Fabrikzeitung 255 – Pop am Ende?
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Fabrikzeitung 255 – Pop am Ende?
Nr. 251 – Pop am Ende? Johnny Ace Buddy Holly Jesse Belvin Eddie Cochran Stu Sutcliff Johnny Burnette David Box Sam Cooke Nat Cole Bobby Fuller Joe Meek Woody Guthrie Ronnie Caldwell Carl Cunningham Etrit Hasler Hold me, like the river jordan. And I will then say to thee: «You are my friend.» Carry me like you are my brother, love me like a mother – Will you be there? Weary, tell me will you hold me when wrong, will you skold me when lost, will you find me? But they told me a man should be faithful. And walk when not able. And fight till the end; but Im only human. Everyones taking control of me. Seems that the worlds got a role for me. Im so confused, will you show to me you‘ll be there for me and care enough to bear me. Lead me, lay your head lowly, softly then boldly and carry me there. Hold me, love me and feed me. Kiss me and free me. I will feel blessed. Carry, carry me boldly, lift me up slowly and carry me there. Save me, heal me and bathe me, softly you say to me: «I will be there.» Lift me, lift me up slowly, carry me boldly, show me you care. Hold me, lay your head lowly, softly then boldly, carry me there. Need me, love me and feed me. Kiss me and free me, i will feel blessed. In our darkest hour, in my deepest despair, will you still care? Will you be there? In my trials, and my tripulations. Through our doubts and frustrations. In my violence, in my turbulence, through my fear and my confessions. In my anguish and my pain. Through my joy and my sorrow. In the promise of another tomorrow, i‘ll never let you part, for you‘re always in my heart. Otis Redding Bert Berns Brian Jones Roy Hamilton Slim Harpo Jimi Hendrix Janis Joplin Jim Morrison Gene Vincent Duane Allman Brian Cole Miss Christine Ron McKernan Jim Croce Bobby Darin Bobby Bloom Graham Bond Cass Elliot Bill Chase Nick Drake Pete Ham Tom Donahue Tim Buckley Al Jackson Florence Ballard Duster Bennett Tommy Bolin Peter Laughner Editorial Es war während der Trauerfeier für Michael Jackson im Staples Center, als auf CNN wieder und wieder die gleiche These geäussert wurde: Pop ist nun tot, weil der König des Pop tot ist. Gemeint war damit vor allem, dass die Zeiten, in denen die Popmusik sich zur Weltkultur gemacht hatte, endgültig vorbei seien: Einerseits krankt die Musikindustrie nach wie vor daran, sich nicht mit den neuen Medien anfreunden zu können bzw. kein Geld dabei zu verdienen und andererseits hat gerade das Kommen des ‹Globalen Dorfes› zu einer so unglaublichen Fragmentierung geführt, dass man als Konsument bald das Gefühl hat, es gäbe schon mehr Musikstile als Musiker. War es denn nicht sogar vielmehr so, dass die Tatsache, dass Pop schon tot war, Michael Jackson das Herz gebrochen hatte und dass er daran verendet ist? Statt eines Königs hat Pop heute nur noch Prinzessinnen. Wir stellten die These in den Raum und erhielten viele Antworten, von verschiedenen Autoren. Teils widersprüchlich – manchmal mit denselben Argumenten – teils einstimmig. Eine allgemeingültige Antwort haben wir nicht finden können. Was wir allerdings gefunden haben, sind Geschichten vom Anfang der Popkultur – von einer Ausstellung im London der fünfziger Jahre – bis zu ihrem vermeintlichen Ende; Fragen, wie diejenige nach der immer wieder hoch gepriesenen Authentizität im Zeitalter der unendlichen und fast unbemerkten Reproduktion, oder aber auch die sehr reale Frage nach den Arbeitsbedingungen und Überlebensstrategien von MusikerInnen im 21. Jahrhundert. Ob Pop nun tatsächlich tot ist, wissen auch wir nicht. Das hindert uns jedoch nicht daran, ihn noch einmal richtig zu feiern. Roger Behrens Alles Pop, Ende Pop Alles ist Pop, sagen die einen; Pop ist tot, sagen die anderen. Und natürlich gibt es die Dritten, die den küchendialektischen Dreischritt beherrschen und schnell erkennen: Wenn alles Pop ist, ist Pop tot. Diese Figur ist mehr als bloß eine Phrase; sie bezeichnet die fundamentale Dynamik dessen, was seit rund zweihundert Jahren ‹Kultur› genannt wird und dem seit fünf Jahrzehnten eben das Präfix ‹Pop› vorgeschoben wurde. Versuche, etwa den Todeszeitpunkt und -ort des Pop zu bestimmen, sind also bloß exemplarisch. Früher gab es einmal den Spruch: Janis Joplin ist tot, Jimi Hendrix ist tot, Elvis ist tot und mir ist auch schon ganz schlecht; heute können wir aktualisieren: Aaliyah ist tot, Elliott Smith ist tot, Michael Jackson und so weiter – aber ist es nicht so, dass uns dieses Sterben die Sicherheit gibt, selbst noch am Leben zu sein? End-Erklärungen wie die vom Tod des Pop gehören erst einmal in die übliche Untergangsmetaphorik. Interessant ist allerdings, wo dies als Kritik erscheint und sich die Möglichkeit des popkulturellen Todes selbst als Strategie der «Sterben Lassens» ausdrückt. Sterben kann ja nur, was geboren ist und einen Prozess vitaler Veränderungen durchgemacht hat. Als kollektive Bewegung kann das Geschichte sein, aber auch die Mode, also eine Verbildichung des kontinuierlichen Fortschritts oder die von Walter Benjamin erklärten «ewigen Wiederkehr des Neuen». Mithin gehören solche End-Erklärungen selbst schon in eine Epoche, in der Geschichte als Mode fragwürdig geworden ist. Und wie üblich ist es auch beim möglichen Todesfall Pop sinnvoll, sich an den Ursprung des Phänomens zu erinnern. Versteht man unter «Pop» das, was die Pop Art in den fünfziger Jahren bezeichnete - das Explodieren, Platzen, Aufbrechen - dann fällt auf, dass er in einer Zeit geboren wird, in der sich der «Modernismus» entfaltet, während von «Postmoderne» die Rede ist; also eine Zeit, in der nach 1945 einerseits Geschichte als quasi «Jetzt-erst-recht» emphatisch verteidigt wird, andererseits gerade das Ende der Geschichte in Betracht gezogen wird. Pop fällt damit in einen Zustand der Nachgeschichte, und freilich ist problematisch, ob in diesem Zustand Sterben überhaupt möglich ist. «Sterben heute» Hegel markiert hier den Anfang vom Ende, insbesondere sein Postulat vom Ende der Kunst. Dabei ging es um den gesellschaftlichen Funktionsverlust der Kunst, nicht um ein faktisches Verschwinden der Künste. Kunst schien Hegel damals, anfangs des 19. Jahrhunderts, nicht mehr in der Lage zu sein, den Zeitgeist adäquat zum Ausdruck zu bringen. Die These hat sich in der Wirklichkeit paradox bestätigt: Die Künste mussten selber modern werden und die neuen Techniken zu ihrem Material machen, um schliesslich ihre sozia- Martin Büsser le Funktion neu zu begründen. Sterben, Tod und Wiedergeburt im Pop vollzieht sich nunmehr vor allem in Bezug auf die Musik: Kaum eine Kunstform hat sich in den letzten fünf Jahrzehnten als überflüssiger erwiesen als die so genannte E-Musik; und zugleich wurde mit der Popkultur die Musik das erste mal zur Leitkunst, bekam also die Position, die vorher vor allem die Literatur beanspruchte. Dies ist verschränkt mit dem kulturindustriellen System des Stars, beziehungsweise mit einer Ästhetisierung, in der Menschen zur Ware werden. So verwundert es nicht, dass mit jedem real sterbenden Popkünstler immer auch ein Stück Popideologie stirbt, ob es nun Buddy Holly, Kurt Cobain oder Jacko ist. Entscheidend ist aber, ob darin das Prinzip Pop selbst verendet statt produktiv umwälzt. Bemerkenswert ist ja, wie nach dem Tod, gewissermassen in der Zeit der Trauer, der überlebende Teil der Popkultur reagiert: Auffällig ist, dass dies seit einiger Zeit nicht mehr durch das Vergessen in der nächsten Mode passiert, sondern durch eine Historisierung der Mode, in dem das Gewesene zum Kanon erklärt und wiederholt wird - eine Renaissancekultur, die sich darin begründet, ihr eigenes Ende schon vielfach überlebt zu haben. Alles auf Anfang, oder: «Zurück in die Zukunft» «Zurück in die Zukunft» Pop ist ideologisch beides: Der Anfang vom Ende ebenso wie das Ende vom Anfang. Schon die 1956 die Popkultur begründende Ausstellung «This Is Tomorrow», in der als Kunst gezeigt wurde, wie heute schon das Leben morgen aussieht, markiert diese merkwürdige Dialektik, die in Science-Fiction umschlägt. Geschichte wird unter dem Vorzeichen des Pop fortan nicht mehr als Geschichte sozialer Veränderungen erzählt, sondern als permanente Gegenwart eines scheinbaren Glückszustands, in dem das Leben nur noch technisch seine Verbesserung erfährt. Die Ausstellung «This Is Tomorrow» war in der Londoner Whitechapel Art Gallery zu sehen; im Zentrum der Gruppenausstellung standen die Exponate der Mitglieder der Independent Group: ein – damals bereits aufgelöster – Zusammenschluss von Architekten, bildenden Künstlern, Designern, Musikern und Kritikern, die sich explizit von jedem nationalistischen Kulturauftrag abkehrten und die Aufgabe der Kunst formal international und inhaltlich massenkulturell bestimmten. Ausgestellt wurden etwa Filmplakate, Marilyn Monroe und King Kong als Pappreklametafeln, eine Music-Box und dergleichen, also insgesamt Exponate der U.S.-amerikanischen Kulturindustrie, die eben damals eines Hoch- und Volkskultur zersetzender Internationalismus bezichtigt wurde (z.B. von den Begründern der Cultural Studies wie Raymond Williams). Richard Hamilton fertigte zusammen mit John McHale und John Voelcker eines der Poster für die Ausstellung, eine ausschliesslich aus amerikanischen Illustriertenmaterial zusammengesetzte Collage mit dem bezeichnenden Titel «Just What Is It that Makes Today’s Homes So Different, So Appealing?»; das angenehme gegenwärtige Leben wird dabei als Kaleidoskop alltagstechnischer Errungenschaften präsentiert: Fernseher, Tonbandgerät, Staubsauger, Konservendosen etc. Ein Bodybuilder und ein Pin-up-Girl sind die Prototypen des neuen Pop-Individualismus; ihnen werden Gefühle und Begehren zugestanden, die vorher nur romantisch verklärt dem Bürger gewährt wurden: Angestelltenliebe («True Love» & «Young Romance» verspricht ein Comic an der Wand) und eine durch die Leistungsgesellschaft gefilterte Erotik werden (die perfektionierten Körper des Muskelmanns und der lasziv sich räkelnden Frau) zur allgemeinen Matrix einer emotionalen Konformität, die sich in den kommenden Jahrzehnten ausbreitet und zwischen Verzicht und Sex & Drugs & Rock ’n’ Roll changiert. Wie die technische Revolution ist auch diese, später als sexuelle Revolution deklarierte Bewegung keine. Pop verdichtet die bestehende Ordnung gerade dadurch, dass «technische» und «sexuelle» Revolutionen jede Revolutionierung, also tatsächliche Umwälzung der Gesellschaft verhindern. «Der verbotene Planet» Schon damals lebte der Pop von der modischen Reminiszenz, von der historischen Anekdote: Die Eröffnungsrede der «This Is Tomorrow»-Ausstellung wurde von Robby gehalten, ein Roboter, der damals gerade durch den SFFilm «Forbidden Planet» berühmt geworden war. «Forbidden Planet» (dt. «Alarm im Weltall», 1956) ist eine ins groteske verdrehte, und darin schon sehr «poppige» Adaption von Shakespeares schwerstem Stück «The Tempest». Auf dem Planeten Altair finden sich die intakten technischen Überreste einer zehntausende von Jahren alten Zivilisation der Krell. Ihr ungeheurer Fortschritt war nur möglich durch die Verdrängung sämtlicher Emotionen, die nunmehr als Monstrum auf der Planetenoberfläche ihr Unwesen treiben. Das ist, kurzum, genau die Dialektik der Kultur, die Herbert Marcuse in seinem Buch «Eros and Civilization» beschrieben hatte: die Oberfläche als realisierte Utopie, als Bühne, auf der sich Eros und Thanatos gleichermassen inszenieren dürfen. Diese Utopie ist das Glücksversprechen, dass das wirkliche Leben doch irgendwie aushaltbar ist; und weil diese Utopie des Pop sich behauptet, ohne die Verhältnisse des wirklichen Lebens anzutasten, kapituliert sie zwangsläufig vor sich selbst. Pop stirbt immer wieder. Die Friedhöfe der Popkultur sind allerdings keine Ruhestätten, sondern Schlachtfelder: Zwar werden der Popkultur nach und nach neue, Foucault würde sagen «heterotope» Räume, Felder, Gebiete, Architekturen etc. zugewiesen, doch bleibt der Pop insgesamt ortlos, also buchstäblich «u-topisch». «Asyl für Obdachlose» Solange die Menschheit weiter in diesen mörderischen Verhältnissen namens Kapitalismus lebt, ist es im Prinzip egal, mit welchen Etiketten die Versuche bezeichnet werden, sich einen kleinen, ein bisschen Glück versprechenden Alltag inmitten der herrschenden Tristesse einzurichten. Adornos, gerade ja von den Anwälten des fröhlichen Positivismus der Popkultur immer wieder lächerlich gemachtes Diktum «Es gibt kein richtiges Leben im falschen» war indes nicht moralisch gemeint, sondern sachlich und bleibt eben in der Welt zunehmender Versachlichung zutreffend. Der Satz steht in Adornos «Minima Moralia» unter der Überschrift «Asyl für Obdachlose», eine kleine Referenz an seinen Freund Siegfried Kracauer, der sich unter diesem Titel mit der Angestelltenkultur der zwanziger Jahre beschäftigte. Kracauer beobachtete damals einen Zeitgeist, der gewissermassen die Popkultur antizipierte. Zum Beispiel in zwei Momenten, die wir in der erwähnten Hamilton-Collage ebenso wieder wie im Pop allgemein: Eine «Verbilderung» des Lebens («immer wiederkeh- rende Bildmotive»; «die Flucht der Bilder ist die Flucht vor der Revolution und dem Tod»), und eine enorme Ausbreitung des Sports: «Die Ausbreitung des Sports löst nicht Komplexe auf, sondern ist unter anderem eine Verdrängungserscheinung grossen Stils; sie fördert nicht die Umgestaltung der sozialen Verhältnisse, sondern ist insgesamt ein Hauptmittel der Entpolitisierung.» Diese Idee vom Pop (Bilderflut, sportive Körperlichkeit etc.) kulminiert im historischen Zentrum der Popkultur, nämlich Ende der siebziger Jahre in Disco und Punk. Eine Anekdote zum Schluss, mit gewaltig-grausamer Wendung zum Ende: In der Disco-Film-Version vom «Wizard of Oz», die 1978 unter dem Titel «The Wiz» in die Kinos kam, ist «Emerald City» eine riesige Diskothek um die – gerade erst errichteten – WTC-Türme herum. Will man dem Tod des Pop ein Datum geben, dann wären das etwa der 11. September 2001. Man sprach vom Ende der Spassgesellschaft und meinte das Ende des Pop – eine bizarre Symbolik: Mit dem Einsturz der Türme wurde das bisher gültige Versprechen des Pop obdachlos. An Veränderung der sozialen Verhältnisse war jetzt erst recht nicht zu denken; aus den Trümmern sollte nicht nur Menschen gerettet werden, sondern auch eine sterbende Ideologie. Das Ende der Pop-Relevanz Die Behauptung, dass Pop als Bewegung tot ist, hängt vor allem mit seiner Allgemeingültigkeit zu tun – keine Jugendbewegung, die ihn vertritt, kein Elfenbeinturm, der seinen Kanon definiert. Und nicht zuletzt keine Industrie, die für Arbeitsbedingungen sorgen kann, unter denen Künster lange arbeiten können. Es ist nun auch schon wieder fünfzehn Jahre her, dass Tocotronic einklagten, sie wollten Teil einer Jugendbewegung sein. Seither konnte man diesen Slogan immer wieder auf T-Shirts lesen, doch viel geändert hat sich nicht. Neue, auf Pop gegründete Jugendbewegungen wollten sich einfach nicht mehr bilden. Zumindest nicht im klassischen Sinne, weder als wütende Subkultur wie einst Punk, noch als globale Party-Community wie im Fall von Techno. Durch die Bedingungen von Web 2.0 beschleunigt, sind zwar in den letzten Jahren jede Menge neue musikalische Netzwerke entstanden, doch Substile wie Antifolk, «new weird America» und dergleichen mehr sind nichts weiter als das Resultat einer immer kleinteiligeren Ausdifferenzierung, die mit Jugendkultur im herkömmlichen Sinne nichts zu tun hat. Ebenso gut könnte sich der Tischtennisverein von Aarau zur neuen Jugendkultur ausrufen, denn mehr als etwas grössere Freundeskreise – wenn auch auf globaler Ebene – haben solche Subszenen bislang nicht hervorbringen können. Jugend ohne Bewegung Möglicherweise zeigt sich bei viel diskutierten Emos, die mit ihrem androgynen Auftreten den Hass der homopho- ben, leider mehrheitsfähigen Restwelt auf sich ziehen, das letzte Aufzucken einer Jugendkultur im traditionellen Sinne. Immerhin handelt es sich um eine Gruppe, die durch einen gemeinsamen Style ebenso auffällt wie durch die damit vollzogene Abgrenzung gegenüber der Mainstream-Gesellschaft. Doch ganz so klassisch ist Emo als Jugendkultur dann doch nicht, denn im Gegensatz zu früheren Jugendkulturen steht Musik nicht mehr im Mittelpunkt – zumindest keine spezifische Musik mit identitätsstiftendem Charakter, die unter allen an der Szene Beteiligten Konsens wäre. Das Verschwinden von an Pop rückgebundenen Jugendkulturen muss eigentlich auch niemand bedauern. Die sich immer wieder erneuernden Restformen alter Jugendkulturen, deren Entstehung meist ein halbes Menschenleben zurückliegt, darunter die Gothic-Szene, die Punks, die Skins und die HipHopper, fallen vor allem durch szenekonformen Starrsinn auf, neigen oft zu Männerbünden, sind undurchlässig linientreu und musikalisch so flexibel wie ein Monolith. Nichts, was unter Artenschutz gestellt werden müsste. Im Gegenteil, zahlreiche jüngere Musiker betonen sogar, dass die neue Situation, also das unkontrolliert Wuchern der musikalischen Nischen ohne feste Zuschreibung, viel offener und befreiender sei, während Szenen den musikalischen Stil nur limitieren. Die Koexistenz unzähliger musikalischer Nischen hat weit reichende Folgen. Sie verhindert nicht nur das Aufkommen neuer Jugendkulturen, sondern auch das von Popstars, die einen ähnlichen Konsensstatus haben, wie ihn einst Madonna oder Michael Jackson erreichen konnten. Pop hat das emotionale Zentrum der Gesellschaft verlassen, Popmusik löst keine Erschütterungen mehr aus. Entsprechend langweilig routiniert lesen sich die Bericht- erstattungen in den Musikzeitschriften. Dort, wo das Musikgeschäft noch nicht völlig zusammengebrochen ist, dümpelt es lust- und belanglos vor sich hin. Den Hypes um Bands wie Arctic Monkeys oder Franz Ferdinand merkt man bereits beim Lesen an, dass sie keinerlei Dringlichkeit besitzen, relativ willkürlich sind und schon gar nicht irgendeinen popkulturellen Erdrutsch werden auslösen können wie einst die Sex Pistols oder – bedingt noch – Nirvana. Kein Kanon mehr Der Bedeutungsverfall von Pop wird auch daran deutlich, dass sich seit den Neunziger Jahren kein Kanon mehr heraus gebildet hat. Es fehlt an Leitfiguren, ja überhaupt an Namen, auf deren Akzeptanz sich eine grössere Gruppe von Menschen noch einigen könnte. Die «500 besten Alben aller Zeiten», die der «Rolling Stone» 2003 gekürt hat, sind ein schönes Beispiel für diese Orientierungslosigkeit. Auf den ersten 100 Plätzen finden sich ausschliesslich Alben von etablierten Künstlern vor 1980, darunter Bob Dylan, The Beatles, Van Morrison, The Who, Led Zeppelin, James Brown und Pink Floyd. Die Neunziger Jahre kommen gerade noch mit «Nirvana» vor, die Zeit seit der Jahrtausendwende gar nicht mehr. Erst auf den hinteren Plätzen schleichen sich hin und wieder Namen wie Radiohead, PJ Harvey, Coldplay und Jane’s Addiction ein – doch alleine die willkürlich anmutende Nennung dieser Namen unterstreicht den anachronistischen RockKanon der Jury. Mit ihrem alten Wertesystem kommen sie seit der Zeit, als Kolja Reichert Pop nicht mehr in Form von zyklischen Bewegungen auftritt, nicht mehr zurecht. Daher wohl auch Nirvana als einzige Nennung einer jüngeren Band unter den «Top 100»: Grunge als medial konstruiertes Phänomen war der letzte verzweifelte Versuch von Presse und Tonträgerindustrie, so etwas wie eine Bewegung zu installieren. Doch selbst in dieser Beurteilung liegt der »Rolling Stone« falsch, denn sollte Grunge jenseits der medialen Blase je eine Rolle gespielt haben, dann war «Superfuzz Bigmuff» von Mudhoney gegenüber «Nevermind» die mit Abstand wichtigere und musikalisch bessere Platte. Aber selbst diese Nerd-Unterscheidung, welche Platte zu welcher Zeit wegweisend, besser oder wichtiger war, wagt sich kaum mehr ein Kritiker auf die Musik der letzten Jahre anzuwenden. Es gibt sie zwar noch, die Jahrescharts von «Spex», «Rolling Stone» oder «Musikexpress», doch alle Beteiligten wissen im Grunde, dass es sich dabei um eine Farce handelt und das Gelistete von Gossip bis Bloc Party, von Hot Chip bis Tomte keinerlei musikhistorische Wegmarke, sondern höchstens so etwas wie die Spitze des Wahrgenommenen innerhalb der neuen Unübersichtlichkeit darstellt. Einzelgänger und Aussenseiter Bis in die frühen 1980er-Jahre hinein erschien im Rowohlt-Verlag eine Taschenbuchreihe mit dem Titel «Rock Session». Dort wurde über so ambitionierte Musiker wie Throbbing Gristle, Chrome, Pere Ubu und XTC ge- schrieben, im Anhang befand sich das «Lexikon der Aussenseiter». In diesem «Lexikon der Aussenseiter» gab es Kurzportraits von unter anderem Kevin Coyne, Townes Van Zandt, The Sonics, Phil Ochs, Peter Hammill und 13th Floor Elevator zu lesen. Eine krude Mischung also. Und doch folgte die Auswahl einer inhärenten Logik, denn gelistet wurden Künstler, die es zu einer bestimmten Zeit und innerhalb eines bestimmten Genres nicht zu der ganz grossen Popularität gebracht hatten und die dennoch etwas Eigenes aufweisen. Aus Townes Van Zandt wurde nun mal kein zweiter Johnny Cash, aus Phil Ochs kein zweiter Bob Dylan, aus Peter Hammill kein zweiter Peter Gabriel, obwohl man es ihnen allen gegönnt hätte. Und doch handelt es sich weder um Vergessene noch um Verschollene. Nun ist allerdings die spannende Frage, wie solch ein «Lexikon der Aussenseiter» heute aussehen würde, wenn man darin ausschliesslich Künstler aus den 2000ern listen wollte. – Schnell würde deutlich werden, dass es die alten Abstufungen nicht mehr gibt. Entweder jemand ist drinnen im ganz grossen Geschäft oder er ist es nicht. Und weil 98% aller Musiker nicht drin sind, müssen wir uns angewöhnen, nahezu die komplette Branche als ein Sammelbecken von Aussenseitern zu betrachten. Die Tatsache, dass sich die gegenwärtige Poplandschaft fast nur noch aus Aussenseitern und Einzelgängern zusammensetzt, die trotz oder gerade wegen uferloser Plattformen wie mySpace nur eine geringe Reichweite haben, bedeutet nicht, dass es keine gute Musik mehr gäbe. Im Gegenteil: Sel- ten war das Angebot an undogmatischer, nonkonformer Musik so gross wie in den letzten Jahren. Doch diejenigen, die uns die allgemeine Verfügbarkeit als Segen preisen und die digitale Boheme zum Zustand nie gekannter Freiheit erklären, verkennen die ökonomischen Bedingungen: Die derzeit spannendste und beste Musik ist zwar jederzeit verfügbar, obwohl kein Radiosender sie mehr spielt und obwohl kein Musikmagazin mehr über sie schreibt. Aus diesem Grund wird sie in der Regel aber auch von 18- bis 25-Jährigen gespielt, die sich dies als spätpubertären Luxus leisten, so lange sie noch keinen Gedanken an Krankenversicherung und anderen finanziellen Ballast verschwenden müssen. Das geht für ein paar Jahre gut, dann verschwindet die jeweilige Band wieder von der Bildfläche. Oder sie setzt, wie das bei Animal Collective der Fall ist, mehr und mehr auf Vermarktbarkeit. Der Verschleiss an guten Musikern ist so hoch, weil niemand mehr bereits ist, für Idealismus zu zahlen. Wolfgang Brauneis vom Kölner Label und Vertrieb »a-Musik« hat darauf hingewiesen, dass Musik, die keine Kompromisse an den Markt eingeht, langfristig wohl nur überleben kann, wenn sie sich in das Feld der Bildenden Kunst begibt. Im Rahmen von Ausstellungen und Kunst-Events besteht für Musiker zumindest noch die Möglichkeit, halbwegs realistische Gagen zu bekommen. sen, im Zusammenhang mit all den derzeit existierenden musikalischen Nischen noch von «Pop» zu sprechen. Mit «Pop» im Sinne von «populär» hat all das nichts mehr zu tun. Es handelt sich vielmehr um ausdifferenzierte, hochkomplexe ästhetische Darbietungen, die Spezialwissen voraussetzen. Ein Beispiel: Obwohl eine Band wie die USamerikanischen Woods den ein oder anderen Song in ihrem Repertoire hat, der das Zeug zum Klassiker hätte und einem Beatles-Song in nichts nachsteht, werden die Woods nie den Status der Beatles erreichen. Zum einen nicht, weil die Woods sowieso nur von einem Spezialistenpublikum wahrgenommen werden, das mit den Verästelungen der LoFi-, Post-Punk- und Neofolk-Sparten vertraut ist; zum anderen nicht, weil die kulturellen Rahmenbedingungen für Phänomene wie die Beatles, Rolling Stones oder Bob Dylan nicht mehr gegeben sind. Vorstellungen vom unmittelbar Neuen, Wegweisenden, für das die Beatles einmal standen, sind im posthistorischen Pop unmöglich geworden. Die Kids hingegen stört das kaum. Das Neue ist ihnen egal geworden. Sie hören die Plattensammlungen ihrer Eltern durch, laden sich die Doors auf den iPod und tragen T-Shirts von Nirvana. Pop war gestern. Nischen sind kein Pop Dies bedeutet allerdings auch, dass wir uns davon verabschieden müs- Die gute Tat der Piraten Wenn von illegalen Musikdownloads die Rede ist, wird oft das Ende der Musikindustrie beschworen. Dabei verschiebt das Internet vor allem die Machtverhältnisse von Künstlern und Konzernen. Im Online-Archiv der «New York Times» findet sich die älteste Meldung zum Thema Musikpiraterie. Sie stammt vom 13. Juni 1897, aus der Gründerzeit der Phonoindustrie. «Kanadische Piraten» verschickten Raubpressungen von Schallplatten über die Grenze und verkauften sie zu einem Zehntel des Originalpreises. Zeitungen druckten Listen der verfügbaren Stücke – eine Art frühe Pirate Bay. 50 Prozent Umsatzeinbussen beklagte die Industrie und forderte, dass die Post die Sendungen filtere. Eine vergleichsweise milde Massnahme, gemessen am Internet-Ausschluss, den sich heute die Tonträgerindustrie für Filesharer wünscht. Die Politik reagiere nicht hart genug auf Internetpiraterie, begründete Dieter Gorny, Geschäftsführer des Bundesverbands der Musikindustrie, die Absage der Branchenmesse Popkomm in Berlin und sorgte allseits für Kopfschütteln. Mark Chung vom Verband Unabhängiger Tonträgerunternehmen, der die Indie-Label vertritt, sagt: «Starke Vereinfachungen helfen niemandem.» Das Internet ist nämlich nicht der Feind der Musik. Es ist nur der Feind der Tonträgerindustrie. Nach Wachswalze, Schallplatte, Magnetband und CD hat sich Musik vom physischen Träger gelöst und lässt sich mit geringem Aufwand beliebig oft kopieren. Legale Musikdownloads machen zwar in Deutschland noch nicht 39 Prozent des Marktes aus wie in den USA; doch sind die Erlöse im ersten Quartal dieses Jahres wieder um 16 Prozent gestiegen. Bei allen Debatten um illegale Downloads geht es nicht um einen Konflikt zwischen Künstlern und Publikum, wie die Industrie ihn seit Jahren lautstark inszeniert. Deren Interessen lassen sich im Netz wunderbar vereinen. Die Do-It-Yourself-Frau Niemand führt die neuen Verhältnisse gerade selbstbewusster vor als die Amerikanerin Amanda Palmer, Sängerin des Cabaret-Rockduos Dresden Dolls. Will Amanda Palmer ihr Publikum mobilisieren, braucht sie kein PRBüro und keine Konzertagentur. Über Twitter lädt sie zu Strandkonzerten mit Gruppenfoto oder zur Spontanparty in einer Stripbar. Einen Pressetermin in einem leeren Kaufhaus verwandelte sie in ein Gratiskonzert für 350 Fans. An einem Freitagabend im Mai entstand bei einem Massenchat ein T-ShirtSpruch. Palmer gestaltete direkt am Laptop die Druckvorlage, ein Freund setzte einen kleinen Online-Shop auf. Am Ende der Nacht waren 200 TShirts verkauft. Am Tag darauf weitere 200. In ihrem Blog zog die Sängerin Bilanz: «Einnahmen durch Twitter in zwei Stunden: 11 000 Dollar. Einnahmen durch mein Major-Soloalbum dieses Jahr: 0 Dollar.» So klingt die Verzückung einer Künstlerin, die ihre Macht entdeckt – und vorführt, dass die Zeiten, in denen sich Künstler von Managern sagen lassen mussten, wo es langgeht, endgültig vorbei sind. Der Fan als Manager Im Prinzip lassen sich heute alle Aufgaben einer Plattenfirma – Aufnahme, Design, Booking, Buchhaltung – selbst erledigen oder an Freunde delegieren; während Fans in Netzwerken wie last. fm durch automatische Empfehlungen via Geschmacksprofil für Werbung sorgen oder über Fundraising-Foren gleich in die Rolle des Investors schlüpfen und Geld für Produktionen vorstrecken. Zuletzt sammelte Patrick Wolf das Geld für sein viertes Studioalbum über die Website Bandstocks. Auch die Kölner Band Angelika Express finanzierte ihr letztes Album mittels «Angelika Aktien» im Wert von 50 Euro, 80 Prozent der Einnahmen sollten zurück an die Fans fliessen. Es streckt ohnehin kaum noch ein Label Geld für Studioaufenthalt und Produktionskosten vor. Lieber kauft man fertige Bänder. Die vier verbliebenen Riesen Sony, Universal, EMI und Warner sehen ihre Zukunft im Lizenzhandel für Mode, Werbung, Filme und Computerspiele. Sogenannte 360-Grad-Verträge sichern das Mitverdienen an allen Aktivitäten der Künstler, vor allem an den Konzerteinnahmen. Auch Bertelsmann spielt, nachdem sich der Konzern 2008 von Sony gelöst hatte, jetzt mit BMG Rights Management wieder auf dem brummenden Rechtemarkt mit. Das Geschäft der erhabenen Alten: die Nachlassverwaltung. So sind neue Künstler weitgehend sich selbst überlassen. Es schiessen Kleinstlabels aus dem Bo- den, die oft nicht mehr veröffentlichen als die Musik ihrer Gründer. Der Berliner Pressungsdienstleister Handle With Care kann sich vor Aufträgen kaum retten – er hat sich auf Kleinstauflagen unter 1000 spezialisiert. Der Künstler als Unternehmer Ein Musterbeispiel erfolgreicher Selbstvermarktung im Netz ist der Berliner DJ Alexander Ridha alias Boys Noize, der 2005 Boys Noize Records gründete. Auf der Website Hype Machine, die Hörempfehlungen beliebter Musikblogs zusammenfasst, tauchen regelmässig seine Remixe auf. Während andere Labels ihre Musikdateien entfernen lassen, hat Alexander Ridha dafür gar nicht die Zeit. Virales Marketing und kreatives Schaffen gehen bei ihm in eins und führen zu einem endlosen Strom aus Clubgigs, Studioaufenthalten und Myspace-Updates. Seine Musik verkauft Ridha vorwiegend über beatport.com, das führende Downloadportal für elektronische Tanzmusik, das beweist, dass im Netz auch hohe Preise gezahlt werden, solange die Klangqualität stimmt. Wer ein zahlungswilliges Publikum erreichen will, muss in den grossen Online-Stores präsent sein: in iTunes, music load und Amazon Mp3, das seit April aggressiv auf den deutschen Markt drängt. Der Weg dorthin führt allerdings über Label und Zwischenhändler, sogenannte Content Aggregatoren. Abkürzen lässt er sich über Quasilabels wie «Artists without a Label», das mit einem einfachen Standardvertrag die Präsenz auf iTunes und hohe Anteile sichert; Ausstieg jederzeit möglich. Die Arctic Monkeys begannen hier, die Editors und Tina Dico. In Deutschland bietet das Bandportal regioactive.de einen ähnlichen Zusatzservice, allerdings haben sich die 65 Euro Startgebühr bisher für kaum jemanden ausgezahlt – online sein alleine reicht eben nicht, um gehört zu werden. Lieber verschenken? Der DJ Martin Juhls erhielt hingegen weltweit Aufträge, nachdem er seine Musik gratis unter einer CreativeCommons-Lizenz veröffentlichte, wie sie auch für freie Software üblich ist. Sie erlaubt, das Werk für private Zwecke beliebig zu kopieren. Das meistverkaufte Mp3-Album 2008 bei Amazon war «Ghosts» von Nine Inch Nails – obwohl zuvor mit CC-Lizenz veröffentlicht. In Deutschland könnten mehr Künstler diesen Weg gehen, würde die GEMA hierfür Tantiemen einführen – nur ein Beispiel, wie ausbleibende politische Weichenstellungen die neuen Möglichkeiten behindern. Dass das Internet alles von selbst regle, erweist sich ebenso als Aberglaube wie die Hoffnung, es liesse sich beliebig regulieren. Die schönen Erfolgsbeispiele zeigen bislang vor allem, wie es gehen könnte – aber leider noch viel zu selten geht. Für Stars ist es leicht, in den neuen Kanälen gut auszusehen. Die grosse Frage ist, wie neue Künstler ihr Publikum finden. Hier sieht Indie-Vertreter Mark Chung derzeit schwarz: «Die neuen unter den fünf Millionen Künstlern, die ihre Myspace-Seiten eingerichtet haben, merken schnell, dass es keinen gibt, der in sie investiert.» Die gute Nachricht: Künstler dürfen in Zukunft wesentlich grössere Stücke des Kuchens beanspruchen. Die schlechte: Der Kuchen ist alleine schwer zu backen. Andreas Gebhard von der Agentur «newthinking communications» sieht hier einen wachsenden Markt für Beratungs- und Software-Dienstleistungen. Auch der Staat wäre gefragt, seine «Initiative Musik» auszubauen. Was infrastrukturelle Förderung bringen kann, zeigt das Popmusterland Schweden. Die Industrie bezichtigt die Internetpiraten gerne des Raubbaus. Eine pikante Vereinfachung, denn nichts verschwindet, wenn man eine Datei kopiert, im Gegenteil: Hinterher hat man zwei. Doch dafür waren die alten Vertriebsstrukturen nicht gemacht. Neue bilden sich erst aus. Es geht um nicht weniger als die Frage, wie die Gesellschaft in Zukunft ihre Künstler entlohnt und ihre kulturelle Erneuerung sichert. «Die Trias aus Schöpfern, Interpreten und Hörern driftet auseinander», beklagt Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats. «Jeder verfolgt seine Interessen, anstatt einen gemeinsamen Lösungsweg zu suchen.» Auf der einen Seite steht eine Industrie, die ihre Gewinne am liebsten eins zu eins ins neue Medium hinüberretten würde; auf der anderen Seite eine grosse Hörerschaft, die nicht einsieht, warum sie für ein unbegrenzt kopierbares Datenbündel noch immer 10 Euro zahlen soll. Und dazwischen die Künstler, auf sich selbst gestellt und ohne eigene Interessenvertretung, in der nicht auch die Verwerter mitsprechen würden. Ein Zusammenschluss der Urheber ist eine der Chancen, die in einem öffentlich organisierten Vergütungssystem wie der Kulturflatrate liegen. Es könnte erstmals eine exakte Abrechnung zwischen Künstler und Hörer schaffen und die Tauschbörsennutzer an die Kasse holen. Industrie und CDU würden die Piraten lieber gleich vom Internet trennen. Legalisierung oder Sanktionen – eine Frage für die nächste Legislaturperiode. Die Do-It-Yourself Messe Die Musikkonzerne verlieren den Anschluss an die Diskussion. Die Berliner Messe findet nun ohne sie statt: als offene Konferenz, bei der die Teilnehmer das Programm mitgestalten wie in einem Online-Forum. Die Entstehung der «all2gethernow» erinnert stark an Amanda Palmers T-Shirt-Aktion: Gorny sagt die Popkomm ab, Internet-Experte Andreas Gebhard ruft Musikunternehmer Tim Renner an, der ruft das Radialsystem an, man setzt eine Website auf, gründet einen Verein und in wenigen Tagen ist die ganze Berliner Musikszene im Boot. Es gibt Diskussionsbedarf, das zeigen auch die Rahmenprogramme der Kölner c/o Pop und des Hamburger Reeperbahnfestivals. Zehn Jahre ist es her, dass die erste Tauschbörsensoftware Napster das Ende der CD einläutete. Inzwischen sitzt der erste Internetpirat im Europaparlament. Kulturpiraten, argumentiert der Musikjournalist Matt Mason in seinem gratis im Netz veröffentlichten Buch „The Pirate’s Dilemma“, sind nicht der Feind. Sie erfinden neue Stile, Technologien und Geschäftsmodelle. Ohne ihre Innovationen wäre die heutige Kulturindustrie nicht denkbar. Umgekehrt hiesse das: Mit ihren Ideen wird die morgige denkbar. Elvis Presley Marc Bolan Cassie Gaines Steven Gaines Ronnie Van Zant Terry Kath Sandy Denny Keith Moon Chris Bell Donny Hathway John Ritchie Lowell George Minnie Ripperton John Glascock Bon Scott Jacob Miller Tommy Caldwell Ian Curtis Malcolm Owen John Bonham Steve Took Darby Crash John Lennon Tim Hardin Bill Haley Mike Bloomfield Robert Hite Robert Marley Harry Chapin Alex Harvey Billy Fury Karen Carpenter Pete Farndon Tom Evans Dennis Wilson Jackie Wilson Marvin Gaye Esther Phillips Steve Goodman Nicholas Dingley David Byron Ian Steward Dennes Boon Rick Nelson Albert Grossman Tracy Pew Carlton Barrett Dalida Paul Butterfield Scott Sterling Peter Tosh Cliff Burton Will Shatter Andy Gibb Chet Baker Christa Paffgen Roy Buchanan Robert Calvert Vincent Crane John Cipollina Pete De Freitas Allen Collins Ric Grech Andrew Wood Steve Marriott Stiv Bators Brent Mydland Stevie Vaughan Tom Fogerty Tony Duhig Steve Clark Johnny Thunders Gene Clark David Ruffin Eric Carr Freddie Mercury Bill Graham Dave Rowbotham Stefanie Sargent Paul Hackman Steve Gilpin Ronnie Bond Helno Eddie Hazel John Campbell GG Allin Mia Zapata Ray Gillen Michael Clarke Chris Wilpert Mainstream der Nebensächlichkeiten Pop als Inszenierungsform kann noch gar nicht tot sein, solange wir uns der Illusion der Echtheit weiter hingeben. Lasst uns also feiern, bald kriegen wir als Ergänzung zum BeatlesRockstar-Spiel für die Playstation auch den DIY-Web2.0-Ego-Shooter. 1985 hatte Michael Jackson für lächerliche 47,5 Millionen US-Dollar die Rechte an 251 Beatles-Songs erkauft, die er aber 1995 aufgrund seiner Schulden 1995 wieder verkaufen musste, immerhin zum doppelten Preis. Während der Michael-Jackson-Ausverkauf jetzt natürlich auf Hochtouren läuft, jeder Supermarkt sich eine eigene Devotionalienecke mit Postern, T-Shirts und sogar CDs von Michael Jackson einrichtete – wobei die CDs vermutlich die Wenigsten interessieren –, muss man sich fragen, ob das Interesse an seiner Figur im Falle eines neuen Albums ebenso ungebrochen weiter gelaufen wäre. Zugleich erschien dieser Tage eine gross angekündigte Beatles-Box, im Stereound Mono-Mix. Der Stereo-Mix, angeblich den neuen Hörgewohneiten angepasst (was natürlich sofort zum Vorwurf des Lautheitswahns führte) kann hier vernachläsigt werden, da er, anders als der Mono-Mix, nicht verspricht authentisch zu sein. Dagegen käme der Monomix den Originalaufnahmen angeblich am nächsten, und noch dazu ist der limitiert! Der Mono-Mix ist echt! Wie früher! Auratisch! Limitiert! Wenn das mal kein Argument ist. Das führt gleich zur leidigen Tonträgerdebatte. Denn anders als auf der High-End-Anlage ist es bei MP3s nun fast schon egal, ob sie in Stereo oder Mono sind. Beatles im Lautheitswahn Hängen wir uns lieber an dem Wort «limitiert» auf: Damit kann man nicht nur jedeN Beatles-SammlerIn locken, Frank Apunkt Schneider auch alle, die einer Subkultur anhängen. Wenn eine Platte oder ein Tape nur limitiert genug ist (egal ob auf 30, 300 oder 3000 Stück), am besten noch handbemalt, dann verkauft sich das schon fast von alleine, unabhängig davon, wie gut die Musik ist. Es spielt dann auch keine Rolle mehr, dass die Platte nur noch in den den gut sortieren Schrank wandert, schliesslich hat man sie eh schon auf dem Player. Woher kommt gerade in Subkulturen, und dabei ist es egal ob Hardcore, Antifolk oder Hip-Hop, diese Begeisterung für das Greifbare, für den «echten» Tonträger? Als Beweis, dass das Kunstwerk in seiner organisierten Dauer bestehen kann, dass es nur in seiner Reproduktion wahrhaftig wird und gegen das Verschwinden in der digitalen Welt besteht? Als Beweis dafür, dass man einen «besseren» Geschmack hat als Britney-Spears-Fans? Was können deren Fans denn dafür, dass es die Alben zuerst als MP3-Download gibt und nie als nummeriertes buntes Vinyl mit mundgehäkeltem Cover? Zumal ein BritneySpears-Album häufig interessanter ist als so mancher marginale Tape-Realease von einem Konzertmitschnitt. «Yeah Yeah Yeah» Apropos Konzerte: Jene bieten scheinbar die letzte Bastion des Authentischen. Höchstens Star-Club-GängerInnen würden bestreiten, dass die Beatles am Besten waren, als sie nicht mehr live auftraten. Und auch gar nicht mehr live auftreten konnten: Weder hät- te die Anlage die Fans übertönen können, noch wäre der pompöse Studioaufwand live reproduzierbar gewesen. Kein Wunder, dass Bands wie die Residents oder die Gorillaz einfach hinter einem Vorhang spielen, ihren Film oder ihre Alter-Egos darauf projizieren – und höchstwahrscheinlich auch noch die Musik vom Band laufen lassen. Und wen stört das? Ein MichealJackson-Konzert ohne Moonwalk wäre undenkbar gewesen, dass die Musik dabei nicht live war, dieser Illusion gab sich ohnehin kaum jemand hin. – Allerdings bildete Michael Jackson zusammen mit Prince und Madonna in den Achtziger Jahren noch eine Pop-Avantgarde, ähnlich den Beatles und Velvet Underground in den 1960ern, während es heute, wo es keine Garde mehr gibt, der es voraus zu sein galt. Stattdessen verschwimmt im rhizomatischen Netz der Beliebigkeiten auf den Web2.0Plattformen alles zu einem unispirierten und uninspirierenden Nebeneinander, wo alle auf ihren Blogs oder Myspace-/ Facebook-Profilen am «Next Big Thing» arbeiten. Ensprechend zeichnet sich jede Band durch den Eklektizismus aus, kein Review in dem dieses Wort nicht mehr fällt, als Beweis dafür wie gekonnt sich die Band in der Popgeschichte positioniert und alles davorgewesene aufsaugt und vermischt. «Ich will meine Szene wieder haben!» So wie Emo. Oder das böse E-Word, wie es bereits 1989 in Dischord-Kreisen hiess. Zwanzig Jahre später kann man auch Teil dieser Jugendbewegung sein, wenn man mit H&M und nicht mit Dischord sozialisiert wurde. Ausverkauf? Natürlich, wenn man nicht auf die «richtigen» Bands steht, und die Grenzen des guten Geschmacks sind in der Subkultur eng. Es geht um den vermeintlich authentischen Anspruch, unter allen Umständen dem Vorwurf des Kommerz zu entgehen. Jetzt, wo eine Bewegung wie Emocore schon fast wieder vorbei ist – auch so eine missglückte Verheissung des Authentischen von Pop: dass sich darin die grossen Gefühle transportieren liessen! – tauchen als nachfolgende musikalische Spielarten im Post-Emo/MetalcoreGewand Phänomene wie Crabcore auf: um das Authentische der Gefühle im Emo nachgerade durch Lächerlichkeit preiszugeben. Die Rückkehr zu den Posen zeigt, dass es bloss um den schnellen Witz geht, nicht um Inhalte. Wo Posen bei den Beatles noch fehlten, bei David Bowie noch subversiv waren oder zumindest extraterrestrisch, bei Michael Jackson noch sexy, entlarven sie jetzt nur noch den Rockismus. «I got blisters on my fingers!» Ganz andere Strategien, um das Echtheits- und Authentizitätsversprechen von Pop zu unterlaufen hatte Antifolk entwickelt. Quasi als Antwort auf die Verheissung des möglichst Puren und Reduzierten, war der Aufnahmeprozess selbst zur Schau gestellt worden. Auf verrauschten Homrerecording-Alben erzeugt die Anwesenheit von Verkehrsgeräuschen, Telefonklingeln, Räuspern und Verspielern für den Hörer den Eindruck grösstmöglicher Nähe. Gleichzeitig scheint in dieser performativen Unfertigkeit und Fehlerhaftigkeit aber auch die Kritik an den klaren und sauberen Produktionen durch. Die Fehlerhaftigkeit als Beweis, dass auf Overdubs etc. verzichtet wurde, tritt programmatisch in den Vordergrund: Fehler is King, Fragilität zeugt von Authentizität. In der scheinbaren Nähe, die zu den Zuhörenden aufgebaut wird, und die in den Wohnzimmerkonzerte noch einmal potenziert wird, steckt aber nicht immer nur die Kritik an den der unmöglichen Echheit, manchmal dominiert auch das banale Bedürfnis nach dieser Illusion von Nähe. Dass Antifolk auch nur noch in einer kleinen Nische seine Open-MicSessions abhält, während der Folk wieder von bärtigen Barden wie Bonnie Prince Billy dominiert wird, zeigt, dass Pop als pathetischer Pomp nicht am Ende ist, solange immer noch die Illusion von Authentizität über die Darstellung derselben triumphiert. Ob man demnächst zusätzlich zum BeatlesRockband-Spiel für die Konsole auch den ganz authentischen Egoshooter aus der Perspektive von Mark David Chapman, dem Mörder von John Lennon, serviert bekommt? Vom Konfliktstoff zum Konsensmaterial Die alte Popgeschichte war eine lange Erzählung darüber, wie gut sich Konflikte anfühlen. Vom klassischen Generationskonflikt mit den Eltern führte die Konfliktlinie ins Innere von Pop und verdampfte an der Jahrtausendschwelle in einer Wolke muffiger Toleranz. Traditionellerweise verbindet sich mit «Pop» die mehr oder weniger diffuse Vorstellung eines Generationenkonflikts, die in den Nachkriegsjahrzehnten geprägt wurde. Die sozialen und ökonomischen Umbrüche der fünfziger und sechziger Jahre hatten aus den Jugendlichen «die Jugend» gemacht, eine soziale Formation, die ungefähr dieselben Nöte, Bedürfnisse und Interessen teilte. Da die Produktionsverhältnisse immer besser ausgebildete Subjekte erforderten, durchliefen Jugendliche immer längere Ausbildungszyklen. Ihre Kaufkraft stieg; um sie abzuschöpfen, entstand der Jugendmarkt. Dessen Produkte brachten die Erfahrungen und Wünsche «der Jugend» in eine Warenform, indem sie sie zugleich ansprachen und herstellten. Pop redete ihr den Wunsch nach Freiheit und Selbstverwirklichung ein. Und erlöste sie damit von Stumpfsinn und Langeweile, die ein zu Ruhe, Anstand und Ordnung verdonnertes Leben bedeuteten – für die Dauer einer Schallplatte, eines Films. Teenage Kicks gegen den Kitt Pop brachte «die Jugend» in Konflikt mit dem, was die Gesellschaft für sie vorgesehen hatte und versah ihn mit Sinn und Sinnlichkeit. Der alte Kitt platzte ab, die Jugendlichen annullierten den alten Generationsvertrag – zumindest vorübergehend. Um den Sound der Unruhe zu übersetzen, entstanden komplexe Register aufrührerischer Gesten und Codes. In diesen Entfremdungszeichen schufen sich die Jugendlichen eine neue Identität, die in der Zurückweisung derjenigen bestand, in die sie hineingeboren waren. Das war politisch, ohne Bezug auf klassische Politikbegriffe. Die neue Politik von Pop bestand in der selbst verordneten Entfremdung. In der Befreiung aus der Umklammerung durch Herkunft und Milieu. Die bürgerliche Kultur und ihre Vermittlungsinstanzen liessen sich provozieren und in den Konflikt ziehen. Sie bekämpften Pop als etwas diffus Bedrohliches, nannten ihn aufrührerisch, gefährlich, laut, störend und artfremd. Indem sie ihn rassifizierten, gaben sie Einblicke in die tatsächliche Struktur bürgerlicher Identität. Ihre Angst vor Pop erhöhte fraglos seinen Reiz, setzte aber auch eine Eskalationsspirale in Gang: Um weiterhin den heissen Konfliktstoff zu liefern, der die Gesellschaft zwang, sich zu offenbaren, musste Pop sich ständig verändern und in Bewegung bleiben. Nur so konnte das unspezifisch zwischen Party und Revolte oszillierende Aufbegehren immer weiter gehen. Rollenkonfliktmodell Rockstar Weil aber Haarlängen als Provokation nicht lange vorhielten, mussten immer neue Konfliktherde installiert werden. War Pop ursprünglich in subversiver Weise apolitisch, um sich der staatsbürgerlichen Teilhabepflicht zu entledigen, solidarisierte er sich bald mit den neuen politischen Bewegungen. Die Rockstars wiederum bemühten sich, durch antisoziales Verhalten, den alten Kontrakt weiterhin zu erfüllen. Sie versuchten die Nobelhotelzimmer, in denen sie mittlerweile abstiegen, wenigstens ein bisschen stilvoll zu verwüsten. Um sich von handelsüblicher Prominenz abzugrenzen, legten sie mythische Abgänge hin. Sie spielten so die Rollenkonflikte, die sich ihrer bemächtigt hatten, noch einmal durch: Die Drogen- und Poptode der frühen siebziger Jahre waren aber eher Abgesänge auf die Ekstasen der Sechziger. Wer die Exzesse überlebte, driftete – enttäuscht von der Veränderung, die 1968 dann doch nicht stattgefunden hatte – kurz darauf in freudlose Kompromisse mit der bürgerlichen Kulturtradition: Prog, Jazz- und Bombastrock. Innerhalb nur weniger Jahre war Pop ein nützliches Mitglied der Gesellschaft geworden: ein nicht weiter störender Bestandteil jugendlichen Freizeitverhaltens. Die Popsozialisierten der Anfangsjahre begannen die gesellschaftlichen Schlüsselpositionen untereinander aufzuteilen und erklärten sich bereit, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Doch plötzlich sprang die alte Konfliktmaschine wieder an und rettete Pop – noch einmal – vor sich selbst: «Da kämpft man als Rockmusikfan für die Gesellschaftsfähigkeit des Rock, und nun möchte man bald sagen, die Punks machen uns alles kaputt», jammerte 1978 ein Leserbrief an den «Stern». Punk war der erste popinterne Generationskonflikt, ein Angriff auf die ältere Popgeneration, ihre Gesetztheit und Arriviertheit. Rip it up and start again Punk unterzog die etablierten Popwerte einer radikalen Umwertung. Und das mit unverhohlener Feindseligkeit. Aggression und Destruktion waren neue Werte, die er gegen eine Pokultur setzte, die ihre alten Werte verraten hatte. Aus der Popgeschichte, deren Verlauf er gut beobachtet hatte, wusste er, dass er sich schnell wieder selbst abschaffen musste. Er musste sich verändern, um den neu aufgebrochenen Konflikt nicht wieder einschlafen zu lassen. Zumindest ahnten dies einige der ProtagonistInnen. Sie verwarfen die rockistische Form, die Punk kurz darauf annahm, und in der er bis heute dahinvegetiert, und erfanden neue: New und No Wave, Industrial, Zitatpop usw. So pflanzte sich der Konflikt fort und versorgte die Popgeschichte mit der nötigen Energie, um bis zum Erscheinen von Hiphop und Techno durchzuhal- ten, die die Poplandschaft noch einmal aufwühlten und die Leute dazu zu brachten, ihre Plattensammlung in den nächstgelegenen Second-Hand-Laden zu tragen. Wie damals 1976 anlässlich von Punk. Viele Stile, wenig Ziele Aber mit Grunge hatte zu Beginn der Neunziger bereits ein anderes Modell Premiere. Grunge schielte bereits auf die Abwrackprämie für das historische Modell der Poprevolte. Er wiederholte leere Gesten der Abgrenzung, ohne eine wirkliche Idee zu haben, wer oder was genau das Objekt dieser Abgrenzung sein sollte. Er konnte sich nicht einmal dazu durchringen, Punk und Hardcore loswerden zu wollen. Deren rechtzeitige Wiederabschaffung hatten bereits die Achtziger versäumt. Grunge legte sich einfach zwischen sie und wurde dort eine antriebsschwache Nische. Immerhin enthielt seine melancholische Ziellosigkeit noch das Wissen, dass es einmal Ziele gegeben hatte. Sie passte ganz gut in die wunderbare Nischenvermehrung der Zeit: Noch mehr Stile, Nebenstile, Mischstile, die aber nichts mehr überwinden wollten. Schon gar nicht einander. Sie wurden einfach Mehrdesselben. Ihr gutnachbarschaftliches Nebeneinander besass kaum Konfliktpotential. Jede kleinbürgerliche Neubausiedlung war ein Pulverfass dagegen. All together now Pop begann sich allmählich anzufühlen wie ein evangelischer Kirchentag. Bands wie Tomte wurden vorstellbar. Selbst Metal-Fans sprachen plötzlich und unaufgefordert von Toleranz. Der DJ wurde der beste Freund der Indiemusikerin, die sich gerade mit Beats und Samples neu erfunden hatte, beide steckten sich von nun ab regelmässig ihre Promo-CDs zu. Das fühlte sich gut an, fast idyllisch, klang aber umso uninteressanter. Eine Mischung aus Song und Track kam auf, die meist weder als Song noch als Track funktionierte. Das war das Abschiedsgeschenk der 90er: Pop hatte sich mit einer Welt versöhnt, in der sowieso irgendwie alle Pop hörten. Pop scheint sich wohl zu fühlen als Bestandteil des neuen Gemeinschaftsgefühls, als Konsens und Staatsräson. Seine alten Konflikte zeigt er noch stolz vor: im Museum oder als historisch-kritische Neuausgabe. Sie sind Bestandteil nationaler Popidentitätskonstruktion. Popkompetenz gehört heute zur Grundausstattung der Subjekte. Sie lassen sich von ihm nicht mehr provozieren. Pop artikulierte die Nöte der Kids in der Disziplinargesellschaft. In der Kontrollgesellschaft hat es ihm in dem Masse die Sprache verschlagen, dass er immer weiterplappern muss. Auf seine alten Tage ist er also doch noch ein nützliches Mitglied der Gesellschaft geworden, das sich hüten wird, den Ast, auf dem es sitzt, noch mal zu Kleinholz zu verarbeiten. Frank Zappa Rhett Forrester Kurt Cobain Eric Gale Kristen Pfaff Danny Gatton Fred Smith Alan Blakley Ted Hawkins Melvin Franklin Vivian Stanshall Schwichtenberg Selena Quintanil Lee Brilleaux Carl Albert Rory Gallagher Phyllis Hyman Louise Dean Sean Hayes Jerry Garcia Dwayne Goettel Shannon Hoon Mathew Ashman Tony Williams Jeffrey Pierce Bernard Edwards Bradley Nowell Jon Melvoin Chas Chandler Rob Collins Tupac Shakur Nick Acland Townes Van Zant Randy California Brian Connolly Chris Wallace Laura Nyro Jeff Buckley John Christian Wolters Fela Kuti Ray Barbieri Luther Allison Tommy Tedesco John Denver Glenn Buxton Mike Hutchence Tim Kelly Johann Hölzel Carl Wilson Robert Pilatus Darren Robinson Eva Cassidy Lamont Coleman Guy Mitchell Christopher Rios Ofra Haza Tito Puente Glenn Hughes Joey Ramone John Phillips Aaliyah Haugton George Harrison Jason Mizell Lisa Lopes Otis Blackwell Dee Dee Ramone Mary Hansen Barry White Rick James Laura Branigan Russel Jones Luther Vandross Eugene Record Link Wray James Yancey Lynden Hall Soraya Jimenez James Brown David Shayman Kevin Dubrow Ike Turner Um Lee-Ra Isaac Hayes Seb Hackert Michael Jackson Mary Travers