Ergonomischer Fagott-S-Bogen nach Grundmann

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Ergonomischer Fagott-S-Bogen nach Grundmann
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M. Fendel – Ergonomischer Fagott-S-Bogen nach Grundmann
Nimm S leicht!
Ergonomischer Fagott-S-Bogen nach Grundmann
Martin Fendel, Köln
Abstract
Bauliche Veränderungen an Instrumenten und
der Einsatz ergonomischer Hilfsmittel können
wirksame Strategien zur Vermeidung von
Spielschäden bei Musikern darstellen. Zu
ihnen
zählt
auch
ein
unter
strömungsphysikalischen
Überlegungen
entwickelter Fagott-S-Bogen, der seit knapp 10
Jahren
zum
Einsatz
kommt.
Durch
Veränderung von Radius und Geometrie der
S-Biegungen gelingt hier eine Reduktion des
Blaswiderstands
um
etwa
30%
mit
Erleichterung der Ansprache, ohne klangliche
Einbußen. Die Akzeptanz dieser Lösung bei
Fagottisten
ist
unterschiedlich.
Ihr
gesundheitlicher Nutzen ist vorwiegend in
einer Verbesserung der Spielhaltung zu sehen.
Ein Einsatz in der Rehabilitation oder bei
Bläsern
mit
konstitutioneller
oder
krankheitsbedingter Leistungseinschränkung
kann ebenfalls sinnvoll sein.
Funktion
und
Konstruktionsmerkmale des Fagott-S-Bogens
Als „S-Bogen“ wird die mehr oder weniger
stark S-förmig gekrümmte, englumige, 33 cm
lange Röhre bezeichnet, die bei einer Reihe
größerer Blasinstrumente (Fagott, tiefe Oboen,
Saxophon, Baßblockflöte) die Verbindung
zwischen den Lippen bzw. dem Rohrblatt als
eigentlichem
Klangerzeuger
und
dem
Instrument als Resonator darstellt (Abb. 1).
Diese Zwischenstücke weisen insbesondere
beim Fagott bezüglich Länge, Wandstärke,
Konusverlauf, Legierung und Beschichtung
eine große, für Nichteingeweihte nur schwer
nachvollziehbare Variationsvielfalt auf. Für die
Anwender bedeutet jedoch die Auswahl des
geeigneten „S“ eine Wissenschaft für sich,
stellt dieses doch einen elementaren
Bestandteil der klangerzeugenden Funktionseinheit dar.
Viele Bläser sind ihr Leben lang auf der Suche
nach dem optimalen, auf das jeweilige
Instrument
abgestimmten,
ihrer
spieltechnischen Disposition und klanglich/
ästhetischen
Vorstellung
am
besten
entsprechenden S-Bogen.
Abb. 1: Fagott mit S-Bogen und Rohr
(http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/f/f4/F
agott-Querschnitt.png, 04/2010)
Bei
der
weitestgehend
handwerklichen
Herstellung der S-Bögen kommen Metalle
bzw.-Legierungen, vorzugsweise Neusilber,
Goldmessing, Silber oder Gold, für Allergiker
auch Palladiumlegierungen zur Anwendung,
die unbeschichtet bleiben oder mit Nickel,
Silber oder Gold galvanisiert werden. Die Wahl
des Materials hat großen Einfluß auf die
Klangfarbe:
sowohl
die
Schwingungseigenschaften der Bogenwandung als auch
das Strömungsverhalten der intraluminalen
Luftsäule hängen stark davon ab. Bauformen
und -dimensionen hingegen beeinflussen
stärker
die
Spieleigenschaften,
das
„Spielgefühl“ und damit wesentlich die
musikalischen Gestaltungsmöglichkeiten für
den Spieler. Die Verläufe von Wandstärke und
Lumenweite, Konizität und schließlich auch
Anzahl und Radius der Biegungen sind
strömungstechnisch bestimmende Faktoren an
der „Schnittstelle“ zwischen Spieler und
Instrument.
Nicht in erster Linie aus ergonomischen
Erwägungen, sondern aus instrumentenbaulicher
Neugier
und
Verbesserungsbestrebungen wurde mit der Gestaltung von SBögen schon immer viel experimentiert, und
Musikphysiologie und Musikermedizin 2011, 18. Jg., Nr. 1
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die heute verwendeten Bögen sind das
Ergebnis
langjähriger
Entwicklung
und
Erfahrung. Allein bei einer renommierten
Herstellerfirma können die Kunden theoretisch
zwischen
etwa
6000
verschiedenen
Bauvarianten wählen.
Vor etwa zehn Jahren wurde das Fagott-S zum
Gegenstand angewandter aerodynamischer
Forschung. Der Strömungsmechaniker und
begeisterte Hobbymusiker Roger Grundmann
(Prof. emeritus am Institut für Luft- und Raumfahrttechnik der TU Dresden) entwickelte mit
Hilfe von Computersimulationen (Computation
Fluid Dynamics, CFD) S-Bögen, die durch
aerodynamisch
optimierte
Strömungseigenschaften
eine
bessere,
leichtere
Spielbarkeit versprechen (Abb. 2).
Abb. 3: Vergleich der Obertonspektren des
Tones f (174,61 Hz) für die beiden in Abb. 2
gezeigten S-Bögen (konventionell: CC1,
Grundmann: s27opt)
Diese Konstruktion wurde gebrauchstauglich
weiterentwickelt, für die Technische Universität
Dresden patentiert und wird seither exklusiv
von der Instrumentenbaufirma Guntram Wolf
(Guntram Wolf Holzblasinstrumente GmbH, Im
Ziegelwinkel 13, 96317 Kronach) in Serie
produziert. Hier ist sie ohne nennenswerten
Aufpreis gegenüber konventionellen S-Bögen
käuflich zu erwerben.
Beurteilung und Verwendung durch
Berufsfagottisten
Abb. 2: Geometrie und Krümmungsverläufe
von S-Bögen: unten konventionelles S, oben
Grundmann-Modifikation (Abbildungen 2 u. 3:
R. Grundmann mit freundlicher Genehmigung)
Die wesentlichen konstruktiven Eingriffe
bestehen dabei in Veränderungen an Radius
und Lokalisation der Biegungen. Diese
Modifikationen wirken sich aerodynamisch in
einer
Reduktion
der
turbulenten
Luftstromanteile und einer Absenkung des
Gesamt-Reibungswiderstands
(„Reibungsbeiwert“) um etwa 30% aus. Aus
der so gesteigerten Effizienz der Luftführung
resultiert
eine
leichtere
Tonansprache
besonders im hohen Register, die in originellen
Messanordnungen auch quantitativ dargestellt
werden
konnte.
Durch
den
höheren
Wirkungsgrad soll das Spielen insgesamt
erleichtert werden. Vergleichende Analysen
des Obertonspektrums über alle Frequenzen
zeigen, daß der Einfluß des Krümmungsverlaufs auf die Klangfarbe sehr gering ist
(Abb.3).
Zur Akzeptanz und musikalisch-fachlichen
Beurteilung des „Grundmann-S“ konnte ich
mehrere renommierte, beruflich aktive oder
nach langjähriger Berufstätigkeit in den
Ruhestand
getretene
Fagottisten
und
Hochschullehrer befragen. Des Weiteren führte
ich Gespräche mit dem Instrumentenbauer
Guntram Wolf und dem Entwickler Prof.
Grundmann.
In Deutschland kommt der Grundmann-Bogen
nur bei sehr wenigen Fagottisten zu
regelmäßiger Anwendung. Diese ablehnende
Haltung wird vor allem mit den Argumenten
„veränderte klangliche Eigenschaften“ und
„fremdartiges, stark gewöhnungsbedürftiges
Spielgefühl“ begründet. Eine klangliche
Veränderung ist für Außenstehende zwar
kaum hörbar, aber schon als minimale
Modifikation der Obertonamplituden für viele
Spieler offenbar deutlich wahrzunehmen. Das
hierin begründete ungewohnte Spielgefühl
bedeutet für professionelle Spieler, die oft in
Jahrzehnten intensiver Beschäftigung mit
ihrem Instrument einen sehr exklusiven
persönlichen Zugang entwickelt haben, eine
erhebliche Beeinträchtigung. Ihre Bereitschaft,
die bis in minimalistische Details mühevoll
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M. Fendel – Ergonomischer Fagott-S-Bogen nach Grundmann
angeeignete
Spieltechnik
(Ansatz,
Zungenstoß, Atemführung und Koordination)
zu verändern, ist begrenzt. Auch ist bei vielen
Spielern der instrumentale Widerstand, den
der Rückschlag der im Instrument stehenden
Luftschwingung generiert, gerade erwünscht
und wird bewußt in die Klanggestaltung
einbezogen. Wegen des etwas leichteren
Ansprechens des Grundmann-Bogens im
oberen Frequenzbereich wird er von manchen
Fagottisten bei schwierigen Passagen im
hohen Register gezielt eingesetzt. Eine
eindeutige klangliche Verbesserung oder eine
nennenswerte Erleichterung der Spielbarkeit
wird jedoch von der Mehrzahl der Fagottisten
zumindest in Deutschland nicht bestätigt.
Gemessen an Verkaufszahlen und sehr
positiven persönlichen Beurteilungen ist die
Akzeptanz
des
Grundmann-Bogens
im
Ausland (vor allem in Belgien, den USA und
Australien)
wesentlich
höher
als
im
deutschsprachigen Raum; dort geben einige
Fagottisten an, daß sie diesen Bogen
ausschließlich nutzen und nicht mehr missen
möchten.
Musikphysiologische Beurteilung
Für eine Erfassung der medizinischen
Bedeutung des S-Bogens nach Grundmann ist
zunächst die gesundheitliche Relevanz der
intrathorakalen Druckerhöhung beim Spielen
bestimmter Blasinstrumente zu betrachten. Die
regelmäßig in den Atemwegen auftretenden
Drücke betragen beim Fagottspiel im Mittel 15
– 39 mmHg (zum Vergleich: Flöte 1 – 9 mmHg,
Trompete 13 – 48 mmHg). Über ein
pathogenes Potential dieser relativ hohen
mittleren Atemwegsdrücke wurde vielfach
spekuliert. Als druckassoziierte Schädigungsmechanismen werden diskutiert: mechanische
Beanspruchung durch Scherkräfte und direkte
Druckeinwirkung, gestörter Zellstoffwechsel
und entzündliche Prozesse, z.B. durch lokale
Erhöhung inflammatorischer Zytokine. Nicht
unmittelbar druckassoziiert, jedoch plausibel
als Ursachen für eine Häufung von
Atemwegserkrankungen bei Bläsern sind eine
Dekompensation der mukoziliären Clearance
(Austrocknung
des
Epithels,
MikroAspirationen), intensivierter Allergen- und
Schadstoffkontakt durch forcierte Ventilation
sowie Proteasen/-inhibitoren-Dysbalancen. Als
mögliche Auswirkungen werden erhöhte
Infektanfälligkeit, morphologisch nachweisbare
Veränderungen
des
Lungenparenchyms
(Epitheldysplasien, Emphysem) und extrapulmonale physikalische Auswirkungen der
Druckerhöhung im Thorax und kleinen
Kreislauf beschrieben. Über das Auftreten
dieser Störungen in beruflich-musikalischen
Arbeitsumfeldern ist jedoch bisher nur wenig
valide epidemiologische Information verfügbar.
Eine Reduktion des Anblasdrucks um im Mittel
30%, wie sie beim Grundmann-S-Bogen
erreicht wird, erscheint im Hinblick auf eine
Minimierung der bronchoalveolären Druckbelastung nicht so bedeutsam, dass ihre
Anwendung allgemein empfohlen werden
müßte.
In bestimmten Situationen kann sie sich
dennoch als sinnvoll erweisen. Bläser mit
konstitutionellen
bzw.
altersoder
krankheitsbedingten Einschränkungen der
Atemfunktion zum Beispiel können von einer
solchen „Spielhilfe“ durchaus profitieren.
Möglicherweise lässt sich in Einzelfällen sogar
anstehende
Berufsunfähigkeit
dadurch
hinauszögern. Als Hilfsmittel in der beruflichen
Rehabilitation nach längerer Arbeitsunfähigkeit
oder für Spieler mit Behinderung bzw.
eingeschränktem Leistungsvermögen ist ein
gezielter Einsatz ebenfalls vorstellbar. Dieser
geht aber über die Grenzen professioneller
Anwendung im klassischen Orchesteralltag
hinaus und bleibt für spezielle, sehr begrenzte
Anwendungsbereiche vorbehalten.
Von unbestreitbarem Nutzen ist auch eine
ergonomische Verbesserung der Spielhaltung,
die die Verwendung eines S-Bogens mit
„Flachbiegung“ ermöglicht. Diese beschränkt
sich allerdings nicht auf die Grundmannsche
Bauart, sondern ist bei S-Bögen anderer
Fabrikate in vergleichbarer Weise realisiert.
Professionelles instrumentales Musizieren
stellt vielfach eine hohe physische Belastung
dar, die aus arbeitsergonomischer Sicht durch
Zwangshaltungen über längere Zeiträume,
Lastenhandhabung
in
unphysiologischen
Körperhaltungen und repetitive manuelle
Tätigkeit in rascher Wiederholungssequenz
gekennzeichnet ist. Je weiter dabei die
Spielhaltung von symmetrisch zentrierten
Körperpositionen abweicht und aufgrund
Gewicht, Dimensionen und Bauform eines
Instruments mit zusätzlichem Halteaufwand
verbunden ist, desto problematischer erscheint
das Instrumentalspiel im Hinblick auf eine oft
ganztägige Dauerbelastung unter den durch
Umgebungsund
Organisationsfaktoren
erschwerten realen Einsatzbedingungen. In
diesem Zusammenhang ist die Körperhaltung
am Fagott als besonders unergonomisch und
belastend einzuordnen: Eigengewicht und
Mensur des Instrumentes erfordern eine stark
asymmetrische,
zu
muskulären
Verspannungen und Sehnenverkürzungen
disponierende Körperhaltung. Dies wirkt sich
aus
in
einer
besonderen
Häufung
muskuloskeletaler
Beschwerden
bei
Fagottisten.
Insbesondere
finden
sich
Musikphysiologie und Musikermedizin 2011, 18. Jg., Nr. 1
Überlastungssyndrome
im
Bereich
der
Schulter- Ellbogen- und Handgelenke sowie
funktionelle und degenerative Beschwerden im
HWS- und LWS-Bereich.
Der „Flachbogen“ ermöglicht aufgrund seiner
geometrischen Gestaltung eine ergonomisch
günstigere, spannungsärmere Spielhaltung mit
Entlastung der rechten Schulter, des
Schultergürtels und der Halswirbelsäule. Die
rechte Schulter muß weniger hochgezogen
und nach außen gedreht werden. Dieser
Vorteil kann beim Spielen im Sitzen und
Stehen genutzt werden, wirkt sich allerdings in
Abhängigkeit
von
Körpergröße
und
proportionen unterschiedlich positiv aus. Als
wirksame Ergänzung empfiehlt sich in jedem
Fall die Verminderung der Haltearbeit durch
einen Haltegurt oder das Aufstützen des
Instruments auf einen Stachel.
Zusammenfassung
Zusammenfassend ist festzustellen, daß sich
die „medizinische Indikation“ für einen Einsatz
des
Grundmann-Bogens
auf
wenige
Einsatzbereiche beschränkt. So kann seine
Anwendung z.B. in der Rehabilitation oder bei
konstitutionell
oder
krankheitsbedingt
vorübergehend
oder
dauerhaft
eingeschränkten Bläsern sinnvoll sein. Die
aerodynamischen Effekte und damit mögliche
positive atemphysiologische Auswirkungen
erscheinen hingegen zu geringfügig, um eine
generelle Empfehlung im Sinne der Prävention
atemdruckbedingter bronchopulmonaler bzw.
extrapulmonaler Erkrankungen zu begründen.
Ein
unzweifelhafter
Nutzen
aus
orthopädischer/arbeitsergonomischer
Sicht
kann sich aus der verbesserten Spielhaltung
bei Anwendung des „Grundmann-S“ ergeben.
Dieser Nutzen ist individuell und muß im
Einzelfall durch Probieren verifiziert werden.
Literatur
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Musikphysiologie
Detmold 6.10.2007
13
und
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Hähnchen, D.: Zur neuen Kontur des Fagott SBogens von Roger Grundmann. Rohrblatt 22
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Schneider, A.: Holzblasinstrumente: Oboe,
Klarinette, Fagott. In: Klein-Vogelbach, S., A.
Lahme
u.
Irene
Spirgi-Gantert:
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Schramm, Stefanie: Der Trick mit dem Knick.
Die Zeit, 31.5.2007
Schwab, B. u. A. Schulze-Florey: Intraorale
Druckentwicklung
bei
Holzund
Blechblasinstrumenten, Musikphysiologie und
Musikermedizin 2004, 11, 183 – 193
Korrespondenzadresse
Dr. med. Martin Fendel
Peter-Ostwald-Institut für Musikergesundheit
Hochschule für Musik und Tanz Köln
Unter Krahnenbäumen 87
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