Folien - WWZ - Universität Basel

Transcrição

Folien - WWZ - Universität Basel
Wachstum in Theorie,
Empirie und Geschichte
Peter Kugler
WWZ Universität Basel
FS 2009
1
Übersicht
•
•
•
•
•
•
Einleitung: Theorie, Empirie und Geschichte
(Clark Chapter 1; Romer Chapter 1- 3, Allen)
Kulturelle Faktoren (Landes)
Institutionelle Faktoren (Clark Chapter 8, Allen)
Demographisch-genetische Faktoren (Clark
Chapter 4-6, Allen)
Geographie und Aussenhandel
(Findlay/O’Rourke Chapter 6-7)
Ein OLG-Modell der Fertilität und der
Kapitalakkumulation
2
1
Theorie
• Solow Modell
• Ramsey-Cass-Koopmans Modell (Intertemporal
Optimales Wachstum)
• Diamond Modell (OLG)
• Wachstum wird in allen drei Modellen vom
(exogenen) technischen Fortschritt und
Bevölkerungswachstum getrieben
• Endogenes Wachstum: Wissens- und
Humankapitalakkumulation
3
Empirie
• Kremer (1993): Endogener technischer Fortschritt, L:
Weltbevölkerung, n: Wachstumsrate, 1 mio vor Chr. –
1990:
n = −0.0023 + 0.524 L , R 2 = 0.92
t
t
(.026)
• Mankiw, Romer, Weil (1992): y: Prokopfeinkommen,
Sparquote Kapital (SK) und Humankapital (SH), 98
Länder 1960-85:
ln( yi (t )) − ln( yi (0)) = 2.46 + 0.500(ln(SK i − ln(ni + 0.05))
(0.082)
+ 0.238(ln(SH i − ln(ni + 0.05)) − 0.299 ln( yi (0))
(0.060)
(0.061)
4
2
Geschichte
30000
Prokopf -BIP (1990er $), CH,China,Indien,Japan, UK,
US, Westeuropa 12; 1-2003, Maddison
25000
20000
15000
10000
5000
0
250
500
750
1000 1250 1500 1750 2000
YC H
YCI
YIN
YJ P
YUK
YUS
YWE
5
1800
P rokopf -B IP (1 990e r $), C H,C hina,Indien,Ja pan, U K ,
1600 US , W esteuro p a12; 1-184 0, M a ddison
1400
1200
1000
800
600
400
200
2 50
500
YC H
YC I
YIN
750
1 000
YJP
YUK
YUS
1250
1500
17 50
YW E
6
3
30000
P ro k o p f -B IP (1 9 9 0 e r $ ), C H ,C hina ,Ind ie n,J a p a n, U K ,
U S , W e s te ur o p a 1 2 ; 1 8 4 0 -2 0 0 3 , M a d d iso n
25000
20000
15000
10000
5000
0
1850
1875
G D P PC C H
G D P PC C I
G D P P C IN
1900
1925
1950
G D P PC JP
G D P PC UK
G D P PC US
1 97 5
2000
G D PP C W E
7
• Keine grossen Unterschiede des Prokopf-BIPs im
Jahre 1 (nur WE12 deutlich höher, Römisches
Imperium).
• Nivellierung um 1000 mit leichten Vorteilen für Asien.
• Westeuropa (vor allem Italien) gewinnt um 1500 einen
leichten Vorsprung vor Asien.
• Westeuropa (vor allem wegen den Niederlanden und
England) haben um 1600 höhere Einkommen.
• Von 1700 bis 1900 wird das UK mit einer
Wachstumsbeschleunigung (Industrielle Revolution)
wirtschaftlich dominant und wird dann im 20ten
Jahrhundert von anderen „europäischen“ Ländern einoder überholt (USA, Schweiz).
• Japan stösst nach dem 2. Weltkrieg in die
Spitzengruppe vor, ab 1980 ist auch ein starkes
Wachstum in China und Indien zu verzeichnen.
8
4
1400
1200
B evölke rung (M io), C H,C hina,Indien,Japa n, UK ,
US , W esteuro pa12; 1-2003, M addison
1000
800
600
400
200
0
250
500
750
1000 1250 1500 1750 2 000
NC H
NC I
NIN
N JP
N UK
N US
NW E
9
400
B evö lkerung (M io), C H,C hina,Indien,Japa n, UK ,
US , W este uropa12; 1-1820, M addison
300
200
100
0
250
500
NC H
NC I
NIN
750
1000
N JP
N UK
N US
1250
1500
1750
NW E
10
5
• China und Indien haben seit dem Beginn unserer
Zeitrechnung eine relativ grosse Bevölkerung.
• China weist unter der Ming (1365-1644) und unter der
Qing (1644-1912) Dynastie ein sehr hohes
Bevölkerungswachstum auf.
• In Westeuropa setzt im Mittelalter ein Trendwachstum
der Bevölkerung ein (trotz dramatischem Rückgang in
der Pest im 14ten Jahrhundert), das sich in der
Industriellen Revolution stark beschleunigt.
• In den USA und Japan stellen wir erst nach 1800 ein
starkes Bevölkerungswachstum fest.
• Tendenziell ist das Bevölkerungswachstum deutlich
höher als das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens.
11
Nochmals Theorie: Malthus Modell
• Sowohl Mortalität (m) als auch Fertilität (f) sind
Funktionen des Pro-Kopf-Einkommens (y): m = m(y), m‘
< 0, f = f(y), f‘ >0. Im langfristigen Gleichgewicht gilt m
= f bei einer konstanten Bevölkerung.
• Das Pro-Kopf-Einkommen (y) ist eine konkave (wegen
fixen Faktoren, insbesondere Boden) Funktion der
Bevölkerung (N) und des Stands der Technologie (A): y
= AF (N), F‘<0.
• Einmaliger technischer Fortschritt (dA>0) führt in
diesem Modell zu einem grösseren N bei konstantem y.
• Modell eignet sich zur Analyse vorindustrieller
Volkswirtschaften.
12
6
14 00
B e völke rung (M io ), C H,C hina ,Ind ien,Jap a n, UK ,
US , W esteuro p a1 2; 18 20 - 2 00 3, M ad diso n
12 00
10 00
8 00
6 00
4 00
2 00
0
18 25
18 50
1 87 5
1 90 0
NC H
NC I
NIN
19 25
1 95 0
N JP
N UK
N US
19 75
2 00 0
NW E
13
70
B e vö lke rung (M io ); C H, UK
60
50
40
30
20
10
0
25 0
500
750
1000 1250 1500 1750 2000
NCH
NUK
14
7
Kulturelle Faktoren
•
•
•
Kulturelle Faktoren (Religion, Weltanschauung,
Wertvorstellungen) sind potentiell wichtige
Determinanten des Wachstums.
Der Aufstieg der protestantischen Seemächte
Niederlande und England im 17ten und 18ten
Jahrhundert wird auch mit der Religion in
Verbindung gebracht (Max Weber,1920).
Das China Rätsel: China war im Hochmittelalter
Westeuropa weit voraus. Schubkarren, Steigbügel,
Kummet, Kompass, Papier, Buchdruck, Papiergeld,
Schiesspulver, Hochofen, Porzellan,
Spinnmaschine) in China vor allem unter der SongDynastie (960-1279) entwickelt. Alle technischen
Voraussetzungen für eine industrielle Revolution
waren im 11/12ten Jahrhundert erfüllt.
15
Religion
•
•
•
•
Die jüdisch-christliche Religion förderte im Gegensatz zu
Daoismus und Buddhismus Wissenschaft und technische
Innovation:
Produktivitätsfortschritte in den hochmittelalterlichen
Klöstern (Nutzung von Laienbrüdern und Maschinen) um
die Mönche von Handarbeit zu befreien.
Unterordnung der Natur unter den Menschen.
Lineare (nicht zyklische) Zeitvorstellung ermöglicht
Fortschrittsglaube.
Erfüllung der weltlichen Berufspflichten (nicht die Askese)
ist im Luthertum gottgefällig. Prädestination (Gottesgnade
vorherbestimmt, kann nicht durch Beichte, Ablass oder
Busse erreicht werden) im Calvinismus fördert Arbeit als
Mittel zur Selbstgewissheit.
16
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Weltanschauung und Wertvorstellung
In Europa bildete sich im Verlauf des Mittelalters immer
mehr eine individualistische, konkurrenzorientierte und
zukunftsgerichtete Gesellschaft mit „Rebellionsbereitschaft“
(Städte gegen Landesherren, Magna Carta, Investiturstreit,
Ketzer, Reformation, Wissenschaft gegen Kirche). China
hingegen war über Jahrtausende durch eine Orientierung
an den Traditionen und einen totalitären Machtanspruch des
Staates (bzw. Kaisers) gekennzeichnet:
• Verehrung von Ahnen und Alten, Konfuzianismus.
• Kontrolle oder Aneignung aller Aktivitäten durch den Staat
(Kleider-, Bau- und Farbvorschriftenvorschriften,
Staatsmonopole für Salz, Tee, Aussenhandel, keine
privaten Zeitungen bis ins späte 19te Jahrhundert), fehlende
private Eigentumsrechte und Konkurrenz.
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• Kontrolle oder Aneignung aller Aktivitäten durch den Staat
(Kleider-, Bau- und Farbvorschriftenvorschriften,
Staatsmonopole für Salz, Tee, Aussenhandel, keine
privaten Zeitungen bis im späte 19te Jahrhundert),
fehlende private Eigentumsrechte.
• Absolute Hierarchie: Kaiser, Grossgrundbesitzer und
Bürokraten (Mandarine) dominierten die Gesellschaft.
Handwerker und Händler genossen wenig ansehen und
hatten keinen politischen Einfluss.
• Sinozentrismus: „Reich der Mitte“ und „Sohn des Himmels“
China besass grosse Assimilationskraft und sinisierte
fremde Herrscher (teilweise Mongolen (Yüan-Dynastie
1279-1368) und vollständig Manschus (Qing-Dynastie
1644-1912). Ausländer wurden als Barbaren betrachtet
und ihr Wissen und ihre Fähigkeiten als den Chinesen
18
schon lange bekannt und/oder nutzlos eingestuft.
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Fazit
Kulturelle Faktoren (neben Institutionen, die auch kulturell
geprägt sind) sind wichtig, um zu erklären, dass
• China in der Song Zeit keine industrielle Revolution erlebte
• China unter den späten Ming und den Qing vom Kontakt
mit dem Westen nichts profitierte.
Tradition, streng hierarchische Wertvorstellungen und
Gesellschaftsordnung sowie weitgehende Staatskontrolle
privater Aktivitäten führten dazu, dass Erfindungen wie der
Hochofen und die Spinnmaschine wieder in Vergessenheit
gerieten oder nicht weiter entwickelt wurden. Der
Sinozentrismus führte zu Einschränkungen oder sogar
Abbruch von Aussenhandelbeziehungen und keiner
Bereitschaft, westliche Errungenschaften zu übernehmen.
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• Konfuzianische Werte (Gemeinschaftsinteressen,
Familie, Konsens, Hierarchische Ordnung,
Beziehungen) im Gegensatz zu westlichen Werten
(Individualinteressen, Konflikt, Gleichheit, Freiheit)
werden teilweise als Ursachen des Wachstums in
Ostasien (Japan, Tigerstaaten, China) in den letzten
50 Jahren angesehen.
• Warnung: Die (vorübergehenden) sehr hohen
Wachstumsraten dieser Länder von 8-12% können
nicht mit Werten von 2-3% in den westlichen Länder
im 19ten Jahrhundert verglichen werden: Im ersten
Fall wird das Wachstum durch die Übernahme
schon bekannter Technologien, während im zweiten
Fall immer erst neue Technologien entwickelt
werden mussten.
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• Konfuzianische Werte können zu Autokratie,
Korruption, Machtmissbrauch und Willkür führen
(und haben geführt!). Nur im Zusammenhang mit
westlichen Institutionen wie Marktwirtschaft und
Demokratie haben sie zum Erfolg geführt. Die
Industrialisierung von Japan seit 1870 bis China seit
1990 sind ohne diese westlichen Institutionen kaum
vorstellbar.
• Es soll aber auch erwähnt werden, dass westliche
Werte neben Kreativität, Unabhängigkeit und
Entwicklungschancen auch ein negatives Potential
haben (Verfall von Gemeinsinn und Familie,
Atomisierung der Gesellschaft, Beziehungslosigkeit)
und zur Vernichtung von „Sozialkapital“ führen kann.
21
Institutionelle Faktoren
•
•
Ökonomische „Orthodoxie“: Effiziente Institutionen
(Sicherheit des Eigentums und der Person, Frei
funktionierende Märkte für Güter, Arbeit und Kapital,
niedrige Fiskallast und –ausgaben, Geldwertstabilität)
fördern Wachstum. Diese Sicht findet sich sowohl bei
Adam Smith in den 1770er Jahren als auch im
„Washington Consensus“ von IMF und Weltbank in den
1990er Jahren.
Aus der institutionellen Sicht erscheint die „Glorious
Revolution“ von 1988 in England und die „Bill of Rights“,
die neben den Grundrechten auch die regelmässige
Einberufung und Zustimmung des Parlaments zu Steuern
und Abgaben sowie dem Unterhalt eines Heeres vorsieht
und England bis 1700 zu einer konstitutionellen Monarchie
mit den idealen Voraussetzungen für eine Industrielle
Revolution machte.
22
11
Argumente gegen die überragende Bedeutung
von Institutionen (Clark 2007, Kapitel 8)
•
•
Endogene Anpassung von ineffizienten Institutionen:
Sklaverei und Knechtschaft haben sich im römischen
Imperium im 2. Jahrhundert und in England im Mittelalter
ohne Revolutionen korrigiert.
Nach Clark (Tabelle 8.1, Folie 24) waren die Institutionen
des mittelalterlichen Englands in den meisten Aspekten
besser als im heutigen UK: Die „Glorious Revolution“ hat
langfristig zu einer Verschlechterung der institutionellen
Rahmenbedingungen geführt. Das wird anhand der
Entwicklung der Staatsquote, der Inflation, der
Staatsschuld und der sozialen Mobilität belegt (Figur 8.2,
8.7, 8.8, 8.9, Folien 25-28)
23
Clark (2007, S. 148)
24
12
Clark (2007, S. 149)
25
Clark (2007, S. 156)
26
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Clark (2007, S. 158)
27
Clark (2007, S. 161)
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Argumente gegen Clark (Allen, 2008, S. 955-958)
•
•
Exogene Schocks führten zur
Abschaffung/Modifikation der Sklaverei im
römischen Reich (Ende der räumlichen
Expansion nach 116) und der Knechtschaft im
mittelalterlichen England (Knappheit an Arbeit
durch Pest, Aufstand gegen Versuche, Löhne
und Mobilität einzufrieren 1381).
Institutionen können nur eine notwendige und
keine hinreichende Bedingung für Wachstum
sein. Es braucht dazu noch z. B. Reformation,
wissenschaftliche Revolution, Globalisierung.
29
•
Die Tabelle 8.1 ist sehr optimistisch für das
mittelalterliche England:
- Knechtschaftsverhältnisse bis ins späte
Mittelalter mit unsicheren Eigentumsrechten.
- Nur königliche und nicht andere
landesherrlichen (und kirchliche) Steuern und
Abgaben sind berücksichtigt.
- Die Struktur der Staatsausgaben werden nicht
berücksichtigt: Ermöglichung von Aussenhandel
ind Gütern und Kapital im „British Empire“ sowie
Bildungs- und Infrastrukturinvestitionen werden
nicht berücksichtigt.
30
15
Demographisch-genetische Faktoren,
Clark, 2007
•
•
Fertilität und Mortalität sind im Malthus-Modell
Determinanten des Pro-Kopf-Einkommens
vorindustrieller Gesellschaften und
Verschiebungen dieser Funktionen erlauben
transitorisches Wachstum. Können die
Wohlstandsunterschiede zwischen Westeuropa
und Ostasien in der frühen Neuzeit durch
unterschiedliche Fertilität und Mortalität erklärt
werden?
Hatten in England Reiche mehr überlebende
Kinder als Arme und führte das in einer nicht
trendmässig wachsenden Wirtschaft zu einer
Dominanz „bürgerlicher Werte“ als Basis für die
Industrielle Revolution?
31
Fertilität
• Die Demographie von Nordwesteuropa in der
frühen Neuzeit wurde intensiv anhand der Daten
aus Kirchenbüchern (Geburten, Todesfälle,
Heiraten) analysiert. Die Geburtenrate
(Geburten/Bevölkerung) war wesentlich geringer
(ca. ½) als das biologische Maximum von 6%.
• Diese Tatsache wurde lange Zeit (zum ersten Mal
von Malthus) zur Erklärung des im Vergleich zu
Ostasien hohen Lebensstandard beigezogen.
• Studien der letzten 30 Jahre zeigen aber, dass die
alterspezifischen Geburtenraten in Ostasien aber
leicht geringer war als in Westeuropa (Clark,
Table 4.3, S.77)!
32
16
• Die niedrigen ostasiatischen Fertilitätsraten sind
wahrscheinlich auch direkt und indirekt auf die
Ermordung von Mädchen (vor allem in China,
Schätzung 25% der Mädchen) zurückzuführen.
• Der entscheidende Unterschied besteht in dem
relativ hohen Alter der Frauen bei der ersten
Heirat (24-26% in Nordwesteuropa gegenüber
18-20% in Ostasien), dem hohen Anteil an
ledigen Frauen (10-25% gegenüber 0-1%) und
der geringen Anteil an unehelichen Geburten (34%).
33
34
17
• Die vorindustrielle Fertilität scheint nur schwach
vom Realeinkommen abhängig zu sein (Clark
2007, Figure 4.2, S. 81). In diesem
Zusammenhang ist an das ökonometrische
Identifikationsproblem für die Fertilitätsfunktion
zu erinnern. Exogene Schocks scheinen sowohl
für Fertilität wie auch Mortalität dominant
gewesen zu sein (Allen 2008, S. 951).
35
36
18
• Wichtig ist, dass der englische Hochadel ( die
„Kriegerklasse“) trotz seiner privilegierten Position im
Späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit durch einen
geringen Reproduktionserfolg charakterisiert war.
Insbesondere ist auch ein hoher Anteil an gewaltsamen
Todesursachen zu nennen (Tabelle 6.2).
• Die Schätzung der Einkommen der Erblasser in
Kombination mit den Kirchenbücher erlaubt es, die
Einkommensabhängigkeit der Fertilität und Mortalität
aufuzeigen: Malthus Schere, Figur 6.7.
• Die tendenzielle Abnahme der gewaltsamen Todesfälle
(Mord und Todschlag, Figur 6.9; Kriegstote, Figur 6.10)
begünstigte die Vererbung von „bürgerlichen“ Werten,
aber waren in einer Malthus Welt auch
wohlstandmindern.
37
• Hingegen lassen sich aus Testamenten in
England ein positiver Zusammenhang zwischen
Wohlstand und Fertilität feststellen. Daten für die
Jahre 1620-1638 sind in Clark (2007, S. 88,
Figure 4.3, Table 4.6) dargestellt. Die Reicheren
haben mehr Kinder als die Ärmeren (5.8
gegeüber 4.2).
• Die etwa gleiche Fertilität in Westeuropa und
Ostasien bei einem deutlich höheren
westeuropäischen Einkommen kann im Rahmen
des Malthusmodells durch nach Innen
verschobene ostasiatische Fertilitäts- und
Mortalitätsfunktionen erklärt werden.
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19
39
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20
Mortalität und Lebenserwartung
• Nach dem Malthus-Modell spielt neben der
Fertilität die Mortalität und ihre Altersabhängigkeit
eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung des
Prokopfeinkommens.
• Zwei Fragen stehen im Zentrum: Kann die
negative Altersabhängigkeit der Mortalität
empirisch für die frühe Neuzeit nachgewiesen
werde? Welche Rolle spielt die Mortalität bei der
Erklärung der beträchtlichen internationalen
Einkommensunterschiede in der frühen Neuzeit?
• Die Lebenserwartung (E) ist approximativ der
Kehrwert der Mortalität (m): E = 1/m.
41
Lebenserwartung in vorindustriellen Gesellschaften
• Tabelle 5.2 aus Clark (2007, S. 94) zeigt, dass die
Lebenserwartung bei Geburt in agrarischen
Gesellschaften zwischen 23 -38 liegt. Dieser Wert
kommt vor allem durch eine hohe Kinder- und
Jugendsterblichkeit zustande (Restlebenserwartung
mit 20 liegt im gleichen Bereich!). Grosstädte haben
eine besondere niedrige Lebenserwartung (London 23
gegenüber England 38, 1750-99).
• In China und Japan finden wir eine tiefer
Lebenserwartung als in England bei tendenziell
höherer Restlebenserwartung (wahrscheinlich
verursacht durch Kindstötungen)
42
21
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Einkommen und Mortalität
• Figur 5.1 aus Clark (2007, S. 97) zeigt eine positive und nicht
eine negative Beziehung zwischen Mortalität und Einkommen
in England (1540-1800). Dieses aggregierte Ergebnis kann
durch Verschiebungen der Mortalitätsfunktion verursacht sein.
• Figur 5.2 und 5.3 aus Clark (2007, S. 98) zeigen eine
positiven Zusammenhang zwischen Wohlstand und
Lebenserwartung aus Testamenten von acht Londoner
Kirchgemeinden der Jahre 1538-1653.
44
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45
46
23
Mortalität und Lebensstandard
• Der höhere Lebensstandard in Nordwesteuropa in der im
späten Mittelalter und der frühen Neuzeit ist vor allem durch
eine nach Rechtsverschiebungen der Mortalitätsfunktion zu
erklären. Hauptgrund war das Auftreten der Pest seit 1347 in
Europa. Nach der europaweiten Hauptwelle 1347/48 gab
zahllose lokale Ausbrüche (z. B. nur in Paris 22 zwischen
1348-1596) insbesondere in grossem Ausmass im 17ten
Jahrhundert (Italien, Frankreich, Holland, London, Österreich
und Deutschland, 1657-1670). In Ostasien ist die Pest erst
Ende des 18ten Jahrhunderts aufgetreten. Daneben war auch
höhere Hygienestandards in Ostasien für eine weiter innen
liegende Mortalitätsfunktion verantwortlich.
• Figur 5.5 zeigt, dass gemäss dem Malthus Modell
Produktivitätsfortschritte in den Niederlanden von 1500 –
1810 langfristig nur zu einer höheren Bevölkerung geführt
47
haben
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49
Malthus und Darwin
• Clark (2007, Kapitel 6) wendet das Darwinsche
Evolutionsmodell („survival of the fittest“) auf eine Malthus
Volkswirtschaft an („survival of the richest“). Die Analyse
von ca. 5000 englischen Testamenten der Jahre 1585-1638
zeigt, dass die Anzahl der überlebenden Kinder mit dem
hinterlassenen Vermögen wächst (Figur 6.2).
• Das Ergebnis scheint kein Artefakt zu sein (Ärmere
berücksichtigen nicht alle Erben). Ärmere hinterlassen
einen grösseren Anteil des Vermögens für wohltätige
Zwecke (Armenfürsorge) und nicht verwandte Personen
(Figur 6.3). Zusätzlich wird das genetische Element noch
durch Klauseln bezüglich Wiederverheiratung gestützt.
• Die Kinder der Reichen heben ihren Vorteil des geerbten
Vermögens zu einer höheren Reproduktion genützt:
Grosskinder pro Kind sind höher für Reiche (Figur 6.4) und
Erbschaft von Vater und Sohn sind korreliert (Figur 6.5).50
25
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26
53
54
27
• Wichtig ist, dass der englische Hochadel ( die
„Kriegerklasse“) trotz seiner privilegierten Position im
Späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit durch einen
geringen Reproduktionserfolg charakterisiert war.
Insbesondere ist auch ein hoher Anteil an gewaltsamen
Todesursachen zu nennen (Tabelle 6.2).
• Die Schätzung der Einkommen der Erblasser in
Kombination mit den Kirchenbücher erlaubt es, die
Einkommensabhängigkeit der Fertilität und Mortalität
aufuzeigen: Malthus Schere, Figur 6.7.
• Die tendenzielle Abnahme der gewaltsamen Todesfälle
(Mord und Todschlag, Figur 6.9; Kriegstote, Figur 6.10)
begünstigte die Vererbung von „bürgerlichen“ Werten,
aber waren in einer Malthus Welt auch
wohlstandmindern.
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28
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58
29
59
• In einer Volkswirtschaft mit nur sehr geringem
Trendwachstum konstanter Landwert und
berufsspezifischen Reallöhnen führt langfristig
zwangsläufig zu einem sozialen Abstieg der Nachkommen
der Reichen. Die Daten für Suffolk (1620-38, Tabelle 6.5)
zeigen, dass die Söhne der Reichen (Armen) in der
zweiten Generation einen grösseren (kleineren) Anteil an
der männlichen Bevölkerung stellen. Analog kann an
anhand von Daten von Halesowen, 1270-1348 gesehen
werden, dass die die Persistenz des Landbesitzes
einkommensabhängig ist ( Tabelle 6.6).
• Das Sinken der Ertragsraten (Miet und Pachzinsen) in
England vom Hochmittelalter bis in die Neuzeit wird von
Clark durch die Abnahme der Zeitpräferenz erklärt (Figur
9.1).
• Analog wird die Zunahme der Lese- und
Rechenfähigkeiten in England der Frühen Neuzeit
60
„genetisch“ erklärt (Figur 9.3 und 9.5)
30
61
62
31
63
64
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Kritik an der Malthus-Darwin Hypothese
• Clark (2007, S. 166) erklärt die Industrielle Revolution
durch die Dominanz von „bürgerlichen“ oder „MittelklasseWerten“ (Rationalität, Sparsamkeit, harte Arbeit, Vorsicht,
Verhandlungen) in England im 18 Jahrhundert in der
gesamten Bevölkerung. Diese Entwicklung basiert auf dem
„survival of the richest“ in einer Wirtschaft ohne
Trendwachstum, wobei die „mittelalterlichen“ dominanten
Werte der Unterklasse (Impulsivität, Ausgabenfreudigkeit,
Faulheit, Gewalt) sukzessiv ersetzt wurden.
• Allen (2008, S. 58-62) unterzieht diese Hypothese und die
für sie angeführte Evidenz einer kritischen Evaluation.
Generell kann festgehalten werden, dass die angeführten
Veränderungen (Zinsen, Alphabetisierung, u. s. w.) nicht
notwendigerweise durch veränderte Werthaltungen
entstanden. Alternative Erklärungen sind:
66
33
- Mit der Einführung des Buchdrucks sinken die Preise
von Büchern und steigt damit die Nachfrage nach
Lesefähigkeit. Zudem ist in England die
Urbanisierungsquote (Städte > 5‘000) von 7% um 1500 auf
29% um 1800 angestiegen. Damit waren auch verstärkte
Anreize zur Alphabetisierung verbunden.
- Das Sinken der Zinssätze beobachten wir seit dem späten
Mittelalter zuerst in Italien und dann später ausgeprägt in
den Niederlanden (Chart 3, Homer/Sylla, A History of
Interest Rates, 2005, S. 139). England folgt verzögert und
unterscheidet sich in dieser Hinsicht kaum von Frankreich.
Dieser Trend wird vor allem durch die Entwicklung von
neuen Kreditinstrumenten, Finanzmärkten und Banken in
Italien (spätes Mittelalter) und den Niederlanden (frühe
Neuzeit) erklärt.
67
68
34
• Mit der Weber-Hypothese bezüglich der Rolle des
Calvinismus lässt sich der von Clark diagnostizierte
Wertewandel auch erklären. Analog kann die Aufklärung
als grundlegende Veränderung hin zu mehr Rationalität
gesehen werden.
• Schliesslich ist es plausibel, dass die ökonomische
Entwicklung mit zunehmendem Handel und Urbanisierung
die Anreize zu einer Verhaltensänderung (höhere Erträge
auf „bürgerliche“ Attribute) gegeben hat.
• Im Lichte dieser alternativen Erklärungsansätze werden wir
die Hauptpunkte der Darwin-Malthus Hypothese nochmals
unter die Lupe nehmen:
– Die Reichen im Mittelalter hatten „Mittelklassewerte“
Da England im Mittelalter eine agrarische Volkswirtschaft war,
waren auch die meisten Reichen Landbesitzer mit althergebrachten
Verpachtungssystemen. Unternehmertum und „Mittelklassewerte“
haben sich erst durch die Üebernahme von Landbesitz durch die
aufstrebende Klasse der in den Städten reich gewordenen
Kaufleute ab dem 16ten Jahrhundert verbreitet.
69
– Die Armen im Mittelalter hatten keine „Mittelklassewerte“
Wir haben wenig direkte Informationen über die Wertvorstellung der
Armen im Mittelalter. Die meisten waren aber Kleinbauern, die auch
immer wieder zu Innovationen fähig waren (z. B. Anpflanzen von
Bohne und Erbsen im 15ten und 16ten Jahrhundert).
– Die Reichen gaben ihre Werte an ihre Kinder weiter
Psychologische Studien weisen in der Regel auf eine geringe
Korrelation der Eigenschaften von Kindern und Eltern.
– Die Reichen hatten mehr überlebende Kinder
Gilt für England insgesamt, aber nicht für die Landbesitzende
Klasse. Das bot den Kindern der Städter, die sich auch noch einer
hohe Mortalität ausgesetzt sahen, Aufstiegsmöglichkeiten.
– England war ungewöhnlich diesbezüglich
Die höhere Kinderzahl der Reichen lässt sich auch für andere
westeuropäische Länder belegen. Für Ostasien sind die von Clark
angeführte geringe Zahl von Kindern der Samurai und der
kaiserlichen Familie in China nicht repräsentativ. Andere Quellen
weisen auch auf das englische Muster hin.
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35
Geographie und Aussenhandel
(Findlay/O’Rourke, 2007 Kapitel 6-7)
•
Theoretisch kommt dem Aussenhandel (und damit auch der
Geographie!) eine grosse Bedeutung im Wachstumsprozess
zu. Die Hauptpunkte sind:
- Importmöglichkeiten: Steigende Nachfrage eines einzelnen
Landes nach Rohmaterialien und Nahrungsmittel führen zu
keinem oder einem gedämpften Preisanstieg: Die
Bodenbeschränkung wird „inaktiv“.
- Exportmöglichkeiten: Preiselastischere Nachfrage nach
den Industriegütern eines Landes machen Preissenkende
Innovationen profitabler (auch ohne Skalenvorteile!)
- Geographische Lage ist zentral für die Realisierung dieser
Aussenhandelvorteile (Kostenvorteile des Wassergegenüber dem Landtransport sind vor der Eisenbahn sehr
hoch).
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Daten zur Industriellen Revolution in England
•
Neuere Untersuchungen haben die
Wachstumsrate des Pro-Kopf-BIPs in
England stark nach unten revidiert (0.2-0.5
über die Periode 1700 – 1830, Tabelle 6.1
F/O‘R, S. 313). So ist bis 1830 eher von eine
‘Industriellen Evolution“ zu sprechen mit
tiefem Wachstum der totalen
Faktorproduktivität. Allerdings waren die
führenden Sektoren wie die Textilindustrie mit
hohem Wachstum (ca. 3% p a) relativ klein.
Die zentrale Rolle des technischen
Fortschritts bei Baumwolltextilien lässt sich72
aber anhand des absolut und anteilmässigen
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•
•
Revolutionär ist aber vor allem die Umkehr der Beziehung
zwischen Bevölkerungszahl und Reallöhnen ab 1760-1800
(von – zu +), Figur 6.1 und 6.2. F/O‘R, S.315-316).
Offensichtlich wurde die Malthusbeschränkung gesprengt.
Die Entwicklung der Reallöhne in London seit dem späten
Mittelalter zeigt, dass nach 400 Jahren langen stationären
Zyklen ab 1800 ein Wachstumsprozess einsetzt (Figur 6.2.
F/O‘R, S.315-316). Insbesondere nach 1850 ist über die
demographische Übergang (keine Zunahme der Fertilität
mit wachsendem Einkommen mehr) ein starkes Wachstum
und der Übergang zur Welt des Solow-Modells (n exogen)
zu verzeichnen. Vorher war ein wachsendes Einkommen
noch traditionell mit höherer Fertilität verbunden (vor allem
durch Senkung des Heiratsalters in der industriellen
Gesellschaft).
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Aussenhandel während der industriellen Revolution in
England
•
Neben dem Wachstum der Exporte (3% p a, BIP Anteil
von 9.4 auf 19.6%, 1785-1855) ist eine zweifache
Veränderung ihrer Struktur bemerkenswert:
- Güterstruktur: Bis in die 1830er Jahre ist ein gewaltiger
Anstieg des Anteils der Baumwolle End- und
Zwischenprodukte zu Lasten der verarbeiteten Gütern
(inklusiv Wolle) festzustellen (Tabelle 6.2) . Danach kehrt
sich dieser Trend um und die verarbeiteten Güter (ohne
Wolle, vor allem Stahl, Maschinen) werden wieder
wichtiger. Dabei fällt der Anteil von Re-Exporten von
Kolonialprodukten von 24 auf 17% (1775-1855).
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•
- Die geographische Struktur verschiebt sich wegen der
Importsubstitution von einem sich industrialisierenden
Europa auf Amerika/Australien und Asien/Afrika (Tabelle
6.4 F/O‘R für Baumwollprodukte). Ein Teil davon geht
auf den Austausch im Britisch Empire zurück.
Die Britischen Importe (Tabelle 6.5 F/O‘R, S. 239) sind
in der Periode 1775-1855 auch mit knapp 3% p a
gewachsen. Der Löwenanteil mit einem Spitze von gut
2/3 in den 1830er Jahren bestand aus Rommaterial.
Anteilsmässig abgenommen haben die verarbeitenden
und Kolonial-Produkte zugunsten der
Nahrungsmittelimporte aus gemässigten Zonen
(Nordamerika und Ukraine durch Eisenbahn
erschlossen).
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Terms of Trade während der industriellen Revolution in
England
•
Zwei konkurrierende Hypothesen für das Auftreten der
industriellen Revolution können anhand der Entwicklung
der Terms of Trade unterschieden werden:
- Angebotsfaktoren: Kultur, Institutionen, Demographie
und Geographien erlauben die Implementierung von
dauerndem technischem Fortschritt in England (die „gute“
Geschichte von den innovativen Engländer).
- Nachfrage: Durch die Englische Kolonialisierung wird die
Nachfrage nach Englischen Produkten zwangsweise
ausgeweitet und grosse Profite gemacht (die „hässliche“
Geschichte von den ausbeuterischen Engländer).
Im ersten (zweiten) Fall ergeben sich theoretisch sinkende
(steigende) Terms of Trade zu rechnen.
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•
•
•
Figur 6.4 (F/O‘R, S. 332) zeigt dass sich die Terms of
Trade (ToT) Britanniens von 1790 bis 1850 massiv
verschlechtert haben. Somit haben wir klare Evidenz
gegen die reine Nachfrage- und Ausbeutungsthese.
Wie aus Figur 6.5 (F/O‘R, S. 332) zu sehen ist, führt das
bei Wachstumsraten von 135% (BIP) und
Industrieproduktion von 235% (1781-1830) zu einer
stärkeren Verschiebung der Angebotsfunktion (S‘) als der
Nachfragefunktion (D‘) und demnach einem Sinken der
ToT von Punkt A zu B. Wäre jedoch die Nachfrage (D‘‘ auf
D‘‘‘) weniger elastisch gewesen, hätte sich ein geringeres
Einkommen bei schlechteren ToT ergeben (C).
Somit sind Angebots und Nachfrageeffekte plausibel,
wobei aber die Angebotseffekte zentral sind
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•
In Zusammenhang mit der
Ausbeutungsthese wurde auch die Rolle
der amerikanischen Sklaverei im
Rahmend des sogenannte Dreieckshandel
(Baumwolle von Amerika nach England,
Textilien von England nach Amerika und
Westafrika, Sklaven von Westafrika nach
Amerika) kontrovers diskutiert. Zweifellos
hatte die Sklavenwirtschaft einen hohen
Anteil an den Amerikanischen Exporten
(Tabelle 6.6., F/O‘R, S 343). Es ist jedoch87
sehr zweifelhaft, dass die Industriellen
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