aufblühen - EMK Solothurn

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aufblühen - EMK Solothurn
aufblühen
Predigt, gehalten am 4.5.2014 in der EMK Solothurn (Urs Rickenbacher)
Als EMK Solothurn haben wir in diesem Jahr das Schwerpunktthema ‚im Glauben wachsen‘.
Im Glauben wachsen heisst unter anderem, dass der Glaube immer mehr unser Leben prägt.
Damit meine ich nicht etwa, dass wir jeden Tag an einer kirchlichen Veranstaltung
teilnehmen, jede freie Minute in der Bibel lesen etc. Nein, dass der Glaube unser Leben
prägt, heisst für mich, dass er mehr und mehr zu der Kraft wird, die uns prägt. Ja, ich glaube,
„im Glauben wachsen“ hat auch mit Persönlichkeitsentwicklung zu tun. Und zu diesem Thema
mache ich zurzeit ein Predigtreihe.
Letzte Woche redete ich von meiner Sehnsucht, dass ich als Mensch reifer und somit
geniessbarer werde.
Heute möchte ich von meiner Sehnsucht reden, dass Menschen aufblühen.
Ich glaube, das ist sogar einer meiner Hauptmotivationspunkte, warum ich Pfarrer bin: weil
der Glaube an Gott Menschen aufblühen lässt. Das ist meine Überzeugung: Wo Menschen
Gott begegnen/wo Menschen mit Gottes Liebe in Berührung kommen und in dieser Liebe
verwurzelt werden, da blühen sie auf.
Es gibt einen Bibeltext, in den ich mich fast ein wenig verliebt habe, der genau davon redet. In
Hosea 14,5-8 da lesen wir, was der Prophet Gott sagen hört:
Ich will ihre Untreue heilen und sie aus lauter Großmut wieder lieben. Denn mein Zorn hat
sich von Israel abgewandt.
Ich werde für Israel da sein wie der Tau, damit es aufblüht wie eine Lilie und Wurzeln schlägt
wie der Libanon. Seine Zweige sollen sich ausbreiten, seine Pracht soll der Pracht des
Ölbaums gleichen und sein Duft dem Duft des Libanon.
Sie werden wieder in meinem Schatten wohnen; sie bauen Getreide an und blühen wie die
Reben des berühmten Weines vom Libanon.
Dieser Text enthält ein richtiges Feuerwerk von Bildern, die in blumiger Sprache beschreiben,
was passiert, wenn jemand Gottes Liebe erfährt. Man kann diesen Abschnitt ganz knapp
zusammenfassen: „Gott sagt: Ich will die Menschen lieben, und sie werden aufblühen.“
Natürlich wäre es schade, wenn es so kurz und trocken formuliert wäre. Aber vielleicht ist es
doch hilfreich, wenn wir uns auf diese Weise den Kerngedanken dieses Abschnittes
herausschälen. Gott redet von seinem Willen zu lieben – aller menschlichen Abkehr von ihm
zum Trotz. Er will lieben. Und wo Menschen diese Liebe spüren, da blühen sie auf.
Natürlich sind diese Worte zunächst an die Israeliten in einer bestimmten Situation gerichtet.
Aber so, wie diese Worte für Israel über diese bestimmte historische Situation hinaus Geltung
haben ihnen, so gelten sie auch über die ursprünglichen Empfänger hinaus. Diese Verse
drücken etwas ganz grundsätzliches aus: Wo Gottes Liebe bei Menschen ankommt, da führt
das dazu, dass sie aufblühen.
Ich bin mir bewusst, dass man nicht von allen Glaubenden als erstes denkt: „Das ist jetzt eine
beeindruckende Persönlichkeit!“ Zweifelsohne hat das Christentum auch immer schon
seltsame oder unangenehme Menschen hervorgebracht. Der Glaube macht manchmal
Menschen selbstgerecht. Der Glaube macht manche Menschen fanatisch, ihr Herz ist eng
geworden und von Hass gegenüber Andersgläubigen erfüllt. Zweifelsohne gibt es Beispiele
dafür, dass manche kirchliche Gemeinschaften bei Menschen eine knechtische Haltung
gefördert haben; sie haben ihre eigenen Bedürfnisse und kritischen Gedanken unterdrückt,
weil ihnen gesagt wurde, dass alles, was den Pastor oder die Lehre der Gemeinde in Frage
stelle, vom Teufel komme. Natürlich kennen wir verklemmte ChristInnen, oder solche, die
immer ein schlechtes Gewissen haben.
In den 1990er-Jahren kam einmal sogar die These auf, dass es eine sogenannte
ekklesiogene Neurose gibt. (Ekklesia, griech = Kirche, vgl. église; „gen“=hervorbringend).
Diese These heisst also, dass die Kirche eine Neurose/eine psychisches Leiden verursachen
kann. Zum Beispiel kann es Menschen seelisch krank machen, wenn in der Kirche ein Gott
verkündet wird, vor dem man Angst haben muss, weil er jeden Fehler sieht und irgendwann
bestrafen wird. Ganz schwerwiegend sei es dann, wenn da ein Gott verkündet wird, dem man
es nie recht machen kann und den man gleichzeitig auch noch lieben muss; das überfordert
Menschen seelisch.
Allerdings ist diese These, dass die Kirche krank mache, sehr umstritten. Etliche Psychologen
meinen, der Sachverhalt sei vielmehr so, dass manche Leute an einer Neurose leiden und
diese einfach in der Kirche ausleben.
Wie dem auch sei: Es lässt sich jedenfalls nicht bestreiten – auch wenn es mir lieber wäre,
wenn es nicht so wäre -: Kirchen können einengen oder die Entwicklung eines Menschen
hemmen. Und ich halte es für wichtig, dass wir uns dieser Gefahr bewusst sind und ein
offenes Auge dafür haben, ob wir nicht auch krankmachende Tendenzen haben.
Was ich auf der anderen Seite aber nicht glaube, ist die Behauptung, dass der Glaube quasi
notwendigerweise krank mache und die Menschen in ihrer Persönlichkeitsentfaltung hindere.
Im Gegenteil: Ich glaube, dass es nichts Heilsameres gibt als die Erfahrung der Liebe Gottes.
Es gibt nichts Heilsameres als die Erfahrung, dass es da eine Liebe gibt, die die bei vielen so
tief sitzende Angst, dass sie nicht genügen, überwindet. Ich glaube, dass es nichts
Heilsameres gibt als die Erfahrung, dass da jemand ist, der ohne Wenn und Aber Ja zu mir
sagt: Ja, wenn ich mich selber nicht annehmen kann, Ja, wenn ich grossen Mist gebaut habe,
Ja, wenn ich meiner Partnerin nicht mehr genüge, Ja, wenn mein Arbeitgeber meint, dass es
für mich keine Platz mehr gibt.
In zwei Wochen werden wir beim Connexio-Sonntag einen Gast bei uns haben, der von der
Arbeit mit Roma erzählt. Was denken Sie, was es auslöst, wenn diese von fast allen
verstossenen und verachteten Menschen hören, dass Gott sie bedingungslos liebt und
vorbehaltlos annimmt? Ich habe selber schon eine Roma-Gemeinde in Serbien besucht, und
ich fand, dass man richtig spürte, wie diese Menschen aufblühten, wenn sie Gottes Liebe
feierten.
Ich bin überzeugt: Menschen blühen auf, wenn sie die Liebe Gottes erfahren.
Ich meine das nicht nur in dem Sinne, dass wir aufblühen, wie wenn ein Fussballfan vom
Fussball erzählt oder ein alter Mensch von seiner Jugend oder wie wenn jemand Musik
macht. Das ist auch wichtig, und ich liebe es, wenn bei Menschen die Augen zu leuchten
beginnen und man ihre Begeisterung spürt, die sie für etwas empfinden. Solches Aufblühen
gehört auch zum Glauben. Aber es geht um mehr als um eine Welle der Begeisterung. Es
geht darum, dass ein Mensch in seiner Persönlichkeit aufblüht und seine Persönlichkeit
entfaltet, wenn er Gottes Liebe erfährt.
Ich rede also vom „Aufblühen“ zum Beispiel in dem Sinne, dass jemand, der viele
Gemeinheiten erlebt hat, deswegen nicht verbittert, sondern menschlicher wird.
Ich meine es in dem Sinn, dass Menschen, die ein schweres Schicksal zu tragen haben, sich
mit sich selber und ihrer Geschichte versöhnen.
Ich meine es in dem Sinn, dass Menschen bei Gott ihre lähmenden Sorgen ablegen können,
so dass sie zu einer hilfreichen Gelassenheit finden und Kräfte frei werden, damit sie ihr
Leben wieder gestalten können.
Aufblühen kann bedeuten, dass Menschen, die meinen, es gäbe keine Perspektive mehr für
ihr Leben, plötzlich wieder vorwärts schauen können und Sinn in ihrem Leben finden, weil sie
merken, dass Gott aus etwas Schlechtem Gutes machen kann.
Aufblühen kann bedeuten, dass Menschen nicht nur machen, was andere von ihnen
verlangen, sondern dass sie Gaben entdecken, die Gott in ihr Leben gelegt hat, und sie diese
zu entfalten beginnen.
Aufblühen kann bedeuten, dass jemand durch die Zusage, dass Gott zu mir steht, auch wenn
andere mich doof finden, den Mut erhält, die eigene Meinung zu sagen, auch wenn andere
diese nicht gerne hören.
Aufblühen kann bedeuten, dass jemand Lebensmottos oder Verhaltensmuster, die immer
wieder in eine Sackgasse geführt haben, erkennen und ablegen kann, weil er in der
Geborgenheit von Gottes Ja sich auch an seine Schattenseiten heranwagt.
Solches Aufblühen geht nicht von einem Tag auf den anderen, aber es geht.
Ich weiss es, weil ich selbst erlebt habe, wie ich in Gesprächen mit einer Seelsorgerin
zerstörerische Muster erkennen und einen lebensfreundlicheren Umgang damit finden
konnte. Ich weiss es, weil ich gesehen habe, wie aus meinem Grossvater, der als Verdingkind
keine leichte Kindheit hatte, ein Mensch voller Güte geworden ist. Ich weiss es, weil ich mit
Romas zusammen Gottesdienst gefeiert und gegessen habe. Ich weiss es, weil ich
Menschen erlebt habe, die am Ende waren und neu anfangen konnten.
Wo wir Gottes Liebe begegnen, da blühen wir auf. Und je mehr wir in dieser Liebe verwurzelt
sind/je mehr wir uns dieser Liebe und ihrer Bedeutung für unser Leben bewusst sind/ich
könnte auch sagen: je mehr wir im Glauben wachsen, desto mehr werden wir aufblühen.
Und darum bin ich voller Sehnsucht, dass Sie Gottes Liebe erfahren, damit Sie aufblühen und
herrliche Früchte reifen.
Amen

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