Europas Party-Insel Ibiza ein Renn

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Europas Party-Insel Ibiza ein Renn
IBIZA
Inselwahrzeichen:
Weißgekalkte
Wehrkirchen gibt
es so viele wie einsame, gut asphaltierte Straßen
Satte Farbenpracht: Im April
und Mai zieht ein
Blütenmeer aus
rotem Mohn alle
Blicke auf sich
TE X T: A N N E Z U B E R ; F OTO S : WO L F G A N G TA S C H N E R
W
enn der Frühling in Deutschland wieder auf sich
warten lässt, stellt sich notgedrungen die Frage, was
ihn eigentlich so lange aufhält. Eine kleine Recherche ergibt
schnell: Er ist auf den Balearen. Hier blühen schon die Margeriten auf den Feldern, wärmt die Sonne die Eidechsen auf
den Natursteinmäuerchen, riecht die Luft nach wildem
Rosmarin. Kein Wunder, dass Herr Lenz noch nicht nach
Deutschland will. Also fliegen eben wir umgehend nach
Ibiza. Wir, das sind zwei blitzblank geputzte Rennräder, der
Mann, der mir Windschatten geben soll und ich.
Die Insel gehört uns, jedenfalls haben wir die Straßen fast
für uns allein. Alle anderen Menschen, die einen Hauch von
Rad-Leidenschaft verspüren, sind wohl gerade auf Mallorca. Mit engen Polyesterleibchen in knalligen Farben und
glattrasierten Beinen verstopfen sie dort so lange die
Straßen, bis die Autos auf die Bürgersteige ausweichen
müssen. Abends gehen sie in Hotels, die mit Fahrradkellern,
Nudelfrühstück und Shuttleservice um sie geworben
haben. Auf Ibiza dagegen wird man bei der Ankunft am
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Europas Party-Insel Ibiza ein Rennradparadies? TOUR hat Mallocas
kleine Schwester im Frühling
besucht. Ergebnis: Landschaft wunderbar, Asphalt gut, Verkehr kaum
vorhanden, Anstiege kurz und heftig
Flughafen mit einem unförmigen Radkoffer so misstrauisch
beäugt, als transportiere man darin seine tote Großmutter.
„Es kommt immer mal wieder ein großes Taxi vorbei“, hatte Bárbara Castán am Telefon versprochen. Und damit hat
sie Recht, auch wenn es ein bisschen dauert, bis sie Recht hat.
LAND-IDYLL
Bárbara ist 25 und führt mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester Maria das Landhotel „Es Cucons“ im Nordwesten der
Insel, nahe dem Dorf Santa Agnès. Die umgebaute, 300 Jahre alte Finca liegt einsam inmitten von Feldern. Selbst der
Taxifahrer muss einmal telefonieren, dreimal wenden und
viermal fluchen, bis er sie gefunden hat. Gerade angekommen überlegen wir, ob Radfahren in diesem Idyll wirklich
eine gute Idee ist. Vielleicht sollten wir lieber 24 Stunden
des Tages an diesem Ort verbringen. Jeder Raum des Anwesens mit zwölf Zimmern, Bibliothek, Restaurant, Bar und
großer Eingangshalle würde sich als Titelfoto eignen für
eine Wohnzeitschrift zum Thema mediterranes Wohnen:
Verputzte Wände, gestrichen in warmen Erdfarben, Terracotta-Fliesen sowie Möbel, die aussehen wie die, die man
Panoramablick: Über
Eivissas Altstadt Dalt Vila
thront die mittelalterliche
Kathedrale. Rückblick:
Autorin Anne Zuber.
Einblick: So reizvoll sind
jahrhundertealte Fincas
NEBENAN
immer auf dem Flohmarkt zu finden hofft, dort aber noch
nie gesehen hat. Im Wasser des Pools glitzern grüne Mosaiksteinchen, vor der Terrasse raschelt eine Palme sehr südländisch im Wind. Außerdem muss Katze Guga dauernd
gestreichelt werden.
Bevor wir Gefahr laufen, allzu bequem zu werden, erinnern uns die Rennräder an den Grund unserer Reise. Also
los auf unsere erste Ibiza-Entdeckungstour. Ein feines Netz
von kleinen, gut asphaltierten Straßen zieht sich über die
572 Quadratkilometer große Insel. Selten muss man auf eine der Hauptverkehrsstraßen ausweichen, aber selbst die
sind um diese Zeit des Jahres nur rund um die Zentren Eivissa, Sant Antoni und Santa Eulària viel befahren. Es geht
vorbei an Olivenhainen, frisch gepflügter ziegelroter Erde
und knorrigen, grauen Feigenbäumen. Eine alte Frau mit
runzeligem Gesicht und ein kleiner, flinker Hund treiben
ihre Schafherde auf die Felder. Der Asphalt ist glatt, die
Räder schnurren vor Vergnügen. Nur meine Beine finden,
ich hätte mich zu Hause ein bisschen besser vorbereiten
können. 475 Meter erhebt sich der Sa Talaia im Südwesten,
der höchste Berg der Insel. Klingt nicht gerade nach Alpenpass, aber wir gewinnen den Eindruck, dass bei liebevoller
Pflege durchaus noch einer aus ihm werden könnte – so steil
und unnachgiebig ist der Weg zum Gipfel. Landschaftlich
noch schöner ist es im Norden: Zwischen Sant Joan de Labrijta und Sant Vicent de sa Cala schaukeln uns freundliche
Serpentinen auf einem etwa sechs Kilometer langen
Anstieg sanft auf 400 Meter Höhe. Statt Punkte in der Bergwertung gibt es oben einen atemberaubenden Blick auf das
tiefe Blau des Meeres.
LIEBES-EXIL
„Ibiza ist schön. Und kein bisschen zu klein zum Radfahren“,
sagt Pasi Kulju. „Die Natur verändert sich so schnell, dass
man jeden Tag etwas Neues entdecken kann.“ Pasi muss es
wissen. Schließlich dreht er hier seit drei Jahren fast täglich
seine Runden, mindestens 15 Stunden in der Woche. Wie
ein typischer Ibiza-Bewohner sieht er allerdings nicht aus.
Groß, blond und breitschultrig. Eher wie ein Skandinavier.
Was daran liegen könnte, dass Pasi Finne ist. Er hatte eine
kleine Bar, irgendwo am Polarkreis. Eines Tages kam ein
alter Mann zu ihm und sagte, er habe ein Mädchen für ihn
gefunden. Sie sei Spanierin und würde im örtlichen Hotel
arbeiten. Pasi wies erst darauf hin, dass er keineswegs ein
Mädchen suche, dann ging er ins Hotel und verliebte sich in
Maria Castán, die dort ihre Ausbildung machte. Vor drei
Jahren kamen sie auf die Insel und fingen an, den Traum der
Familie Castán vom kleinen, feinen Landhotel in die Tat
umzusetzen.
Die Zeit dafür war günstig. Langsam hat sich herumgesprochen, dass Ibiza mehr ist, als eine einzige große Tanzfläche, auf der sich von Juni bis August blasse Engländer
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nächteweise ins Delirium trinken. Die Hoteliers mussten
merken, dass auf die Partygäste kein Verlass mehr ist: 2001
gingen die langfristigen Buchungen um fünf Prozent
zurück. Die Balearenregierung hofft nun verstärkt auch auf
Aktivurlauber: Ein 380 Kilometer langes Wegenetz soll entstehen, für Wanderer, Reiter und Radfahrer. Feldwege werden ausgebaut, Hauptverkehrsstraßen bekommen eigene
Radspuren, Beschilderungen sollen Touren ausweisen.
BAR-GESPRÄCHE
Bis dieser Plan greift, dürfte es allerdings noch ein weiter
Weg sein, fast so weit wie der, den wir heute zurückgelegt haben. Auf dem Rückweg kehren wir mit weichen Knien und
leeren Trinkflaschen in der Bar Can Cosmi in Santa Agnès
de Corona ein. Dort sitzen wir auf der Terrasse auf wackeligen Holzstühlen, trinken Espresso und blinzeln in die Sonne.
Santa Agnès de Corona besteht fast nur aus dieser Bar. Ansonsten noch aus einem Restaurant, das allerdings erst später
im Jahr öffnet, und der kleinen weißgetünchten Kirche.
Abends gibt es hier köstliche Tortillas für fünf Euro und gratis ein paar Details aus dem Leben deutscher Auswanderer.
Da sitzt dann ein Paar aus dem Ruhrgebiet und er erklärt einem jungen Mann mit Kapuzenpulli, dass man nicht alles mit
sich machen lassen darf: „Ich hab zu ihm gesagt, wenn du keinen besseren Darm für die Currywurst benutzt, dann kaufe
ich sie in Zukunft bei Salewski!“ Gegenüber der Theke sitzt
eine alte Senora mit Strickweste, Kniestrümpfen und Filz-
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puschen. Links und rechts von ihr, an eigenen Tischen, mit
dem Rücken zur Wand, zwei Verehrer. Man hat die Beine
überschlagen, wippt nur manchmal mit den Fuß. Dass einer
der Herren offensichtlich vergessen hat, sein Gebiss einzusetzen, stört niemanden. Wer braucht schon Zähne, um den
Hierbas, den ibizenkischen Kräuterlikör, zu trinken?
Nachdem ich heute fast verdurstet bin, wollen wir eine
weitere Trinkflasche kaufen und fahren zu Juan Ferrer, dem
Besitzer eines Fahrradgeschäftes nahe Eivissa. Sein kleiner
Shop ist beliebter Treffpunkt einheimischer Radsportler.
Von hier aus starten gemeinsame Touren, hier plaudert man
über Wettkampfergebnisse und trinkt den Café, den Juan
mit der Maschine in der Werkstatt kocht. Außerdem trifft
man eine weitere ausgewanderte Finnin: Pasis Schwester
Tiina. Sie ist diejenige, die die meisten Mountainbike-Rennen der Insel in der Damenklasse gewinnt. „Juan ist ein wunderbarer Trainer“, erklärt Tiina. „So geduldig.“ Das muss
sie sagen. Die beiden sind verheiratet.
Es ist Abend geworden. Der Himmel über dem Es Cucons ist so rosa wie das Leader-Trikot im Giro d’Italia. Bald
wird es zu kühl, um noch draußen zu sitzen. Katze Guga
reibt ihren Kopf an den Beinen der Korbsessel und Maria
serviert Martini. Ob sie nicht auch längst vom Rad-Virus infiziert wurde, nachdem es schon ihre halbe Familie erwischt
hat? Sie lacht und schüttelt den Kopf. „Nein, nein, das ist
nichts für mich“, erklärt sie kategorisch. „Obwohl“, sagt sie
und zieht die Augenbrauen hoch, „bergab bin ich echt gut!“
SERVICE
Zur Orientierung: Ibiza gehört zu
den Balearen wie Mallorca, Menorca und das nur drei Seemeilen entfernte Formentera. Mit 572 Quadratkilometern ist die Insel etwa
sechsmal so groß wie Sylt. Die Entfernung zwischen der Punta Grossa
im Nordosten und und dem Cap
Llentrisca im Südwesten beträgt etwa 48 Kilometer, zwischen dem Cap
Nono im Nordwesten und der Punta
Martinet im Südosten 24 Kilometer.
Aus dem sanften Hügelland ragt
der 475 Meter hohe Talaia im Süden
und der 410 Meter hohe Furnas im
Norden heraus. Wer täglich fünf
Stunden hart trainieren will, dem
wird Ibiza vielleicht nach drei Tagen
zu klein. Für diejenigen aber, die
sich in schönster Landschaft langsam wieder in Form bringen wollen,
ist Ibiza genau richtig.
Touren:Dank der vielen kleinen
Straßen lassen sich von praktisch
jedem Punkt der Insel aus schöne
Touren fahren und immer wieder
neu variieren. Die Straßen sind
durchgehend gut, genau wie die
Beschilderung.
Flug: Erst im Mai bieten Hapag
Lloyd, Air Berlin, LTU und Condor
einmal wöchentlich Direktflüge von
allen größeren deutschen Flughäfen. Früher im Jahr fliegen Air
Berlin und Hapag Lloyd über Palma,
bzw. auf dem Rückweg über Nürnberg, Preis etwa 265 Euro.
Fahrradmitnahme: Sollte mindestens drei Tage vor Reiseantritt bei
der Fluggesellschaft angemeldet
werden. Aufpreis: 15 Euro pro
Strecke bei Air Berlin. Hapag Lloyd
und Condor nehmen 30 Euro.
Landhotels: Es Cucons: 07828 Sta.
Agnés de Corona, Ibiza, España,
Tel: 0034/971/80 55 01,
Fax: 0034/971/80 55 10,
www.escucons.com. Das perfekte
Landhotel: Luxuriös und familiär
zugleich, außerdem traumhaft gelegen im Nordwesten der Insel.
Doppelzimmer mit Frühstück in der
Nebensaison ab 156 Euro.
Can Planells: 07815 San Miguel,
Ibiza, España, Tel: 0034/971/334
924, Fax: 0034/971 /334 115,
www.ibizaonline.com/CanPlanells/. Zentral gelegen, 1,5 Kilometer von San Miguel entfernt.
Doppelzimmer mit Frühstück in der
Nebensaison ab 95 Euro.
Can Marti: E-07810 San Juan de Labritja, Ibiza, España, Tel: 0034/971
33 35 00, Fax 0034/971 33 31 12.
www.canmarti.com Eine echte
Agrartourismus-Finca im Norden
der Insel nahe San Juan, zu der ein
900 Meter langer Feldweg führt.
Die Besitzer bauen Gemüse an, das
auf dem Biomarkt verkauft wird.
Weniger Luxus, dafür mehr unberührte Natur. Doppelzimmer pro
Person ohne Frühstück ab 38 Euro.
Weitere Landhotels und
Landhäuser finden sich unter
www.ecoibiza.com
Fahrradshop: Bicicletas J. Ferrer,
C/D’Atzaro, 14 d - bajos, 07800
Ibiza, Tel: 0034/971/39 14 01
Sprachverwirrung: Auf Ibiza wird
neben kastilischem Spanisch
hauptsächlich Katalanisch gesprochen. Das Ibizenko wiederum ist
ein eigener Dialekt der katalanischen Sprache. Seit Anfang der
neunziger Jahre ist Katalanisch
wieder eine offizielle Amtssprache,
weshalb zum Beispiel Ibiza-Stadt
auf Ortsschildern Eivissa heißt und
das frühere San Antonio jetzt Sant
Antoni de Portmany.
Bar: Can Cosmi, Plaza de Santa
Agnès de Corona,
Tel: 0034/971/80 50 20
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