Impressum - Hemmer art

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Impressum - Hemmer art
Impressum
Herausgeber:
hemmer-design
Beate Hemmer / Irene Köhler
Texte & Bilder:
Beate Hemmer
Idee:
Beate Hemmer / Irene Köhler
Layout: Beate Hemmer / Irene Köhler
Druck:
hemmer-design
Mergentheimer Str. 44
97084 Würzburg
fon: 09 31/79 78 2-39
mail: [email protected]
mail: [email protected]
web: www.hemmer-art.de
Beate Hemmer
Wort & Bildskizzen
Gomera 05 - 07
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24. Dezember 2004
Heute, am Heiligabend, Halbzeit auf La Gomera,
morgen Vollmond und damit verbunden hoffentlich
Wetterwechsel, sitze ich hier, voller Geräusche und
Bilder, welche sich bald wieder verflüchtigen.
Valley Gran Rey,
dieses Jahr liegt es mir in den Ohren,
todo, alles,
die Brandung,
der Wind,
die Musik,
die bunt gewürfelten Gespräche in unserer
Wohnküche,
todo erregend, anregend, hin und wieder
besänftigend...
Die Elemente greifen lautstark um sich, dann der
sonst verhangene Himmel tiefblau und sternenklar.
Flötenspiel auf den Höhlen neben den Basaltsäulen, ein bedrohliches Lied, Vogelstille. Dattelpalmen
im Wind, die Stämme aufrecht, ungebeugt, gefügig
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wirbeln ihre Wedel in alle Richtungen, schlagen zurück, geschützt der orangefarbene Dattelschmuck.
Knirschen:
unter den Wanderschuhen,
im rechten Knie,
in den Augen
und beim Aussaugen der klebrig süßen
Maracujafrucht.
Gierig schlürfe ich den zweiten Cortado (Espresso)
leche/leche, er gibt mir den Kick, wie anderen vielleicht der zweite Whiskey, meine Beobachterposition von der einen Seite der Bar aufzugeben.
Der Gitarrist, groß, Anfang dreißig, kurz rasiertes
Haar unter schwarzer, tief in die Stirn gezogener
Wollmütze, eine grobe Narbe quer über seiner
Nase, lacht mich mit seinen nur noch vier Zähnen im
Oberkiefer an, ich lache mit meinen Brackets im gesamten Kiefer zurück – noch größeres Grinsen beiderseits.
Die Neugierde siegte, wollte mir die Männerrunde
in der Bergbar Conchita in Arure genauer anschauen. Melancholisch, fast zärtlich singen sie vom von
„La Luna“ und der Liebe und von Che Guevara...,
von uns vier Touristen im Eck der Bar lassen sie sich
nicht stören.
„Es el primo (Cousin)“, flüstert mir der Kleinste von
den Sängern zu, nickt in Richtung Gitarrist, die anderen drei sind Brüder, die von Buena Vista – dem Norden Teneriffas – kommen. Er weist mir einen Hocker
zu, Küsschen rechts und links, jetzt singen sie ein
Lied für mich. Der Kräftigste von ihnen ist seitlich an
die Bar gelehnt mit einer immer brennenden Zigarette in der linken Hand, der andere Sänger, Baseballmütze, Amibrille, Muskelshirt, makellos weißes
Grinsen, auch beim Singen.
Wie Gäa rauscht Conchita breitbrüstig durch ihre
Bar, schon Großmutter und noch immer eine erdige Schönheit, Gesicht einer stolzen Flamencotänzerin mit streng nach hinten zusammengebundenen
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Haaren, zurückfallender Stirn über adlig gebogener
Nase. An der Wand ihrer Bar ein Porträt von César
Manrique, sie soll ihn persönlich gekannt haben, so
hat mir mal ein anderer Wanderer gesagt. Verwundern würde es mich nicht, Conchita kennt alle und
küsst all die Männer zur Begrüßung, die ihr gefallen,
auch Edmund, der das mit strahlenden Augen konstatiert. Mit gehobener Kopfhaltung nimmt sie ihre
Position zwischen den Männern an der Bar ein, legt
ihre Hände rechts und links auf deren Schultern und
lässt sie dort ruhen.
Ihre Männer, ihr epouso (Ehemann) und ihr Sohn,
thronen nur über ihren Bäuchen. Der Vater klein mit
unscheinbarem Gesicht, vielleicht angeheizt durch
die Musik, verlässt die Küche und tritt hinter Conchita, deren Hände immer noch auf den Schultern der
beiden Männer ruhen, umfasst ihr Kinn, zieht es zu
sich nach hinten, sie erduldet es ausdruckslos, bis er
wieder brav zu seinem Platz zurücktrottelt.
Der Sohn, das interessante Gesicht der Mutter, aber
ohne die stolze Nase, dafür mit Backen-Kinnbart,
bringt Edmund und Daniel die Rechnung für die
einfachen, leckeren Gerichte: Ziegenkäse, hausgemachte papas fritas, sopa de berros (Kressensuppe), Hauswein. Edmund will nun auch nicht mehr
länger entfernter Beobachter sein, tritt hinter mich,
legt seine Hand auf meine Schulter (hat er Conchitas
Geste abgeschaut?), flüstert mir etwas ins Ohr, was
ich gleich wieder vergesse, und stimmt das Che-Guevara-Lied an.
Noch einmal geht die Stimmung hoch, dann quetschen sich die Chicos in ihren Toyota Cabrio und winken uns singend zum Abschied zu. Unten im Valley
vor dem Casa Maria, dem Sonnenuntergangstreffpunkt, sehen wir wieder ihr auffälliges Auto. Treffpunkt, auch wenn es keinen sehenswerten Sonnenuntergang gibt wie zur Zeit.
Der Regen plätschert ein anderes Lied und schmettert crescendo gegen die Glasfront der Terrassen-
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tür, die nicht genug geschlossen sein kann, um die
Feuchtigkeit draußen zu halten. Draußen verschmelzen Himmel und Meer, bis die nächsten Windböen
den Himmel wieder leer fegen, ein Wechselspiel mit
Refrain...
Geschützt in unserer Wohnküche sitzen wir immer
wieder bunt zusammengewürfelt zusammen. Bis auf
Gisela und ich eine Männerrunde. Zunächst sind da
die Männer so Anfang/Mitte 40. Rainer und sein
Freund Heinz, beide Politologen, können gegensätzlicher nicht sein. Rainer mit seinen krausen Löckchen
und einem ständigen Schmunzeln unter den roten
Bäckchen, ihn mag man knuddeln wie einen Teddybär. Heinz, sein Freund, ein schlanker schöner Mann
mit großen blauen Augen, aber Mund und Körperhaltung immer in Anspannung, besonders wenn Rainer neben mir auf dem Sofa sitzt.
Michael, Germanist, Redakteur der „Kulturzeit“ bei
3-Sat, deutsch im Namen, arabisch im Aussehen,
polemisiert. Je mehr seine Zunge ungezügelt spricht,
desto mehr nimmt er das Gesprochene über seine
Körperhaltung wieder zurück. Er hält die schlanken
Hände vor seine vollen Lippen und rutscht beim
Sprechen fast vom Stuhl. Manchmal ziehen mich seine Gestik und Mimik so sehr in Bann, dass ich gar
nicht mitkriege, was er sagt.
Ganz anders wieder unsere Neffen, Daniel und Julian, Anfang und Mitte dreißig, zur Zeit frauenlos,
aber nicht freudenlos, basteln sie an ihrem Lebensmodell, beide berufstätig, aber nicht fest im Sattel,
wollen sie ihrem Leben noch eine andere Richtung
geben. Daniel hat in seiner Münchner Kanzlei nahe
der Maximilianstraße gerade eine kräftige Gehaltsauffrischung hinter sich und will daher noch ein, zwei
Jahre dort ausharren. Julian hat in seiner Düsseldorfer Agentur entscheidend mitgewirkt, dass sie den
Wettbewerb für das Berliner Mahnmal gewonnen
haben, gleichwohl habe sein Chef fast geheult, als
er ihn um eine Aufbesserung seines sehr dürftigen
Gehalts bat. Ausgelutscht von den vielen unbezahlten Überstunden kam er mit einer Darmgrippe und
blass um die Nase bei uns an.
Jeden Mittag schläft er mehrere Stunden und holt
sich langsam wieder ins Leben zurück, aber abends
bei den Diskussionen glänzen nicht nur seine Augen, sondern auch er glänzt lässig mit dem Wissen,
das er sich aus seinen Philosophievorlesungen zusammengebastelt hat.
Edmund und Christoph sind die souveränen Seniors
der Runde. Edmund – ganz und gar Gesellschaftslöwe – genießt diese Runden, Christoph – der weißblonde Züricher – bringt mit seinem Schweizer Akzent und seinem getragenen Sprachrhythmus schnell
wieder Ruhe in die manchmal angeheizte Runde...
Manchmal gebe ich auch meinen Senf ab, aber ich
bin viel zu sehr mit dem Zuhören und Beobachten beschäftigt: Gespräche, immer wieder beruhigt durch
die leckeren Speisen, die wir Hand in Hand gemeinsam zaubern, dann wieder angepeitscht durch den
Inhalt der verlassenen Weinflaschen, dann wieder
besänftigt durch die Nachspeise.
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- Mykene -
06. Januar 2005
Die Heiligen Drei Könige, größter Feiertag Spaniens,
auch bei den Gomeros, an diesem Tag gibt es die
Weihnachtsgeschenke, das Jesuskind musste nach
seiner Geburt auch zwei Wochen auf die Geschenke
warten, bis die Könige über den Abendstern den
Weg fanden.
Edmund und ich flüchten vor dem Geböller, den
Raketen und dem Menschenauflauf samt Umzug in
die Berge. Dort finden wir die Geschenke des wochenlangen Regens: Geboren und gewachsen sind
inzwischen weiß-gelb-orange leuchtende Blüten
zwischen sattem Grün. Die Berglilien sind noch nicht
ganz geöffnet, die Aloe-Vera-Pflanze, deren Saft
bei der letzten Verbrühung meine Haut schnell ohne
Brandblase verheilen ließ, hat orangerote Pyramidenkelche an einem langen Stiel, der erhaben über
der Mutterpflanze wiegt. Die oft von den Ziegen
angefressenen Feigenkakteen aus den Indianerfilmen mit ihren amorphen Trieben bilden hier mehrere
Meter hohe Verflechtungen, an deren fetten Kak-
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teenblättern nebeneinander wie Spatzen die essbaren kleinen roten Früchte sitzen, ihr Fruchtfleisch
schmeckt bis auf ihre kernige Mitte säuerlich süß.
Die orangefarbenen Flechten auf grauem Gestein
ziehen mich manchmal so in Bann, dass ich Mühe
habe, Edmunds Vorsprung wieder aufzuholen. Ihre
zentrierte schuppige Anordnung erinnert mich an
eine Kraterlandschaft von weit oben gesehen, wenn
sich die dritte Dimension verliert. Mittlerweile weiß
ich, dass sie sich irgendwann in meinen Bildern wiederfinden werden, so wie die stark verzweigten Linien auf den Felsen, die wie geheimnisvolle Orakel
seit Jahren in meinen Bildern wiederkehren. Schwer
beladen von kleinen orangefarbenen Bällchen sind
die oft zierlichen Orangenbäume ein Augenschmaus
beim Vorübergehen, jedes Mal muss ich mich beherrschen, dass ich keine klaue.
Diese vielfältigen Farbtupfer verlieren sich, sobald
der Blick in die Weite wandert, saftiges Pflanzengrün, der Speicher prall gefüllt, in allen Nuancen.
Die hier oft zwei Meter hohen Agaven strecken königlich ihre prallen Arme nach innen gefächert um ein
Zentrum, sie trocknen erst dann aus, wenn sie ihre
ganze Kraft in eine drei bis vier Meter hohe Staude
leiten, die wie ein abstrahierter Christbaum in den
Himmel ragt. Mich faszinieren besonders das graue
innere Gerüst der abgestorbenen Agaven und die
ockerfarbene hauchdünne Pergamenthaut, da bin
ich ungeniert Materialdiebin für Kollagenbilder.
Flächendeckendes Grün der Wolfsmilchgewächse,
von denen man gerne Ableger mitnehmen würde,
die aber beim Abbrechen Milch bluten, diesen Versuch macht man nur einmal. Anders als die pralle
rosettenartige Steinwurz, manchmal sogar kopfgroß,
die ist fast unverwüstlich, nach einem Sturm kann
man sie auf den Wegen entwurzelt auflesen, halb
verdorrt entwickelt sie sich zu Hause mit wenig Liebe
prächtig und dankbar.
Der Weitwinkelblick erfasst im Vergleich zu der dreifach so hohen Berglandschaft in Teneriffa und La Pal-
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ma eine lieblich anmutende Landschaft, Tafelberge,
wenn auch insgesamt stark zerklüftet und unterhöhlt,
von roten und gelben Gesteinsschichten durchzogen, dann wieder durch die Klarheit der glatten Basaltsäulen aufgelockert, auf deren Plateau verschiedene kleine Bergdörfer angesiedelt sind.
Das Tal, im Valley Gran Rey, öffnet sich vom Meer in
eine sanft geschwungene Terrassenlandschaft fast
bis zur halben Höhe der Tafelberge, vorwiegend
unbewirtschaftete, fast englisch dichte, aber garantiert ungedüngte Rasenflächen, garniert mit hohen
Dattelbäumen. Vorvorfahren – schon die Guanchen?
– haben Stein für Stein aufgeschichtet, sanft geschwungene Linien, die den Hängen nachgezeichnet sind, Schwerarbeit, die Leichtigkeit ausstrahlt.
Hat César Manrique in dieser demütigen Landschaftsarchitektur seine Vorbilder gefunden? Anders
als auf den anderen Kanarischen Inseln mit ihren
ehrgeizigen Kopfgeburten, geboren ohne Augen
für die Landschaft nur mit einer kurzen Nase für
schnelles Geld, wenn überhaupt, hat Manrique in
Lanzarote gezeigt, dass der beste Lehrmeister für
Architektur die Natur selbst ist. So schmiegt sich das
Manrique-Restaurant auf dem Weg von Arure ins
Valley in die Felsenlandschaft, außer an der Tür und
dem Pflanzengarten, unter anderen mit noch jungen
Drachenbäumen, ist die Architektur kaum erkennbar.
Innen vornehm, edel ausgestattet, mit einer kaiserlichen Toilette mit runder Aussichtskoje, geeignet für
lustvolle Dauersitzung.
Auf den Wanderungen betrachte ich die Gomeros
bei ihrer Arbeit, den Hirten, wie er mit den richtigen
Handgriffen seine Ziegen melkt, die geduldig stillhalten. Beim Wandern hat man viel Zeit und spinnt
manchmal verrückte Gedanken, einer davon ist,
ob es zwei Menschen möglich wäre, eine Ziege zu
schnappen, der eine hält die Ziege fest, und ich stelle mir vor, wie ich auf dem Boden liege und versuche
in meinen Mund hineinzumelken – abartig!
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Es kommt wohl davon, dass meine Cousins in Rheinhardsachsen mich (das Stadtkind!) in meiner Kindheit regelmäßig in den Kuhstall führten, die Hände
in der Hosentasche und mit breitem Grinsen auf dem
Gesicht begutachteten, ob ich denn endlich einen
Milchstrahl rausbekäme. Irgendwann habe ich es
auch geschafft und nicht aufgegeben, trotz des misslungenen ersten Versuchs, als die Kuh, kaum dass
ich ihre Euter umfasste, mit dem Fressen aufhörte,
schwerfällig den Kopf drehte, mich mit ihren bewimperten großen Augen anschaute und mir schließlich
mit dem Schwanz einen Treffer in mein Gesicht landete, schadenfrohes Gegröle der Jungs.
Dezember 2005
Wechselstrom, Innen und Außen.
Am Freitag das Meer glatt, keine Wolken am Himmel.
Am Sonntag seltsame gespenstische Ruhe, Möwen
aufgereiht auf dem nahen Baukran, lauschen sie wie
ich?, dichte Wolkenwand grau, irgendetwas Drückendes in der Luft, kein Lüftchen weht es weg. Eine
Stunde später Schaumkronen auf den Wellen, Wind,
der an den Palmwedeln, an den Türen und an den
Nerven zerrt, Aufruhr! Die Möwen gleiten souverän
in den zerrenden Böen, scheinen ihren besonderen
Spaß zu haben. Dunkles Grau, das Meer tief dunkel,
die Bergwand, die das Tal einrahmt, braungrau, die
Palmen graugrün, Baudelaire, in dessen Tiefen ich
gerade schmökere, hätte sich schlammwohl gefühlt.
Höhnisch strahlend gelb die Sonnenliegen auf unserem Balkon, so wie die Blüten der Engelstrompete, die der Wind gewaltsam abgerissen hat und die
nun in einer geköpften Plastikwasserflasche ruhen.
Die Sonne schimmert matt hinter der Wolkenwand,
hell hingegen der kommende Vollmond.
Rückzug ins Innere, wo es heller ist, fließt da nicht
ein seltsamer Strom? Spanisch lernen, lesen, Skizzen machen, die schon das Thema der kommenden
Bilder erahnen. Wird auch der Rhythmus der spanischen Sprache mit einfließen? Schade, dass ich das
„r“ nicht richtig rollen kann, das wäre ein schönes Vibrieren auf der Leinwand. Einen Skisack mit gerollter
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Leinwand liegt auf dem Boden und wartet... bis der
Drang zu malen mein Herz klopfen läßt.
Was in meinen Skizzen schon zu sehen ist, Vogelmenschen, Boote, die Elemente... Vielleicht kommt nach
dem Vollmond wieder die Sonne, vielleicht kommt
dann auch wieder ein sanfter streichelnder Wind, der
alles besänftigt. Das Wechselspiel macht es.
26. Dezember 2005
V.G.R. zu Weihnachten, da mischt sich geradezu
ein ganz buntes Völkchen, die Touristenflut nämlich
mit den Langzeitaussteigern, die von überall kommen und ihre Kunstferigkeiten in irgendeiner Richtung anbieten, als Trommler, Feuerspucker, Jongleur
oder simplement als Liebhaber, alle auf der Suche,
für sich ein paar Fische raus zu angeln. Sie ist der
von Nick Cohn in „Das Herz der Welt“ schrill bunt beschriebenen Broadway-Mischung in New York nicht
unähnlich.
In Spanien und Spaniens Klassiksender geht es mit
Weihnachtsliedern weiter bis zu den Heiligen Drei
Königen, bis zur Bescherung.
Wir erlebten die Weihnachtszeit hier mit unserer
„Gomerafamilie“, den Leuten, die wie wir hier im
Dezember ins Valley des Großen Königs kommen.
Man sieht sich nach einem Jahr wieder und lauscht
den Geschichten, was über das Jahr über passiert
ist, man forscht im Gesicht nach Veränderungen, die
spannender sind als just die abgelaufene Zeit.
Dann gibt es die wiederholten Begegnungen mit
den Ansässigen, den Bistro-Ladenbesitzern. P. aus
Barcelona will nächstes Jahr seinen Laden auflösen.
Habe bei ihm vor kurzem ein Tuareg-Bodenkissen
aus rotem Leder mit schwarzen Fransen und aufgenähten Symbolen gekauft. Ich sah ihn Jahr für Jahr in
seinem Laden, meistens lesend. Der 40-jährige holt
seine Ware aus Afrika, seine Regale sind mit ethnologischen Büchern gefüllt, er weiß, was er kauft,
er kennt die Hintergründe. Neugierig schmunzelnd
nehme ich ein Objekt aus Metall in die Hand, Mann
und Frau Rücken an Rücken aneinander gefesselt,
oben und unten. P. erklärt mir, mit diesem „Fetisch“
könne ein Voodoomeister den Partner, der fremd-
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gehe, wieder zu sich zurückholen, wieder an sich
binden. Ich antworte, Rücken an Rücken erscheine
mir das nicht gerade erstrebenswert. Als er mir erzählt, dass er seine Zelte in V.G.R. abbrechen und in
Senegal wieder aufbauen werde, bin ich mir sicher,
da kann nur Liebe oder Voodoo im Spiel sein.
Nicht in einem Zelt, sondern in an einem Fluss gelegenen Steinhaus bei Caleta (Hermigua) ohne Strom
und Fließendwasser, wohnt der hier genannte „Barbarossa“. Ich würde ihn eher Rübezahl nennen. Er
hat zwar Zähne im Mund, aber sein borstiges Kraut
im Gesicht unter den hellblauen Augen, rotgrau bis
zur Brust, ist von einer noch nicht so gesehenen
Wildheit. Er lebt von seiner Invalidenrente aus Österreich und leistet sich ab und zu ein Taxi ins V.G.R.,
um Freunde zu besuchen und Neuigkeiten zu erfahren. Ich zeige ihm die Skizze, die ich heimlich von ihm
gemacht habe. Die gebogene Nase habe er als Andenken von einer Metallplatte in vorderster Front bei
einem Rolling-Stones-Konzert. Nicht gemalt habe ich
seine Erscheinung, seine gewaschene, wie er sagt
von den Mäuschen durchlöcherte Kleidung. Eigentlich sei die Divise in La Gomera nicht, zu betrügen,
sondern listig zu sein. Und so versuche er auch die
Tiere, mit denen er zusammen lebe, auszutricksen.
Die Ratten fressen ihm nicht mehr das Brot weg, das
nun an einem Metallstab mitten im Raum an einem
Beutel hänge. Gegen die Kaninchen, die wegen der
großen Dürre vom Naturschutzgebiet in den saftige
Gärten die Leckereien plündern, könne er nichts machen, nur manchmal lege er Mäusegift wegen der
Kleider ...
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Zum Jahresende:
Windböen
rütteln und zerren
und doch zaubern sie Rhythmus
auf Sand,
Meer,
und auf die Leinwand.
Zwei Möwen spielen,
gleiten mit reduzierter Bewegung,
Steilabflug vor die brechende Welle,
ziehen hoch durch die Gischt
einander vorwärtstreibend
im Spiel von Berg und Tal.
La Gomera Dezember 2006
Erste Woche
Der Vollmond hat den zweiwöchigen Dezembersommer verabschiedet. Der metallig schwarzglänzende
Sandstrand am Playa war glatt gefegt. Plötzliche
Sand-, Gischtsäulen reißen mit vorwärts bohrender
Kraft mit sich, was nicht genügend Schwerkraft hat,
wie z.B. mein stolperndes Herz. Nach und nach donnern Steinbrocken vom Meeresgrund aufgewirbelt
auf das jungfräuliche Sandbett. Vielleicht werden
auch die Fische durch diese „kleinen Windhosen“
kirre gemacht, in jedem Fall versuchen einheimische Angler bei diesem ungemütlichen Wetter ihr
Fangglück. Die Fähre setzt ihren Fahrplan aus, so
wie der Strom seinen Dienst. Mit unseren Stirntreckingleuchten verspeisen wir zu viert Sardinen mit
Zwiebeln und gehacktem frischen Koriander eingebettet in cremige Avocadostückchen - selten hat es
besser geschmeckt als im Halbdunkel. Die Möwen
scheinen sich auch nur durch die Futtergier auf Fischabfälle aus der Ruhe bringen zu lassen. Ansonsten
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gleiten sie erhaben vor sich wechselnden Kulissen
der Wolken- und Wellenberge. Sie gleiten souverän in den Windböen, ohne mit den Flügeln zu
zucken, sie schaukeln gemütlich gruppenweise auf
der Dünung. Könnte ich wie sie schwebender Körper
sein!!! Dann hätte ich mir beim Malen nicht so Rückenschmerzen geholt. Den Körper vergessen, heißt
oft nicht merken, wie man sich verkrampft beim Auf
und Ab. Dieses nicht im Fluss sein, ist Scheitern, man
kämpft mit sich und der Leinwand - aber es gibt ja
auch andere Tage.
Gestern war kreativer Glückstag. Morgens hatte ich
von der ehemaligen sog. Bhagwanbucht zwei Fundstücke mit in die Wohnung gebracht, ein Roststück
und ein gelb ausgeblichenes Gummiblatt durchzogen von zahlreichen terracottafarbenen Linien - und
siehe da, das Roststück, geformt wie ein amorpher
Serviettenhalter, umfasst liebevoll das verletzbare
Gummiblatt, die zwei scheinen für einander geschaffen. Angespornt durch diesen Morgenerfolg
male ich an der großen Leinwand weiter, die mich
vor zwei Tagen so überfordert hatte. Plötzlich geht
es tänzerisch im Wettstreit mit Sonne und Wind, die
den Trockenprozess beschleunigen. Bringe vor dem
Austrocknen die Farbe mit Wasser wieder in einen
Farbfluss, lasse die Leinwand tanzen und lenke die
Farbverläufe in eine kompositorische Richtung, partiell lässt die oberste Farbschicht die untere wieder
auftauchen, reibe in die noch nicht trockenen Schlieren mit dem Sieb die rote Erde von Agulo... Ein kurzer Regenguss zwingt mich, die Arbeit zu beenden,
terminado!
Hier in La Gomera übe ich mich toujours im Segeln...
Trockenübungen, Vorstellungen des tänzerischen
Getragenseins, trotz der Gewalttaten des Windes
- übe mich, nicht das Gleichgewicht zu verlieren - es
erscheint mir die höchste Kunst!
Nach dem Windhosentag, Tage der Ruhe vor den
erneuten Anstürmen, sie gehören zu den stärksten
Aggressionen, die ich über Jahre hinweg hier erlebt
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habe. Es hat das Badezimmerfenster unserer Nachbarn herausgerissen, unser Schlafzimmerfenster hat
es nur nachts aufgerissen. Splitter am Boden, kleine
Strommasten umgesäbelt, die Pflanzen durchgeputzt. In den Windecken sammelte sich Müll, verfaulte Früchte vom Schmuck der Dattelpalme, vertrocknete Blätter und Blüten. Mülleimer entleert, darüber
aufgeblähte Plastiknikolausmützen im Wind.
Vorherrschend Jaulen und Ächzen in der salzigen
Luft.
Durchgepflügt die hohen weißen Wolkenbänder,
nicht nur in Längsreihen, sondern in gründlich zersplitterte Mosaike, wie Nebelbänke jagt Gischt über
die Meeresoberfläche, leer gefegt die Gegend von
allen Tieren, nicht einmal die Möwen lassen sich blicken, nur die Touristen strömen ins Freie, halten es
in den Zimmern nicht aus, stemmen sich gegen die
aufgeblähte Kraft, die den Kopf lausfrei blasen würde, schade, dass sich nicht andere Flausen aus den
Köpfen blasen lassen....
27. Dezember 2006
Auf und Ab,
beim Wandern,
der Wellengang,
meine Energie beim Malen.
Steil abwärts löste sich vor einer Stunde Felsen von
der majestätischen Hauswand, die den Playa und
Playa del Ingels einrahmt. Weit genug entfernt von
den Häusern und doch erschreckend nahe, Gepolter, Geröll.
Ein Teil der Felsenwand, in der die Möwen wohnen
und die in der Abendsonne rot leuchtet, verschwand
in einer dichten, rotbraunen Staubwolke, die sich
nach oben schraubt und in der trockenen Luft bald
an Weite gewinnt.
Seit Monaten hat es hier in La Gomera nicht mehr
richtig geregnet, eine Seltenheit im Dezember. Die
Wasserauffangbecken sind fast ausgetrocknet, und
doch schwamm ein einsamer Schwan in dem bei Las
Hayas. Ernüchtert der Lorbeerwald im el Cedro, in
dessen feuchten Flechten normalerweise die Son-
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ne glitzert, nun trockene Bärte, die an den dürren
Armen der Lorbeerbäume leblos hängen. Wo sind
die Bächlein, die sich um die stark verzweigten niedrigen Bäume hinunterschlängeln, die hier vertikal
zum Hang wachsen, um möglichst viel Licht aus dem
Nebel zu fingern. Und doch bleibt der Nationalpark
grün, gelbgrün, statt wie sonst sattgrün. Den zigtausend Palmen scheint die Trockenheit nichts auszumachen.
Es wird schon wieder kommen, dieses Wasser, das
das millionenjahre alte Lavagestein ausgehöhlt,
poliert und Reliefs gezeichnet hat. Am beeindruckendsten sind sie im barranco de argaga. Hier klettert man die rhythmische ausgehöhlte Schlucht auf
steinigen steilen Saumpfaden aufwärts. Die Kletterpartien erfordern Trittsicherheit, nicht Lebensrisiko.
Beim Absteigen hat sich schon manch Wanderer
verirrt, der dann vom Hubschrauber gesucht wird.
31. Dezember 2006
Jahrein, jahraus, immer wieder anders, neue Blickfelder..., das Jahr 2006 rollt sich aus.
Verschnupft sitze ich hier im Internetcafe, alles ist im
Fluss - vor allem meine Nase ...
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