1. Deutschland um 1800 - 2. Die Politische Situation

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1. Deutschland um 1800 - 2. Die Politische Situation
1K. Wünsche: Der Industrialisierungsprozess in Deutschland
1. Deutschland um 1800 Wirtschaft und Gesellschaft auf dem
Lande
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¾ der Gesellschaft auf dem Land
Agrargesellschaft war bestimmend
(Subsistenzwirtschaft), Mehrheit
der Bevölkerung an den Adel
gebunden: Hörigkeit und
Leibeigenschaft überwiegend,
westlich der Elbe vorw.
Grundherrschaften, östlich der
Elbe vorw. Gutsherrschaften
1.1. Motivation
für das Einleiten des Industrialisierungsprozesses
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Zwang zur Modernisierung durch
ausländische Konkurrenz
Notwendigkeit zur Beibehaltung der
Machtstellung in Europa
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2. Die Politische Situation
als Voraussetzung der Industrialisierung
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Einfluss der Französischen
Revolution
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1799 Abschaffung der Gutsherrschaft
auf den Domänen des preußischen
Königs
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1803
Reichsdeputationshauptschluß
(Säkularisation geistlicher
Fürstentümer, Mediatisierung der
meisten freien Reichsstädte – außer
Hamburg, Bremen, Lübeck,
Frankfurt/M., Nürnberg und Augsburg)
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1806 Niederlage Preußens gegen
Frankreich bei Jena und Auerstedt
(Gebietsverlust 50%)
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1807 Beginn der preußischen
Reformen
(Agrarreform, Städtereform,
Militärreform, Verwaltungsreform,
Bildungsreform, Judenemanzipation)
1.2. Voraussetzungen
für Durchführung des Industrialisierungsprozess:
• Produktionsüberschüsse der LW,
• Freisetzung von Arbeitskräften
• Entstehung eines Marktes für
gewerbliche Produkte
• Ausbildung der Arbeitskräfte
1.3. Situation in der Landwirtschaft
• Dreifelderwirtschaft
• wissenschaftliche Verfahren zur
Bodenverbesserung, systematische
Zucht von Tieren
• Gründung von Dörfern
• steigende Getreidepreise >
Bodenspekulation
• 1794 „Allgemeines Landrecht“ in
Preußen > Festschreibung des
feudalen Status quo
1.4. Die gewerbliche Produktion vor der
Industrialisierung
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„Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“
im europäischen Maßstab kann auch
am Nebeneinanderbestehen
verschiedener Produktionsformen
erkannt werden: Zunftwesen,
Verlagssystem, Manufakturen,
Fabriken
in Deutschland > gewerbliche
Produktion fast nur städtisch >
Zunftkontrolle
Basis für den Unternehmer war Sachund Geldvermögen > Kapital
über Erfolge entschied der > Gewinn
marktorientierte Produktionsweise
unter Ausnutzung lohnabhängiger
Arbeitskräfte > „kapitalistisch“
West-Ost-Gefälle (Westen höher
entwickelt)
(Agrarsektor nördl. Ostpreußen 87%,
Ostwestfalen 49%)
im Osten fehlen vor allem freie
Arbeitskräfte
1K. Wünsche: Der Industrialisierungsprozess in Deutschland
3. Die Agrarreformen als Basis der Industrialisierung
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„Reform von oben“
Freiherr vom und zum Stein
3.1. Ansatzpunkte:
Aufhebung zweier alter Sozialordnungen > Grund- und Gutsherrschaft sowie Zünfte >
Abschaffung der Ständeordnung
3.2. Wirkung:
Entlassung von Millionen Menschen in die Freiheit > Schaffung freier Arbeitskräfte und Belebung
des Marktes für Waren und Personen, Aufhebung des Gewerbemonopols und Ansiedlung von
Unternehmen,
3.3. Probleme: Bewahrung der politischen und sozialen Macht des Adels (im Gegensatz zu
Frankreich), kein leistungsfähiges Kreditsystem, Verteilung des Bodens nach wirtschaftlichen
Gesichtspunkten, Lösung für Ablösung von Diensten, Entschädigung der Güter für Einkauf neuer
Arbeitskräfte, Bauernstellen müssen leistungsfähig sein, um Ablöse zu bezahlen
3.4. Praxis: bis 1842 84 Gesetze zu Regelung, Ablösezahlungen bis nach 1900, fast nur Bauern mit
eigenem Zugvieh,
3.5. Bilanz: keine rasche Abwanderung in die Städte, Zunahme der Arbeitskräfte auf dem Land durch
Intensivierung (Futterpflanzen, Chemie), immer wieder Missernten (1847 > Ausbruch der
Revolution 1848), Bevölkerungszuwachs bis 1848 um 60% ohne nennenswerte Hungersnöte
3.6. Inkonsequenzen: keine Demokratisierung auf dem Land > Gutsbezirke bleiben bestehen >
Gutherr hat Judikative und Exekutive bis 1848/51
3.7. Folgen: Auswanderung, Verschuldung > Außenpolitik nachhaltig beeinflusst
Voraussetzungen
der Industrialisierung im
Wirkungszusammenhang
2K. Wünsche: Der Industrialisierungsprozess in Deutschland
4. Der Beginn der Industrialisierung in Deutschland
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bis in die 40er Jahre bestimmte die Landwirtschaft die deutsche Wirtschaft
nach Aufhebung der französischen Kontinentalsperre war die deutsche Wirtschaft der
Konkurrenz des Auslandes ausgesetzt > Mangel an Arbeitsplätzen
rücksichtslose Ausbeutung der Arbeitskräfte > Pauperismus > massives
Entwicklungshemmnis, da Massenkaufkraft fehlt > Aufstand der schlesischen Weber 1844
Mangel an Kapital begünstigt Verlagssystem
4.1. Eingriff des Staates:
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1818 Abbau der Zollgrenzen in Preußen
Verbesserung der Infrastruktur
Staat als Unternehmer (Bergbau, Rüstung, Maschinenbau ... Eisenbahn)
Modernisierung des Schulsystems > Gewerbeschulen
Kreditvergabe und Subventionen
1834 Deutscher Zollverein
1843 neues Handelsgesetzbuch und Aktienrecht
> Rolle der Eisenbahn als Leitbranche
Landwirtschaft
Maschinenbau
Eisenbahnen
Hoch- und
Tiefbau
Eisen- und
Stahlindustrie
Bergbau
Nachfrage der Eisenbahnen
der
Eisenbahnen
von Eisenbahnen ausgelöste Nachfrage
Nachfrage nach Eisenbahntransport
nach Transport
permanente Nachfrage nach Arbeitskräften!
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4.2. Folgen der ersten Phase der
Industrialisierung
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1835 erste deutsche Eisenbahn
ab 1840 geht die Hälfte aller
Investitionen in Verkehrswirtschaft
Eskalation der Nachfrage
fortschreitende Arbeitsteilung
Rationalisierung
Verbilligung der Produktion
Entstehung von Leitregionen:
Ruhrgebiet, Berlin, Sachsen,
Oberschlesien
4.3. Folgen
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1847 letzte Wirtschaftskrise, die durch
eine Missernte ausgelöst wurde
Rückschläge durch Schwankungen
der Konjunktur lassen neben dem
allgemeinen Optimismus in Wirtschaft
und Gesellschaft auch Kritik entstehen
> Auswanderung, Marxismus
Kurz nach 1871 sinkt der im
Agrarbereich beschäftigte Anteil der
Erwerbspersonen unter 50%.
Deutschland ist Industriestaat!
wirtschaftliche Nöte:
• Strukturprobleme durch rapiden
Bevölkerungszuwachs
• Überschuss an Arbeitskräften >
geringe Löhne
• extensive Arbeitszeiten
1
• Pauperismus > Aufstände
• Teuerungsraten infolge von
Missernten
• Existenznot und Unzufriedenheit
Auswirkungen des gesellschaftlichen
Wandels:
• viele Kleinbauern sanken auf das
Niveau von Tagelöhnern, da sie den
marktwirtschaftlichen Anforderungen
nicht gewachsen waren
1
Pauperismus (zu lateinisch pauper: arm), Mitte des
19. Jahrhunderts entstandene Bezeichnung für die
Massenarmut, die in Europa vor und zu Beginn der
Industrialisierung auftrat. Durch die Auflösung von
traditionellen Bindungen und Rechten der vorindustriellen
Gesellschaft, wie z. B. von Zünften, verlor ein großer Teil
der ständig anwachsenden Bevölkerung jegliche soziale
und ökonomische Absicherung und war gezwungen, von
der Unterstützung durch Wohltätigkeitsorganisationen
oder von Bettelei zu leben.
In der Marx’schen Theorie bezeichnet Pauperismus die in
Folge kapitalistischer Ausbeutung entstandene
Massenarmut. Die der kapitalistischen Produktionsweise
innewohnende Tendenz zu einer ständigen
Rationalisierung der Produktion führt zur Arbeitslosigkeit
von immer mehr Arbeitern und damit zur Herausbildung
einer industriellen Reservearmee, die zunehmend
verelendet.
•
Gesellen und Kleinmeistern in den
Städten drohte sozialer Abstieg durch
Wegfall der Zunftabsicherung >
Wanderschaft > überdurchschnittliche
Politisierung
Entstehung der Sozialen Frage, vor deren
Beantwortung sich keine politische
Strömung drücken kann, will man nicht
eine Revolution riskieren.
4.4. Moderne Antworten auf die Soziale
Frage
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erste unternehmerische Hilfen:
Betriebskranken- und Pensionskassen
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Hilfe christliche Kirchen:
kirchliche Sozialarbeit (Wichern,
Ketteler, Kolping), christliche
Gewerkschaften, 1891 Sozialenzyklika
von Papst Leo XIII. > „Lohn muss über
Existenzsicherung hinaus gehen“
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1883 Sozialgesetzgebung durch den
preußischen Staat unter Bismarck
4K. Wünsche: Der Industrialisierungsprozess in Deutschland
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revolutionärer Sozialismus
(Marxismus)
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Grundbeziehung zwischen den Klassen, die
sich aber in gänzlich unterschiedlichen
ökonomischen Ausgangslagen befinden.
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Die Besitzer des Kapitals (die Kapitalisten)
bezahlen den Arbeitern (dem Proletariat)
Löhne für eine vereinbarte Zahl von
Arbeitsstunden, aber nicht für die erstellten
Produkte.
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Die Kapitalisten eignen sich in diesem
Prozess also das gesamte Arbeitsprodukt der
Arbeiter an,
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In der Produktion schaffen die Arbeiter aber
einen Wert, der ihren Lohn übersteigt, den so
genannten Mehrwert.
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Mehrwert = Quelle des Reichtums der
bürgerlichen Klasse, die sich diesen als
Eigentümerin der Produktionsmittel
aneignet.
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Produktion von Mehrwert das eigentliche Ziel
der kapitalistischen Produktion.
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Während sich der Reichtum der besitzenden
Klasse durch das rasche Wachstum des
Kapitals beständig vermehrt, wächst aufseiten
der Arbeiter Leistungsdruck, Arbeitshetze und
Existenzunsicherheit.
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Organisation der Arbeiter kann der Tendenz
zur Verelendung entgegenwirken, konstatierte
aber ein Anwachsen der Unsicherheit der
Existenz,
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Marx behauptete, der Lohn zwinge die
Arbeiter dazu, lebenslänglich für die
Kapitaleigentümer verfügbar zu sein, wobei
allerdings weder der Lohn noch der
Arbeitsplatz garantiert seien.
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historische Aufgabe der organisierten, sich
ihrer selbst bewussten Arbeiterklasse bestand
für Marx darin, die aus ökonomischer
Notwendigkeit zyklisch wiederkehrenden
ökonomischen und politischen Krisen dazu zu
nutzen, im revolutionären Klassenkampf die
Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft zu
überwinden.
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Revolution zur „Diktatur des Proletariats“
5. Modernisierte Arbeitswelt im
Kaiserreich
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5.2. „Gründerkrach“
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hohe Erwartungen nach der
Reichsgründung durch
Gebietszuwachs und Reparationen
gefördert
Eskalation der Konjunktur
Überkapazitäten entstanden
Mitte 1873 Kursstürze
Preisverfall
Lohnverfall
Produktionsrückgang
Anstieg der Arbeitslosigkeit >
Tiefpunkt 1879
„Marx war wieder aktuell“
„Interventionismus“ des Staates durch
Schutzzollpolitik
6. Die zweite Phase der
Industrialisierung
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5.1. „Gründerboom“
über 500 neue Aktiengesellschaften
Arbeitslosigkeit fast beseitigt > „Marx
schien widerlegt“
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ab 1879 bis ca. 1895 schwaches
wirtschaftliches Wachstum
Zusammenschluss von
Interessensverbänden der
Arbeitnehmer (s.o.) und Arbeitgeber
(1876 Centralverband Deutscher
Industrieller, 1893 Bund der Landwirte,
1895 Bund der Industriellen)
Mitte 90er Jahre neue „Leitsektoren“
der Industrie: Maschinen- und
Motorenbau (Daimler-Benz),
Chemieindustrie (Bayer, Hoechst,
BASF), optische und feinmechanische
Industrie, Elektroindustrie (Siemens)
staatliches Schul- und
Hochschulwesen
Konzentration des Kapitals in
horizontaler und vertikaler Richtung >
Kartellen > Syndikate > Monopole
Bedeutung der Banken steigt (seit
1870 mehrere Großbanken gegründet:
Deutsche Bank, Commerzbank,
Dresdner Bank ...)
Verschmelzung von Banken und
Industrie („Finanzoligarchie“, Lenin)
Staat gerät immer mehr in
Abhängigkeit vom wirtschaftlichen
Erfolg der Großunternehmen
Außenpolitik im Interesse der eigenen
Wirtschaft, deren Vertreter vielfach in
gehobenen Positionen des Staates
sitzen > Personalunion >
Kolonialismus > Imperialismus
(Lenin: staatsmonopolistischer
Kapitalismus)