Integrationsbetriebe in Frankfurt am Main
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Integrationsbetriebe in Frankfurt am Main
07.12.2011 20:37 Uhr Seite 1 Integrations betriebe in Frankfurt am Main Cook Company I DialogMuseum I fbb I hoffmanns höfe I kombinat » Integrations betriebe in Frankfurt am Main Umschlagseiten_neu:Layout 1 Keine Arbeit ist so beschwerlich, dass man sie nicht der Kraft dessen, der sie verrichtet, anpassen könnte. Vorausgesetzt, dass die Vernunft « und nicht die Habsucht sie regelt. Montesquieu, 1689-1755 IB_Editorial_02-09:Layout 1 21.11.2011 21:51 Uhr Seite 4 IB_Editorial_02-09:Layout 1 21.11.2011 21:51 Uhr Seite 5 Integrationsbetriebe in Frankfurt am Main Cook Company Seite 10 DialogMuseum Seite 16 fbb Seite 22 hoffmanns höfe Seite 28 kombinat Seite 34 5 IB_Editorial_02-09:Layout 1 21.11.2011 21:51 Uhr Seite 6 Editorial Soziale Unternehmen behaupten sich am Markt Die Erfolgsgeschichte der Integrationsfirmen von Arnd Schwendy Arnd Schwendy war bis 2003 Leiter des Sozialamtes der Stadt Köln. Er war bis 2010 Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen, deren Beirat er jetzt angehört. D ie fünf Frankfurter Integrationsfirmen, die dieses Heft vorstellt, sind Teil eines Netzwerkes von rund 600 sozialen Unternehmen, die mindestens 20 Prozent ihrer Arbeitsplätze mit behinderten Menschen besetzen, also deutlich mehr als gesetzlich verlangt. Nach dem Urteil des CDU-Sozialpolitikers Karl-Josef Laumann sind sie „unverzichtbar, wenn behinderte Menschen mit besonderen Eingliederungshemmnissen eine faire Chance auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben sollen“. Als Sozialminister in Nordrhein-Westfalen hatte Laumann daher mit den Integrationsämtern Rheinland und Westfalen-Lippe ein 20-Millionen-Programm zur Schaffung weiterer 1.000 Arbeitsplätze in derartigen Firmen gestartet. Schon vorher hatte seine Kollegin Malu Dreyer für Rheinland-Pfalz Erfolge mit ähnlichen Bemühungen. Als Anfang der 1980er Jahre in Freiburg im Breisgau, Gütersloh, Münster und Walldorf die ersten Versuche starteten, für Arbeitslose mit schweren psychischen Beeinträchtigungen kleine Firmen zu schaffen, ernteten die Gründer nichts als Spott und Hohn aus den Kreisen der etablier- ten Reha- und Arbeitsmarktpolitik. Sie erblickten in den damals so genannten Selbsthilfe-Firmen eine Gefährdung der Qualitäts- und Sicherheitsstandards der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). Sie übersahen dabei freilich, dass deren Unfähigkeit, neben Menschen mit geistigen oder schweren körperlichen Handicaps auch ehemalige Psychiatrie-Patienten aufzunehmen, diese Form der Selbsthilfe erst erforderlich gemacht hatte. Es gab damals nur wenige auf psychisch Beeinträchtigte spezialisierte WfbMs, wie beispielsweise pionierhaft in Frankfurt am Main. Was war der Auslöser der Entwicklung? In den späten 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden im Zuge der Umsetzung der Psychiatrie-Enquête überall die großen psychiatrischen Anstalten verkleinert. Es entstanden psychosoziale Hilfevereine, die in den Städten und Kreisen ambulante Hilfen, Kontaktstellen und kleine Heime für die ehemaligen „Anstaltsinsassen“ schufen. Was aber – nicht zuletzt wegen der Negativentwicklungen am Arbeitsmarkt – zunehmend fehlte, waren Arbeitsplätze. Die Stiftung Freudenberg des Weinheimer Familienunternehmens nahm sich der IB_Editorial_02-09:Layout 1 21.11.2011 Sache an. War doch Dr. Rudolf Freudenberg, ein vor den Nazis nach England geflohener Sozialpsychiater, einer der Pioniere der beruflichen Reintegration psychisch Kranker. Er konnte zusammen mit Douglas Bennett bei der Vorbereitung der Auflösung eines Großkrankenhauses in London praktisch und wissenschaftlich belegen: Patienten, die unter weitgehend normalen Bedingungen arbeiten dürfen, gesunden schneller, wiedererkranken seltener, finden leichter den Weg zurück in die Gesellschaft, weil die Arbeitnehmerrolle ihr Selbstvertrauen stärkt und ihren sozialen Status hebt – beides heikle Punkte im Leben langfristig psychisch Kranker. Die Freudenbergstiftung erkannte die betriebsund marktwirtschaftlichen Defizite der ersten Selbsthilfefirmen-Gründer und stellte ihnen daher eine fachkompetente Beratung zur Seite, nämlich die Fachberatung für Arbeits- und Firmenprojekte (FAF). Diese berät Gründer und Finanzierer und begleitet mit Teams in mehreren Bundesländern das Werden und Wachsen der Firmen. Die FAF war zunächst ein Verein, dem sich immer mehr Projekte anschlossen, um auch ihre sozialpolitischen Forderungen gemeinsam zu vertreten. Da unabhängige Fachberatung und Lobbyarbeit aber zwei paar Schuhe sind, wurden diese Funktionen getrennt: Für die fachpolitische Interessenvertretung wurde die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsfirmen e. V. (BAG-IF) gegründet, die FAF wurde in eine gemeinnützige GmbH umgewandelt. Beharrliche Überzeugungsarbeit im politischen Raum, ein Modellprogramm des Bundesarbeitsministeriums sowie Studien der FAF im Auftrag der Arbeitsministerien von Nordrhein-Westfalen und Bayern führten schließlich dazu, dass der 21:51 Uhr Seite 7 Widerstand gegen die neue Beschäftigungsform schwand. Im Sozialgesetzbuch IX, das die Teilhabe behinderter Menschen in allen Lebensbereichen international vorbildlich regelt, wurden 2001 Bestimmungen zur Aufgabe, Struktur und Finanzierung der Integrationsprojekte, wie die Selbsthilfefirmen jetzt heißen mussten, aufgenommen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen wurde zu ihrer Vertretung im Beirat des Bundesarbeitsministeriums bestimmt. Kern der gesetzlichen Regelung war das, was die Gründer wollten, nämlich keine weitere Sondereinrichtung, sondern eine Positionierung im normalen Arbeitsleben. Daher sind die Integrationsunternehmen ausdrücklich als Teil des allgemeinen (und nicht des besonderen oder des zweiten Arbeitsmarktes) definiert. Das bedeutet: Die behinderten Mitarbeiter haben die gleichen Rechte wie alle anderen Arbeitnehmer. Die Unternehmen müssen sich am Markt behaupten. Sie erhalten im Grunde die gleichen finanziellen Hilfen wie jeder andere Arbeitgeber, der sich besonders für die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen engagiert, auch: Investitionskostenzuschüsse fachliche Beratung Minderleistungsausgleiche zur Kompensation der Wettbewerbsnachteile, die sie gegenüber anderen Anbietern haben, die nur voll Leistungsfähige beschäftigen. Diese Hilfen werden ergänzt durch Zuschüsse der Aktion Mensch, die hier wesentliche Entwicklungsimpulse gibt, sowie z. T. durch Stiftungen auf Länder- und Regionalebene. Voraussetzung dafür ist jeweils die Gemeinnützigkeit der Antragsteller. 7 IB_Editorial_02-09:Layout 1 21.11.2011 21:51 Uhr Seite 8 Das Wichtigste ist der Minderleistungsausgleich, der inzwischen auf rund 30 Prozent der Nettolohnkosten abgesenkt wurde. Das bedeutet: Ein schwerbehinderter Beschäftigter in einer Integrationsfirma sollte eine Leistungsfähigkeit von 70 Prozent haben. Um zu ermitteln, ob das im Einzelfall möglich oder erreichbar ist, bieten die Unternehmen im Auftrag der Arbeitsverwaltung die unterschiedlichsten betrieblichen Fördermaßnahmen an. Wer sich positiv entwickelt, kann – vorausgesetzt, die Auftragslage lässt es zu – übernommen werden. Diese Perspektive ist für Motivation und Stabilität der Betroffenen äußerst bedeutsam, denn viele sind schon jahrelang von Maßnahme zu Maßnahme gereicht worden. Die Firmenprojekte der Gründerjahre waren ganz auf Menschen mit psychiatrischen Vorgeschichten ausgerichtet; hier herrschte schließlich der größte Nachholbedarf. Inzwischen aber haben auch andere Gruppen von Behinderten den Weg in die Firmen gefunden: Menschen, die früher 30 Integrationsunternehmen sind in vielen Branchen aktiv 25 (Angaben in Prozent) 20 15 10 29,4 11,2 9,5 6,9 7,2 5,9 5,3 5 Son stig e Hot Fac els ility Ma nag Hol em ent z-/M eta llbe arb Gar eitu ten ng - /L and sch afts Ind ust bau ried ien stle istu nge n 0 Gas tron om ie Leb ens mit telm ärk Kan te tine n/ Gro ßkü che n Ein gewöhnliches Unternehmen mit mehr als 19 Arbeitsplätzen muss in der Regel 5 Prozent der Stellen mit schwerbehinderten Menschen besetzen, andernfalls hat es eine Ausgleichsabgabe von monatlich bis zu 250 Euro für jeden nicht besetzten Pflichtplatz zu entrichten. Diese fließt in den Ausgleichsfonds, aus dem die Hilfen für die berufliche Eingliederung schwerbehinderter Arbeitnehmer gefördert werden. Für die Integrationsämter stehen davon jährlich rund 500 Millionen Euro zur Verfügung, davon wenden sie rund 10 Prozent für die Integrationsfirmen auf. Das Aufkommen aus der Ausgleichsabgabe schwankt und stagniert. Dies setzt der Weiterentwicklung der Firmen trotz des großen Bedarfs und trotz vieler solider Neugründungspläne in manchen Regionen Grenzen. Die Politik hat daher die Aufgabe, diesen Engpass durch Erschließung anderer Geldquellen zu beseitigen; ein erster – leider nicht konsequent umgesetzter – Schritt in diese Richtung ist die Zahlung von Minderleistungsausgleich aus dem Budget der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende 16,4 8,2 wegen geistiger Behinderungen in einer Werkstatt für behinderte Menschen waren, schwer Hörbehinderte, Rollstuhlfahrer, Blinde. Diese Gruppen sind ausdrücklich neben den seelisch behinderten Menschen im SGB IX benannt, man will die Firmen damit zu Recht zwingen, sich derer anzunehmen, die ohne ihre Hilfe keinen Platz im normalen Arbeitsleben finden. Gesteuert wird das im Einzelfall von den Integrationsämtern, die auch für die Finanzierung zuständig sind und sich nach anfänglicher Skepsis in Sachen Unternehmensentwicklung zu engagierten und kompetenten Behörden entwickelt haben. IB_Editorial_02-09:Layout 1 21.11.2011 21:51 Uhr Seite 9 Editorial (SGB II/§16e). Eine andere Quelle sehen Fachleute in der Eingliederungshilfe (SGB XII), die dann zu zahlen ist, wenn ein Betroffener eine Förderung in einer Werkstatt für behinderte Menschen beanspruchen kann, aber lieber woanders tätig ist. Einen Teil dieser Mittel kann er in Rheinland-Pfalz und auch Niedersachsen als „Persönliches Budget“ nehmen und sich damit quasi einen Job auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kaufen. Wer das Inklusions-Gebot der UNKonvention zu den Rechten behinderter Menschen ernst nimmt, kommt kaum darum herum, derartige Alternativen zu nutzen. Wie anders soll das Recht der Betroffenen, sich ihren Arbeitsort frei zu wählen, möglichst mitten im normalen Arbeitsleben, umgesetzt werden? An Betätigungsfeldern für Integrationsbetriebe herrscht kein Mangel. Standen in den Gründerjahren industrielle Serviceaufgaben im Vordergrund, so gibt es jetzt – siehe Grafik – einen breit gefächerten Branchenmix. Sozial- und kommunalpolitisch interessant und zukunftsträchtig sind dabei nicht zuletzt Projekte zur Stabilisierung der Infrastruktur in benachteiligten Stadtteilen und ländlichen Regionen, z. B. durch Betrieb kleiner oder mobiler Supermärkte (rollende Dorfläden), Übernahme pflegeergänzender häuslicher Dienstleistungen, Pflege von Gärten und Wohnsiedlungen, Betrieb von Hotels, Cafeterias und Kantinen (Museen, Behörden etc.). Zunehmend entdecken große Träger von Sozial- und Gesundheitseinrichtungen, dass es günstiger (und sozialer!) ist, Dienstleistungen nicht outzusourcen, sondern einer dafür geschaffenen Integrationsabteilung oder Integrationsfirma zu übertragen. Sie bleiben damit Herr des Geschehens und können gleichzeitig Stellen für ihre Klienten schaffen. Die meisten Integrationsprojekte sind gemeinnützig. Die dadurch möglichen Steuervorteile erhalten sie, wenn sie mindestens 40 Prozent der Stellen mit schwerbehinderten Menschen besetzen. Voraussetzung für die Anerkennung der Förderungsfähigkeit durch die Integrationsämter ist eine Quote von 20 Prozent. Durch die Länderprogramme in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen konnten erfreulicherweise auch Unternehmen dazu gewonnen werden, intern Ingegrationsabteilungen zu gründen. Ein weiterer wichtiger Zuwachs findet statt durch die Gründung von Integrationsbetrieben durch Werkstätten für behinderte Menschen, die sich damit „zukunftsfester“ machen, weil sie den Betroffenen mehr Alternativen bieten können. Der Wirtschaftskrise 2009/10 haben die Firmen erstaunlich gut standgehalten, es gab nur ganz wenige Insolvenzen. Der Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen Anton Senner: „Die Betriebe sind es seit ihrer Gründung gewohnt, hart an den wechselnden Winden des Marktes zu segeln. Da sie klein sind, meist mehrere Geschäftsfelder haben, können sie sich relativ schnell auf neue Situationen einstellen.“ Die Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen appelliert an Kommunen und Behörden, Vergaben so zu gestalten, dass soziale Unternehmen eine Chance haben. Das neue Vergaberecht lässt dies ausdrücklich zu. Es gibt zu diesem Thema Arbeitshilfen des Städtetages, des Bundesarbeitsministeriums und der Europäischen Union 9 IB_Musterlayout_CookComp_10-15:Layout 1 21.11.2011 21:54 Uhr Seite 10 Cook Company IB_Musterlayout_CookComp_10-15:Layout 1 21.11.2011 21:54 Uhr Seite 11 Cook Company „Es macht Freude, dass wir eine gute Leistung erzielen“ G äste, die das Kasino der Cook Company in Frankfurts Stadtteil Enkheim besuchen, betreten zunächst ein Areal mit Bäumen samt Wiese und Gebäuden, in denen Arztpraxen sowie weitere Betriebe untergebracht sind. Dass es das Projekt Cook Company gibt, verdankt sich einer Gründung aus dem Jahre 2005, zu der sich die Praunheimer Werkstätten gGmbH (pw), die Lebenshilfe Frankfurt e. V. und die Frankfurter Werkgemeinschaft e. V. (fwg) entschlossen hatten. Der Leitgedanke aller drei Organisationen lautet, behinderten Menschen solidarisch zu begegnen und ihnen Selbstbestimmung, Respekt sowie Teilhabe an der gesellschaftlichen Lebens- und Arbeitswelt zu verschaffen. Menschen mit einer Behinderung beizustehen verlangt von denen, die das wollen, sich individuell auf den Einzelnen einzulassen. Die Werkstätten für behinderte Menschen für diesen Personenkreis sind mit ihren Produkten und Leistungen zwar auch auf dem Markt vertreten, doch deren Verkauf deckt nicht die kompletten Produktionskosten. Die Werkstätten sind ein Betreuungsangebot und auf finanziellen Ausgleich angewiesen. Unternehmen, die behinderten Mitarbeitern eine weitgehende Selbstständigkeit am ersten Arbeitsmarkt ermöglichen, gibt es nur selten. Ein vollständig selbstbestimmtes Leben im selbst gewählten Wohnumfeld samt einer motivierenden Erwerbsarbeit muss dennoch das Ziel der Bemühungen sein. Daher riefen die drei Gründungsorganisationen einen solchen Betrieb mit tarifentlohnten Arbeitsplätzen ins Leben. Die Cook Company, Frankfurts erste integrative Großküche, kocht nicht nur werktäglich ca. 1.000 Essen für die Praunheimer Werkstätten und andere Kunden, sondern betreibt auch ein Kasino. Nach großen ökonomischen Schwierigkeiten in den ersten Jahren hat sich die Cook Company am Markt durchgesetzt und schreibt unterdessen schwarze Zahlen. Dass man jetzt stolz auf das Ergebnis täglicher Anstrengung ist, liegt im Wesentlichen an der engagierten Kochmannschaft und ihrem gut organisierenden Küchenchef. Innen- und Außensicht auf die Küche der Cook Company Patrick Lachmann, gelernter Koch, ist seit Mai 2009 Küchenchef in der Cook Company, die täglich an die 1.000 Essen (Vollkost und auch vegetarisch) zubereitet. „Eloquenz ist fehl am Platze“, so der Chef, der anfangs die Erfahrung machte, dass „die Kartoffeln kommen weg“ wörtlich verstanden wurde. Arbeitsanweisungen teilt er in kleine Schritte auf, um sie erst dann im Ganzen zu geben. „Wichtig ist die Grundhaltung, jeden Menschen als Menschen zu verstehen. Wir unterscheiden die Mitarbeiter nicht nach ihren Behinderungen, sondern danach, was einer kann. Gründung Die Cook Company wurde 2005 von den Praunheimer Werkstätten, der Frankfurter Werkgemeinschaft und der Lebenshilfe Frankfurt als gemeinnützige GmbH gegründet mit dem Ziel, Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz zu bieten. Für jeden behinderten Mitarbeiter bekommt die Cook Company, die ihre Mitarbeiter nach dem Tarif für Gastronomiebetriebe bezahlt, Zuschüsse vom Integrationsamt. Seit 2010 arbeitet das Unternehmen mit Gewinn. 11 IB_Musterlayout_CookComp_10-15:Layout 1 21.11.2011 21:55 Uhr Seite 12 chen Fragen ist. Trotz allem aber versteht der Küchenchef die Cook Company als Unternehmen auf dem ersten Arbeitsmarkt, das seinen Verpflichtungen nachkommen muss: „Wir arbeiten für den Markt, der den Betrieb erhält. Jeden Tag um 10.00 Uhr müssen die Essen raus. Wie ich zu diesem Ziel komme, ist dem Kunden egal.“ Der Kunde, der hauptsächlich mit den Fahrern zu tun hat, die die Essen in den Thermoporten anliefern, lobt dann neben der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Fahrer auch die Pünktlichkeit. Wir müssen herausfinden, wo sein Platz ist.“ Fordern, aber auch fördern, ist des Kochs Devise, der seine Leute in Arbeitszusammenhänge einführt, „die sie vorher nie gemacht haben“. Vom geschenkten Vertrauen kommt viel wieder zurück, denn einer seiner Mitarbeiter organisiert die Großbestellung der Lebensmittel. „Er ist in der Lage“, so der Küchenchef, „komplett jeden Artikel zu bestellen, den wir in der Großküche benötigen.“ Lachmann hält viel von seiner Mannschaft: „Manche sind so gut, dass sie in ein anderes Unternehmen gehen könnten. Ich will sie aber nicht hergeben, und die Mitarbeiter möchten auch nicht weg.“ Michael Schwarzer, der mit zum Team gehör, und am liebsten Würstchen und Schnitzel anbrät, ist stolz auf sich und froh, dass er mit dabei ist. „Der Dank ist der Motor, der mich antreibt“, gibt der Chef zu, der sich freut, „wenn der Mitarbeiter Spaß hat und sich entwickelt.“ Fordern und fördern ist die Devise von Küchenchef Patrick Lachmann. Seit April 2011 wird die Friedrich-Fröbel-Schule mit 150 Essen werktäglich beliefert, die „heiß, sehr heiß sogar“ ankommen, wie Monika Brandt bestätigt, die die Verpflegung der Ganztagsschule sicherstellt. Der Speiseplan mit drei Menüs zur Auswahl wird 14 Tage vorab per Fax verschickt. „Die Kinder bekommen den Speiseplan in die Klasse und dürfen ihr Gericht selbst auswählen, auch die kleinen Kinder.“ Die Küche der Cook Company hat die Küchenleiterin über ihre Raumaufteilung beeindruckt: „Da ist alles klar gegliedert, alles hat seine Ordnung. Man sieht, was wo gemacht wird.“ Das Wichtigste ist aber wohl der Geschmack der Essen, über die die Kinder in einer Befragung ausgezeichnete Noten verteilten. Frau Brandt bewundert die Kochkunst, die das vermag. Weil er erst 25 Jahre ist, hat er den Vorteil, wie er selber sagt, dass er auch die relativ jungen Mitarbeiter erreicht, die ihn auch mal ärgern dürfen und für die er Ansprechpartner für alle mögli- Geschäftsfelder Das Hauptgeschäft des Gastronomiebetriebs ist das Catering für den Mittagstisch. Jeden Tag werden ca. 1.000 Essen (vegetarisch und Vollkost) zubereitet und in Thermoporten ausgeliefert. In der hauseigenen Kantine bewirtet die Cook Company mit 70 bis 100 Essen hauptsächlich Stammkunden aus dem Stadtteil Frankfurt-Enkheim. Sie richtet Catering für Großveranstaltungen bis zu 500 Personen aus. Sie ist HACCP-zertifiziert (ein Kontrollsystem für Lebensmittelsicherheit) und hat die EU-Zulassung. IB_Musterlayout_CookComp_10-15:Layout 1 21.11.2011 21:55 Uhr Seite 13 Cook Company im Gespräch mit HOLGER MOELLER Holger Moeller, Betriebswirt mit kaufmännischem Hintergrund und seit 20 Jahren bei den Praunheimer Werkstätten, ist seit Gründung der Cook Company Mitglied der Geschäftsführung. Herr Moeller, Sie sind als Prokurist für die Cook Company verantwortlich. Wie kam es dazu? Vor sechs Jahren haben wir mit der Planung eines Integrationsbetriebs begonnen. Unsere Idee war, Menschen mit Behinderung Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bieten. Schon damals dachten wir daran, dass es entweder ein Hausreinigungsbetrieb oder ein Küchenbetrieb werden sollte, um uns mit den Diensten auch selbst versorgen zu können. Gleichzeitig wollten wir damit dem Unternehmen das finanzielle Wagnis nehmen, das eine Gründung mit sich bringt. Wir haben uns dann aus Zufall für die Gastronomie entschieden: Eine unserer Mitarbeiterinnen hatte die Liegenschaft in Bergen-Enkheim entdeckt, in der eine Ausbildungsküche untergebracht war. Die Essen für unsere Werkstätten hatten wir zuvor von verschiedenen Caterern bezogen und manchmal auch in den Betriebsküchen selber gekocht. Wenn wir als Integrationsbetrieb diese knapp 600 Essen an die Praunheimer Werkstätten verkaufen könnten, dann hätten wir eine gute wirtschaftliche Basis, so die Überlegung. Die Praunheimer Werkstätten, die Frankfurter Werkgemeinschaft und die Lebenshilfe Frankfurt gründeten dann 2005 die Cook Company. Ist Ihr Konzept gleich aufgegangen? Anfangs nicht. Die ersten zwei, drei Jahre haben wir Lehrgeld bezahlt, wirtschaftlich lagen wir hinter den Erwartungen deutlich zurück. Nie- mand von uns hatte Erfahrung im Bereich Großküchenbetrieb, insofern mussten wir uns das entsprechende Fachpersonal erst suchen und hatten dabei zunächst keine glückliche Hand. Es hat also nicht alles so reibungslos geklappt, wie wir es wünschten. In der Folge haben wir schließlich mit Patrick Lachmann einen neuen Koch und Küchenleiter gefunden, der sich als absoluter Glücksgriff für den kompletten Betrieb erwiesen hat. Mittlerweile schreiben wir schwarze Zahlen und konnten uns in den letzten Jahren von 13 auf 17 Mitarbeiter vergrößern. Zwar sind wir wirtschaftlich noch nicht ganz gesund, was die Gesamtbetrachtung der fünf Jahre angeht, aber wir sind mittlerweile in der Lage, positive Jahresergebnisse zu erzielen und einen Teil der aufgelaufenen Schulden abzutragen. Das ist sehr gut, aber die neuen sportlichen Aufgaben warten schon. Die Anfangsförderungen laufen langsam aus und die Zuschüsse werden von Jahr zu Jahr weniger. In diesem Jahr gibt es noch einen „Restschluck“: Das heißt, in dieser Zeit muss auch die Rentabilität um den Faktor wachsen, um den diese Zuschüsse abnehmen. Wir haben eine Förderquote von knapp 14 Prozent, diese wird auf 10 Prozent sinken. Herr Lachmann muss eine hohe Konzentrationsfähigkeit auf Menschen haben, nicht nur auf seinen Job. Darunter verstehe ich das permanente In Zahlen (2010) Umsatz Personalaufwand Öffentliche Förderung Anzahl der Mitarbeiter 971.000 Euro 370.000 Euro 65.000 Euro 17 Personen 13 IB_Musterlayout_CookComp_10-15:Layout 1 21.11.2011 21:55 Uhr Seite 14 Begleiten auch von der emotionalen Ebene her. Er muss als Betriebsleiter ein Gefühl dafür haben, ob etwas funktioniert oder ob etwas nicht mehr richtig läuft. Wir sind immer wieder in Testphasen, wo etwas ausprobiert wird, da kann dann auch mal was schiefgehen. Herr Lachmann hat ein gutes Gespür, wann er steuernd eingreifen muss. In der hauseigenen Kantine bewirtet die Cook Company mit 70 bis 100 Essen hauptsächlich Stammkunden aus dem Stadtteil Frankfurt-Enkheim. Als Küchenbetrieb stehen Sie zudem unter der Aufsicht des Gesundheitsamts. Im Prinzip stehen wir unter ständiger Beobachtung, weil wir HACCP-zertifiziert sind. Das Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt kommt einmal im Jahr, und da wir die EU-Zulassung erhalten haben, fallen wir unter die strengste Form der Kontrolle. Wir haben eine Zulassung für die Produktion von maximal 1.300 Essen pro Tag. Die beste Kontrolle haben wir aber über unsere Kunden, die uns ein Feedback geben, wenn etwas nicht gut läuft. Das ist eine Spannung, die man aushalten muss. Jede Essenslieferung wird protokolliert und dokumentiert, die Temperatur der Speisen wird gemessen. Reklamiert werden beispielsweise zu wenig Soße oder zu viel Salat. Dem gehen wir nach. Denn es kann bei aller Sorgfalt schon mal passieren, dass eine Komponente woanders mit reingerutscht ist. Dann hat der eine zu wenig, der andere zu viel Salat. Wir konzentrieren uns sehr auf die Rückmeldungen und werten diese aus. Wer liefert die Essen aus? Das machen unsere Mitarbeiter nach einem entsprechenden Training. Der Betriebsleiter oder der stellvertretende Betriebsleiter begleitet den Mitarbeiter die ersten drei bis fünf Tage und lässt ihn dann die Route selbst fahren. Wenn er merkt, dass alles klappt und der Mitarbeiter die erste Tour alleine bewältigt hat, findet nochmals ein Gespräch statt. Wenn der Mitarbeiter beispielsweise in die Werkstatt nach Praunheim fährt, ist das eine feste Route, die jeden Tag gefahren wird. Blitzlicht Herr Moeller, was empfehlen Sie, wenn Kunden mit Personal zu tun haben, das eine Behinderung hat? Ganz wichtig sind klare Ansprechpartner für den Menschen mit Behinderung. Und dann müssen sich die Leute wohlfühlen. Das ist das, was wir auch wollen. Wer sich nicht wohlfühlt, erbringt keine gute Leistung. Dann sind die Trainingszeiten viel länger: Wieder- IB_Musterlayout_CookComp_10-15:Layout 1 21.11.2011 21:55 Uhr Seite 15 Cook Company Sie arbeiten in einem Integrationsbetrieb, der Behinderten Anerkennung verschafft und Entwicklungschancen gibt. Motiviert Sie das? Das motiviert mich sehr, es macht Spaß, mit einem Personenkreis zusammenzuarbeiten, der sonst nicht so viele Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat. Gerade für jemanden, der aus dem Betriebswirtschaftlichen kommt und der einen ökonomischen Blick auf die Dinge hat, ist es eine spannende Frage, wie man das hinkriegt. Das andere: Es ist einfach ein schönes Zusammenarbeiten. Es macht Freude, zu sehen, dass wir eine gute Leistung erzielen und das gesamte Team das gute Ergebnis verantwortet und erzielt hat. Sehen Sie in der weltweiten Behindertenrechtskonvention eine Chance, dass die Wirtschaft mit ihren harten Umgangsformen humanere Züge bekommt? Das ist eine schwierige Frage. Wenn der ökonomische Druck zu groß ist, dann handeln Menschen oft ausschließlich ökonomisch. Aber was bemerkenswert ist: Wenn wir mit behinderten Menschen in solche Betriebe gehen, lockern wir das auf. Wir bringen diese menschliche Komponente hinein, dieses empathische Gefühl. Wenn der Mitarbeiter sich im Betrieb wohlfühlt, dann geht es ihm dort gut, und danach streben wir doch alle. Täglich werden ca. 1.000 Essen in Thermoporte verpackt und ausgeliefert. Die Kontrolle der Anlagen ist in Großküchen besonders wichtig. Cook Company gGmbH Geschäftsführer Wolfgang Rhein Vilbeler Landstraße 45 b 60388 Frankfurt am Main fon 06109 I 50 47 90 [email protected] [email protected] www.cook-company.de holen schafft Sicherheit. Das geht nicht innerhalb von zwei, drei Monaten. Wir haben Trainingsphasen bei Einzelpersonen von über einem Jahr, und auch danach werden noch deutliche Fortschritte in der persönlichen Entwicklung gemacht. 15 IB_Dialogmuseum_16-21:Layout 1 21.11.2011 21:56 Uhr Seite 16 DialogMuseum IB_Dialogmuseum_16-21:Layout 1 21.11.2011 21:56 Uhr Seite 17 DialogMuseum „Das Auge sucht, das Ohr findet“ A m Puls des Frankfurter Ostends, an der Hanauer Landstraße zwischen Ausstellungsräumen von Autofirmen, Industriebetrieben und Party-Locations, liegt das DialogMuseum – ein Projekt, das den Sehenden die Welt der Blinden vor Augen führt. Und dabei sinnvolle Arbeitsplätze für Blinde schafft. Das Konzept – Dialog im Dunkeln Am Anfang stand eine soziale Vision. Der Journalist Andreas Heinecke wird 1986 beauftragt, einen erblindeten Kollegen wieder einzuarbeiten. Durch die Arbeit mit dem blinden Kollegen ändert sich seine allgemeine Sicht auf Menschen. Andreas Heinecke erkennt, dass Vorurteile eine Ursache in der Unkenntnis des anderen haben. Und dass die Kenntnis des anderen die Fähigkeit schafft, so mit ihm umzugehen, dass beide Seiten aus dem Kontakt gewinnen. Daraus entsteht die Idee, eine Plattform zu schaffen, auf der Blinde und Sehende sich auf Augenhöhe begegnen und austauschen. Von der Ausstellung zum Museum 1988 beginnt Andreas Heinecke für die Stiftung Blindenanstalt zu arbeiten. Dort entwickelt er das Konzept für eine Ausstellung zum Thema Lebenswelt von Blinden: In vollständig abgedunkelten Räumen führen blinde Menschen ihr Publikum in kleinen Gruppen durch Alltagssituationen, ohne dass die Besucher ihre Augen benutzen können. Ein Spaziergang durch einen Park oder das Überqueren einer Straße – ohne sehen zu können – wird so völlig neu wahrge- nommen. 1989 finden die ersten Pilotveranstaltungen in Frankfurt und Düsseldorf statt, es folgen Anfragen aus Nachbarländern. Mittlerweile ist „Dialog im Dunkeln“ als Wanderausstellung an über 150 Orten in 25 Ländern präsentiert worden. Im Jahr 2000 wird in Hamburg eine Dauerausstellung eingerichtet, die als Beschäftigungsprojekt für behinderte Menschen vom Senat als dauerhafte Einrichtung gefördert wird. Die Gründung des DialogMuseums in Frankfurt im Jahr 2005 ist der nächste logische Schritt. Mit den Fingern lesen: Mithilfe der Brailleschrift ertasten Blinde Texte. Ein Raster aus sechs Punkten, die wie die Sechs eines Würfels angeordnet sind, gibt das Alphabet wieder. Erfahrene Leser können mithilfe einer Braille-Kurzschrift eine Lesegeschwindigkeit nahezu vergleichbar der eines Sehenden erreichen. Das Frankfurter Modell Das DialogMuseum ist ein privates soziales Unternehmen, das sich zum Ziel gesetzt hat, neben Gründung Das Frankfurter DialogMuseum entstand aus der weltweiten Ausstellung „Dialog im Dunkeln“. Die Idee dahinter ist, Sehenden die Welt der Blinden sinnlich erfahrbar zu machen, um so eine Basis für eine respektvolle Verständigung auf Augenhöhe zu schaffen. Darüber hinaus bietet das Museum Arbeitsplätze vorrangig für behinderte Menschen. Das Museum wurde am 2. Dezember 2005 eröffnet, Träger ist die DialogMuseum GmbH. 17 IB_Dialogmuseum_16-21:Layout 1 21.11.2011 21:56 Uhr Seite 18 werden ohne den dominanten Sinn durchlebt. Der Blindenstock, Tastsinn und Gehör ersetzen die Augen. Der Besucher bewegt sich durch einen Park, über eine wackelige Hängebrücke, über unebenen Boden und auf dem Bürgersteig einer befahrenen Straße und bekommt einen völlig neuen „Blick“ auf die Alltagswelt – aus der Perspektive eines Blinden. Dialog im Dunkeln: Die Dauerausstellung macht Sehenden in sechs Erlebnisräumen die Welt aus der Perspektive der Nicht-Sehenden erfahrbar. seiner Idee des Dialogs zwischen Sehenden und Blinden insbesondere schwer behinderten Menschen einen Arbeitsplatz und die Chance auf einen Eintritt in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu bieten. 75 Prozent des Startkapitals liefert das Integrationsamt des LWV Hessen aus Mitteln der Ausgleichsabgabe, 5 Prozent kommen vom Blinden- und Sehbehindertenbund Hessen e. V., die restlichen 20 Prozent steuert ein Risikokapitalgeber bei. Die ersten drei Jahre trägt sich das Unternehmen selbst – zu 80 Prozent aus eigener Kraft, 20 Prozent kommen aus der Regelförderung für die Eingliederung behinderter Menschen durch die Agentur für Arbeit sowie den Landeswohlfahrtsverband. Drei Säulen Das DialogMuseum gründet sich im Wesentlichen auf drei Säulen: Das Herzstück ist die Dauerausstellung „Dialog im Dunkeln“. In einem lichtlosen Parcours aus sechs Erlebnisräumen, durch den man von blinden Führern geleitet wird, wird die Welt der Blinden erfahrbar gemacht. Alltägliche Situationen Im Restaurant „Taste of Darkness“ werden Gäste in völliger Dunkelheit von blinden Servicekräften mit kulinarischen Köstlichkeiten bewirtet – die sie sich erst einmal erschmecken müssen. Während die Augen keine Informationen liefern, entfaltet sich der unbelastete Geschmack umso stärker. Im „Casino for Communication“ haben Besucher jeden Alters an neun Spieltischen mit kooperativen Spielen nicht nur Spaß, sondern können ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten zur zwischenmenschlichen Kommunikation erproben – mit Spielen, in denen nicht Glück eine Rolle spielt, sondern die Fähigkeit zur Zusammenarbeit. Dieses dialogische Prinzip durchzieht alle Einrichtungen des Museums wie ein roter Faden und liefert auch die Grundlage für Workshops, Seminare und Managementtrainings im Dunkeln, die vor allem Unternehmen zum Ausbau von Teamfähigkeiten nutzen. Darüber hinaus bieten Workshops für Schulklassen, geleitet von blinden Mitarbeitern und unterfüttert von pädagogischem Begleitmaterial, eine Vertiefung der Auseinandersetzung mit der Welt von Blinden. Von der Finanzkrise zur Finanzierungskrise Mit einer Auslastung von nahezu 90 Prozent und 400.000 Besuchern bis zum Dezember 2010 ist Geschäftsfelder Das Museum gliedert sich in drei Bereiche: die Ausstellung Dialog im Dunkeln, das Casino for Communication als Erlebnisraum für kooperative Spiele und das Restaurant Taste of Darkness. Angeschlossen ist das Dialogcafé mit Mittagstisch, des weiteren werden Seminare, Workshops, Special Events und Teamtrainings für Unternehmen angeboten. Das DialogMuseum kooperiert mit anderen Museen, Einrichtungen und Unternehmen, u.a. mit dem Museum für Kommunikation („Dialog im Stillen“) und mit dem Hotel Hessischer Hof. IB_Dialogmuseum_16-21:Layout 1 21.11.2011 21:57 Uhr Seite 19 DialogMuseum das Museum aus Sicht des sozialen Anliegens ein großer Erfolg. Aber die Ausstellung ist schlicht zu personalintensiv, als dass sie sich selbst tragen kann. Das Museum ist darauf angewiesen, in anderen Bereichen Gewinne zu erzielen. Vor allem die an Unternehmen gerichteten Angebote subventionieren die Ausstellung. Als im Herbst 2008 die Finanzkrise Deutschland erreicht, wirkt sich dies sofort aus. Zwar sind die Besucherzahlen trotz der Krise konstant hoch, aber die Einnahmen aus dem Unternehmensbereich gehen kritisch zurück. „Die Unternehmen haben storniert, als die Krise startete – sofort“, klagt die Geschäftsführerin Klara Kletzka. Die Möglichkeiten für das Management sind begrenzt: Die Eintrittspreise für die personalintensive Ausstellung decken nicht die Kosten. Kostensenkungen beim Personal stoßen dort an ihre Grenzen, wo sie das soziale Anliegen gefährden. Schließlich geht es auch darum, reguläre Arbeitsplätze zu fairen Löhnen und fairen Arbeitsbedingungen zu schaffen. Der einzige vertretbare Ausweg aus dem Dilemma bietet sich in einer Unterstützung durch die Stadt. „Beitrag zu einer humanen Gesellschaft“ In dieser Situation springt die Stadt in die Bresche – in Gestalt der Oberbürgermeisterin. Für Petra Roth ist das Museum eine Herzensangelegenheit, seit sie ihre erste Runde durch die Dunkelräume drehte. „Die Arbeit des DialogMuseums ist Sozialtherapie, ist Arbeitsmarkttherapie, ist Behindertenpolitik und Bildungspolitik“, so Roth. „Es ist ein Laboratorium, in dem all diese Dinge gelehrt werden können, in dem sie aber auch von Neublinden erlernt werden können. Damit ist es ein großer Beitrag zu einer humanen Gesellschaft.“ Da die Arbeit des DialogMuseums so- wohl im Kultur- als auch im Sozialbereich relevant ist, fühlt sich zunächst kein Dezernat zuständig. Gelder in fünfstelliger Höhe fließen nur auf Aufforderung Roths. Erst in den Koalitionsverhandlungen 2011 wird eine jährliche Unterstützung von 100.000 Euro ab 2012 im Haushaltsplan festgeschrieben – bis zum Ende der Legislaturperiode 2016. Aus dem Oberbürgermeisterhaushalt. Danach will das Museum wieder auf eigenen Beinen stehen. Ein Ziel ganz anderer Art hat das DialogMuseum bereits erreicht: Seit dem 1. Januar 2011 steht mit Matthias Schäfer als zweitem Geschäftsführer ein blinder Mitarbeiter in der Verantwortung. Er war bisher schon für Ausstellung und Personalführung zuständig. Das Restaurant „Taste of Darkness“ nimmt die Gäste mit auf eine kulinarische Reise in völliger Dunkelheit. An neun Spieltischen haben Besucher jeden Alters im „Casino for Communication“ nicht nur Spaß, sondern können ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Zusammenarbeit erproben. In Zahlen Besucher Umsatz Öffentliche Förderung Anzahl der Mitarbeiter 400.000 Euro (bis Dezember 2010) 1.573.000 Euro (2009) 100.000 Euro (seit 2010) 51 (Dezember 2010), davon 60 % behindert oder benachteiligt, zzgl. 20 freiberufliche Mitarbeiter 19 IB_Dialogmuseum_16-21:Layout 1 21.11.2011 im Gespräch mit 21:57 Uhr Seite 20 KLARA KLETZKA Foto: Carsten P. Englert Geschäftsführerin des DialogMuseums Markus Hanitz verlor bei einem Überfall sein Augenlicht und konnte seinen alten Beruf nicht mehr ausüben. Nach einer Umschulung als Telefonist begann er als einer von zwölf fest angestellten Guides beim DialogMuseum. Seine Arbeit gefällt ihm, langfristig sieht er sie aber als Sprungbrett für eine Anstellung in seinem Ausbildungsbereich. Frau Kletzka, das DialogMuseum bietet als Integrationsbetrieb Arbeitsplätze für Blinde und andere behinderte Menschen und versteht sich als ein sozialpolitisches Projekt? Natürlich ist unser erstes Ziel, behinderte Menschen in Arbeit zu bringen, und zwar so, dass man ihre Stärken sieht und nicht ihre Schwächen. Das ist das Tolle bei „Dialog im Dunkeln“: Blinde sind uns ja im Dunkeln überlegen und können so ihre Stärken leben und erleben. Ich habe immer wieder bemerkt, wie unsere blinden Mitarbeiter hier unglaublich wachsen. Das ist sehr schön zu sehen. Ein zweites Ziel von „Dialog im Dunkeln“ ist eine Sensibilisierung, die in die Gesellschaft wirkt. Wir haben in Hamburg eine Besucherumfrage gemacht. Fast 60 Prozent der Besucher haben angegeben, ihr Verhalten und ihre Haltung gegenüber Blinden habe sich durch den Besuch nachhaltig verändert Sie vermitteln mit Ihrer Ausstellung nicht-blinden Menschen einen Einblick in die Lebenswelt von Blinden. Was verändert sich dadurch? Die Besucher sind alle sehr beeindruckt. Viele kommen aus der Ausstellung heraus und sagen, ach, wie gut, dass ich sehe – aber alle kommen raus und sagen: Respekt! Mitleid weicht Respekt, und das ist ganz entscheidend für uns, weil das auch die Botschaft ist: Blinde Menschen können ein sehr selbstbewusstes, sehr, sehr reiches Leben führen. Wir glauben, weil das Auge so dominant ist, sei das ein armseliges Leben, aber tatsächlich haben blinde Menschen eine sehr reiche Kom- munikation. Das erlebt man beispielsweise im Dunkeln. Und natürlich werden Berührungsängste abgebaut. Wenn Sie das erste Mal mit einem blinden Menschen im Dunkeln waren, dann werden Sie auf jeden Fall anders auf ihn zugehen, sie werden offener sein. . Glauben Sie, dass die Zusammenarbeit mit Blinden die Empathie fördert? Mehr als die Arbeit mit Sehenden? Ja. Sehr. Es ist wirklich so, dass ich dadurch immer wieder in Frage gestellt werde mit dem, was ich so tagtäglich tue … Wenn ich mit nichtblinden Menschen rede, arbeite ich mit Händen und Füßen und mache mich so irgendwie verständlich, aber wenn ich mit einer blinden Mitarbeiterin rede, dann nutzen mir die Hände und Füße nichts, dann muss ich mich präziser ausdrücken. Und das sind Dinge, die sind in der Unternehmenskultur auch schon angekommen. Das merkt man bei uns auch, bei uns gibt es ein bestimmtes Selbstverständnis im Umgang miteinander – gemeinsam an einer Lösung arbeiten, zuhören, sich auf den anderen einstellen, die persönlichen Stärken und Schwächen des anderen berücksichtigen und in das eigene Verhalten einbauen ... Für uns sind solche Dinge im persönlichen Umgang miteinander, die andere Leute erst mal erlernen müssen, mittlerweile selbstverständlich, die gehen irgendwann in den Alltag über. Das glaube ich schon, dass das eine Unternehmenskultur auch prägt. Empathie ist das Stichwort. Blitzlicht „Manchmal besuchen Kinder die Ausstellung. Sie haben Angst vor der Dunkelheit. Nach dem Besuch der Ausstellung fürchten sie die Dunkelheit nicht mehr. Darauf bin ich stolz!“ Ein blinder Mitarbeiter „Mein Mann besuchte die Ausstellung, und sie lehrte ihn, wie ich mich fühle.“ Eine blinde Mitarbeiterin IB_Dialogmuseum_16-21:Layout 1 21.11.2011 21:57 Uhr Seite 21 DialogMuseum Sehen Sie das DialogMuseum auch als Sprungbrett für Ihre Mitarbeiter? Ja, wir sehen uns natürlich gerne für jeden blinden, für jeden behinderten Menschen als Sprungbrett, und wir schaffen ja auch hier die Kontakte. Die Unternehmen sind ja auch im Haus, und wir registrieren da auch eine Sensibilisierung. In Hamburg ist es mir geglückt, sogar Leute direkt zu vermitteln. Hier ist es nur auf Umwegen passiert, aber sehr viele Menschen, die blind sind, haben nicht sehr große andere Chancen. Unsere Kultur ist sehr visuell orientiert. Das macht es sehr schwer für blinde Menschen, eine andere Stelle zu finden. Wir schöpfen die Möglichkeiten aus, aber klar ist, dass wir nur die Möglichkeiten ausschöpfen können, die sich uns hier auch bieten. Was für Möglichkeiten sehen Sie für Blinde? Blinde Menschen können sehr vieles machen. Das Problem ist eher, dass die Personalentscheider es ihnen nicht zutrauen. Es gibt unglaubliche High Potentials unter den Blinden, es gibt Menschen, die sehr, sehr gut ausgebildet sind – aber keinen Job bekommen. Die Hürde in das Arbeitsleben ist gerade bei blinden Menschen sehr hoch, höher noch als z.B. bei Gehörlosen. Und wir haben tolle Leute hier. Wir haben ITLeute hier, die eine komplette Ausbildung haben, wir haben Pädagogen in der Ausstellung, wir haben Leute, die mehrere Sprachen beherrschen … Also ein relativ hohes Niveau auch an Ausbildung. Wir haben bei uns in der Verwaltung blinde Mitarbeiter. Wenn Sie sehen, wie sie am PC arbeiten, wie fit sie sind … es gibt Sprachausgaben, es gibt Braille-Zeilen, es gibt heute so viele technische Möglichkeiten, die uns helfen, das Thema Blindheit als Problem zu vergessen. Ich habe blinde Kollegen, die international arbeiten, die alleine unterwegs sind in der Welt, die kommunikativ supergut drauf sind, ihre Informationen immer und überall finden … Blindsein muss nicht automatisch heißen, dass man keinen Zugang hat zu Informationen, aber es gibt nach wie vor hartnäckig dieses Vorurteil. Und solange dieses Vorurteil sich hält, solange diese Hürde im Kopf da ist, so lange werden Personalentscheider jeden anderen vorziehen und nicht einen blinden Menschen. Warum kann ein blinder Mensch nicht in der Presseabteilung arbeiten und gute Texte schreiben? Es gibt Übersetzer, die blind sind, Simultanübersetzerinnen. Es gibt Richter, die blind sind. Im Beratungsbereich gibt es eine Menge Leute, die blind sind. Die haben sogar einen Vorteil gegenüber anderen: Sie lassen sich von Äußerlichkeiten nicht so leicht ablenken, sie sind vielleicht dadurch etwas präziser. Und sie hören besser zu. Im Beratungsgeschäft kann das sehr wichtig sein. Ich kenne auch im Trainingsbereich einige sehr gute Leute, die blind sind. Ich glaube, dass es heute weit mehr Berufe gibt, als wir gemeinhin denken, in denen Blinde gleichwertige Arbeit leisten können – oder sogar bessere. Öffnungszeiten: Dialog im Dunkeln Di bis Fr 9–17 Uhr Sa, So, Feiertag 11–19 Uhr Taste of Darkness Mi,Fr und Sa 19 Uhr Sa, So, Feiertag 11–19 Uhr Casino for Communication Di bis Fr 9–17 Uhr Sa, So, Feiertag 11–19 Uhr DialogCafé Mo bis Fr 9–17 Uhr Sa, So, Feiertag 11–19 Uhr DialogMuseum Hanauer Landstraße 137–145 60314 Frankfurt am Main fon fax 069 I 90 43 21 44 069 I 90 43 21 90 [email protected] www.dialogmuseum.de „Als ich anfing, als Guide zu arbeiten, sprachen wir von ‚Dialogfieber‘ – weil es wie ein Anstieg von Adrenalin ist – das Wachstum von Selbstbewusstsein, das Wachstum von Selbstvertrauen – es verändert komplett deine Sicht auf das Leben.“ Ein blinder Mitarbeiter 21 IB_Musterlayout_fbb_22-27:Layout 1 21.11.2011 21:59 Uhr Seite 22 fbb Frankfurter Beschäftigungsbetrieb IB_Musterlayout_fbb_22-27:Layout 1 21.11.2011 21:59 Uhr Seite 23 fbb „Klare Abfolgen sind zu beachten und Arbeitsschritte gut zu erklären.“ D as lichte Zweiraum-Büro der Frankfurter Beschäftigungsbetrieb gGmbH, die sich offiziell fbb nennen, befindet sich im Bürotrakt des Gebäudes von „hoffmanns höfe“ im Stadtteil Niederrad. Von hier aus werden alle Aktivitäten von fbb, dem ältesten Integrationsbetrieb in Frankfurt, gesteuert. Dass es diesen Betrieb gibt, geht auf eine Initiative des VdK Hessen-Thüringen zurück. Das Unternehmen fbb gewährt seit 1997 behinderten Menschen ein reguläres und dauerhaftes Arbeitsverhältnis auf dem ersten Arbeitsmarkt. Das Unternehmen fbb gGmbH kooperiert u. a. mit den Reha-Werkstätten des Frankfurter Vereins und bereitet die Mitarbeiter der Werkstätten für den Schritt in eine weniger betreute Arbeitswelt vor, wenn sie sich das zutrauen. Im Gegensatz zum beschützten Werkstattumfeld erwarten die fbb-Mitarbeiter auch Arbeitseinsätze direkt beim Kunden, wo beispielsweise der Postversand, Telefondienste, Kopierarbeiten oder Datenverwaltung zu erledigen sind. Den mobileren Mitarbeitern sind die Botendienste vorbehalten. Allen diesen Arbeiten ist eine klare Tätigkeitsabfolge gemeinsam. Die Arbeitsschritte können routiniert nur eingehalten werden, wenn sie zuvor auch gut erklärt und erprobt wurden. Concierge-Dienste sind einer der Tätigkeitsbereiche des fbb. Die Poststelle des Staatlichen Schulamts in seiner Aufgabenvielfalt. Ein Beispiel für eine glückliche Konstellation. Seit 2007 wird die Poststelle des Staatlichen Schulamts von Mitarbeitern des fbb geführt. Herr Markus arbeitet seit Februar 2010 auf diesem „Außenposten“ des fbb im größten Schulamt Hessens mit allein 80 Personen in der Bildungsverwaltung. Diese Behörde steht in regem Briefwechsel mit Frankfurts 160 staatlichen und 40 Privatschulen. „An alle 200 Schulen wird jeden Dienstag und Donnerstag Schulpost verschickt“, so Herr Markus, dem die Gründung Der Frankfurter Beschäftigungsbetrieb (fbb) wurde 1997 vom VdK in Form eines eingetragenen Vereins gegründet. Der Gedanke war leitend, neben der Beschäftigung in den Werkstätten, eine Möglichkeit für behinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. 2009 wurde der Verein in eine gemeinnützige GmbH übergeführt. 23 IB_Musterlayout_fbb_22-27:Layout 1 21.11.2011 21:59 Uhr Seite 24 auch die Kunst.“ Beispiele für nur zwei Fälle: Teilzeitanträge aus den Schulen werden per Namensliste Sachbearbeitern zugeordnet, Post zur Unterrichtsgarantie Plus „hat einen separaten Verteiler, das geht alphabetisch“. Beate Krahl legt Wert auf schnelle Postverteilung: „Es sind oft ganz eilige Sachen dabei.“ Nicht alle fbb-Mitarbeiter konnten diese Anforderung erfüllen. Die Büroleiterin, die sich darüber wundert, „dass überhaupt so wenig Probleme in der Zusammenarbeit vorkommen“, lobt dann auch das Konfliktmanagement von Herrn Wieß, der im Beschwerdefall sofort einschreitet und Gespräche führt. Arbeit keineswegs langweilig wird, wie er sagt, weil er „täglich an die 300 bis 400 Briefe“ frankiert und verschickt und morgens die Eingangspost in 300 Fächer verteilt. „Die Zuordnung“, so Beate Krahl, Büroleiterin im Schulamt, „ist dann Dem Mann in der Poststelle, der jetzt zwischen 8.00 Uhr und 16.30 Uhr höchst selbstständig arbeitet, teilt sich die Wertschätzung der anderen mit. Herrn Markus macht die Arbeit nicht nur Spaß, weil sie „Leistung abverlangt“, sondern auch, weil er weiß: „Die Leute sind zufrieden mit dem, was ich mache.“ Beate Krahl bestätigt das: „Bei ihm stimmt alles. Er macht die Arbeit gut – das ist ja das Wichtigste. Er ist ein freundlicher, aufgeschlossener und höflicher Mensch. Ich kann mich nur positiv über ihn äußern. Immer engagiert und voll bei der Sache.“ Die schnelle und korrekte Verteilung der Post weiß die Büroleiterin vom Stadtschulamt, Beate Krahl , zu schätzen. Geschäftsfelder Die Tätigkeitsbereiche des fbb sind Concierge-Dienste, die Poststelle im Staatlichen Schulamt, Kulturprogramme und Trainingsmaßnahmen für Arbeitslose, Bürodienste und Botendienste sowie das Info-Telefon für einen Kunden. IB_Musterlayout_fbb_22-27:Layout 1 21.11.2011 21:59 Uhr Seite 25 fbb im Gespräch mit KARL H. WIEß Karl H. Wieß führt die Geschäfte des Unternehmens fbb. Der Betrieb beschäftigt mittlerweile 30 Mitarbeiter, wobei er sich auf Wachstumskurs befindet. Herr Wieß, wie ist Ihre Unternehmensstrategie? Mit Unternehmen zu kooperieren, die Aufgaben auslagern, die wir dann übernehmen. Im letzten Jahr habe ich einen EDV-Fachmann eingestellt. Obwohl wir eine kleine Organisation sind, ist mir bewusst, dass wir mit den heute üblichen technischen Mitteln arbeiten sollten. Ist der fbb das erste Integrationsunternehmen in Frankfurt am Main? Meiner Kenntnis nach ja. Hessen hat über 40 Integrationsunternehmen, und fünf davon sind am Platz Frankfurt. Mit welchen der vier anderen arbeiten Sie zusammen? Einmal abgesehen davon, dass ich auch noch im „kombinat“ tätig bin, arbeiten wir eng mit der DGT in Hattersheim – einem Dienstleister zur beruflichen Integration – zusammen und auch mit dem Frankfurter Verein für soziale Heimstätten, der wiederum kein Integrationsunternehmen ist. Mit der Cook Company tauschen wir uns aus und kaufen auch dort ein. Zum DialogMuseum haben wir leider keine Verbindung. Sozial vernetzt sind wir mit den Integrationsfachdiensten Frankfurt und Rhein-Main ( Bad Homburg ), mit der DGT in Hattersheim, mit dem Berufsbildungswerk Frankfurt in Bad Vilbel und mit anderen Organisationen, die ich aber nicht als Integrationsunternehmen bezeichnen würde. Das heißt, Sie öffnen sich dem Markt. Ja, das tun wir. Bewerben Sie Ihre Dienste? Wir werben nicht direkt, etwa durch Anzeigen. Einmal haben wir in Rhein-Main-TV einen Versuch gestartet, der aber keine größere Wirkung hatte. Gehört dann die Akquisition nicht zum Konzept der Unternehmen insgesamt? Das würde ich so nicht sagen. Mainfeld, unter dem Dach von „kombinat“, hat beispielsweise einen fantastischen Internetauftritt und baut gerade einen Kontakt zu „Bett & Bike“ auf. Solche Aktionen gibt es im fbb nicht. Wie finanziert sich der fbb? Wir haben die Ausschreibung um die Poststelle des Staatlichen Schulamtes Frankfurt am Main gewonnen und beim Landeswohlfahrtsverband (LWV) finanzielle Unterstützung beantragen können. Mit den Geldern wurde u. a. auch eine Frankiermaschine finanziert. Mit dieser werden etwa 360 und mehr Briefe täglich frankiert. An diese Unterstützung hatte der LWV seinerzeit die Verpflichtung geknüpft, dass wir für die Dauer von drei Jahren mindestens zwei schwerbehinderte Menschen beschäftigen. In Zahlen (2011) Umsatz Personalaufwand Öffentliche Förderung Anzahl der Mitarbeiter 602.00 Euro 461.000 Euro 223.000 Euro 30 Personen 25 IB_Musterlayout_fbb_22-27:Layout 1 21.11.2011 21:59 Uhr Seite 26 Mit dem Fahrrad oder dem Auto? Zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Übernehmen Sie auch Aufträge wie Telefondienst in Abwesenheit? Ja. Die technischen Möglichkeiten beherrscht unser EDV-Mann, der sich mit den Kommunikationsmedien auskennt. Daten werden übertragen, verwaltet und die Arbeitsgänge protokolliert, damit der Auftraggeber informiert wird und weiß, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Telefonleitungen und E-Mail-Adressen können umgestellt werden. Eine „Außenstelle”des fbb: das Staatliche Schulamt nahe Hauptbahnhof. In der Poststelle? Insgesamt, da auch eine Vertretung eingeplant werden musste. Der Raum der Poststelle ist klein, da arbeitet nur ein Einziger – gewissermaßen auf einem Außenposten ohne Anbindung an die Mitarbeiter des Amts. Hier müssen wir stärker persönlich betreuen, da die soziale Anbindung fehlt. Wir benennen einen Paten, der ihn anruft und fragt, wie es ihm geht, und an den er sich wenden kann. Ich fahre auch zu ihm. Dabei ist es auch wichtig, den Kontakt zum Auftraggeber zu halten. Wie ist das mit dem Botendienst? Für die Botendienste haben wir einen Mitarbeiter, der für einen Kooperationspartner im Stadtgebiet Frankfurt die Post zwischen der Zentrale und ihren verschieden Einrichtungen austrägt. Eine Heidenarbeit ist es, E-Mail-Adressen auf Aktualität hin zu überprüfen. Machen Sie das auch? Ja, aber dabei möchte ich mit aller Wertschätzung auf die Einschränkungen – 48 Prozent unserer Mitarbeiter sind behindert – zu sprechen kommen. Die Aktualisierung von Adressen, die Sie angesprochen haben, ist eine ideale Tätigkeit. Hier sind klare Abfolgen zu beachten und die Schritte sind gut zu erklären. Der Mitarbeiter hat dann auch am Abend oder am Ende der Woche ein Erfolgsgefühl. Wenn die Adresse nicht mehr stimmt, das Unternehmen umgezogen ist oder der Ansprechpartner die Abteilung gewechselt hat, dann kann man im Internet recherchieren oder telefonisch nachfragen. Das können sie gut arbeitsteilig machen. Wenn der Einzelne nicht anzurufen wagt, dann machen wir ein Team. Einer recherchiert, der andere ruft an. Rechnet sich das wirtschaftlich? Wir hatten 2010 einen Umsatz von ca. 600.000 Euro, wobei ca. 175.000 Euro Zuschüsse einzu- Blitzlicht Herr Wieß, was leisten Integrationsbetriebe für die Gesellschaft? Der Staat muss keineswegs nur geben, wir müssen auch zurückgeben. Darüber muss eine Diskussion stattfinden. Wir haben ein Ziel im Auge, das müssen wir erreichen. Auch wir müssen wirtschaftlich sein. Wir nehmen aber hin, dass wir nicht 100 Prozent von vornherein erreichen werden. Zuerst kommen die behinderten Menschen, die müssen entsprechend vorbereitet werden. IB_Musterlayout_fbb_22-27:Layout 1 21.11.2011 21:59 Uhr Seite 27 fbb rechnen sind, und zwar vom Landeswohlfahrtsverband, vom Jobcenter und entsprechenden Stellen der Landkreise. Von der öffentlichen Hand bekommen wir Eingliederungszuschüsse. Gelder, die gesetzlich gegeben werden. Ja. Und jetzt die Gegenrechnung: Wir zahlen unseren 30 Mitarbeitern Löhne nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD), und von diesen Löhnen zahlen diese wieder rund 178.000 Euro an den Staat zurück. Rechnen wir die Arbeitslosenunterstützung von ca. 312.000 Euro dazu, die wegfällt, weil diese Menschen bei uns Arbeit gefunden haben, erzielt der Staat letztendlich eine Rendite von 80 Prozent. Das ist eine ideale Form: Der Staat gibt Zuschüsse, wir geben Arbeit, und das Geld fließt über die zahlreichen Steuern und Abgaben wieder an den Staat zurück. Dies möchte ich als „social return“ bezeichnen. Schade nur, dass die sozialen Leistungen zurückgefahren werden. Ist das so? Ja. Das ist so. Die sozialen Leistungen werden gekürzt. Die Jobcenter sind nicht mehr in der Lage, Eingliederungszuschüsse in der Höhe zu gewähren, wie das noch vor zwei oder drei Jahren der Fall war. Würden Sie sagen, je mehr Mitarbeiter die Betriebe haben, desto höher der Gewinn für den Staat? Ja. Eine ideale Lösungsmöglichkeit zum Geldsparen des Staates und zur Wiederherstellung der Würde des Arbeit suchenden Menschen. Die Bürogruppe von fbb hat in Teamarbeit ein Motiv für eine Briefmarke entworfen. Der Integrationsbetrieb verwendet die von der Deutschen Post genehmigte „eigene” Marke zum Versand seiner Post. fbb Frankfurter Beschäftigungsbetrieb gGmbH Geschäftsführer Karl H. Wieß Heinrich-Hoffmann-Straße 3 60528 Frankfurt am Main fon fax 069 I 71 37 89-90 069 I 71 37 89-919 [email protected] www.fbb-frankfurt.de Wir zahlen unseren 30 Mitarbeitern Löhne nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, und von diesen Löhnen zahlen diese wieder rund 178.000 Euro an den Staat zurück. Rechnen wir die Arbeitslosenunterstützung von 312.000 Euro dazu, die wegfällt, weil diese Menschen bei uns Arbeit gefunden haben, erzielt der Staat letztendlich eine Rendite von 80 Prozent. 27 IB_Musterlayout_HoffmH_28-33:Layout 1 21.11.2011 22:00 Uhr Seite 28 hoffmanns höfe IB_Musterlayout_HoffmH_28-33:Layout 1 21.11.2011 22:00 Uhr Seite 29 hoffmanns höfe „Unsere Kompetenz ist es, die Arbeit an die Mitarbeiter anzupassen, nicht die Mitarbeiter an die Arbeit“ W enn Gäste in den hoffmanns höfen einkehren, wissen sie meistens nicht, welche Geschichte das Gebäude aus den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts birgt. Es wurde 1959/1960 als „Haus der Parität“ vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband errichtet und diente zu dieser Zeit als Organisationshauptsitz, Tagungsstätte und Schwesternwohnheim. Der Paritätische Wohlfahrtsverband, 1924 im Jahrzehnt der Weltwirtschaftskrise als Vereinigung der freien privaten gemeinnützigen Wohlfahrtseinrichtung e .V. gegründet, ist einer der sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland. Er hat heute seinen Hauptsitz in Berlin. Als Beispiel für diese gesamte Entwicklung in den Wohlfahrtsverbänden kann der Ausbau der Hilfen zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben gesehen werden. Aus einfachen Anfängen in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat sich bis heute ein differenziertes System entwickelt, das berufliche Teilhabe mit vielfältigen Anforderungen in mannigfaltigen Arbeitsfeldern bietet. So sind rund 300.000 schwerbehinderte Menschen in über 1.000 Werkstätten für behinderte Menschen tätig, fast 15.000 schwerbehinderte Mitarbeiter zählen die über 1.000 Integrationsfirmen in Deutschland. Integrationsunternehmen zwischen Wirtschaftlichkeit und angepasstem Arbeiten. Auch wenn das vorrangige Ziel die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens ist, zeigt sich im Füh- rungsstil des Integrationsbetriebs die Maxime: Zuerst der Mensch und das Ideal eines sinnerfüllten Arbeitens. Veranstaltung in der Aula der hoffmanns höfe. Das Tagungshotel wird von Muhammet Tekin, gelernter Kaufmann und Ausbilder (IHK), in seinen Aufgaben koordiniert. Er hilft seinen Mitarbeitern, die für ein Tagungshotel üblichen Serviceleistungen gut zu erbringen. Er ist präsent, „wenn etwas rasch gemanagt werden muss“, und stärkt seinen Mitarbeitern in kritischen Situationen den Rücken. „Nicht alle unsere Mitarbeiter sind körperlich behindert. Da sie in der Regel eher psychische Probleme haben, brauchen sie zwar zugewandte Unterstützung, aber auch Distanz. Es geht um die Wahrung des Respekts für beide Seiten.“ Auch wenn es das gemeinsame Ziel ist, für alle Anforderungen der Gäste eine Lösung zu finden, stellt sich, anders als im normalen Hotelbetrieb, keine kühle Routine ein. „Der Mitarbeiter“, so ein Kunde, der regelmäßig in hoffmanns höfen Tagungen abhält, Gründung Die gemeinnützige Gesellschaft für Bildung und berufliche Integration mbH (gbbi) wurde von sechs Gesellschaftern am 1. Oktober 2006 mit dem Ziel gegründet, Arbeitsund Qualifizierungsplätze für Menschen mit Behinderungen zu schaffen. In ihrem Projekt “hoffmanns höfe” ermöglicht die gbbi das produktive Miteinander von Tagungsgästen, Mietern von Büroräumen und behinderten Mitarbeitern, die im Service des Hauses arbeiten. 29 IB_Musterlayout_HoffmH_28-33:Layout 1 Der lange, lichtdurchflutete Flur ist Raum für Begegnung und Kommunikation. 21.11.2011 22:00 Uhr Seite 30 „vermittelt das Gefühl, dass er das, was er sagt, auch meint. Er nimmt seine Aufgabe wirklich wahr und entwickelt über das Erbrachte einen Stolz. Wenn man in einem Haus einer Hotelkette untergebracht ist, hat man häufig den Eindruck, dass alles perfekt ist und sich am Ablauf nichts mehr ändert.“ Um das Geschäft professionell zu organisieren, „aber trotzdem mit zusätzlichem Engagement dabei zu sein“, so Muhammet Tekin, der umfassend für seine Mitarbeiter ansprechbar ist, „arbeitet jeder seinen Fähigkeiten gemäß“. Die Mitarbeiter lernen in gegenseitiger Wertschätzung, wie man den PC bedient, den Kunden anspricht sowie Zimmer und Tagungsräume vorbereitet. Frau Nasrin Selur, gebürtige Frankfurterin mit türkischem Pass und seit Juli 2009 an der Hotelrezeption, schätzt das stressfreie Lernen: „Herr Tekin hält den Druck von uns fern, er will nicht, dass wir uns überlasten, beispielsweise indem wir uns nicht trauen zu fragen. Diese Haltung gefällt mir. Das gibt mir Sicherheit.“ Da die Arbeit in der Gastronomie und im Hotelbetrieb stets Neues bringt, bedarf es des Muts, sich auf diese unerwarteten Situationen auch einzulassen. „Die Mitarbeiter wissen“, so Tekin, „dass der Geschäftserfolg wesentlich von ihnen abhängt, und fühlen sich als Teil des Unternehmens.“ Das originäre Bemühen um einen zufriedenen Gast erlebt der Kunde nun seinerseits als Offenheit. Der ihn umsorgende Mitarbeiter begegnet ihm mit Respekt, oder wie ein zufriedener Kunde ganz allgemein von Integrationsbetrieben sagt: „Gemeinsam ist allen diesen integrativen Tagungshäusern, dass man dort Menschen trifft, die normale Dienstleistungen erbringen und einem dabei auf gleicher Ebene begegnen. Das ist das Besondere, weil man das ja sonst nicht erwartet.“ Die Erfahrung lehrt dann auch, dass 90 Prozent der Tagungsgäste wiederkommen. Das Restaurant wird von seinen Stammgästen, dem Personal der umliegenden Kliniken und Institute, weiterempfohlen. Geschäftsfelder Die Geschäftsfelder umfassen: Gastronomie, Hotel- und Tagungsbetrieb – mit 31.000 Gästen, 7.200 Übernachtungen im Jahre 2010 – sowie Vermietung von Einzelbüros und Büroetagen. Die seit vier Jahren stetig wachsenden Erträge aller vier Geschäftsfelder fließen in den Betrieb zurück. IB_Musterlayout_HoffmH_28-33:Layout 1 21.11.2011 22:00 Uhr Seite 31 hoffmanns höfe im Gespräch mit WOLFGANG SCHRANK Im Hauptberuf verantwortet Wolfgang Schrank im Frankfurter Verein für soziale Heimstätten, einem sozialwirtschaftlichen Unternehmen in Frankfurt, die Bereiche Gemeindepsychiatrie, Arbeit und berufliche Integration. Ursprünglich hat er Maschinenbauer gelernt und äußert sich im Folgenden über das Projekt hoffmanns höfe. Herr Schrank, Sie führen die Geschäfte des Tagungshotels. hoffmanns höfe sind ein Projekt, das wir parallel zu unserer Arbeit im Frankfurter Verein entwickeln. Es gibt wenige Gebäude im Gastronomie- und Tagungsbereich in Frankfurt, die so schöne Innenhöfe haben wie dieses Gebäude-Ensemble. Ich kann mir gut vorstellen, dass Heinrich Hoffmann da gerne gesessen hätte. Heute ist hier das „Archiv Frau und Musik“ Mieter, das „Paritätische Bildungswerk“ auch, und wir haben Mieter aus Kunst, Wissenschaft und der Sozialarbeit. Der Mix der Szenen sorgt für überraschende Begegnungen und unerwartete Gespräche auf den Fluren, in den Tagungsräumen, im Kasino und in den Büros. Ist das Gemisch der Welten Ihre Firmenphilosophie? Ja, das ist gewollt. Und mittendrin spielen die behinderten Mitarbeiter eine wichtige Rolle bei der Reservierung, an der Rezeption, in den Zimmerdiensten und der Gastronomie. Das ist unsere Vorstellung von gelebtem Miteinander und das funktioniert wirklich gut und macht allen einen Riesenspaß. Die Mitarbeiter erleben, wie sie gebraucht, geschätzt und akzeptiert werden. Sie erleben schon, dass hier Integration wirklich gelebt wird? Auf jeden Fall. Es kommt meiner Idealvorstellung schon sehr nahe. Was müssen Sie an Voraussetzungen schaffen, damit die Behinderungen innerhalb dieser Arbeitsstruktur gut kompensiert werden können? Wir sagen: Jeder Mensch kann am Arbeitsleben teilnehmen – jeder. Der Vorgang, eine Suppe auszugeben oder ein Zimmer gästefertig zu machen oder eine Reservierung aufzunehmen, ist an sich immer gleich. Bei manchen dauert das länger, bei manchen muss die Arbeit in Schritte untergliedert werden, ein anderer braucht eine Hilfsvorrichtung oder es müssen zwei Personen statt einer da sein. Unsere Kompetenz ist es, die Arbeit an die Mitarbeiter anzupassen, nicht die Mitarbeiter an die Arbeit. Grundsätzlich? Wer ein Reservierungssystem am PC bedienen muss, sollte selbstverständlich lesen und schreiben können. Aber unter denen, die das potenziell können, sind ja viele, die auf dem ersten Arbeitsmarkt nie eine Stelle bekämen. Und an diese passen wir die Arbeit an. Und das funktioniert gut. Glauben Sie, dass das anderen Unternehmen auch gelingen könnte? Mit dem Ziel der Integration würde es ihnen gelingen, mit dem Ziel der Profitmaximierung gelingt es nicht. Wir wollen mit hoffmanns höfen selbstverständlich ein lukrativer Betrieb sein, aber der Gewinn dieser Firma wird nicht privati- In Zahlen (2010) Umsatz Personalaufwand Öffentliche Förderung Anzahl der Mitarbeiter 1.276.000 Euro 81.000 Euro 94.000 Euro 11 Personen 31 IB_Musterlayout_HoffmH_28-33:Layout 1 21.11.2011 22:00 Uhr Seite 32 Institut und der Blutspendedienst angesiedelt. Wir haben kaum bürgerliche Nachbarn, sondern eher medizinisch-wissenschaftliche Institutionen. Da werden Räume für Tagungen und Konferenzen benötigt und es gibt den einen oder anderen, der möchte mittags in der Kantine nicht immer mit denselben Leuten zusammensitzen, die er schon den ganzen Tag sieht. siert und ausgeschüttet, sondern der bleibt im Unternehmen. Die Räumlichkeiten der hoffmanns höfe sind hell, freundlich und funktional gestaltet. Was Sie entwickeln, ist etwas, das die Gesamtgesellschaft leisten sollte? Wenn alle Betriebe das so machen würden, gäbe es überhaupt keinen Widerspruch von meiner Seite. Aber darauf zu warten, dass sich die Gesamtgesellschaft und die Welt ändern, dazu reicht die Zeit nicht mal. Wir fangen lieber bescheiden an: Diese fünf Integrationsbetriebe in Frankfurt (in dieser Broschüre vorgestellt), in denen zusammen 120 oder 150 Menschen arbeiten, kooperieren zum Teil sehr eng mit den Werkstätten für behinderte Menschen, die ihrerseits noch mal 2.000 Personen allein in Frankfurt beschäftigen. Und diese 2.200 schwerbehinderten Menschen sind doch schon etwas! Was macht hoffmanns höfe für die Nachbarschaft attraktiv? hoffmanns höfe liegen mitten im MedizinWissenschafts-Distrikt der Universität in Niederrad. In unmittelbarer Nähe sind die Psychiatrie, die Orthopädie, die Neurologie, das Max-Planck- Wie wirken Behinderungen von Mitarbeitern auf die Zusammenarbeit? Durch das alltägliche Miteinander geht im guten Sinne das Gefühl dafür verloren, wer behindert und wer nicht behindert ist. Man erlebt, dass ein Mensch mit Behinderung Stärken und Schwächen hat, aber auch einer ohne Behinderung. Vielleicht muss ich mich morgen über einen Kollegen ärgern, der behindert ist, und übermorgen ärgere ich mich über einen, der nicht behindert ist. Mit der Freude ist es das Gleiche. Bilden Sie Ihre Leute weiter? Ja. Die weitergehende Qualifizierung findet immer bezogen auf das, was jemand konkret macht, statt. Die Mitarbeiter an der Rezeption benötigen z. B. einen Englisch-Auffrischungslehrgang, um sich mit den ausländischen Gästen kompetenter auf Englisch zu verständigen. Andere Mitarbeiter wünschen eine Programmschulung für das Hotel-Buchungssystem oder eine Einweisung in die Bedienung der Registrierkasse. Das machen wir dann. Im Augenblick haben wir im Bereich Zimmerservice behinderte Mitarbeiter, die gerade lernen, wie ein Zimmer gästefertig hergerichtet wird. Der Integrationsbetrieb kombinat ist der Caterer in hoffmanns höfen, quasi Subunternehmer. Geht das gut? Blitzlicht Herr Schrank, was haben Sie von Ihren gehörlosen Mitarbeitern gelernt? Ich habe gelernt, dass für gehörlose Menschen der alltägliche Gebrauchswert eines Handys – eines Standardgeräts – viel wichtiger als für unsere Hörenden sein kann. Und für junge gehörlose Leute ist es – so mein Eindruck – besonders „cool“, weil sie das so gut wahrnehmen IB_Musterlayout_HoffmH_28-33:Layout 1 21.11.2011 22:00 Uhr Seite 33 hoffmanns höfe Ja. Aber wir hatten u. a. die Aufgabe, dem Gastro-Team klarzumachen, dass man Zuneigung und Wertschätzung für den Gast nicht durch die Größe der Portionen ausdrückt. Normale Portionen sehen ja nicht nur besser aus, sie überfordern den Gast auch nicht. Das müssen die Mitarbeiter lernen. Man ist freundlich und fragt, was jemand will, und drängt ihm nichts auf. Das ist kein einfacher Rollenwechsel. Die Positionen sind vertauscht: vom Nehmenden zum Gebenden und umgekehrt. Jetzt erbringen die behinderten Mitarbeiter für den Sozialarbeiter eine Leistung. Üblicherweise erbringt der Sozialarbeiter für die Person mit Behinderung eine Leistung. Für ihn wird aber nun eine Leistung erbracht, für die er bezahlt. Als Gast will der Sozialarbeiter ein Essen, und er wird vom Servicepersonal bedient. Der Sozialarbeiter muss als Gast auch umdenken. Nein, der wird ja hoffentlich wie in einem vernünftigen Restaurant bedient. Es ist eher ein verwundertes Wahrnehmen. „Aha, das geht so und das funktioniert.“ Es trägt ja keiner von den behinderten Mitarbeitern ein Schild: Ich bin behindert. Man muss sich immer seinen Teil denken. Mal geht’s nicht so schnell, mal geht’s schnell und mal ist ausnahmsweise der Daumen dann doch auf dem Teller und nicht nur am Tellerrand. Das muss der Gast halt abkönnen. Welche Einschränkungen haben die Mitarbeiter, die bei Ihnen tätig sind? Wir haben eine ganze Reihe von Mitarbeitern, die sind gehörlos, es gibt Mitarbeiter, die psychisch behindert sind, und es gibt Mitarbeiter, die eine körperliche Behinderung haben. Sind die Kunden zufrieden? Das ist wie im richtigen Leben. Es gibt wahrscheinlich den einen oder anderen, der nicht zufrieden ist, der sich ärgert und nach Hause geht und nicht wiederkommt. Es gibt Gäste, die sind nicht zufrieden und melden sich. Und es gibt einen großen Teil von Gästen, die sehr zufrieden sind, die das Projekt sehr gut finden und uns das sagen. Wir reden mit denen, die nicht zufrieden sind, und prüfen, ob die Beschwerde nachvollziehbar ist, und versuchen, uns zu verbessern. Wir haben durch die Rezeption einen sehr engen Kontakt zu unseren Gästen. Stellen Sie Veranstaltungstechnik wie Beamer und Laptop zur Verfügung? Ja, gerne, wenn es planbar ist. Manchmal wird vom Kunden gesagt, wir brauchen keine Beamer, und um halb 10 fällt dem Vortragenden ein, er braucht doch einen Beamer oder er muss doch einen Overheadprojektor haben. Wie die Welt so ist. Die Techniker sind … … unsere Mitarbeiter, die wissen schon, wie das geht. Sind die Mitarbeiter zufrieden? Da fragen Sie mal die Mitarbeiter. Mein Eindruck ist, dass die Mitarbeiter sehr zufrieden sind. Dass die Arbeit hier für viele richtig gut ist. Sie haben aber auch ein sozialarbeiterisches Konzept. Wir haben, so weit ich es heute sehe, ein gutes betriebswirtschaftliches Konzept und ein attraktives Konzept für einen lernenden, intelligenten Betrieb. Wir wollen, dass die Gäste und Mitarbeiter sagen: Da gehe ich gerne hin, das ist gut bei denen. hoffmanns höfe Ein Betrieb der gemeinnützigen Gesellschaft für Bildung und berufliche Integration mbH Geschäftsführer Wolfgang Schrank Heinrich-Hoffmann-Straße 3 60528 Frankfurt am Main fon fax 069 I 67 06–100 069 I 67 06–111 [email protected] www.hoffmanns-hoefe.de wie Hörende. Da heute jedes Gerät über Vibrationsalarm verfügt, werden auch gehörlose Personen eindeutig auf ankommende Nachrichten hingewiesen. Und dank dem Lesen und Schreiben von SMS-Nachrichten werden die Handys fast wie Bildtelefone genutzt. Für viele gehörlose Menschen haben sich dadurch die Kommunikationsmöglichkeiten enorm verbessert. 33 IB_Musterlayout_Kombinat_34-37:Layout 1 21.11.2011 kombinat 22:05 Uhr Seite 34 IB_Musterlayout_Kombinat_34-37:Layout 1 21.11.2011 22:05 Uhr Seite 35 kombinat „Planen wie die Dombaumeister: vom Geheimnis der Integrationsbetriebe“ A ls Tochterunternehmen des Frankfurter Vereins für soziale Heimstätten wurde 2002 kombinat, die „kombinierte Beschäftigungsinitiative für neue Arbeit”, gegründet. Der Name ist Programm, denn der Betrieb integriert Menschen mit Handicaps in unterschiedliche Berufe und ermöglicht damit ein auskömmliches Erwerbsleben. Seit einem Jahrzehnt bewährt er sich in der Geschäftsform gGmbH, besteht doch seine Aufgabe darin, diesem Personenkreis handwerkliche Ausbildung und Qualifikation zu bieten. In einem Gebäude der Konrad-Broßwitz-Straße in Frankfurt-Bockenheim liegt das Betriebsbüro der Firma. In weiteren Räumen befinden sich Arbeitsmaterialien, Maschinen, Aufenthaltsgelegenheiten und Spinde für die Beschäftigten. An einer Tür hängt als Broschüre das Betriebsverfassungsgesetz und eine Betriebsrätin ist hier fürs gesamte Unternehmen aktiv. kombinat bietet Menschen mit und ohne Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt Arbeitsplätze in den Bereichen Gastronomie, Maler- und Renovierungshandwerk und mehr. Bezüge bestehen auch zwischen den Frankfurter Integrationsbetrieben selbst: So sind Einsatzorte für die Maler und Hausdienstler auch das Tagungshotel hoffmanns höfe und der Frankfurter Verein. Es sieht aber ganz so aus, als ob kombinat sich nicht nur dank der Betriebsführung des Kulturhauses „Mainfeld – Raum für Kultur“ neue Bereiche eröffnet, sondern auch immer mehr private Kunden erreicht. Malereibetrieb und Gastronomie zwischen Motivation und Geschäftssinn Seit 2001 ist Karl H. Wieß, der aus dem Personalbereich eines Banken- und Versicherungsunternehmens kommt, ehrenamtlich engagierter Betriebsleiter von kombinat-Betrieb und sorgt dort auch für die Ausbildung. Zwei Maler-Azubis erwarben mittlerweile in dem Integrationsunternehmen das handwerkliche Können für die Gesellenprüfung. Unabdingbar aber, so Wieß, der in seinem Büro Kunstwerke seiner Mitarbeiter als Dauerleihgabe ausstellt, ist „der wirtschaftliche Gedanke“. Neben dem Frankfurter Verein arbeitet das Unternehmen u. a. für Wohnungsbaugesellschaften, das Rote Kreuz und Privatleute als Gründung Die kombinierte Beschäftigungsinitiative für neue Arbeit kombinat wurde 2002 als gGmbH mit der Absicht gegründet, Menschen mit Behinderung einen Eintritt in den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Alleiniger Gesellschafter zu 100 Prozent ist der Frankfurter Verein für soziale Heimstätten e. V. 35 IB_Musterlayout_Kombinat_34-37:Layout 1 21.11.2011 22:05 Uhr Seite 36 Kunden. Im Falle der Renovierung eines denkmalgeschützten Hauses brachte dies der Malermannschaft „das Lob des Denkmalschutzes und des auftraggebenden Architekten ein“. „Dahinter stand viel Motivationsarbeit“, erinnert sich Karl Wieß, „aber auch der Teamgeist unter den Malern. Wenige Menschen geben zu, dass sie manches nicht können. Unsere behinderten Mitarbeiter sind da keine Ausnahme.“ Bei der Vielzahl der Baustellen gebe es eine Menge Einsatzorte, so Wieß, der zugleich an hoffmanns höfe denkt, einen Integrationsbetrieb mit Tagungshotel in einem Gebäudekomplex aus den 50er Jahren. Gastronomin Daniela Hansen liegt das Wohl der Mitarbeiter und der Gäste am Herzen. Die Küche des Tagungshotels wird im Auftrag von hoffmanns höfen von der kombinats-Gastronomin Daniela Hansen geführt. Frau Hansen, die einmal Kneipenbesitzerin war, hat dazugelernt: „Vorher habe ich mich in Arbeitszusammenhängen nicht auf die Sorgen anderer bezogen. Hier tue ich das.“ Und sie spricht von der Kraft und dem Sachverstand, die ihr selber zugetraut wurden, um die Interessen anderer zu vertreten. Im Restaurantbetrieb klärt sie manche Missverständnisse, etwa wenn ein Gast einen gehörlosen Mitarbeiter ruft und sich wundert, dass dieser nicht kommt. „Unser Mitarbeiter liest von den Lippen ab, er hat Sie nicht gesehen!“ Diese Atmosphäre von Offenheit wird an die Kunden weitergegeben, die erstaunt und erfreut sind, dass es so gut läuft. Horst Buchenauer, der viel mit Handwerkern zu tun hat und gut die Konkurrenz im Handwerk vergleichen kann, lobt seinerseits die Zusammenarbeit der Malermannschaft aus dem kombinats-Betrieb, die seine Wohnung renoviert hat. „Wenn mal was schiefging“, so der Kunde, der neben der Beratungskompetenz vor allem die Ehrlichkeit von Herrn Wieß und seiner Assistentin, Frau Wötzel, schätzt, „wurde das durch den persönlichen Kontakt bestens gelöst.“ Geschäftsfelder Die Geschäftsfelder von kombinat umfassen Gastronomie, Hauswirtschaft und Gebäudereinigung sowie Maler- und Renovierungshandwerk. Seit September 2009 betreibt kombinat auch das Kulturhaus „Mainfeld – Raum für Kultur“ in Frankfurt am Main-Niederrad, seit dem Sommer 2011 den Gastro-Ponton in Frankfurts Licht- und Luftbad LiLu. IB_Musterlayout_Kombinat_34-37:Layout 1 21.11.2011 22:05 Uhr Seite 37 kombinat im Gespräch mit PETER HOVERMANN Peter Hovermann ist Geschäftsführer des Frankfurter Vereins für soziale Heimstätten und von kombinat – Kombinierte Beschäftigungsinitiative für neue Arbeit. Wie kam der Frankfurter Verein dazu, mit der Unternehmensgründung kombinat an den Markt zu gehen? Der Frankfurter Verein entwickelte sich aus der Arbeit auf der Straße. Es gibt einen Arbeiterroman von Anfang der 30er Jahre, der heißt Schluckebier, in dem wird ein Mann beschrieben, der in den 10er und 20er Jahren des letzten Jahrhunderts durch die Lande zieht. In dem Roman ist auch eine unserer Einrichtungen verewigt: der Rote Hamm, damals noch eine Arbeiterkolonie. Heute befinden sich dort eine Werkstatt und eine Wohnstätte für psychisch behinderte Menschen. Der Auftrag des Frankfurter Vereins war es damals, den jungen Männern, die die Großstadt wie ein Magnet anzog, eine Arbeit zu geben. Denn auch im damaligen Frankfurt am Main gab es kaum Beschäftigungsmöglichkeiten. Damals war das das Ende des Kaiserreichs und der Anfang der Weimarer Republik. Ja. Da liegen unsere Wurzeln. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir mit der Obdachlosenarbeit weitergemacht. Aber dann mit der Psychiatrie-Enquête in den 1970er Jahren kamen die Einrichtungen für psychisch kranke Menschen hinzu, im Rahmen der Enthospitalisierung. Und wenn es um Normalität geht, ist das zentrale Thema neben dem Wohnen auch die Arbeit. In den 1970er Jahren sind die ersten Werkstätten nur für Menschen mit psychischen Behinderungen errichtet worden, was damals ungewöhnlich war. Die Werkstätten haben einen gesetzlich geschützten Rechtsstatus. Es handelt sich dabei um ein Beschäftigungsverhältnis eigener Art, bei dem u. a. Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen sind. Vor vielen Jahren haben wir auch eine solche Reha-Werkstatt für Obdachlose aufgebaut, von denen ein Großteil suchtkrank und/oder psychisch krank war, allerdings ohne den anerkannten Rechtsstatus der Werkstätten für behinderte Menschen. Was war Ihre Philosophie bei diesen Angeboten? Es war immer das Ziel, realitätsnahe Beschäftigungsverhältnisse zu finden. Viele Werkstätten hingegen hatten anfangs eher eine Ausrichtung auf Bastelarbeiten. Wir haben immer das Credo möglichst großer Arbeitsmarktnähe vertreten. Auch das garantiert zwar keinen automatischen Übergang in den ersten Arbeitsmarkt. Es ist aber ein Unterschied, ob ich eine Beschäftigung habe, deren Ergebnis einen eher geringen wirtschaftlichen Nutzen hat, oder ob sie unter eher normalen Bedingungen abläuft und eine Vielfalt an Arbeitsaufgaben bereitstellt. Normalität ermöglicht auch hier Integration. Wir haben im Laufe der Zeit gesehen, dass bei einer guten Anleitung viel möglich wird. Um das Jahr 2000 herum ist uns aber klargeworden, dass wir weitergehen müssen. Schwerbehinderte Menschen können arbeitsmarktnahe Beschäftigungen ausüben, wenn sie ordentlich begleitet und angeleitet In Zahlen (2010) Umsatz Personalaufwand Öffentliche Förderung Anzahl der Mitarbeiter 1.714.000 Euro 948.000 Euro 183.000 Euro 56 Personen 37 IB_Musterlayout_Kombinat_34-37:Layout 1 21.11.2011 22:05 Uhr Seite 38 gänge erleichtert werden, zum anderen sollten aber alle Angebote so organisiert sein, dass der Anspruch einer möglichst realitätsnahen Arbeit bleibt. Diese muss aber an den Klienten so angepasst werden, dass sie zu ihm passt und nicht umgekehrt. werden. Psychisch behinderte Menschen erbringen phasenweise Spitzenleistungen. In Zeiten einer psychischen Krise geht zwar nur wenig, dann schöpfen sie aber wieder Kraft und können auf hohem Niveau weiterarbeiten, vielleicht aber eben nur bis zur nächsten Krise. Sie brauchen Unterstützung, die ihnen die Angst nimmt. So ist es. Während der Krisenphase müssen sie gut begleitet werden. Wie gute Begleitung aussieht und wie Krisen rechtzeitig erkannt, gemildert oder verhindert werden können, gehört zum spezifischen, in vielen Jahren praktischer Arbeit erworbenen Know-how im Frankfurter Verein, und dieses Wissen ist in unsere Firma kombinat eingeflossen. Also bestand schon vorher ein Wissen über Begleitung, um im Arbeitsalltag zu bestehen? Ja, schon vor dem Jahr 2000 wurde sowohl in Hessen und als auch in der ganzen Bundesrepublik klar, dass die Werkstätten zusammen mit dem Integrationsfachdienst die Integration der Betroffenen in den ersten Arbeitsmarkt alleine nicht schaffen. Um die Jahrtausendwende wurde in Hessen das Konzept einer „Agentur für angepasste Arbeit“ entwickelt: Zum einen sollten in dieser Agentur alle bestehenden Angebote integriert und miteinander verzahnt und die Über- Das hat auch Herr Schrank, Geschäftsführer von hoffmanns höfe, formuliert. Ja, genau. Und dann haben wir die Sachlage in Frankfurt am Main analysiert: Die Integrationsfachdienste gab es schon, damals noch mit einer gesunden und vernünftigen Finanzierung. Das ist heute anders. Die Werkstätten gab es auch, und auch die Tagesstätten. Was gefehlt hat, das waren weitere Möglichkeiten, über den Integrationsfachdienst hinaus, die mehr Integration in den ersten Arbeitsmarkt ermöglichen. Da haben sie eine Brücke von den Werkstätten zum ersten Arbeitsmarkt gebaut. Ja, und zwar in zwei Richtungen. Zum einen ging es darum, unsere Organisation in Produktion und Anleitung von Menschen mit Behinderungen, die wir bisher nur im Rahmen unserer Werkstätten umgesetzt hatten, auch gewerblichen Unternehmen zur Verfügung zu stellen: also der Direkteinsatz beim betrieblichen Kunden. In den Werkstätten, in denen es um hochwertige Produkte geht, sind wir ziemlich weit vorn. Es gibt eine Reihe von Spezialprodukten, die nur wir machen und vertreiben. Die setzen ein hohes technisches Know-how, aber auch ein hohes Fertigungswissen bei den Mitarbeitern voraus. Sind das die Archivierungsleistungen etwa? Ja, aber auch weitere hoch spezialisierte Leistungen der Elektrotechnik, wie etwa der Lectron- Blitzlicht Herr Wieß, was empfehlen Sie Gründern von Integrationsbetrieben? „Die Gründer müssen zunächst die wirtschaftlichen Bedingungen des Betriebs sicherstellen, bevor sie die Betreuung des Menschen in den Vordergrund stellen.“ IB_Musterlayout_Kombinat_34-37:Layout 1 21.11.2011 22:05 Uhr Seite 39 kombinat Baukasten, entworfen vom Braun-Designer Dieter Rams. Diesen Elektronikbaukasten, mit dem ursprünglich Schüler experimentierten, haben wir mit ehemaligen Industriefachleuten zu einem hoch spezialisierten Produkt für Berufsschulen und Universitäten weiterentwickelt. Erste Erfahrungen hatten wir schon damals mit ausgelagerten Arbeitsplätzen gesammelt. Unsere Kunden kamen seinerzeit zu uns und sagten: „Es ergibt keinen Sinn, dass ihr bestimmte Sachen in euren Werkstätten konfektioniert, kommt doch zu uns und macht das hier.“ Ein aktuelles Beispiel ist die Poststelle des Integrationsbetriebs fbb im Staatlichen Schulamt von Frankfurt am Main. Zum Beispiel. Oder die Logistikabteilung in einem mittelstädtischen regionalen Maschinenbauunternehmen, die mittlerweile komplett von den Mitarbeitern einer Werkstatt geführt wird. Und die wesentliche Erfahrung war die, dass allein dieses Tätigsein außerhalb der Werkstatt noch mal einen Integrationsschub für die allermeisten Klienten bot. Der Beschäftigte eines Unternehmens integriert den behinderten Mitarbeiter, der dazukommt? Nicht unbedingt. Es wird oft schwierig, wenn behinderte Menschen einfach in die Arbeitsprozesse eines fremden Unternehmens integriert werden sollen. Das geht nur in Ausnahmefällen gut, weil es eben an der erforderlichen Begleitung fehlt. Ein gutes Beispiel ist die angesprochene Logistikabteilung. Hier ging das zusätzliche Know-how aus den Werkstätten, die ja auch Wirtschaftsbetriebe sind, in die Logistik eines gewerblichen Unternehmens über. Und die Stammmitarbeiter des Unternehmens haben sich gewundert, dass das Warenlager jetzt viel besser läuft als zuvor. Etwas Neues tickt im Unternehmen: vielleicht eine Art Entschleunigung von Zeit? Nun ja, die Anforderungen innerhalb der Prozesskette des Unternehmens bleiben eng getaktet. Wir müssen sehen, wie wir das so organisieren können, dass unsere Mitarbeiter, die partielle Einschränkungen haben, dies trotzdem hinkriegen. Wenn man sich die alten Kirchenbauwerke, etwa einen Dom aus der Gotik, anschaut, dann bemerkt man, dass die Dombaumeister, die kaum theoretische Kenntnisse über Statik hatten, gleich mehrfach doppelte Sicherungen eingebaut haben. So machen wir das auch. Das ist ein Geheimnis unseres Erfolgs. Und die zweite Richtung haben Sie dann mit der Gründung von Integrationsbetrieben eingeschlagen? Unsere Anschlussfrage war damals: Welche Branchen sind noch geeignet, in denen es Menschen mit Behinderungen mit Anleitung und Begleitung schaffen könnten, dauerhaft wirtschaftlich ausreichende Ergebnisse zu erzielen? Da haben wir uns entschieden, selbst ein Unternehmen als Integrationsbetrieb zu gründen und zu führen wie ein normales gewerbliches Unternehmen. Unser Know-how in wirtschaftlicher Betriebsführung und Unterstützung von behinderten Menschen aus unseren Werkstätten kam uns dabei zugute. Dem noch deutlich größeren Maß an Normalität entsprechend, mussten wir uns aber auch neuen Integrationsaufgaben stellen, z. B. der Frage: Wie können wir behinderte Menschen im Betrieb, die gute Leistungen zeigen, im Sinne normaler Personalentwicklung so begleiten, dass sie Vorarbeiter- und Führungsaufgaben übernehmen können? Farbe und Pinsel kommen bei den Mitarbeitern von kombinat auch künstlerisch zum Einsatz. kombinat Kombinierte Beschäftigungsinitiative für neue Arbeit GmbH Geschäftsführer Peter Hovermann Konrad-Broßwitz-Straße 11 60487 Frankfurt am Main fon fax 069 I 71 91 59 84 069 I 77 06 78 60 [email protected] www.kombinat-frankfurt.de Menschen auch mit einer schweren Behinderung können arbeitsmarktnahe Beschäftigungen ausüben, wenn sie ordentlich begleitet, angeleitet und motiviert werden. 39 IB_Schluss_38-39:Layout 1 21.11.2011 22:08 Uhr Seite 40 Information für Wirtschaftsunternehmen Zuschüsse für alle Integrationsprojekte sind rechtlich und wirtschaftlich selbstständige Unternehmen, die der normalen Realwirtschaft und dem ersten allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnen sind. Integrationsunternehmen beschäftigen für ihre Produktion oder Dienstleistungserstellung Menschen mit und Menschen ohne Behinderung. Sie erhalten dazu nur die finanziellen Förderungen, wie sie alle privaten Wirtschaftsunternehmen beanspruchen können. Das sind im Wesentlichen Mittel der Integrationsämter aus der Ausgleichsabgabe sowie Eingliederungszuschüsse der Agenturen für Arbeit. Wirtschaftsunternehmen aller Rechtsformen können sich bei Interesse an Zuschüssen für die Beschäftigung behinderter Menschen an die Integrationsämter, die örtlichen Agenturen für Arbeit oder den Integrationsfachdienst vor Ort wenden. Landeswohlfahrtsverband Hessen Integrationsamt Kölnische Straße 30 34117 Kassel Tel.: 0561 1004-0 www.lwv-hessen.de IB_Schluss_38-39:Layout 1 21.11.2011 22:08 Uhr Seite 41 Impressum Herausgeber Frankfurter Beschäftigungsbetriebe gGmbH Autoren Beate Glinski-Krause Günter Neeßen Gerhard Pfannendörfer (Koordination) Fotos Sandra Heep DialogMuseum (S. 16–21) Druck Reha-Werkstatt Rödelheim Gestaltung Bettina Hackenspiel Dank Diese Broschüre über Integrationsbetriebe in Frankfurt am Main wurde durch die Unterstützung von Melanie Radke ermöglicht. Als sozialpolitisch interessierte Bürgerin der Stadt Frankfurt am Main und als langjähriges Mitglied der SPD verfolgt Melanie Radke die vielfältigen Initiativen und Aktivitäten, die in unserer Gesellschaft für und mit schwerbehinderten Personen organisiert werden, um ihnen eine Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. Als kritische Begleiterin ist sie in die Diskussion über die wirtschaftliche Entwicklung der Integrationsunternehmen und ihre sozialpolitischen Konzepte eingebunden. Frankfurt am Main, 2012 41