Artikel herunterladen
Transcrição
Artikel herunterladen
Freitag 13 as wird eigentlich aus der Eckkneipe? Solche Sorgen werden in der Regel nur abseits des großen politischen Diskurses formuliert, doch der Wille der Großen Koalition, das Rauchen und andere Genüsse bis zur völligen Unattraktivität einzuschränken, trifft besonders die kleinen Eckkneipen. Plötzlich sollen extra ausgewiesene Raucherräume geschaffen werden. Zur Konkurrenz durch den Markt, auf dem ambitionierte Szenecafes und hellfreundliche Coffee-to-go-Shops ihren Beitrag zur Abschaffung der Eckkneipe leisten, gesellt sich nun die Bedrohung durch. ein staatlich verordnetes Aus. Das $esellschaftliche Umfeld hat sich ohnehin gegen die Kneipe um die Ecke verschworen: Einen gemeinschaftlichen Feierabend, der etwa um fünf oder sechs Uhr beginnt und jeden Tag stattfindet, gibt es schon lange nicht mehr. Die bereits ohne Rauchund sonstige Verbotsforderungen prekäre Lage der Eckkneipen resultiert aus dem Scheitern der gewerkschaftlichen Bemühungen, das Normalarbeitsverhältnis zu retten. Durch die Verbotspläne wurde ein interessanter Wettlauf eingeleitet: Beschert der Staat mit seinen Verboten oder der Markt mit seiner Verdrängung den Eckitneipen das Ende? Was im Falles des Marktes benenn baren Gesetzmäßigkeiten gehorcht, wirkt beim Staat irritierend: WeIin der Staat über den Umweg Nichtrauchergesetz die proletarische Eckkneipe eliminiert, ist das, als überwältigte ein mobiles Einsatzkommando einen kiffenden 97-Jährigen - eine reine und nur dämliche Machtdemonstration am schwachen Objekt. Jens J essen vermerkte in der Zeit der letzten Woche, dass bei den Verbotsplänen vor allem die Vergnügen unterer Schichten zur Disposition stehen: Alkohol, Tabak, Hunde, Autos, billige Fernreisen, Computerspiele, Fernsehen und Fastfood. »Der Klassencharakter lacht einen geradezu schamlos an«, schreibt W Jessen. KULTUR 30. März 2007 Dem in den aktuellen Verbotsgesetzen offensichtlichen Illiberalismus haftet nichts Soziales an, nichts womit, um es mal plakativ zu formulieren, neoliberale Auswüchse des globalisierten Marktes beschnitten, die schlimmsten Nachteile abgefedert werden könnten. Es geht, und damit werden die Verbote ja auch begründet, um scheinbar allgemeingültige, höhere Werte: Nichtrauchen für die Volksgesundheit, kein Alkohol für die Jugend ebenso, gleichfalls aus diesen Gründen kein maschinell gefertigtes Essen mehr, keine Billigflüge für den Klimaschutz, und damit es künftiger weniger Amokläufe in Gymnasien gibt, werden Computerspiele verboten. Als wäre Zensur jemals eine gute Idee gewesen. Dass das Rauchen, um beim gegenwärtig am stärksten diskutierten Thema zu bleiben, gerade wenn es im Übermaß geschieht, nicht gesund ist, wissen ja alle. Es ist ähnlich bekannt, wie der Umstand, dass zu viel Arbeit und zu wenig Schlaf ungesund sind, und dass es auch nicht dem Wohlbefinden dient, einen Arbeitstag hundemüde anzutreten, der sich nur mit viel Kaffee überstehen lässt. Um es mit Erich Kästner zu sagen: -Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich.« Martin Krauß Der Eifer, mit dem zurzeit für das staatliche Verbot des Rauchen gestritten wird, legt den Verdacht nahe, es handele sich beim Rauchen um etwas Subversives. Der Verdacht ist nicht abwegig, betrachtet man beispielsweise die gängige Rede vom -Stammtisch«, der alkohol- und rauchgeschwängert Ursprungsort diskriminierender Reden sein soll. Hier wird die Kneipe mit ihren Charakteristika Bier URSPRUNGSORT !!:1 Das bevorstehende Rauchverbot in Kneipen ist ein und Zigarette als Ursprungsort des Faschifitl' das Ende der sozialdemokratischen Kultur stoiden denunziert, als wären es der Tisch, das Getränk oder die Rauchschwaden, die es gründet wird), ist im Grunde nur das, was zu bekämpfen gelte statt die Urheber der zimmer denkbar. .Ohne Wirtshaus gibt es man von jeder anderen Emanzipationsbewerechten Sprüche. In der pseudopolitisch befür den deutschen Proletarier nicht bloß kein gung auch kennt: dass sie nämlich nur in bürgründeten Ablehnung des Stammtischs fingeselliges, sondern auch kein politisches Legerlicher Prägung (meinetwegen auch: Dedet sich die bloß auf andere projizierte eigeben«, verkündete Kautsky. Seine Nachfahren formation) denkbar ist. Dass es eben kein ne Angst vor der vom Alkohol gelösten Zunnamens Ulla Schmidt und Kurt Beck haben ge, die dafür sorgt, dass sowohl kluge ais auch richtiges Leben im falschen'gibt. mit solch klugem soziologischem Verständdumme Gedanken jeweils schärfer formuliert Selbsrverständlich ist Rauchen ein Zeichen nis gesellschaftlicher Prozesse nichts am Hut. werden: Nennt man im Suff seinen Chef ein für den Wunsch nach Emanzipation -wie beEs ist kein Zufall, dass die Verbotslust die Arschloch, geht es im Folgenden ja nicht darstimmte Kleidermoden, Musiktrends und Zigarette trifft und nicht im gleichen Umfang um, ob man recht hat, sondern ob ihm diese Haarstile auch. Rauchen spielte hier immer die Pfeife und Zigarre. Die Zigarette ist die allzu freie Rede hinterbracht wird. proletarische, die schnelle Genussform. Dareine besondere Rolle, wie nicht nur die pafIn einer funktionierenden proletarischen fenden t2-jährigen Bengels beweisen,die auf in ähnelt sie dem Massengenuss von Pils, der Öffentlichkeit wäre das anders. Wie der dem Jungenklo Erwachsene spielen. Deutlierst durch die Enrwicklung industrieller FerVolkspark in den Städten für die Menschen tigungsformen für untergäriges Bier möglich cherund seriöser wird es in den Kämpfen, die da ist, die sich keiwurde. -Tatsächlich beispielsweise viele Frauen sowohl in den nen Garten, schon erscheint das Prinzip zwanziger- als auch in den fünfziger Jahren Der Eifer, mit dem zurzeit für das gar nicht parkähnum ihr Recht führten, öffentlich rauchen zu moderner kapitalistilich angelegt, leisten scher Produktion und dürfen. Trotz aller Nichtraucherkampagnen staatliche Verbot des Rauchen können, so ist die Konsumtion in der der letzten Jahre ist die Gruppe der jungen gestritten wird, legt den Verdacht nahe, Kneipe für die MenZigarette exemplaFrauen, die mit dem Rauchen beginnen, die schen da, denen Saeinzige Rauchergruppe, die wächst. Es ist es handele sich beim Rauchen um etwas risch«, schreibt der lons, Herren- und Historiker Wolfgang eben immer noch ein Symbol für den Wunsch Subversives Raucherzimmer in Schivelbusch. Der nach individueller Autonomie. der Wohnung nicht schnelle Rausch Welchen Fetisch die Zigarette befriedigt, nur nicht bezahlbar, sondern kulturell auch lässt sich in der Werbung anschauen: der Gedurchs schnell gekippte Pils und die hastig nicht vorstellbar sind. »Das einzige Bollwerk gepaffte Zigarette sind die Genussformen, die schmack von Freiheit und Abenteuer, die der po\itischen Freiheit des Proletariats, das Verheißung von liberte toltjollrs. Dass Freider Takt der fordistischen Maschinenparks ihm nicht so leicht konfisziert werden kann, heit etwas anderes ist, muss niemandem ererlaubt. -Die Zigarette kennt nicht mehr das ist - das Wirtshaus«, schrieb der Sozialdemoeigentliche Rauch-Rirual, das Pfeifen- und klärt werden - das wissen alle. Aber es sind krat Karl Kautsky. Dort waren die Gedanken Symbole. Und sage keiner, es seien nur SymZigarrenrauchen begleitet«, beschreibt Schifrei. bole; wahre, echte - oder wie immer sie dann velbusch den Klassencharakter der unterDie gesellschaftlichen Konsequenzen, die geheißen wird - Emanzipation sei etwas anschiedlichen Genussformen. -Das traditiodas anstehende Rauchverbot haben wird, deres. Viele Kämpfe der Gegenwart, etwa genelle Ritual ist auf die Sache, den Tabak, besind nur weitere Belege für das Ende sozialgen die Pflicht von Mädchen und Frauen zum zogen. Dafür enrwickelt die Zigarette einen demokratischer Kultur. Die SPD wurde Tragen von Kopf tüchern oder um christliche neuen Typ von Rauch- Rirual: er ist bezogen natürlich in einem Wirtshaus gegründet, 1869 Kreuze in Schulzimmern, handeln scheinbar nicht auf die Sache - die von der Reklame verim Eisenacher -Goldenen Löwen«, und die nur VOn Symbolen. Und die Frage, wer den deckt ist-, sondern auf die Reklame.. Was in ganze Arbeiterbewegung ist nur vor dem öffentlichen Raum bestimmt, wer verbieten dieser Darstellung als zu brechende ManipuHintergrund rauchgeschwängerter Kneipenoder erlauben darf, wie man sich im öffentlilation erscheint (und zum Teil ja auch so be- Die Kraft des Tresens - . weiterer Beleg chen Raum bewegt, ist für eine bürgerliche und halbwegs liberale Gesellschaft von großer Bedeurung. So betrachtet sind die Verbotsgesetze, die auf Länder- und Bundesebene gegenwärtig durchgesetzt werden, ein dramatischer Rückschritt. Sie erinnern an das 19. Jahrhundert: Die gesellschaftlichen Strukruren sorgen geradezu notwendig für die Missachrung gesundheitlicher Standards bei der großen Mehrheit der Bevölkerung, doch dem Staat und den gesellschaftlichen Eliten fallen keine besseren Ideen ein, als Verbote auszusprechen oder Appelle an die Eigenverantwortlichkeit zu formulieren. Friedrich Engels hielt dem die simple Beobachtung der Realität entgegen: -Es ist die moralische und physische Notwendigkeit vorhanden, dass unter diesen Umständen eine sehr große Menge der Arbeiter dem Trunk verfallen muss.' Dass im 19. Jahrhundert wesentlich über das Trinken debattiert wurde und heUte eher über das Rauchen, markiert keinen qualitativen Unterschied. In bei den Fällen sind die Kampagnen primär von der Sorge um den Zustand der Volksgesundheit getragen. In beiden Fällen werden aus diesem Grunde liberale Werte geopfert wie das Recht, über sich selbst zu entscheiden. Und die in beiden Fällen zu beobachtende illiberale Komponente kann man durchaus weiter denken. -Als ob die Behandlung seines Körpers jedes einzelnen Sache selber wäre', heißt es in Hitlers Mein Kampf -Es gibt keine Freiheit, auf Kosten der Nachwelt und damit der Rasse zu sündigen.. Also: Verteidigt das Bierchen und die Zigarette in der Eckkneipe! Das ist nämlich Politilt. fJ1