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GEO SCHAUPLATZ SCHWEIZ I mit Audioguide In Vindonissa, am Zusammenfluss von Aare, Reuss und Limmat, haben die romischen Besatzer Helvetiens einst das einzige Legionslager der Schweiz errichtet. Auf dem Legionarspfad von Windisch lassen sich Bruchstlicke des Soldatenlebens nachvollziehen Von Genevieve LUscher [TEXTI und Tomas WUthrich IFOTOSI .;-g~". ;~ .~ v~ ~ .~ g '" 0 '" ;§ ~ N_ R-s " '" :J:" ~ ~ ~ ~ ::- 'i:ss l: .2 .... • ::> ~ ~ ,,,'"-' ~:5 ~ ~ ] .~ < , ~i NR Ji ~;f .!!.'t: + ~ ~ ~ 2:5 lj ffi '"iii -' .~ ~ ::0 ~~ '"o 2s ~~ ~ ~~ 0: "'c > ~ Z.@ ~ %' -= "3 0: ]" i ::t: 'C; u ~ III'" o ~ x ::> III III ~ 2 z'" !2 .... w'" '" '" ! ~ »Living history« in Vindonissa, 16. Oktober 2010. Zwischen den Contubernien tritt die 11. legion zum Exerzieren an 0212011 GEO 1 1m Esszimmer seines Hauses erziihlt Centurio Titus Valleus Aheneus alias Tho~as Schaub aus dem Leben in der romischen Armee GEO SCHAUPLATZ SCHWEIZ 28 Legionen bewachten Roms Grenzen. Die 11. Legion in Vindonissa chaut! Ich bin jetzt Lucius Titennius Victorinus von der 11. Legion", kraht die zwolfjahrige Sandra und wedelt mit einem kleinen, roten Pass. "Dnd ich heiBe Gaius Ennius Titus", buchstabiert Jonas den fremd klingenden Namen. Ausgerustet mit Pass, Legionarsledersack, Lagerkarte, Audioguide und Kopfhorer sind die SchUler bereit rur den "Legionarspfad" in Vindonissa. "Parete vos ad iter", wie es auf Lateinisch heiBt: "Fertig machen zum Marsch", so lautete der militarische Befehl in der romischen Armee. "In einem romischen Legionslager gab es - jedenfalls theoretisch - keine Frauen, deshalb erhalten auch SchUlerinnen mannliche Namen", erklart Thomas Pauli, Leiter von "Museum Aargau" und Initiator des Projekts in Windisch bei Brugg. Aber wieso sagt er "theoretisch"? Von den Frauen spater, verspricht Pauli. ES 1ST EIN WARMER JUNITAG, und dort, wo einst das Kloster Konigsfelden stand, bereiten sich in der ehemaligen Klosterscheune mehrere Schulklassen auf den zwei- bis dreismndigen Marsch auf das Gelande des einzigen romischen Milirarlagers vor, das es jemals auf dem Boden der Schweiz gegeben hat; im 1. Jahrhundert n. Chr., nachdem die Romer Helvetien erobert hatten. In Vindonissa war einst eine Legion einquartiert, 6000 Mann. Zusammen mit dem Tross lebten im und urn das Lager gleichzeitig etwa 12000 bis 15000 Menschen - eine kleine Stadt. tigen Bologna, Gaius war aus Placentia, heute Piacenza. Auf ihren Grabsteinen steht, dass Lucius mit 25 Jahren starb, nachdem er runf Jahre gediem hatte, wahrend Gaius immerhin 39 Jahre alt wurde. Die letzten neun Jahre seines Lebens verbrachte er als Soldat. In der romischen Armee diente man gewohnlich 20 bis 25 Jahre und konnte jederzeit als Reservist wieder aufgeboten werden. Nur Zenturionen - hohere Offiziere, denen 100 Mann unterstanden WIE ARCHAOLOGEN aus Inschriften - blieben langer im Dienst. auf Grabsteinen, Entlassungsutkunden und antiken Geschichtsbuchern wissen, ALS ERSTE STATION auf unserem war hier zuletzt die 11. Legion statio- Rundgang besichtigen wir die Contuniert, eine von 28, die unter Roms Be- bernia, die Soldatenunterkunfte, neben fehl an den Grenzen des Imperiums der alten Klosterkirche: zwei lange, einstanden. Sie hieB "Claudia Pia Fidelis", stockige Gebaude, durch eine Gasse was auf ihre Treue gegenuber Kaiser getrennt. Die Kasernen sind maBstabgetreu mit den damals ublichen BauClaudius hinweisen sollte. "Lucius Titennius Victorinus und Gai- materialien, sofern bekannt, wieder us Ennius Titus haben ubrigens wirk- aufgebaut. Bei solchen Rekon~trukti lich gelebt", sagt Pauli. Die schriftlichen onen musse oft allerdings spekuliert Zeugnisse in und urn Vindonissa sind werden, sagt Pauli, der seIber viele Jahderart reich, dass mehr als 50 Namen re vor art gegraben hat. Denn was die ehemaliger Bewohner des Lagers uber- Archaologen im Boden ?och fanden, liefert sind. Die meisten von ihnen seien eben bloB Reste. Er zeigt auf die stammten aus Norditalien, einige aus Dachkonstruktion: "Hier beispielsweise Sudfrankreich. Lucius beispielsweise wussten wir nicht genau, wie die Zimwurde in Bononia rekrutiert, dem heu- mermannsarbeit aussah. Die zuerst ge0212011 GE03 Engelberg bei Walterswil SO, Herbstlager des Vereins legio XI. Ein 5pahtrupp mit Optio erkundet das Gelande GEO SCHAUPLATZ SCHWEIZ Gerade hat eine Schulklasse aus wahlte Holzkonstruktion war dann rur das schwere Ziegeldach zu schwach und Winterthur in den Kasernen ubernachmusste verstarkt werden." Trotzdem ist tet. Und Lisa Colombo, die Lehrerin der Pauli davon begeistert, dass "wir hier Funftklassler, fasst zusammen: "Es war am Originalschauplatz unmittelbar Ge- fabelhaft. Die Kinder konnten Korn schichte erleben" konnen. Und er will mahlen, Feuer machen, Fladenbrot backen und auf Strohsacken schlafen." diese Begeisterung weitergeben. Tomi Zeller, in eine romische Tunika DIE KASERNENBARACKE hat ein Vor- gehullt, ist Mitarbeiter beim Legiodach, darumer einen gedeckten Lau- narspfad und hat die Gruppe als Berabengang. 25 Meter der Lagergasse sind ter durch die Nacht begleitet. Jetzt rekonstruiert worden; das Original war dumt er Decken und Essensreste weg. fast 100 Meter lang. Eine Comubernia Der romische Getreidebrei mit Gemubot Platz rur eine Zenturie, also 100 se hat offenbar nicht allen geschmeckt, Mann, die sich zu je acht eine Wohn- es ist viel ubrig geblieben. "Eigentlich einheit, das Contubernium, teilten. sind die Kinder aber immer begeistert", sagt Zeller: "Das Lagerfeuer am Abend, das Schlafen in einer fremden Umgebung, das einfache Leben, das alles sind rur die meisten ganz neue Erfahrungen." Da Zeller, gelernter Sozialarbeiter, seine Freizeit in der Reenactmem-Gruppe "Vexillatio Legio XI Claudia Pia Fidelis" verbringt, die sich die authentische Wiederbelebung der Militareinheit zum Ziel gemacht hat, kennt er sich bestens aus und kann fast alle Fragen der Kinder zum Soldatenleben beantworten. Wir betreten eine Mannschaftsstube. 1m winzigen Vorraum, in dem eine Feuerstelle, ein kleiner Tisch und eini- legionarspfad, Station VIII: 1m Keller des modernen Gebaudes befindet sich ein Abschnitt der romischen Wasserleitung 6 GEO 0212011 GEO SCHAUPLATZ SCHWEIZ Begehen konnen Besucher den legionarspfad allein. Wird Animation gewiinscht, tritt der Verein legio XI in Aktion. Zum Beispiel zwei legionare, die einen Buben im Umgang mit dem Schwert unterweisen ge Hocker stehen, riecht es nach hltem Rauch. "Damals roch es vermutlich noch strenger", erklart Pauli. "Hier lebten acht Manner auf engstem Raum, manchmal jahrelang. Sie kochten hier, eine Kantine gab es nicht." 1m hinteren, etwas gr6geren Zimmer nehmen acht schmale Holzliegen mit Strohsacken und dicken Wolldecken fast den ganzen Raum ein. Die dunnen Wande aus Flechtwerk und Lehm halten die Kalte nicht ab, und die kleine Feuerstelle im Vorraum liefert hum Warme. Immerhin durften die Legionare noch kein Problem mit einer Brandversicherung gehabt haben; anders als die Betreiber des Legionarspfads, die aufgefordert sind, die Feuer fUr die Nacht zu l6schen. 8 GEO 0212011 1m Kopfbau des Gebaudes besuchen wir die Unterkunft des Centurio. Er lebte mit Ess-, Wohn- und Schlafzimmer, mit Kuche und einer Toilette, die er sich nicht mit anderen teilen mussteo H6heren Offizieren stand gar eine kleine Villa zur VerfUgung, und der Legionskommandant wohnte in einem Palast mit Garten, der mit 5000 Quadratmetern gr6ger war als der Bundesplatz in Bern. Grog war auch schon das Spital, auf dessen Reste die Archaologen stiegen. Es hatte 90 Zimmer und war wohl die erste derartige Einrichtung in der Schweiz. ten war", sagt Pauli. Ein Legionar durfte nicht heiraten. Aber beispielsweise in einem Legionslager in England seien Frauen- und Kindersandalen sogar in ehemaligen Soldatenunterkunften gefunden wurden. DER KOMMANDANT und die Offiziere lebten nicht allein in ihren Residenzen, sie hatten ihre Familien bei sich. Und aus schriftlichen Quellen ist bekannt, dass es urn die Legionarslager Prostituierte und Bordelle gab. Ein Legionar hatte Geld. Verglichen mit der Zivilbev6lkerung urn Vindonissa, keltischen Helvetiern, war er ein wohlhabender UND DIE FRAUEN? "Es gab Frauen im Mann. Kost und Logis bezahlte die Lager, das haben archaologische Funde Armee. Soldlisten zeigen, dass ein gebewiesen, obwohl es laut Gesetz verbo- w6hnlicher Legionar etwa 1200 Sester- GEO SCHAUPLATZ SCHWEIZ Die Unterkunft war eng und stickig, das Bad eine Wellnessoase Ahnlich aufwendig W1e die Reiniaber jedes romische Lager vier Tore haben musste, sind auch in Vindonissa gungsrituale: das Essen. Auf dem Bovier gebaut worden, "Militar eben...", den einer heute unterirdischen Offisagt Pauli. Immerhin lasst sich die stra- zi~rskuche, die Pauli vor Jahren selbst tegische Lage des Lagers beim Blick ausgegraben hat, fanden die Archaolonach Norden am besten begreifen: Vin- gen Reste von Mittelmeerfischen, Ausdonissa, am Zusammenfluss von Aare, tern, Singvogeln, Tauben, Enten, GanReuss und Limmat errichtet, lag an der sen, Hirschen, Wildschweinen, Oliven, Aufmarschroute der romischen Legi- Feigen. So brachten die Eroberer den onen zur Rheingrenze und nach Ger- "Roman way of life" in den Norden, den manien. Gleichzeitig musste die Klus Luxus, die Behaglichkeit. Sie fUhrten als feindliches Einfallstor aus dem Nor- die Schrift ein, die lateinische Sprache, die Administration, die Badekultur, den uberwacht werden. unbekannte kulinarische Genusse. WAS HIER BEWACHT und verteidigt Dnd sie boten den Einheimischen die wurde, war auch ein Lebensstil, wie Moglichkeit, im Milirar Karriere zu ihn die "Barbaren" weiter nordlich machen. Das war fUr die Integration nicht kannten. Auf dem Gelande des der eroberten Volker wichtig, denn sie heutigen Friedhofs von Windisch sind erlaubte der hiesigen Elite - in dies em die uberdachten Reste der ehemaligen Fall den Helvetiern - den sozialen AufTherme zu sehen. Hier traf man sich stieg in die romische Gesellschaft. haufig vor dem Abendessen. Der Besuch der Therme konnte sich zu einem DURCH EIN MODERNES Einfamilienmehrstundigen Vergnugen auswach- hausquartier gelangen wir schliemich NACH EINEM ABSTECHER in die sen, bei dem man abwechselnd in Be- zurUck zu den Contubernia und treffen mannshohe unterirdische Kanalisati- cken mit kaltem, warmem und heigem dort schon eine nachste Schulklasse an, on, einer technischen Meisterleistung Wasser planschte, sich massieren und Gymnasiasten diesmal, die gekommen aus romischer Zeit, gelangen wir zu einolen lieg, sich einer Ganzkorper- sind, ihren Lateinkenntnissen Leben den Fundamenten des Nordtors, einem enthaarung unterzog. "Kaiser Augus- einzuhauchen. Sie konnten das auf groKuriosum: Gleich hinter dem Tor fUhrt tus solI sich die Korperhaare mit glu- ger Buhne tun: im Amphitheater, dem ein steiler Abhang zur Aare hinunter. henden Baumnussschalen abgesengt bekanntesten antiken Bauwerk von Vindonissa, wenige Gehminuten von der Das Tor ist also eigentlich sinnlos. Weil haben", erzahlt Pauli. zen im Jahr verdiente, em Centurio 18000 und ein Legionskommandant mindestens 80000. Fur einen halben Sesterz konnte man damals ein Kilo Brot oder zwei Tonlampen kaufen oder eben ein ScMJersrnndchen bei einer Hure. Es gab nicht wenige Legionare, die sich fUr schwere Arbeit uberdies auch einen Sklaven hielten. Weiter fUhrt der pfad urn das weitlaufige Areal des ehemaligen Klosters Konigsfelden, in dem heute eine psychiatrische Klinik untergebracht ist. In dem prachtigen, mit riesigen Baumen bestandenen Park begegnet man den Patienten, seltsam scheuen Mannern mit abwesendem Blick oder Frauen mit verklartem Ucheln, die alle freundlich grugen. Es gehort zum Konzept des Legionarspfads, das moderne Windisch nicht zu verdrangen. Weder solI er Flucht in die Vergangenheit noch Funpark sein. 0212011 GEO 11 GEO SCHAUPLATZ SCHWEIZ Porta Praetoria, Station VII des Legionarspfads. Familie Gerber-jaggi aus Hilterfingen BE marschiert neben einer Gruppe von romischen Geistersoldaten DAS VINDONISSA-MUSEUM Klosterscheune emfernt. Verglichen mit dem Kolosseum in Rom ist dieses Theater zwar klein, fasste aber immerhin 8000 Zuschauer. Dnd die grausamen Darbietungen, wie sie rur die Romer typisch waren, wurden hier vermutlich nicht weniger bejubelt als in der Hauptstadt. Stillliegt das begrume -Maueroval nun da, beschattet von hohen Pappeln. Nur wenn man die Augen schlieEt, glaubt man noch etwas vom frenetischen Jubel zu horen, der die Arena einst ruUte. Oder ist es der Zug, der in der Nahe vorbeibraust? 0 Der Besuch des modernisierten Museums in Brugg ist empfehlenswert, weil dart die Originalfunde prasentiert werden, die seit tiber einem Jahrhundert in Vindonissa ausgegraben worden sind. Waffen, Mtinzen, Becher oder handygroBe Schreibtafeln, mit denen sich die Legionare Kurznachrichten schickten. Erst diese Originalstlicke aus dem militarischen und zivilen Alltag erwecken die toten Ruinen zum Leben, schaffen Zusammenhange und Einsichten. Das Highlight der Ausstellung: Ein mit neuester Computertechnik dreidimensional "gedrucktes" Modell des Lagers und seiner Umgebung. Hier wird einem die Ausdehnung des einzigen Legionslagers in der Schweiz bewusst. www.ag.ch/vindonissa DER LEGIONARSPFAD Offnungszeiten: 1. April bis 31. Oktober Anreise: Ab SBB Bahnhof Brugg zehn Gehminuten wm Start Start/Ziel: Klosterscheune im Areal des Klosters Konigsfelden in Windisch Reservationen fUr Ubernachtungen, Gruppen und Schulklassen: _ Tel. 056/444 27 77; [email protected]; www.legionaerspfad.ch www.legioxLch 12 GEO 0212011