Working Tax Credit im Vereinigten Königreich
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Working Tax Credit im Vereinigten Königreich
Zielgruppenorientierte Arbeitspolitik: Kombilohn info 1.06 Working Tax Credit im Vereinigten Königreich Flächendeckender Kombilohn für Geringverdienende über Steuergutschriften „Working Tax Credit stockt das Erwerbseinkommen berufstätiger Menschen mit niedrigen Einkommen (Beschäftigte und Selbstständige) auf. Mit dem Working Tax Credit ist Großbritannien neben Frankreich der EU-Mitgliedsstaat, der niedriges Erwerbseinkommen flächendeckend mit Steuermitteln aufstockt. Dieses Verfahren folgt dem amerikanischen Ansatz des „Earned Income Tax Credit“, der in der Fachdiskussion in Deutschland auch unter dem Begriff „Negative Einkommenssteuer“ bekannt ist. Anspruchsberechtigt sind: Personen, die für ein Kind oder einen Jugendlichen verantwortlich sind, 16 Jahre und älter sind und mindestens 16 Stunden in der Woche arbeiten. Personen ohne Kinder, die 25 Jahre und älter sind und mindestens 30 Stunden in der Woche arbeiten. Personen, die 16 Jahre und älter sind, mindestens 16 Stunden in der Woche arbeiten und eine Behinderung haben, die sie bei der Erlangung eines Arbeitsplatzes benachteiligt. Personen, deren Partner oder die selbst 50 Jahre und älter sind, mindestens 16 Stunden in der Woche arbeiten und nach dem Bezug von sozialen Unterstützungsleistungen (out-of-work-benefits) ins Erwerbsleben zurückkehren. 24 Politisch kann der Working Tax Credit in zwei Politikbereichen eingeordnet werden. Zum einen ist er arbeitsmarktpolitisch intendiert und will Flexibilität, Mobilität und Sicherheit, aber auch Gerechtigkeit am Arbeitsmarkt fördern und Beiträge zur Vollbeschäftigung leisten. „In unserer zunehmend globalisierten Wirtschaft können wir das Ziel der Vollbeschäftigung nur erreichen, wenn wir Flexibilität mit Gerechtigkeit kombinieren. Fakt ist, dass durch Steuergutschriften (Tax Credits) Arbeitsanreize geschaffen werden und die Mobilität der Arbeitskräfte gesteigert wird. Diese Steuergutschriften leisten einen wesentlichen Beitrag dazu, Menschen aus der Arbeitslosigkeit in Arbeit zu bringen und Beschäftigte bei der Verbesserung ihrer Einkommenssituation zu unterstützen. Das Ziel der britischen Regierung, eine größere Flexibilität am Arbeitsmarkt zu schaffen, wird damit erreicht.“ Zum anderen dient der Working Tax Credit der Armutsbekämpfung und kann deshalb ebenfalls dem Feld der Sozialpolitik zugeordnet werden. „Steuergutschriften sind darüber hinaus ein Instrument, das dem Grundsatz der Gerechtigkeit folgt. Sie tragen zur Bekämpfung der Familienarmut bei. Seit 1997 konnten 700.000 Kinder aus relativer Armut und über 1,5 Millionen Kinder aus absoluter Armut befreit werden. Diese Beihilfen sind integrativ angelegt und führen nicht zu einer Stigmatisierung, ganz im Einklang mit unserer Strategie eines progressiven Universalismus, gemäß der jede Familie unter- Gesamtjahreseinkommen in britischen Pfund Alleinstehende Person bis 25 J. oder andere, mit mindestens 30 Wochenstunden. erwerbstätig Paar (erwerbstätige Erwachsene, 25 J. und älter), 30 Wochenstunden oder mehr erwerbstätig 7.566 £ (11.000 EUR) 1.285 £ (1.874 EUR) 2.835 £ (4.134 EUR) 8.000 £ 1.125 £ 2.675 £ 9.000 £ 755 £ 2.305 £ 10.000 £ (14.600 EUR) 385 £ (561 EUR) 1.935 £ (2.822 EUR) 11.000 £ - 1.565 £ 12.000 £ - 1.195 £ 13.000 £ - 825 £ 14.000 £ - 455 £ 15.000 £ (21.875 EUR) - 85 £ (124 EUR) 16.000 £ - - stützt wird und gleichzeitig diejenigen Familien, die am bedürftigsten sind, genau zu dem Zeitpunkt, an dem sie die Unterstützung am nötigsten brauchen, besondere Hilfen erhalten. Mit den Steuergutschriften verfügen wir erstmals über ein einziges, einkommensabhängiges Steuerbonussystem, das rund sechs Millionen Familien und zehn Millionen Kindern zugute kommt. 360.000 Familien erhalten einen Zuschuss zu den Kinderbetreuungskosten. Über das frühere Instrument des „Family Credit” hingegen wurden nur 800.000 Familien erreicht. Mehr als 19 Millionen Menschen werden heute über Steuergutschriften finanziell unterstützt, d. h. siebenmal mehr Menschen als über das „Family Credit”-System.“ Bei den angeführten Zahlen ist zu berücksichtigen, dass dabei auch die Wirkungen des so genannten „Child Tax Credit“ einbezogen werden, der Familien mit Kindern zugutekommt, unabhängig davon, ob sie erwerbstätig sind oder nicht. Die Tabelle auf Seite 24 gibt einen Überblick über die Höhe des Working Tax Credit. Die Kombination von niedrigem Einkommen und staatlichen Zuschüssen in Großbritannien knüpft an Grundsätze an, die mit den Schlagworten „Welfare to Work“ und „Making Work pay“ zu beschreiben sind. Staatliche Wohlfahrtsleistungen sollen, die grundsätzliche Befähigung zur Erwerbsarbeit vorausgesetzt, nicht dauerhaft gezahlt werden, sondern den Eintritt / Wiedereintritt in die Berufstätigkeit fördern. Arbeiten zu gehen und den Bezug sozialer Transferzahlungen als einzige Einnahmequelle zur Sicherung des Lebensunterhalts zu verlassen, soll lohnenswert sein, auch wenn das erzielbare Einkommen gering ist. Nicht zuletzt soll der Unterschied zwischen staatlichen Alimentierungszahlungen und dem Einkommen durch Arbeit und Steuergutschrift so attraktiv sein, dass die Entscheidung zu Gunsten der Erwerbstätigkeit fällt. Zur Abwehr der Gefahr von Mitnahmeeffekten und Lohndumping, die zurzeit ja auch in der deutschen Diskussion präsent ist, gilt der schon lange gültige gesetzliche Mindestlohn in Großbritannien als ein entscheidendes Instrument. Er verhindert, dass Unternehmen Löhne absenken und so das Einkommen der Beziehenden der Working Tax Credits nicht steigen würde. Der gesetzliche Mindestlohn beträgt zurzeit für 18- bis 21-Jährige £ 3.80 (5,66 Euro) brutto pro Stunde und £ 4.50 (6,70 Euro) brutto pro Stunde für Arbeitnehmer/innen, die 22 Jahre oder älter sind. Für eine 40-Stunden-Woche kann beispielsweise, je nach Alter, mit einem Mindestbetrag von £ 152 (226 Euro) bis hin zu £ 180 (286 Euro) brutto gerechnet werden. Großbritannien ist in den europäischen Statistiken zum Arbeitsmarkt regelmäßig auf den vorderen Plätzen zu finden, ist aber auch immer mit Vorwürfen eines überdurchschnittlichen Armutsniveaus und einer großen Anzahl so genannter „working poor“, also Menschen, die trotz Erwerbsarbeit in oder nahe an der Armut leben, konfrontiert. Zweifellos akzeptiert die britische Regierung einen breiten Niedriglohnsektor als normalen Bestandteil eines modernen Arbeitsmarkts in Zeiten der Globalisierung. Mit dem gesetzlichen Mindestlohn und den Working Tax Credits wertet sie die Attraktivität niedrig bezahlter Tätigkeiten auf und nutzt den Niedriglohnsektor zur Umsetzung der beiden politischen Grundsätze des „Welfare to Work“ und des „Making Work pay“. Die Wirkungen der Steuergutschriften auf den Arbeitsmarkt schätzt man dabei in Großbritannien den offiziellen Angaben zufolge als hoch ein. Ihnen wird ein wesentlicher Einfluss auf die folgenden Effekte zugeschrieben: Zielgruppenorientierte Arbeitspolitik: Kombilohn info 1.06 Für die ca. 200.000 Personen, die in Großbritannien jährlich eine neue oder bessere Stelle annehmen, werden die Tax Credits als das relevante Unterstützungsinstrument angesehen. Von den rund eine Million alleinerziehenden Eltern, die im Erwerbsleben stehen, können nahezu alle die Steuergutschriften nutzen. Für den Anstieg der Beschäftigungsrate dieser Gruppe von 46 % in 1997 auf heute 56 Prozent werden die Tax Credits zu 50 Prozent verantwortlich gemacht. Die Tax Credits helfen, die Mobilität der Arbeitnehmer/-innen hochzuhalten, und erleichtern den Erst- und Neueinstieg in den Arbeitsmarkt. Auch Stellenwechsel sind mit dieser Form der staatlichen Unterstützung leichter zu bewerkstelligen. Nicht zuletzt bei der Bekämpfung der Armut hat das Instrument entscheidende Erfolge erbracht. Auch in Deutschland gibt es im Steuerrecht durch Freibeträge und steuerlich absetzbare Kosten Möglichkeiten, die Steuerlast zu vermindern und so das verfügbare Einkommen zu erhöhen. Auch werden Transferleistungen wie Kindergeld, Wohngeld u. Ä. eingesetzt, um Personen und Haushalte mit niedrigem Einkommen zu unterstützen. Nach altem Bundessozialhilferecht gab es den begleitenden Sozialhilfebezug, ergänzend zu niedrigem Erwerbseinkommen (auch für Selbstständige), und auch heute lässt das SGB II zu, Teile des Arbeitslosengelds II zu behalten, wenn ein Arbeitsplatz mit niedriger Entlohnung angetreten wird. Insofern setzt auch Deutschland Instrumente ein, die man im britischen Kombilohnmodell findet. 25 Zielgruppenorientierte Arbeitspolitik: Kombilohn info 1.06 Ein flächendeckendes Instrument der Arbeitsmarktund Sozialpolitik aber, das eine beeindruckend große Bevölkerungsgruppe (nach offiziellen britischen Angaben 6 Mill. Familien mit 10 Mill. Kindern – Working Tax Credit und Child Tax Credit) mit Steuergutschriften bedient und auf Dauer niedriges Erwerbseinkommen aufstockt, hat sich in Deutschland bislang nicht etabliert. (Zusammengestellt aus: Inland-Revenue – Informationsbroschüre der britischen Steuerbehörde und Pressemitteilung des britischen Finanzministeriums 2006) Service://…/Kombilohn ABSTRACT Bisher wurden national und international eine Vielzahl von Kombilohnmodellen mit unterschiedlicher Ausrichtung erarbeitet und teilweise auch bereits in der Praxis erprobt. Während die Zielvorstellungen – Arbeitslosen den (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern und/oder Arbeitsplätze vor allem im Niedriglohnsegment zu schaffen – die verschiedenen Modelle eint, gehen die Meinungen über die Erreichung dieser Ziele auseinander. In Österreich sollen ca. 5.000 niedrig entlohnte Arbeitsplätze befristet besetzt werden. In Frankreich wird die Aufstockung niedriger Einkommen aus Steuermitteln in erster Linie als ein Instrument zur Belebung des Arbeitsmarkts gesehen, durch das neue Arbeitsplätze in niedrig vergüteten Sektoren und in der Teilzeitbeschäftigung geschaffen werden sollen. Beide Länder flankieren ihr Kombilohnmodell durch einen gesetzlichen Mindestlohn. Großbritannien, das als besonders erfolgreich in der Arbeitsmarktpolitik gilt und europaweit für einen flexiblen und weitgehend deregulierten Arbeitsmarkt steht, schreibt der flächendeckenden und unbefristeten Zahlung aufstockender staatlicher Leistungen zum niedrigen Erwerbseinkommen eine entscheidende Bedeutung für den Anreiz zur Arbeitsaufnahme, für die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt und nicht zuletzt für die Armutsbekämpfung zu. LINKS www.arbeitistmachbar.de www.fhh.hamburg.de/stadt/Aktuell/pressemeldungen/2006/januar/10/2006-01-10-bwa-kombilohn.html www.iab.de/iab/veranstaltungen/nbg_gespraeche_2006.htm www.iab.de/iab/presse/kb0306.htm Arbeitsmarktservice Österreich: www.ams.or.at/neu/druckversion/7167_9434.htm Ministerium für Wirtschaft und Arbeit Österreich: www.bmwa.gv.at/NR/rdonlyres/74ECF1B9-AF8746FD-A0F6-67D194C3D754/21265/Kombilohn.pdf Mitteilung der französischen Botschaft: www.botschaft-frankreich.de/article.php3?id_article=977 Britische Finanzbehörde:www.hmrc.gov.uk/menus/credits.htm Report der britischen Schatzmeisterin Mrs. Dawn Primarolo, Februar 2006: www.hm-treasury.gov.uk/newsroom_and_speeches/press/2006/press_08_2006.cfm ANSPRECHPARTNERIN Gundula Manzel, Tel.: 02041 767-252, E-Mail: [email protected] 26