktiv?
hoffmanns höfe liegen mitten im MedizinWissenschafts-Distrikt der Universität in Niederrad. In unmittelbarer Nähe sind die Psychiatrie,
die Orthopädie, die Neurologie, das Max-Planck-
Wie wirken Behinderungen von Mitarbeitern auf
die Zusammenarbeit?
Durch das alltägliche Miteinander geht im guten
Sinne das Gefühl dafür verloren, wer behindert
und wer nicht behindert ist. Man erlebt, dass ein
Mensch mit Behinderung Stärken und Schwächen hat, aber auch einer ohne Behinderung.
Vielleicht muss ich mich morgen über einen Kollegen ärgern, der behindert ist, und übermorgen
ärgere ich mich über einen, der nicht behindert
ist. Mit der Freude ist es das Gleiche.
Bilden Sie Ihre Leute weiter?
Ja. Die weitergehende Qualifizierung findet
immer bezogen auf das, was jemand konkret
macht, statt. Die Mitarbeiter an der Rezeption
benötigen z. B. einen Englisch-Auffrischungslehrgang, um sich mit den ausländischen Gästen kompetenter auf Englisch zu verständigen.
Andere Mitarbeiter wünschen eine Programmschulung für das Hotel-Buchungssystem oder
eine Einweisung in die Bedienung der Registrierkasse. Das machen wir dann. Im Augenblick
haben wir im Bereich Zimmerservice behinderte
Mitarbeiter, die gerade lernen, wie ein Zimmer
gästefertig hergerichtet wird.
Der Integrationsbetrieb kombinat ist der Caterer
in hoffmanns höfen, quasi Subunternehmer.
Geht das gut?
Blitzlicht
Herr Schrank, was haben Sie von Ihren gehörlosen Mitarbeitern gelernt?
Ich habe gelernt, dass für gehörlose Menschen der alltägliche Gebrauchswert eines Handys –
eines Standardgeräts – viel wichtiger als für unsere Hörenden sein kann. Und für junge gehörlose Leute ist es – so mein Eindruck – besonders „cool“, weil sie das so gut wahrnehmen
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hoffmanns höfe
Ja. Aber wir hatten u. a. die Aufgabe, dem
Gastro-Team klarzumachen, dass man Zuneigung und Wertschätzung für den Gast nicht
durch die Größe der Portionen ausdrückt. Normale Portionen sehen ja nicht nur besser aus, sie
überfordern den Gast auch nicht. Das müssen
die Mitarbeiter lernen. Man ist freundlich und
fragt, was jemand will, und drängt ihm nichts
auf. Das ist kein einfacher Rollenwechsel. Die
Positionen sind vertauscht: vom Nehmenden
zum Gebenden und umgekehrt. Jetzt erbringen
die behinderten Mitarbeiter für den Sozialarbeiter eine Leistung. Üblicherweise erbringt der
Sozialarbeiter für die Person mit Behinderung
eine Leistung. Für ihn wird aber nun eine Leistung erbracht, für die er bezahlt. Als Gast will der
Sozialarbeiter ein Essen, und er wird vom
Servicepersonal bedient.
Der Sozialarbeiter muss als Gast auch umdenken.
Nein, der wird ja hoffentlich wie in einem vernünftigen Restaurant bedient. Es ist eher ein
verwundertes Wahrnehmen. „Aha, das geht so
und das funktioniert.“ Es trägt ja keiner von den
behinderten Mitarbeitern ein Schild: Ich bin behindert. Man muss sich immer seinen Teil denken. Mal geht’s nicht so schnell, mal geht’s
schnell und mal ist ausnahmsweise der Daumen
dann doch auf dem Teller und nicht nur am Tellerrand. Das muss der Gast halt abkönnen.
Welche Einschränkungen haben die Mitarbeiter,
die bei Ihnen tätig sind?
Wir haben eine ganze Reihe von Mitarbeitern,
die sind gehörlos, es gibt Mitarbeiter, die psychisch behindert sind, und es gibt Mitarbeiter,
die eine körperliche Behinderung haben.
Sind die Kunden zufrieden?
Das ist wie im richtigen Leben. Es gibt wahrscheinlich den einen oder anderen, der nicht zufrieden ist, der sich ärgert und nach Hause geht
und nicht wiederkommt. Es gibt Gäste, die sind
nicht zufrieden und melden sich. Und es gibt
einen großen Teil von Gästen, die sehr zufrieden
sind, die das Projekt sehr gut finden und uns das
sagen. Wir reden mit denen, die nicht zufrieden
sind, und prüfen, ob die Beschwerde nachvollziehbar ist, und versuchen, uns zu verbessern.
Wir haben durch die Rezeption einen sehr engen
Kontakt zu unseren Gästen.
Stellen Sie Veranstaltungstechnik wie Beamer
und Laptop zur Verfügung?
Ja, gerne, wenn es planbar ist. Manchmal wird
vom Kunden gesagt, wir brauchen keine Beamer,
und um halb 10 fällt dem Vortragenden ein, er
braucht doch einen Beamer oder er muss doch
einen Overheadprojektor haben. Wie die Welt so
ist.
Die Techniker sind …
… unsere Mitarbeiter, die wissen schon, wie das
geht.
Sind die Mitarbeiter zufrieden?
Da fragen Sie mal die Mitarbeiter. Mein Eindruck
ist, dass die Mitarbeiter sehr zufrieden sind. Dass
die Arbeit hier für viele richtig gut ist.
Sie haben aber auch ein sozialarbeiterisches
Konzept.
Wir haben, so weit ich es heute sehe, ein gutes
betriebswirtschaftliches Konzept und ein attraktives Konzept für einen lernenden, intelligenten
Betrieb. Wir wollen, dass die Gäste und Mitarbeiter sagen: Da gehe ich gerne hin, das ist gut
bei denen.
hoffmanns höfe
Ein Betrieb der gemeinnützigen
Gesellschaft für Bildung und
berufliche Integration mbH
Geschäftsführer Wolfgang Schrank
Heinrich-Hoffmann-Straße 3
60528 Frankfurt am Main
fon
fax
069 I 67 06–100
069 I 67 06–111
[email protected]
www.hoffmanns-hoefe.de
wie Hörende. Da heute jedes Gerät über Vibrationsalarm verfügt, werden auch gehörlose Personen eindeutig auf ankommende Nachrichten hingewiesen. Und dank dem Lesen und Schreiben von
SMS-Nachrichten werden die Handys fast wie Bildtelefone genutzt. Für viele gehörlose Menschen haben sich dadurch die Kommunikationsmöglichkeiten enorm verbessert.
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kombinat
„Planen wie die Dombaumeister:
vom Geheimnis der Integrationsbetriebe“
A
ls Tochterunternehmen des Frankfurter
Vereins für soziale Heimstätten wurde 2002
kombinat, die „kombinierte Beschäftigungsinitiative für neue Arbeit”, gegründet. Der Name
ist Programm, denn der Betrieb integriert Menschen mit Handicaps in unterschiedliche Berufe
und ermöglicht damit ein auskömmliches
Erwerbsleben. Seit einem Jahrzehnt bewährt er
sich in der Geschäftsform gGmbH, besteht doch
seine Aufgabe darin, diesem Personenkreis
handwerkliche Ausbildung und Qualifikation zu
bieten.
In einem Gebäude der Konrad-Broßwitz-Straße
in Frankfurt-Bockenheim liegt das Betriebsbüro
der Firma. In weiteren Räumen befinden sich Arbeitsmaterialien, Maschinen, Aufenthaltsgelegenheiten und Spinde für die Beschäftigten. An
einer Tür hängt als Broschüre das Betriebsverfassungsgesetz und eine Betriebsrätin ist hier
fürs gesamte Unternehmen aktiv. kombinat bietet Menschen mit und ohne Behinderung auf
dem ersten Arbeitsmarkt Arbeitsplätze in den
Bereichen Gastronomie, Maler- und Renovierungshandwerk und mehr. Bezüge bestehen
auch zwischen den Frankfurter Integrationsbetrieben selbst: So sind Einsatzorte für die Maler
und Hausdienstler auch das Tagungshotel hoffmanns höfe und der Frankfurter Verein. Es sieht
aber ganz so aus, als ob kombinat sich nicht nur
dank der Betriebsführung des Kulturhauses
„Mainfeld – Raum für Kultur“ neue Bereiche
eröffnet, sondern auch immer mehr private
Kunden erreicht.
Malereibetrieb und Gastronomie zwischen
Motivation und Geschäftssinn
Seit 2001 ist Karl H. Wieß, der aus dem Personalbereich eines Banken- und Versicherungsunternehmens kommt, ehrenamtlich engagierter
Betriebsleiter von kombinat-Betrieb und sorgt
dort auch für die Ausbildung. Zwei Maler-Azubis
erwarben mittlerweile in dem Integrationsunternehmen das handwerkliche Können für die Gesellenprüfung. Unabdingbar aber, so Wieß, der
in seinem Büro Kunstwerke seiner Mitarbeiter als
Dauerleihgabe ausstellt, ist „der wirtschaftliche
Gedanke“. Neben dem Frankfurter Verein arbeitet
das Unternehmen u. a. für Wohnungsbaugesellschaften, das Rote Kreuz und Privatleute als
Gründung
Die kombinierte Beschäftigungsinitiative für neue Arbeit kombinat wurde 2002 als
gGmbH mit der Absicht gegründet, Menschen mit Behinderung einen Eintritt in den
ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Alleiniger Gesellschafter zu 100 Prozent ist
der Frankfurter Verein für soziale Heimstätten e. V.
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Kunden. Im Falle der Renovierung eines denkmalgeschützten Hauses brachte dies der Malermannschaft „das Lob des Denkmalschutzes und
des auftraggebenden Architekten ein“. „Dahinter
stand viel Motivationsarbeit“, erinnert sich Karl
Wieß, „aber auch der Teamgeist unter den Malern.
Wenige Menschen geben zu, dass sie manches
nicht können. Unsere behinderten Mitarbeiter
sind da keine Ausnahme.“ Bei der Vielzahl der
Baustellen gebe es eine Menge Einsatzorte, so
Wieß, der zugleich an hoffmanns höfe denkt,
einen Integrationsbetrieb mit Tagungshotel in
einem Gebäudekomplex aus den 50er Jahren.
Gastronomin Daniela Hansen
liegt das Wohl der Mitarbeiter
und der Gäste am Herzen.
Die Küche des Tagungshotels wird im Auftrag
von hoffmanns höfen von der kombinats-Gastronomin Daniela Hansen geführt. Frau Hansen,
die einmal Kneipenbesitzerin war, hat dazugelernt: „Vorher habe ich mich in Arbeitszusammenhängen nicht auf die Sorgen anderer
bezogen. Hier tue ich das.“ Und sie spricht von
der Kraft und dem Sachverstand, die ihr selber
zugetraut wurden, um die Interessen anderer zu
vertreten. Im Restaurantbetrieb klärt sie manche
Missverständnisse, etwa wenn ein Gast einen
gehörlosen Mitarbeiter ruft und sich wundert,
dass dieser nicht kommt. „Unser Mitarbeiter liest
von den Lippen ab, er hat Sie nicht gesehen!“
Diese Atmosphäre von Offenheit wird an die
Kunden weitergegeben, die erstaunt und erfreut
sind, dass es so gut läuft.
Horst Buchenauer, der viel mit Handwerkern zu
tun hat und gut die Konkurrenz im Handwerk
vergleichen kann, lobt seinerseits die Zusammenarbeit der Malermannschaft aus dem kombinats-Betrieb, die seine Wohnung renoviert hat.
„Wenn mal was schiefging“, so der Kunde, der
neben der Beratungskompetenz vor allem die
Ehrlichkeit von Herrn Wieß und seiner Assistentin, Frau Wötzel, schätzt, „wurde das durch den
persönlichen Kontakt bestens gelöst.“
Geschäftsfelder
Die Geschäftsfelder von kombinat umfassen Gastronomie, Hauswirtschaft und Gebäudereinigung
sowie Maler- und Renovierungshandwerk. Seit September 2009 betreibt kombinat auch das
Kulturhaus „Mainfeld – Raum für Kultur“ in Frankfurt am Main-Niederrad, seit dem Sommer
2011 den Gastro-Ponton in Frankfurts Licht- und Luftbad LiLu.
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kombinat
im Gespräch mit
PETER HOVERMANN
Peter Hovermann ist Geschäftsführer des
Frankfurter Vereins für soziale Heimstätten
und von kombinat – Kombinierte Beschäftigungsinitiative für neue Arbeit.
Wie kam der Frankfurter Verein dazu, mit der
Unternehmensgründung kombinat an den Markt
zu gehen?
Der Frankfurter Verein entwickelte sich aus der Arbeit auf der Straße. Es gibt einen Arbeiterroman
von Anfang der 30er Jahre, der heißt Schluckebier, in dem wird ein Mann beschrieben, der in den
10er und 20er Jahren des letzten Jahrhunderts
durch die Lande zieht. In dem Roman ist auch eine
unserer Einrichtungen verewigt: der Rote Hamm,
damals noch eine Arbeiterkolonie. Heute befinden
sich dort eine Werkstatt und eine Wohnstätte für
psychisch behinderte Menschen. Der Auftrag des
Frankfurter Vereins war es damals, den jungen
Männern, die die Großstadt wie ein Magnet
anzog, eine Arbeit zu geben. Denn auch im damaligen Frankfurt am Main gab es kaum Beschäftigungsmöglichkeiten.
Damals war das das Ende des Kaiserreichs und
der Anfang der Weimarer Republik.
Ja. Da liegen unsere Wurzeln. Nach dem Zweiten
Weltkrieg haben wir mit der Obdachlosenarbeit
weitergemacht. Aber dann mit der Psychiatrie-Enquête in den 1970er Jahren kamen die Einrichtungen für psychisch kranke Menschen hinzu, im
Rahmen der Enthospitalisierung. Und wenn es um
Normalität geht, ist das zentrale Thema neben
dem Wohnen auch die Arbeit. In den 1970er Jahren sind die ersten Werkstätten nur für Menschen
mit psychischen Behinderungen errichtet worden,
was damals ungewöhnlich war. Die Werkstätten
haben einen gesetzlich geschützten Rechtsstatus.
Es handelt sich dabei um ein Beschäftigungsverhältnis eigener Art, bei dem u. a. Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen sind. Vor vielen Jahren
haben wir auch eine solche Reha-Werkstatt für
Obdachlose aufgebaut, von denen ein Großteil
suchtkrank und/oder psychisch krank war, allerdings ohne den anerkannten Rechtsstatus der
Werkstätten für behinderte Menschen.
Was war Ihre Philosophie bei diesen Angeboten?
Es war immer das Ziel, realitätsnahe Beschäftigungsverhältnisse zu finden. Viele Werkstätten
hingegen hatten anfangs eher eine Ausrichtung
auf Bastelarbeiten. Wir haben immer das Credo
möglichst großer Arbeitsmarktnähe vertreten.
Auch das garantiert zwar keinen automatischen
Übergang in den ersten Arbeitsmarkt. Es ist aber
ein Unterschied, ob ich eine Beschäftigung habe,
deren Ergebnis einen eher geringen wirtschaftlichen Nutzen hat, oder ob sie unter eher normalen Bedingungen abläuft und eine Vielfalt an
Arbeitsaufgaben bereitstellt. Normalität ermöglicht auch hier Integration. Wir haben im Laufe
der Zeit gesehen, dass bei einer guten Anleitung
viel möglich wird. Um das Jahr 2000 herum ist
uns aber klargeworden, dass wir weitergehen
müssen. Schwerbehinderte Menschen können
arbeitsmarktnahe Beschäftigungen ausüben,
wenn sie ordentlich begleitet und angeleitet
In Zahlen (2010)
Umsatz
Personalaufwand
Öffentliche Förderung
Anzahl der Mitarbeiter
1.714.000 Euro
948.000 Euro
183.000 Euro
56 Personen
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gänge erleichtert werden, zum anderen sollten
aber alle Angebote so organisiert sein, dass der
Anspruch einer möglichst realitätsnahen Arbeit
bleibt. Diese muss aber an den Klienten so angepasst werden, dass sie zu ihm passt und nicht
umgekehrt.
werden. Psychisch behinderte Menschen erbringen phasenweise Spitzenleistungen. In Zeiten
einer psychischen Krise geht zwar nur wenig,
dann schöpfen sie aber wieder Kraft und können
auf hohem Niveau weiterarbeiten, vielleicht aber
eben nur bis zur nächsten Krise.
Sie brauchen Unterstützung, die ihnen die Angst
nimmt.
So ist es. Während der Krisenphase müssen sie
gut begleitet werden. Wie gute Begleitung aussieht und wie Krisen rechtzeitig erkannt, gemildert oder verhindert werden können, gehört zum
spezifischen, in vielen Jahren praktischer Arbeit
erworbenen Know-how im Frankfurter Verein, und
dieses Wissen ist in unsere Firma kombinat eingeflossen.
Also bestand schon vorher ein Wissen über Begleitung, um im Arbeitsalltag zu bestehen?
Ja, schon vor dem Jahr 2000 wurde sowohl in
Hessen und als auch in der ganzen Bundesrepublik klar, dass die Werkstätten zusammen mit
dem Integrationsfachdienst die Integration der
Betroffenen in den ersten Arbeitsmarkt alleine
nicht schaffen. Um die Jahrtausendwende wurde
in Hessen das Konzept einer „Agentur für angepasste Arbeit“ entwickelt: Zum einen sollten in
dieser Agentur alle bestehenden Angebote integriert und miteinander verzahnt und die Über-
Das hat auch Herr Schrank, Geschäftsführer von
hoffmanns höfe, formuliert.
Ja, genau. Und dann haben wir die Sachlage in
Frankfurt am Main analysiert: Die Integrationsfachdienste gab es schon, damals noch mit einer
gesunden und vernünftigen Finanzierung. Das
ist heute anders. Die Werkstätten gab es auch,
und auch die Tagesstätten. Was gefehlt hat, das
waren weitere Möglichkeiten, über den Integrationsfachdienst hinaus, die mehr Integration in
den ersten Arbeitsmarkt ermöglichen.
Da haben sie eine Brücke von den Werkstätten
zum ersten Arbeitsmarkt gebaut.
Ja, und zwar in zwei Richtungen. Zum einen ging
es darum, unsere Organisation in Produktion
und Anleitung von Menschen mit Behinderungen, die wir bisher nur im Rahmen unserer
Werkstätten umgesetzt hatten, auch gewerblichen Unternehmen zur Verfügung zu stellen:
also der Direkteinsatz beim betrieblichen Kunden. In den Werkstätten, in denen es um hochwertige Produkte geht, sind wir ziemlich weit
vorn. Es gibt eine Reihe von Spezialprodukten,
die nur wir machen und vertreiben. Die setzen
ein hohes technisches Know-how, aber auch ein
hohes Fertigungswissen bei den Mitarbeitern
voraus.
Sind das die Archivierungsleistungen etwa?
Ja, aber auch weitere hoch spezialisierte Leistungen der Elektrotechnik, wie etwa der Lectron-
Blitzlicht
Herr Wieß, was empfehlen Sie Gründern von Integrationsbetrieben?
„Die Gründer müssen zunächst die wirtschaftlichen Bedingungen des Betriebs sicherstellen,
bevor sie die Betreuung des Menschen in den Vordergrund stellen.“
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kombinat
Baukasten, entworfen vom Braun-Designer
Dieter Rams. Diesen Elektronikbaukasten, mit
dem ursprünglich Schüler experimentierten,
haben wir mit ehemaligen Industriefachleuten
zu einem hoch spezialisierten Produkt für Berufsschulen und Universitäten weiterentwickelt.
Erste Erfahrungen hatten wir schon damals mit
ausgelagerten Arbeitsplätzen gesammelt. Unsere
Kunden kamen seinerzeit zu uns und sagten: „Es
ergibt keinen Sinn, dass ihr bestimmte Sachen in
euren Werkstätten konfektioniert, kommt doch
zu uns und macht das hier.“
Ein aktuelles Beispiel ist die Poststelle des Integrationsbetriebs fbb im Staatlichen Schulamt
von Frankfurt am Main.
Zum Beispiel. Oder die Logistikabteilung in einem
mittelstädtischen regionalen Maschinenbauunternehmen, die mittlerweile komplett von den
Mitarbeitern einer Werkstatt geführt wird. Und die
wesentliche Erfahrung war die, dass allein dieses
Tätigsein außerhalb der Werkstatt noch mal
einen Integrationsschub für die allermeisten
Klienten bot.
Der Beschäftigte eines Unternehmens integriert
den behinderten Mitarbeiter, der dazukommt?
Nicht unbedingt. Es wird oft schwierig, wenn behinderte Menschen einfach in die Arbeitsprozesse
eines fremden Unternehmens integriert werden
sollen. Das geht nur in Ausnahmefällen gut, weil
es eben an der erforderlichen Begleitung fehlt. Ein
gutes Beispiel ist die angesprochene Logistikabteilung. Hier ging das zusätzliche Know-how aus
den Werkstätten, die ja auch Wirtschaftsbetriebe
sind, in die Logistik eines gewerblichen Unternehmens über. Und die Stammmitarbeiter des
Unternehmens haben sich gewundert, dass das
Warenlager jetzt viel besser läuft als zuvor.
Etwas Neues tickt im Unternehmen: vielleicht
eine Art Entschleunigung von Zeit?
Nun ja, die Anforderungen innerhalb der Prozesskette des Unternehmens bleiben eng getaktet. Wir
müssen sehen, wie wir das so organisieren können, dass unsere Mitarbeiter, die partielle Einschränkungen haben, dies trotzdem hinkriegen.
Wenn man sich die alten Kirchenbauwerke, etwa
einen Dom aus der Gotik, anschaut, dann bemerkt man, dass die Dombaumeister, die kaum
theoretische Kenntnisse über Statik hatten,
gleich mehrfach doppelte Sicherungen eingebaut haben. So machen wir das auch. Das ist ein
Geheimnis unseres Erfolgs.
Und die zweite Richtung haben Sie dann mit der
Gründung von Integrationsbetrieben eingeschlagen?
Unsere Anschlussfrage war damals: Welche
Branchen sind noch geeignet, in denen es Menschen mit Behinderungen mit Anleitung und
Begleitung schaffen könnten, dauerhaft wirtschaftlich ausreichende Ergebnisse zu erzielen?
Da haben wir uns entschieden, selbst ein Unternehmen als Integrationsbetrieb zu gründen und
zu führen wie ein normales gewerbliches Unternehmen. Unser Know-how in wirtschaftlicher
Betriebsführung und Unterstützung von behinderten Menschen aus unseren Werkstätten kam
uns dabei zugute. Dem noch deutlich größeren
Maß an Normalität entsprechend, mussten wir
uns aber auch neuen Integrationsaufgaben
stellen, z. B. der Frage: Wie können wir behinderte Menschen im Betrieb, die gute Leistungen
zeigen, im Sinne normaler Personalentwicklung
so begleiten, dass sie Vorarbeiter- und Führungsaufgaben übernehmen können?
Farbe und Pinsel kommen
bei den Mitarbeitern von
kombinat auch künstlerisch
zum Einsatz.
kombinat
Kombinierte Beschäftigungsinitiative
für neue Arbeit GmbH
Geschäftsführer Peter Hovermann
Konrad-Broßwitz-Straße 11
60487 Frankfurt am Main
fon
fax
069 I 71 91 59 84
069 I 77 06 78 60
[email protected]
www.kombinat-frankfurt.de
Menschen auch mit einer schweren Behinderung können arbeitsmarktnahe Beschäftigungen
ausüben, wenn sie ordentlich begleitet, angeleitet und motiviert werden.
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Information für Wirtschaftsunternehmen
Zuschüsse für alle
Integrationsprojekte sind rechtlich und wirtschaftlich selbstständige Unternehmen, die der normalen
Realwirtschaft und dem ersten allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnen sind. Integrationsunternehmen beschäftigen für ihre Produktion oder Dienstleistungserstellung Menschen mit und Menschen
ohne Behinderung. Sie erhalten dazu nur die finanziellen Förderungen, wie sie alle privaten Wirtschaftsunternehmen beanspruchen können. Das sind im Wesentlichen Mittel der Integrationsämter
aus der Ausgleichsabgabe sowie Eingliederungszuschüsse der Agenturen für Arbeit.
Wirtschaftsunternehmen aller Rechtsformen können sich bei Interesse an Zuschüssen für die
Beschäftigung behinderter Menschen an die Integrationsämter, die örtlichen Agenturen für Arbeit
oder den Integrationsfachdienst vor Ort wenden.
Landeswohlfahrtsverband Hessen
Integrationsamt
Kölnische Straße 30
34117 Kassel
Tel.: 0561 1004-0
www.lwv-hessen.de
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Impressum
Herausgeber
Frankfurter Beschäftigungsbetriebe gGmbH
Autoren
Beate Glinski-Krause
Günter Neeßen
Gerhard Pfannendörfer (Koordination)
Fotos
Sandra Heep
DialogMuseum (S. 16–21)
Druck
Reha-Werkstatt Rödelheim
Gestaltung
Bettina Hackenspiel
Dank
Diese Broschüre über Integrationsbetriebe in
Frankfurt am Main wurde durch die Unterstützung
von Melanie Radke ermöglicht.
Als sozialpolitisch interessierte Bürgerin der Stadt
Frankfurt am Main und als langjähriges Mitglied der
SPD verfolgt Melanie Radke die vielfältigen Initiativen und Aktivitäten, die in unserer Gesellschaft für
und mit schwerbehinderten Personen organisiert
werden, um ihnen eine Teilhabe am Arbeitsleben zu
ermöglichen. Als kritische Begleiterin ist sie in die
Diskussion über die wirtschaftliche Entwicklung der
Integrationsunternehmen und ihre sozialpolitischen
Konzepte eingebunden.
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