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Uwe Boche
Hey, hier kommt Alex
»Wir wollen in diesem Buch die eigentlichen Experten,
Hooligans selbst, zu Wort kommen lassen, ihnen die Möglichkeit geben, sich in ausführlichen Gesprächen (...)
selbst darzustellen. Das Studium von nicht immer hart
durchrationalisierten, durchaus auch widersprüchlichen
Interviews mag die Suche nach einem eindeutigen Abbild
der Szene beschwerlicher gestalten als ein soziologischer
Aufsatz - aber mit Sicherheit auch spannender.«
Die Autoren machen den Leser in ihren Gesprächen mit
sechzehn Jugendlichen bekannt, die eigentlich nur eine
einzige Gemeinsamkeit haben: sie wollen Frust ablassen.
»Manchmal im Leben, gerade auf der Arbeit, bist du ja
doch das feige kleine Arschloch und hast dem Chef doch
nicht die Meinung gesagt. Irgendwo in deinem Leben
willst du die Grenzen, die dir gesteckt sind und die du auch
einhälst, sprengen. Im normalen Leben steckt man meistens was ein, und da teilt man endlich mal aus.« Dies ist
der kleinste gemeinsame Nenner. Darüber hinaus existieren
nur noch Unterschiede. Bei einigen ist viel von Freundschaft und Fairness die Rede. Sie verachten diejenigen, die
auf »Gefallene« noch einschlagen oder Waffen benutzen
und denen »ein bißchen schmutziges zwanzig gegen einen« gerade recht ist. Kommt es zu solchen Vorfällen, wird
sogar die Polizei als regulierendes Moment betrachtet. Das
ist natürlich nicht immer so. Gerade seit dem es der Polizei
immer öfter gelingt, die rivalisierenden Gruppen voneinander zu trennen, muß sie (nicht erst seit dem Todesfall in
Leipzig) als Ersatzgegner herhalten. Dies zeigt sich auch an
der Auswahl der Fotos, auf denen bis auf eine Ausnahme
nur Randaleszenen mit der Polizei zu sehen sind. Man
prügelt sich halt mit dem, der da ist. Besonders bemerkenswert ist der fünfzehnjährige Hooligan, der nach seinem
Schulabschluß die Seite wechseln und im Bundesgrenzschutz die Randale staatlich sanktioniert weiterführen will.
Auch beim Thema Rechtsradika-lismus ergibt sich kein
geschlossenes Bild. »Ich bin schon Nazi«, »Sieg Heil«
rufen nur aus Provokation und
»Deutschland den Deutschen, Ausländer raus - ...Das sind für mich keine Argumente, das ist für mich einfach
blödes Birnentum« sind doch deutlich unterschiedliche Standpunkte.
Skurrile Formen nimmt die Hierachiebildung innerhalb der Gruppen an.
Daß die gestandenen Hools aus der
ersten Reihe die geachtetsten sind, ist
verständlich. Daß sich aber die Mitläufer mit Markenkonfektion uni-forHauswald
mieren müssen, um eine gehobene Harald
(Fotografien) und Klaus Farin
Stellung in der Gruppe dokumentieren (Gespräche): »Die dritte
zu können, erinnert doch sehr an die Halbzeit. Fußballfans und
Verhältnisse in der »normalen« Ge- Hooligans«, BasisDruck,
sellschaft. Du bist, was du hast.
Berlin 1993; 144 Seiten, ISBN
Insgesamt ist das Buch für mich
sehr lesenswert. Als Fazit kann man sagen: Es gibt kein
eindeutiges Abbild der Szene. Sie ist so bunt wie die
Gesellschaft selbst, vielleicht sogar eine Kopie derselben.
Und das läßt mich befürchten, daß die Hooligans viel
Energie verschwenden bei dem Versuch, jede Woche
wenigstens einmal aus ihren Zwängen auszubrechen, dabei
am Ende aber nur als ABM für Polizei und Medien dienen.
Am Ende ihrer Hooligan-Laufbahn wird es heißen: »So, das
war’s also: Alex sah ein, daß die Welt gut und nett war. Und
er smeckte wie bezumnie in die Kameras und sein weiteres
Dschisny war klar. Er würde sich eine artige Horrorschau
von einer Frau suchen und ein paar granznige Kinder
machen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie
noch heute. Amen. Und all den ganzen Scheiß.« (Aus dem
Covertext der LP »Ein kleines bißchen Horrorschau« der
»Toten Hosen«)
Lutz Rathenow
Schnitzler über alles
Wenn die Ekelseite der DDR neben Stasi und Schießbefehl
einen Namen hatte, dann hieß er Karl-Eduard von Schnitzler. »Schnitzler in die Muppet-Show!« eine Losung der
Wende-Demos.
Vorher nervten 1519 Ausgaben seines »Schwarzen
Kanals« per Bildschirm den Ost-Zuschauer. Danach versteckte er sich eine Weile in seiner Wohnung. Noch einmal
Volkes Plakatkommentar im Herbst 89: »Lieber viele saubere Flüsse als einen SCHWARZEN KANAL!«
Warum kam bei der Bundespräsidentensuche noch
niemand auf ihn? Immerhin vereinte er das Volk in seiner
Abneigung gegen ihn. Er an der Spitze und Karo als Einheitszigarette, um jede DDR-Sehnsucht auszutreiben. Aber da
lachen mit den DDRlern höchstens die Westberliner mit und
markieren so das Problem: im Westen des Westens weiß
man nicht hinreichend, was ihnen entgangen ist. Und so
dürfte das Schnitzler-Regierungsprojekt am Desinteresse
scheitern. Wem muß schon erklärt werden, was ein »Schwarzer Kanal« war? Aus Fernsehsen-dungen West schnipselte
sich »Sudel-Ede Ost« ein Agit-Prop-Konglomerat zusammen, verbal kräftig antiwestlich aufgemöbelt. In all den
Jahren vermochte er dabei mindestens einen zu überzeugen:
sich selbst. Zwischen zwei Fakten bevorzugte er stets den
kürzesten Weg: die dema-gogische Brücke. Als die DDR
dann keinen »Schwarzen Kanal« mehr wollte, wollte bald
keiner mehr die DDR. Hätte das auch eher funktioniert? Eine
Fernsehsendung beseitigen, damit ein Staat verschwindet?
Karl-Eduard hat eigentlich den richtigen Zeitpunkt für seinen Fernseh-abgang erwischt: die vielen privaten Zusatzanbieter, die er jetzt hätte noch überwachen müssen, würden auch sein Observationsvermögen überfordern. Dafür
mutierte er zum Schriftsteller. Schwarz auf weiß wird
weiterkanalt, strikt, stramm, stur - eben Schnitzler pur. Kultbücher für Süchtige nach Klassenkampffeeling. Mit der
Rezensionen
39