Diakonisches Werk an der Saar Abteilung Jugendberufshilfe Projekt

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Diakonisches Werk an der Saar Abteilung Jugendberufshilfe Projekt
Diakonisches Werk an der Saar
Abteilung Jugendberufshilfe
Projekt:
TagWerk im Landkreis Saarlouis
Erfahrungen und Beobachtungen
von StraßensozialarbeiterInnen in ländlichen und kleinstädtischen
Räumen
(2003)
Inhaltsverzeichnis
Seite
1.
Einleitung
3
1.1
Inhaltliche Grundlagen
3
1.1.1
Zielgruppen
3
1.1.2
Ziele
3
1.1.3
Pädagogische Prinzipien und Methoden
3
1.1.4
Arbeitsinhalte
4
2.
Erfahrungen und Beobachtung
4
2.1
Einleitung
4
2.2
Arbeitslose Jugendliche ohne Perspektive in der Anlaufstelle des
Jugendhauses Dillingen
2.3
5
Erfahrungen und Beobachtungen in der Nähe von Treffpunkten
in Dillingen
7
2.4
Weitere Problemlagen (Dillingen)
8
2.5
Erfahrungen und Beobachtungen im Rahmen der Straßensozialarbeit in Lebach (hier: Bericht an die Stadt)
2.6
9
Erfahrungen und Beobachtungen im Rahmen der StraßensozialArbeit in Hemmersdorf (Rehlingen-Siersburg)
10
2.7
Einzelfallhilfen
12
3
Arbeitskreise
12
4
Statistische Angaben
12
5
Ausblick
13
5.1
Öffentliche Räume und Jugendszenen
13
5.2
Jugendliche in Straßenkarrieren
14
6
Einschätzungen zum Wirkungsgrad der pädagogischen Arbeit
15
7.
Literatur
16
2
1 Einleitung
TagWerk ist eine vorgeschaltete niederschwellige Maßnahme der Jugend(berufs)hilfe in
Verzahnung mit Formen aufsuchender Jugendsozialarbeit (Straßensozialarbeit).
Finanziert wird TagWerk durch Mittel des Landkreises Saarlouis, des Bundesminsteriums für
Wirtschaft und Arbeit bzw. der Europäischen Union sowie der Kreisstadt Saarlouis.
Im folgenden dokumentieren wir zentrale Erfahrungen und Beobachtungen aus der
Aufsuchenden Arbeit.
1.1 Inhaltliche Grundlagen
1.1.1 Zielgruppen
Die MitarbeiterInnen von TagWerk beraten und begleiten junge Menschen, die
•
•
•
•
arbeitslos oder ohne Ausbildungsstelle, AusbildungsabbrecherInnen oder
SchulverweigerInnen sind und von den zuständigen Institutionen kaum oder nicht
mehr erreicht werden (wollen);
sozial benachteiligt sind auf Grund des sozialen Umfeldes, ihrer kulturellen und
ökonomischen Situation, in sehr problembehafteten Familienkonstellationen
heranwachsen und größere Bildungs- und Sprachdefizite haben;
gefährdet sind bzw. Gefahr laufen, eine negative soziale Identität auszuformen
(erhöhte Tendenz, Gewalt als Mittel zur Lösung von Konflikten ein zu setzen,
Delinquenz, Drogenabhängigkeit, Jugendhilfe-, Heimkarrieren) und
den öffentlichen Raum, vor allem Straßen und Plätze, als zentralen Sozialisationsort
nutzen.
Eine quantitative Einschätzung dieses Adressatenkreises ist nur schwer möglich, weshalb in
der Fachdiskussion von einem „Dunkelfeld“ gesprochen wird.
1.1.2 Ziele
Folgende Zielkriterien, die je nach Schwerpunktsetzung unterschiedlich gewichtet sein
können, stehen im Mittelpunkt der Ausrichtung von TagWerk:
• Unterstützung bei der beruflichen Integration;
• Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensrealität und deren Bewältigungsformen;
• Entwicklung und Einübung von Handlungs- und Verhaltensmustern zum Abbau
erfahrener Benachteiligung und Diskriminierung;
• Hilfe beim Finden eigener Normen, Werte und Handlungsorientierungen;
• Unterstützung bei der Bewältigung aktueller Probleme (z.B. Schule, Behörden,
Eltern);
• Vorbereiten auf ein Leben ohne dauerhafte Erwerbsarbeit;
• Aufsuchende Beratung und Unterstützung subkultureller Gruppierungen;
• Ausgleich geschlechtsbedingter Ungleichheiten;
• Förderung interkultureller Kompetenzen;
• Konfliktvermittlung in der Nähe von Treffpunkten junger Menschen.
1.1.3 Pädagogische Prinzipien und Methoden
Die MitarbeiterInnen des Projektes haben entsprechend dem Grundprinzip der Sozialen
Arbeit die Entwicklung junger Menschen zu autonom handlungsfähigen Subjekten im Blick.
Methodisch greifen wir auf die klassischen Formen der Sozialen Arbeit (Einzelfallhilfe,
Gruppenarbeit sowie Gemeinwesenarbeit) zurück.
Straßensozialarbeit
Straßensozialarbeit ist Ausdruck der Notwendigkeit neuer Zugangs- und Begleitformen in der
Jugendhilfe. Insgesamt scheint eine wachsende Anzahl junger Menschen, die in prekären
Lebenslagen, in Grenzbereichen gesellschaftlicher Akzeptanz leben, von den traditionellen
3
Angeboten der Sozialen Arbeit nicht mehr erreicht zu werden bzw. aus persönlichen
negativen Vorerfahrungen deren Angebote nicht mehr wahrzunehmen.
Neben den Akzeptanzproblemen einrichtungsgebundener Angebote, ist es die Präsenz
subkultureller Gruppen im öffentlichen Raum und die wachsende Zahl der von
Jugendarbeitslosigkeit
betroffenen
Heranwachsenden,
welche
aufsuchende,
niederschwellige und sozialraumorientierte Formen der Sozialen Arbeit erforderlich machen.
Dieses Aufsuchen erfolgt in der Regel in paritätisch besetzten Teams und verlangt
Kontinuität im Sinne einer regelmäßigen Präsenz an den Treffpunkten von Jugendgruppen,
so dass wir für die Jugendlichen „berechenbar“ aber auch erreichbar werden. Streetwork
wendet sich an junge Menschen, deren zentraler Lebens- und Sozialisationsort „die Straße“
ist. Die Entwicklung vertrauensvoller Beziehungen ist ein langwieriger Prozess, zu dessen
Entwicklung eine kontinuierliche „Szenepräsenz“ notwendig ist.
1.1.4 Arbeitsinhalte
Als StreetwokerInnen bieten wir den Jugendlichen in Straßenszenen eine pädagogische
Begleitung auf ihrem Weg des Erwachsenwerdens an. Die Bildung der eigenen Norm- und
Werteorientierungen gestaltet sich vor dem Hintergrund des Bedeutungsverlustes des
sozialstaatlichen Integrationsmodells und dem Wandel bzw. der Auflösung sozialer Milieus
zunehmend schwieriger. Die Jugendlichen unseres Adressatenkreises sehen sich in ihrer
Biographie vielfach als gescheitert und müssen in einer tendenziell perspektivlosen Situation,
den Weg zum Erwachsenenstatus finden.
Die sozialpädagogische Begleitung besteht in offenen Beratungsangeboten (Hinterfragen der
beobachteten Prozesse und Entwicklungen), Freizeitmaßnahmen, bzw. der Vermittlung an
weitere Beratungsstellen und Hilfestrukturen.
Die Analyse der wirksamen Handlungs- und Deutungsmuster der Jugendlichen sowie die
Ausformung der für eine gelingende Biographie entsprechenden Norm- und
Wertorientierungen in einer prinzipiell prekären Situation stellen den zentralen Arbeitsinhalt
dar. Bewusst bieten wir den Jugendlichen eine pädagogische Begleitung, eine
Neuorientierung am Erwachsenen an. (vgl., Dücker, S. 21)
Zur Vermeidung von Straßenkarrieren, die oftmals durch bestimmt Schlüsselereignisse ihre
Weichenstellung erfahren, sind die Reaktionen der Jugendhilfe, der Schule und der Polizei
von hoher Bedeutung. Oftmals hängt es von der Zusammenarbeit dieser drei System ab,
welchen Verlauf jugendliche „Karrieren“ nehmen. Hansbauer merkt hierzu an: „Es ist für den
Gesamtverlauf des „Falls selten förderlich, wenn jedes dieser drei Systeme mit den
eingeübten Strategien reagiert und damit – intendiert oder nicht – Folgen erzeugt, die
entweder die Bemühungen des jeweils anderen Systems konterkarieren oder dort zum
Gegenstand erneuter Bearbeitung werden.“ (vgl. Hansbauer, S.8 f)
Daher bildet die Entwicklung entsprechender Kooperationen einen weiteren Arbeitsinhalt
unserer Arbeit.
Der dritte Arbeitsinhalt ist bezogen auf die Konflikte an und in der Nähe von Treffpunkten
Jugendlicher. Die Ordnungsvorstellungen und die Sicherheitsbedürfnisse der
Erwachsenenwelt kollidieren immer wieder mit den Bedürfnissen Jugendlicher, sich eigene
Sozialräume zu schaffen. Als Vermittler in solchen Konflikten machen wir das Handeln und
die Probleme der Jugendlichen für die lokale Öffentlichkeit transparent und fördern
Verständigungsprozesse.
2. Erfahrungen und Beobachtungen
2.1 Einleitung
Beobachtungs- und Kontaktphasen
Während des Berichtszeitraums waren wir mit z.T. sehr unterschiedlich gelagerten Fällen in
den Kommunen Dillingen, Lebach, Nalbach, Rehlingen- Siersburg, Saarlouis und
4
Wallerfangen befasst. Die Sichtung der Dokumentationsbögen ergibt, dass wir in insgesamt
24 Problemlagen tätig geworden sind.
Im Hinblick auf die Zugänge lassen sich zwei Formen unterscheiden:
Entweder wurden wir von dritter Seite z.B. von Jugendpflegern, Bürgermeistern, der Polizei,
Sozialämtern, dem Kreisjugendamt oder einzelnen BürgerInnen auf Jugendliche
aufmerksam gemacht, oder wir entschieden uns, aufgrund eigener Beobachtungen,
Analysen und Gespräche mit Jugendlichen zu einer konkreten Gruppe Kontakt
aufzunehmen.
Im Folgenden möchten wir im Rahmen ausgewählter Kontakt- und Beobachtungsphasen
einen exemplarischen Einblick in die Entwicklung der pädagogischen Arbeit geben.
Die Gesamtheit der Fälle ist in unseren Dokumentationsbögen erfasst.
Wie im letzten Jahresbericht hervorgehoben, bestand für uns zunächst eine gewisse
Unsicherheit hinsichtlich der Wahrnehmung der Aufgabe, als Streetworker mit „auffälligen“
Jugendgruppen in Kontakt zu treten. Dort hatten wir formuliert: “Um halbwegs sicheren
Boden unter die Füße zu bekommen, war es vor allem wichtig, uns mit dem Raum bzw.
jugendgeprägten Straßenkulturen vertraut zu machen.“ Indem wir kontinuierlich „Draußen“
waren, näherten wir uns dem Alltag der Jugendlichen, und entwickelten das notwendige
Gespür für die Situationen und das soziale Klima vor Ort.
2.2 „Arbeitslose Jugendliche ohne Perspektive“ in der Anlaufstelle des Jugendhauses Dillingen
Einen Schwerpunkt im Jahr 03 bildete erneut die Kommune Dillingen. Es zeigte sich, dass es
schwierig ist, Kontakte ausschließlich auf der Straße zu knüpfen und pädagogisch weiter zu
entwickeln.
Um für die Adressaten greifbar und verlässlich zu werden, entschlossen wir uns, das
Jugendhaus Dillingen einmal wöchentlich als Anlaufstelle zu öffnen. Die Anlaufstelle sollte
nicht den Charakter einer Beratungsstelle haben, sondern im Sinne der Niederschwelligkeit
für ausgegrenzte Jugendliche einen Treffpunkt darstellen. In diesem Rahmen war Platz für
die Erfahrungen, Probleme und Sorgen, der Jugendlichen.
Nach einer gewissen Zeit ca. 4 -6 Wochen wurde dieses Angebot von ca. 20 – 30
Jugendlichen genutzt.
Die Jugendlichen, mit denen wir in diesem Rahmen Kontakt hatten, und die wir teilweise
auch von der Straße kannten, rechnen wir dem Typus „Arbeitslose Jugendliche ohne
Perspektive“ zu.
Um begriffliche Missverständnisse zu vermeiden möchten wir zunächst den Ausdruck
„Arbeitslose Jugendliche ohne Perspektive„ präzisieren.
Nicht alle arbeitslosen Jugendliche, zu denen wir Kontakt hatten, sind Jugendliche, die keine
Perspektive auf dem Arbeitsmarkt haben. In einer begrenzten Anzahl von Fällen gelingt es
immer wieder, dass Jugendliche im Rahmen der Maßnahmen der Jugendberufshilfe
zumindest vorübergehend beruflich integriert werden und Qualifikationen erwerben.
Besondere Schwierigkeiten haben hier bekanntlich die Gruppen, die über keinen
Hauptschulabschluss verfügen, nach der Lehre arbeitslos werden oder Anfang 20 sind und
keinen Beruf erlernt haben. Mit dem Ausdruck „Arbeitslose Jugendliche ohne Perspektive“
machen wir darauf aufmerksam, dass es vor dem Hintergrund der Situation am Ausbildungsund Arbeitsmarkt eine große Zahl von Jugendlichen gibt, deren Chancen auf eine dauerhafte
Integration in Arbeit und Beruf faktisch gegen Null gehen. Hierzu gehören insbesondere
Jugendliche, Nicht-Deutscher Herkunft, denen oft das deutsche Bildungssystem, bzw. das
deutsche Rechts- und Normensystem unzureichend bekannt ist (z.B. Spätaussiedler) und –
verschärft – in dem Fall, wenn sie nur den Status Duldung haben.
In der Mehrzahl der Fälle hatten wir Kontakt zu männlichen Jugendlichen. Im Falle der
jungen Frauen hatten wir – ohne dies exakt belegen zu können – den Eindruck, dass diese
von der Perspektivlosigkeit weniger betroffen waren, weil ihnen eine Famliengründung als
realistischer Ausweg erschien und die Bindung an die Herkunftsfamilie ihnen eine gewisse
soziale Sicherheit bot.
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Deutungs- und Handlungsmuster, Alltagserfahrungen
Diese Jugendlichen, die eventuell noch am BVJ, dem BGJ oder den berufvorbereitenden
Maßnahmen des Arbeitsamtes teilnahmen, aber zum Teil resigniert hatten und in den „Tag
hinein lebten“, begegneten uns mit ihren vielfältigen Schicksalen im Jugendhaus. Sie waren
Teil des Stadtalltags und hatten einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Soziale Klima. Zu
Hause wurden sie als Belastung wahrgenommen, manchmal nur noch geduldet. Sie
sammelten sich unter Ihresgleichen an den unterschiedlichsten Plätzen. Angesichts der
Leere und Sinnlosigkeit ihres Alltags und der mit Arbeitslosigkeit verbundenen materiellen
Enge, fühlten sie sich um ihre Zukunft betrogen. Viele nahmen ihre Umwelt als Bedrohung
wahr, griffen häufig zu Drogen bzw. wurden delinquent. Dies war nicht zwangsläufig der Fall,
aber die skizzierte Perspektivlosigkeit bildete in vielen Fällen den Hintergrund für soziale
Auffälligkeit.
Diese Jugendlichen wussten in der Regel, dass sie gesellschaftlich tendenziell
abgeschrieben sind. Gleichwohl verfolgten sie irreale Tagträume, wie z.B. schnell zu Geld zu
kommen, eines Tages ein dickes Auto fahren zu können, vielleicht auch eine Familie zu
gründen, in einem schönen Haus zu wohnen. In diesem Widerspruch, dem Wissen um die
Aussichtslosigkeit und ihren heimlichen Wünschen, formten sich Resignation und Wut. Die
Schwierigkeit ihrer Situation erhielt eine zusätzliche Schärfe, da ihr Dasein, gemäß dem
geltenden Prinzip, „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ gesellschaftlich nicht akzeptiert
wird. Verurteil zum Nichts Tun haftete ihnen die Etikette des Nichtsnutz an.
Die ihnen gesellschaftlich versagte Anerkennung suchten sie in ihren Gruppen, die Schutz
und Solidarität gegenüber der bedrohlichen Außenwelt boten. Die Möglichkeiten
solidarischen Handeln innerhalb der Gruppen waren allerdings sehr eng. Die
Gruppensolidarität, d. h. die Vorstellung, dass jeder für alle einsteht, dass man sich
aufeinander verlassen kann und in der Not immer jemand da ist, war allerdings strukturell auf
Grund der Vielzahl individueller Probleme oft überfordert. Die Gruppen brachen auseinander
und dann verfolgte meistens jeder zunächst die eigenen Interessen auch gegen die
Interessen aller anderen. Manche der Gruppen bildeten auch den Rahmen bzw. das Lernfeld
delinquenter Handlungen, deren Funktion darin bestand, auf sich aufmerksam zu machen,
sich „unbewusst“ an der Gesellschaft zu rächen, in der Gruppe als jemand zu gelten, bzw.
sich das zu holen, was man auf legale Weise, d.h. durch Arbeit nicht glaubt erreichen zu
können.
Allerdings, um einen falschen Eindruck zu vermeiden, weisen wir darauf hin, dass die
delinquenten Handlungen in der Regel nur einen kleinen Teil des Gruppenalltags, das vor
allem durch „Rumhängen“, der Suche nach tragfähigen sozialen Beziehungen, der Suche
nach dem anderen Geschlecht, nach wichtigen Szeneinfos und dem Warten auf einen Kick
bestimmt ist, darstellten.
Die Perspektivlosigkeit dieser Jugendlichen war nicht nur, wie die Ausführungen deutlich
machen sollten eine Berufliche sondern eine Soziale im umfassenden Sinn. Ihnen fehlte der
biographische Faden, an dem entlang sie ein Stück Zukunft planen konnten.
Zur Bedeutung der Anlaufstelle
Die Jugendlichen nutzten die Anlaufstelle als Treff und Rückzugraum, in dem sie zur Ruhe
kommen konnten, was zu Haus angesichts beengter Wohnverhältnisse und in der
„Unübersichtlichkeit“ der Straße nur schwer möglich war.
Darüber hinaus hatte sie für die Jugendliche die Bedeutung, sich dort von „Gleichen“ Rat und
Hilfe bei der Bewältigung von Alltagsproblemen einholen zu können.
Wir sehen vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen mit diesen Jugendlichen die Chance in einer sehr begrenzten Anzahl von Fällen - ein weiteres Abdriften der Jugendlichen zu
vermeiden.
In den Gesprächen machten wir auf die Konsequenzen bestimmter kritischer
Verhaltensweisen aufmerksam. Indem wir auf ihre Themen und Sicht der Welt eingingen,
6
gaben wir ihnen ein Stück Würde zurück. In den günstigen Fällen erweiterte sich ihre Sicht
der Welt, und das diffuse Gefühl des Bedrohseins ließ sich relativieren.
Letztendlich ging es in der pädagogischen Arbeit um die innere und äußere Stabilisierung
der Lebenssituation der Jugendlichen. Ein zentraler Punkt war, dazu beizutragen, dass diese
Jugendlichen sich nicht als nur Opfer und Verlierer sahen z.B. gemäß dem Motto „Was bleibt
mir anderes übrig als kriminell zu werden.“ Deshalb setzten wir darauf, dass die
Jugendlichen lernten, die immer auch vorhandenen Spiel- und Entscheidungsräume zu
erkennen, nicht vorschnell vor unangenehmen Situationen fliehen, „Flinte ins Korn zu
werfen“ und stattdessen mehr Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.
Soweit es uns gelang, eine Stabilisierung der Lebenssituation zu erreichen, die Jugendlichen
ein realitätshaltigeres Bild ihrer Lage gewonnen haben, hatte dies natürlich auch Wirkungen
auf die sozialen Konflikte im kommunalen Raum.
Aus der Gruppe der Jugendlichen, die die Anlaufstelle nutzten formierte sich eine
Fußballmannschaft, die im April am kreisweiten Turnier der Jugendzentren teilgenommen
hatte.
Mit Beginn der Sommerzeit zeigte sich dass die Anlaufstelle weniger aufgesucht wurde, da
das Leben sich wieder stärker nach draußen verlagerte.
Vor dem Hintergrund der veränderten Personalsituation, angesichts von Konflikten um das
Jugendhaus Ende Oktober und neuer Aufgaben im Zusammenhang mit dem sogenannten
Freitagsevent in Saarlouis wurde mit Beginn der Wintermonate von uns das Projekt
„Anlaufstelle“ nicht fortgeführt. Als Ersatz haben wir begonnen regelmäßig im DeutschAusländischen Jugendtreff für diese Jugendlichen da zu sein.
2.3 Erfahrungen und Beobachtungen in der Nähe von Treffpunkten in Dillingen
Ein großer Teil unserer Arbeit im Sommer bezog sich auf Beschwerden von Anwohnern über
Jugendliche, die sich in den Abendstunden auf Spielplätzen bzw. dem Gelände von Schulen
aufhalten. Hier wurden wir in 12 Fällen tätig.
An dieser Stelle dokumentieren wir Auszüge aus unseren Empfehlungen zur Sozialen
Stadt Dillingen
Wie auch im letzten Jahr häuften sich zur Sommerzeit die Beschwerden der Anwohner am
Spielplatz „Überm Berg“ über Jugendliche, die sich dort zum Teil bis spät in die Nacht
aufhalten. Es wurde auch die Forderung erhoben, die für Jugendliche auf dem Spielplatz
eingerichtete Sitzgruppe, zu entfernen.
Umfang der aufsuchenden Arbeit:
In Absprache mit dem Bürgermeister suchten wir diesen Ort während der Sommermonate
verstärkt auf. Insbesondere im August waren wir wöchentlich ein bis zwei Mal am Spielplatz,
in den frühen wie in den späten Abendstunden (z.T. bis 24 Uhr).
Kontakte:
Kontakte zu Jugendlichen
Zu den Jugendlichen, die sich auf diesem Spielplatz trafen, nahmen wir mehrfach Kontakt
auf. Wir thematisierten u.a. die Beschwerden der Anwohner und ihre Absicht die Sitzbänke
entfernen zu lassen. Aus deren Sicht war es nicht zu verstehen, weshalb diese Sitzgruppe,
die im letzten Jahr erst für sie eingerichtet wurde, entfernt werden sollte. Sie machten
geltend, dass es in ihrem Stadtteil keine andere bzw. bessere Treffgelegenheit während der
Sommermonate gab. Weiterhin wiesen sie darauf hin, dass der Spielplatz schon über
mehrere Jugendgenerationen hinweg Treffpunktcharakter habe. In den Diskussionen um
Alternativen kristallisierte sich heraus, dass die Fläche in der Nähe des TechnischWissenschaftliche-Gymnasiums Richtung Volleyballfeld, sofern dort eine Beleuchtung
angebracht würde, ein geeigneter Ort wäre.
Kontakte zu Anwohnern
Wir führten mehrere Gespräche mit AnwohnerInnen, die sich in der Nähe des Spielplatzes
aufhielten. Der Tenor dieser Gespräche lag darin, dass die Probleme im Zusammenhang
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stehen mit auswärtigen Jugendlichen, die dort zu später Stunde, für die Anwohner nicht
nachvollziehbar, mit ihren Autos „aufkreuzten“. Die Jugendlichen, die sich bis 22.00 Uhr dort
aufhielten seien dagegen „harmlos“.
Jedoch angesichts der auswärtigen Jugendlichen wurde in diesen Gesprächen auch die
Forderung nach der Entfernung der Sitzecke erhoben.
Beobachtungen:
Die Sitzecke, die für die Jugendlichen des Stadtteils eingerichtet wurde, wurde von
verschiedenen nicht immer voneinander zu trennenden Jugendgruppen als Treffpunkt
genutzt. Die Jugendlichen, die sich dort von nachmittags bis abends aufhielten, waren meist
aus dem Stadtteil Überm Berg oder den umliegenden Stadtteilen. Sie trafen sich dort um z.B.
Karten zu spielen, ins Gespräch zu kommen oder einfach nur um gemeinsam, Zeit zu
verbringen. Die Gruppe war eher heterogen, d.h. einige von ihnen waren erst 12-13 Jahre alt
und besuchten noch die Schule, andere waren schon älter und besuchten die Berufsschule
oder waren auf Ausbildungs- bzw. Arbeitssuche.
Empfehlungen:
Perspektivisch halten wir es für wichtig, den Jugendlichen, die sich auf dem Spielplatz
Überm Berg treffen, eine Alternative anzubieten. Den Platz hinter der Turnhalle des
Technisch-Wissenschaftlichen-Gymnasiums, den die Jugendlichen selbst vorgeschlagen
haben, halten wir für geeignet. Des Weiteren im Hinblick auf die Wintermonate wurde von
den Jugendlichen darauf hingewiesen, dass Dillingen ein Offener Treff fehle.
Insgesamt sehen wir die Notwendigkeit zum Wohl der Jugend und zur Entschärfung latenter
sozialer Konfliktherde in Dillingen darauf hinzuwirken, im Rahmen der Jugendarbeit einen
Offen Treff, der 2 bis 3 mal die Woche geöffnet ist, zu ermöglichen.
2.4 Weitere Problemlagen (Dillingen)
Jugendliche, die von Zuhause weg wollen
Eine interessante Erfahrung hatten wir beim Erstkontakt mit einer Gruppe, in der
überwiegend Mädchen waren. Auf die Frage, was sie den glauben, wer wir seien und warum
wir zu ihnen kommen, kam ganz spontan von mehren Seiten die humorvoll bekundete
Ansicht, wir seinen wahrscheinlich Psychiater. Dies bedeutete, dass diese Jugendliche sich
selbst bereits als potentielle Psychiatriefälle sahen, bzw. dass sie davon ausgingen mit
ähnlichen Institutionen im Laufe ihres Lebens Kontakt zu haben bzw. schon hatten. Jede(r)
kam gleich mit seinen Problemen auf uns zu. Das zentrale Gruppenthema dieser
Jugendlichen bei den Kontakten war der Wunsch von zu hause weg zu wollen. Sie lehnten
verbal ihre Eltern bzw. einen Teil ihrer Eltern ab und warn der Auffassung, dass sie von ihren
Eltern als Last empfunden werden. Diese Haltung ist vor dem Hintergrund der Pubertätsbzw. Adoleszenzkrise ein Stück weit normal bzw. entwicklungsnotwendig für die Bildung von
Autonomie.
Wir machten in unserer Alltagsarbeit, die naturgemäß auf die Begleitung der Problemfälle hin
orientiert war, jedoch zunehmend die Erfahrung, dass die Familie als Familie oft nur noch
rudimentär bestand und dass alleinerziehende Elternteile, wenn sie berufstätig sind, sich
überfordert fühlten. Es gab Fälle, in denen die Jugendliche sich auf die Seite eines Elternteils
geschlagen hatten und den anderen Elternteil, oft den Vater gänzlich ablehnten. Besonders
schwierig waren jene Fälle, in denen sich Heranwachsende - ständig im Beschuss zwischen
beiden Elternteilen – je nachdem, was ihnen gerade günstig erscheint, mal auf die eine mal
auf die andere Seite schlugen.
Solche sozialisatorischen Rahmenbedingungen führen häufig zur Missachtung der eigenen
Person. Die fehlende Anerkennung sich selbst und dem eigenen Körper gegenüber wird oft
durch Drogenkonsum kompensiert, die sich im ungünstigen Falle zur Sucht bereits in frühen
Jahren verfestigt. Die Straße wird für viele der einzige Ort, an dem Anerkennung unter
Gleichen erfahren werden kann. Diese Heranwachsenden haben oft das Gefühl, dass die
Schule sie nicht will, bzw. der Schulalltag erscheint ihnen als so belastend, dass sie lieber
rausgeworfen werden.
Bedauerlicher Weise hatten wir diese Gruppe trotz Verabredungen nach dem Sommer aus
den Augen verloren.
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Straßenkinder Dillingens
Im Laufe des Jahres beschäftigten wir uns weiterhin mit den sogenannten Straßenkindern
Dillingens, die ihre Zeit vorwiegend in der Stummstraße und den anliegenden Geschäften
Kaufhäusern und Cafes verbrachten. In dieser Hinsicht vermittelten wir in 2 Fällen.
Jugendliche Aussiedler
Auf Bitte der Polizei versuchten wir eine Gruppe jugendliche Aussiedler, die mehrfach durch
Schlägereien aufgefallen war, auf ihre kritische Situation aufmerksam zu machen. Eine
Zusammenkunft mit der Gruppe kam aber nicht zustande.
2.5 Erfahrungen und Beobachtungen im Rahmen der Straßensozialarbeit in Lebach
(hier: Bericht an die Stadt)
Im Rahmen der Jugendpflegerkonferenz Ende März 2003 wurden wir vom Jugendpfleger der
Stadt Lebach gebeten, verstärkt die Innenstadt Lebach (Fußgängerzone, Bahnhofsbereich
und Skateranlage) aufzusuchen.
Im Folgenden machen wir Angaben zum Umfang der aussuchenden Arbeit, erteilen Auskunft
über Kontakte und geben unsere zentralen Erfahrungen und Beobachtungen wieder.
Umfang der aufsuchenden Arbeit:
Ingesamt waren wir 10-mal in Lebach. Unsere Anwesenheit verteilte sich über die
Nachmittags- und Abendstunden (zwischen 15 und 22 Uhr). Wir waren jeweils ca. 2,5
Stunden vor Ort. In dieser Zeit hielten wir uns in den genannten Bereichen auf.
Kontakte:
Da unser Auftrag zunächst darin bestand, zu beobachten und eine Einschätzung über
Jugendprobleme im Innenstadtbereich zu geben, waren wir mit Kontakten zurückhaltend.
Nach unseren Beobachtungen wurde die Skateranlage von vielen Jugendlichen genutzt, und
stellte damit einen jugendrelevanten Ort in Lebach dar. Wir führten ein Gespräch mit dem
Wirt des Strandcafes neben der Skateranlage, da es von dessen Seite aktuell Beschwerden
gab.
Der Inhaber der Gaststätte teilte uns mit, dass der Platz vorwiegend von
Spätaussiedlerjugendlichen (im Alter von 12 bis 18 Jahren) genutzt wird. Aus seiner Sicht
hatten diese Jugendlichen wenige soziale und berufliche Perspektiven, weshalb er anregte,
für diese Gruppe Angebote der Jugendarbeit zu entwickeln. Im Hinblick auf Unrat und
Zerstörung von Gegenständen teilte er mit, dass ihm einzelne Jugendliche auffielen, was
nicht dem Charakter der Gruppe entsprach.
Ein weiteres Gespräch führten wir mit einer Mitarbeiterin einer Einrichtung der Kinder- und
Jugendhilfe, die sich im Fußgängerbereich mit einer Gruppe aufhielt. Sie teilte uns mit, dass
bestimmte Treppenaufgänge und die daran anschließenden Räume und Plätze als
Rückzugsmöglichkeiten oder Spielarenen genutzt werden. Weiterhin bemerkte sie, dass die
Innenstadt nach Geschäftsschluss kaum mehr aufgesucht wird.
Beobachtungen:
Insgesamt bietet Lebach im Hinblick auf die Präsens von festen bzw. für uns auffällige
Jugendgruppen ein eher unauffälliges Bild. Weder der Bereich der Fußgängerzone noch der
Bahnhofvorplatz konnten von uns als Orte identifiziert werden, die in diesem Sinne als
Treffpunkte beschrieben werden können.
Darüber hinaus konnten wir folgendes beobachten. Der Bahnhofsbereich bietet aufgrund
eines regen Kommens und Gehens vielfältige Gelegenheiten für Alltagskontakte, die auch
von Jugendlichen genutzt werden. Hier existieren wenige Möglichkeiten (z.B. Bänke) um dort
länger zu verweilen, so dass sich dort Jugendliche meist nur kurzzeitig treffen.
Die beiden Gaststätten „werkstatt“ und „fatal“ in der Fußgängerzone Lebachs sind
nach unserer Einschätzung wichtige Orte für ländliche Jugendkulturen.
Allerdings finden dort nur bestimmte jugendkulturelle Strömungen ein zu Hause. Wir
vermuten, dass dort insbesondere Jugendliche mit niedrigerem Bildungsniveau bzw.
schlechten Arbeitsmarktchancen eher selten anzutreffen sind.
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Tendenziell gesellschaftlich benachteiligte Jugendliche haben für uns außer der Skatanlage
keinen identifizierbaren Ort, an dem sie sich länger aufhalten.
Schlussfolgerungen:
Insgesamt sehen wir in Lebach für Streetwork im klassischen Sinne keinen
Handlungsbedarf. Im Hinblick auf den Bereich Mobile Jugendarbeit könnten wir uns
vorstellen, zusammen mit dem örtlichen Jugendpfleger für die Gruppe der 14- bis 18jährigen Jugendlichen, für die bislang (außer den vom Jugendzentrum angebotenen
Aktivitäten) wenig Aktionsräume und Aktivitäten angeboten wurden, Angebote zu machen.
Lebacher Skater auf der Suche nach einem Raum
Nachdem wir unsere eher beobachtende und einschätzende Arbeit (siehe Bericht 07/03)
abgeschlossen hatten und ein Auswertungsgespräch mit dem Jugendpfleger stattgefunden
hatte, nahmen wir mit Jugendlichen an der Skateranlage Kontakt auf. Diese Gruppe von
überwiegend männlichen Jugendlichen zwischen 13-17 Jahren traf sich am Nachmittag und
frühen Abend an der Anlage Nähe der Theel. Die Skateranlage liegt am Rande der
Innenstadt, so dass sie von Jugendlichen, die sich in der Stadt treffen, gut erreichbar ist. Die
Jugendlichen, die sich dort trafen, sind unserer Beobachtung nach nur zum Teil aus
Aussiedlerfamilien, der andere Teil bestand aus deutschen Jugendlichen, die mit ihnen
gemeinsam skaten. Als wir mit ihnen ins Gespräch kamen, wurde ziemlich schnell deutlich,
dass sie einen Raum suchen, in dem sie sich abends sowie zur kalten Jahreszeit treffen
können. Um dies zu erreichen haben sie im Sommer Unterschriften gesammelt und wollten
die Unterschriftenliste mit ihrer Forderung nach einem Raum an den Bürgermeister
weiterleiten lassen, was die von ihnen benannte Person aber – weshalb war für uns nicht
ersichtlich - nicht getan hat. Wir empfahlen ihnen, sie sollten mit dem Jugendpfleger der
Stadt das Gespräch suchen und ihn um Unterstützung fragen.
Aus unserer Perspektive ist es notwendig gerade den Jugendlichen dieser Gruppe eine
Alternative, die sie auch im Winter nutzen können, anzubieten.
Zurzeit gibt es in Lebach ein selbstverwaltetes Jugendzentrum, was diese Jugendgruppe
nicht aufsuchen wollte, da sie mit den Jugendlichen, die sich dort treffen nicht gemeinsam
hätten. Der kirchliche Jugendtreff war in den Sommermonaten geschlossen. Wenn dieser,
wie geplant, Anfang 04 wieder öffnet, könnte dieser für die Jugendlichen eine Alternative
darstellen.
Im Oktober 03 organisierten wir im Jugendzentrum Lebach unter dem Titel Streetwork –
Geschichten, die das Leben schreibt, eine Informationsveranstaltung über unsere Arbeit.
Dabei hatten wir die Absicht uns in den Jugendszenen bekannter zu machen, und von den
Jugendlichen eine Einschätzung über die Bedeutung unserer Arbeit zu erhalten. Die
Veranstaltung war gut besucht und viele der Jugendlichen waren erstaunt über die
Situationen und Lebensschicksale, von denen wir ihnen berichteten, kannten zum Teil aber
auch ähnliche Fälle, verbargen aber teilweise auch nicht ihre Abneigung gegenüber den
problematischen Jugendlichen, von denen wir berichteten.
Insgesamt fanden sie unsere Arbeit sehr interessant und bewerteten sie als sinnvoll.
2.6 Erfahrungen und Beobachtungen im Rahmen der Straßensozialarbeit in
Hemmersdorf (Rehlingen Siersburg)
Der Jugendpfleger der Gemeinde Rehlingen-Siersburg machte uns Anfang des Jahres 2003
auf eine Gruppe Jugendlicher in Hemmersdorf aufmerksam. Zu dieser Zeit trafen sich
Jugendliche in Hemmersdorf auf dem Schulhof der Erweiterten Realschule. Hemmersdorf ist
ein kleines, idyllisches Dorf Nähe der französischen Grenze (Saargau). Nachdem den
Jugendlichen der Aufenthalt auf dem Schulhof von der Polizei verboten wurde, suchten sie
sich eine neue Möglichkeit im Dorf, um dort gemeinsam ihre Zeit zu verbringen. Sie trafen
sich auf den Treppen einer ehemaligen Bäckerei in der Hauptstraße des Dorfes. Die
Benutzung dieses Platzes wurde von den Anwohnern und Anwohnerinnen als noch
störender empfunden, da sie jetzt stets „sichtbar“ waren.
Es handelte sich hier um eine heterogene Gruppe, die sich aus Jugendlichen
unterschiedlicher Herkunft zusammensetzte: Jugendliche aus Hemmersdorf, die dort
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wohnen und meist noch die Schule besuchen; Jugendliche aus umliegenden Gemeinden,
die am späten Nachmittag und Abend mit ihren Autos den Platz aufsuchen und eine junge
Mutter mit zwei kleinen Kindern (1 Jahr und 2 Jahre alt), die im Sozialhilfebezug ist. Die
Gruppe bestand aus weiblichen wie auch männlichen Mitgliedern. Die jungen Frauen stellte
das „stabile Moment“ der Gruppe dar, da sie fast täglich ab nachmittags dort auf der Treppe
saß. Die anderen Jugendlichen gingen meist noch in die Schule und waren vereinzelt auf der
Suche nach einem Ausbildungsplatz. Als kleinster gemeinsamer Nenner der
Gruppenmitglieder ließ sich der Wunsch nach einem gemeinsamen Treffpunkt im
öffentlichen Raum benennen. Die Wetterlage spielte keine Rolle, die Jugendlichen trafen
sich auch im Winter, wenn es draußen unter Null Grad war. Sie fühlten sich vertrieben, da
sie sich nicht mehr auf dem Schulhof treffen durften. Das nahe liegende Jugendzentrum
Hemmersdorf wollten sie nicht als Treffpunkt nutzen, da sie mit den Jugendlichen, die sich
dort treffen, nichts gemeinsam hätten. Sie formulierten an uns die Bitte sie zu unterstützen,
damit sie wieder einen Platz nutzen können, ohne dass sie von der Polizei oder den
Anwohnern dort vertrieben werden. Wir führten Gespräche mit Anwohnern und
Anwohnerinnen, die sich meist über den Lärm und Müll, den die Jugendlichen machen
würden, und die rasenden Autos beschwerten. Aus deren Perspektive „verschandelt“ diese
Jugendgruppe das Bild des Dorfes und sie fühlen sich durch deren Anwesenheit bedroht.
Die Bürger und Bürgerinnen, die diese Jugendlichen als Bedrohung wahrnahmen, hatten
bisher keinen Kontakt zu diesen aufgenommen, meist mit der Begründung, dass sie Angst
vor ihnen hätten. Im Laufe der Zeit wurde uns deutlich, dass beide Seiten, die Jugendlichen
wie die BürgerInnen, ein „negatives“ Bild von ihrem Gegenüber hatten, was teilweise auf
Vorurteilen und Unwissenheit über den anderen basierte. Wir wollten beiden Gruppen die
Chance geben, ihre Vorurteile zu überprüfen und eventuell zu revidieren, so dass in die
festgefahrene Situation Bewegung kommen konnte.
Aus diesen Grund regten wir ein Treffen beider Interessengruppen mit der Idee des „InDialog -Treten“ an. Am 12. April 2003 fand diese Veranstaltung „Einladung zum Dialog“ im
Feuerwehrgerätehaus in Hemmersdorf statt. Neben 8 Jugendlichen waren 10 erwachsene
Anwohner und Anwohnerinnen (inklusive Ortsvorsteher und Jugendpfleger) dieser Einladung
gefolgt. Zuerst stellen wir uns und unsere Arbeit sowie den Grund dieses Termins aus
unserer Sicht dar. Es folgte eine Vorstellungsrunde. Nach dem gemeinsamen Aufstellen von
Gesprächsregeln überlegte sich jede Partei, was aus der Sicht der anderen Partei, das
Problem sein könnte, weshalb sie diesen Termin wahrgenommen haben. Die Erwachsenen
hatten folgende Vorschläge:
• Kein Platz, der den Bedürfnissen der Jugendlichen entspricht (zum Rumhängen oder
ungestört zu sein)
• Eingeschränktes Freizeitangebot
• Langeweile, was Sinnvolles tun
• Vorstellungen der Erwachsenen
• Unzufriedenheit über die eigene Lebensperspektive
• Protest gegenüber Eltern
• Wollen sich nicht organisieren lassen
• Sie werden alle über einen Kamm geschert
(Die rotgeschriebenen Begründungen konnten die Jugendlichen nicht bestätigen)
Die Jugendlichen sehen das Problem aus Sicht der Erwachsenen folgend:
• Zuviel Dreck
• Zuviel Lärm
• Gefährdung durch Fahrstil, Motor aufdrehen
• Beschädigung von fremden Eigentum
• Angst
• Frechheiten
• Schlechter Einfluss
Nachdem jede Seite überprüft hatte, ob sie sich mit den Ideen der anderen Seite
identifizieren konnte und ob sie noch etwas hinzufügen wollte, kam der nächste Schritt: Die
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Diskussion über die Entschärfung der Situation. Aus Sicht der Erwachsenen gab es folgende
Vorschläge:
• Weniger Müll produzieren oder diesen Wegräumen
• Platz für Jugendliche (z.B. Wiese in Bitzen)
Die Jugendlichen forderten einen Platz, auf dem sie sich legitim aufhalten und dort
gemeinsam Zeit verbringen können. Da die Anwohner dafür Verständnis zeigten und dies
unterstützen wollten, wurde mit allen Beteiligten vereinbart, dass man weiterhin im Dialog
bleibt, so dass im nächsten Schritt gemeinsam mit dem Ortsvorsteher und den Jugendlichen
ein Platz gesucht wurde. In den folgenden Wochen zeigte sich, dass sich die Situation
entschärft hatte und die Jugendlichen sich jetzt nicht mehr an der Treppe, sondern wie die
Jahre zuvor in den Sommermonaten an der Nied trafen. Die Nutzung dieses Platzes von den
Jugendlichen wurde vom Ortsvorsteher und seiner Meinung nach auch von den BürgerInnen
des Dorfes begrüßt.
Für die Jugendlichen wie für die betroffenen BürgerInnen war dies eine wichtige Erfahrung.
Sie haben erfahren, dass ihre Belange Ernst genommen werden. Die Jugendlichen erlebten,
dass es lohnt, sich für die eigenen Belange einzusetzen.
2.7 Einzelfallhilfen
Im Rahmen der aufsuchenden Arbeit kam es zu drei Einzelfallhilfen.
Im Falle des wohnungslosen A. ist es uns gelungen die Lebenssituation des Klienten, zu
stabilisieren. Problematisch bleibt aber trotz zeitweiliger Einbindung in unser
niederschwelliges Beschäftigungsprojekt der Zugang zur Berufs- und Arbeitswelt da A.,
Anfang 20, keine Ausbildung hat.
Auch im Fall von B. einer jungen Mutter ist es uns gelungen, eine kritische Phase durch
einfache praktische Hilfen (Einkaufen, Entrümpelung der Wohnung) zu stabilisieren.
Schwieriger dagegen gestalteten sich unsere Unterstützungsangebote für C., einen 15
jährigen, der bereits seit zwei Jahren exzessiv verschiedene Drogen konsumierte und als
abhängig gilt. C war im Begriff in eine typische Drogenkarriere zu rutschen, (Schulden,
Beschaffungskriminalität, Hehlerei). Wir haben uns aus diesem Fall zurückgezogen, da wir
keine erkennbaren Einflussmöglichkeiten mehr gesehen haben, bleiben aber offen für
weitere Unterstützungsangebote, falls C. von sich aus, von uns wieder um Hilfe erwünscht.
3 Arbeitskreise
- Arbeitskreis gegen Gewalt und Ausgrenzung
- Arbeitskreis Streetwork
Die Mitarbeit in einer Vielzahl von Arbeitskreisen dient der wechselseitigen Information,
Abstimmung und Vernetzung der regionaltätigen Projekte und Träger.
Arbeitskreis gegen Gewalt und Ausgrenzung
Zu dem Aufgabenkreis dieses Fachgremiums werden u.a. gehören:
- Die Auseinandersetzung mit aktuellen und langfristigen Gewaltphänomenen im Landkreis
- Analyse und Teilnahme (an) der öffentlichen Diskussion über Gewaltphänomene mit den
Ziel der Versachlichung
- Abstimmung
gemeinsamer
Strategien
unterschiedlicher
Akteure,
um
auf
Gewaltphänomenen effektiv reagieren und ihnen langfristig entgegenwirken zu können.
- Planung, Organisation und Durchführung gemeinsamer (Fortbildungs-) Veranstaltungen
und konkreter Projekte.
Im lauf des Jahres wurde weiter an der Konzeption gearbeitet bzw. diese wurde Ende 03
verabschiedet
Für 2004 ist im Herbst eine Fachveranstaltung geplant.
Arbeitskreis Streetwork
Dieser Arbeitskreis hat zwischenzeitlich das Selbstverständnis der aufsuchenden Arbeit im
Landkreis in einem Positionspapier festgehalten. Dieses wird als Grundlage für zukünftige
Stellenbeschreibungen im Rahmen der Jugendhilfeplanung dienen.
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4 Statistische Angaben
Die statistischen Angaben sind im Zusammenhang zu den qualitativen Analysen unter Punkt
2.1 zu lesen.
Unter statistischen Gesichtspunkten erscheinen uns folgende Angaben relevant:
• Insgesamt erreichte Jugendliche
ca.120
•
•
•
•
•
•
Anzahl der aufgesuchten Kommunen
Anzahl der aufgesuchten Orte
Anzahl der Gruppen mit losen Kontakten
Anzahl der Gruppen, zu denen sich intensivere Kontakte entwickelten
Gruppengröße
Einzelfälle
7
20
8
5
zw. 5 und10
3
5 Ausblick
5.1 Öffentliche Räume und Jugendszenen
Der kommunale Nahraum bildet für Heranwachsende den zentralen Sozialisationsort
zwischen Familie und Schule. Öffentliche Plätze, an denen man sich präsentieren kann,
Nischen, in die man verschwinden und sich unsichtbar machen kann, hatten immer schon
eine besondere Anziehungskraft auf Jugendliche.
Das Verweilen in diesen Räumen innerhalb der peers ist für die Entwicklung von Offenheit
und neuen Erfahrungen von großer Bedeutung. Sie bilden den Ort, an dem
Heranwachsende das Leben außerhalb von Familie und Schule ausprobieren. Sie finden
sich zusammen, um zu protzten, wichtige Neuigkeiten auszutauschen, ihren Wünschen und
Phantasie freien Lauf zu lassen, Beziehungen zum anderen Geschlecht einzufädeln sich
ihrer Sexualität zu vergewissern. Die Jugendlichen geben durch ihre Aktivitäten dem Raum
ein eignes Gesicht, eigene Bedeutungen, die oft quer liegen zu den vorgesehen
Normalitätsvorstellungen der Erwachsenenwelt. Im Unterschied zu Erwachsenen nutzen
Jugendliche den öffentlichen Raum nicht primär zielgerichtet, um von Punkt A nach Punkt B
zu gelangen, sondern unspezifisch und multifunktional. Eine Einkaufsstraße ist nicht
unbedingt primär zum Einkaufen da, sondern lässt ungeplante Interaktion und
Kommunikation ebenso zu, wie einen anderen Umgang mit der Zeit.
Während ihr Leben ansonsten vorgezeichneten Bahnen folgt, zeichnet sich der Aufenthalt
auf der Straße und in Szenen durch die Offenheit und Spontaneität des Geschehens aus.
Um in dieser Welt zu existieren, brauchen sie keine Eintrittskarten wie Schulabschlüsse und
Berufsausbildungen.
Die Selbstinszenierungen im öffentlichen Raum, die Neugierde am Fremden, das
Ausprobieren neue Handlungsformen, das Warten auf Gelegenheiten all das lebt davon,
dass es nicht risiko- und gefahrenfrei ist.
Die Treffpunkte von Jugendszenen, auch das ist nicht neu, geraten regelmäßig unter den
Druck der öffentlichen Meinung. Es lässt sich aber feststellen, dass mit zunehmender
Präsens z.B. von privaten Sicherheitsdiensten der Aufenthalt in bestimmten Zonen gerade
für benachteiligten Jugendlichen gefährlicher wird.
Weiterhin beobachten wir auch in unserer Arbeit, dass im Zuge der Stadtentwicklung gezielt
Nischen zerstört werden (z. B. durch das schneiden von Hecken bzw. das Entfernen von
Bäumen.
Die Sicherheitsbedürfnisse der BürgerInnen scheinen in einem nur schwer aufzulösenden
Widerspruch zu den Raum- und Aneignungsbedürfnissen von Jugendlichen zu stehen.
Das öffentliche Leben erweitert, insoweit eine Vielfalt unterschiedlicher Menschen daran
teilnehmen, den Erlebnis- und Erfahrungsraum der beteiligten Akteure - soweit ein Interesse
und Offenheit gegenüber dem Fremden gegeben sind. Der Preis dafür liegt in der
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Konflikthaftigkeit, die wächst, wenn eine Vielfalt von Lebensentwürfen, unterschiedliche
soziale Schichten und Kulturen miteinander in Berührung kommen. Der Öffentliche Raum ist
der Ort der Bewährung von Toleranz.
Diese Funktion scheint der öffentliche Raum allerdings – folgt man bekannten
gesellschaftspolitischen Prognosen (Sennet, Häusermann, Siebel, Postmann) zunehmend
weniger zu erfüllen. Die These von der Verarmung des öffentlichen Lebens und des
öffentlichen Raums speist sich aus der Beobachtung, dass scheinbar weniger Menschen an
der Berührung mit dem Fremden Gefallen finden und den Rückzug in die Privatsphäre
vorziehen. Weiterhin spricht für diese Entwicklung eine Politik, die immer weniger im Stande
ist, Orte zu schaffen, an denen Leben , Wohnen und Arbeiten zusammenkommen Die
Zentren unterliegen in ihrer Entwicklung zunehmend kommerziell verwertbaren
Gesichtspunkten Die Orte an denen die unterschiedlichen sozialen Schichten noch
miteinander in Berührung kommen werden seltener. Die Folge einer solchen Entwicklung
und dies ist kein Jugendproblem mehr, ist die zunehmende Separierung der sozialen
Gruppen und die Entstehung weiterer Vorurteile und Ressentiments.
Im Rahmen unserer Moderatorenfunktion versuchten wir die Öffentlichkeit für einen
unbefangeneren Umgang mit Jugendlichen, die als auffällig wahrgenommen werden zu
gewinnen. Zu solchen Jugendlichen besteht auf Seiten der betroffenen BürgerInnen im
konkreten Fall selten Kontakt. Durch unsere Gesprächsangebote trugen wir dazu bei, das
Handeln der Jugendlichen für die Öffentlichkeit transparent zu machen. Hierzu lenkten wir
den Blick, der zumeist auf die Probleme gerichtet ist, die Jugendliche machen, verstärkt auch
auf die Probleme, die Jugendliche haben. Hierdurch förderten wir Verständigungsprozesse.
Soweit wir in der Nähe der Treffpunkte Jugendlicher vermittelnd tätig waren, hatten wir es
vorwiegend mit normalen Jugendlichen zu tun, die nicht in besonders prekären Lebenslagen
waren.
5.2 Jugendliche in Straßenkarrieren
Vereinzelt begegneten wir in unserer Praxis Jugendlichen/ Jugendgruppen, die sich
tendenziell in Straßenkarrieren befanden.
Wir sprechen von Jugendlichen in „Straßenkarrieren“ in den Fällen in denen eine Vielzahl
von Problemen zusammenkommt und eine Verlaufskurve nach unten unverkennbar ist. Uns
interessierte, wie Jugendliche dazu gekommen sind, sich in ihrem Alltag auf das
Straßenleben auszurichten, welche Erfahrungen sie machen, welche Bewältigungsstrategien
sie entwickeln und wie ihre Ausstiegsversuche aussehen bzw. wie sie sich ihre Zukunft
vorstellen. Da die meisten bereits mit der Jugendhilfe Erfahrung hatten, war weiterhin die
Frage bedeutsam, ob und wo sie die Jugendhilfe als Hilfe erlebten und welche Hilfen sie sich
wünschten. (Genauere Angaben hierzu werden im Rahmen der wissenschaftlichen
Begleitung erwartet).
Das Leben in Straßenkarrieren führt zu „Ausfallzeiten“ gegenüber der Normalbiographie, die,
je länger sie andauern, zu kaum mehr einzuholenden Benachteiligungen führen. Viele dieser
Jugendlichen würden gerne durch eigene Arbeit Geld verdienen, aber mit zunehmender
Verweildauer auf der Straße beherrschen sie kaum noch die Regeln und notwendigen
Kompetenzen für das Leben außerhalb der Szene. Die Arbeitswelt wird diesen Jugendlichen
fremd bzw. diese haben sie nie kennen gelernt.
Zumeist waren diese Jugendliche, soweit wir mit ihnen Kontakt hatten, noch auf der Suche
nach einem Weg (der Rückkehr) zu einem normalen Leben. Sie suchten diejenigen Szenen,
die sich in folge der wachsenden Dropout Quoten bilden. Diese Szenen haben eine wichtige
Unterstützungsfunktion im Hinblick auf das Selbstbewusstsein und die Identiätsbildung
Zugleich sind sie aber auch problematisch, da „Falsche Freunde“ in kritischen Lebensphase
auch problemverschärfend wirken.
Wir erwarten im Laufe unserer Praxis mehr über dieses Dunkelfeld zu erfahren, um diesen
Jugendlichen auf ihrer biographischen Odyssee Wegbegleiter sein zu können.
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Die Integrationsperspektiven des Arbeits- bzw. Ausbildungsmarktes haben sich in den
letzten Jahren erheblich verschlechtert (Wegfall von Einfachtätigkeiten und
Ausbildungsplätzen).
Vor dem Hintergrund der abnehmenden gesellschaftlichen Integrationsperspektiven ist
anzunehmen, dass das Leben in Straßenkarrieren nicht mehr wie im Falle der Ausreißer und
Trebegänger der 80-er Jahre eine kurze biographische Periode bleibt, sondern dass
jugendliche Straßenszenen, sich dauerhaft etablieren und verfestigen. Die
Integrationsperspektiven dieser Jugendlichen werden auf Dauer prekär bleiben.
Wir haben den Eindruck gewonnen, dass sich in den Ämtern (Arbeitsamt, Sozialamt,
Jugendamt) mehr und mehr die Auffassung durchsetzt „Wenn der/ die Jugendliche nicht
spurt, dann machen wir nichts mehr für ihn.“ Dies entspricht der aktuellen Sozialpolitik, die
Jugendlichen verstärkt droht, Leistungen ganz zu kürzen.
Diese Jugendlichen stellen eine große Herausforderung für eine demokratische Gesellschaft
dar. Wenn die Gesellschaft Jugendliche Außenseiter, deren Zahl in den letzten Jahren
gestiegen sein dürfte, aufgibt, sich mit dieser Entwicklung abfindet, so sind damit enorme
soziale Risiken verbunden. Insgesamt würden Phänomene der Verwahrlosung, der
Verrohung und der Gewalt, würden Ängste und Kriminalitätsfurcht in allen
Bevölkerungsschichten wachsen.
Das Phänomen „Junge Menschen in Straßenkarrieren“ bildet einen erheblichen sozialen
Zündstoff. Straßensozialarbeit wie auch die Soziale Arbeit hat hier nur begrenzte
Einflussmöglichkeiten; sie kann aber dennoch im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen
wesentlichen Beitrag zur Entschärfung und zur Linderung der Perspektivlosigkeit und
Ohnmachtserfahrungen leisten.
6 Einschätzungen zum Wirkungsgrad der pädagogischen Arbeit
Insgesamt möchten wir im Hinblick auf die Frage der zu erwarteten Wirkungen der Arbeit im
Streetworkbereich hypothetisch festhalten:
(Eine genauere Analyse erwarten wir im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung.)
Im Hinblick auf die Moderation von Konflikten in der Nähe von Treffpunkten Jugendlicher
insbesondere an Spielplätzen ist es uns in einigen Fällen gelungen, den Beteiligten Akteuren
deutlich zu machen, dass ihre Belange ernst genommen werden, haben wir Kontakte
zwischen den Konfliktparteien hergestellt, und zur Sensibilisierung und Eröffnung neuer
Sichtweisen beigetragen, sowie die Akteure bei der Suche nach Alternativen unterstützt.
Bezüglich der Situation Jugendliche Außenseiter konnten wir ebenfalls in einigen Fällen zur
Stabilisierung der Lebenssituation (z.B. durch Weitervermittlung zur berufsbezogenen
Beratung) beitragen und das Nachdenken über gruppentypische Verhaltensmuster
verbessern.
Wir hatten in 03 vermehrte Anfragen von Jugendpflegern und Kommunen. In diesem
Rahmen wurden wir auch als Experten zur Beobachtung und Analyse öffentlicher Räume,
die von Jugendlichen genutzt werden, tätig.
Soweit es uns gelungen ist, eine Stabilisierung der Lebenssituation von Jugendlichen in
Straßenkarrieren zu erreichen, die Jugendlichen ein realitätshaltigeres Bild ihrer Lage
gewinnen konnten, ihr Gefühl des Bedroht-Seins relativiert werden konnte, gehen wir davon
aus, dass hierdurch positive Wirkungen auf das soziale Klima im kommunalen Raum erzielt
werden konnten.
Weiterhin haben wir durch unsere Arbeit zu wichtigen Vernetzungsprozessen auf lokaler
Ebene beigetragen.
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Literatur:
Anhorn, Roland/ Bettinger, Frank, Kritische Kriminologie und Soziale Arbeit, Weinheim,
München,2002
Bodenmüller, Martina/ Georg Piepel, Streetwork und Überlebenshilfe. Entwicklungsprozesse
von Jugendlichen aus Straßenszenen. Weinheim 2003
Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelischer Jugendaufbaudienst, Kinder und Jugendliche auf
der Straße. Stuttgart 1997
Bundesarbeitsgemeinschaft
Jugendsozialarbeit,
Fachtagung:
niedrigschwellige Angebote der Jugendsozialarbeit. Bonn 2000
Aufsuchende
und
Bundesarbeitsgemeinschaft Streetwork/ Mobile Jugendarbeit / Stefan Gillich (Hg.), Profile
von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit. Antworten der Praxis auf neue
Herausforderungen. Gelnhausen 2004
Deutsches Jugendinstitut, Wenn Jugendliche nur schwer erreichbar sind. Mobile
Jugendarbeit in einem Landkreis. München 1997
Dücker, v. Uwe (Hg.), Straßenkids. Freiburg 2001
Hansbauer, Peter (Hg.), „Strassenkarrieren“ im Schnittpunkt von Jugendhilfe, Schule und
Polizei. Analysen und Modelle. Bonn 2000
Haupert, Bernhard, Die Fallrekonstruktionsmethode als Grundlage der Professionalisierung
Sozialer Arbeit, in. Forum Soziale Arbeit, 2/1997
Institut für soziale Arbeit, Fachtagung: Geschlecht unbekannt. Anfragen an eine
geschlechtsbezogene Straßensozialarbeit. Köln 1997
Kappeler, Manfred, Prävention als Fetisch (in) der Jugendhilfe, in: Neue Kriminalopolitik
2/2000
Simon, Titus, Wem gehört der öffentliche Raum?, Zum Umgang mit Armen und randgruppen
in Deutschlands Städten. Gesellschaftspolitische Entwicklungen, rechtliche Grundlagen und
empirische Befunde, Opladen 2001
Turan, Sürkrü (Hg.), Straßensozialarbeit mit türkischen Jugendlichen. Weinheim 1993
Kontakt:
TagWerk
Bernd Willms
Pavillionstr.39
66740 Saarlouis
Tel.: 06831/481173
e-mail:[email protected]
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