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WAL-TOURISMUS DANIELA LIPKA Das Meer als Walfahrtsort Ein Lokalaugenschein Foto: Lipka Delphine in Sicht Der Whale-Watching-Tourismus boomt. Daniela Lipka, Biologin und freie Mitarbeiterin von umwelt & bildung, hat sich positive und negative Beispiele von Whale-Watching auf La Gomera und Teneriffa angesehen und in einem Praktikum erlebt, was passiert, wenn sich Wale und Menschen treffen. Unser Skipper stellt den Motor ab. „Pilotwhales“, er zeigt in das wogende Blau des Atlantik und grinst. „Macht euch bereit!“ Wir sind mit dem acht Meter langen Holzboot, das auf den feierlichen Namen „Assunción del seniõr“ („Himmelfahrt des Herrn“) getauft ist, fünf Seemeilen südwestlich der kleinen Kanareninsel La Gomera unterwegs und wollen das Verhalten von Walen und Delfinen gegenüber Whale-Watching-Booten erforschen. Vor uns ragt der höchste Berg Spaniens, El Teide auf der Insel Teneriffa, mit seiner schneebedeckten Spitze in den Himmel. Auf der kleinen Nachbarinsel La Gomera leuch- 6 umwelt & bildung 2/2001 ten die roten Vulkanfelsen in der Morgensonne. Das größte Wunder allerdings ist unseren Blicken verborgen. Unter unserem Boot geht eine Meeresstufe 2500 Meter in die Tiefe. Hier liegt der Lebensraum für Millionen von Kalmaren, dem bevorzugten Futter der großen Meeressäuger. Vom durchreisenden Blauwal bis zu den ständig vor Gomera lebenden Tümmlern und Grindwalen treffen sich 20 Wal- und Delfinarten in den Gewässern vor Gomera und Teneriffa zum aquatischen Festmahl. Unser Boot wird jetzt – der Motor ist abgestellt – von den Wellen hin- und hergeworfen. Ich verliere das Gleichgewicht und krieche auf den Knien über das Deck zum GPS(Global Positioning System)-Gerät, mit dem ich die geografische Position der Wal-Sichtung bestimmen soll. Meine Praktikumskolleginnen, Eva aus Madrid und Anna Maria aus Frankfurt, machen Stoppuhren und Diktiergeräte startklar. Die sieben Whale-WatchingTouristen, die unsere Fahrt begleiten, halten ihre Kameras aufs Wasser gerichtet. Fabian Ritter, Biologe und Leiter des Forschungsprojekts, hat den Touristen zuvor erklärt, was sanftes Whale-Watching auf La Gomera von herkömmlichen Whale-Watching-Trips unterscheidet: „Wenn wir Wale und Delfine in freier Wildbahn sichten, wissen wir nicht, in welcher Situation wir sie gerade erwischen. Jagen sie, ruhen sie, sind sie gerade am Durchzug oder haben sie Zeit und Interesse an unserem Boot?“, erklärt Ritter. WAL-TOURISMUS „Wir sehen uns als Gäste des Meeres, die bei den Walen anklopfen und nachschauen, ob sie momentan erwünscht sind. Wenn Touristen das einmal verstanden haben, werden sie auch akzeptieren, dass wir die Tiere nicht mit unserem Boot verfolgen oder in die Enge treiben.“ Touristen als Waljäger Seit Anfang der 90er Jahren hat sich Whale-Watching weltweit zu einer der am schnellsten wachsenden Sparten der Tourismusindustrie entwickelt (siehe Kasten). Bereits in 87 Ländern können Touristen Whale-Watching-Boote besteigen. Bis heute haben Skipper neun Millionen Menschen zu Moby Dick & Co hinausgebracht. Die Jagd nach dem ultimativen Naturerlebnis führt mitunter zu tumultartigen Szenen. „Die Skipper haben einen enormen Erfolgsdruck, weil die Touristen Fahrten mit garantierten Walsichtungen bezahlt haben und sonst ihr Geld zurückhaben wollen. Je näher ein Boot den Tieren kommt, desto spektakulärer wird es für die Whale-Watcher. Viele Touristen merken es dann oft gar nicht, dass ihr Motorboot rücksichtslos in eine Herde hineinfährt“, beschreibt Fabian Ritter das Dilemma. Als negatives Beispiel in nächster Nähe nennt Ritter das kommerzielle Whale-Watching, das seit den 80er Jahren von Teneriffa aus organisiert wird. An 364 Tagen im Jahr fahren 70 Boote, von denen einige bis zu 250 Touristen transportieren, bis zu drei Mal am Tag zu den Meeresgründen, in denen die Wale ihr Futter finden. Wie groß das Ausmaß der Störung für die Tiere ist, wagt Ritter noch nicht abzuschätzen. „Sie sind ständig von Motorlärm umgeben, haben weniger Zeit zu fressen und sich um den Nachwuchs zu kümmern. Im schlimmsten Fall werden sie krank oder wandern ab, weil es ihnen hier zu stressig ist.“ Im Herbst letzten Jahres hat die Kanarische Umweltbehörde zur Schadensbegrenzung erste Regulationen eingeführt. So müssen Whale-Watching-Boote den Motor abstellen, wenn sie 60 Meter von den Tieren entfernt sind. Auch ein Gütesiegel, das „Blaue Boot“ wurde eingeführt, damit Touristen erkennen können, welche Boote walschonend unterwegs sind und welche nicht. Einmal im Monat fliegt ein Hubschrauber über die kanarischen Gewässer und kontrolliert das Verhalten der Boote. „Zwischendurch geht es aber weiter wie bisher“, vermutet Fabian Ritter und hofft, dass seine Forschungsergebnisse bald Grundlage für internationale Richtlinien sein werden. Whale-Watching „light“: Habt ihr heute Lust auf Menschen? Wenn Menschen auf Wale treffen, dann fangen sie zumeist an, sich seltsam zu verhalten. Wir hängen jetzt über den Bootsrand, starren in das endlose Blau, warten auf das Wunder, das da plötzlich aus dem Meer aufsteigen soll. Dann ist es so weit: Schwarze Rückenflossen tauchen majestätisch aus dem Wasser. Tiefes Schnauben und Prusten ist zu hören. Sie sind da! „Wahnsinn“, schreit da jemand ganz nahe an meinem Ohr. Wir drängeln und rempeln einander. Fotoapparate klicken. Mein Herz schlägt gewaltig. „Pilotwhales, in two groups, 40 animals are coming towards the boat“, spreche ich in mein Diktiergerät, so wie Fabian es uns beigebracht hat. Dann fehlen mir die Worte. Denn was jetzt kommt, ist unbeschreiblich Stichwort Whale-Watching als enorm wachsender Wirtschaftsfaktor 1991: in 31 Ländern 2000: in 87 Ländern und Gebieten Whale-Watcher 1991: 4 Millionen Whale-Watcher 1998: 9 Millionen Einnahmen der Whale-WatchingIndustrie: 1994: 504 Millionen US-Dollars 1998: mehr als 1 Billion US-Dollars 47,8 % aller Whale-Watching-Trips: USA Schnellstes Wachstum: Taiwan (von 1994–1998 von Null auf 30.000 WhaleWatcher), gefolgt von Island, Italien, Spanien und Südafrika. Quelle: Erich Hoyt, Whale-Watching 2000 (Studie) www.ifaw.org/press/ whalewatching2000.html Tipp 14-tägiges Wal- & Delfin-Praktikum mit M.E.E.R. e. V. auf La Gomera Kosten: ca. ATS 10.000,–/DM 1500,– Inhalt: Whale-Watching-Trips, Kennen lernen der Wal- und Delfinarten vor Gomera, theoretischer Unterricht in Verhaltensforschung und praktische Übungen am Boot, Mithilfe bei der Dateneingabe, Wetterkunde, auf Wunsch Einführung in das wissenschaftliche Fotografieren und Filmen, Unterkunft in einem Appartement, Praktikumszertifikat. Voraussetzung: mindestens 18 Jahre alt, Interesse an wissenschaftlicher Mitarbeit, keine Vorkenntnisse nötig. Kurse meist in englischer Sprache. Termine: Herbst 2001, Frühjahr 2002 bzw. auch auf Anfrage. Infos: Dipl. Biologe Fabian Ritter, Verein M.E.E.R. Tel./Fax: 0049/(0)30/85 07 87 55 E-Mail: [email protected] http://www.1travel.de/meer umwelt & bildung 2/2001 7