Fabrikzeitung 255 – Pop am Ende?

Transcrição

Fabrikzeitung 255 – Pop am Ende?
Nr. 251 – Pop am Ende?
Johnny Ace
Buddy Holly
Jesse Belvin
Eddie Cochran
Stu Sutcliff
Johnny Burnette
David Box
Sam Cooke
Nat Cole
Bobby Fuller
Joe Meek
Woody Guthrie
Ronnie Caldwell
Carl Cunningham
Etrit Hasler
Hold me, like the river jordan. And
I will then say to thee: «You are my
friend.» Carry me like you are my
brother, love me like a mother – Will
you be there? Weary, tell me will you
hold me when wrong, will you skold
me when lost, will you find me? But
they told me a man should be faithful.
And walk when not able. And fight till
the end; but Im only human. Everyones taking control of me. Seems that
the worlds got a role for me. Im so
confused, will you show to me you‘ll
be there for me and care enough to
bear me.
Lead me, lay your head lowly, softly
then boldly and carry me there. Hold
me, love me and feed me. Kiss me and
free me. I will feel blessed. Carry, carry me boldly, lift me up slowly and carry me there. Save me, heal me and bathe me, softly you say to me: «I will be
there.» Lift me, lift me up slowly, carry me boldly, show me you care. Hold
me, lay your head lowly, softly then
boldly, carry me there. Need me, love
me and feed me. Kiss me and free me,
i will feel blessed.
In our darkest hour, in my deepest despair, will you still care? Will you be
there? In my trials, and my tripulations.
Through our doubts and frustrations. In
my violence, in my turbulence, through
my fear and my confessions. In my anguish and my pain. Through my joy
and my sorrow. In the promise of another tomorrow, i‘ll never let you part,
for you‘re always in my heart.
Otis Redding
Bert Berns
Brian Jones
Roy Hamilton
Slim Harpo
Jimi Hendrix
Janis Joplin
Jim Morrison
Gene Vincent
Duane Allman
Brian Cole
Miss Christine
Ron McKernan
Jim Croce
Bobby Darin
Bobby Bloom
Graham Bond
Cass Elliot
Bill Chase
Nick Drake
Pete Ham
Tom Donahue
Tim Buckley
Al Jackson
Florence Ballard
Duster Bennett
Tommy Bolin
Peter Laughner
Editorial
Es war während der Trauerfeier für Michael Jackson im Staples Center, als auf
CNN wieder und wieder die gleiche These geäussert wurde: Pop ist nun tot, weil
der König des Pop tot ist. Gemeint war damit vor allem, dass die Zeiten, in denen
die Popmusik sich zur Weltkultur gemacht hatte, endgültig vorbei seien: Einerseits
krankt die Musikindustrie nach wie vor daran, sich nicht mit den neuen Medien
anfreunden zu können bzw. kein Geld dabei zu verdienen und andererseits hat
gerade das Kommen des ‹Globalen Dorfes› zu einer so unglaublichen Fragmentierung geführt, dass man als Konsument bald das Gefühl hat, es gäbe schon mehr
Musikstile als Musiker. War es denn nicht sogar vielmehr so, dass die Tatsache,
dass Pop schon tot war, Michael Jackson das Herz gebrochen hatte und dass er
daran verendet ist? Statt eines Königs hat Pop heute nur noch Prinzessinnen.
Wir stellten die These in den Raum und erhielten viele Antworten, von verschiedenen Autoren. Teils widersprüchlich – manchmal mit denselben Argumenten – teils
einstimmig. Eine allgemeingültige Antwort haben wir nicht finden können. Was
wir allerdings gefunden haben, sind Geschichten vom Anfang der Popkultur –
von einer Ausstellung im London der fünfziger Jahre – bis zu ihrem vermeintlichen
Ende; Fragen, wie diejenige nach der immer wieder hoch gepriesenen Authentizität im Zeitalter der unendlichen und fast unbemerkten Reproduktion, oder aber
auch die sehr reale Frage nach den Arbeitsbedingungen und Überlebensstrategien
von MusikerInnen im 21. Jahrhundert. Ob Pop nun tatsächlich tot ist, wissen auch
wir nicht. Das hindert uns jedoch nicht daran, ihn noch einmal richtig zu feiern.
Roger Behrens
Alles Pop, Ende Pop
Alles ist Pop, sagen die einen; Pop ist tot, sagen die anderen. Und natürlich gibt es die Dritten,
die den küchendialektischen Dreischritt beherrschen und schnell erkennen: Wenn alles Pop
ist, ist Pop tot. Diese Figur ist mehr als bloß eine Phrase; sie bezeichnet die fundamentale
Dynamik dessen, was seit rund zweihundert Jahren ‹Kultur› genannt wird und dem seit fünf
Jahrzehnten eben das Präfix ‹Pop› vorgeschoben wurde. Versuche, etwa den Todeszeitpunkt
und -ort des Pop zu bestimmen, sind also bloß exemplarisch.
Früher gab es einmal den Spruch: Janis Joplin ist tot, Jimi Hendrix ist tot, Elvis ist tot und mir ist auch schon ganz
schlecht; heute können wir aktualisieren: Aaliyah ist tot, Elliott Smith ist tot,
Michael Jackson und so weiter – aber
ist es nicht so, dass uns dieses Sterben
die Sicherheit gibt, selbst noch am Leben zu sein?
End-Erklärungen wie die vom Tod des
Pop gehören erst einmal in die übliche Untergangsmetaphorik. Interessant ist allerdings, wo dies als Kritik erscheint und sich die Möglichkeit des
popkulturellen Todes selbst als Strategie der «Sterben Lassens» ausdrückt.
Sterben kann ja nur, was geboren ist
und einen Prozess vitaler Veränderungen durchgemacht hat. Als kollektive
Bewegung kann das Geschichte sein,
aber auch die Mode, also eine Verbildichung des kontinuierlichen Fortschritts
oder die von Walter Benjamin erklärten «ewigen Wiederkehr des Neuen».
Mithin gehören solche End-Erklärungen
selbst schon in eine Epoche, in der Geschichte als Mode fragwürdig geworden ist. Und wie üblich ist es auch beim
möglichen Todesfall Pop sinnvoll, sich
an den Ursprung des Phänomens zu erinnern. Versteht man unter «Pop» das,
was die Pop Art in den fünfziger Jahren
bezeichnete - das Explodieren, Platzen,
Aufbrechen - dann fällt auf, dass er in
einer Zeit geboren wird, in der sich der
«Modernismus» entfaltet, während von
«Postmoderne» die Rede ist; also eine
Zeit, in der nach 1945 einerseits Geschichte als quasi «Jetzt-erst-recht» emphatisch verteidigt wird, andererseits
gerade das Ende der Geschichte in Betracht gezogen wird. Pop fällt damit in
einen Zustand der Nachgeschichte, und
freilich ist problematisch, ob in diesem
Zustand Sterben überhaupt möglich ist.
«Sterben heute»
Hegel markiert hier den Anfang vom
Ende, insbesondere sein Postulat vom
Ende der Kunst. Dabei ging es um den
gesellschaftlichen Funktionsverlust
der Kunst, nicht um ein faktisches Verschwinden der Künste. Kunst schien Hegel damals, anfangs des 19. Jahrhunderts, nicht mehr in der Lage zu sein,
den Zeitgeist adäquat zum Ausdruck zu
bringen. Die These hat sich in der Wirklichkeit paradox bestätigt: Die Künste mussten selber modern werden und
die neuen Techniken zu ihrem Material machen, um schliesslich ihre sozia-
Martin Büsser
le Funktion neu zu begründen. Sterben,
Tod und Wiedergeburt im Pop vollzieht
sich nunmehr vor allem in Bezug auf
die Musik: Kaum eine Kunstform hat
sich in den letzten fünf Jahrzehnten als
überflüssiger erwiesen als die so genannte E-Musik; und zugleich wurde
mit der Popkultur die Musik das erste
mal zur Leitkunst, bekam also die Position, die vorher vor allem die Literatur
beanspruchte.
Dies ist verschränkt mit dem kulturindustriellen System des Stars, beziehungsweise mit einer Ästhetisierung,
in der Menschen zur Ware werden. So
verwundert es nicht, dass mit jedem
real sterbenden Popkünstler immer
auch ein Stück Popideologie stirbt, ob
es nun Buddy Holly, Kurt Cobain oder
Jacko ist. Entscheidend ist aber, ob darin das Prinzip Pop selbst verendet statt
produktiv umwälzt. Bemerkenswert ist
ja, wie nach dem Tod, gewissermassen
in der Zeit der Trauer, der überlebende Teil der Popkultur reagiert: Auffällig
ist, dass dies seit einiger Zeit nicht mehr
durch das Vergessen in der nächsten
Mode passiert, sondern durch eine Historisierung der Mode, in dem das Gewesene zum Kanon erklärt und wiederholt
wird - eine Renaissancekultur, die sich
darin begründet, ihr eigenes Ende schon
vielfach überlebt zu haben. Alles auf
Anfang, oder: «Zurück in die Zukunft»
«Zurück in die Zukunft»
Pop ist ideologisch beides: Der Anfang
vom Ende ebenso wie das Ende vom
Anfang. Schon die 1956 die Popkultur
begründende Ausstellung «This Is Tomorrow», in der als Kunst gezeigt wurde, wie heute schon das Leben morgen
aussieht, markiert diese merkwürdige Dialektik, die in Science-Fiction umschlägt. Geschichte wird unter dem
Vorzeichen des Pop fortan nicht mehr
als Geschichte sozialer Veränderungen erzählt, sondern als permanente
Gegenwart eines scheinbaren Glückszustands, in dem das Leben nur noch
technisch seine Verbesserung erfährt.
Die Ausstellung «This Is Tomorrow» war
in der Londoner Whitechapel Art Gallery zu sehen; im Zentrum der Gruppenausstellung standen die Exponate der
Mitglieder der Independent Group: ein
– damals bereits aufgelöster – Zusammenschluss von Architekten, bildenden
Künstlern, Designern, Musikern und Kritikern, die sich explizit von jedem nationalistischen Kulturauftrag abkehrten
und die Aufgabe der Kunst formal international und inhaltlich massenkulturell bestimmten. Ausgestellt wurden
etwa Filmplakate, Marilyn Monroe und
King Kong als Pappreklametafeln, eine
Music-Box und dergleichen, also insgesamt Exponate der U.S.-amerikanischen
Kulturindustrie, die eben damals eines
Hoch- und Volkskultur zersetzender Internationalismus bezichtigt wurde (z.B.
von den Begründern der Cultural Studies wie Raymond Williams).
Richard Hamilton fertigte zusammen
mit John McHale und John Voelcker eines der Poster für die Ausstellung, eine
ausschliesslich aus amerikanischen Illustriertenmaterial zusammengesetzte Collage mit dem bezeichnenden Titel «Just What Is It that Makes Today’s
Homes So Different, So Appealing?»;
das angenehme gegenwärtige Leben
wird dabei als Kaleidoskop alltagstechnischer Errungenschaften präsentiert:
Fernseher, Tonbandgerät, Staubsauger, Konservendosen etc. Ein Bodybuilder und ein Pin-up-Girl sind die Prototypen des neuen Pop-Individualismus;
ihnen werden Gefühle und Begehren
zugestanden, die vorher nur romantisch verklärt dem Bürger gewährt wurden: Angestelltenliebe («True Love» &
«Young Romance» verspricht ein Comic
an der Wand) und eine durch die Leistungsgesellschaft gefilterte Erotik werden (die perfektionierten Körper des
Muskelmanns und der lasziv sich räkelnden Frau) zur allgemeinen Matrix
einer emotionalen Konformität, die sich
in den kommenden Jahrzehnten ausbreitet und zwischen Verzicht und Sex
& Drugs & Rock ’n’ Roll changiert. Wie
die technische Revolution ist auch diese,
später als sexuelle Revolution deklarierte Bewegung keine. Pop verdichtet
die bestehende Ordnung gerade dadurch, dass «technische» und «sexuelle» Revolutionen jede Revolutionierung,
also tatsächliche Umwälzung der Gesellschaft verhindern.
«Der verbotene Planet»
Schon damals lebte der Pop von der
modischen Reminiszenz, von der historischen Anekdote: Die Eröffnungsrede der «This Is Tomorrow»-Ausstellung
wurde von Robby gehalten, ein Roboter, der damals gerade durch den SFFilm «Forbidden Planet» berühmt geworden war. «Forbidden Planet» (dt.
«Alarm im Weltall», 1956) ist eine ins
groteske verdrehte, und darin schon
sehr «poppige» Adaption von Shakespeares schwerstem Stück «The Tempest». Auf dem Planeten Altair finden
sich die intakten technischen Überreste einer zehntausende von Jahren alten
Zivilisation der Krell. Ihr ungeheurer
Fortschritt war nur möglich durch die
Verdrängung sämtlicher Emotionen, die
nunmehr als Monstrum auf der Planetenoberfläche ihr Unwesen treiben. Das
ist, kurzum, genau die Dialektik der
Kultur, die Herbert Marcuse in seinem
Buch «Eros and Civilization» beschrieben hatte: die Oberfläche als realisierte Utopie, als Bühne, auf der sich Eros
und Thanatos gleichermassen inszenieren dürfen. Diese Utopie ist das Glücksversprechen, dass das wirkliche Leben
doch irgendwie aushaltbar ist; und weil
diese Utopie des Pop sich behauptet,
ohne die Verhältnisse des wirklichen Lebens anzutasten, kapituliert sie zwangsläufig vor sich selbst. Pop stirbt immer
wieder. Die Friedhöfe der Popkultur
sind allerdings keine Ruhestätten, sondern Schlachtfelder: Zwar werden der
Popkultur nach und nach neue, Foucault
würde sagen «heterotope» Räume, Felder, Gebiete, Architekturen etc. zugewiesen, doch bleibt der Pop insgesamt
ortlos, also buchstäblich «u-topisch».
«Asyl für Obdachlose»
Solange die Menschheit weiter in diesen mörderischen Verhältnissen namens Kapitalismus lebt, ist es im Prinzip
egal, mit welchen Etiketten die Versuche bezeichnet werden, sich einen kleinen, ein bisschen Glück versprechenden
Alltag inmitten der herrschenden Tristesse einzurichten. Adornos, gerade ja
von den Anwälten des fröhlichen Positivismus der Popkultur immer wieder lächerlich gemachtes Diktum «Es gibt kein
richtiges Leben im falschen» war indes
nicht moralisch gemeint, sondern sachlich und bleibt eben in der Welt zunehmender Versachlichung zutreffend. Der
Satz steht in Adornos «Minima Moralia» unter der Überschrift «Asyl für Obdachlose», eine kleine Referenz an seinen Freund Siegfried Kracauer, der sich
unter diesem Titel mit der Angestelltenkultur der zwanziger Jahre beschäftigte. Kracauer beobachtete damals einen Zeitgeist, der gewissermassen die
Popkultur antizipierte. Zum Beispiel in
zwei Momenten, die wir in der erwähnten Hamilton-Collage ebenso wieder
wie im Pop allgemein: Eine «Verbilderung» des Lebens («immer wiederkeh-
rende Bildmotive»; «die Flucht der Bilder ist die Flucht vor der Revolution und
dem Tod»), und eine enorme Ausbreitung des Sports: «Die Ausbreitung des
Sports löst nicht Komplexe auf, sondern ist unter anderem eine Verdrängungserscheinung grossen Stils; sie
fördert nicht die Umgestaltung der sozialen Verhältnisse, sondern ist insgesamt ein Hauptmittel der Entpolitisierung.»
Diese Idee vom Pop (Bilderflut, sportive Körperlichkeit etc.) kulminiert im historischen Zentrum der Popkultur, nämlich Ende der siebziger Jahre in Disco
und Punk. Eine Anekdote zum Schluss,
mit gewaltig-grausamer Wendung
zum Ende: In der Disco-Film-Version
vom «Wizard of Oz», die 1978 unter
dem Titel «The Wiz» in die Kinos kam,
ist «Emerald City» eine riesige Diskothek um die – gerade erst errichteten –
WTC-Türme herum. Will man dem Tod
des Pop ein Datum geben, dann wären
das etwa der 11. September 2001. Man
sprach vom Ende der Spassgesellschaft
und meinte das Ende des Pop – eine bizarre Symbolik: Mit dem Einsturz der
Türme wurde das bisher gültige Versprechen des Pop obdachlos. An Veränderung der sozialen Verhältnisse war
jetzt erst recht nicht zu denken; aus den
Trümmern sollte nicht nur Menschen gerettet werden, sondern auch eine sterbende Ideologie.
Das Ende der Pop-Relevanz
Die Behauptung, dass Pop als Bewegung tot ist, hängt vor allem mit seiner Allgemeingültigkeit
zu tun – keine Jugendbewegung, die ihn vertritt, kein Elfenbeinturm, der seinen Kanon
definiert. Und nicht zuletzt keine Industrie, die für Arbeitsbedingungen sorgen kann, unter
denen Künster lange arbeiten können.
Es ist nun auch schon wieder fünfzehn
Jahre her, dass Tocotronic einklagten, sie wollten Teil einer Jugendbewegung sein. Seither konnte man diesen
Slogan immer wieder auf T-Shirts lesen, doch viel geändert hat sich nicht.
Neue, auf Pop gegründete Jugendbewegungen wollten sich einfach nicht
mehr bilden. Zumindest nicht im klassischen Sinne, weder als wütende Subkultur wie einst Punk, noch als globale
Party-Community wie im Fall von Techno. Durch die Bedingungen von Web
2.0 beschleunigt, sind zwar in den letzten Jahren jede Menge neue musikalische Netzwerke entstanden, doch Substile wie Antifolk, «new weird America»
und dergleichen mehr sind nichts weiter als das Resultat einer immer kleinteiligeren Ausdifferenzierung, die mit
Jugendkultur im herkömmlichen Sinne nichts zu tun hat. Ebenso gut könnte sich der Tischtennisverein von Aarau
zur neuen Jugendkultur ausrufen, denn
mehr als etwas grössere Freundeskreise – wenn auch auf globaler Ebene –
haben solche Subszenen bislang nicht
hervorbringen können.
Jugend ohne Bewegung
Möglicherweise zeigt sich bei viel diskutierten Emos, die mit ihrem androgynen Auftreten den Hass der homopho-
ben, leider mehrheitsfähigen Restwelt
auf sich ziehen, das letzte Aufzucken
einer Jugendkultur im traditionellen
Sinne. Immerhin handelt es sich um
eine Gruppe, die durch einen gemeinsamen Style ebenso auffällt wie durch
die damit vollzogene Abgrenzung gegenüber der Mainstream-Gesellschaft.
Doch ganz so klassisch ist Emo als Jugendkultur dann doch nicht, denn im
Gegensatz zu früheren Jugendkulturen
steht Musik nicht mehr im Mittelpunkt –
zumindest keine spezifische Musik mit
identitätsstiftendem Charakter, die unter allen an der Szene Beteiligten Konsens wäre.
Das Verschwinden von an Pop rückgebundenen Jugendkulturen muss eigentlich auch niemand bedauern. Die sich
immer wieder erneuernden Restformen alter Jugendkulturen, deren Entstehung meist ein halbes Menschenleben
zurückliegt, darunter die Gothic-Szene, die Punks, die Skins und die HipHopper, fallen vor allem durch szenekonformen Starrsinn auf, neigen oft zu
Männerbünden, sind undurchlässig linientreu und musikalisch so flexibel wie
ein Monolith. Nichts, was unter Artenschutz gestellt werden müsste. Im Gegenteil, zahlreiche jüngere Musiker betonen sogar, dass die neue Situation,
also das unkontrolliert Wuchern der
musikalischen Nischen ohne feste Zuschreibung, viel offener und befreiender sei, während Szenen den musikalischen Stil nur limitieren.
Die Koexistenz unzähliger musikalischer Nischen hat weit reichende Folgen. Sie verhindert nicht nur das Aufkommen neuer Jugendkulturen,
sondern auch das von Popstars, die einen ähnlichen Konsensstatus haben,
wie ihn einst Madonna oder Michael
Jackson erreichen konnten. Pop hat das
emotionale Zentrum der Gesellschaft
verlassen, Popmusik löst keine Erschütterungen mehr aus. Entsprechend langweilig routiniert lesen sich die Bericht-
erstattungen in den Musikzeitschriften.
Dort, wo das Musikgeschäft noch nicht
völlig zusammengebrochen ist, dümpelt es lust- und belanglos vor sich hin.
Den Hypes um Bands wie Arctic Monkeys oder Franz Ferdinand merkt man
bereits beim Lesen an, dass sie keinerlei Dringlichkeit besitzen, relativ willkürlich sind und schon gar nicht irgendeinen popkulturellen Erdrutsch werden
auslösen können wie einst die Sex Pistols oder – bedingt noch – Nirvana.
Kein Kanon mehr
Der Bedeutungsverfall von Pop wird
auch daran deutlich, dass sich seit den
Neunziger Jahren kein Kanon mehr heraus gebildet hat. Es fehlt an Leitfiguren, ja überhaupt an Namen, auf deren
Akzeptanz sich eine grössere Gruppe von Menschen noch einigen könnte. Die «500 besten Alben aller Zeiten»,
die der «Rolling Stone» 2003 gekürt
hat, sind ein schönes Beispiel für diese Orientierungslosigkeit. Auf den ersten 100 Plätzen finden sich ausschliesslich Alben von etablierten Künstlern vor
1980, darunter Bob Dylan, The Beatles, Van Morrison, The Who, Led Zeppelin, James Brown und Pink Floyd. Die
Neunziger Jahre kommen gerade noch
mit «Nirvana» vor, die Zeit seit der
Jahrtausendwende gar nicht mehr. Erst
auf den hinteren Plätzen schleichen sich
hin und wieder Namen wie Radiohead,
PJ Harvey, Coldplay und Jane’s Addiction ein – doch alleine die willkürlich
anmutende Nennung dieser Namen unterstreicht den anachronistischen RockKanon der Jury. Mit ihrem alten Wertesystem kommen sie seit der Zeit, als
Kolja Reichert
Pop nicht mehr in Form von zyklischen
Bewegungen auftritt, nicht mehr zurecht. Daher wohl auch Nirvana als
einzige Nennung einer jüngeren Band
unter den «Top 100»: Grunge als medial konstruiertes Phänomen war der letzte verzweifelte Versuch von Presse und
Tonträgerindustrie, so etwas wie eine
Bewegung zu installieren. Doch selbst
in dieser Beurteilung liegt der »Rolling
Stone« falsch, denn sollte Grunge jenseits der medialen Blase je eine Rolle
gespielt haben, dann war «Superfuzz
Bigmuff» von Mudhoney gegenüber
«Nevermind» die mit Abstand wichtigere und musikalisch bessere Platte.
Aber selbst diese Nerd-Unterscheidung,
welche Platte zu welcher Zeit wegweisend, besser oder wichtiger war, wagt
sich kaum mehr ein Kritiker auf die Musik der letzten Jahre anzuwenden. Es
gibt sie zwar noch, die Jahrescharts
von «Spex», «Rolling Stone» oder «Musikexpress», doch alle Beteiligten wissen im Grunde, dass es sich dabei um
eine Farce handelt und das Gelistete
von Gossip bis Bloc Party, von Hot Chip
bis Tomte keinerlei musikhistorische
Wegmarke, sondern höchstens so etwas wie die Spitze des Wahrgenommenen innerhalb der neuen Unübersichtlichkeit darstellt.
Einzelgänger und Aussenseiter
Bis in die frühen 1980er-Jahre hinein
erschien im Rowohlt-Verlag eine Taschenbuchreihe mit dem Titel «Rock
Session». Dort wurde über so ambitionierte Musiker wie Throbbing Gristle, Chrome, Pere Ubu und XTC ge-
schrieben, im Anhang befand sich das
«Lexikon der Aussenseiter». In diesem «Lexikon der Aussenseiter» gab es
Kurzportraits von unter anderem Kevin Coyne, Townes Van Zandt, The Sonics, Phil Ochs, Peter Hammill und 13th
Floor Elevator zu lesen. Eine krude Mischung also. Und doch folgte die Auswahl einer inhärenten Logik, denn gelistet wurden Künstler, die es zu einer
bestimmten Zeit und innerhalb eines
bestimmten Genres nicht zu der ganz
grossen Popularität gebracht hatten
und die dennoch etwas Eigenes aufweisen. Aus Townes Van Zandt wurde nun
mal kein zweiter Johnny Cash, aus Phil
Ochs kein zweiter Bob Dylan, aus Peter Hammill kein zweiter Peter Gabriel, obwohl man es ihnen allen gegönnt
hätte. Und doch handelt es sich weder
um Vergessene noch um Verschollene.
Nun ist allerdings die spannende Frage,
wie solch ein «Lexikon der Aussenseiter» heute aussehen würde, wenn man
darin ausschliesslich Künstler aus den
2000ern listen wollte. – Schnell würde deutlich werden, dass es die alten
Abstufungen nicht mehr gibt. Entweder jemand ist drinnen im ganz grossen Geschäft oder er ist es nicht. Und
weil 98% aller Musiker nicht drin sind,
müssen wir uns angewöhnen, nahezu
die komplette Branche als ein Sammelbecken von Aussenseitern zu betrachten. Die Tatsache, dass sich die gegenwärtige Poplandschaft fast nur noch
aus Aussenseitern und Einzelgängern
zusammensetzt, die trotz oder gerade
wegen uferloser Plattformen wie mySpace nur eine geringe Reichweite haben, bedeutet nicht, dass es keine gute
Musik mehr gäbe. Im Gegenteil: Sel-
ten war das Angebot an undogmatischer, nonkonformer Musik so gross
wie in den letzten Jahren. Doch diejenigen, die uns die allgemeine Verfügbarkeit als Segen preisen und die digitale Boheme zum Zustand nie gekannter
Freiheit erklären, verkennen die ökonomischen Bedingungen: Die derzeit
spannendste und beste Musik ist zwar
jederzeit verfügbar, obwohl kein Radiosender sie mehr spielt und obwohl kein
Musikmagazin mehr über sie schreibt.
Aus diesem Grund wird sie in der Regel
aber auch von 18- bis 25-Jährigen gespielt, die sich dies als spätpubertären
Luxus leisten, so lange sie noch keinen
Gedanken an Krankenversicherung und
anderen finanziellen Ballast verschwenden müssen. Das geht für ein paar Jahre gut, dann verschwindet die jeweilige
Band wieder von der Bildfläche. Oder
sie setzt, wie das bei Animal Collective der Fall ist, mehr und mehr auf Vermarktbarkeit. Der Verschleiss an guten Musikern ist so hoch, weil niemand
mehr bereits ist, für Idealismus zu zahlen. Wolfgang Brauneis vom Kölner Label und Vertrieb »a-Musik« hat darauf hingewiesen, dass Musik, die keine
Kompromisse an den Markt eingeht,
langfristig wohl nur überleben kann,
wenn sie sich in das Feld der Bildenden Kunst begibt. Im Rahmen von Ausstellungen und Kunst-Events besteht für
Musiker zumindest noch die Möglichkeit, halbwegs realistische Gagen zu
bekommen.
sen, im Zusammenhang mit all den derzeit existierenden musikalischen Nischen noch von «Pop» zu sprechen. Mit
«Pop» im Sinne von «populär» hat all
das nichts mehr zu tun. Es handelt sich
vielmehr um ausdifferenzierte, hochkomplexe ästhetische Darbietungen, die
Spezialwissen voraussetzen. Ein Beispiel: Obwohl eine Band wie die USamerikanischen Woods den ein oder
anderen Song in ihrem Repertoire hat,
der das Zeug zum Klassiker hätte und
einem Beatles-Song in nichts nachsteht,
werden die Woods nie den Status der
Beatles erreichen. Zum einen nicht, weil
die Woods sowieso nur von einem Spezialistenpublikum wahrgenommen werden, das mit den Verästelungen der
LoFi-, Post-Punk- und Neofolk-Sparten vertraut ist; zum anderen nicht, weil
die kulturellen Rahmenbedingungen
für Phänomene wie die Beatles, Rolling
Stones oder Bob Dylan nicht mehr gegeben sind. Vorstellungen vom unmittelbar Neuen, Wegweisenden, für das die
Beatles einmal standen, sind im posthistorischen Pop unmöglich geworden.
Die Kids hingegen stört das kaum. Das
Neue ist ihnen egal geworden. Sie hören die Plattensammlungen ihrer Eltern
durch, laden sich die Doors auf den
iPod und tragen T-Shirts von Nirvana.
Pop war gestern.
Nischen sind kein Pop
Dies bedeutet allerdings auch, dass
wir uns davon verabschieden müs-
Die gute Tat der Piraten
Wenn von illegalen Musikdownloads die Rede ist, wird oft das Ende der Musikindustrie beschworen. Dabei verschiebt das Internet vor allem die Machtverhältnisse von Künstlern und Konzernen.
Im Online-Archiv der «New York
Times» findet sich die älteste Meldung
zum Thema Musikpiraterie. Sie stammt
vom 13. Juni 1897, aus der Gründerzeit
der Phonoindustrie. «Kanadische Piraten» verschickten Raubpressungen von
Schallplatten über die Grenze und verkauften sie zu einem Zehntel des Originalpreises. Zeitungen druckten Listen
der verfügbaren Stücke – eine Art frühe
Pirate Bay. 50 Prozent Umsatzeinbussen beklagte die Industrie und forderte, dass die Post die Sendungen filtere.
Eine vergleichsweise milde Massnahme,
gemessen am Internet-Ausschluss, den
sich heute die Tonträgerindustrie für
Filesharer wünscht. Die Politik reagiere
nicht hart genug auf Internetpiraterie,
begründete Dieter Gorny, Geschäftsführer des Bundesverbands der Musikindustrie, die Absage der Branchenmesse Popkomm in Berlin und sorgte
allseits für Kopfschütteln. Mark Chung
vom Verband Unabhängiger Tonträgerunternehmen, der die Indie-Label
vertritt, sagt: «Starke Vereinfachungen helfen niemandem.» Das Internet
ist nämlich nicht der Feind der Musik.
Es ist nur der Feind der Tonträgerindustrie. Nach Wachswalze, Schallplatte, Magnetband und CD hat sich Musik vom physischen Träger gelöst und
lässt sich mit geringem Aufwand beliebig oft kopieren. Legale Musikdownloads machen zwar in Deutschland
noch nicht 39 Prozent des Marktes aus
wie in den USA; doch sind die Erlöse
im ersten Quartal dieses Jahres wieder
um 16 Prozent gestiegen. Bei allen Debatten um illegale Downloads geht es
nicht um einen Konflikt zwischen Künstlern und Publikum, wie die Industrie ihn
seit Jahren lautstark inszeniert. Deren
Interessen lassen sich im Netz wunderbar vereinen.
Die Do-It-Yourself-Frau
Niemand führt die neuen Verhältnisse gerade selbstbewusster vor als die
Amerikanerin Amanda Palmer, Sängerin des Cabaret-Rockduos Dresden
Dolls. Will Amanda Palmer ihr Publikum mobilisieren, braucht sie kein PRBüro und keine Konzertagentur. Über
Twitter lädt sie zu Strandkonzerten mit
Gruppenfoto oder zur Spontanparty in einer Stripbar. Einen Pressetermin
in einem leeren Kaufhaus verwandelte sie in ein Gratiskonzert für 350 Fans.
An einem Freitagabend im Mai entstand bei einem Massenchat ein T-ShirtSpruch. Palmer gestaltete direkt am
Laptop die Druckvorlage, ein Freund
setzte einen kleinen Online-Shop auf.
Am Ende der Nacht waren 200 TShirts verkauft. Am Tag darauf weitere 200. In ihrem Blog zog die Sängerin Bilanz: «Einnahmen durch Twitter in
zwei Stunden: 11 000 Dollar. Einnahmen durch mein Major-Soloalbum dieses Jahr: 0 Dollar.» So klingt die Verzückung einer Künstlerin, die ihre Macht
entdeckt – und vorführt, dass die Zeiten, in denen sich Künstler von Managern sagen lassen mussten, wo es
langgeht, endgültig vorbei sind.
Der Fan als Manager
Im Prinzip lassen sich heute alle Aufgaben einer Plattenfirma – Aufnahme, Design, Booking, Buchhaltung – selbst erledigen oder an Freunde delegieren;
während Fans in Netzwerken wie last.
fm durch automatische Empfehlungen
via Geschmacksprofil für Werbung sorgen oder über Fundraising-Foren gleich
in die Rolle des Investors schlüpfen und
Geld für Produktionen vorstrecken. Zuletzt sammelte Patrick Wolf das Geld für
sein viertes Studioalbum über die Website Bandstocks. Auch die Kölner Band
Angelika Express finanzierte ihr letztes Album mittels «Angelika Aktien» im
Wert von 50 Euro, 80 Prozent der Einnahmen sollten zurück an die Fans fliessen. Es streckt ohnehin kaum noch ein
Label Geld für Studioaufenthalt und
Produktionskosten vor. Lieber kauft man
fertige Bänder. Die vier verbliebenen
Riesen Sony, Universal, EMI und Warner
sehen ihre Zukunft im Lizenzhandel für
Mode, Werbung, Filme und Computerspiele. Sogenannte 360-Grad-Verträge
sichern das Mitverdienen an allen Aktivitäten der Künstler, vor allem an den
Konzerteinnahmen. Auch Bertelsmann
spielt, nachdem sich der Konzern 2008
von Sony gelöst hatte, jetzt mit BMG
Rights Management wieder auf dem
brummenden Rechtemarkt mit. Das Geschäft der erhabenen Alten: die Nachlassverwaltung. So sind neue Künstler weitgehend sich selbst überlassen.
Es schiessen Kleinstlabels aus dem Bo-
den, die oft nicht mehr veröffentlichen
als die Musik ihrer Gründer. Der Berliner Pressungsdienstleister Handle With
Care kann sich vor Aufträgen kaum retten – er hat sich auf Kleinstauflagen unter 1000 spezialisiert.
Der Künstler als Unternehmer
Ein Musterbeispiel erfolgreicher Selbstvermarktung im Netz ist der Berliner
DJ Alexander Ridha alias Boys Noize, der 2005 Boys Noize Records gründete. Auf der Website Hype Machine,
die Hörempfehlungen beliebter Musikblogs zusammenfasst, tauchen regelmässig seine Remixe auf. Während
andere Labels ihre Musikdateien entfernen lassen, hat Alexander Ridha dafür gar nicht die Zeit. Virales Marketing und kreatives Schaffen gehen bei
ihm in eins und führen zu einem endlosen Strom aus Clubgigs, Studioaufenthalten und Myspace-Updates. Seine
Musik verkauft Ridha vorwiegend über
beatport.com, das führende Downloadportal für elektronische Tanzmusik, das
beweist, dass im Netz auch hohe Preise
gezahlt werden, solange die Klangqualität stimmt. Wer ein zahlungswilliges
Publikum erreichen will, muss in den
grossen Online-Stores präsent sein: in
iTunes, music load und Amazon Mp3,
das seit April aggressiv auf den deutschen Markt drängt. Der Weg dorthin
führt allerdings über Label und Zwischenhändler, sogenannte Content Aggregatoren. Abkürzen lässt er sich über
Quasilabels wie «Artists without a Label», das mit einem einfachen Standardvertrag die Präsenz auf iTunes und
hohe Anteile sichert; Ausstieg jederzeit
möglich. Die Arctic Monkeys begannen hier, die Editors und Tina Dico. In
Deutschland bietet das Bandportal regioactive.de einen ähnlichen Zusatzservice, allerdings haben sich die 65 Euro
Startgebühr bisher für kaum jemanden
ausgezahlt – online sein alleine reicht
eben nicht, um gehört zu werden.
Lieber verschenken?
Der DJ Martin Juhls erhielt hingegen
weltweit Aufträge, nachdem er seine Musik gratis unter einer CreativeCommons-Lizenz veröffentlichte, wie
sie auch für freie Software üblich ist.
Sie erlaubt, das Werk für private Zwecke beliebig zu kopieren. Das meistverkaufte Mp3-Album 2008 bei Amazon
war «Ghosts» von Nine Inch Nails – obwohl zuvor mit CC-Lizenz veröffentlicht.
In Deutschland könnten mehr Künstler
diesen Weg gehen, würde die GEMA
hierfür Tantiemen einführen – nur ein
Beispiel, wie ausbleibende politische
Weichenstellungen die neuen Möglichkeiten behindern. Dass das Internet alles von selbst regle, erweist sich ebenso als Aberglaube wie die Hoffnung, es
liesse sich beliebig regulieren. Die schönen Erfolgsbeispiele zeigen bislang vor
allem, wie es gehen könnte – aber leider noch viel zu selten geht. Für Stars
ist es leicht, in den neuen Kanälen gut
auszusehen. Die grosse Frage ist, wie
neue Künstler ihr Publikum finden. Hier
sieht Indie-Vertreter Mark Chung derzeit schwarz: «Die neuen unter den
fünf Millionen Künstlern, die ihre Myspace-Seiten eingerichtet haben, merken
schnell, dass es keinen gibt, der in sie
investiert.» Die gute Nachricht: Künstler
dürfen in Zukunft wesentlich grössere
Stücke des Kuchens beanspruchen. Die
schlechte: Der Kuchen ist alleine schwer
zu backen. Andreas Gebhard von der
Agentur «newthinking communications»
sieht hier einen wachsenden Markt für
Beratungs- und Software-Dienstleistungen. Auch der Staat wäre gefragt, seine «Initiative Musik» auszubauen. Was
infrastrukturelle Förderung bringen
kann, zeigt das Popmusterland Schweden. Die Industrie bezichtigt die Internetpiraten gerne des Raubbaus. Eine
pikante Vereinfachung, denn nichts verschwindet, wenn man eine Datei kopiert, im Gegenteil: Hinterher hat man
zwei. Doch dafür waren die alten Vertriebsstrukturen nicht gemacht. Neue
bilden sich erst aus. Es geht um nicht
weniger als die Frage, wie die Gesellschaft in Zukunft ihre Künstler entlohnt
und ihre kulturelle Erneuerung sichert.
«Die Trias aus Schöpfern, Interpreten
und Hörern driftet auseinander», beklagt Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats. «Jeder
verfolgt seine Interessen, anstatt einen
gemeinsamen Lösungsweg zu suchen.»
Auf der einen Seite steht eine Industrie, die ihre Gewinne am liebsten eins
zu eins ins neue Medium hinüberretten würde; auf der anderen Seite eine
grosse Hörerschaft, die nicht einsieht,
warum sie für ein unbegrenzt kopierbares Datenbündel noch immer 10 Euro
zahlen soll. Und dazwischen die Künstler, auf sich selbst gestellt und ohne eigene Interessenvertretung, in der nicht
auch die Verwerter mitsprechen würden. Ein Zusammenschluss der Urheber
ist eine der Chancen, die in einem öffentlich organisierten Vergütungssystem
wie der Kulturflatrate liegen. Es könnte
erstmals eine exakte Abrechnung zwischen Künstler und Hörer schaffen und
die Tauschbörsennutzer an die Kasse
holen. Industrie und CDU würden die
Piraten lieber gleich vom Internet trennen. Legalisierung oder Sanktionen –
eine Frage für die nächste Legislaturperiode.
Die Do-It-Yourself Messe
Die Musikkonzerne verlieren den Anschluss an die Diskussion. Die Berliner
Messe findet nun ohne sie statt: als offene Konferenz, bei der die Teilnehmer das Programm mitgestalten wie in
einem Online-Forum. Die Entstehung
der «all2gethernow» erinnert stark an
Amanda Palmers T-Shirt-Aktion: Gorny
sagt die Popkomm ab, Internet-Experte
Andreas Gebhard ruft Musikunternehmer Tim Renner an, der ruft das Radialsystem an, man setzt eine Website auf,
gründet einen Verein und in wenigen
Tagen ist die ganze Berliner Musikszene im Boot. Es gibt Diskussionsbedarf,
das zeigen auch die Rahmenprogramme der Kölner c/o Pop und des Hamburger Reeperbahnfestivals. Zehn
Jahre ist es her, dass die erste Tauschbörsensoftware Napster das Ende der
CD einläutete. Inzwischen sitzt der erste
Internetpirat im Europaparlament. Kulturpiraten, argumentiert der Musikjournalist Matt Mason in seinem gratis im
Netz veröffentlichten Buch „The Pirate’s
Dilemma“, sind nicht der Feind. Sie erfinden neue Stile, Technologien und Geschäftsmodelle. Ohne ihre Innovationen
wäre die heutige Kulturindustrie nicht
denkbar. Umgekehrt hiesse das: Mit ihren Ideen wird die morgige denkbar.
Elvis Presley
Marc Bolan
Cassie Gaines
Steven Gaines
Ronnie Van Zant
Terry Kath
Sandy Denny
Keith Moon
Chris Bell
Donny Hathway
John Ritchie
Lowell George
Minnie Ripperton
John Glascock
Bon Scott
Jacob Miller
Tommy Caldwell
Ian Curtis
Malcolm Owen
John Bonham
Steve Took
Darby Crash
John Lennon
Tim Hardin
Bill Haley
Mike Bloomfield
Robert Hite
Robert Marley
Harry Chapin
Alex Harvey
Billy Fury
Karen Carpenter
Pete Farndon
Tom Evans
Dennis Wilson
Jackie Wilson
Marvin Gaye
Esther Phillips
Steve Goodman
Nicholas Dingley
David Byron
Ian Steward
Dennes Boon
Rick Nelson
Albert Grossman
Tracy Pew
Carlton Barrett
Dalida
Paul Butterfield
Scott Sterling
Peter Tosh
Cliff Burton
Will Shatter
Andy Gibb
Chet Baker
Christa Paffgen
Roy Buchanan
Robert Calvert
Vincent Crane
John Cipollina
Pete De Freitas
Allen Collins
Ric Grech
Andrew Wood
Steve Marriott
Stiv Bators
Brent Mydland
Stevie Vaughan
Tom Fogerty
Tony Duhig
Steve Clark
Johnny Thunders
Gene Clark
David Ruffin
Eric Carr
Freddie Mercury
Bill Graham
Dave Rowbotham
Stefanie Sargent
Paul Hackman
Steve Gilpin
Ronnie Bond
Helno
Eddie Hazel
John Campbell
GG Allin
Mia Zapata
Ray Gillen
Michael Clarke
Chris Wilpert
Mainstream der Nebensächlichkeiten
Pop als Inszenierungsform kann noch gar nicht tot sein, solange wir uns der Illusion der
Echtheit weiter hingeben. Lasst uns also feiern, bald kriegen wir als Ergänzung zum BeatlesRockstar-Spiel für die Playstation auch den DIY-Web2.0-Ego-Shooter.
1985 hatte Michael Jackson für lächerliche 47,5 Millionen US-Dollar die Rechte an 251 Beatles-Songs erkauft, die er
aber 1995 aufgrund seiner Schulden
1995 wieder verkaufen musste, immerhin zum doppelten Preis. Während der
Michael-Jackson-Ausverkauf jetzt natürlich auf Hochtouren läuft, jeder Supermarkt sich eine eigene Devotionalienecke mit Postern, T-Shirts und sogar
CDs von Michael Jackson einrichtete –
wobei die CDs vermutlich die Wenigsten interessieren –, muss man sich fragen, ob das Interesse an seiner Figur im
Falle eines neuen Albums ebenso ungebrochen weiter gelaufen wäre. Zugleich erschien dieser Tage eine gross
angekündigte Beatles-Box, im Stereound Mono-Mix. Der Stereo-Mix, angeblich den neuen Hörgewohneiten angepasst (was natürlich sofort zum Vorwurf
des Lautheitswahns führte) kann hier
vernachläsigt werden, da er, anders als
der Mono-Mix, nicht verspricht authentisch zu sein. Dagegen käme der Monomix den Originalaufnahmen angeblich
am nächsten, und noch dazu ist der limitiert! Der Mono-Mix ist echt! Wie früher! Auratisch! Limitiert! Wenn das mal
kein Argument ist. Das führt gleich zur
leidigen Tonträgerdebatte. Denn anders
als auf der High-End-Anlage ist es bei
MP3s nun fast schon egal, ob sie in Stereo oder Mono sind.
Beatles im Lautheitswahn
Hängen wir uns lieber an dem Wort
«limitiert» auf: Damit kann man nicht
nur jedeN Beatles-SammlerIn locken,
Frank Apunkt Schneider
auch alle, die einer Subkultur anhängen. Wenn eine Platte oder ein Tape
nur limitiert genug ist (egal ob auf 30,
300 oder 3000 Stück), am besten noch
handbemalt, dann verkauft sich das
schon fast von alleine, unabhängig davon, wie gut die Musik ist. Es spielt
dann auch keine Rolle mehr, dass die
Platte nur noch in den den gut sortieren
Schrank wandert, schliesslich hat man
sie eh schon auf dem Player.
Woher kommt gerade in Subkulturen,
und dabei ist es egal ob Hardcore, Antifolk oder Hip-Hop, diese Begeisterung
für das Greifbare, für den «echten»
Tonträger? Als Beweis, dass das Kunstwerk in seiner organisierten Dauer bestehen kann, dass es nur in seiner Reproduktion wahrhaftig wird und gegen
das Verschwinden in der digitalen Welt
besteht? Als Beweis dafür, dass man einen «besseren» Geschmack hat als Britney-Spears-Fans? Was können deren
Fans denn dafür, dass es die Alben zuerst als MP3-Download gibt und nie als
nummeriertes buntes Vinyl mit mundgehäkeltem Cover? Zumal ein BritneySpears-Album häufig interessanter ist
als so mancher marginale Tape-Realease von einem Konzertmitschnitt.
«Yeah Yeah Yeah»
Apropos Konzerte: Jene bieten scheinbar die letzte Bastion des Authentischen. Höchstens Star-Club-GängerInnen würden bestreiten, dass die Beatles
am Besten waren, als sie nicht mehr
live auftraten. Und auch gar nicht mehr
live auftreten konnten: Weder hät-
te die Anlage die Fans übertönen können, noch wäre der pompöse Studioaufwand live reproduzierbar gewesen.
Kein Wunder, dass Bands wie die Residents oder die Gorillaz einfach hinter einem Vorhang spielen, ihren Film
oder ihre Alter-Egos darauf projizieren – und höchstwahrscheinlich auch
noch die Musik vom Band laufen lassen. Und wen stört das? Ein MichealJackson-Konzert ohne Moonwalk wäre
undenkbar gewesen, dass die Musik
dabei nicht live war, dieser Illusion gab
sich ohnehin kaum jemand hin. – Allerdings bildete Michael Jackson zusammen mit Prince und Madonna in den
Achtziger Jahren noch eine Pop-Avantgarde, ähnlich den Beatles und Velvet
Underground in den 1960ern, während
es heute, wo es keine Garde mehr gibt,
der es voraus zu sein galt. Stattdessen
verschwimmt im rhizomatischen Netz
der Beliebigkeiten auf den Web2.0Plattformen alles zu einem unispirierten
und uninspirierenden Nebeneinander,
wo alle auf ihren Blogs oder Myspace-/
Facebook-Profilen am «Next Big Thing»
arbeiten. Ensprechend zeichnet sich
jede Band durch den Eklektizismus aus,
kein Review in dem dieses Wort nicht
mehr fällt, als Beweis dafür wie gekonnt sich die Band in der Popgeschichte positioniert und alles davorgewesene
aufsaugt und vermischt.
«Ich will meine Szene wieder haben!»
So wie Emo. Oder das böse E-Word,
wie es bereits 1989 in Dischord-Kreisen hiess. Zwanzig Jahre später kann
man auch Teil dieser Jugendbewegung
sein, wenn man mit H&M und nicht mit
Dischord sozialisiert wurde. Ausverkauf? Natürlich, wenn man nicht auf
die «richtigen» Bands steht, und die
Grenzen des guten Geschmacks sind in
der Subkultur eng. Es geht um den vermeintlich authentischen Anspruch, unter allen Umständen dem Vorwurf des
Kommerz zu entgehen.
Jetzt, wo eine Bewegung wie Emocore
schon fast wieder vorbei ist – auch so
eine missglückte Verheissung des Authentischen von Pop: dass sich darin die
grossen Gefühle transportieren liessen!
– tauchen als nachfolgende musikalische Spielarten im Post-Emo/MetalcoreGewand Phänomene wie Crabcore
auf: um das Authentische der Gefühle im Emo nachgerade durch Lächerlichkeit preiszugeben. Die Rückkehr zu
den Posen zeigt, dass es bloss um den
schnellen Witz geht, nicht um Inhalte.
Wo Posen bei den Beatles noch fehlten,
bei David Bowie noch subversiv waren
oder zumindest extraterrestrisch, bei
Michael Jackson noch sexy, entlarven
sie jetzt nur noch den Rockismus.
«I got blisters on my fingers!»
Ganz andere Strategien, um das Echtheits- und Authentizitätsversprechen
von Pop zu unterlaufen hatte Antifolk entwickelt. Quasi als Antwort auf
die Verheissung des möglichst Puren
und Reduzierten, war der Aufnahmeprozess selbst zur Schau gestellt worden. Auf verrauschten Homrerecording-Alben erzeugt die Anwesenheit
von Verkehrsgeräuschen, Telefonklingeln, Räuspern und Verspielern für
den Hörer den Eindruck grösstmöglicher Nähe. Gleichzeitig scheint in dieser performativen Unfertigkeit und Fehlerhaftigkeit aber auch die Kritik an
den klaren und sauberen Produktionen durch. Die Fehlerhaftigkeit als Beweis, dass auf Overdubs etc. verzichtet wurde, tritt programmatisch in den
Vordergrund: Fehler is King, Fragilität
zeugt von Authentizität. In der scheinbaren Nähe, die zu den Zuhörenden
aufgebaut wird, und die in den Wohnzimmerkonzerte noch einmal potenziert wird, steckt aber nicht immer nur
die Kritik an den der unmöglichen Echheit, manchmal dominiert auch das banale Bedürfnis nach dieser Illusion von
Nähe. Dass Antifolk auch nur noch in
einer kleinen Nische seine Open-MicSessions abhält, während der Folk wieder von bärtigen Barden wie Bonnie Prince Billy dominiert wird, zeigt,
dass Pop als pathetischer Pomp nicht
am Ende ist, solange immer noch die Illusion von Authentizität über die Darstellung derselben triumphiert. Ob man
demnächst zusätzlich zum BeatlesRockband-Spiel für die Konsole auch
den ganz authentischen Egoshooter aus
der Perspektive von Mark David Chapman, dem Mörder von John Lennon,
serviert bekommt?
Vom Konfliktstoff zum Konsensmaterial
Die alte Popgeschichte war eine lange Erzählung darüber, wie gut sich Konflikte anfühlen. Vom
klassischen Generationskonflikt mit den Eltern führte die Konfliktlinie ins Innere von Pop und verdampfte an der Jahrtausendschwelle in einer Wolke muffiger Toleranz.
Traditionellerweise verbindet sich mit
«Pop» die mehr oder weniger diffuse Vorstellung eines Generationenkonflikts, die in den Nachkriegsjahrzehnten
geprägt wurde. Die sozialen und ökonomischen Umbrüche der fünfziger und
sechziger Jahre hatten aus den Jugendlichen «die Jugend» gemacht, eine soziale Formation, die ungefähr dieselben
Nöte, Bedürfnisse und Interessen teilte.
Da die Produktionsverhältnisse immer
besser ausgebildete Subjekte erforderten, durchliefen Jugendliche immer längere Ausbildungszyklen. Ihre Kaufkraft
stieg; um sie abzuschöpfen, entstand
der Jugendmarkt. Dessen Produkte brachten die Erfahrungen und Wünsche «der Jugend» in eine Warenform,
indem sie sie zugleich ansprachen und
herstellten. Pop redete ihr den Wunsch
nach Freiheit und Selbstverwirklichung
ein. Und erlöste sie damit von Stumpfsinn und Langeweile, die ein zu Ruhe,
Anstand und Ordnung verdonnertes Leben bedeuteten – für die Dauer einer
Schallplatte, eines Films.
Teenage Kicks gegen den Kitt
Pop brachte «die Jugend» in Konflikt mit dem, was die Gesellschaft für
sie vorgesehen hatte und versah ihn
mit Sinn und Sinnlichkeit. Der alte Kitt
platzte ab, die Jugendlichen annullierten den alten Generationsvertrag
– zumindest vorübergehend. Um den
Sound der Unruhe zu übersetzen, entstanden komplexe Register aufrührerischer Gesten und Codes. In diesen
Entfremdungszeichen schufen sich die
Jugendlichen eine neue Identität, die
in der Zurückweisung derjenigen bestand, in die sie hineingeboren waren. Das war politisch, ohne Bezug auf
klassische Politikbegriffe. Die neue Politik von Pop bestand in der selbst verordneten Entfremdung. In der Befreiung aus der Umklammerung durch
Herkunft und Milieu. Die bürgerliche Kultur und ihre Vermittlungsinstanzen liessen sich provozieren und in den
Konflikt ziehen. Sie bekämpften Pop als
etwas diffus Bedrohliches, nannten ihn
aufrührerisch, gefährlich, laut, störend
und artfremd. Indem sie ihn rassifizierten, gaben sie Einblicke in die tatsächliche Struktur bürgerlicher Identität. Ihre
Angst vor Pop erhöhte fraglos seinen
Reiz, setzte aber auch eine Eskalationsspirale in Gang: Um weiterhin den
heissen Konfliktstoff zu liefern, der die
Gesellschaft zwang, sich zu offenbaren, musste Pop sich ständig verändern
und in Bewegung bleiben. Nur so konnte das unspezifisch zwischen Party und
Revolte oszillierende Aufbegehren immer weiter gehen.
Rollenkonfliktmodell Rockstar
Weil aber Haarlängen als Provokation
nicht lange vorhielten, mussten immer
neue Konfliktherde installiert werden.
War Pop ursprünglich in subversiver
Weise apolitisch, um sich der staatsbürgerlichen Teilhabepflicht zu entledigen, solidarisierte er sich bald mit den
neuen politischen Bewegungen. Die
Rockstars wiederum bemühten sich,
durch antisoziales Verhalten, den alten
Kontrakt weiterhin zu erfüllen. Sie versuchten die Nobelhotelzimmer, in denen sie mittlerweile abstiegen, wenigstens ein bisschen stilvoll zu verwüsten.
Um sich von handelsüblicher Prominenz abzugrenzen, legten sie mythische Abgänge hin. Sie spielten so die
Rollenkonflikte, die sich ihrer bemächtigt hatten, noch einmal durch: Die Drogen- und Poptode der frühen siebziger
Jahre waren aber eher Abgesänge auf
die Ekstasen der Sechziger. Wer die Exzesse überlebte, driftete – enttäuscht
von der Veränderung, die 1968 dann
doch nicht stattgefunden hatte – kurz
darauf in freudlose Kompromisse mit
der bürgerlichen Kulturtradition: Prog, Jazz- und Bombastrock. Innerhalb
nur weniger Jahre war Pop ein nützliches Mitglied der Gesellschaft geworden: ein nicht weiter störender Bestandteil jugendlichen Freizeitverhaltens. Die
Popsozialisierten der Anfangsjahre begannen die gesellschaftlichen Schlüsselpositionen untereinander aufzuteilen
und erklärten sich bereit, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.
Doch plötzlich sprang die alte Konfliktmaschine wieder an und rettete Pop
– noch einmal – vor sich selbst: «Da
kämpft man als Rockmusikfan für die
Gesellschaftsfähigkeit des Rock, und
nun möchte man bald sagen, die Punks
machen uns alles kaputt», jammerte 1978 ein Leserbrief an den «Stern».
Punk war der erste popinterne Generationskonflikt, ein Angriff auf die ältere Popgeneration, ihre Gesetztheit und
Arriviertheit.
Rip it up and start again
Punk unterzog die etablierten Popwerte einer radikalen Umwertung. Und das
mit unverhohlener Feindseligkeit. Aggression und Destruktion waren neue
Werte, die er gegen eine Pokultur setzte, die ihre alten Werte verraten hatte. Aus der Popgeschichte, deren Verlauf er gut beobachtet hatte, wusste er,
dass er sich schnell wieder selbst abschaffen musste. Er musste sich verändern, um den neu aufgebrochenen
Konflikt nicht wieder einschlafen zu lassen. Zumindest ahnten dies einige der
ProtagonistInnen. Sie verwarfen die rockistische Form, die Punk kurz darauf
annahm, und in der er bis heute dahinvegetiert, und erfanden neue: New und
No Wave, Industrial, Zitatpop usw. So
pflanzte sich der Konflikt fort und versorgte die Popgeschichte mit der nötigen Energie, um bis zum Erscheinen
von Hiphop und Techno durchzuhal-
ten, die die Poplandschaft noch einmal aufwühlten und die Leute dazu zu
brachten, ihre Plattensammlung in den
nächstgelegenen Second-Hand-Laden
zu tragen. Wie damals 1976 anlässlich von Punk.
Viele Stile, wenig Ziele
Aber mit Grunge hatte zu Beginn der
Neunziger bereits ein anderes Modell Premiere. Grunge schielte bereits
auf die Abwrackprämie für das historische Modell der Poprevolte. Er wiederholte leere Gesten der Abgrenzung,
ohne eine wirkliche Idee zu haben, wer
oder was genau das Objekt dieser Abgrenzung sein sollte. Er konnte sich
nicht einmal dazu durchringen, Punk
und Hardcore loswerden zu wollen. Deren rechtzeitige Wiederabschaffung
hatten bereits die Achtziger versäumt.
Grunge legte sich einfach zwischen sie
und wurde dort eine antriebsschwache
Nische. Immerhin enthielt seine melancholische Ziellosigkeit noch das Wissen, dass es einmal Ziele gegeben
hatte. Sie passte ganz gut in die wunderbare Nischenvermehrung der Zeit:
Noch mehr Stile, Nebenstile, Mischstile,
die aber nichts mehr überwinden wollten. Schon gar nicht einander. Sie wurden einfach Mehrdesselben. Ihr gutnachbarschaftliches Nebeneinander
besass kaum Konfliktpotential. Jede
kleinbürgerliche Neubausiedlung war
ein Pulverfass dagegen.
All together now
Pop begann sich allmählich anzufühlen wie ein evangelischer Kirchentag.
Bands wie Tomte wurden vorstellbar.
Selbst Metal-Fans sprachen plötzlich
und unaufgefordert von Toleranz. Der
DJ wurde der beste Freund der Indiemusikerin, die sich gerade mit Beats
und Samples neu erfunden hatte, beide
steckten sich von nun ab regelmässig
ihre Promo-CDs zu. Das fühlte sich gut
an, fast idyllisch, klang aber umso uninteressanter. Eine Mischung aus Song
und Track kam auf, die meist weder
als Song noch als Track funktionierte.
Das war das Abschiedsgeschenk der
90er: Pop hatte sich mit einer Welt versöhnt, in der sowieso irgendwie alle
Pop hörten.
Pop scheint sich wohl zu fühlen als Bestandteil des neuen Gemeinschaftsgefühls, als Konsens und Staatsräson. Seine alten Konflikte zeigt er noch stolz
vor: im Museum oder als historisch-kritische Neuausgabe. Sie sind Bestandteil
nationaler Popidentitätskonstruktion.
Popkompetenz gehört heute zur Grundausstattung der Subjekte. Sie lassen
sich von ihm nicht mehr provozieren.
Pop artikulierte die Nöte der Kids in
der Disziplinargesellschaft. In der Kontrollgesellschaft hat es ihm in dem Masse die Sprache verschlagen, dass er
immer weiterplappern muss. Auf seine alten Tage ist er also doch noch ein
nützliches Mitglied der Gesellschaft geworden, das sich hüten wird, den Ast,
auf dem es sitzt, noch mal zu Kleinholz
zu verarbeiten.
Frank Zappa
Rhett Forrester
Kurt Cobain
Eric Gale
Kristen Pfaff
Danny Gatton
Fred Smith
Alan Blakley
Ted Hawkins
Melvin Franklin
Vivian Stanshall
Schwichtenberg
Selena Quintanil
Lee Brilleaux
Carl Albert
Rory Gallagher
Phyllis Hyman
Louise Dean
Sean Hayes
Jerry Garcia
Dwayne Goettel
Shannon Hoon
Mathew Ashman
Tony Williams
Jeffrey Pierce
Bernard Edwards
Bradley Nowell
Jon Melvoin
Chas Chandler
Rob Collins
Tupac Shakur
Nick Acland
Townes Van Zant
Randy California
Brian Connolly
Chris Wallace
Laura Nyro
Jeff Buckley
John Christian
Wolters
Fela Kuti
Ray Barbieri
Luther Allison
Tommy Tedesco
John Denver
Glenn Buxton
Mike Hutchence
Tim Kelly
Johann Hölzel
Carl Wilson
Robert Pilatus
Darren Robinson
Eva Cassidy
Lamont Coleman
Guy Mitchell
Christopher Rios
Ofra Haza
Tito Puente
Glenn Hughes
Joey Ramone
John Phillips
Aaliyah Haugton
George Harrison
Jason Mizell
Lisa Lopes
Otis Blackwell
Dee Dee Ramone
Mary Hansen
Barry White
Rick James
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Russel Jones
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Eugene Record
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Lynden Hall
Soraya Jimenez
James Brown
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Ike Turner
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Isaac Hayes
Seb Hackert
Michael Jackson
Mary Travers

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