Die Heimkehr - Rationalgalerie

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Die Heimkehr - Rationalgalerie
Die Heimkehr
Eine Odyssee ins eigene Land
Autor: U. Gellermann
Datum: 10. Juni 2006
----Buchtitel: Die Heimkehr
Buchautor: Bernhard Schlink
Verlag: Diogenes Verlag
Er wolle sich nicht jeden Tag diese Vergangenheit vorhalten lasse, er wolle es
nicht leiden, dass Auschwitz als Moralkeule dienlich sein könne, diese
Positionen fielen Martin Walser aus dem Gesicht, als er im Oktober 1998 in der
Paulskirche seinen Dank für die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen
Buchhandels leistete. Neben der politischen und moralischen Merkwürdigkeit
dieser Haltung, die dem Schriftsteller viele falsche Freunde und eine Reihe
guter Feinde eingebracht hatte, gab es noch eine weitere Erstaunlichkeit: Kein
Stoff aus der deutschen Geschichte ist so dramatisch, so bewegend wie eben die
Zeit zwischen 1933 und 1945, kein Stoff eignet sich mehr als dieser, ihn zu
Filmen, Theaterstücken oder Büchern zu verarbeiten, warum ausgerechnet ein
Autor lieber "wegschauen" mochte bleibt ein Rätsel. Der Schriftsteller Bernhard
Schlink hat sich mit seinem neuen Buch »Heimkehr" dieser Zeit zugewandt
und einen Heimatroman geschrieben. Es sind ganz leise Töne, die der Text zu
Beginn freigibt, es sind die schönen Ferien bei den Schweizer Großeltern die der
kleine Peter Debauer verbringt, die die ersten Seiten des Romans bestimmen.
Alles ist besser in der Schweiz der 50er Jahre als in dem Deutschland, aus dem
der Junge zu Besuch aus der kleinen Stadt im Westen, in der er mit seiner
Mutter und der Erinnerung an den Vater, den Sohn der Schweizer Großeltern,
lebt Fast unmerklich wird der Junge groß und die Geschichte bewegt sich auf
den den deutschen Krieg, auf die Heimkehr eines Soldaten zu, auf die Odyssee
eines Heimkehrers.Schon als Kind hatte Peter Debauer Fragmente dieses
Groschenromans gelesen: Die Großeltern lektorierten in Heimarbeit und die
leeren Rückseiten der Druckfahnen dienten als Schmierpapier. Weitere
Fragmente tauchen bei einem Umzug auf und Debauer ist fasziniert: Das Ende
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will er lesen, wissen wer der Autor ist, der offensichtlich das antike Epos über
die Abenteuer des Odysseus in einen Nachkriegsreißer verwandelt hat, in dem,
Hans Hellmut Kirst lässt grüßen, der Landser, sich irgendwo in russischer
Kriegsgefangenschaft von einer heißblütigen Kalinka (Circe) los reißt, um in die
Arme der Angetrauten zurückzukehren (Penelope). Für Debauer wird die Suche
nach dem Autor zur Obsession, er beginnt seine eigene Odyssee und findet auf
Umwegen die Spur des Autors, der schon für das Göbbels-Blatt "Das Reich"
schrieb und dort eine scheinphilosophische Rechtfertigung der Naziverbrechen
verbrochen hatte.Einer der Umwege führt Hanke über den Wohnort der Mutter
im Krieg, nach Breslau, und lässt ihn dort auf den Gauleiter von Niederschlesien
stoßen, Karl Hanke, der »nicht umsonst hat der Führer ihn geliebt«, in einer
Zeitzeugin als »der beste« weiterlebt. Schlink oder Debauer, beide brauchen den
Hanke um sich erneut zu versichern wie schweinisch die Schweinerei war und
wie verwoben mit dem Deutschland dem sie entstammen: Hanke »verteidigte«
Breslau gegen die Rote Armee zu Tode, dem »Henker von Breslau« soll die
Flucht gelungen sein.Die leisen Töne des Anfangs weichen jetzt den Synkopen
einer Jagd, der Debauer sein Leben unterordnet und die ihn vermuten lässt,
dass der Gesuchte sein Vater ist. Die Vatersuche, die nach den Wurzeln und
nach der Heimat wird überlagert von jenem jüngeren Teil der deutschen
Geschichte, der noch lange die gesamte Geschichte der Nation überschatten,
dominieren wird. Insbesondere weil Debauer mit seinem Vater auf einen
Revisionisten trifft, der die Nazi-Verbrechen mit dem rechtsphilosophischen
Dekonstruktivismus relativiert, sie durch die Subjektivierung des Rechtes "wer
Böses tut kann Gutes wollen", frei spricht. Um praktisch erfahrbar zu machen,
dass in uns allen das Böse lauert, lotst der Vater den Sohn in eine
Psycho-Seminar, ein menschenwürdiges Experiment, in dessen Verlauf der
Sohn erfährt, dass er fähig ist "böse zu handeln".Mit Peter Debauer kehrt auch
Bernhard Schlink heim. Ungewiss bleibt ihm die Heimat, unsicher das Bild vom
gestrigen Deutschland, das, mit einem glänzend geschrieben Buch belegt, in das
heutige hineinragt. Ungeklärt bleibt die Frage, die wir Nachgeborenen immer
wieder gestellt haben: Wie hätten wir uns in jener Zeit verhalten, wären wir
Täter oder Widerständler gewesen, angepasst oder exiliert? Schon die Frage
impliziert jene Dramatik, die Walser nicht mehr sehen wollte und die doch
immer wieder produktiv eigenes Leben und eigenes Land hinterfragt und
positiv beantwortet sein will. So ist dem Schlink etwas gelungen, was nicht
nach Keule sondern nach Florett aussieht und doch sehr moralisch agiert und
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poetisch überzeugt.
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