Interview mit der Autorin Kashmira Sheth
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Interview mit der Autorin Kashmira Sheth
Beltz & Gelberg Presseinformation Autorenporträt Kashmira Sheth Wo wurden Sie geboren? Ich wurde in Bhavangar in Indien geboren. Bhavangar ist eine Stadt im westlichen Gujarat. Mit drei Jahren ging ich in die Montessori-Schule und blieb bis zu meinem achten Lebensjahr mit meinen Großeltern in Bhavangar. Danach zog ich nach Bombay, wo auch meine Eltern lebten. Wann sind Sie in die USA gegangen und warum? Mit siebzehn ging ich in die USA, um zu studieren. Ich machte mein Examen in Mikrobiologie an der Iowa State University. Mein Onkel war dort Professor und er zahlte für mich die Studiengebühren an der Universität. Haben Sie in der Schule Englisch gelernt? Ich war nie an einer Schule, an der Englisch die Hauptsprache war, aber Englisch war trotzdem ein Schulfach. In der Highschool musste ich neben meiner Muttersprache Gujarati auch Englisch, Hindi und Sanskrit lernen. Hindi ist die Nationalsprache Indiens und Sanskrit die Sprache der klassischen Schriften. Wie wurden Sie zur Kinderbuchautorin? In meiner Kindheit erzählten meine Großeltern und Eltern mir und meinem Bruder Geschichten. Viele stammten aus den großen indischen Epen Ramayana und Mahabharata. Sie erzählten uns auch die Tierfabeln aus dem Panchatranta. In der Schule las ich Romane in Gujarati. Meine Lieblingsbücher waren historische Romane, aber ich las auch gerne Gedichte und schrieb auch selbst welche. Den wichtigsten Impuls erhielt ich jedoch von meinem Onkel: Er schrieb mir einen Brief, in dem er von seiner Kindheit erzählte. Seine Art zu schreiben brachte mir die Kraft der Worte näher und zeigte mir die gesamte Welt in einer anderen Perspektive. Aus diesem Grund begann ich dann, selbst zu schreiben. Haben Sie das Schreiben gelernt? Als meine Töchter, Rupa und Neha, noch klein waren, las ich ihnen vor. Als Verlagsgruppe Beltz • Werderstraße 10 • 69469 Weinheim • Pressestelle: Birgit Steinwartz • Tel: 06201 6007 443 •E-mail: [email protected] sie alt genug waren, um selbst zu lesen, erzählten Sie mir begeistert von den Büchern, die ihnen besonders gut gefielen. Da ich nicht in den USA aufgewachsen war, kannte ich die amerikanische Kinderliteratur nicht und ich fing deshalb an, dieselben Bücher wie meine Kinder zu lesen. Zu dieser Zeit hatte ich noch keine Ahnung, dass ich irgendwann Schriftstellerin sein würde, aber das Lesen von Kinderliteratur war hierfür die beste Ausbildung. Was raten Sie einem Menschen, der gerne Schriftsteller werden möchte? Wenn man schreiben möchte, muss man lesen, lesen und noch mal lesen. Außerdem empfehle ich, ein oder zwei weitere Sprachen zu lernen. Man entdeckt dabei völlig neue Ideen und Denkweisen. Eine Fremdsprache bleibt nur so lange fremd, bis man sie gelernt hat. Wer sich erst einmal in einer Sprache wohl fühlt, träumt und denkt in ihr. Das ist eine wunderbare Erfahrung. Mein dritter Rat ist, die eigenen Gedanken aufzuschreiben. Man sollte jeden Tag etwas zu Papier bringen. Wenn ich nach einer Woche, einem Monat oder einem halben Jahr die Texte lese, die ich zuvor geschrieben habe, bin ich immer wieder überrascht. Ich frage mich, wie diese Gedanken und Worte in mir entstehen konnten. Hätte ich sie damals nicht gleich niedergeschrieben, wären sie verloren gewesen. Warum schreiben Sie? Ich schreibe, weil es mir Spaß macht. Mir macht sogar das Korrekturlesen Spaß, wenn ich meinen ersten Romanentwurf überarbeite. Es mag langweilig erscheinen, immer wieder am selben Text zu arbeiten, aber ich bin glücklich, wenn ich merke, dass meine Geschichte besser wird. Es ist wie beim Tanz: Man muss üben, bis es bei der Aufführung ganz flüssig erscheint. Wenn ich den ersten Textentwurf schreibe, entspricht das den Grundschritten, aber ich muss die Bewegungen noch perfektionieren. Ich muss die Dialoge schärfer herausarbeiten, überflüssige Worte entfernen. Ich muss die Szenen lebendig werden lassen. Erst nach einigen Korrekturgängen wird aus meinem ersten Entwurf ein gutes Buch. Erzählen Sie uns von Ihrem neuen Roman Schwarzer Vogel, süße Mango? Schwarzer Vogel, süße Mango ist ein Roman rund um das Erwachsenwerden, der im heutigen Bombay spielt. In dem Mädchen Jeeta kämpfen zwei widersprüchliche Gefühle: einmal der Wunsch nach Selbstständigkeit und dann ihr Pflichtgefühl, das sie mahnt, den Wünschen ihrer Familie zu entsprechen. Welchen Einfluss, meinen Sie, hat der Roman auf westliche Teenager, denen die indische Lebenswelt und das Denken fremd sind? Obwohl die Welt heute näher zusammenrückt, ist es schwer zu erahnen, wie Teenager in verschiedenen Ländern leben und denken. Als ich Schwarzer Vogel, süße Mango schrieb, war es mir besonders wichtig, ein detailliertes Bild von Jeetas Leben zu zeichnen, damit die Leser es vollständig fassen können. Wenn ich mich mit Jugendlichen unterhalte, merke ich, dass es ihnen Spaß macht, von Jeeta zu lesen, wobei ihnen die Passagen mit den Hochzeiten und dem Essen am besten gefallen. Auch wenn manche Traditionen und Denkweisen sie überraschen, können sie sich mit Jeeta und dem Kampf mit ihrer Mutter identifizieren. Ich freue mich, Verlagsgruppe Beltz • Werderstraße 10 • 69469 Weinheim • Pressestelle: Birgit Steinwartz • Tel: 06201 6007 443 •E-mail: [email protected] dass dies trotz der räumlichen Distanz und der kulturellen und wirtschaftlichen Unterschiede möglich ist. Glauben Sie, dass westliche Jugendliche etwas von Jeeta und ihrer Denkweise lernen können? Am Ende des Romans ist Jeeta emotional gereift und ist fähig, für das einzutreten, woran sie glaubt. Jeetas Art, mit Problemen umzugehen, mag westlichen Jugendlichen vielleicht nicht entsprechen und sie teilen auch nicht die gleichen Probleme. Dennoch werden sie ihre Handlungen und die Gründe dafür nachvollziehen. Unabhängig von ihrem Hintergrund sind Jugendliche zwischen familiären Verpflichtungen und Erwartungen und ihrem eigenen Bedürfnis nach Unabhängigkeit und ihrem Wunsch, ihres eigenen Glückes Schmied zu sein, hin- und hergerissen. In Europa begeistern sich Jugendliche für die Welten, die von Bollywood-Filmen erzeugt werden. Können Sie sich dieses Phänomen erklären? Zunächst ist es die Musik: Die meisten Bollywood-Filme sind Musicals – auch in meiner eigenen Jugend war Musik die größte Leidenschaft. Außerdem sind für westliche Jugendliche das exotische Setting, die Traditionen und die bunten Kostüme ziemlich spannend. Doch unter dieser Oberfläche bieten die Filme ein wahres Feuerwerk an Emotionen, die üppig dargeboten werden und enden gewöhnlich glücklich. Bollywood bietet erfolgreich große Unterhaltung innerhalb einer Kultur an, die gleichzeitig modern und uralt ist, heterogen und homogen, bekannt und unbekannt. Ich denke, das ist das Geheimnis. Welche Möglichkeiten haben Jeeta und ihr Freund in einer fiktionalen Zukunft? Wird Jeeta zur Universität gehen können? Darf sie den Jungen heiraten, den sie liebt? Jeeta ist ein starker und entschlossener Charakter. Sie wird ihre Beziehung mit Neel fortführen und trotz der Einwände ihrer Mutter den Traum wahr machen, Jura zu studieren. Ich glaube, sie wird den Mann ihrer Wahl heiraten und ihr Leben selbst bestimmen, aber sie wird auch fähig sein, für ihre Freunde und Familie Opfer zu bringen, weil sie sie liebt. Ihr Leben wird nie wie das eines westlichen Jugendlichen verlaufen, sie wird immer ein Teil der indischen Gesellschaft bleiben. Haben Sie ihre eigenen Töchter amerikanisch erzogen? Rupa und Neha sind auf öffentliche amerikanische Schulen gegangen, ähnlich wie viele Kinder in diesem vielfältigen Land. Dennoch haben sie durch die Familie, Reisen und die Gemeinde viel über indische Sprachen, Traditionen und die Kultur gelernt. Beide sprechen fließend Gujarat, haben klassischen indischen Tanz und Volkstanz gelernt und ehrenamtlich für verschiedene indische Organisationen gearbeitet. Können Sie uns Ihre Beziehung zu Indien beschreiben, nachdem Sie beinahe die Hälfte Ihres Lebens im Ausland gelebt haben? Ich liebe es Indien zu besuchen und fahre alle paar Jahre hin. Indien ist ein großes Land und wenn ich weiter von meiner Heimat entfernt reise, verstehe ich die regionalen Sprachen nicht mehr und begegne unbekannten Lebensweisen. Dennoch sehe ich das Land nie aus den Augen eines Touristen – ich bin dort aufgewachsen und ihm durch Freunde, Sprachen, Traditionen sowie Essen, Literatur, Kunst und Philosophie über die weite Entfernung verbunden geblieben. Verlagsgruppe Beltz • Werderstraße 10 • 69469 Weinheim • Pressestelle: Birgit Steinwartz • Tel: 06201 6007 443 •E-mail: [email protected]