Der Herrgott ist mein Chef

Transcrição

Der Herrgott ist mein Chef
Donnerstag, 30. Dezember 2010 / Nr. 302
Wodka-Bar
Unser Mitarbeiter Andrew Jones
macht derzeit ein Praktikum beim
«Daily Star», Tageszeitung in Dhaka,
der Hauptstadt von Bangladesch. In
vier Kolumnen erzählt er diese Woche von speziellen Erlebnissen.
Andrew Jones
über Erlebnisse
in Bangladesch
R
eporter Pinaki schlägt mir
vor, mich an ein indisches
Kulturfestival mitzunehmen.
Zuerst aber, sagt er, wolle er mir
eine Bar zeigen. Eine Wodka-Bar.
Ich sage zu. Das klingt spannend.
Bangladesch ist ein muslimisches
Land, Alkohol eigentlich verpönt.
BANGLADESCH
In der Bar ist es stockdunkel. Nur
hinter dem Tresen brennt eine Lampe, irgendwo hängt ein kleiner
Fernseher, es läuft englischer Fussball. In der Dunkelheit finden wir
schliesslich Pinakis Freunde. Wir
trinken zwei Gläser Wodka aus der
Region und naschen dazu Kichererbsen an einer scharfen Sauce.
Keinen von Pinakis Freunden
würde ich bei Tageslicht wieder
erkennen, so finster ist es. Genau
dies ist das Ziel. Niemand soll einen
anderen Gast verpfeifen können.
Der Kauf von Alkohol ist in Bangladesch verboten, ausser man ist Ausländer oder besitzt ein ärztliches
Rezept. Pinaki wirkt etwas trotzig,
als wir aus der Bar treten. Er gehört
zur Minderheit der Hindus, die sich
den Regeln der muslimischen
Mehrheit anpassen muss.
Jedenfalls hatte es im Wodka definitiv Alkohol. Pinaki und ich fläzen
uns später in die roten Plüschsessel
des Nationaltheaters und dösen zu
den psychedelischen Sitar-Klängen
eines indischen Meisters fast ein.
[email protected]
HORROR
Von Frauen,
die sich rächen
Star-Horrorautor
Stephen King
hatte es immer
schon mit Furcht
einflössenden
Frauen. Man denke etwa an seinen Erstling «Carrie» (verfilmt mit
Sissy
Spacek»)
oder an «Misery»
(verfilmt mit Kathy Bates).
In Kings neustem Buch haben die
Frauen allerdings allen Grund, blutrünstig zu werden. In drei von vier
Storys wird ihnen übel mitgespielt.
Eine wird von ihrem Mann und ihrem
Sohn ermordet, weil diese alleine
über den Landbesitz verfügen wollen.
Doch die Tote bringt jahrelanges
Unheil über die Mörder. Eine andere
Frau wird vergewaltigt und fast getötet. Statt den Täter anzuzeigen,
nimmt sie das Recht selber in die
Hand, was fatale Folgen hat. Eine
dritte Frau entdeckt per Zufall, dass
ihr langjähriger Ehegatte ein sadistischer Serienkiller ist. Was tut sie?
Wie gewohnt spart Stephen King
nicht mit brutalen Details. Gleichzeitig
ist sein Horror recht einfallsreich. Viel
Raum schenkt er zudem dem Innenleben seiner Hauptfiguren, die mit
sich ringen und oft am Abgrund des
Wahnsinns balancieren. Angenehm
ist schliesslich die Länge der einzelnen
Geschichten. Da ist man von King
meist Ausufernderes gewohnt. a r e
Stephen King: Zwischen Nacht und Dunkel.
Heyne, 527 Seiten, Fr. 35.60.
Kultur
Neue Luzerner Zeitung Neue Urner Zeitung Neue Schwyzer Zeitung Neue Obwaldner Zeitung Neue Nidwaldner Zeitung Neue Zuger Zeitung
9
«Der Herrgott ist mein Chef»
SCHLAGER Er gehört zu den
ganz Grossen des Schlagerbusiness. Doch der Partykracher DJ Ötzi beherrscht
auch besinnlichere Töne.
ANJA-MARIA STAMPFLI
[email protected]
Als DJ Ötzi hat der Tiroler Gerry
Friedle (39) 16 Millionen CDs verkauft
und ist damit einer der erfolgreichsten
Musiker im deutschsprachigen Raum.
2008 stellte der gelernte Koch mit dem
Lied «Einen Stern (... der deinen Namen
trägt)» einen Rekord auf: Der Song war
41 Wochen in den Top 10 der SingleCharts. Auf seinem neuen Album «Du
und ich» zeigt sich der Partymacher von
seiner nachdenklichen Seite.
renne nicht verbissen Erfolgen hinterher. Es
funktioniert
zwar
nicht alles, was ich
mache. Aber vieles.
Was nicht funktioniert, das blende
ich aus. Man darf
nicht
verzagen,
wenn einem etwas
nicht gelingt. Scheitern ist wichtig.»
Warum?
DJ Ötzi: Ich bin erst bei
Pflegeeltern, dann bei
meiner
Grossmutter
aufgewachsen. Kurze
Zeit war ich sogar obdachlos. Aber im Nachhinein muss ich sagen,
dass diese Zeit wertvoll
für mich war, weil ich
mittlerweile mit schwierigen Situationen viel bes-
ser umgehen kann. Durch meine Vergangenheit habe ich Dankbarkeit und
Demut gelernt. Man sollte sich immer
selbst fragen: Was kann ich an mir selbst
noch ändern oder verbessern? So macht
das Leben Sinn.
Auf dem neuen Album singen Sie viel
von Liebe und Gefühl.
DJ Ötzi: Das ist richtig. Bei jedem Lied
habe ich mir vorgestellt, es wäre eine
schwer zugängliche Frau, die ich erobern möchte. So sind die Stücke
aufwendig und mit viel Emotionen
entstanden.
Was auf der neuen CD auch auffällt: Sie
sind ein gläubiger Mensch.
DJ Ötzi: Ja, ich bin ein gläubiger
Mensch. Der Herrgott ist mein Chef, er
ist grosszügig und liebenswert. Er gibt
uns den Weg vor. Wir müssen diesen
erkennen und ihn gehen. Ich bete viel,
bin täglich im Gespräch mit Gott, gehe
aber zurzeit nicht in die Kirche.
Rede ich jetzt mit DJ Ötzi oder Gerry
Friedle?
DJ Ötzi: Mit beiden. Es geht nicht
ohne den einen oder den anderen.
Auf dem neuen Album ist allerdings
mehr von Gerry Friedle zu erfahren.
Ich bin nicht nur der Stimmungsmacher, sondern möchte auch
meine eigenen Gedanken und
Gefühle aufzeigen. Es sind Geschichten aus meinem Leben,
die ich in diesem Album verarbeitet habe.
«Am Alter können
wir nichts ändern:
Alt werden wir von
selbst.»
D J ÖT Z I
Auf Ihrer neuen CD ist auch ein Lied für
Ihre achtjährige Tochter Lisa Marie. Die
Familie bedeutet Ihnen offenbar viel?
DJ Ötzi: Wenn ich zu Hause bin, bin
ich für meine Frau und meine Tochter
da. Ich bringe morgens die Kleine auch
gerne mal in die Schule oder mache
abends die Hausaufgaben mit ihr.
Mit Ihren Hits wie «Anton aus dem
Tirol» haben Sie früher jede Party
kochen lassen. Haben Sie genug
vom Partyrummel?
DJ Ötzi: Überhaupt nicht. Was ich
früher gemacht habe, war auch gut.
Es war einfach anders. Damals war
das meine grosse Chance, und die
habe ich genutzt. Man hat immer
Chancen im Leben, wenn man mit
offenen Augen und offenen Ohren
durchs Leben geht. Klar, ich habe auch
schon Chancen verpasst. Früher hatte
ich dunkle Zeiten erlebt. Heute darf ich
in einer bunten Welt leben. Dafür bin
ich dankbar.
Sie werden am 7. Januar 40 Jahre alt.
Wie werden Sie feiern?
DJ Ötzi: O ja, ich bin ja bereits ein
alter Sack! Wir werden mit Freunden
ein grosses Fest feiern! Darauf freue ich
mich. Denn am Alter können wir nichts
ändern: Alt werden wir von selbst.»
www...
Mit dem Erfolgstitel «Einen Stern» haben
Sie alle Rekorde gebrochen und waren
mit dem Lied 41 Wochen in der Hitparade. Mehr geht nicht, oder?
DJ Ötzi: Egal, was ich tue, ich will
einfach nur mein Bestes geben. Ich
Bonus: Hörprobe aus dem Album «Du und ich» von
DJ Ötzi auf www.luzernerzeitung.ch/bonus
Nachdenklich:
DJ Ötzi (39).
PD
HINWEIS
DJ Ötzi «Du und ich» (Universal)
www.dj-oetzi.at
Ein künstlerischer Blick auf den See
FOTOGRAFIE Der Hallwilersee ist zentrales Motiv in der
Kunst von Hugo Suter. Ein
Bildband zeigt, wie der Künstler den See zum Bild machte.
Man darf den Titel «Lachen auf dem
See» als ironisches Wortspiel verstehen,
auch wenn ein Lachen über Witze
kaum das Erste ist, was Hugo Suter mit
dem Buch beabsichtigt. Wasserlachen,
wo immer es sie geben kann, spielen
aber sehr wohl eine Rolle – Wasser mit
all dem Leuchten und den Spiegelungen und mit dem Spiel des Sonnenlichts auf seiner Oberfläche.
Das Erleben der ständigen Änderungen unterworfenen Wasserfläche ist die
tägliche Erfahrung des 67-jährigen
Künstlers, der seit vielen Jahren in
Birrwil am Hallwilersee lebt. Das Beobachten des steten Fliessens des Erscheinungsbildes der Wirklichkeit von einem
Zustand in einen andern hat das Werk
Hugo Suters seit den Anfängen in der
Ateliergemeinschaft Ziegelrain in Aarau
geprägt.
Dauer des Flüchtigen
Der Künstler bedient sich ganz verschiedener Medien, um dieser Erfahrungen Herr zu werden. Die Fotografie
nimmt dabei einen zentralen Platz ein,
wenn es darum geht, dem Flüchtigen
Dauer zu verleihen. Dass Hugo Suter
ursprünglich eine Lehre als Tiefdruckretoucheur absolvierte, mit «alchemistischem» Umgang mit dem Bild also
vertraut ist, ist das eine. Dass das
Vor rund einem Jahr gab der Künstler
im Kunsthaus in Aarau Einblick in diese
fotografischen Arbeiten. Kürzlich erschien im Verlag Lars Müller ein Band
mit rund 200 dieser Fotografien aus 40
Jahren. Die Publikation wurde betreut
von Stephan Kunz, der bereits die
Schau in Aarau kuratierte und in seinem Textbeitrag zum Buch Hugo Suters
Entdeckungsreise in den Kosmos des
Sehens schildert.
Es gibt in diesem Buch Aufnahmen
ganz verschiedenen Charakters – Architekturstudien, Bilder aller Bade- und
Bootshäuschen am Hallwilersee, Bilder
von Lichtreflexen in Suters Wohnung,
vom letzten Rest des Tees in der Tasse,
von beschlagenen Fenstern, vom vernebelten Blick in den Garten, von zu
kleinen Skulpturen arrangierten Alltäglichkeiten. Es gibt auch Bilder von
Wasserlachen auf der Strasse, und viele
Fotografien halten fest, was nicht von
Dauer sein kann – die Seeoberfläche,
auf die ein leiser Windhauch ein flüchtiges Kräuseln zaubert und auf der die
Lichter der Sonne tanzen.
Zwei Preise
Mit «Lachen auf dem See» von Hugo
Suter gewann der Verlag im Deutschen
Fotobuchpreis 2011 eine silberne Auszeichnung. Für die langjährige Auseinandersetzung mit seinem eigenen Lebensraum am Hallwilersee erhielt Hugo
Suter 2010 den Aargauer Heimatschutzpreis.
Aus der Serie
«Bootshäuser am
Hallwilersee»,
fotografiert von
Hugo Suter.
PD
Fotografieren selber in die Kernproblematik optischer Wahrnehmung zielt
und als ein dem Sehen analoger Vorgang verstanden werden kann, ist das
andere. Jedenfalls pflegt Hugo Suter seit
den späten Sechzigerjahren einen experimentierfreudigen Umgang mit dem
fotografischen Sehen.
NIKLAUS OBERHOLZER
kultur@luzernerzeitung
HINWEIS
Hugo Suter: Lachen auf dem See. Fotografien.
Herausgegeben von Stephan Kunz. Lars Müller
Publishers, Baden. 256 Seiten. 55 Franken.

Documentos relacionados