Protokoll - EvaKreisky.at

Transcrição

Protokoll - EvaKreisky.at
Das televisionäre Fußballtheater
– Inszenierungs- und Aneignungsformen
Prof. Dr. Jürgen Schwier
Justus-Liebig-Universität Giessen
Die Theatralisierung des Fußballs
Fußball als Kampfspiel und als Schauspiel,
das um die Repräsentation des Sozialen
und die Produktion von Mythen kreist.
Das Stadion als Bühne
„Er spielte Fußball wie kein zweiter,
er stak voll Witz und Phantasie.
Er spielte lässig, leicht und heiter.
Er spielte stets. Er kämpfte nie.“
(Friedrich Torberg, 1939)
Rasenspiel und Medienspiel
„ die primären und sekundären Inszenierungen
sind im Fußballsport ebenso traditionsreich wie
populär.
„ das Fernsehen hat jedoch eine neue Runde in
der Theatralisierung des Sports eingeleitet.
TV-Fußball als Publikumsmagnet
„ WM-Endrunde 2006: kumuliert 26 Milliarden
Fernsehzuschauer.
„ Spiele wurden von 370 TV-Sendern
übertragen.
„ Marktanteil von über 70% bei Spielen unter
Beteiligung der deutschen
Nationalmannschaft.
Top 5 - Fernsehsport in Europa 2001
(nach Burk, 2006)
Deutschland
Frankreich
Italien
United Kingdom
Fußball
Fußball
(3.853 Stunden) (855 )
Fußball
(2.798)
Fußball
(5.677 Stunden)
Tennis
Rugby
(1.514 Stunden) (293)
Tennis
(799)
Motorsport
(3.162 Stunden)
Automobilsport Motorsport
(1.376 Stunden) (267)
Basketball
(374)
Golf
(3.069 Stunden)
Radsport
(963 Stunden)
Basketball
(182)
Motorsport
(315)
Cricket
(2.028)
Motorradsport
(550 Stunden)
Radsport
(177)
Ski
(261)
Tennis
(1.708 Stunden)
Meistgesehene Sendungen im deutschen
Fernsehen 1992 bis 2006
Platz
Sendung / Spiel
Zuschauer
1
Fußball: Deutschland - Italien, WM-Halbfinale 2006
29,66 Mio.
2
Fußball: Deutschland – Tschechien, EM-Finale 1996
28,44 Mio.
3
Fußball: Deutschland – Brasilien, WM-Finale 2002
26,52 Mio.
4
Fußball: Frankreich – Italien, WM-Finale 2006
25,88 Mio.
5
Fußball: Deutschland – England, EM-Halbfinale 1996
24,85 Mio.
6
Fußball: Deutschland – Argentinien, WM-Viertelfinale 06
24,74 Mio.
7
Fußball: Portugal – Griechenland, EM-Finale 2004
24,74 Mio.
8
Fußball: Deutschland – USA, WM-Vorrunde 1998
24,37 Mio.
9
Fußball: Deutschland – Iran, WM-Vorrunde 1998
24,32 Mio.
10
Fußball: Deutschland – Dänemark, EM-Finale 1992
24,16 Mio.
Sendung & Marktanteil 2006
Sendung &Marktanteil 2007
1
Fußball-WM: Deutschland – Italien
Zuschauer: 29,66 Mio.
MA: 84,1
Handball-WM: Deutschland – Polen
Zuschauer: 16,16 Mio.
MA: 58,3
2
Fußball-WM: Frankreich – Italien
Zuschauer: 25,88 Mio.
MA: 72,3
Boxen: Maske – Hill
Zuschauer: 16,07 Mio.
3
Fußball-WM: Deutschland–Argentinien
Zuschauer: 24,74 Mio.
MA: 86,1
Fußball: Tschechien – Deutschland
Zuschauer: 13,21 Mio.
MA: 41,7
4
Fußball-WM: Deutschland – Portugal
Zuschauer: 23,97 Mio.
MA: 76,1
Boxen: V. Klitschko – Austin
Zuschauer: 12,88 Mio.
MA: 52,8
5
Fußball-WM: Deutschland – Polen
Zuschauer: 23,88 Mio.
MA: 72,5
Fußball: England – Deutschland
Zuschauer: 12,52 Mio.
MA: 42,5
6
Fußball-WM: Deutschland – Schweden
Zuschauer: 22,34 Mio.
MA: 86,3
Boxen: V.Klitschko – Brewster
Zuschauer: 11,27 Mio.
MA: 57,0
7
Fußball-WM: Ecuador – Deutschland
Zuschauer: 21,30 Mio.
MA: 82,1
Formel 1 : Grand Prix von Brasilien
Zuschauer: 11,10 Mio.
MA: 39,7
8
Fußball-WM: Deutschland – Costa Rica
Zuschauer: 20,00 Mio.
MA: 75,7
Fußball: Deutschland – Tschechien
Zuschauer: 10,90 Mio.
MA: 34,9
9
Fußball-WM: Portugal – Frankreich
Zuschauer: 15,30 Mio.
MA: 53,2
Fußball: Deutschland – Slowakei
Zuschauer: 10,73 Mio.
MA: 38,6
10
Fußball-WM: Brasilien – Kroatien
Zuschauer: 15,16 Mio.
MA: 52,3
Fußball: Irland – Deutschland
Zuschauer: 10,64 Mio.
MA: 35,6
MA: 63,7
Spitzensport und die Logik der Medien
„ Aufmerksamkeit des TV-Publikums wird
bedeutsamer als die Interessen der Sportler.
„ Mediensport verknüpft den binären Code des
Wett-kampfsports (Sieg oder Niederlage) mit
dem TV-Code „Sein oder Nichtsein“.
„ Kriterien „Maximum an Aktion in minimaler
Zeitspanne“ und „Maximum an Aktion auf
engstem Raum“ (Whannel, 1992).
Inszenierungsmuster
„ Doppelte Rahmung des
Fernsehfußballs:
Aktion und Präsentation
Information und Unterhaltung
„ Spannungsbalance des Spiels und
mediengerechte Showelemente
Inszenierungsmuster
„ Telegenisierung
„ Narrativisierung
„ Emotionalisierung
„ Personalisierung
Telegenisierung
„ Ziel: Maximierung des Publikumsinteresses
„ transparente Bildsprache und telegerechte
Innovationen
„ Anreicherung mit melodramatischen Elementen, die
zeitliche Ausdehnung der Sportübertragungen, der
Einsatz von innovativen Kameratechniken und digital
aufbereiteten Zusatzinformationen (Graphiken,
Abstandsmessungen usw.), schnelle Schnittfolgen,
die Musikuntermalung oder das Nachstellen von
Spiel-szenen per Computeranimation.
Telegenisierung der Sportstätten und -geräte
„ Sportstadien als TV-Surrogat (Barnett, 1990)
„ Implantation von Fernsehtechnik in die Sport-
ausrüstung
„ Minikameras, joystickgesteuerte Floor- und
Skycameras
Telegenisierung der Wettkampfmodi
„ Dauer des Wettkampfs (Sudden Death; Tie
Break; Golden und Silver Goal etc.)
„ Straffung des Wettkampfgeschehens : Einführung des Rally-Point-System im Volleyball.
„ Moderner Fünfkampf : In Anlehnung an den
Biathlonsport ist u.a. eine Zusammenlegung
des Laufens und Schießens zu einem
Wettbewerb geplant, an den am gleichen Ort
unmittelbar das Springreiten anschließen soll.
Telegenisierung der Wettkampfmodi
„ Problem : Ungewissheit des Ausgangs
„ Lösung : Spielsysteme mit Gruppenphase
„ Steigerung des dramatologischen Potentials :
Play Offs ; Golden League in der
Leichtathletik
„ Zusammenfassung mehrerer, ursprünglich
voneinander unabhängiger Einzelwettkämpfe
zu einer Serie (Riders Tour, smart beach
tour, Tour de Ski etc.).
Schaffung fernsehgerechter Wettkämpfe
„ Mittendrin statt nur dabei : TV-Zuschauer
ins Geschehen einbinden, Erzeugung von
Präsenz.
„ Sportereignisse erfinden, deren Dramaturgie
und Handlungsraum von vorneherein dem
Blick der Kamera entgegenkommt.
Narrativisierung
„ Bezüge zum Leistungsprinzip, zum
Heroischen, zur Globalisierung, zu
Nationalität, Ethnizität und
Geschlechteridentitäten.
„ Sportberichterstattung wird vermehrt in
Geschichten eingebettet, was gleichzeitig mit
einer Orientierung an Stars, einer Etablierung
von Talkformaten sowie einer schleichenden
Boulevardisierung des Fernsehsports
einhergeht.
Narrativisierung
„ Spiele erhalten – vom Wunder von Bern über
die Schande von Gijon bis zur Schmach von
Cordoba - eine Geschichte.
„ Herolde der Medien
Narrativisierung
„ Sport ist heute der einzige Sozialbereich, der Helden
noch in einer ungefährlichen und sozial akzeptierten
Form produzieren kann.
„ Sport als „zentrales Heldensystem der modernen
Gesellschaft“ (Bette, 2007).
„ Sportler treten als heroische Akteure auf, die nicht
nur steile Aufstiege und Triumphe erlebt, sondern
auch in den Abgrund geblickt, Opfer gebracht, Krisen
und Momenten des Scheiterns ausgesetzt gewesen
sind.
Narrativisierung
„ Narrativisierung gibt dem Fernsehfußball eine
epische Ordnung, dehnt kostengünstig die
Sendezeit, soll die Publikumsbindung
stabilisieren sowie die emotionale Teilhabe
der Zuschauer steigern und
Gesprächsanlässe liefern
Emotionalisierung
„ Sprachverwendung der Journalisten,
„ bestimmte sportliche Rituale (Abspielen der
Nationalhymnen, Siegerehrung) und Regeln
(Elfmeterschießen, Play Offs),
„ Fernsehtechnik (Superzeitlupe,
Großaufnahme),
„ Wir und die Anderen als wiederkehrende
Grundfigur der Berichterstattung.
Emotionalisierung
„ TV-Inszenierungen knüpfen an schon vor-
handene Sympathien bzw. Antipathien der
Zuschauer für die Mannschaften an.
„ Die Identifikation mit den Sportlern und/oder
Teams stimuliert das Mitfiebern bei den
Wettkämpfen und induziert unter Umständen
Muster parasozialer Beziehungen.
„ Positiv empfundener Spannungszustand.
Emotionalisierung
„ „Das zentrale sportliche Motiv der Spannung
weicht im Mediensport immer stärker einem
affektiv gesteuerten Gemeinschaftserleben –
der sportlichen Spannung werden
zunehmend emotionalisierende Themen und
Inhalte in Form von Geschichten beigefügt,
es findet also eine thematische
Emotionalisierung der sportlichen Spannung
durch Anschlusskommunikationen statt“
(Horky, 2003, 27).
Emotionalisierung
„ Als Verbalisierungsstrategie will Emotionali-
sierung die Gefühlsregungen der handelnden
Personen zur Sprache bringen,
„ als Visualisierungsstrategie zielt sie darauf
ab, Augenblicke großer Intensität und
Präsenz zu erzeugen.
Personalisierung
„ Fokussierung der Sportberichterstattung auf
die Stars.
„ Spiel mit den Images populärer Sportlerinnen
und Sportler.
„ Präsentation der persönlichen Qualitäten von
Individuen als ausschlaggebende Faktoren
für die Teamleistung, für Siege und
Niederlagen.
„ Konzentration auf “Matchwinner” und
“Pechvögel”
Personalisierung
„ senkt den televisionären
Inszenierungsaufwand und bietet eine
Vielzahl wünschenswerter publizistischen
Anknüpfungsmöglichkeiten (z.B.
Unterhaltungssendungen, Homestories in
Magazinformaten, Quiz- oder Talkshows).
Personalisierung
„ Celebrity Culture :
Einzelne Sportler sind
dafür berühmt, global
besonders bekannt zu
sein.
Zwischenfazit
„ TV-Berichterstattung sucht jenen Mehrwert
an Entertainment zu gewährleisten, der
Zuschauer länger und öfter an das Programm
bindet sowie auch allenfalls schwach am
Fußball interessierte Personen zum
Einschalten bewegt.
„ Sein gemeinschaftsbildendes Potential macht
den Fernsehfußball zu einem der raren
Angebote, die vor dem Bildschirm noch einen
echten Versammlungseffekt auslösen
können.
Public Viewing – Öffentliches
Fernsehen als Stadion-Surrogat
Public Viewing
„ Selbstinszenierung von Sportzuschauern hat
Tradition (Fangesänge, Bekleidungsrituale
usw.)
„ Mit der Theatralisierung des (Fernseh-)
Spiels steigt die Bereitschaft des Publikums
sich durch eigene Aktivitäten selbst zu
unterhalten, eigene Ausdrucks- und
Erlebnisformen zu entfalten.
Public Viewing
„ WM-Endrunde 2006: zehn bis zwölf Millionen
Menschen verfolgen die
Fernsehübertragungen der Vorrundenspiele
der deutschen Nationalmannschaft außer
Haus.
„ Und rund sechzehn Millionen Zuschauer
versammelten sich bei den Achtel-, Viertelund Halbfinalspielen mit deutscher
Beteiligung vor den Bildschirmen im
öffentlichen Raum.
Public Viewing
„ innovative Präsentationstechniken
(elektronisch gesteuerte Leuchtdioden mit
hoher Strahlkraft).
„ Public Viewing und Fanmeilen als StadionSurrogat.
„ Gruppe der 14 bis 29 jährigen Zuschauer
zeigt höchste Affinität zum Besuch von Public
Viewing-Veranstaltungen (Carat Expert,
2006).
Public Viewing
„ flüchtige Gemeinschaftserlebnisse oder neue
Öffentlichkeiten?
„ hoher kollektiver Erlebnisbedarf in
zeitgenössischen Gesellschaften.
„ eher eine gefühlte als eine kommunikativ
gestaltete Gemeinschaft.
„ Entstehen einer kollektiven Affektlogik
(Bemalung, Singen, Kostümierung usw.).
Public Viewing
„ Public Viewing unterstützt immer auch eine –
auf das Einschwingen in eine gemeinsame
Emotion gerichtete – Beschäftigung des
Publikums mit sich selbst.
„ Ein Nebeneffekt der Theatralisierung des
Fernsehfußballs besteht darin, dass Teile des
Publikums ein eigenes – sich kurzfristig aus
der Situation ergebendes – Spiel öffentlich
aufführen.

Documentos relacionados