Kultur und Kohle - RAG Montan Immobilien
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Kultur und Kohle - RAG Montan Immobilien
„Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Endbericht Planungs- und Beratungsbüro Kultur – Freizeit – Sport Dipl.-Ing./Stadtplaner AKNW Ralf Ebert, Dr. Friedrich Gnad Gutenbergstraße 34, D-44139 Dortmund Fon: +49-(0)231/ 58 44 99 5 - 0 Fax: +49-(0)231/ 58 44 99 5 - 27 e-mail: [email protected] www.stadtart.com in Kooperation mit: Univ.-Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann Lindenstr. 42 D-14467 Potsdam Fon: +49-(0)331/ 740 59 73 Dortmund „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet RAG Montan Immobilien GmbH Prof. Dr. Hans-Peter Noll Dipl.-Ing./Stadtplaner Gernot Pahlen Bearbeiter: Dipl.-Ing./Stadtplaner AKNW Ralf Ebert Dipl.-Geogr. Uwe van Ooy in Kooperation mit: Univ.-Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann unter Mitarbeit von: Axel Kopp Redaktion, Layout und Fotos STADTart, Dortmund Juli 2011 STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Inhaltsverzeichnis Vorwort ..................................................................................................................... 0 1 Vom „Zechensterben“ zur Renaissance: „Kultur und Kohle“? ................................ 1 2 Erfolgsgeschichten auf Standorten der RAG Montan Immobilien ............................ 3 2.1 Ein Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft: die Kalle Krause GmbH auf der „Kokerei Zollverein“ in Essen ........................................................................................... 3 2.2 Ein kulturelle Initiative: „forum kunstvereint“ und das „Consol Theater“............................ 4 2.3 Das soziokulturelle Zentrum: „Kulturrevier Radbod“ ........................................................ 6 3 Standorte der RAG Montan Immobilien: Umnutzungsprozesse durch Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft ............................................................................. 7 3.1 „Unser Fritz 2/3“, Herne ( 3.2 „Zweckel“, Gladbeck ( 3.3 „Mont Cenis 1/3“, Herne ( 3.4 „Rheinelbe“, Gelsenkirchen ( 3.5 „Bergmannsglück/Westerholt“, Gelsenkirchen ( 3.6 „Zollverein“, Essen ( 1986): „Kraftzentrale“ ................................................................. 19 3.6.1 „Zollverein XII“, „Zollverein 1/2/8“ und Kokerei Zollverein: „Welterbe Zollverein“:............. 19 3.6.2 „Zollverein 4/5/11“: „ZukunftsZentrumZollverein (Triple Z)“ .............................................. 23 3.6.3 „Zollverein 3/7/10“: Bürger- und Handwerkerpark ............................................................ 24 3.7 „Minister Stein“, Dortmund ( 1987): „Discozeche“ ........................................................ 25 3.8 „Rheinpreussen“, Moers ( 1990): „Partyzeche“ ............................................................. 27 3.9 „Radbod“, Hamm ( 1990): „Kulturzentrum“.................................................................... 29 3.10 „Consolidation 3/4/9“, Gelsenkirchen ( 3.11 „Ewald 1/2/7“, Herten ( 3.12 „Fürst Leopold“, Dorsten ( 3.13 „Lohberg“, Dinslaken ( STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann Fördereinstellung 1925): „Künstlerzeche“ ............................ 10 1929): „Schlosszeche“.............................................................. 12 1963): „Akademiezeche“ ..................................................... 13 1974): „Zeche für Kunst, Fortbildung und Baukultur“...... 15 1980): „Zeche in Residence“..................... 17 1993): „Musik- und Theaterzeche“ .................. 31 2000): „Zukunfts-Zeche“........................................................... 33 2001): „Creativquartier aus privater Hand“.......................... 35 2005): „Kreativzeche“................................................................ 37 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 4 Ein Blick zurück: Motive, Umnutzungsphasen, Nutzungsschwerpunkte auf Standorten der RAG Montan Immobilien ..................................................................... 39 Neue Zechenanlagen der Kultur: ein Streifzug durch 40 Jahre Umnutzung im Ruhrgebiet ..................................................................................................................... 43 „Kultur und Kohle“: Effekte für die Region und Schlussfolgerungen für die Entwicklung untergenutzter Industrieflächen ............................................................. 48 6.1 Effekte für die Entwicklung des Ruhrgebiets .................................................................... 48 6.2 Schlussfolgerungen zur Entwicklung untergenutzter Industrieflächen im Ruhrgebiet durch Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft .............................................................. 53 Literatur .......................................................................................................................................... 56 5 6 STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 1 Vom „Zechensterben“ zur Renaissance: „Kultur und Kohle“? Wenn voraussichtlich im Jahre 2018 die letzte Zeche des Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet schließen wird – im Jahre 1960 waren noch über 150 Zechen in Betrieb, gegenwärtig sind es noch vier –, dann wird eine Epoche beendet sein, die die Identität der Region weit über ein Jahrhundert lang bestimmt hat und das internationale Image der Region weiterhin prägen wird, wenn auch nicht so stark wie in der Vergangenheit. Die mit den Schließungen der ehemaligen Zechenanlagen verbundene Suche nach Folgenutzungen stellte die Unternehmen des Steinkohlebergbaus und die Städte vor eine Reihe an Herausforderungen. Aus vielerlei Gründen ist es bis heute nicht immer leicht, ökonomisch tragfähige Nachnutzungen für diese Anlagen zu finden: So waren die industriell geprägten Standorte teilweise dezentral gelegen und daher für Nutzungen ungeeignet, die auf eine gute Erreichbarkeit angewiesen sind, oder sie waren umweltbelastet. Auch der regionale Immobilienmarkt hatte lange Zeit wenig Interesse, die Kosten für Abriss und Umnutzungen waren hoch und nicht zuletzt musste vielfach auch die Denkmalpflege eingebunden werden. Daher blieben nach der Stilllegung zahlreiche ehemalige Zechenanlagen erst einmal ohne eine Folgenutzung oder sie wurden nur rudimentär genutzt. Im Rahmen einer Reihe an Initiativen und Programmen des Landes Nordrhein-Westfalen, darunter etwa der innovationsorientierten Struktur- und Regionalpolitik, entstanden auf einigen dieser Flächen Technologie- und Logistikzentren, u.a. in Kamen, Moers und Dortmund, auf anderen neue Wohnquartiere, Freizeiteinrichtungen oder Stadtteilparks. Mancherorts haben sich jedoch schon früh Künstler/innen, kulturelle Initiativen und Kleinbetriebe der Kultur- und Kreativwirtschaft im Ruhrgebiet für diese Zechenanlagen interessiert, sei es als ungewöhnlicher, vielfach temporär genutzter Veranstaltungsort oder als preiswerte Atelierfläche. Auf diese Zeit des eher „stillen Strukturwandels“ folgte im Rahmen der Initiativen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park ein „aktiver kulturorientierter Strukturwandel“. So wurden einige der „Schmuckstücke“ der Industriekultur von Gruppen aus Kultur und Freizeit neu genutzt. Manche davon, wie etwa die „Zeche Zollverein“ in Essen oder die „Zeche Zollern“ in Dortmund, zählen heute zu den „Leuchttürmen“ der Region und erweisen sich als bedeutsame „Ankerpunkte“ im Ruhrgebietstourismus. Die Zeugnisse der Inwertsetzung der stillgelegten Zechenanlagen durch kulturelle Folgenutzungen sind heute weithin bekannt. Weniger bekannt sind dagegen die Prozesse, die Bausteine, die dazu geführt haben. Dies gilt besonders für die kaum in der Öffentlichkeit präsenten ehemaligen Zechen, in denen heute Künstler/innen, kulturelle Initiativen und Kleinbetriebe der Kultur- und Kreativwirtschaft ansässig sind. Darüber hinaus ist auch bislang kaum dargestellt worden, wie sich diese Aneignungsprozesse im Laufe der Jahre verändert haben, welche Wirkungen sich heute erkennen lassen und was daraus für die noch längst nicht überall abgeschlossene Umnutzung von Zechenanlagen sowie eventuell für die weitere Gestaltung des Strukturwandels im Ruhrgebiet bzw. in anderen ähnlich geprägten Regionen gelernt werden kann. Der vorliegende Untersuchungsbericht gibt darüber am Beispiel einiger Standorte der RAG Montan Immobilien GmbH Auskunft. Die explorative Studie: STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 1 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 1. dokumentiert wo und in welchem Umfang ehemalige Zechenanlagen im Ruhrgebiet nach der Stilllegung für kulturelle Zwecke genutzt wurden und wo sich Betriebe der Kultur- und Kreativwirtschaft vorübergehend oder dauerhaft angesiedelt haben; 2. analysiert, wie und auf welche Art und Weise die kulturelle bzw. kulturwirtschaftliche Nutzung zustande kam, wer sie aus welchen Motiven und mit welchen Zielen initiierte, mobilisierte und umsetzte; 3. beschreibt, welchen Beitrag kulturelle Projekte bzw. Initiativen der Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen zur kulturellen Modernisierung des Ruhrgebietes und zur Verbesserung des Images beigetragen haben; 4. ermittelt, welchen Beitrag die kulturell oder von den Selbstständigen und Unternehmen der Kreativwirtschaft genutzten Standorte zur Entwicklung dieser Querschnittsbranche im Ruhrgebiet geleistet haben bzw. leisten; 5. erkundet, welche Impulse von den Zechenanlagen nach ihrer Stilllegung und aufgrund ihrer Nachfolgenutzungen für die lokale und regionale Immobilienwirtschaft ausgingen sowie weiter ausgehen; 6. schätzt ein, inwieweit kulturelle und kulturwirtschaftliche Nachnutzungen die Standorte vor wirtschaftlichem Niedergang bewahrt und die Entwicklungsbedingungen für die Wirtschaft der Region verbessert haben; 7. skizziert schließlich, wie die noch weiterhin vorhandenen ungenutzten Potenziale ehemaliger Zechenanlagen in den kommenden Jahren noch besser genutzt und strategisch entwickelt werden könnten. Für diesen Bericht wurden 13 Standorte der RAG Montan Immobilien GmbH, seit Februar 2008 die Nachfolgerin der Montan-Grundstücksgesellschaft mbH (MGG), im Ruhrgebiet berücksichtigt (im Bericht aus Gründen der Lesefreundlichkeit als „RAG Montan Immobilien“ bezeichnet). Kriterien für die Auswahl dieser stillgelegten Zechenanlagen waren vorhandene Kultureinrichtungen in öffentlicher bzw. zivilgesellschaftlicher Trägerschaft, Atelier- oder Proberäumen für Künstler/innen und/oder Selbstständigen bzw. Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft. Die Profile und „Geschichten“ dieser Zechenanlagen (Kapitel 3) beruhen auf der Auswertung von Studien, Selbstdarstellungen in Printform und im Internet, publizierten Konzepten, lokalen Medienberichten sowie auf Gesprächen mit Akteur/innen vor Ort. Eingebettet sind diese „Standortgeschichten“ in eine Darstellung einiger Erfolgsgeschichten ausgewählter kultureller Bausteine auf Standorten der RAG Montan Immobilien (Kapitel 2) und eine Darstellung der unterschiedlichen Umnutzungsphasen in den letzten Jahrzehnten mit ihren jeweiligen Motiven und Schwerpunkten (Kapitel 4) sowie einen Streifzug zur Umnutzung der Zechenanlagen im Ruhrgebiet, die nicht zu den Standorten der RAG Montan Immobilien gehören (Kapitel 5). Vor diesem Hintergrund werden abschließend (Kapitel 6) Schlussfolgerungen und Vorschläge zur zukünftigen Umnutzungsstrategie stillgelegter Zechenanlagen und anderer untergenutzter Industrieflächen im Ruhrgebiet vorgestellt. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 2 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 2 Erfolgsgeschichten auf Standorten der RAG Montan Immobilien Dass die Umnutzung stillgelegter Zechenlagen auf Standorten der RAG Montan Immobilien durch Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft in den letzten Jahren mit großen und kleinen Erfolgen verbunden ist, lässt sich anhand zahlreicher Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft, an Kultureinrichtungen bzw. zivilgesellschaftlichen kulturellen Initiativen belegen. Stellvertretend für diese zählen dazu das Dienstleistungsunternehmen für Live-Marketing „Kalle Krause GmbH“ in Essen, das „Consol Theater“ in Gelsenkirchen und das „Kulturrevier Radbod“ in Hamm. 2.1 Ein Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft: die Kalle Krause GmbH auf der „Kokerei Zollverein“ in Essen Das Unternehmen wurde 1998 als inhabergeführte GmbH gegründet. Von einem Konzeptions- und Produktionsbetrieb für dreidimensionales Marketing hat sich die ehemals „Künstlerische Werkstatt“ in wenigen Jahren zu einem spezialisierten Dienstleistungsunternehmen für außergewöhnliches Live-Marketing entwickelt. Seinen Sitz hat die Kalle Krause GmbH seit 2009 im denkmalgeschützten „Schalthaus II“ der Kokerei Zollverein auf dem Weltkulturerbe-Gelände in Essen. Seinen ersten Standort hatte das Unternehmen im Gründerzentrum „ZukunftsZentrumZollverein“, kurz „Triple Z“ auf „Zollverein 4/5/11“ (Kapitel 3.6.2). Beeinflusst haben die Wahl dieser Zollverein-Standorte die sich abzeichnende positive Entwicklung der Kreativwirtschaft im Ruhrgebiet, vorhandene Erweiterungsmöglichkeiten und die hohe Theaterund Veranstaltungsdichte im Verdichtungsraum RheinRuhr. Darüber hinaus wird die Nähe zu den vier großen Messestädten Köln, Düsseldorf, Essen und Dortmund und damit zu potenziellen Kunden als Standortvorteil angesehen. Die Geschäftsfelder Die Kalle Krause GmbH entwickelt und realisiert heute Konzeptionen und Produktionen für Messen, Events, Bühnenveranstaltungen und Ausstellungen. Als Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens wird die Verbindung von hohem Kreativpotenzial mit einer ergebnisorientierten und qualitätsvollen Durchführung der Projekte angesehen. Kalle Krause inszeniert Kommunikationsbotschaften dreidimensional unter Einbeziehung von Räumen, Flächen und Formen. Ein Produktionsbereich mit eigenen Werkstätten ermöglicht die direkte und kosteneffiziente Umsetzung von Kernbotschaften und Inhalten in „kommunikative Räume“. Das Team Gründer des Unternehmens ist der 1958 in Essen geborene Kalle Krause, Diplom-Soziologe und ausgebildeter Bühnenbildner mit langjähriger Theatererfahrung. Geschäftsführende Gesellschafterin ist Insa Janßen, geboren 1967 in Wilhelmshaven, Diplom-Soziologin und Kulturmanagerin. Beide haben zusam- STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 3 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet men viele Jahre die Theaterwerkstätten im niedersächsischen Oldenburg geleitet. Ihnen stehen heute ca. 40 Mitarbeiter/innen zur Seite, u.a. Architekt/innen, Designer/innen, Schreiner/innen, Messebauer/innen, Schlosser/innen, Dekorateur/innen und Maler/innen. Kunden, Vernetzungen und Kooperationen Zu der seit Jahren wachsenden Anzahl an Auftraggebern zählen namhafte Unternehmen und Marktführer im In- und Ausland. Das Unternehmen ist branchenübergreifend tätig und betreut kleine und mittelständische Firmen ebenso wie „Global Player“. Operiert wird europaweit auf Messen und Ausstellungen, im Auftrag u.a. der Automobil- oder Elektroindustrie ebenso wie für öffentliche bzw. kommunale Einrichtungen. Bei der Umsetzung von Projekten wird mit Künstler- und Musikagenturen, Gastronomiebetrieben, Werbe- und Statikbüros, Druckereien etc. kooperiert. Die Firma setzt sich für eine kontinuierliche Professionalisierung der Branche ein und ist heute Ausbildungsbetrieb für Veranstaltungskaufleute, Schreiner/innen und Bühnenplastiker/innen. Die Weiterbildung der Mitarbeiter/innen garantiert eine kontinuierliche Qualitätssicherung. Zukünftige Entwicklung des Unternehmens Die Idee des Gründers, mit den Mitteln des Bühnenbaus auch Messestände und Präsentationen für Unternehmen zu errichten, und das Wissen um Inszenierung mit dem Know-how des Messebaus zu kombinieren, ist die Basis des Erfolgs. Das Unternehmen befindet sich seit Jahren auf einem konstanten Wachstumskurs und will auch künftig seine Potenziale weiter ausbauen. Die „RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas“ hat aus Sicht des Unternehmens die positive Entwicklung des Standorts wie des Unternehmens weiter gefördert. 2.2 Eine kulturelle Initiative: „forum kunstvereint“ und das „Consol Theater“ Auf dem Gelände des ehemaligen Steinkohlebergwerks „Consolidation“ in Gelsenkirchen-Bismarck befindet sich seit September 2001 das Consol Theater mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendtheater (Kapitel 3.10). Initiator war der Verein „forum kunstvereint e.V.“. Darüber hinaus fungiert das Consol Theater heute als Kultur- und Freizeitzentrum im Stadtteil Bismarck und ist ein regional viel beachteter Veranstaltungsort. Das Theater ist zwischenzeitlich etabliert, weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt und tritt auch im Ausland auf (z.B. in Tschechien). Gebäude und Trägerverein Das „Consol Theater“ befindet sich im ehemaligen Lüftermaschinenhaus der Zechenanlage. Die große Halle wurde als offener Veranstaltungsraum für den Theaterbetrieb und etwa 200 Besucher/innen hergerichtet. In der „Betonröhre“ des Lüftergebäudes befindet sich die Studiobühne. Hinzu kommen Proberäume, Büros und ein Gastronomiebetrieb. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 4 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Träger des Consol Theaters ist der 1989 gegründete Verein „forum kunstvereint e.V.“, ein Zusammenschluss von Theaterinteressierten bzw. -pädagogen/innen und Musiker/innen aus dem Ruhrgebiet. Der Verein ist verantwortlich für das Gebäude, den Umbau und den Betrieb des Theaters. Dies wäre ohne das von der IBA Emscher Park angestoßene Programm „Initiative ergreifen“ des Landes NordrheinWestfalen nicht möglich gewesen. Die Investitions- und Anschubkosten beliefen sich insgesamt auf etwa 1,5 Mio. EUR, 90 Prozent davon öffentliche Mittel, die übrigen 10 Prozent waren Eigenmittel und akquirierte Sponsorengelder, die der Trägerverein einwerben konnte. Konzept und Programm Das Leitmotto des Consol Theaters „Theater und Kultur für alle“ spiegelt sich in dem breiten Angebot wider, das von dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendtheater über Hauskonzerte und Erzählprogramme bis hin zu Jazz- und Chansonabenden, Märchen, Dramen, Kammer- und Musikkonzerten sowie Erzählprogrammen reicht. Besonderer Wert wird dabei auf die Förderung der künstlerischen Entwicklung von Kindern gelegt. Das inzwischen namhafte Kinder- und Jugendtheater wurde dabei für zahlreiche Kinder- und Jugendinszenierungen mit Preisen ausgezeichnet, etwa 2007 mit dem Hauptpreis des 23. Kinder- und Jugendtheatertreffens NRW. Das Theater kooperiert dabei seit den Anfängen mit Schulen. Es werden Fortbildungen für Lehrer/innen zum Thema „Kinder spielen Theater“ oder „Theaterpädagogik“ angeboten. Außerdem wurden bereits früh Projekte an Schulen unterstützt, indem Räumlichkeiten des Consol Theaters zur Verfügung gestellt wurden. Kooperationspartner sind die Kultur-, Jugend- und Umweltämter der Stadt Gelsenkirchen sowie andere Theater und Veranstalter, wie das freie „Trias Theater Ruhr“ oder die Musikschulen. Darüber hinaus gibt es Schauspielkurse sowie eine theaterpädagogische Begleitung. Im Rahmen des angestrebten Dialogs mit dem Publikum werden zu allen Inszenierungen Materialmappen angeboten, mit denen der Theaterbesuch vorbereitet werden kann. Das seit 2001 laufende Programm „!Stage“, eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme im Auftrag der Agentur für Arbeit in Gelsenkirchen, bietet jungen Erwachsenen Fortbildungsmöglichkeiten in den Bereichen Schauspiel, Bühnengestaltung, Beleuchtungs- und Tontechnik sowie Masken- und Kostümbild. Das Theater als Veranstaltungsort der RUHR.2010 Im Rahmen der „RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas“ war das Consol Theater Veranstaltungsort u.a. für das Theaterprojekt „pottfiction“, einem Festival für Kinder und Jugendliche mit sieben Produktionen und einem zweiwöchigen Abschlusscamp an den Flottmann-Hallen in Herne. Dabei haben zahlreiche Künstler/innen aus Europa mitgewirkt, die den Jugendlichen bei der Umsetzung ihrer Ideen behilflich waren. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 5 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 2.3 Das soziokulturelle Zentrum: „Kulturrevier Radbod“ Auf der 1990 stillgelegten Zeche „Radbod“ im Hammer Stadtbezirk Bockum-Hövel hat heute das weit über die Grenzen der Stadt bekannte Kulturzentrum „Kulturrevier Radbod“ mit Veranstaltungs-, Atelierund Proberäumen, Gastronomie und Biergarten seinen Standort (Kapitel 3.9). Der Trägerverein Das soziokulturelle Zentrum „Kulturrevier Radbod“ hatte sich bereits in den 90er Jahren etabliert, kurz nach Stilllegung der Zeche. Eine Gruppe kulturinteressierter Bürger/innen aus Hamm ergriff die Initiative und mietete im Eingangsbereich der Anlage einen Raum an, der als Proberaum für Bands zur Verfügung gestellt wurde. Zu diesem Zweck wurde als Träger der „Jugend und Kultur e.V. Hamm“ gegründet. Dieser mietete weitere Räume an und führte mit Unterstützung von Förderprogrammen umfangreiche Renovierungs- und Umbaumaßnahmen durch. Im Jahr 2000 konnten Gebäude und Grundstück erworben werden. Inzwischen kann sich der Verein durch Eintrittsgelder und Sponsoring zu einem großen Teil selbst finanzieren. Bei einem Jahresetat von rund 200.000 EUR erhält das Zentrum etwa 40.000 EUR jährliche Fördergelder (Stand 2011). Damit können vielfältige Formen der Kulturarbeit und der Spiel- und Theaterpädagogik angeboten werden. Konzept und Programm Die erste öffentliche Veranstaltung im „Kulturrevier Radbod“ fand 1992 mit dem „Familiensonntag“ statt, bereits 1994 kamen 1.200 Besucher/innen zu einem Konzert. Mittlerweile werden jährlich über 50 kulturelle Veranstaltungen durchgeführt. Neben Konzerten und Festivals, wie dem Rockfestival „Anderluft – Need for Heat“ im Jahr 2009, oder der Reihe „Radbod rockt!“, unter Beteiligung national wie international bekannter Musiker/innen, finden auf der ehemaligen Zeche auch andere Kulturveranstaltungen statt. Dazu zählen u.a. „Radbod liest!“, bei der Hammer Autor/innen ihre Texte rezitieren, und die regelmäßige Comedyveranstaltung „Radbod lacht!“ sowie eine Vielzahl von Motto-Partys. Eine Reihe an Angeboten erfolgen in Kooperation, darunter mit anderen soziokulturellen Zentren, mit den im Gewerbegebiet Radbod angesiedelten Unternehmen oder auch mit dem Amt für soziale Integration der Stadt Hamm, mit dem seit 2005 auch ein „Seniorentanz“ ausgerichtet wird. Des Weiteren befinden sich im „Kulturrevier Radbod“ sieben Künstlerateliers sowie Proberäume für Musikgruppen, vor allem für Nachwuchsbands der Region. Darüber hinaus werden den jungen Bands auch Auftrittsmöglichkeiten angeboten, darunter im Rahmen von Kooperationsveranstaltungen in anderen Städten, und es wird die Vernetzung der regionalen Musikszene unterstützt. Eine Besonderheit ist das Förderatelier. Dabei wird jährlich einem Talent zwischen 16 und 25 Jahren ein Atelier kostenlos und ohne Auflagen zur Verfügung gestellt. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 6 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 3 Standorte der RAG Montan Immobilien: Umnutzungsprozesse durch Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft Mit der Gründung der Ruhrkohle AG im Jahre 1968 gingen als Antwort auf die sich seit einigen Jahren vollziehende nationale Kohlekrise eine Vielzahl an Zechenanlagen im Ruhrgebiet in den Besitz der Gesellschaft, darunter auch einige, deren Förderung schon zu einem früheren Zeitpunkt eingestellt worden war, die jedoch aus betrieblichen Gründen noch notwendig waren. Die stillgelegten Bergwerke sind dagegen bei den Altgesellschaften verblieben. Von rund 20 Standorten der RAG Montan Immobilien ist bekannt, dass diese heute von kulturellen Initiativen genutzt werden. Dabei ist zwischen öffentlich geförderten oder zivilgesellschaftlich getragenen Kultureinrichtungen sowie Selbstständigen und Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft zu unterscheiden. Zu dieser Ende der 80er Jahre in den Städten Bochum und Unna „entdeckten“ Zukunftsbranche (Behr, Gnad, Kunzmann 1987) zählen neben Künstler/innen u.a. auch Design- und Architekturbüros, Diskotheken, Eventagenturen, Musikinstrumentenhersteller, Buchhandlungen etc. (Übersicht 3.0.1). Übersicht 3.0.1: Heutige Struktur des Kultursektors Interdependenzen Zivilgesellschaftliche, kulturelle Initiativen Öffentlich geförderte Kultur Theater, Opernhaus, Stadtbibliothek, Museen etc. Künstlerhäuser, Kunstvereine, Stiftungen, Theatervereine etc. Kulturelle „Kreative Klasse“ Autor/innen Musiker/innen visuelle Künstler/innen darstellende Künstler/innen Architekt/innen, etc. Kreative Milieus Kreative Orte Unternehmen der Kulturwirtschaft Musikwirtschaft, Buchmarkt, Pressemarkt, Filmwirtschaft, Rundfunkwirtschaft, Kunstmarkt, Markt für darstellende Künste, Werbewirtschaft, Designwirtschaft, Architekturmarkt Quelle: STADTart 2011 STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 7 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Dabei variiert die kulturbezogene Nutzung der 20 Zechenanlagen sehr stark. Während manche Standorte Besucher/innen aus dem ganzen Ruhrgebiet anziehen, dienen andere der Brauchtumspflege oder fungieren als Veranstaltungsorte des Stadtteils. Auf der Zeche „Wilhelmine Victoria“ in Gelsenkirchen (Fördereinstellung und Stilllegung 1960) hat sich beispielsweise in der ehemaligen Waschkaue zwischenzeitlich die „KAUE“ als eine der bekanntesten Spielstätten für Kleinkunst und Comedy im Ruhrgebiet etabliert. Das ehemalige Torhaus der Zeche „Adolf von Hansemann“ in Dortmund (Stilllegung 1967) wird heute vom „Bergmann-Unterstützungs-Verein Mengede“ genutzt, der in einer Dauerausstellung auf rund 70 qm Kultur und Brauchtum des Bergbaus der Öffentlichkeit zeigt. Hinzu kommen eher lokale Veranstaltungen wie etwa „Kunst in der Kaue“, ein jährlich stattfindender Kunst- und Kunsthandwerkermarkt oder die „Erlebnisnacht“, durchgeführt von der städtischen Kinder- und Jugendförderung, und das „Musikfestival Mengede“. Die im Rahmen dieser Studie untersuchten 13 ehemaligen Zechenstandorte lassen sich wie folgt kurz beschreiben: Die stillgelegten Zechen erstrecken sich von Moers bis nach Hamm und befinden sich nahezu ausschließlich in der Emscherzone, einige in den Übergangsbereichen zur Hellwegzone bzw. zum Münsterland (Übersicht 3.0.2). Die Einstellung der Kohleförderung an den ausgewählten Zechenstandorten erstreckt sich über einen langen Zeitraum von 1925 bis 2005, zum Teil also bereits vor der nationalen Kohlekrise (Übersicht 3.0.3). Die Schachtanlagen und die anderen Zechengebäude wurden in vielen Fällen auch danach noch weiter betrieblich genutzt, etwa zur Bewetterung, zur Wasserhaltung oder als Lagerhallen; Übersicht 3.0.2: Verteilung der 13 ausgewählten Standorte der RAG Montan Immobilien im Ruhrgbiet Quelle: STADTart 2011 STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 8 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Übersicht 3.0.3: Jahre der Abteufung und Fördereinstellung der 13 ausgewählten Standorte der RAG Montan Immobilien Zeche/Schachtanlagen Ort Abteufung Fördereinstellung Rheinpreussen 4/5/9 Moers 1900 1990 Lohberg Dinslaken 1909 2005 Zweckel Gladbeck 1908 1929 Fürst Leopold Dorsten 1910 2001 Bergmannsglück 1/2 Gelsenkirchen 1903 1980 Zollverein 1/2 und XII Essen 1847 1986 Rheinelbe Gelsenkirchen 1855 1974 Consolidation 3/4/9 Gelsenkirchen 1871 1993 Unser Fritz 2/3 Herne 1881 1925 Ewald 1/2/7 Herten 1872 2000 Mont Cenis 1/3 Herne 1871 1963 Minister Stein Dortmund 1871 1987 Radbod Hamm 1905 1990 Quelle: STADTart 2011 Ein Teil dieser Zechenanlagen, deren Flächengrößen zwischen 10 ha und 100 ha breit streut, steht unter Denkmalschutz. Darunter nimmt die Zeche „Zollverein“ als Welterbe der UNESCO einen herausragenden Stellenwert ein; Die Umnutzung der ehemaligen Zechenanlagen durch Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft beginnt, wenn man von einzelnen Ausnahmen absieht, in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren und ist noch nicht abgeschlossen, sondern gewinnt weiterhin an Bedeutung, etwa bei der Zeche Lohberg in Dinslaken, bei der Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft zentrale Nutzungsbausteine des Entwicklungskonzepts sind. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 9 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 3.1 „Unser Fritz 2/3“, Herne ( Fördereinstellung 1925): „Künstlerzeche“ Schacht 2 der Steinkohlenzeche „Unser Fritz 2/3“ in Herne wurde 1881 abgeteuft, Schacht 3 im Jahre 1897. Bereits 1925 wurde die Förderung auf beiden Schachtanlagen eingestellt. In der Folge dienten diese dann ausschließlich der Bewetterung, der Wasserhaltung und dem Reparaturbetrieb unter Tage. Ein Teil der Zechenanlagen wurde bis 1993 von der Zeche „Consolidation 3/4/9“ genutzt. Mit Helmut Bettenhausen entsteht im Ruhrgebiet die erste „Künstlerzeche“ Nach Ende des Zweiten Weltkriegs siedelten sich auf den stillgelegten Flächen erste Firmen an, darunter zur Herstellung von Kisten. 1964 zeigte sich die RAG offen für neue Nutzungen und stellte dem aus Herne stammenden und an der Folkwangschule für Gestaltung in Essen studierten Künstler Helmut Bettenhausen Räume der ehemaligen Kaue als Atelier zur Verfügung. Diesem Pionier, zugleich Gründungsmitglied der Künstlergruppe „B1“, folgten 1972 weitere Künstler/innen, darunter Winfried Labus, Jörg und Jens Blome, HD Gölzenleuchter, Karsten Knierim, Wolfgang Kliszat, Angelika Voss, Wolfgang Konarkowski, Barbara Schulz-Labus, Werner Thiel und Werner Köntopp. Heute arbeiten in der Künstlerzeche zwölf Künstler/innen, davon noch einige aus der Anfangszeit. Erleichtert wurde die Entwicklung zur Künstlerzeche durch ein Entgegenkommen der Bergwerksleitung, die nur einen symbolischen Mietpreis verlangte. Seit Ende der 1970er Jahre ist „Unser Fritz“ eine anerkannte Einrichtung in der Stadt und der Region. Zu deren Sicherung erwarb die Stadt Herne das Gebäude im Jahre 2000. Schon ein Jahr zuvor hatte man mit der 1,3 Millionen EUR teuren Sanierung begonnen. Finanziert seitens der Stadt Herne, einem Förderverein und dem Land Nordrhein-Westfalen, konnte die Sanierung 2002 mit einer feierlichen Eröffnung als neues Begegnungszentrum abgeschlossen werden. Seitdem dient die Weißkaue als Ausstellungsraum, während die Schwarzkaue für Veranstaltungen genutzt wird. Die „Künstlerzeche“ als kultureller Erfahrungs- und Erprobungsraum Schon in den 1970er Jahren war die Künstlerzeche ein Ort für nahezu alle Kunstsparten. Waren die ersten Kunstausstellungen und Aktionen ziemlich spontan, etablierte sich die „Künstlerzeche“ zunehmend als Veranstaltungsort für Rock- und Jazz-Konzerte, für Theater- und Literaturveranstaltungen sowie als Begegnungsstätte. Hier spielte Herbert Grönemeyer und die Band „Grobschnitt“ drehte einen Videoclip. Dies war mit dem einen oder anderen Konflikt mit den Anwohner/innen verbunden. Um diese auszuräumen wurde 1978 ein Heringsessen veranstaltet, das zwischenzeitlich Tradition hat und jedes Jahr von rund 500 Personen besucht wird. Inzwischen finden in der Schwarzkaue jährlich etwa zehn Veranstaltungen statt, beispielsweise im Rahmen der „ExtraSchicht – Die Nacht der Industriekultur im Ruhrgebiet“, eine Kriminacht oder Jazzkonzerte. In der Weißkaue präsentierte die „Künstlerzeche Unser Fritz“ 2008 acht Ausstellungen, teilweise in STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 10 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Kooperation mit anderen Institutionen und Vereinen, darunter mit der Städtischen Galerie, der VHSGalerie oder dem BBK Düsseldorf. 2009 sorgte die Ausstellung „Lufttöne“ der Kölner Künstlerin Rita Rohlfing für Aufmerksamkeit. Von der „Künstlerzeche“ zur „Zeche für alle Künste“ Neben der Weiß- und der Schwarzkaue steht seit 2009 auch die ehemalige Maschinenhalle für kulturelle Veranstaltungen zur Verfügung. Die Stadt Herne hatte diese im November 2006 von der RAG erworben und für 700.000 EUR umbauen lassen. Ende 2008 wurden die Sanierungsarbeiten fertiggestellt und 2009 die Veranstaltungshalle mit Ausblick auf den Rhein-Herne-Kanal sowie eine angeschlossene Außengastronomie an den 1993 gegründeten Förderverein „Unser Fritz 2/3 e.V.“ mietfrei übergeben. Der heute mehr als 100 Mitglieder zählende Verein möchte – dem Motto „von der Kohle zur Kunst“ folgend – Kunst und Kultur an der Emscher fördern, zur Vernetzung der Künstler/innen beitragen etc. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Pflege der bergmännischen Tradition und der Auseinandersetzung von Kunst mit der Bergbaulandschaft der Region. Ferner soll die künstlerische Kreativität in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gefördert werden. Im Kontext der Erweiterung durch die sanierte und modernisierte Maschinenhalle wurde das bisherige künstlerische Konzept um die Sparten Tanz und Theater ergänzt. An die Gebäude der Künstlerzeche angrenzend ist 2010 zudem ein öffentlich zugänglicher Zechenpark entstanden, u.a. mit Skulpturen, Fußballplatz, Beach-Volleyball-Feldern und Klettergarten. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 11 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 3.2 „Zweckel“, Gladbeck ( 1929): „Schlosszeche“ Die Bergbaugeschichte in Gladbeck begann 1908 mit dem Abteufen des Grubenfeldes „Zweckel“, einer Bezeichnung, die sich auf die angrenzende Bauernschaft bezieht. Die 1929 mit der Schachtanlage „Scholven“ zusammengeschlossene Zeche „Zweckel“ wurde 1963 stillgelegt. Es folgte der sukzessive Abbruch der Übertageanlagen. 1988 wurde das Herzstück der Anlage, die 1909 errichtete und an ein Schloss erinnernde Maschinenhalle als Industriedenkmal unter Denkmalschutz gestellt. Seit 1997 befindet sie sich in der Obhut der Stiftung „Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur“, 1995 gemeinsam vom Land Nordrhein Westfalen und der Ruhrkohle AG als bundesweit einzigartige Stiftung zur Erhaltung der Industriekultur gegründet. Mit Unterstützung des Landes NRW und der Stadt Gladbeck wurde es in den kommendem Jahren umfassend saniert und zu einem außergewöhnlichen Veranstaltungsort für Experimente in Kunst und Kultur entwickelt. Die Maschinenhalle als besucherattraktive „Schlossanlage“ Ohne die in der Zwischenzeit abgerissenen Schornsteine und Kühltürme ähnelt die 126 Meter lange, 31 Meter breite und 20 Meter hohe Maschinenhalle einem Schlossgebäude. Zu dessen Attraktivität trägt auch die aufwändige Innengestaltung bei. Sie ist zwar als Original nur noch schemenhaft erhalten, doch zwei rekonstruierte Wandfelder auf der Nord- und Südseite vermitteln einen Eindruck von der ursprünglichen Bemalung. 2008 hat das prachtvolle Gebäude, das ausschließlich bei Führungen und Kulturveranstaltungen geöffnet ist, im Rahmen des 100-jährigen Bestehens der Zeche Zweckel rund 12.000 Besucher/innen angelockt. Die Maschinenhalle als außergewöhnlicher Veranstaltungsort für Kultur Die neue Zukunft der Maschinenhalle begann 1998 mit dem Film „Pola X“, einem Gesellschaftsdrama des französisches Regisseurs Leos Carax (u.a. „Die Liebenden von Pont-Neuf“), dessen Schlussszenen auf der Zeche „Zweckel“ gedreht worden sind. Die eigentliche kulturelle Nutzung begann ein Jahr später – noch vor Beendigung der Sanierung – mit der Theaterinszenierung „Himmel und Hölle“. Seitdem wird die Maschinenhalle für Sonderausstellungen wie dem Skulpturenprojekt „Here we go“ (2000) genutzt. Bekannt ist die Halle heute jedoch vor allem als Spielort der RuhrTriennale, einem 2002 erstmalig durchgeführten spartenübergreifenden internationalen Festival der Künste, dessen Produktionen speziell auf die charakteristischen Industrieaufführungsorte der Region zugeschnitten sind. Renommierte Regisseure wie Alvis Hermanis und Johan Simons haben dafür gesorgt, dass die Maschinenhalle ein Anziehungspunkt für künstlerische Experimente ist, wie etwa das Konzert- und Schauspielspektakel „Westwärts“ gezeigt hat. Im Jahr der europäischen Kulturhauptstadt RUHR.2010 war die Maschinenhalle Spielort für ein Musiktheaterstück von Hans Werner Henze mit Steven Sloan und den Bochumer Symphonikern sowie einer Ausstellung von rund 50 Künstler/innen aus der Region. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 12 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 3.3 „Mont Cenis“, Herne ( 1963): „Akademiezeche“ Die Zeche „Mont-Cenis“ in Herne-Sodingen war rund 90 Jahre als Steinkohle-Bergwerk in Betrieb. Die Abteufarbeiten begannen 1871. Im Jahre 1963 wurde an diesem Standort die letzte Kohle zu Tage gefördert und das Kohlenfeld von anderen Bergwerken übernommen. Fünf Jahre später erfolgte die endgültige Stilllegung von „Mont-Cenis“. Damit verlor der Stadtteil Sodingen sein Zentrum. Die Schächte auf dem rund 26 ha großen Sanierungsgebiet wurden verfüllt, die alten Zechengebäude abgerissen und im Rahmen der IBA Emscher Park wurde 1989 ein städtebaulicher Wettbewerb zur Errichtung eines neuen Stadtteilzentrums ausgelobt. Das neue „Mont Cenis“ als Motor der Stadtteilentwicklung Zu dem 1999 eröffneten neuen Zentrum „Mont Cenis“ zählen heute die Fortbildungsakademie MontCenis des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen (AMC), ein Gewerbepark, Grünanlagen und Wohnhäuser. Zu dessen Realisierung wurde 1994 die Entwicklungsgesellschaft Mont-Cenis (EMC) gegründet, eine Public Private Partnership der Stadt Herne und der RAG Montan Immobilien. Die EMC trat u.a. als Projektentwickler und Bauherr auf. Von dem ehemaligen Zechenareal sind 16,5 ha zu einem Stadtteilpark und einem Akademiegarten umgewandelt worden. Der Park ist Teil des „Emscher Landschaftsparks“, der durch die Entwicklung regionaler Grünzüge die Lebensqualität im Ruhrgebiet verbessert. Auf weiteren 1,5 Hektar des Geländes stehen die Fortbildungsakademie und öffentliche Einrichtungen des Stadtteils, darunter die kegelförmige Stadtteilbibliothek sowie ein Bürgersaal für bis zu 300 Personen. Gebäude für Dienstleistungen und Einzelhandel befinden sich vor der Akademie auf etwa zwei Hektar. Darüber hinaus wurden auf sechs Hektar knapp 300 neue Wohnungen und ein Kindergarten errichtet. Kultur in der „Mikroklimahülle“ Herzstück des neuen „Mont Cenis“ ist ein von den Architekten „Jourda et Perraudin“ aus Frankreich entworfenes und 1999 fertiggestelltes Gebäude. Dessen Besonderheit ist eine in das 180 Meter lange und 75 Meter breite Dach integrierte Photovoltaikanlage für die Energie- und Wärmeversorgung. Damit lässt sich im Inneren ein mediterranes Klima herstellen. Das Entwurfskonzept verbindet symbolisch BergbauVergangenheit mit Technologien der Zukunft. Als sogenannter „Energiepark Mont-Cenis“ gehörte das Gebäude zu den drei Eckpunkten des „Solardreiecks Emscher Park“ im Rahmen der Expo 2000 in Hannover. Angesichts der Attraktivität des Gebäudes ist es häufig auch Ort für Kulturveranstaltungen und Ausstellungen. So präsentierten hier auf dem jährlich stattfindenden Kunsthandwerkermarkt „KUNST & DESIGN“ mehr als 60 Aussteller/innen ihre künstlerischen Objekte und kunsthandwerklichen Arbeiten. Im Rahmen der „Tage alter Musik in Herne” wird die Akademie Mont-Cenis auch für Konzerte genutzt. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 13 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Bücher- und Bildungsangebote für die Bürger/innen In der in dem Gebäude untergebrachten Fortbildungsakademie des Landes Nordrhein-Westfalen finden jährlich etwa 1.400 Veranstaltungen für Führungskräfte und Mitarbeiter/innen statt. Diese werden von etwa 14.000 Teilnehmer/innen besucht. Eine Besonderheit ist der integrierte Hotel- und Wohnbereich mit 171 Zimmern für die Teilnehmer/innen der Fortbildungen. Ein Restaurant sowie eine Cafeteria befinden sich ebenfalls unter der Mikroklimahülle. Einen zweiten Nutzungsbaustein bilden die Stadtbibliothek und das Stadtteilzentrum Sodingen mit einigen kommunalen Dienststellen, u.a. dem Dezernat Planen-Bauen-Umwelt und dem Jugendamt. Der multifunktionale Bürgersaal von etwa 300 qm hat sich seit 1999 zu einem viel in Anspruch genommenen Ort für Veranstaltungen mit bis zu 300 Personen entwickelt. Hier finden Halloween-Partys und Firmenfeste genauso statt wie kleinere Kongresse und Tagungen oder Theaterveranstaltungen sowie Ausstellungen. Vielfältige Impulse für den Stadtteil Die Stilllegung der Zeche „Mont Cenis“ blieb in den ersten Jahren nicht ohne Folgen für den Stadtteil Sodingen, insbesondere jüngere Familien zogen weg. Die im Rahmen des integrierten Entwicklungskonzeptes realisierten Maßnahmen haben dem Stadtteil zu neuen Impulsen verholfen, worauf auch wieder junge Familien zurückgekehrt sind und sich Unternehmen und Dienstleister der Gesundheitswirtschaft niedergelassen haben. Zusammen mit der Fortbildungsakademie des Landes Nordrhein-Westfalen sind auf dem Zechenareal inzwischen über 250 Arbeitsplätze entstanden. Darüber hinaus wird der Stadtteil durch die zahlreichen Akademieteilnehmer/innen belebt. Dieses schlägt sich zusammen mit der Attraktivität als Veranstaltungsort für Kultur auch im Flair des Stadtteils nieder. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 14 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 3.4 „Rheinelbe“, Gelsenkirchen ( Baukultur“ 1974): „Zeche für Kunst, Fortbildung und Erstmals Kohle gefördert wurde auf der Zeche „Rheinelbe“ im Jahr 1861. Bereits von 1928 an erfolgte der Abbau der verbliebenen Felder von anderen Zechenanlagen aus, darunter von der Zeche „Holland“, auf der dann 1974 die Förderung eingestellt wurde. Die Schächte blieben allerdings bis in die 1960er Jahre in Betrieb und die Haldenflächen wurden weiterhin für den Bergbau verwendet. Dagegen wurde das Schachtgelände nach und nach überbaut und neu genutzt. Von der früheren Bebauung sind noch einige Gebäude erhalten, darunter das ehemalige Schalthaus, die Maschinenhalle, das Casino, die Telefonzentrale und Trafostation sowie die „Alte Schmiede“. Regional bekannt ist heute vor allem die Halde Rheinelbe mit der Kunstinstallation „Himmelstreppe“, die zu einer der Landmarken des Ruhrgebiets zählt. Eine Industriebrache wird „Kunst-Natur-Raum“ Nach der letzten Aufschüttung der Halde im Jahr 1999 entstand im Rahmen des Ausbaus des Emscher Park Radweges die auf der Halde installierte, aus 35 Betonblöcken geschaffene „Himmelstreppe“, ein Ausflugsziel, das mittlerweile von einheimischen Pflanzen und Tieren zurückerobert und von Besucher/innen der Region geschätzt wird. Die Skulptur von dem aus Recklinghausen stammenden Umweltund Landschaftskünstler Hermann Prigann ist als Landmarke schon von weitem zu erkennen. Weitere Kunstwerke des Künstlers gibt es in unmittelbarer Nähe, so u.a. an Bäumen aufgehängte Zechenrelikte, der beleuchtete Stollen „Blaue Grotte“ sowie der an die „Himmelstreppe“ angrenzende Skulpturenwald. Baukultur, Fortbildung und Künstlerateliers Anfang der 90er Jahre wurden von der LEG in Kooperation mit der Stadt Gelsenkirchen mehrere Bestandsgebäude umgenutzt, darunter das Trafohaus und die Telefonzentrale, zwischen 1989 und 1999 Standort der Planungsgesellschaft der IBA Emscher Park, in der heute die Kultur Ruhr GmbH sitzt, die u.a. verantwortlich ist für die Ruhrtriennale, die TanzlandschaftRuhr und das ChorWerkRuhr. Das ehemalige Pförtnergebäude beherbergt seit 2003 das „Europäische Haus der Stadtkultur“ mit der Landesinitiative „StadtBauKultur NRW“ und in der ehemaligen Förder-Maschinenhalle ist seit 1996 das Tagungshotel „Lichthof“ des Bau- und Liegenschaftsbetriebes des Landes Nordrhein-Westfalen untergebracht. Die ehemalige Kaue und die Kantine wurden zu einem Gründerzentrum umgebaut. Das ganze Gelände wird heute als Rheinelbe-Park genutzt. Das Rheinelbe-Gelände ist zudem seit vielen Jahren Standort für Künstler/innen. So betreibt etwa im ehemaligen Magazin der Zeche seit dem Jahr 2000 das international bekannte Künstlerehepaar Mauß die „Kunststation Rheinelbe“, auch ein Ort der kulturellen Bildung. Sie sind u.a. Mitinitiatoren der „Galeriemeile Gelsenkirchen“, zu der etwa die Ateliers im angrenzenden Stadtteil Ückendorf gehören sowie die am Rheinelbe-Park gelegene Künstlersiedlung Halfmannshof, eine der ältesten Künstlersiedlungen in Deutschland. Mit vielen anderen haben diese 2010 erstmalig die Veranstaltung „Licht an“ durchgeführt STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 15 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet und damit auf die neue Galeriemeile der Stadt aufmerksam gemacht. Weitere Künstler/innen am Standort Rheinelbe sind u.a. Jo Scholar (Malerei und Zeichnung) in der „Alten Schmiede“, Annegret Reichmann, Preisträgerin des Bronzenen Löwen der „School of the Art Institute of Chicago", deren Arbeiten sowohl international zu sehen sind als auch regelmäßig in Gelsenkirchen, etwa bei der BUGA 1997 oder im Wissenschaftspark, und Jürgen Stutzinger, der seit über 25 Jahren eine Vielzahl an Kunst-Projekten in der Region durchführt. Zudem haben sich auf „Rheinelbe“ Unternehmen der Kulturwirtschaft angesiedelt, darunter „brand.m Agentur für Kommunikation und Marktforschung“, die Mitarbeiter/innen aus unterschiedlichsten Bereichen wie Journalismus, Grafik, Ökonomie beschäftigt. Seit 1993 ist das Unternehmen vor allem für deutschlandweit bekannte Getränkehersteller tätig. Der gasblaue Kugelgasbehälter als neues Aushängeschild Der von den Künstlern bzw. Architekten Jürgen LIT Fischer und Peter Brdenk (ansässig in Essen) gestaltete Kugelgasbehälter ist das neue Aushängeschild für „Rheinelbe“. Mit ihrem Konzept, den HochdruckGasbehälter von 1955 mit einem speziellen Anstrich zu versehen und nachts anzustrahlen, gewannen die beiden Architekten 1999 den im Rahmen der IBA Emscher Park ausgeschriebenen Kunstwettbewerb. Die Farbauswahl sowie die rund um die Anlage positionierten Leuchten erzielen eine flammenartige Wirkung und verweisen damit auf den Inhalt der 23 Meter hohen und weithin sichtbaren Kugel. Die für den Anstrich verwendete Farbe „Gasblau“, einen der ältesten Farbstoffe, gibt dem Objekt gleichzeitig seinen Namen. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 16 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 3.5 „Bergmannsglück/Westerholt“, Gelsenkirchen ( Residence“ 1980): „Zeche in Die Anfänge der Zeche „Bergmannsglück“ in Gelsenkirchen reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück, Förderbeginn war 1903. Nach dem Einsetzen der nationalen Kohlenkrise wurde die Kohle von 1960 an über die Zentralförderanlage der nahe gelegenen Zeche „Westerholt“ gewonnen. Stillgelegt 1982, wurde der Standort bis 2009 als Zentrallager weiter betrieblich genutzt. Anfang der 80er Jahre erfolgte der Abriss der beiden Fördertürme. Erhalten ist nur noch der Teufenanzeiger, der heute vor dem „Alfred-SchmidtHaus“ steht. Neben diesem Gebäude befinden sich auf dem ehemaligen Zechengelände das „Forum Bergmannsglück“ und das frühere Wohnhaus des 2003 verstorbenen Künstlers Werner Thiel. Weitere Gebäude auf der insgesamt zehn ha großen Zechenbrache stehen für neue Nutzungen zur Verfügung, wenn nach Beendigung des Abschlussbetriebsplanverfahrens als Vorbereitung für die Folgenutzung bzw. die Bodensanierung das Gelände aus der Bergaufsicht entlassen wird. Teile des Zechengeländes sollen in den als Grüngürtel gestalteten „Hasseler Bogen” integriert werden, der sich bis ins fünf Kilometer entfernte Lüttinghof zieht. Standort zweier Künstler: Alfred Schmidt ... Bereits 1983 eröffnete Alfred Schmidt, ehemaliger Art-Director einer Werbeagentur, mit dem „Kulturhaus Bergmannsglück“ eine Begegnungsstätte für Kunst auf dem Gelände. Hier organisierte der erste Ehrenbürger des Ruhrgebiets (1981) überregional Aufmerksamkeit erzielende Kunstaktionen und bot im Rahmen eines Stipendiums Künstler/innen von internationalem Rang die Möglichkeit, das Revier und die Bergleute kennen zu lernen und ihre Erfahrungen künstlerisch zu verarbeiten. Alfred Schmidt hatte zu dieser Zeit bereits eine beachtliche Reputation. Zum einen hatte er als Werbe- und Produktdesigner 1970 für seinen Stapelballon, der heute im „Museum Of Modern Art“ in New York ausgestellt ist, den Preis „World Star 1970“ erhalten. Zum anderen begann er 1975 sich als Künstler mit den Lebensbedingungen „unter Tage“ auseinander zu setzen. In über 30 Aktionen im öffentlichen Raum präsentierte der ins Ruhrgebiet gezogene Künstler seine Zeichnungen der Öffentlichkeit, darunter mit der „Aktion Bilderwagen“, bei der er mit einem Handkarren, auf den seine Bilder gespannt waren, in 50 Tagen durchs Ruhrgebiet wanderte. Im heutigen „Alfred-Schmidt-Haus“ werden seine künstlerischen Arbeiten, die seiner Frau, seiner Tochter und des Recklinghäuser Graffiti-Künstlers Fabian Hörl gezeigt. Seit 2007 befinden sich in der ehemaligen Elektrowerkstatt der Zeche Bergmannsglück und in zwei angrenzenden ehemaligen Garagen die Ausstellungsräume der von der Familie Schmidt betriebenen Galerie „Alfred-Schmidt-Haus“. Neben wechselnden Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst und Ruhrgebiets-Kunst kann hier pro Jahr auch ein Nachwuchskünstler seine Arbeiten präsentieren. Darüber hinaus werden auf der Terrasse ausgewählte Werke von Alfred Schmidt ausgestellt und finden Kulturveranstaltungen statt bzw. werden Kunstkurse angeboten. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 17 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet ... und Werner Thiel Der in den 1960er Jahren nach Gelsenkirchen zugewanderte und mit Alfred Schmidt befreundete Künstler Werner Thiel, begann sich schon früh für den Niedergang des Ruhrbergbaus und seine Relikte zu interessieren. Die „Ästhetik des Verfalls“ wurde zu seinem Hauptthema, dem er sich in Fotoarbeiten und grafischen Zyklen widmete. Seine Arbeiten befinden sich auch in internationalen Museen. Ab 1980 sammelte er Artefakte bergmännischer und industrieller Arbeit auf den stillgelegten Zechen des Ruhrgebiets und lud Stipendiaten nach Gelsenkirchen ein. In seinem Atelier (siehe Kapitel 3.1) schuf er Objekte, Collagen und Installationen. Seine Sammlung wird seit 2004 in der Zeche „Consolidation 3/4/9“ präsentiert. Das „Forum Bergmannsglück“ am Rande des Zechengeländes will die Tradition von Alfred Schmidt und Werner Thiel mit dem Programm „artist in residence“ fortsetzen, zuletzt im Jahr 2008 mit der Künstlerin Nancy E. Watt. Die RAG Montan Immobilien sieht darin einen wesentlichen Baustein in der Entwicklung der Folgenutzung. Zudem beabsichtigt die Gemeinschaft Bergmannsglücker Vereine, ein Zusammenschluss von Vereinen und Verbänden des Stadtteils, eine ca. 5.000 qm große Fläche zu „erwerben“. Auf dieser Fläche sollen Räume für kulturelle Veranstaltungen geschaffen werden. Das Zechenareal als Baustein der „InnovationCity Ruhr“ Die ehemalige „Zeche Bergmannsglück“ ist Teil des Konzeptes für das „Bergwerk Lippe“ mit denen die Städte Gelsenkirchen, mit den Stadtteilen Hassel und Scholven, und Herten, mit den Stadtteilen Westerholt und Bertlich, gemeinsam im Finale von „InnovationCity Ruhr“ standen (Sieger: Bottrop). Dort soll ein Stadtteil mit Unterstützung durch Fördermittel bis zum Jahr 2020 nachhaltig umgebaut werden, u.a. als Niedrigenergie-Quartier mit sanierten energieeffizienten Häusern und umweltfreundlichem Verkehr. Die Stadt Gelsenkirchen geht davon aus, dass sich die Umsetzung des Konzepts in der Nachbarstadt Bottrop auch positiv auf die Projekte in Gelsenkirchen auswirken wird. Es ist daher beabsichtigt, gemeinsam mit der Stadt Herten, der RAG Montan Immobilien und dem Regionalverband Ruhr (RVR) die Bergwerksfläche „Westerholt“ einschließlich „Bergmannsglück“ weiterzuentwickeln sowie die ehemalige Zechenbahn zu einer „Allee des Wandels" für Fußgänger, Radfahrer und Elektrofahrzeuge auszubauen. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 18 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 3.6 „Zollverein“, Essen ( 1986): „Kraftzentrale“ Am 23.12.1986 wurde auf der nach der Freihandelszone 14 deutscher Staaten benannten Großzeche „Zollverein“ die letzte Schicht gefahren. Sieben Jahre später erfolgte die Stilllegung der Kokerei. Damit endete die bergbauliche Nutzung eines der größten Zechenkomplexe Europas und einer der modernsten, leistungsfähigsten sowie baukulturell herausragenden Kohleförderanlagen der Welt. Gleichzeitig endet damit die Geschichte des Bergbaus in Essen. Der weitläufige Zechenkomplex „Zollverein“ umfasst vier Zechenstandorte. Davon wurden nur die Übertagebauten der Schachtanlage 6/9 in EssenStoppenberg 1979 vollständig abgerissen. Heute befindet sich dort ein Wohngebiet. An den drei anderen Standorten haben in den letzten Jahren Akteure und Unternehmen aus Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft Quartier bezogen: Zum Standort „Welterbe Zollverein“ (Kapitel 3.6.1) gehören: - die zentrale Förderanlage „Zollverein Schacht XII“ mit dem weltbekannten Doppelbock-Förderturm (Beginn der Förderung 1932), - „Zollverein Schacht 1/2/8“ (Förderbeginn 1851, Einstellung der Förderung 1932) und die „Kokerei Zollverein“ (stillgelegt 1993). „Zollverein Schacht 4/5/11“ in Essen-Katernberg (Kapitel 3.6.2). „Zollverein Schacht 3/7/10“ im Stadtteil Essen-Schonnebeck (Kapitel 3.6.3). 3.6.1 „Zollverein XII“, „Zollverein 1/2/8“ und Kokerei Zollverein: „Welterbe Zollverein“ Der Prozess bis zur Ernennung zum Welterbe der UNESCO (2001) und als Veranstaltungsort-Highlight der „RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas“ war langwierig und von manchen Konflikten zu deren Zukunft begleitet. Nicht zuletzt hat die baukulturell herausragende Architektur der Architekten Fritz Schupp und Martin Kremmer und die durch Ministererlass von Städtebauminister Christoph Zöpel erfolgte Unterschutzstellung im Jahre 1986 den Abriss verhindert. Nach Übertragung des Zechengeländes von der RAG Montan Immobilien an die Landesentwicklungsgesellschaft NRW (LEG) im Jahre 1986 wurde unter Beteiligung der Stadt Essen und den Ruhrgebietsuniversitäten und der Bezeichnung „Forum Ruhrkultur“ schon frühzeitig ein Nutzungskonzept erarbeitet. Zentrale Bestandteile waren die Erhaltung der Anlagen als Teil der Industriegeschichte, der Aufbau eines entsprechenden Museums und der Themenschwerpunkt Design. Einer der ersten Realisierungsschritte war die Gründung der „Bauhütte Zeche Zollverein Schacht XII“ im Jahre 1989 seitens der Stadt Essen und der Landesentwicklungsgesellschaft NRW (LEG). Diese hat mit finanzieller Unterstützung des Landes NRW und der Essener Arbeits- und Beschäftigungsgesellschaft in den darauf folgenden zehn Jahren entscheidende Aufbauarbeit geleistet, u.a. durch die Konzeption eines Denkmalpfades. Auch setzte die „Bauhütte“ auf Kulturprojekte wie etwa die Ausstellungen von Leonardo STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 19 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Masso oder von Ulrich Rückriem 1992 als Teil der Kasseler documenta IX, die in der Öffentlichkeit auf große Aufmerksamkeit stießen. In die Gebäude zogen nach der Sanierung ab Anfang der 1990er Jahre die ersten Mieter ein, darunter Künstler/innen wie Thomas Rother mit dem „Kunstschacht“ im ehemaligen Maschinenhaus von Schacht 1/2/8 (Übersicht 3.6.1). Die Kaue diente zunächst als Aufführungsstätte für junge Choreografen, bevor sie 1999/2000 zum Choreografischen Zentrum NRW umgebaut wurde (seit dem Zusammenschluss mit der Tanzlandschaft Ruhr als „PACT Zollverein“ bezeichnet: „Performing Arts Choreografisches Zentrum NRW Tanzlandschaft Ruhr“). In die ehemalige Kompressorenhalle der Zentralschachtanlage zog schon Mitte der 90er Jahre das Restaurant „Casino Zollverein“ ein und nur wenig später wurde das Design Zentrum Nordrhein-Westfalen mit dem „red dot design museum“ in dem von Lord Norman Foster umgestalteten Kesselhaus eröffnet, weltweit heute eine der größten Ausstellungen zeitgenössischen Designs. Auch der Erhalt der 1993 stillgelegten „Kokerei Zollverein“ war lange Zeit fraglich. Die IBA Emscher Park gab schließlich den Anstoß dazu. Seit 1998 steht die Anlage unter Denkmalschutz. Für ihren Erhalt und die denkmalgerechte Nutzung ist die „Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur“ verantwortlich. Übersicht 3.6.1: Lageplan „Welterbe Zollverein“ Quelle: Stiftung Zollverein 2010 STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 20 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Die Entwicklung des heutigen „Welterbes Zollverein“ beginnt mit der 1998 gegründeten „Stiftung Zollverein“, der Nachfolgeorganisation der „Bauhütte“, an der das Land Nordrhein-Westfalen, die Stadt Essen und der Landschaftsverband Rheinland beteiligt sind. Die Stiftung verantwortet einen Großteil des zum Welterbe gehörenden Areals, mit Ausnahme der von der RAG Montan Immobilien eigenwirtschaftlich entwickelten Flächen und der Verkehrsflächen der Stadt Essen. Die Ziele der „Stiftung Zollverein“ sind, neben der Erhaltung des Welterbes und der Förderung der Kultur, insbesondere die Entwicklung der Anlage zu einem touristischen Highlight und internationalen Kultur- und Wirtschaftsstandort. Gemeinsam mit der RAG Montan Immobilien entwickelt die Stiftung seit 2010 den Kokereistandort. Zwischen 1999 und 2010 erste Erfolge Ein wichtiger Baustein ist in diesem Zusammenhang die 1999 von der IBA Emscher Park verfasste „Denkschrift Zollverein 2010“. Diese beinhaltet ein auf zehn Jahre angelegtes integriertes Entwicklungskonzept. Danach soll Zollverein nicht nur als Kulturstandort, sondern verstärkt auch als Standort der Kulturwirtschaft mit den Schwerpunkten Design, Medien und Entertainment entwickelt werden. Zur Umsetzung dieser Leitvorstellungen wurde 2002 mit Mitteln der EU, des Landes NRW und der Stadt Essen ein Masterplan zur Weiterentwicklung des zentralen Bereiches des Welterbe-Geländes erarbeitet. Kernbausteine des von Rem Koolhaas vorgelegten Konzepts sind ein Besucherzentrum, das Ruhr Museum, ein Design-Gewerbepark, ein Kongresszentrum in der Nähe der ehemaligen Kokerei und Gewerbeflächen für weitere Dienstleistungen. Von diesem Masterplan sind inzwischen wesentliche Bausteine umgesetzt, so haben Ruhr Museum und Besucherzentrum zu Beginn des Kulturhauptstadt-Jahres 2010 in der ehemaligen Kohlenwäsche eröffnet. Trotz der cityfernen Lage und den hohen Betriebskosten aufgrund der besonderen Gebäudestruktur, konnte das Konzept erfolgreich umgesetzt werden. Der Standort „Welterbe Zollverein“ ist heute sowohl Besuchermagnet als auch überregionaler Veranstaltungs- und Tagungsstandort sowie Wirtschaftsstandort der Kulturwirtschaft: Besuchermagnet: Die erste große öffentlichkeitswirksame Veranstaltung auf der ehemaligen Kokereianlage war im Rahmen der Abschlusspräsentation der IBA Emscher Park die Ausstellung: „Sonne, Mond und Sterne – Kultur und Natur der Energie“. Diese zog rund 300.000 Besucher/innen an. Weitere besucherattraktive Aktionen folgten, etwa die Installation „Werksschwimmbad“ aus Industriecontainern der Künstler Dirk Paschke und Daniel Mihlonic am östlichen Kokereiende (2001), die begehbare Rauminstallation „Palast der Projekte“ von Ilya & Emilia Kabakov im zur Ausstellungshalle umgebauten Salzlager der ehemaligen Kokerei (seit 2001) und die 110 Meter lange Eisbahn Kokerei Zollverein (seit 2001/2002), mit rund 30.000 Besucher/innen im Winter 2010/2011. Im Jahr 2008 wurden schon 840.000 Besucher/innen gezählt und im Kulturhauptstadtjahr 2010 konnten im Zusammenhang mit der Eröffnung des Ruhr Museums bereits über zwei Millionen Besucher/innen begrüßt werden. Überregionaler Veranstaltungs- und Tagungsstandort: Als vielfältig nutzbare „coole Location“ stößt das Welterbe Zollverein seit Jahren bundes- und europaweit auf Interesse, so wurde der Standort 2010, wie bereits 2009, von der deutschen Veranstaltungsbranche zur attraktivsten Eventlocation in Deutschland gewählt („Conga Award“). Einer der frühen Bausteine war hier der 1. Europäische Kon- STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 21 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet gress zur Kulturwirtschaft im Jahre 1999, anlässlich dessen die 1. Essener Erklärung zur Kulturwirtschaft in Europa verabschiedet wurde. Auch die Eröffnungsveranstaltung der „RUHR.2010“ mit Bundespräsident Horst Köhler und dem Präsidenten der Europäischen Kommission José Manuel Barroso fand auf Zollverein statt. Wirtschaftsstandort der Kulturwirtschaft: Schon zu Beginn der Nachnutzung stießen die Gebäude bei Selbstständigen und Unternehmen, vor allem aus der Kultur- und Kreativwirtschaft auf Interesse. Dies hat sich im Laufe der Jahre verstetigt. Dazu hat auch das Konzept der „Designstadt No. 1“ beigetragen. Angesichts der positiven Entwicklung vieler Unternehmen auf dem gesamten Areal, des attraktiven Standortimages bei den „Kreativen“ wird seit einiger Zeit auch verstärkt von privater Seite investiert. So expandiert etwa die „Kalle Krause GmbH“ (Kapitel 2.1), ein vor zehn Jahren im „Tripel Z“ (Kapitel 3.6.1) gegründeter Dienstleister für strategische Rauminszenierungen und Live-Marketing mittlerweile auf dem Gelände der Kokerei Zollverein. Zur Profilierung von Zollverein als Kompetenzzentrum der Kreativwirtschaft gehört auch die seit 2007 durchgeführte Veranstaltung „Essens Kreative Klasse“. Ermutigt durch die ersten Erfolge bei der Entwicklung der ehemaligen Zeche „Zollverein“ als Kultur- und Wirtschaftsstandort wurde vor einigen Jahren beschlossen: den Fachbereich Gestaltung mit den Studiengängen Fotografie, Kommunikationsdesign und Industrial Design an der Essener Folkwang Universität der Künste hierher zu verlagern. Seit Januar 2010 wird der weltweit bekannte Kubus des japanischen Architekturbüros SANAA von dem Fachbereich genutzt. Dieser Schritt wird in Verbindung mit weiteren Maßnahmen wie etwa den Experimentalbau „openOffice“ auf Schacht 1/2/8, einem Teilprojekt des im Rahmen der Kulturhauptstadt RUHR.2010 eröffneten Wettbewerbs „mobile working spaces“, in den kommenden Jahren vermutlich auch das Leben im Stadtteil Katernberg zukunftsorientiert verändern. Kokerei Zollverein Zurzeit steht vor allem das Gelände der ehemaligen Kokerei im Fokus weiterer Initiativen. Dieses wird von der RAG Montan Immobilien saniert und gemeinsam mit der „Stiftung Zollverein“ und der Stadt Essen entwickelt. Nach dem „Kokerei Zollverein Entwicklungskonzept“ sollen dort vorwiegend Unternehmen und „Kreative“ aus der Kultur- und Kreativwirtschaft einen Standort finden. Angestrebt wird dabei ein Nutzungsmix aus „Design“, „Architektur“, „Werbung“, „Darstellende Künste“, „Kunsthandwerk“, „Kunst- und Antikmarkt“, „Film & Video“, „TV & Radio“, „Musik“, „Software“ sowie „Verlagswesen & Journalismus“, „Mode“ und sonstigen „Dienstleistungsunternehmen“. Im Gebäudebestand – häufig noch mit historischen Einbauten wie Kranbahnen, Schalterschränke und Kompressoren – nutzt beispielsweise schon die „Kalle Krause GmbH“ das ehemalige „Schalthaus II“ (Kapitel 2.1) und im Raum des ehemaligen Salzlagers ist die Rauminstallation des Künstlers Kabakov. Zu den besonders attraktiven noch nicht genutzten Bestandsgebäuden zählt in diesem Zusammenhang vor allem das 1959 erbaute, große denkmalgeschützte „Kammgebäude“. Neue Gebäude werden auf dem südwestlichen Teil des Geländes errichtet. Die RAG Montan Immobilien baut hier bis Ende 2011 ihren neuen Unternehmenssitz für etwa 250 Mitarbeiter/innen. Weitere private Investoren und Nutzer, die das Profil von Zollverein als Wirtschaftsstandort stärken, sollen folgen. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 22 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Auch wenn gegenwärtig vorwiegend das Kokerei-Gelände erschlossen wird, gehen die Entwicklungen im Umfeld der ehemaligen Schachtanlagen Zollverein XII und 1/2/8 weiter, so plant etwa eine Investorengruppe auf Zollverein 1/2/8 ein Hotel, die Errichtung eines Neubaus für die Folkwang Universität der Künste und vier Gebäude für Unternehmen der Kreativwirtschaft. 3.6.2 „Zollverein 4/5/11“: „ZukunftsZentrumZollverein (Triple Z)“ Nicht nur historisch ist die zwischen 1893 und 1932 fördernde und rund 2,5 ha große Schacht- und Zechenanlage 4/5/11 Teil der Zeche Zollverein. Seit 1996 befindet sich in den aus unterschiedlichen Bauphasen stammenden Übertagebauten, nach einer zwischenzeitlichen Nachnutzung als zentraler Ausbildungswerkstatt der RAG, heute das „ZukunftsZentrumZollverein“ (Triple Z), ein Gründungszentrum. Dieses bietet sowohl Räume für Büros, für die Produktion oder zur Lagerung als auch Know-how für junge Unternehmen (Übersicht 3.6.2). Träger ist die aus dem „Essener Konsens“ – ein Anfang der 1990er Jahre entstandenes informelles Netzwerk mit Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft, Kultur, und Verwaltung zur Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten – hervorgegangene Triple Z AG, eine 1996 gegründete Aktiengesellschaft mit über 1.000 Kleinaktionären, die den Strukturwandel im Essener Norden aktiv unterstützen. Die RAG Montan Immobilien hat an diesem Standort anstatt auf Abriss, auf den Erhalt der für den Stadtteil Katernberg identitätsstiftenden Anlagen bzw. auf die Umgestaltung der vorhandenen Gebäudesubstanz gesetzt und die Immobilien selber vermarktet. Inzwischen werden alle industriehistorischen Gebäude komplett genutzt. Heute sind in den seit 1997 in mehreren Bauabschnitten mit Unterstützung von öffentlichen Mitteln sanierten Gebäuden (u.a. Lohnhalle, Kaue, Magazin, Industriehallen), auf ca. 11.000 qm Nutzfläche Übersicht 3.6.2: Geländeplan „Triple Z“ Quelle: Triple Z AG STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 23 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet etwa 85 Selbstständige und Unternehmen u.a. aus der Gesundheitswirtschaft untergebracht. Viele dieser Firmen kommen aus der Emscherzone. Rund ein Viertel des Firmenbesatzes kann der Kultur- und Kreativwirtschaft zugeordnet werden, darunter sind beispielsweise Firmen des Veranstaltungsmarktes, Unternehmen des Buchmarktes sowie Design- und Werbebüros, die vielfach projektbezogen miteinander kooperieren. Insgesamt weist das „Triple Z“ heute rund 500 Arbeitsplätze auf. Dieses positive Ergebnis verdankt sich der Marke „Triple Z“ und einer Kombination von preisgünstigen, vielfältig nutzbaren Räumen, Serviceangeboten wie einer Begleitung der Existenzgründer/innen durch Coaching etc. sowie einem guten Branchenmix. Teil des Areals ist der Verein „Stellwerk Zollverein e.V.“, der Künstler/innen mit einem Stipendium die Chance bietet, in dem früheren Stellwerk als „Artist in Residence“ für maximal sechs Monate zu wohnen und zu arbeiten. Inhaltlich-thematische Schwerpunkte sind die Gattungen Skulptur, Objektkunst, Installation, Malerei, Grafik und Fotografie. 3.6.3 „Zollverein 3/7/10“ – Bürger- und Handwerkerpark Zur Großzeche Zollverein gehört auch der schon 1882 in Betrieb genommene Standort 3/7/10. Nach dessen Fördereinstellung entstand auf dem 3,5 ha großen Areal im Rahmen eines umfassenden Beteiligungsverfahrens der „Bürger- und Handwerkerpark Zollverein 3/7/10“. Einige Gebäude, u.a. die Schachthalle und die Kaue, mussten jedoch aufgrund zu großer Baumängel abgebrochen werden. Mit Unterstützung von öffentlichen Mitteln für die Instandsetzung der Gebäude, die Gestaltung der Freiflächen etc. werden die Gebäude des gemeinsam von der Stadt Essen, der Landesentwicklungsgesellschaft NRW (LEG) und einigen privaten Investoren getragenen „Parks“ heute von Handwerksbetrieben genutzt. In der ehemaligen Fördermaschinenhalle befindet sich seit 1996 die umwelt- und erlebnispädagogische Dauerausstellung „Erfahrungsfeld der Sinne“ des Künstlers Hugo Kückelhaus. Zwischenzeitlich wurde die jährlich rund 50.000 Besucher/innen anziehende Ausstellung durch naturwissenschaftliche Experimente der „Phänomania“ ergänzt. Hinzu kommen Dienstleistungseinrichtungen wie eine Kindertagesstätte (im ehemaligen Schalthaus), die Beratungs- und Dienstleistungsagentur „Neue Arbeit“ der Diakonie und das „Betreuungszentrum Zollverein“. Insgesamt gibt es an diesem Standort heute wieder rund 200 Arbeitsplätze. Ein städtebaulicher Rahmenplan und ein verbindliches Gestaltungshandbuch sichern die weitere Entwicklung. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 24 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 3.7 „Minister Stein“, Dortmund ( 1987): „Discozeche“ Im Jahr 1870 wurden auf der Zeche „Minister Stein“ im Dortmunder Norden die ersten Kohlefelder erschlossen. Nach Inbetriebnahme von Schacht 6 im Jahr 1941 verzeichnete die Zeche rund 3,7 Millionen Tonnen Fördermenge und über 6.800 Beschäftigte. Sie war damit für einige Jahre die größte Zeche des Ruhrgebiets. 1987 wurde sie als letzte Dortmunder Zechenanlage stillgelegt. Gemeinsam entwickelten die RAG Montan Immobilien und die Stadt Dortmund ein Nutzungskonzept für die Zechenbrache. Ziel war es den mit der Stilllegung verbundenen Verlust des sozialen und ökonomischen Zentrums von Eving zu kompensieren, die Abwanderung der jüngeren Bevölkerung zu stoppen, städtebauliche Defizite zu beheben und das an die Kohle gebundene Stadtteilimage zu verbessern. Entwicklungskonzept und Neuanfang durch Theateraufführungen Von den Tagesanlagen wurden der Hammerkopfturm, der heute unter Denkmalschutz steht, die Kauenund die Verwaltungsgebäude erhalten. Bis zur Renovierung wurden einige Gebäude temporär genutzt, wie etwa für die Veranstaltung „Freche Zeche – Kultur über und unter Tage“ anlässlich der Endpräsentation der IBA Emscher Park im Jahr 1999. Schon 1987 war die ehemalige Waschkaue der Ort für die deutsche Erstaufführung des Theaterstücks „Mein Kampf“ von George Tabori. Trotz der Altlasten- und Baugrundproblematik auf dem ehemaligen Zechenareal gelang es zwischen 1989 und 1999 in im Rahmen der IBA Emscher Park drei Bausteine zu realisieren: den „Service- und Gewerbepark“: Dabei wurden mit Hilfe öffentlicher Mittel Flächen für Gewerbeund Dienstleistungsunternehmen bereitgestellt. Entwicklung, Erschließung und Vermarktung der Flächen findet in Public Private Partnership (PPP) statt. Projektgesellschaft ist die „Minister Stein“ mbH (PMS) mit den Trägern: Stadt Dortmund und RAG Montan Immobilien. die „Neue Evinger Mitte“: ein Stadtteilzentrum mit Einzelhandel, Dienstleistungseinrichtungen und Bürogebäuden sowie einem Wissenschaftszentrum. Wohngebiete mit rund 100 Reihenhäusern und Doppelhaushälften, angrenzend an den alten Siedlungskern und die Freizeitanlagen in Eving-West. Zudem wurde der öffentliche Straßenraum auf 2,7 km Länge neu gestaltet und die Anbindung an den ÖPNV erheblich verbessert. „Service- und Gewerbepark“ für orts- und stadtteilbezogene Unternehmen Südlich der „Neuen Evinger Mitte“ erstreckt sich heute über rund 13 ha ein Service- und Gewerbepark mit 8,6 ha vermarktbarer Fläche bei teilbaren Grundstücken von 1.500 bis 15.000 qm. Seit dem Jahr 1999 haben sich 13 Unternehmen mit rund 350 Beschäftigten in der intensiv durchgrünten Gewerbefläche niedergelassen (Stand 2010), vorwiegend orts- und stadtteilbezogene Betriebe aus dem Bereich des Handels sowie dem Handwerks- und Dienstleistungsgewerbe. Im Jahr 2007 wurde eine Vermarktungsof- STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 25 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet fensive für den Service- und Gewerbepark Minister Stein angestoßen. Die Erfolge zeigten sich bereits im ersten Halbjahr 2008, als rund 7.800 qm Fläche erfolgreich vermarktet werden konnten. Neueste Ansiedlung im „Service- und Gewerbepark“ ist auf 5.400 qm die „Bürgerklinik Eving“ mit Primärarztzentrum, stationären und ambulanten Einrichtungen zur medizinischen und pflegerischen Versorgung sowie Apotheke und Bistro. Neben 75 weiteren Arbeitsplätzen an diesem Standort ist mit dieser Ansiedlung auch eine deutliche Frequenzsteigerung verbunden, die das ehemalige Zechengelände und den Stadtteil Eving beleben wird. Stadtteilzentrum „Neue Evinger Mitte“: Einzelhandel, Freizeit und Wissensökonomie Die „Neue Evinger Mitte“ umfasst ein Einkaufszentrum mit einer zur Kulturwirtschaft zählenden Medienhandelskette. Daran angrenzend befindet sich in der im 19. Jahrhundert erbauten Kaue seit 2001 eine der regional bedeutsamen Großdiskotheken. Die Dach- und Fachsanierung des Gebäudes wurde mit Fördermitteln bewerkstelligt, der Innenausbau seitens des Investors saniert. Am Wochenende zählt der „Partytempel“ mit ständig wechselndem Eventprogramm auf elf Erlebnisbereichen mit verschiedenen Musikrichtungen, von Trance and House bis Dance Floor über 3.000 Gäste aus dem ganzen nordöstlichen Ruhrgebiet. Ein weiterer Nutzungsschwerpunkt sind Einrichtungen und Unternehmen der Wissensökonomie. Zu den rund 20 Instituten mit über 350 wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen zählt u.a. die Sozialforschungsstelle (sfs), eine zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Technischen Universität Dortmund mit etwa 80 Arbeitsplätzen, bundesweit eines der bedeutenden Institute für Arbeitsforschung. Einige ehemalige Beschäftigte dieses Instituts haben in den letzten Jahren am Standort Unternehmen gegründet, mit denen die Sozialforschungsstelle vielfach kooperiert. Weitere ansässige Institute sind das „Institut für Gerontologie“ der Universität Dortmund, das „Sekretariat für Zukunftsforschung“ (SFZ), die „Gesellschaft für empirische Arbeitsforschung und Beratung“ (GEA) und seit 2009 das „Institut für angewandte Logistik“ (IAL). Über zehn Jahre war auch das Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) des Landes NRW ansässig, bevor es seinen Sitz 2009 in die Dortmunder Innenstadt verlegte. Zukunft unterm Hammerkopfturm, dem neuen alten Wahrzeichen Der Umnutzungs- und Inwertsetzungsprozess der ehemaligen Zechenanlage Minister Stein ist noch nicht vollständig abgeschlossen, denn noch stehen Flächen für Ansiedlungen von Gewerbe- und Dienstleistungsunternehmen zur Verfügung. Dass der Standort mit dem denkmalgeschützten Hammerkopfturm, den erhalten gebliebenen Maschinenrädern und den in 70 m Höhe und sich über drei Etagen erstreckenden Büroräumen sowie der „aufgeständerten Bürohängebank“ mit Einrichtungen der Wissensökonomie Zukunft hat, das zeigt die Wertschätzung, die der alten und neuen Landmarke außerhalb der Region entgegengebracht wird. Nicht umsonst war dieses architektonische Highlight 2005 eine Station beim Staatsbesuch des chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao in Deutschland. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 26 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 3.8 „Rheinpreussen“, Moers ( 1990): „Partyzeche“ Die in Moers gelegenen, ersten linksrheinischen Schachtanlagen 4 und 5/9 wurden von der Zeche „Rheinpreussen“ Anfang des 20. Jahrhunderts in Betrieb genommen. Das Gebiet der Zeche Rheinpreussen weitete sich im Laufe der Jahre auf 93,5 Quadratkilometer aus und war damit flächenmäßig mehr als sechs Mal so groß wie die Essener Zeche „Zollverein“. Entsprechend hoch waren auch die Fördermengen der zu Spitzenzeiten bis zu 10.000 Beschäftigten. 1964 wurde die Förderung eingestellt. In den Folgejahren wurde der Schacht 4 als Wetter- und Wasserhaltungsschacht der Schachtanlage „Rheinpreussen 5/9“ zugeordnet und 1989 unter Denkmalschutz gestellt. Ein Jahr später erfolgte die Stillegung der Gesamtanlage. Aus den Hallen und Gebäuden der Schachtanlage 5/9 mit ihren Backsteinfassaden entstand das Technologiezentrum als Keimzelle des von der RAG Montan Immobilien entwickelten Technologieparks „EUROTEC“. Schacht 4 ist heute ein Industriedenkmal mit rund zwanzig Freizeit- und Gewerbebetrieben. Party, Muskeln und ein offenes Denkmal an den Schachtanlagen 4/5/9 Der denkmalgeschützte Förderturm der Schachtanlage „Rheinpreussen 4“ fungiert heute als Eingang und Bar einer Großraumdiskothek mit 5.000 qm Fläche. Dieser ist über eine Brücke mit weiteren Erlebnisbereichen verbunden. Gleich neben der Diskothek befinden sich weitere Freizeitbetriebe, u.a. ein Fitness-Studio. Das von der Nordrhein-Westfalen-Stiftung zusammen mit der RAG, dem Land NRW und der Deutschen Stiftung für Denkmalpflege renovierte Fördermaschinenhaus wurde 2002 der Öffentlichkeit übergeben und ist seitdem als „offenes Denkmal" zu besichtigen. Die maschinelle Ausstattung des Gebäudes aus dem Jahre 1906 blieb fast vollständig erhalten. Betreut wird das Industriedenkmal vom Grafschafter Museums- und Geschichtsverein. Technologiepark und 360° Kunst Im „Eurotec-Park“ haben sich 20 Jahre nach Schließung der Zeche knapp 60 Unternehmen, größtenteils mit technischem Schwerpunkt, angesiedelt und konnten über 600 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Voraussetzung hierfür schaffte die RAG Montan Immobilien, die sowohl Konzeptentwicklung und Erschließung des Geländes an diesem Standort leistete als auch für die Vermarktung und Investorenakquisition verantwortlich ist. Im dazuzählenden „Eurotec-Center" können die ansässigen Unternehmen auf ein breites Service- und Dienstleistungsangebot zurückgreifen. Nach wenigen Jahren hat sich der „EurotecPark“ als ein wichtiger Impulsgeber für die wirtschaftliche Entwicklung am Niederrhein erwiesen. Dazu hat auch die Idee beigetragen das Center kulturell zu nutzen. Schon früh wurde hier Kunst präsentiert, u.a. von dem freischaffenden Maler Hans Werner Thurmann sowie dem Skulpturenbildner Christoph Krane, der auch schon im Ausland ausgestellt hat. Dazu zählt auch eine 2008 durchgeführte Ausstellung der Werke des Bochumer Folkwangabsolventen Hans-Werner Faßbender, das 360-Grad-Panoramabild „Incarnation“, das in einem sechs mal sechs Meter großen und rund drei Meter hohen Kubus in der ehe- STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 27 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet maligen Lohn- und Lichthalle der Zeche Rheinpreussen in Moers zu sehen war. 2008 wurde auch die Ausstellung „Dunkler als weiß und heller als schwarz“ von der in Moers ansässigen Künstlerin Annette Papior gezeigt. 2009 folgten dann in der Reihe der Wechselausstellungen der RAG Montan Immobilien GmbH und der Galerie Schürmann im Eurotec-Center bzw. in der renovierten Lohnhalle der ehemaligen Zeche Rheinpreußen die Gelderner Künstlerin Bettina Hachmann sowie der Moerser Künstler André Schweers und im Jahr 2010 der Cross-Media-Künstler Manuel Schroeder. Lichtinstallation „Geleucht“, eine bergbaugeschichtliche Landmarke Seit 2007 erhellt die Lichtinstallation „Geleucht“ von dem zur international renommierten Künstlergruppe „Zero“ zählenden Otto Piene den Abendhimmel auf der Halde der Zeche „Rheinpreussen“. Herzstück des Landschaftsbauwerks ist ein dreißig Meter hoher Turm in Form einer Davy-Lampe. Die überdimensionale begehbare Grubenlampe ist mit insgesamt 61 Beleuchtungskörpern so ausgestattet, dass der gesamte Außenkörper erstrahlt. Pienes spektakuläre und vom Land Nordrhein-Westfalen bzw. vom Regionalverband Ruhr (RVR) geförderte Landmarke symbolisiert die einzigartige Geschichte des Ruhrgebiets, die untrennbar mit der Montanindustrie verbunden ist. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 28 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 3.9 „Radbod“, Hamm ( 1990): „Kulturzentrum“ Auf der Zeche „Radbod“ im Hammer Stadtbezirk Bockum-Hövel wurde die erste Steinkohle 1905 gefördert. 1989 war das Jahr mit der höchsten Förderung (1,3 Mio. t Kohle), 1990 folgten dann Fördereinstellung und Stilllegung. In den Folgejahren wurde auch das Kraftwerk am Standort geschlossen und ein Großteil der Zechengebäude abgerissen. Die unter Denkmalschutz stehenden Fördergerüste und die Fördermaschinenhallen der Schächte I und II befinden sich heute im Besitz der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur und werden sukzessive renoviert. Die Kokereifläche und die Bergehalde Radbod sind Bestandteile des Entwicklungskonzeptes für den Hammer Westen: „Im Westen was Neues“. Nach Abschluss der Entwicklungsmaßnahme durch die Projektgesellschaft, gemeinsam getragen von der Stadt Hamm und der RAG Montan Immobilien, wurde das Zechenareal schrittweise einer gewerblichen Umnutzung zugeführt. Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie wurden dabei auch kulturbezogene Nutzungsbausteine berücksichtigt. Rund ein Drittel der 14 ha großen Vermarktungsfläche wurde über die Projektgesellschaft Radbod mittlerweile an Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen veräußert. Auf der Fläche gibt es heute etwa 120 Arbeitsplätze. Bestandteil der Entwicklung ist das Mitte der 90er Jahre gegründete soziokulturelle Zentrum „Kulturrevier Radbod“. Von einer kulturellen Initiative zum „Kulturrevier Radbod“ Kurz nach der Stilllegung der Zeche gründete sich der Verein „Jugend und Kultur e.V. Hamm“ und mietete im ehemaligen Eingangsbereich der stillgelegten Zeche eine Garage an, die als Proberaum für Bands zur Verfügung gestellt wurde. Damit war der Grundstein für das spätere „Kulturrevier“ gelegt worden, das bis heute seinen Standort in den Bestandsgebäuden der ehemaligen Zeche Radbod hat. 1992 fand erstmals eine öffentliche Veranstaltung auf „Radbod“ statt: der Familiensonntag. Gegen Ende des gleichen Jahres konnten weitere Räumlichkeiten auf der ehemaligen Zeche angemietet werden. Im Folgejahr wurde der Veranstaltungsraum der Öffentlichkeit übergeben und verstärkt Veranstaltungen durchgeführt – von Rock bis Theater. Mit einem Konzert im Jahr 1994, das 1.200 Besucher/innen anzog, wurde das neue soziokulturelle Zentrum auch außerhalb der Stadt Hamm bekannt. Mittlerweile finden im und um das „Kulturrevier Radbod“ pro Jahr mehr als 50 Veranstaltungen statt. Schwerpunkte sind die Bereitstellung von Künstlerateliers, Proberäumen für Musik sowie die Durchführung von kulturellen Veranstaltungen. Finanziert wird die Einrichtung überwiegend durch Eintrittsgelder und sonstige Umsatzerlöse (ca. 120.000 EUR), Mieteinnahmen (ca. 30.000 EUR) und Sponsoring. Für Angebote der Kulturarbeit, der Spiel- und Theaterpädagogik erhält das Zentrum bei einem Jahresetat von rund 200.000 EUR auch städtische Fördergelder von ca. 40.000 EUR jährlich (Stand 2011). Mitfinanziert werden damit auch sieben Ateliers, die derzeit von Fotokünstler/innen, bildenden Künstler/innen und einer Tänzerin mit dazugehöriger Tanzwerkstatt angemietet werden. Einer der bekanntesten Künstler im „Kulturrevier Radbod“ ist Jockel Reisner, der u.a. in Belgien, Großbritannien, Frankreich, Japan und Brasilien ausgestellt hat. Eine Besonderheit ist das Förderatelier. Jährlich wird einem Talent STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 29 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet zwischen 16 und 25 Jahren ein Atelier kostenlos und ohne Auflagen zur Verfügung gestellt. Zugleich wird eine Art Coaching durch erfahrene Künstler/innen des Kulturreviers angeboten. Acht Proberäume werden von bis zu zehn Nachwuchsbands genutzt, die überwiegend aus der Stadt Hamm kommen. Das „Kulturrevier Radbod“ ist darüber hinaus ein wichtiger Knotenpunkt der Hammer Musikszene – insbesondere der Rockszene. Die Bereitstellung von Auftrittsmöglichkeiten für junge Bands ist ein wichtiger Baustein des „Jugend und Kultur e.V. Hamm“ zur Förderung der Nachwuchsbands. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Radbod rockt!“ spielen nationale wie internationale Rockbands Gigs. „Kulturrevier Radbod“ als heute etablierter Ort für Kulturveranstaltungen Neben Konzerten finden auch zahlreiche weitere Kulturveranstaltungen statt, wie zum Beispiel „Radbod liest!“, bei der Hammer Autoren ihre Texte rezitieren, oder „Radbod lacht!“, bei der vier Mal pro Jahr Comedy und Varieté auf die Bühne gebracht werden. Neben einer Vielzahl von Motto-Partys (u.a. QueerParty, 80er-Party) werden in Kooperation mit dem Amt für soziale Integration auch Veranstaltungen wie etwa „Seniorentanz“ angeboten. In dieser Angebotsmischung ist das „Kulturrevier Radbod“ ein heute etablierter und nicht mehr weg zu denkender Kulturveranstaltungsort für die Stadt Hamm und das östliche Ruhrgebiet. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 30 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 3.10 „Consolidation 3/4/9“, Gelsenkirchen ( Theaterzeche“ 1993): „Musik und Entstanden ist das Steinkohlebergwerk „Consolidation“ in Gelsenkirchen-Bismarck im Zusammenhang des 1861 von Friedrich Grillo herbeigeführten Zusammenschlusses verschiedener Gewerke zur „Gewerkschaft des Steinkohlenbergwerks Consolidation“. Im Jahre 1863 begann der Abbau der Kohle, die am Standort zu Koks verarbeitet wurde. Die Stilllegung der Kokerei Schacht „Consolidation 3/4/9“ erfolgte 1983. Zehn Jahre später wurde die Förderung eingestellt und die Schächte nach und nach verfüllt. Heute stehen die Förderanlagen der Schächte 4 und 9 unter Denkmalschutz. Sie bilden eine eindrucksvolle Kulisse für das 26,5 ha große Areal mit einem neuen Stadtteilzentrum und dem kulturellen Schwerpunkt „Consol“. Dazu zählen das Consol-Theater, das im ehemaligen Lüftergebäude untergebracht ist und das sich heute im Fördergebäude C4 befindende Musikprobenzentrum. Ein neues Stadtteilzentrum für Bismarck Ziel des gemeinsam von der Stadt Gelsenkirchen, der RAG Montan Immobilien und der „Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur“ (in ihrem Besitz befinden sich das Fördergerüst, die Rasenhängebank und die beiden Fördermaschinenhäuser) erarbeiteten Entwicklungskonzeptes, war die Schaffung einer „neuen Mitte“ mit einem vielfältigen Angebotsspektrum. Sanierung und Wiedernutzung der Brachen wurden als Ansatzpunkte gesehen, eine lokale Wirtschaft aufzubauen, Betriebe anzusiedeln und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Zudem wurden der Wohnungsbestand und das Wohnumfeld verbessert. Unter Beteiligung der Bürger/innen entstand darüber hinaus die Idee für den Bau einer Sportanlage, die den Jugendlichen, Vereinen und Schulen im Stadtteil zur Verfügung steht. Die Investitionen seitens der RAG Montan in die Umnutzung des Standorts haben diesen sichtbar belebt, u.a. durch ein stadtteilbezogenes Einkaufszentrum, Gewerbe und Dienstleistungen, Grünflächen, eine Trendsportanlage, neue Wohnungen und nicht zuletzt durch Kultur. Mehr als die Hälfte der Fläche konnte bislang vermarktet werden und das Image des Standorts hat sich deutlich verbessert. Kultur auf Consol Noch bevor das Gelände der ehemaligen Zeche Consolidation für die Folgenutzung erschlossen war, wurde es bereits anderweitig genutzt. Bereits im Jahr 2000 hat der Künstler Günter Dohr mit seiner Lichtinstallation „ConsolGelb“ das Doppelbockfördergerüst mit gelben, orangefarbenen und roten Lichtbändern zum Strahlen gebracht. Nur ein Jahr später wurde im ehemaligen Lüftermaschinenhaus das Consol Theater eröffnet. Seit 2005 gibt es das Musikprobenzentrum. Im Jahr 2006 wurde mit der „Sammlung Thiel“ im nördlichen Maschinenhaus und dem Ausstellungsraum des „Initiativkreis Bergwerk Consolidation“, beide Mieter der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur, das „Kulturdreieck“ vollendet. Diese und weitere Maßnahmen, wie der Bau einer Trendsportanlage, erfolgten im Rahmen des Stadtteilprogramms Gelsenkirchen Bismarck/Schalke-Nord mit Mitteln der Stadterneuerung des Bundes und des Landes NRW. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 31 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Das Consol Theater: mehr als ein Kinder- und Jugendtheater Das seit 2001 bestehende Consol-Theater hat sich mittlerweile zu einem namhaften Kinder- und Jugendtheater entwickelt (Kapitel 2.2). Viele der Kinder- und Jugendtheaterinszenierungen wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet und gehen immer wieder auf Gastspielreisen. Der Spielplan umfasst zudem Hauskonzerte, Jazz- und Chansonabende sowie Erzählprogramme. Daneben kooperieren zahlreiche Schulen mit dem Consol Theater. Angeboten werden auch Schauspielkurse, theaterpädagogische Begleitung und Reflektion der Produktionen. Das Projekt „!STAGE“ bietet jungen Erwachsenen Fortbildungsmöglichkeiten in den Bereichen Schauspiel, Bühnengestaltung, Beleuchtungs- und Tontechnik sowie Masken- und Kostümbild. Die große Halle des Lüftermaschinenhauses bietet hierfür ideale Voraussetzungen. Sie wurde als offener Veranstaltungsraum und für den Theaterbetrieb hergerichtet. In der „Betonröhre“ des Lüftergebäudes befindet sich die Studiobühne, hinzukommen Proberäume, Büros und ein Gastronomiebetrieb. Das Musikprobenzentrum CONSOL4 Das Gebäude des 2005 eröffneten Musikprobenzentrums CONSOL4 befindet sich im Eigentum der Stadt Gelsenkirchen. Verwaltet wird es von der Interessengemeinschaft kulturschaffender Musikerinnen und Musiker Gelsenkirchen (IkM-GE e.V.). Es bietet den Musikgruppen im Raum Gelsenkirchen 38 Proberäume mit je 25 qm an. In der Regel wird dieses Raumangebot von rund 50 Bands genutzt. Darüber hinaus stehen zwei Säle mit einer Bühne für Auftritte zur Verfügung. Damit ist das Musikprobenzentrum eine wichtige Plattform für die „Musikszene“ im Ruhrgebiet. Zurzeit wird CONSOL4 zur Veranstaltungsstätte ausgebaut, sodass dort zukünftig auch Konzerte stattfinden können. Sammlung Werner Thiel und Bergbaumuseum Die 2006 fertiggestellte Kunstinstallation „Sammlung Werner Thiel“ im Maschinenhaus ist der dritte Baustein der kulturellen Folgenutzung der ehemalige Zeche Consolidation (siehe auch Kapitel 2.2). Die raumgreifende Installation baut auf Gegenständen des alltäglichen bergmännischen Gebrauchs wie Werkzeuge und Maschinenteile auf. Im südlichen Maschinenhaus hat der Initiativkreis Bergwerk Consolidation e.V. ein kleines lokales Bergbaumuseum eingerichtet, das u.a. auch eine restaurierte, funktionstüchtige Dampfmaschine zeigt. Die Gebäudegruppe von Schacht 9 steht inzwischen unter Denkmalschutz und ist Bestandteil der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur. Für die Hängebank projektiert ein privater Investor derzeit rund 20 Loftwohnungen. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 32 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 3.11 „Ewald 1/2/7“, Herten ( 2000): „Zukunfts-Zeche“ Noch ein Jahr vor Stilllegung des Bergwerks Ewald im Jahr 2000 wurde von der RAG Montan Immobilien und der Stadt Herten die Projektgemeinschaft Ewald 1/2/7 gegründet. Ziel dieser Public-Private Partnership ist die Entwicklung des „Zukunftsstandorts Ewald“, ein neues Stadtquartier von europäischem Format. Das Konzept sieht eine Mischnutzung vor. Der Standort umfasst eine ganze Reihe von denkmalgeschützten Gebäuden, darunter eine Elektrowerkstatt, den Malakow-Turm, die Schachtgerüste 2 und 4 sowie die Heizzentrale, das Magazin, das Verwaltungsgebäude und die Kaue. In die Bestandsgebäude sollen insbesondere Unternehmen aus den Bereichen Dienstleistung, Technologieentwicklung, Gastronomie, Bildung und Freizeit einziehen. Um den Standort in der Sanierungsphase zu beleben und der Bevölkerung in der Emscher-Region das neue Image dieses Standorts zu vermitteln, ermöglichte man zwischen 2000 und 2007 zahlreiche Events. So war die Zeche „Ewald“ einer der Standorte des Theaterfestivals „T7“ (der „Vorläufer“ der Ruhrtriennale), der „ExtraSchicht“ und der Internationalen Hertener Fototage. Genutzt wurde der Ort auch für Promotionkampagnen wie das T-COM Mountainbike Event oder die Veranstaltung 4x4 CHALLENGE 2008 NISSAN. Eine bunte Mischung mit dem Leuchtturm „RevuePalast Ruhr“ Seit der Stilllegung konnten rund drei Viertel der 50 ha großen Fläche vermarktet werden. Damit hat die Projektgemeinschaft ihre Ziele deutlich übertroffen. Derzeit sind dort 31 Unternehmen, viele davon aus der Logistikbranche, die den Standort aufgrund der guten Verkehrsanbindung an die A2 und die A42 schätzen. Darüber hinaus haben sich High-Tech-Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energie angesiedelt. Erster Käufer war die Firma „Hannes“, ein gewerkeübergreifender Handwerksbetrieb, die bereits im Jahre 2002 in der ehemaligen „Elektrowerkstatt“ einen geeigneten Standort gefunden hat. Der Unternehmer Wolfgang Werner aus Gelsenkirchen hat 2007 Malakowturm, Heizzentrale, Schacht II, sowie Rasenhängebank mit Schacht 7 und Fördermaschinenhaus Süd erworben. Seit 2009 verzaubern im „RevuePalast Ruhr“ in der denkmalgeschützten Heizzentrale internationale Travestiestars mit den Programmen „Voila“, „Magic Moments“ und „Ganze Kerle“ das Publikum. Der Saal fasst rund 300 Besucher/innen. In der ersten Spielzeit 2009/2020 wurden rund 25.000 Besucher/innen gezählt. Bereits in den Jahren zuvor wurde das Gebäude regelmäßig für Mode-, Kunst- und Tanzveranstaltungen sowie Partys und Public Viewing genutzt. Diese Erfolge haben dazu geführt, dass die Zeche „Ewald“ im Rahmen der Standortinitiative „Deutschland – Land der Ideen" von der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft als Beispiel für den gelungenen Strukturwandel ausgezeichnet worden ist. Weiterentwickelt werden von der RAG Montan Immobilien die in ihrem Besitz befindlichen Bestandsgebäude der ehemaligen Kochwerkstatt, der Hängebank, der Schwarzkaue und der Lohn-/Lichthalle. In letzterer befindet sich bereits seit Mai 2010 das Tourismusbüro Herten. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 33 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Zeche „Ewald“, ein attraktiver Ort für vielfältige Kulturveranstaltungen Schon ein Jahr nach Stilllegung wurden 2001 die „Internationalen Fototage Herten“, die sich seit 1991 binnen weniger Jahre zu einem der großen internationalen Fotofestivals entwickelt haben, auf der Zeche „Ewald“ veranstaltet. Im selben Jahr startete die Stadt Herten die Veranstaltungsreihe „ARTräume“, eine Kunst- und Kultur-Aktion auf stillgelegten Industriebrachen. Es zielte darauf ab Bergbauareale wie die Zeche „Ewald“ in neuen Zusammenhängen wahrzunehmen und die Bevölkerung der Emscher-Region für den Standort zu sensibilisieren. Auch das Theaterfestival „T7“ nutzte 2002 das Zechenareal im Rahmen einer ganztägigen Theaterreise entlang der Route der Industriekultur als „Blind Date“. Diese Veranstaltung erhöhte den Bekanntheitsgrad des Standorts und förderte den Imagewandel auf regionaler Ebene in ähnlichem Ausmaß wie das jährliche Kulturfestival „ExtraSchicht“. Seit dem Jahre 2003 wird das Bergwerk Ewald in diesem Rahmen bespielt, allein im Jahre 2007 bei der Veranstaltung „Turbulenz“, dem ersten internationalen Windfestival, wurden 20.000 Besucher/innen gezählt. Neben einer Vielzahl weiterer Veranstaltungen mit lokaler und regionaler Bedeutung, war die Zeche „Ewald“ 2006 auch Standort für die „fotopromenade landschaftspark emscherbruch“. Dabei verbanden 40 Outdoor-Exponate in einer Größe von 2 x 3 Metern den Zukunftsstandort mit der ehemaligen Zeche „Recklinghausen II“. Im Rahmen des Kulturfestivals „ExtraSchicht“ wurde 2007 ein gleichnamiger Film des Wattenscheider Filmemachers und Zeichners Christian Schipper ausgestrahlt, eine 30-minütige NoBudget-Produktion über einen Bergmann, der nebenbei als Karnevalssänger unter dem Künstlernamen „Der blaue Baron" auftritt. Eines der letzten Kulturprojekte war 2008 „Ewald bebt“. Die Veranstaltung unter Beteiligung der Stadt Herten umfasst Kontakt- und Infobörsen, Workshops, einen Bandwettbewerb und Konzerte. Damit soll den Newcomer-Bands aus dem Ruhrgebiet eine Plattform zum Austausch angeboten werden. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 34 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 3.12 „Fürst Leopold“, Dorsten ( 2001): „Creativquartier aus privater Hand“ Ihren Namen verdankt die Zeche dem ersten Eigentümer und Gründer Nikolaus Leopold Fürst zu SalmSalm. Im Januar 1913 wurde mit der Kohleförderung begonnen. Trotz Krieg, Streik und Ruhrbesetzung ging der Zechenbetrieb voran. Nach dem Krieg wurden in den Rekordjahren 1956/1957 knapp 1,5 Millionen Tonnen Kohle zu Tage gebracht. 1970 erfolgte die Zusammenlegung mit der Zeche „Wulfen“. Dies erbrachte 1997 bei etwa 3.000 Beschäftigten mit 2,4 Millionen Tonnen die höchste Jahresförderung der Betriebsgeschichte. Im Jahre 2001 erfolgte die Stilllegung der auch durch die Zeichnungen der Künstlerin Tisa von Schulenburg zum Bergarbeiterleben bekannten Anlage. Von einer, auf Initiative der RAG Montan Immobilien, der Stadt Dorsten etc. gegründeten Projektgesellschaft wurden alsbald Grundlagenstudien bzw. Werkstätten zur Zukunft des Standortes durchgeführt. Das erste Konzept sah für das historische Ensemble den Nutzungsschwerpunkt „Freizeit, Kultur, Gastronomie“ vor. In den Folgejahren fanden auf dem Gelände kulturelle Veranstaltungen statt, etwa im Rahmen der „ExtraSchicht“. Seit 2004 ist die Zeche ein von zahlreichen Bikern besuchter monatlicher Treffpunkt. Auch stoßen die Führungen über das Gelände der ehemals „verbotenen Stadt“ des Vereins für Bergbau-, Industrie- und Sozialgeschichte Dorsten immer wieder auf großes Interesse. Zum Jahresende 2008 wurden zunächst 12 ha an einen privaten Investor veräußert. Dieser hat mit Unterstützung der RAG Montan Immobilien und der Stadt Dorsten im Bestand das im Detail flexible Konzept „Creativ Quartier Fürst Leopold“ entwickelt. 2009 wurde mit der Vermarktung der Räumlichkeiten begonnen. Im Frühjahr 2011 wird der Rückbau vieler Gebäude abgeschlossen sein, das Gelände wird aus der Bergaufsicht entlassen und die neun noch verbliebenen Gebäude, u.a. die beiden Torhäuser, die Lohnhalle mit den Kauen und der Förderturm von Schacht 2, werden saniert und einer neu gegründeten Ruhrstadtstiftung übertragen. „Art Boarding House“ in der Lohnhalle und den Waschkauen, Gastronomie im Torhaus West ... Bis auf wenige Gebäude soll bei der Umsetzung des Konzepts, für das die Ausweisung als Sondergebiet vorgesehen ist und seitens der RAG Montan Immobilien ein B-Plan erarbeitet wird, auf die vorhandene Bausubstanz mit rund 20.000 qm Nutzfläche zurückgegriffen werden. Das städtebaulich an den Versorgungsbereich des Stadtteils Hervest angebundene Entwicklungskonzept für das „Creativ Quartier Fürst Leopold“ sieht für den Innenhof des historischen Ensembles einen 7.500 qm umfassenden Skulpturenpark mit Biergarten und für das Trafogebäude Gastronomie und Ateliers vor. Die Maschinenhalle wurde von der Industrie- und Denkmalpflegestiftung übernommen und dem Verein für Bergbau-, Industrie- und Sozialgeschichte Dorsten zur Verfügung gestellt. Für die ehemalige Dampfdruckzentrale haben Betreiber einer Diskothek, eines Fitness-Studios und Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft ihr Interesse angemeldet, darunter Werbeagenturen und lokale Fernsehanbieter. Die Lohnhalle und die Waschkauen werden zukünftig als „Art Boarding House“ genutzt. Dies umfasst Ateliers für Künstlerinnen, Gewerbeund Büroflächen für Kleinunternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft etwa spezialisierte Druckereien, Designbüros, ein privat finanziertes Zentrum für Existenzgründer/innen dieser Branche, Übernachtungsmöglichkeiten und eine ebenfalls für Veranstaltungen attraktive Oldtimer-Ausstellung. Bestandteil des STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 35 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet „Creativ Quartiers Fürst Leopold“ sind kleinere Ergänzungsbauten. Eines der Torhäuser ist für Gastronomieangebote vorgesehen, im Torhaus Ost befinden sich schon seit Mai 2010 die Tonstudios und Büros der Agentur 6000media von zwei in der Musikwelt bekannten Musikproduzenten und -managern. Auch für die anderen Gebäude konnte bei einer geringen Basismiete eine Vielzahl an Mietern aus Kultur sowie aus Kultur- und Kreativwirtschaft gewonnen werden. Viele davon werden die Räume entsprechend dem Entwicklungskonzept ebenfalls für Seminar- und Workshopangebote nutzen. Im Musikbereich ist neben einem akquirierten Musikgeschäft, einer Musikschule etc. auch die Errichtung eines Zentrums mit rund 100 Proberäumen vorgesehen, für das bereits zahlreiche Anfragen vorliegen. Darüber hinaus gibt es Gespräche mit weiteren Interessenten aus dem Kultur- und Freizeitbereich. ... zusammen mit Einzelhandel und Gewerbe Angesichts der weitgehend privat finanzierten Realisierung des „Creativ Quartiers Fürst Leopold“ ist dessen Entwicklung in ein umfassendes Gesamtkonzept eingebunden. Dieses sieht angrenzend an das Quartier Einzelhandelsflächen u.a. mit Super- und Fachmärkten vor. Des Weiteren soll östlich davon und mit dem Bodenaushub des ehemaligen Zechengeländes, ähnlich einem Amphitheater, ein Festplatz für Open-Air-Konzerte, Kirmes, Trödelmärkte, Zirkus etc. geschaffen werden. Zur Stärkung des Stadtteils Hervest in funktionaler und gestalterischer Hinsicht wird darüber hinaus die Gründung einer Immobilienund Standortgemeinschaft verfolgt. Zu ihren Aufgabe zählen u.a. gemeinsame Marketingaktivitäten. Nach einer ersten Entwicklungsphase soll das „Creativ Quartier Fürst Leopold“ einmal rund 350 Arbeitsplätze bieten und etwa 100.000 Besucher/innen pro Monat anziehen. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 36 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 3.13 „Lohberg“, Dinslaken ( 2005): „Kreativzeche“ Nach rund 100 Jahren wurde am 30.12.2005 der Zechenbetrieb des Bergwerks Lohberg in Dinslaken eingestellt. Zahlreiche der zuletzt 2.800 Mitarbeiter dieser Großschachtanlage, davon viele aus der zwischen 1907 und 1920 errichteten und unmittelbar angrenzenden Kolonie „Lohberg“, werden auf andere Zechen verteilt oder gehen in den Ruhestand. Doch die Zukunft der rund 40 ha umfassenden Entwicklungsfläche lässt nicht lange auf sich warten. Unter Beteiligung der Stadt Dinslaken, des Kreises, der Fachministerien, der RAG Montan Immobilien etc. werden von dieser „Entwicklungsgemeinschaft“ schon frühzeitig mögliche Nachnutzungsszenarien erörtert. Die ersten Machbarkeitsstudien kommen 2005 zu dem Ergebnis, dass die Kreativwirtschaft ein Marken bildender Nutzungsschwerpunkt sein könnte, insbesondere für einige denkmalgeschützte, teilweise unter Beteiligung des Industriearchitekten Fritz Schupp entworfene Gebäude. Im Jahre 2007 wurde eine städtebauliche Entwurfswerkstatt zu dem Thema „Perspektiven für Dinslaken – Lohberg“ durchgeführt und dabei die vier Leitthemen „Kreativität“, „Kultur“, „Lifestyle“ und „Innovation“ entwickelt. Die Werkstatt bildete mit dem „Kreativ.Quartier“ als zentralen Baustein den Grundstein für eine neue Zukunft des Standortes. Neue Zukunft Kreativwirtschaft Das städtebauliche Entwurfskonzept für die ehemalige Zeche Lohberg sieht vier Nutzungsschwerpunkte vor: für das zentrale Zechengelände (Zentral- bzw. Mischcluster) eine Mischnutzung mit kleineren und mittleren Unternehmen, vor allem aus der Kultur- und Kreativwirtschaft, nördlich davon einen Park mit See, der als sogenannter Bergpark mit der bestehenden Haldenlandschaft verbunden ist. Daran schließt sich eine neu konzipierte Gartenstadt an, die die bestehende Bergarbeiterkolonie um einen Wohnbereich für innovative und traditionelle Wohnkonzepte ergänzt (Wohncluster). Der südliche Bereich des Areals wurde als Standort für Gewerbe und Feuerwehr ausgewiesen (Gewerbecluster). Flankiert wird das Konzept durch Maßnahmen für den Stadtteil im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“, wie etwa Veranstaltungen (z.B. Frühlingsfest, Nikolausmarkt) seitens des Stadtteilmangagements „Forum Lohberg e.V.“. Dies hat sich zur Aufgabe gestellt, das Image des Stadtteils zu verbessern. Im Vordergrund steht die Entwicklung des zentralen Zechengeländes, das mit den Fördermaschinenhäusern, dem Zentralmaschinenhaus, der Schachthalle, dem Verwaltungsgebäude und dem Pförtnerhaus durch denkmalgeschützte Gebäude geprägt ist. Hier soll nach dem Entwurfskonzept das „Kreativ.Quartier“ für Selbstständige bzw. Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft, für kulturelle Nutzungen und Gastronomie entstehen. Vom Plan zur prozessorientierten Umsetzung Im Frühjahr 2008 wurde im Rahmen einer gemeinsam von der RAG Montan Immobilien GmbH, der Stadt Dinslaken und der Dinslakener Agentur DINAMIT initiierten Auftaktveranstaltung für das „Kreativ.Quartier“ geworben. Daran teilgenommen haben über 80 interessierte Unternehmen und Selbststän- STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 37 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet dige der Kultur- und Kreativwirtschaft sowie Kulturvereine und -verbände aus dem Raum Dinslaken. Nach Vorträgen, Interessensbekundungen, Besichtigung der Räumlichkeiten des zentralen Zechengeländes und lebhaften Diskussionen zu den Realisierungschancen des „Kreativ.Quartiers“ haben zahlreiche Teilnehmer/innen ihr Interesse an der Nutzung des Standortes signalisiert. Angesichts dieser breiten Resonanz haben sich weitere Gesprächsrunden mit potenziellen Interessenten angeschlossen. Viele der Beteiligten gestalten den Prozess und die Quartiersentwicklung bis heute aktiv mit. Ein erster konkreter Schritt war die Vermietung zweier Räume an Künstler/innen im „Herz der Zeche“, dem baulich attraktiven Verwaltungsgebäude mit Lohn- und Lichthalle seitens der RAG Montan Immobilien. Mehrere Ausstellungen in den Atelierräumen und die Berichterstattung darüber haben dann neue Nachfrageimpulse ausgelöst. Im Januar 2010 wurde das „Kreativ.Quartier“ im Rahmen der „Local heroWoche“ der RUHR.2010, dem Jahr der europäischen Kulturhauptstadt, offiziell eröffnet. Mittlerweile sind im „Kreativ.Quartier“ zwölf Unternehmen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft tätig, darunter zwei Musikstudios, bildende Künstler/innen, Fotograf/innen und Modedesigner/innen (z.B. die Designerin Constanze Alef mit dem Label „FREDsBRUDER“). Zum Teil haben die Unternehmen ihren Standort im ehemaligen Sozialgebäude, das an einen privaten Eigentümer veräußert wurde, der die Zielvorstellungen für diesen Bereich der ehemaligen Zechenanlage pro-aktiv unterstützt und ebenfalls an Künstler/innen, Selbstständige und Unternehmen der Kreativwirtschaft vermietet. Die attraktive Lohn- und Lichthalle wird häufig von Veranstaltern genutzt, so etwa für die Preisverleihung des Kathrin-Türks-Preises der Landesbühne Burghof Theater und für verschiedene Ausstellungen, zum Beispiel „Tischler trifft Kunst und Kohle“ (2009) organisiert vom Fachverband des Tischlerhandwerks NRW. Im Rahmen der besucherattraktiven Veranstaltung „ExtraSchicht“ präsentierte sich das „Kreativ.Quartier“ bzw. der Stadtteil Lohberg 2009 und 2010 mit Performances und spektakulären Inszenierungen, ebenso im Rahmen des RUHR.2010-Leitprojektes „Schachtzeichen“. Große Aufmerksamkeit erzielte zudem die internationale Ausstellung „Blau – Bleu – Blue!“ im Rahmen des TWINS-Projektes der RUHR.2010. Die neuen Nutzer/innen des „Kreativ.Quartiers“ waren dabei initiativ tätig oder aktiv eingebunden. In Kooperation von RAG Montan Immobilien und der Stadt Dinslaken wurden weitere öffentliche Veranstaltungen durchgeführt, u.a. zur Professionalisierung der ansässigen „Kreativen“. In der Zwischenzeit haben sich die Netzwerke stabilisiert und es werden gemeinsam Projekte durchgeführt, wie etwa die monatliche Veranstaltung „Open House“. Das ehemalige Gesundheitshaus soll für schon im Markt etablierte Unternehmen der Kreativwirtschaft modernisiert werden. Mit Unterstützung zweier von der Stadt Dinslaken und der RAG Montan Immobilien eingesetzten Manager/innen sollen in den kommenden Jahren die bestehenden Netzwerke vor Ort gestärkt, der Standort überregional promotet, die prozessuale Quartiersentwicklung bzw. die Realisierung des „Kreativ.Quartiers“ unterstützt und die ehemalige Zeche auch als Veranstaltungsort weiterentwickelt werden. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 38 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 4 Ein Blick zurück: Motive, Umnutzungsphasen, Nutzungsschwerpunkte auf Standorten der RAG Montan Immobilien Mit der Umnutzung stillgelegter Zechenanlagen durch Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft haben die RAG Montan Immobilien bzw. die vorherigen Eigentümer bereits in den späten 50er Jahren des letzten Jahrhunderts begonnen. Zu den Motiven der Vermietung an kulturbezogene Nutzer gehörten in dieser Anfangsphase vor allem geringe Nutzungsalternativen. In diesem Kontext zeigten die Grundstückseigentümer eine gewisse Offenheit gegenüber neuen kulturbezogenen Nutzungen und die Bereitschaft zu Experimenten bzw. temporären Nutzungen. Demgegenüber ist im Rahmen von Entwicklungskonzepten eine Kultur heute ein Bestandteil aktiver Standortpolitik sowohl seitens der RAG Montan Immobilien GmbH als auch von manchen Investoren. Das zeigen entsprechende Initiativen in Dinslaken-Lohberg oder auf der Zeche „Fürst Leopold“ in Dorsten. In diesem veränderten Kontext sind kulturbezogene Einrichtungen und Selbstständige bzw. Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft prägende Elemente der Nachnutzung und nicht mehr nur zu vernachlässigende oder temporäre Nutzungsbausteine. Der Blick zurück zeigt, dass nachfrageseitig zunächst vor allem jene stillgelegten Zechenanlagen auf ein Interesse stießen, die eher kleinteilige Gebäudestrukturen aufwiesen, deren Zugänglichkeit für Nutzer/innen und Besucher/innen weitgehend gesichert war, bei denen Gefährdungen durch Bodenkontaminationen ausgeschlossen werden konnten und bei denen einzelne Interessenten entsprechende Initiativen entwickelt haben und sich als „urbane Pioniere“ betätigten, weil sie die Anlagen kannten, sie diese als besondere „Adresse“ schätzten oder bereits im Quartier ansässig waren. Wie die seit Jahrzehnten erfolgte Umnutzung der 13 untersuchten Zechenanlagen durch Kultur zeigt, hat die RAG Montan Immobilien ihre Strategie im Laufe der Jahre modifiziert. Ausgehend von der ersten Phase der Zechenschließungen Ende der 50er Jahre lassen sich hinsichtlich der kulturbezogenen Nachnutzung idealtypisch drei Umnutzungsphasen unterscheiden: die „Experimentier- oder Laissez-fairePhase“, die „Ausbau- und Integrationsphase“ und die „Konzeptionsphase“. Dabei durchlaufen manche ehemaligen Zechenstandorte mehrere Umnutzungsphasen. Im einzelnen lassen sich diese wie folgt beschreiben: Umnutzungsphase 1: „Experimentier- oder Laissez-faire-Phase“: Die erste Phase der Umnutzung durch Kultur ist dadurch geprägt, dass aus der Arbeiterkultur der Region hervorgegangene Künstler/innen sich auf schon vor Ende der 60er Jahre stillgelegten Zechenanlagen ansiedeln. Angesichts des Fehlens einer gewerblichen Nachfrage oder anderer Investoren und um die Gebäude vor dem Verfall zu schützen, werden den Künstler/innen einzelne Gebäude zur Verfügung gestellt, vielfach zu einem Selbstkostenpreis und zunächst nur auf Zeit. Manche dieser „Kulturzellen“ bestehen noch heute, so etwa auf der Zeche „Unser Fritz“ in Herne. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 39 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Übersicht 4.1: Zeche Synopse der untersuchten Zechenanlagen der RAG Montan Immobilien und deren Nutzung durch Kultur bzw. Kultur- und Kreativwirtschaft Industrielle Nutzung Bausteine aus Kultur bzw. Kultur- und Kreativwirtschaft Unser Fritz 2/3 Herne 1881 Abteufung 1925 Einstellung der Kohleförderung 1995 Stilllegung „Künstlerzeche“ - seit 1964 Nutzung der Kaue als Atelier (Künstler: Helmut Bettenhausen; erste Künstlerzeche im Ruhrgebiet) für einen symbolischen Mietpreis, seit 1972 weitere bildende Künstler/innen, Fotograf/innen und Musiker/innen - seit den 1970er Jahren Begegnungsstätte und Veranstaltungsort (Ausstellungen, Diskussionen, Konzerte, Lesungen), Förderverein Unser Fritz 2/3 seit 1993 - 2009/2010 Erweiterung durch Umbau der Maschinenhalle zur Veranstaltungshalle und Eröffnung des öffentlichen „Zechenparks“ Zweckel Gladbeck 1908 Abteufung 1929 Einstellung der Kohleförderung 1995 Stilllegung „Schlosszeche“ - seit 1997 ist die Maschinenhalle ein Standort der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur - seit 1998 Kultur-Veranstaltungsort, u.a. im Rahmen der Ruhrtriennale Mont Cenis Herne 1871 Abteufung 1963 Einstellung der Kohleförderung 1978 Stilllegung „Akademiezeche“ - Akademie Mont Cenis (Stadtverwaltung, städtische Bibliothek, Café, Fortbildungsakademie NRW) - Stadtteilpark und Akademiegarten als Teil des „Emscher Landschaftsparks“ - jährlicher Kunsthandwerkermarkt „KUNST & DESIGN“ mit mehr als 60 Aussteller/innen - Veranstaltungsort im Rahmen der „Tage alter Musik in Herne” - Bürgersaal, u.a. für Theateraufführungen Rheinelbe Gelsenkirchen 1855 Abteufung 1974 Einstellung der Kohleförderung Schächte bis in die 60er Jahre, Halde bis 1999 in Betrieb „Zeche für Kunst, Fortbildung und Baukultur“ - Standort der Kultur Ruhr GmbH (u.a. Ruhrtriennale), des Europäischen Hauses der Stadtkultur und des Tagungshotels „lichthof“ des Bau- und Liegenschaftsbetriebes NRW - Atelierstandort vieler Künstler/innen, u.a. „Alte Schmiede“, „J.H. Stutzinger“ und die „Kunststation Rheinelbe“ von Bernd und Marion Mauß, „Teil der Galeriemeile Gelsenkirchen“ - Halde Rheinelbe, Ausflugsziel am Emscher Park Radweg, mit der Kunstinstallation „Himmelstreppe“ (seit 1999) und dem „Skulpturenwald“ - „gasblauer Kugelgasbehälter“ von Jürgen LIT Fischer und Peter Brdenk Bergmannsglück 1/2 1903 Abteufung Gelsenkirchen 1980 Einstellung der Kohleförderung 1982 Stilllegung „Zeche in Residence“ - seit 1983/1984 Nutzung der ehemaligen Werksfürsorge, des Gesundheitshauses und der zwei Torhäuser als Ateliers und Begegnungsstätten für Kunst (Künstler: Alfred Schmidt, Werner Thiel) - seit 2007 in der ehemaligen Elektrowerkstatt der Zeche Ausstellungsräume im „Alfred Schmidt Haus“, außerdem: Kulturveranstaltungen, Kunst-Kurse - „Forum Bergmannsglück“ mit dem Programm „artist in residence“ Zollverein Essen „Kraftzentrale“ - Zentrum der Kreativwirtschaft - Intern. Begegnungspunkt für Kulturprojekte, z.B. „WOMEX“, „ExtraSchicht“; „RUHR.2010“ 1847 Abteufung 1986 Einstellung der Kohleförderung 1993 Stilllegung Schachtanlage 1932 Abteufung Zollverein XII 1986 Einstellung der Kohleförderung 1993 Stilllegung STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann - „red dot design museum“, „Designzentrum NRW“ (Kesselhaus) - Ruhr Museum, Besucherzentrum Ruhr (Kohlenwäsche) - Stiftung Zollverein und Kulturbüro Essen (Elektrowerkstatt, Umformer- und Schalthaus) - Büros und Ateliers (Lagerhaus, mechanische Werkstatt) - Halle für temporäre Ausstellungen (Fördermaschinenhaus) - Ateliers, Shops, Veranstaltungshalle (Lesebandhalle) - Restaurant Casino Zollverein (Niederdruckkompressorenhaus) - Denkmalpfad Zollverein (Wagenumlauf) - Folkwang Universität für Musik, Theater, Tanz, Gestaltung, Wissenschaft (SANAA-Gebäude) 40 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Schachtanlagen 1847 Abteufung Zollverein 1/2/8 1932 Einstellung der Kohleförderung 1991 Stilllegung Kokerei 1957-1961 Bau der Zollverein Kokerei 1993 Einstellung der Verkokung und Stilllegung - PACT Zollverein - Choreografisches Zentrum NRW und Tanzlandschaft Ruhr (Waschkaue) - „Kunstschacht Zollverein“ (Maschinenhalle) - „designstadt zollverein“ - „Denkmalpfad Zollverein“ (Fördermaschinenhaus) - „Palast der Projekte“ von llya und Emilia Kabakov (Salzlager) - „Werksschwimmbad“ und „Sonnenrad“ (in den Sommermonaten) - „Eisbahn“ (in den Wintermonaten) - Denkmalpfad Kokerei (Mischanlage) Schachtanlagen Zollverein 4/5/11 1891 Abteufung 1932 Einstellung der Kohleförderung bis 1991 Bewetterung - Gründerzentrum ZukunftsZentrumZollverein (Triple Z), u.a. mit Veranstaltungsfirmen, Unternehmen des Buchmarktes, Design- und Werbebüros - „Stellwerk Zollverein e.V.“ mit Programm „Artist in Residence“ Schachtanlagen Zollverein 3/7/10 1880 Abteufung 1932 Einstellung der Kohleförderung 1987 Stilllegung - Bürger-, und Handwerkerpark Zollverein - „Erfahrungsfeld der Sinne“ von Hugo Kückelhaus (Fördermaschinenhaus) Minister Stein Dortmund 1871 Abteufung 1987 Einstellung der Kohleförderung 1989 Stilllegung „Disco-Zeche“ - „Neue Evinger Mitte“ um den Hammerkopfturm (u.a. Medien-Einzelhandel, Dienstleistungen, Wissenschaft, Kultur, Freizeit, Wohnen und Gewerbe) - Großdiskothek - Theateraufführungen in der Kaue (Theater Dortmund) Rheinpreussen 5/9* Moers 1900 Abteufung 1990 Einstellung der Kohleförderung 2001 Stilllegung „Party-Zeche“ - Gewerbestandort (Technologiepark Eurotec) - Fördergerüst und Fördermaschinenhaus (offenes Denkmal) - Großdiskothek - Wechselausstellungen in der Lohn- und Lichthalle - Lichtinstallation „Geleucht“ auf der Halde der „Zeche Rheinpreussen“ Radbod Hamm 1905 Abteufung 1990 Einstellung der Kohleförderung 1991 Stilllegung „Kulturzentrum“ - Soziokulturelles Zentrum „Kulturrevier Radbod“ (Haupteingangsbereich) mit Kulturveranstaltungen, u.a. Konzerte, Lesungen, Comedy-Abende - Künstlerateliers - Gewerbegebiet Radbod Consolidation 3/4/9 Gelsenkirchen 1871 Abteufung 1993 Einstellung der Kohleförderung 1996 Stilllegung „Musik- und Theaterzeche“ - Consol-Theater mit Kinder- u. Jugendtheater seit 2001 (Fördermaschinenhaus) - Musikprobenzentrum CONSOL4 seit 2005 - „Sammlung Thiel“ seit 2006 Ewald 1/2/7 Herten 1872 Abteufung 2000 Einstellung der Kohleförderung und Stilllegung „Zukunfts-Zeche“ - Eventstandort, z.B. der „ExtraSchicht“ (u.a. in der Lohn- und Lichthalle und in der Schwarzkaue) - „RevuePalast Ruhr“ seit 2009 (Heizzentrale) - Veranstaltungsort der „Internationalen Fototage Herten“ Fürst Leopold Dorsten 1910 Abteufung 2001 Einstellung der Kohleförderung 2008 Stilllegung „Creativquartier aus privater Hand“ - Kulturveranstaltungen (u.a. ExtraSchicht), Touristenführungen, Motorradtreff - „Creativ-Quartier Fürst Leopold“ mit Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft in der Entwicklungsphase - „Art Boarding House“, u.a. mit Künstlerateliers (Lohnhalle und Waschkaue) Lohberg Dinslaken 1909 Abteufung 2005 Einstellung der Kohleförderung und Stilllegung „Kreativ-Zeche“ - „Kreativ.Quartier“ mit Künstler/innen, Unternehmen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft, Kulturvereinen etc. - Veranstaltungsort der „ExtraSchicht“ * die anderen ehemaligen Schachtanlagen der „Zeche Rheinpreußen“ liegen auf Duisburger Stadtgebiet Quelle: STADTart 2010 STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 41 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Umnutzungsphase 2: „Ausbau- und Integrationsphase“: Auf die „Experimentier- oder Laissez-faire-Phase“ durch Kultur folgt zu Beginn der 70er Jahre die „Ausbau- und Integrationsphase“. Umgenutzt wird dabei weiterhin vorwiegend der kleinteilige Gebäudebestand der stillgelegten Zechenanlagen. Im Unterschied zu der vorherigen Phase werden die vorhandenen kulturbezogenen Bausteine wie etwa Künstler- und Atelierhäuser im Rahmen erster strategischer Entwicklungskonzepte jedoch bereits sehr gezielt eingesetzt. Das zeigt u.a. das Beispiel der Zeche „Rheinelbe“ in Gelsenkirchen. Umnutzungsphase 3: „Konzeptionsphase“: Seit Mitte der 90er Jahre werden von der RAG Montan Immobilien vor dem Hintergrund zahlreicher Erfolgsgeschichten der Umnutzung von Industrie- und Gewerbeimmobilien im Ruhrgebiet, nicht mehr nur kulturelle, sondern zunehmend auch Selbstständige und Unternehmen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft in die Nachfolgenutzung von Zechenanlagen integriert. Wie der noch junge und nicht abgeschlossene Entwicklungsprozess des „Kreativquartiers Lohberg“ in Dinslaken zeigt, wird aus entwicklungsstrategischen Gründen dabei auch auf eine Nutzung auf Zeit gesetzt. Jedoch erfolgt dies auf der Basis von auf diese Nutzergruppen zugeschnittenen Entwicklungskonzepten. Vereinzelt werden dabei große Teile des Gebäudebestandes miteinbezogen, etwa bei der „Zeche Zollverein“, bei der Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft die zentralen Nutzungsbausteine des Entwicklungskonzepts darstellen. Mit den Phasen der Umnutzung der stillgelegten Zechenanlagen der RAG Montan Immobilien durch Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft ist zumeist auch die Intensität der kulturbezogenen Nachnutzung verbunden. So überwiegen in der „Experimentier- und Laissez-faire Phase“ einige wenige kulturbezogene Nutzungsbausteine in öffentlicher oder zivilgesellschaftlicher Trägerschaft. Wie das Beispiel der „Zeche Zollverein“ in Essen, heute anerkannter Standort des UNESCO Weltkulturerbes, zeigt, sind demgegenüber in der „Konzeptionsphase“ sowohl Kultur als auch Kultur- und Kreativwirtschaft die prägenden Bausteine der nachindustriellen Nutzung. Bis auf die „Akademiezeche“ in Herne, einem Neubau, wird dabei fast durchweg auf den vorhandenen Gebäudebestand zurückgegriffen. Auch verbreitert sich in der Konzeptionsphase die Palette der kulturbezogenen Nutzungsbausteine (Übersicht 4.1). Das gilt sowohl hinsichtlich der Spartenvielfalt, die von Kunst über Musik bis zu Theater reicht, als auch hinsichtlich der Bedeutung für die Wertschöpfungskette in den unterschiedlichen Teilmärkten der Kultur- und Kreativwirtschaft. So erweitern Atelierhäuser oder das Musikprobenzentrum in Gelsenkirchen die Produktionsbereiche der jeweiligen Teilmärkte und fungieren partiell als informelle Inkubationszentren. Soziokulturelle Zentren wie das „Kulturrevier Radbod“ in Hamm oder der „RevuePalast Ruhr“ in Herten ergänzen beispielsweise den Distributionsbereich in der Musikwirtschaft und im Teilmarkt der Darstellenden Kunst in den jeweiligen Standortgemeinden bzw. der Region. Damit erstreckt sich die Palette der kulturbezogenen Nutzungsbausteine auf den stillgelegten Zechenanlagen der RAG Montan Immobilien auch auf alle vier Säulen des heutigen Kultursektors (Übersicht 3.0.1): Unter den Nutzungen befinden sich sowohl öffentlich geförderte Kultureinrichtungen wie etwa PACT Zollverein – Choreografisches Zentrum NRW, als auch Einrichtungen in zivilgesellschaftlicher Trägerschaft (z.B. das „ConsolTheater“ in Gelsenkirchen) sowie Selbstständige und Unternehmen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft (u.a. in der „designstadt zollverein“) bzw. einzelne Künstler/innen oder Künstlergruppen. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 42 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 5 Neue Zechenanlagen der Kultur: ein Streifzug durch 40 Jahre Umnutzung im Ruhrgebiet Die Umnutzung ehemaliger Zechenanlagen durch Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft in den vergangenen vier Jahrzehnten hat sich selbstverständlich nicht auf Standorte im Eigentum der RAG Montan Immobilien beschränkt. Neben den untersuchten Beispielen gibt es im Ruhrgebiet zahlreiche weitere stillgelegte Zechenanlagen, auf denen heute Künstler/innen, Büros der Kultur- und Kreativwirtschaft, Veranstaltungsräume für Kultur und/oder Kultureinrichtungen zu finden sind, darunter vielfach in denkmalgeschützten Gebäuden (Übersicht 5.1). Dazu zählt etwa die frühere Direktorenvilla der „Zeche Concordia“ in Oberhausen, die bereits in den 1950er Jahren als Geschäftsstelle für die „Westdeutschen Kurzfilmtage“ fungierte. Die Vielzahl an großen und kleinen Bespielen, die teilweise auch die Umnutzung der untersuchten Zechenanlagen im Besitz der RAG Montan Immobilien beeinflusst haben dürften (Kapitel 3), hat das Image des Ruhrgebiets als Industriestandort nachhaltig verändert und zur Reputation als eine lebendige Kulturregion beigetragen. Umgenutzte Zechengebäude: neue Locations für Rock- und Pop-Konzerte, Künstlerwerkstätten und Museen Bereits in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren sind kulturelle Nutzungen auf stillgelegten Zechenanlagen im Ruhrgebiet schon keine Seltenheit mehr. Vorzüge, wie ein außergewöhnliches Ambiente und günstige Mieten machen die Maschinenhallen, Waschkauen, Lohnhallen, Verwaltungsgebäude etc. für die unterschiedlichen Nutzergruppen aus dem Kultursektor interessant. Insbesondere werden die Gebäude als Veranstaltungsorte für Musik, Theater und als Künstlerwerkstätten genutzt. Sie fungieren darüber hinaus als Treffpunkte für Studierende und ermöglichen die Entwicklung unterschiedlichster kultureller Szenen. Viele dieser Angebote und Einrichtungen, wie etwa Museen, zählen heute zu den prägenden kulturellen Marken des Ruhrgebiets. Eines der bekanntesten Beispiel hierfür ist die „Zeche Carl“ in Essen-Altenessen, 1977 als Kultur- und Initiativzentrum gegründet. Das langjährige Bestehen dieses soziokulturellen Zentrums mit einem ruhrgebietsweiten Einzugsgebiet verdankt sich einem bunten Programmangebot mit Konzerten, Kabarett, Ausstellungen, Partys etc. Eine weitere kulturelle Marke der Region ist die „Zeche Bochum“, die 1981 in der ehemaligen Schlosserei der Zeche „Prinz Regent“ im Bochum-Weitmar eröffnet wurde. Zunächst von der Stadt als Kulturzentrum gefördert, ist die „Zeche Bochum“ heute in erwerbswirtschaftlicher Trägerschaft. Jährlich etwa 20 Großkonzerte mit zumeist international bekannten Stars (z.B. Chris Rea, Herbert Grönemeyer, Rio Reiser, Tina Turner) locken jährlich 250.000 bis 300.000 Besucher/innen an. Locations wie diese haben die Rock-, Pop- und Szenekultur im Ruhrgebiet seit den 1980er Jahren geprägt. Vereinzelt wurden auch schon in dieser Frühphase Zechengebäude von Künstler/innen übernommen. Hierzu zählt das 1983 in der ehemaligen Waschkaue und in dem Betriebsgebäude der bereits 1891 stillgelegten „Zeche Westphalia“ eröffnete Künstlerhaus Dortmund. Davor befand sich in den Räumlichkeiten die Fachhochschule für Design. Das Künstlerhaus Dortmund ist bis heute ein selbstorganisiertes Ausstellungs- und Atelierhaus, das mit finanzieller Unterstützung der Stadt Dortmund ehrenamtlich geführt wird. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 43 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Übersicht 5.1: Zeche Ausgewählte stillgelegte Zechen im Ruhrgebiet mit kulturellen bzw. kulturwirtschaftlichen Nutzungen Ort Letzter Betreiber/Besitzer Abteufung/ Stilllegung Denkmalschutz Heutige kulturelle/kulturwirtschaftliche Nutzung Westphalia Dortmund Hoesch AG 1853/1891 k.A. Künstlerhaus Dortmund, Gewerbe- und Industriegebiet Westphalia Nachtigall Witten Gewerkschaft HeleneNachtigall 1714/1896 ja Museum (Feldbahnverbindung, Nachtigall-Stollen) Carl Essen 1919 Hoesch AG 1855/1929 ja – Dampfkesselgebäude und Malakowturm Initiativzentrum Zeche Carl e.V., Kulturzentrum mit Kulturprogramm, politische Institutionen, Selbsthilfegruppen, Offener Kanal Essen Oberhausen Oberhausen Hüttenwerke Oberhausen AG 1857/1932 – Event-Location, Hostel Prinz Regent Bochum 1945 Bochumer Bergbau AG 1870/1960 k.A. Prinz Regent Theater, Die Zeche (Konzerte, Partys, Restaurant) Friedlicher Nachbar Bochum 1904 DeutschLuxemburgischen Bergwerks- und Hütten-AG 1855/1961 k.A. Maschinenhalle Friedlicher Nachbar (Messen, Kunstund Kulturausstellungen; Designkiosk Ruhr.2010); Inhaber verbindet Wohnen, Atelier und Werkstatt Helene Essen Bergwerke EssenRossenay AG 1868/1965 ja - Verwaltungs-, Helenenpark, Zentrum für Sport und Freizeit (u.a. InKauengebäude stitut für Tanz- und Bewegungsdynamik) Königin Elisabeth Essen Mannesmann AG 1847/1966 ja – Maschinenhalle Kunstgalerie „Zeche Königin Elisabeth“ in der Maschinenhalle; Gewerbegebiet Lothringen Bochum Eschweiler Bergwerksverein (EBV) 1872/1967 ja Kulturwirtschaftliches Gründerzentrum „Kulturwerk Lothringen“ Concordia Oberhausen Schering AG 1850/1968 – Jugend- und Kulturzentrum „Druckluft“, Westdeutsche Kurzfilmtage, Neubausiedlung, Büro Zentrum Zollern Dortmund Vereinigte Stahlwerke, Gelsenkirchener Bergwerks-AG, 1965 Übernahme durch RAG 1898/1971 ja – Maschinenhalle und Industrieanlage Museum (Westfälisches Industriemuseum), Veranstaltungs- und Tagungsort (z.B. Klavierfestival Ruhr, Prunksitzungen, Theater), Restaurant Sachsen Hamm RAG (1970) 1912/1976 ja – Verwaltungs- Ökol. orientierter Gewerbepark (Öko-Zentrum NRW), gebäude, MaSRH Fachhochschule Hamm, Alfred Fischer Halle schinenhalle (ehem. Maschinenhalle) Recklinghausen Recklinghausen Harpeuer Bergbau AG 1882/1977 ja – Tagesanlage Stadtteilzentrum, Tanzsportzentrum RecklinghausenSchacht I Hochlarmark, Vestisches Museum Waltrop Waltrop RAG 1903/1979 ja Hansa Dortmund RAG nutzt heute 2 Schächte zur zentralen Wasserhaltung 1869/1980 ja – Werkstattge- Alte Schmiede (Kultur- und Veranstaltungsstätte), bäude Deutsche Annington Westfalen GmbH, Gewerbepark Hansa Königsborn Bönen Klöckner AG 1898/1981 ja Yellow Marker - Lichtkunst am Ostpol Erin CastropRauxel Eschweiler Bergwerksverein (EBV) 1867/1983 ja- Fördertürme Schacht 3 und 7 Technologie- und Gewerbepark Bonifacius Essen Gelsenkirchener Bergwerks-AG Nordstern Gelsenkirchen Zusammenschluss mit Zollverein 1982, 1986 von Consol übernommen 1857/1980er ja – Betriebsgebäude 1857/1993 k.A. „Manufactum“, Architekturbüro Kultur- und Tagungshotel „Alte Lohnhalle“ Nordsternpark (1997 Gelände der BUGA) Quelle: STADTart 2009 STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 44 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Ein ebenfalls sehr frühes Beispiel der Umnutzung durch Kultur ist die „Zeche Zollern II/IV“ in DortmundBövinghausen. Errichtet zwischen 1898 und 1904, wurde diese Anlage vom Landschaftsverband Westfalen Lippe sukzessiv restauriert. Im Jahre 1979 wurde in der weitgehend als Ensemble erhaltenen Zeche das erste Museum der Region für Industriekultur eröffnet. Die dazugehörende Maschinenhalle ist das erste in Deutschland unter Denkmalschutz gestellte Industriegebäude. Heute ist die „Zeche Zollern II/IV“ der Hauptstandort des Westfälischen Landesmuseums für Industriekultur. Es zählt mit den Standorten „Zeche Nachtigall“ in Witten (stillgelegt 1892, seit 1970 unter Denkmalschutz, Museumseröffnung 2003) und „Zeche Hannover“ in Bochum, u.a. mit dem Kinderbergwerk „Zeche Knirps“ (stillgelegt 1973, Museumseröffnung 1995) zu den wichtigsten Museen zur Sozial- und Kulturgeschichte des Ruhrgebiets. Neue Impulse zur Umnutzung durch Kultur im Rahmen der IBA Emscher Park Im Rahmen der IBA Emscher Park, dem Zukunftsprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen für das nördliche Ruhrgebiet, wurden von 1989 bis 1999 zahlreiche Projekte auf stillgelegten Zechenstandorten verwirklicht, so etwa die „Galerie für Architektur und Arbeit“ auf der ehemaligen Zeche „Consolidation“ in Gelsenkirchen – heute zentraler Veranstaltungsort des Europäischen Hauses der Stadtkultur. Dabei haben die Projekte unter dem Leitthema „Arbeiten im Park“ dazu geführt, dass ehemalige Zechenanlagen auch zu Gunsten der sich entwickelnden Kultur- und Kreativwirtschaft umgenutzt worden sind. Zu diesen IBA-Projekten zählt beispielsweise der Dienstleistungs- und Gewerbepark Erin auf dem Gelände der „Zeche Erin“ in Castrop-Rauxel, heute u.a. Standort des „Galeriehauses Grosche“. Auch die „Zeche Waltrop“ (stillgelegt 1979) gehört zu diesen Projekten. Die elf historischen Zechengebäude, u.a. Maschinenhallen, Lohnhalle/Kaue/Magazin, Zentralwerkstatt, Schalthalle und Lokschuppen bilden ein besonders attraktives architektonisches Ensemble. Bis Ende 1998 wurden alle Zechengebäude an neue Nutzer verkauft, darunter an das Versandunternehmen „Manufactum“, das mit seinen Gebrauchsgegenständen von hoher Qualität und ansprechendem Design bundesweit bekannt ist. Auch der „Nordsternpark“ in Gelsenkirchen, einer der Standorte der Route der Industriekultur“ war ein Projekt der IBA Emscher Park, weitere Standorte der touristischen Route sind u.a. die „Zeche Zollverein“ in Essen (Kapitel 3.6) und der „Maximilianpark“ auf dem Gelände der „Zeche Maximilian“ in Hamm. Im Jahr 1997 fand auf dem Gelände der ehemaligen „Zeche Nordstern“ die Bundesgartenschau statt. Seit dieser Zeit gibt es unmittelbar am Rhein-Herne-Kanal auch das Amphitheater in dem regelmäßig Konzerte (u.a. mit den Scorpions, Wolfsheim, Wir sind Helden, Peter Gabriel, Pink) und Festivals sowie OpenAir-Kino-Veranstaltungen stattfinden. Darüber hinaus wurden noch weitere Zechenanlagen im Ruhrgebiet neuen kulturellen Nutzungen zugeführt. Beispiele hierfür sind der „KunstWald Teutoburgia“, seit 1995 auf der ehemaligen „Zeche Teutoburgia“ in Herne (stillgelegt 1925), und der „Veranstaltungspark“ im OLGAPark auf dem Gelände der „Zeche Osterfeld“ in Oberhausen, der 1999 Standort der Landesgartenschau war. Zu den dort inzwischen etablierten Kulturveranstaltungen zählen „Ruhr in Love“ und „Olgas Rock“. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 45 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Übersicht 5.2: Die Umnutzung von ehemaligen Zechenanlagen im Rahmen von ausgewählten Initiativen, Projekten, Studien, Programmen und Veranstaltungen zur kulturellen Modernisierung des Ruhrgebiets (1980 – 2010) Quelle: STADTart 2010 STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 46 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Vom passiven zum aktiven Strukturwandel Angeregt durch die Erfolge bei der Umnutzung ehemaliger Zechenanlagen durch Kultur sowie Kulturund Kreativwirtschaft, dem wachsenden Zuspruch zu dieser Strategie in und außerhalb des Ruhrgebiets und der höheren Akzeptanz für solche Zwecke in der Immobilienwirtschaft, sind bereits parallel zur IBA, vor allem jedoch in den letzten zehn Jahren weitere stillgelegte Zechenanlagen oder einzelne Gebäude entsprechend umgenutzt worden (Übersicht 5.2). Ein Beispiel hierfür ist die ehemalige Maschinenhalle der Zeche „Friedlicher Nachbar“ (1961 stillgelegt) in Bochum-Linden, die 1995 in erwerbswirtschaftlicher Trägerschaft zu einem Veranstaltungsort umgebaut worden ist. Seither finden hier regelmäßig Kunstund Design-Messen sowie Lesungen statt, ebenso wird seitens des Eigentümers ein Designpreis vergeben. Stärker wirtschaftlich ausgerichtet ist das mit Unterstützung des Landes 2006 eröffnete Gründerzentrum „Kulturwerk Lothringen“ für Kulturwirtschaft auf der umgebauten „Zeche Lothringen“ in Bochum-Gerthe. Das Gründungszentrum bietet in zwei historischen Zechengebäuden Räumlichkeiten für Existenzgründer/innen und junge Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft. Auch übernehmen zwischenzeitlich manche zivilgesellschaftliche Gruppen stillgelegte Zechenanlagen oder gründen Initiativen zur Übernahme einzelner Gebäude (z.B. auf der „Zeche Monopol“ in Kamen). Beispielsweise organisiert ein Interessenverein auf der „Zeche Hansa“ in Dortmund für das Kulturzentrum „Alte Schmiede“ das Kulturprogramm und vermietet die Räumlichkeiten an Vereine im Stadtteil. In Bönen hat eine Bürgerstiftung die Trägerschaft für den Förderturm der stillgelegten „Zeche Königsborn“ übernommen und es wird in dessen Räumen seit Jahren ein kulturelles Programm angeboten. Der weithin sichtbare Turm, 1999 von dem Lichtkünstler Mischa Kuball als „Yellow Marker“ gestaltet, ist zudem der „Ostpol“ bzw. die östlichste Landmarke des Ruhrgebiets. Zudem entstanden in den letzten Jahren für die seit Jahren zunehmende Anzahl an „Kreativen“ im Ruhrgebiet Atelierhäuser, etwa auf der 1966 stillgelegten „Zeche Königin Elisabeth“ in Essen, auf der seit 1995 Künstler/innen und Fotograf/innen, Architekt/innen und Designer/innen der Universität Essen wohnen und arbeiten. Zudem ist die Nutzung von Zechenanlagen für größere und kleinere Veranstaltungen der Kultur ungebrochen. Die ehemalige Maschinenhalle der „Zeche Sachsen“ in Hamm – heute „AlfredFischer-Halle“ – gehört seit 2003 zu den großen Kulturveranstaltungshallen von Stadt und Region. Sie wird für Aufführungen u.a. im Rahmen des Programms „KlassikSommer Hamm“, dem „Klavier-FestivalRuhr“ und der „RuhrTriennale“ genutzt. In der „Galerie Zeche Königin Elisabeth“ finden seit 1999 Ausstellungen, Konzerte, Lesungen und andere kulturelle Veranstaltungen statt und vor fünf Jahren wurde die „Zeche Bonifacius“ in Essen-Kray zum Kultur- und Tagungshotel „Alte Lohnhalle“ umgebaut. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 47 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet 6 „Kultur und Kohle“: Effekte für die Region und Schlussfolgerungen für die Entwicklung untergenutzter Industrieflächen Die skizzierte Umnutzung stillgelegter Zechenanlagen im Ruhrgebiet seitens der RAG Montan Immobilien GmbH und anderer Immobilieneigentümer zeigt, dass Nutzungsbausteine der Kultur bzw. der Kulturund Kreativwirtschaft die Inwertsetzung der Gewerbeflächen gefördert haben. Bei manchen ehemaligen Zechen war dies ausgeprägter der Fall als bei anderen und erfolgte in der Frühphase eher punktuell und experimentell. In letzter Zeit werden dagegen an einigen ausgewählten Standorten verstärkt konzeptionelle Ansätze verfolgt. Mit der Inwertsetzung durch Kultur bzw. Kultur- und Kreativwirtschaft sind eine Reihe an positiven Effekten für die Entwicklung des Ruhrgebiets verbunden. Dies gilt insbesondere für die Emscherzone, also jenem Teilraum der Region, der im Vergleich zur Hellwegzone u.a. aufgrund des nicht so stark entwickelten Dienstleistungssektors, eines von Mittelzentren geprägten Raums und eines daher zumeist geringeren Besatzes an kulturellen Infrastruktureinrichtungen teilweise schwierigere Entwicklungsbedingungen für Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft aufweist. Noch ist die kulturbezogene Umnutzung ehemaliger Zechenanlagen im Ruhrgebiet nicht vollständig abgeschlossen. Die Immobilienwirtschaft der Region wird auch in den kommenden Jahren vor der Aufgabe stehen für diese Immobilien bzw. für andere untergenutzte Industrie- und Gewerbeflächen erfolgversprechende Umnutzungskonzepte und Strategien zu entwickeln. Dabei kann auf die Erfolge und Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zurückgegriffen werden. 6.1 Effekte für die Entwicklung des Ruhrgebiets Mit der Umnutzung ehemaliger Zechenanlagen durch Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft, vielfach unterstützt im Rahmen öffentlicher Förderprogramme und Initiativen des Landes Nordrhein-Westfalen, darunter vor allem der IBA Emscher Park (1989-1999), sind für die Entwicklung des Ruhrgebiets eine Reihe an Effekten verbunden. Dazu zählen insbesondere: die nachholende kulturelle Modernisierung des Ruhrgebiets und Neuinterpretation des industriell geprägten Raumbildes, der Beitrag zur Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft im Ruhrgebiet, Impulse für die Immobilienwirtschaft der Region, Anstöße für die Entwicklung von Quartieren und die Verbesserung der Rahmenbedingungen für andere zukunftsrelevante Branchen und die Tourismuswirtschaft. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 48 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Nachholende kulturelle Modernisierung des Ruhrgebiets und Neuinterpretation des industriell geprägten Raumbildes Die aus der Umnutzung der ehemaligen Zechenanlagen hervorgegangenen Künstler- und Atelierhäuser, soziokulturellen Zentren, Veranstaltungsorte und Kultureinrichtungen gab es im Ruhrgebiet zuvor entweder gar nicht (wie z.B. die „Zeche“ in Bochum, der „RevuePalast“ in Herten) oder nur punktuell bzw. in einem deutlich kleineren Maßstab (u.a. das Musikprobenzentrum auf „Consolidation 3/4/9“ in Gelsenkirchen-Bismarck). Mit diesen kulturellen Nutzungsbausteinen wurde daher die kulturelle Modernisierung des Ruhrgebiets, die in manchen Städten im Rahmen einer nachholenden Urbanisierungsstrategie in den 90er Jahren auch Programm war (z.B. in Dortmund), in zweifacher Hinsicht unterstützt: Zum einen wurde auf diese Weise ein nachhaltiger Beitrag zu der für Metropolregionen charakteristischen Ausdifferenzierung des kulturellen Angebots geleistet. Bis heute spricht dieses erweiterte Angebot vor allem die aus der Gründung der Ruhrgebiets-Universitäten hervorgegangenen und in die Region zugewanderten studentisch geprägten Lebensstilgruppen und deren kulturelle Interessen an. Zum anderen ist durch diese kulturbezogenen Nutzungsbausteine auf den ehemaligen Zechenanlagen auch die traditionelle Kultur des Ruhrgebiets als Lebensweise auf breiter Linie und jenseits des für die Region bis dahin prägenden Sport- und Freizeitbereichs zukunftsorientiert modernisiert worden. Darüber hinaus hat die kulturbezogene Inwertsetzung der ehemaligen Zechenanlagen das industriebezogene Raumbild des Ruhrgebiets modernisiert. Heute symbolisieren insbesondere kulturell umgenutzte Zechenanlagen und Stahlwerke nach Innen wie nach Außen das neue Ruhrgebiet. Mit der temporären experimentellen Nutzung der Industriekultur, bis in die 70er Jahre hinein eine ungewöhnliche Praxis, waren vor allem bis Ende der 90er Jahre überregional wahrgenommene und imagerelevante Aufmerksamkeitseffekte für das Ruhrgebiet verbunden. Dies hat angesichts der positiven Konnotation von Kunst und Kultur die Reputation der Region nachhaltig positiv verändert. Damit gingen vom Ruhrgebiet in manchen Kunstsparten auch neue Impulse aus (z.B. bei Rauminstallationen) und wurden einige Künstler/innen in ihrer beruflichen Karriere unterstützt. Darauf haben im Laufe der Jahre die überregionalen und auch internationalen Medien reagiert und verstärkt über das Ruhrgebiet als Kulturregion berichtet. Insbesondere wäre die Wahl des Ruhrgebiets zur Kulturhauptstadt Europas im Jahre 2010, der RUHR.2010, ohne die zahlreichen kleinen und großen Bemühungen Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen zu ermöglichen, kaum erfolgreich gewesen. Dabei spielt das Aushängeschild der „Zeche Zollverein“ in Essen als UNESCO-Weltkulturerbe eine herausragende Rolle (Übersicht 6.1.1). Beitrag zur nachholenden Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft im Ruhrgebiet Neben der Nutzung ehemaliger Zechenanlagen als Kultureinrichtung und Veranstaltungsort wie etwa der Zeche „Zweckel“ in Gladbeck sind auch Ateliers für Künstler/innen, Designer/innen oder Musiker/innen entstanden, also für den „Kreativen Kern“ der Kultur- und Kreativwirtschaft. Dies erfolgte, wie das Beispiel der Zeche „Unser Fritz“ in Herne zeigt, in der Frühphase zunächst nur sehr punktuell und hinsichtlich der bereitgestellten bzw. vermieteten Restflächen in kaum nennenswertem Umfang. Dies hat sich im Laufe der Jahre deutlich verändert. „Kreative“ sind heute an manchen Standorten ein zentraler Baustein STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 49 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Übersicht 6.1.1: Ehemalige Zechenanlage als neue Sehenswürdigkeit im Rahmen der Werbekampagne der RUHR.2010 Quelle: http://www.essen-fuer-das-ruhrgebiet.ruhr2010.de (März 2011) der Folgenutzung, beispielsweise bei der Entwicklung des „Kreativ.Quartiers Lohberg“ in Dinslaken. Erfahrungsgemäß fungieren solche Atelier- oder Künstlerhäuser im Laufe der Jahre als informelle Inkubationszentren der Kultur- und Kreativwirtschaft und unterstützen mittelfristig die Selbstständigkeit und die Gründung von Unternehmen. Gewerbebetriebe dieser Wirtschaftsbranche hatten über Jahre hinweg u.a. aufgrund alternativer Möglichkeiten bei oftmals besseren Lage- und Standortbedingungen wenig Interesse an solchen Standorten. Dies hat sich jedoch in den letzten Jahren im Rahmen von Initiativen des Landes Nordrhein-Westfalen zur Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft bzw. von Maßnahmen der Städte durch neu geschaffene und breiter aufgestellte Gründungszentren wie das „Triple Z“, die „Designstadt“ auf der ehemaligen Zeche „Zollverein“ in Essen und dem 2006 in Bochum auf der stillgelegten Zeche „Lothringen“ eröffneten „Kulturwerk Lothringen“ geändert, einem Gründungszentrum vor allem für die Kultur- und Kreativwirtschaft. Im Kontext der breiten kulturellen Modernisierung der Region wurden dadurch die Rahmenbedingungen zur Entwicklung der vorhandenen, aber viele Jahre wenig wahrgenommen und unzureichend genutzten Potenziale der Kultur- und Kreativwirtschaft im Ruhrgebiet nachhaltig verbessert. Damit ist die Basis für die Schaffung von weiteren Arbeitsplätzen geschaffen worden („jobs follow people“). STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 50 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Impulse für die Immobilienwirtschaft der Region Die skizzierten Umnutzungsprozesse ehemaliger Zechenanlagen zeigen, dass erst mit deren kulturbezogenen Nutzung die von der Immobilienwirtschaft aufgrund mancher Nachteile oftmals vernachlässigten Standorte bekannt wurden. Diese „kulturelle Aufwertungs- und Aufmerksamkeitsstrategie“ hat teilweise die Vermarktungschancen dieser Flächen auch für andere Nutzungen verbessert. Zudem wurden damit vielfach vorhandene mentale Barrieren hinsichtlich der Nachfrage nach solchen Flächen abgebaut und Erfahrungen im Umgang mit altindustrieller Bausubstanz gesammelt. Damit verfügt die Immobilienwirtschaft in der Region heute über ein fast einmaliges explizites und implizites Wissen in diesem Handlungsfeld. Bis heute wirkt sich dies positiv bei der Transformation anderer Industrie- und Gewerbeimmobilien sowie Infrastruktureinrichtungen der Region aus. Angesichts der zahlreichen Erfolge bei der Umnutzung durch Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft werden zwischenzeitlich solche Konzepte auch von anderen Investoren in der Immobilienwirtschaft verfolgt. Das zeigen etwa die Initiativen zur Entwicklung der ehemaligen Zeche „Fürst Leopold“ in Dorsten. Darüber hinaus ist das Wissen über erfolgversprechende Transformationsstrategien durch Kultur zunehmend auch außerhalb des Ruhrgebiets und nicht nur in anderen altindustriellen Regionen gefragt. Das belegt die seit Jahren zu beobachtende weltweite Präsenz des Ruhrgebiets auf Tagungen und Konferenzen sowie in Publikationen zu diesem auch in anderen Ländern bedeutsamen Handlungsfeldes und der Besuch von Stadtplaner/innen, Wirtschaftsförderern etc. aus dem Ausland. Anstöße für die Quartiersentwicklung Trotz dieser Erfolge bei der Inwertsetzung ehemaliger Zechenstandorte durch Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft, ist bei den untersuchten Fallbeispielen und bei vergleichbaren Initiativen an anderen Standorten des Ruhrgebiets aber auch erkennbar, dass die Bausteine selten positive, sich selbst verstärkende kleinräumige Entwicklungsprozesse auslösen. Vielfach fehlt die hierfür erforderliche „kritische Masse“. Die neuen Angebotsbausteine konnten sich damit bis auf wenige Ausnahmen kaum trendumkehrend auf die Entwicklung der angrenzenden Quartiere und Stadtteile auswirken. Erfolgreich scheinen vor allem solche Standorte zu sein, die im Laufe der Jahre zusätzlich dazu passende Nutzungspotenziale erschließen können (z.B. in Gelsenkirchen im Umfeld der Zeche „Rheinelbe“) oder explizit auf Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft setzen und diese Inwertsetzungsstrategie von den Nutzergruppen unterstützt und von der Entwicklungsgesellschaft über Jahre aktiv verfolgt wird, wie etwa bei der ehemaligen Zeche „Zollverein“ in Essen. Dabei sind die Bedingungen an diesem Standort nicht unbedingt optimal, etwa hinsichtlich der Lage in der Stadt und der Erreichbarkeit. Zur Aufwertung von Stadtteilen im Umfeld stillgelegter Zechenanlagen bedarf es ergänzender Angebote. Dazu können Aus- und Fortbildungseinrichtungen zählen. In Essen ist dies mit der Verlagerung des Fachbereichs Gestaltung der Folkwang-Universität auf das Gelände der ehemaligen Zeche „Zollverein“ erfolgt. Die damit verbundene steigende Nachfrage nach Studentenwohnungen im Umfeld dieser Ausbildungseinrichtung und nach entsprechenden Dienstleistungen bzw. Gastronomieangeboten sowie manche spin-off Effekte dürften sich in den kommenden Jahren vermutlich in einer Steigerung der Standortattraktivität des Stadtteils Katernberg niederschlagen. In sozialer Hinsicht problematische Gentrifizierungsprozesse, wie sie beispielsweise STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 51 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet punktuell in Berlin oder Hamburg zu beobachten sind, werden solche ergänzenden Maßnahmen nicht auslösen. Die hierfür benötigte wirtschaftliche Dynamik kann das Ruhrgebiet zurzeit nicht aufweisen, auch sind Flächenengpässe auf absehbare Zeit nicht erkennbar. Verbesserung der Entwicklungsbedingungen für zukunftsrelevante Branchen und Tourismus Die kulturbezogenen Nachnutzungen ehemaliger Bergbaubetriebsanlagen haben nicht nur dazu beigetragen, dass im Ruhrgebiet der vom ehemaligen Bundeskanzler Brandt anlässlich der Kohlekrise eingeforderte „blaue Himmel“ Realität geworden ist und sich die Lebensqualität der Region für die neuen Lebensstilgruppen verbessert hat. Damit hat sich gleichzeitig die Standortattraktivität des Ruhrgebiets für andere Branchen erhöht. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der überwiegend kulturaffinen Wissensindustrien, einer für den Strukturwandel der Region ebenfalls bedeutsamen Wirtschaftsbranche (Landeshauptstadt München 2007). Die kulturbezogenen Umnutzungen der ehemaligen Zechenanlagen und anderer attraktiver Immobilien haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass viele Talente dieser Branche, die in den letzten Jahren über die Universitäten der Region zugewandert sind, im Ruhrgebiet gehalten werden konnten. Darüber hinaus ist der sich seit einigen Jahren entwickelnde Ruhrgebietstourismus ohne die durch Kultur und Kultur- und Kreativwirtschaft umgenutzten Zechenstandorte kaum denkbar. Das betrifft insbesondere das in den vergangenen Jahren wachsende touristische Segment der Übersicht 6.1.2: Einbindung der durch Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft umgenutzten ausgewählten Zechenanlagen im Rahmen der Kulturveranstaltung „ExtraSchicht – Die Nacht der Industriekultur“ (2010) Quelle: STADTart 2010, nach Ruhrgebiet Tourismus Management GmbH 2010: ExtraSchicht-Mobilitätsplan STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 52 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Industriekultur. Wie die „Route der Industriekultur“ und die Veranstaltung der „ExtraSchicht“ zeigen (Übersicht 6.1.2), zählen die skizzierten ehemaligen Zechenstandorte gemeinsam mit einigen stillgelegten Stahlwerken zu den touristischen „Highlights“ der Region. Darüber hinaus haben die Standorte als „Bühnen“ auch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hinsichtlich der zunehmenden Akzeptanz neuer Kulturveranstaltungen wie dem „Klavierfestival Ruhr“ oder der „RuhrTriennale“ bei Besucher/innen von außerhalb der Region. Davon profitiert auch die lokale und regionale Tourismuswirtschaft. 6.2 Schlussfolgerungen zur Entwicklung untergenutzter Industrieflächen im Ruhrgebiet durch Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft Das Ruhrgebiet hat seit der ersten Kohlekrise in den 50er Jahren einen grundlegenden strukturellen Wandel vollzogen. Im Rahmen einer „nachholenden Urbanisierung“ haben dabei in den vergangenen 50 Jahren Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft eine nicht unwesentliche Rolle gespielt und die Entwicklungsbedingungen der Region in vielerlei Hinsicht verbessert. Das zeigen die skizzierten kulturbezogenen Nachnutzungen ehemaliger Zechenstandorte der RAG Montan Immobilien bzw. anderer Eigentümer und die damit verbundenen Effekte für die Region. Doch ist dieser Transformationsprozess noch nicht abgeschlossen. Das gilt sowohl für kleinere, schon vor Jahren stillgelegte Zechenstandorte wie etwa der Zeche „Monopol“ in Kamen und deren Gebäudepotenziale als auch für andere ehemalige Großanlagen der Industriekultur wie etwa der Stahlindustrie oder der Energiewirtschaft. Angepasst an die heutige Situation bieten sich hierbei die über viele Jahre gewonnenen Erfahrungen der RAG Montan Immobilien mit dem konzeptionellen Ansatz von „Kultur und Kohle“ an. Im Unterschied zur gängigen Standort- und Immobilienentwicklung wie etwa der Aufbereitung für eine zuvor über Bebauungspläne festgelegte neue Nutzung, kommt es dabei vor allem darauf an, zielgerichtete, aber sowohl zeitlich als auch inhaltlich im Detail flexible Aneignungs- und Entwicklungsprozesse durch Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft anzuregen und im Rahmen der Möglichkeiten seitens der Immobilienwirtschaft und der Städte kooperativ zu unterstützen. Je nach Situation kann dies bedeuten, dass Kommunikationsprozesse mit den kulturbezogenen Nutzer/innen, Hilfestellungen etc. phasenweise einen höheren Stellenwert einnehmen als aufwändige Gebäudeinvestitionen. Prozesse, bei denen auf diese Weise „Standorte gemacht“ werden, erfordern jedoch nicht nur einen Strategiewechsel bzw. integrierte Konzepte. Die Einbindung der Nutzer/innen aus dem Kultursektor und die Aneignungsprozesse benötigen einen „Mentalitätswandel“ der Planung. Vor diesem Hintergrund sollte bei der zukünftigen Entwicklung ehemaliger Zechenanlagen durch kulturelle Nutzungen wie folgt verfahren werden: Ehemalige Gewerbe- und Industrieflächen vorab auf ihre Eignung für Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft überprüfen und eventuell Kompensationsmaßnahmen ergreifen: Wie die in vielen Städten zu beobachtende räumliche Konzentration der Selbstständigen und Unternehmen der Kulturund Kreativwirtschaft in den Zentren und deren Randgebieten zeigt, weisen nicht alle untergenutzten Gewerbe- und Industrieflächen eine Lagegunst auf bzw. habe geeignete Raumpotenziale. Nach Einschätzung der Standorteignung und regionaler Nachfragebedingungen ist daher anschließend zu STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 53 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet überprüfen, ob überhaupt und gegebenenfalls durch welche geeigneten Maßnahmen wie etwa günstige Mietpreise oder Unterstützung bei der Instandsetzung solche Standortnachteile kompensiert werden können. Seitens der Immobilienwirtschaft eine aktive Bestandsentwicklung betreiben: Die Bereitstellung preisgünstiger Räumlichkeiten im Rahmen einer „Angebotspolitik“ reicht heute im Ruhrgebiet angesichts des Umfangs, der Raumaufteilung etc. mancher Objekte, den regionalen Marktbedingungen für Immobilien etc. für eine erfolgreiche Umnutzung durch Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft zumeist nicht mehr aus. Es sind daher auf der Basis von im Detail flexiblen Entwicklungskonzepten für die jeweilige Immobilie zusätzliche Kommunikations- und Vermarktungsstrategien sowie temporäre Nutzungskonzepte mit einer Laufzeit von fünf bis zehn Jahren erforderlich (u.a. Forum Baulandmanagement 2008). Nur in diesem zeitlichen Rahmen rechnen sich die seitens der Nutzer/innen vielfach selbst getätigten Investitionen. Eventuell notwendige aufwändige Instandsetzungsmaßnahmen sollten in enger Abstimmung mit den kulturbezogenen Nutzer/innen vorgenommen werden. Sich bei untergenutzten Gewerbe- und Industrieflächen auf „Entwicklungsinseln“ mit „Adressfunktion“ konzentrieren: Da die Kultur- und Kreativwirtschaft überwiegend kleinteilig strukturiert ist, werden von der „kulturellen Kreativen Klasse“ der Künstler/innen etc. und den Unternehmen vor allem Gebäude mit einer entsprechenden Raumstruktur bevorzugt. Die Gebäude sollten unter den Bedingungen der Selbstorganisation darüber hinaus nicht zu groß sein und wenn möglich eine „Adressfunktion“ entwickeln können. Zu Beginn der Umnutzung durch Kultur sollte sich eine aktive Entwicklungsstrategie auf diese Bestände als „Entwicklungsinseln“ konzentrieren. Themenkonzepte erarbeiten und flexibel umsetzen: Angesichts der ausgeprägten Projektabhängigkeit der meisten Selbstständigen und kleineren Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft sowie deren spezifischen Standortanforderungen (z.B. der Nutzungsvielfalt) empfehlen sich darüber hinaus in manchen Fällen themenbezogene, jedoch nicht zu eng festgelegte Entwicklungskonzepte (wie z.B. beim „Kreativ.Quartier Lohberg“ in Dinslaken). Solche Konzepte sind vor allem zur Verbesserung der Vermarktungschancen nach Außen hilfreich. „Vor Ort“ sollten die Themen jedoch in einer angemessenen Bandbreite flexibel gehandhabt werden. Ziel sollte die Entwicklung einer „kritischen Masse“ und eines auf unterschiedliche Zielgruppen zugeschnittenen attraktiven Gesamtangebots sein. Dabei sind auch Freizeit- und Gastronomieangebote einzubeziehen. Die Umnutzung untergenutzter Gewerbe- und Industrieflächen durch Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft als Prozess verstehen und organisieren: Der „kreative Kern“ der Kultur- und Kreativwirtschaft sowie andere Selbstständige und Unternehmen der zugehörigen Branchen schätzen attraktive Standorte, vor allem wenn die Gebäude preisgünstig und deren Nutzung nicht mit den Verpflichtungen bei der Anmietung einer Gewerbeimmobilie verbunden sind (z.B. hinsichtlich der Instandhaltung). Hilfreich sind daher Vorstufen wie etwa die zeitlich befristete Vermietung von Gebäuden. Solche Ansätze ermöglichen eine von den Nutzer/innen ausgehende Entwicklung und bilden die Grundlage für eine attraktive „Standortbildung“. Begleitend empfehlen sich zusätzliche Coaching-Angebote für die kulturbezogenen Nutzer/innen, u.a. zur weiteren Professionalisierung und/oder zur langfristigen Übernahme von Gebäuden in eigener Trägerschaft. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 54 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Unterstützt werden kann diese Entwicklungsstrategie durch ergänzende Maßnahmen, beispielsweise durch ein regionales Standortmonitoring zur Kultur- und Kreativwirtschaft und durch die Darstellung erfolgversprechender Beispiele zur kulturbezogenen Umnutzung von Zechenanlagen im Ausland. Ein solches Monitoring unterstützt die Nutzer/innen bei den Aneignungsprozessen untergenutzter Gewerbe- und Industrieflächen und ist gleichzeitig für die Immobilienwirtschaft ein hilfreiches Informationsinstrument. Darüber hinaus könnten qualifizierte Moderatoren eingebunden oder „Kulturbeauftragte“ bestimmt werden, die mit den Interessen, Standortanforderungen etc. in den unterschiedlichen Feldern des Kultursektors vertraut sind. Diese sollten als Ansprechpartner bzw. als Vermittler und „Kümmerer“ fungieren und im Prozess der Umnutzung unbürokratisch Hilfestellung leisten. Die weiterhin vorhandenen Gebäudepotenziale auf ehemaligen Zechenstandorten und sonstigen untergenutzten Gewerbe- und Industrieflächen dürfen jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass sich die ehemals günstigen Rahmenbedingungen für Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft in den letzten 15 Jahren strukturell verändert haben und sich weiterhin verändern werden. In den frühen 90er Jahren bedingten etwa die „Kulturalisierung“ zahlreicher Produkte bzw. Dienstleistungen, kulturelle Ausdifferenzierungs- bzw. Individualisierungsprozesse mit einer Vielzahl an diversen „Szenen“ und eine Zunahme der Kommunikationskanäle (z.B. im TV-Sektor) bundesweit eine Steigerung der Nachfrage in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Deren Funktion als Wachstumstreiber kann als weitgehend abgeschlossen gelten, auch wenn im Ruhrgebiet, dem „Spätentwickler“ hinsichtlich der Kultur- und Kreativwirtschaft, noch nicht alle Nachfragepotenziale als ausgeschöpft angesehen werden können. Des Weiteren ist die Entwicklung mancher Wirtschaftszweige bzw. Branchen der Kultur- und Kreativwirtschaft, wie etwa in den „Copyindustrien“ der Musik- und Filmwirtschaft aufgrund des zunehmenden Vertriebs über das Internet rückläufig und verlieren die Wachstumsmärkte der letzten Jahre in der Kultur- und Kreativwirtschaft an Dynamik. Andere Wirtschaftszweige wie beispielsweise die „Gamesindustrie“ sind dafür teilweise an deren Stelle getreten. Darüber hinaus zeichnet sich immer deutlicher ab, dass angesichts der in den letzten drei Jahrzehnten erfolgten nachholenden Urbanisierungsprozesse in den Städten des Ruhrgebiets, in dessen Kontext zahlreiche zusätzliche Kultureinrichtungen wie etwa Konzerthäuser, Museen oder Atelierhäuser entstanden sind und weiterhin entstehen, sich in diesem Feld des Kultursektors die intraregionalen Wettbewerbsbedingungen verschärfen werden. Trotz dieser veränderten Marktbedingungen für Kultur sowie für Kultur- und Kreativwirtschaft kann „Kultur und Kohle“ auf manchen untergenutzten Gewerbe- und Industrieflächen weiterhin eine geeignete Option sein. Jedoch bedarf eine derartige Standortentwicklung heute sorgfältiger Potenzialanalysen sowohl hinsichtlich der Standorte als auch der Märkte und deren Bedingungen. Zudem sind integrierte Strategiekonzepte gefragt, die die vielfältigen inhaltlichen und kommunikativen Anforderungen aus Kunst, Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft berücksichtigen. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 55 „Kultur und Kohle“: Kultur sowie Kultur- und Kreativwirtschaft auf ehemaligen Zechenanlagen im Ruhrgebiet Literatur Behr, Vera; Friedrich Gnad; Klaus R. Kunzmann (1987): „Kultur als Wirtschaftsfaktor“ und „Kulturwirtschaft – Das wirtschaftliche Potential der Kultur in den Städten Bochum und Unna“. Arbeitsberichte Nr. 1 und Nr. 2. Institut für Raumplanung. Universität Dortmund. Bradtke, Markus; Heinz-Jürgen Löwer (2000): Brachflächenreaktivierung durch kulturelle Nutzungen. Universität Dortmund, Fakultät Raumplanung. Fachgebiet Europäische Raumplanung. Projects 3 – Studienprojekte. Ebert, Ralf (1995): Vom Standort zum Wirtschafts- und Lebensraum? Umnutzungskonzepte für Waschkaue, Verwaltungstrakt, Magazin der Zeche „Radbod“ in Hamm. Entwicklungsgesellschaft Zollverein (2008): Zollverein heute! Rückblick, Gegenwart, Ausblick. ZOLLVEREIN 31/8. Das Magazin. Ausgabe 12/2008. Entwicklungsgesellschaft Zollverein (Hg.) (2009): Welterbe Zollverein – Neuanfang. Wachstum. Perspektiven. Essen. Forum Baulandmanagement NRW (Hg.) (2008): Temporäre Nutzungen als Bestandteil des modernen Baulandmanagements. Dortmund. Internationale Bauausstellung Emscher Park (Hg.) (1999): Denkschrift Zollverein 2010. Impulse für die Fortentwicklung des Zukunftsstandortes Zollverein, Gelsenkirchen. Landeshauptstadt München (Hg.) (2007): München – Standortfaktor Kreativität. Referat für Arbeit und Wirtschaft. München. Landesinitiative StadtBauKultur NRW (Hg.) (2009): Vom Nutzen des Umnutzens – Umnutzen von denkmalgeschützten Gebäuden. Gelsenkirchen, Düsseldorf. Noll, Hans-Peter (2008): Strukturwandel im Ruhrgebiet. In: Jahresbericht und Mitteilungen des Oberrheinischen Geologischen Vereins, N.F. 90. 317-345. Stuttgart. Öko-Zentrum NRW (2004): Arbeiten im Park – Anspruch und Realität qualitätsorientierter Gewerbeflächenentwicklung. Evaluation des Modellvorhabens des Grundstücksfonds Nordrhein-Westfalen anhand von 19 Projekten des Brachflächenrecyclings. Hamm. STADTart (2000): Umnutzungspotenziale der Kultur-, Sport- und Freizeitwirtschaft für Consolidation 3/4/9 in Gelsenkirchen-Bismarck. MGG Montangrundstücksgesellschaft. Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur (2001): denkmalstandorte. Dortmund. TU Dortmund, Fakultät Raumplanung, Fachgebiet Städtebau (Hg.) (2008): Internationale Bauausstellung Emscher Park – Die Projekte 10 Jahre danach. Stadtgestaltung und Bauleitplanung. Essen. STADTart in Kooperation mit Prof. a.D. Dr. Klaus R. Kunzmann 56