Selectronica Spiegel Online 280808
Transcrição
Selectronica Spiegel Online 280808
SPIEGEL ONLINE - Druckversion - Wirtschaftskriminelle: "Qualitäten wie ein Manager" - SPIEGEL... http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,druck-574908,00.html 28. August 2008, 12:43 Uhr Wirtschaftskriminelle "Qualitäten wie ein Manager" Von Michael Kröger Korruption, Bilanzfälschung, Geldwäsche - verzweifelt bemühen sich Ermittler, gerissenen Wirtschaftskriminellen auf die Spur zu kommen. Wissenschaftler haben nun Tätertypen analysiert. Ergebnis: Meist haben sie genau die Talente und Fähigkeiten, die auch ein Manager braucht. Berlin - Unrühmliches Ende einer Blitzkarriere: Am frühen Morgen des 18. Juli steht die Staatsanwaltschaft vor dem Frankfurter Büro der Firma Selectronica, Deutschlands größtem Ebay-Händler. Die Gesellschaft, so vermuten die Ermittler, habe Hunderte Kunden für Ware bezahlen lassen und dabei nie die Absicht gehabt, die Produkte zu liefern. Jetzt suchen sie Beweise dafür, dass Selectronica-Gründerin Daniela Kaufhold die Insolvenz verschleppt hat. manager-magazin.de Korruption: Ehrgeiz - und der unbändige Wille, etwas zu bewegen Dabei hatte alles so gut angefangen. Innerhalb weniger Jahre hatte sich die 34-Jährige von einer kleinen Privatanbieterin mit einem Büro in der eigenen Wohnküche zur professionellen Verkäuferin mit Powerseller-Status beim Internet-Auktionshaus Ebay emporgearbeitet - Jahresumsatz: zehn Millionen Euro. Doch dann nimmt die Firma Billigware aus Asien ins Sortiment auf. Für kurze Zeit steigt der Umsatz rasant an, bis auf zuletzt rund 30 Millionen Euro. Doch ebenso rasant steigt die Zahl der Reklamationen an, der Service bricht regelrecht zusammen. Die Benutzerforen erklären Selectronica daraufhin zum Erzfeind, rund 200 von ihnen erstatten Anzeige wegen Betrugs - bis schließlich Ebay die Reißleine zieht und die Seiten seines einstigen Vorzeigeverkäufers dicht macht. Kaufhold und ihr Lebensgefährte Stephan Meyer, zuletzt gleichzeitig Geschäftsführer des Unternehmens, versuchen zu retten, was zu retten ist - Insolvenzverwalterin Hildegard Hövel sucht nun nach mehreren Hunderttausend Euro, die sich bis zuletzt noch auf den Konten der Firma befunden haben sollen. 1 von 3 09.11.2010 12:54 SPIEGEL ONLINE - Druckversion - Wirtschaftskriminelle: "Qualitäten wie ein Manager" - SPIEGEL... http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,druck-574908,00.html Sechs Milliarden Euro Schaden jährlich Der effektive Schaden geht jedoch weit darüber hinaus: "Die exakte Summe ist zwar kaum zu beziffern", sagt ein Mitarbeiter der Insolvenzverwalterkanzlei. Doch der Imageverlust sei nicht zuletzt für Ebay enorm. Der Fall Selectronica ist nur ein Fall von vielen. Die Vielzahl von Wirtschaftsstraftaten, die in den vergangenen Jahren ans Licht kamen, hat das Vertrauen in Unternehmen und Manager nachhaltig erschüttert. Insolvenzverschleppung zählt dabei ebenso zu den Klassikern wie Bilanzfälschung, Betrug und Industriespionage. Nicht zu vergessen die Korruption, die seit der Siemens-Affäre im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Pro Jahr liegen die Schäden, die durch Wirtschaftsstraftaten in Deutschland entstehen, einer Schätzung der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) zufolge bei rund sechs Milliarden Euro. "Allerdings liegt die Dunkelziffer extrem hoch", räumt PwC-Partner Steffen Salvenmoser ein. Eine Schätzung sei deshalb immer mit großen Unsicherheiten behaftet. Angesichts der hohen Schäden zeigt sich Salvenmoser erstaunt darüber, dass sich so wenige Unternehmen gegen solche Angriffe wappnen. "Compliance, der Kampf gegen regelwidriges Verhalten, ist allenfalls in wenigen Großkonzernen ein Thema", erklärt der Experte. "Deutsche Unternehmen könnten die Schäden deutlich senken, wenn sie ihre Vorbehalte dagegen aufgeben würden." Täterprofil zur Früherkennung Wie Prävention helfen soll, wenn die Unternehmensführung selbst in die dunklen Machenschaften involviert ist, kann Salvenmoser allerdings nicht erklären. Zwar haben sich die Berater pressewirksam bemüht, gemeinsam mit der Kommunikationsforscherin Gabriele Naderer Täterprofile zu erstellen, um eine Art Früherkennung zu ermöglichen; doch das Ergebnis der aufwendigen Studie, die sie Ende vergangener Woche in Frankfurt am Main vorstellten, zeigt gleichzeitig, wie schwierig es ist, eine Neigung zur Straftat im Vorhinein festzustellen. Denn von den fünf Tätertypen, die Naderer skizziert, erfüllen drei alle Kriterien, die gleichzeitig als unverzichtbare Eigenschaften für Führungskräfte gelten: Ehrgeiz und der unbändige Wille, etwas zu bewegen, gepaart mit einem großen Selbstbewusstsein und geringer Neigung zur Selbstkritik. Die beiden anderen Typen handeln der Wissenschaftlerin zufolge auf Veranlassung durch diejenigen, von denen sie emotional oder beruflich abhängig sind. "Der typische Täter hat Qualitäten und Talente wie ein Manager", resümiert die Wissenschaftlerin. Speziell bei der Insolvenzverschleppung ist zudem die Grenze zur strafbaren Handlung schwer zu ziehen. Im Falle Selectronica werden die Juristen unter anderem klären müssen, ob Kaufhold und Meyer Kunden und Banken über die Schieflage hätten informieren müssen oder ob ihre Zurückhaltung dem berechtigten Ehrgeiz geschuldet ist, das Unternehmen zu retten. Ermittler stochern hilflos im Nebel Allerdings ist der Fall des Ebay-Händlers ebenso der Kategorie "Kleine Fische" zuzuordnen wie der Großteil der Korruptions- oder Betrugsfälle, die ans Licht kommen. Allzu oft stochern die Ermittler hilflos im Nebel und sind auf Aussagen der Beteiligten angewiesen. Und selbst dann erwischen sie allenfalls nur die direkt an der Tat Beteiligten. Dass wie im Falle Siemens einmal ein ranghoher Manager dingfest gemacht werden kann, ist nur die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Nach Überzeugung von Experten ist aber speziell bei Korruptionsfällen entscheidend, dass die Praxis von Seiten der Unternehmensführung toleriert oder sogar zumindest stillschweigend unterstützt wird. "Da bekommen kaum 30-jährige Vertriebsmanager sogenannte Vertrauensspesen in sechsstelliger Höhe eingeräumt", erklärt der Sachverständige Dietmar Vogelsang, der für Gerichte Gutachten über Finanzstraftaten anfertigt. "Was soll der Mann anderes damit tun, als es für Dinge ausgeben, über die man selbst im Unternehmen besser nicht spricht?" Dass Korruption trotz der allgegenwärtigen Diskussion um Prävention und Compliance allgegenwärtig ist, davon ist der Experte überzeugt. Allerdings weist 2 von 3 09.11.2010 12:54 SPIEGEL ONLINE - Druckversion - Wirtschaftskriminelle: "Qualitäten wie ein Manager" - SPIEGEL... http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,druck-574908,00.html er darauf hin, dass durchaus nicht selten Manager solches Verhalten gleichzeitig ehrlichen Herzens missbilligen. "Die stehen unter extremem Druck von innen und von außen. Schließlich gilt es als das A und O, Netzwerke zu bilden." Der Moment aber, in dem Beziehungspflege zur Korruption übergehe, sei im Einzelfall schon von außen schwer auszumachen. "Die Täter verlieren da leicht den Bezug zur Realität." Vergammelte Chemikalien statt Bakschisch Zumal die Gruppendynamik nicht selten als verstärkender Faktor hinzukommt. Der einzelne Manager misst sich im Geschäftsalltag nämlich nicht allein an seinen Zielvorgaben, sondern steht auch im direkten Vergleich mit seinen Kollegen. "Dieser Druck lässt nur nach, wenn der Vorstand systematisch gegensteuert", erklärt Vogelsang. Dass das in der Regel nicht zu Schaden des Unternehmens sein muss, davon ist Schahin Seyed-Mahdavi Ruiz überzeugt. Der Rechtsanwalt kämpft seit Jahren bei Bayer CropScience für ein sauberes Geschäftsgebaren. In seiner Amtszeit ließ der Konzern auch schon mal einen Container mit verderblichen chemischen Substanzen in einem Hafen vergammeln, weil man nicht bereit war, den zuständigen Zöllner mit Bakschisch zu einer schnelleren Abfertigung zu bewegen. Gleichwohl seien die Umsätze nur marginal zurückgegangen, heißt es im Nachhaltigkeitsbericht des Unternehmens. Ungleich schwerer dürfte dagegen eine öffentlich beachtete Korruptionsaffäre wiegen, wie etwa der Fall Siemens. Zum einen wegen der hohen Kosten für Ermittlung und Bußgelder. Zum anderen wegen des erheblichen Imageschadens, der allerdings nie genau zu beziffern sein wird. Auch in andere Hinsicht wird die Affäre den Münchener Traditionskonzern noch eine Menge Geld kosten, davon sind jedenfalls die Experten überzeugt. Denn die SEC und die an der Aufklärung der Vorgänge beteiligten Anwaltskanzleien hatten die Gelegenheit, Kenntnisse von den intimsten Geschäftsvorgängen zu erlangen. "Die haben sie auch offensiv genutzt", erklärt ein Insider. "Kaum anzunehmen, dass sie dieses Wissen nicht an andere Klienten weitergeben." URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,574908,00.html FORUM: Bestechung völlig normal? http://forum.spiegel.de/showthread.php?t=4689&goto=newpost © SPIEGEL ONLINE 2008 Alle Rechte vorbehalten Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH 3 von 3 09.11.2010 12:54