26-29 Manatees

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26-29 Manatees
NATUR Tiere
Der nächste Verwandte des Elefanten ist in arger
Bedrängnis. Motorboote und die Jagd dezimieren
den Seekuh-Bestand weltweit.
Text: Ed Lüeber
R
egelmässig wird Christy Hudak,
eine auf Meeressäuger spezialisierte Biologin, zur Einwasserungsstelle des Burt Reynolds Park in
Jupiter, Florida, gerufen. Auch heute wieder muss sie ihren Truck mitbringen, um
einen schon fast alltäglichen Job zu erledigen: das Aufladen eines toten Manatees.
Eine unangenehme Arbeit, die aber
zu einem Teil seiner Arbeit geworden ist.
Das Manatee – auch Rundschwanzseekuh (Trichechus manatus) oder Sirene
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genannt – das am selben Nachmittag im
Intercoastal Waterway gefunden wurde,
wies zwei tiefe Wunden in der Bauchgegend auf. Christy muss die Kadaver
jeweils in Eis packen und sie nach St.
Petersburg ins Florida Marine Research
Institute fahren, wo sie sie dann – ähnlich
wie bei einer Autopsie an toten Menschen
– untersucht. Christys Arbeit ist jeweils
das erste Stück im Puzzle um die Todesursachen dieser sanften Meeressäuger,
und sie kann anhand ihrer Eindrücke
erste Schlüsse ziehen. Jedes Jahr gehen
Hunderte von Manatees diesen Weg.
In Schleusen zerquetscht
Bereits 1974 wurde mit diesen Untersuchungen begonnen, und die Statistik
beinhaltet auch die Erfassung des Alters
sowie des Gesundheitszustandes der
Rundschwanzseekuh-Population in Florida. Von den im Labor durchgeführten 4500 Untersuchungen weist etwa ein
Tiere NATUR
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NATUR Tiere
Todesfälle und Todesursachen der Manatees
Jahr
Motorboote
Schleusen
2006
82
3
2005
72
6
2004
69
1
durch
Menschen
Kältestress
Natürlich
Unbestimmt
Total
4
15
65
132
392
8
25
86
77
365
4
36
22
44
251
2003
68
3
7
37
97
63
355
2002
93
4
6
14
54
59
289
2001
76
1
8
30
27
97
301
Quelle: Florida Fish and Wildlife Conservation Commission
Drittel eindeutig auf Kollisionen mit Booten, Kältestress oder Tod durch Zerquetschen in einer der vielen Schleusen
des Kanalsystems von Südflorida hin. Bei
etwa 30 Prozent der Fälle ist jedoch keine
eindeutige Todesursache feststellbar. Seit
Jahren steigt die Zahl der gemeldeten
Todesfälle an (siehe Tabelle).
Bei der Examination der angelieferten Kadaver wird nicht wenig Zeit damit
verbracht, die äusserlichen Wunden und
Merkmale des Tieres zu untersuchen. Die
besten Schlüsse bezüglich Todesursache
ziehen die Wissenschaftler aber aus den
Untersuchungen der Organe und des
Gewebes. Bei dem oben erwähnten Tier
liegt klar auf der Hand, dass das Tier
zwar von einem Boot überfahren wurde,
jedoch erst, nachdem es bereits tot war.
Die Sündenböcke sind also nicht immer
die Boote, wie es vordergründig den Anschein macht. In diesem Fall wurde die
Todesursache als unbekannt registriert.
Ein weiteres Problem sind auch die
saisonalen Vorschriften für die über
860 000 Motorboote Floridas, in gewissen
Zonen nur im Schritttempo zu fahren.
Sobald die Sperrfristen jeweils am 31.
März ablaufen, wird wieder Gas gegeben.
Fälschlicherweise nehmen viele Bootsbesitzer an, alle Manatees seien dann bereits
nordwärts in kühlere Gewässer gewandert.
Abhängig von
Elektrizitätswerken
An den Küsten Floridas haben schon vor
einer Million Jahren Manatees überwintert. Sie wurden seither immer gejagt –
zuerst von den Indianern, dann von den
Spaniern und anderen Siedlern, bis sie
1907 zum ersten Mal unter Schutz gestellt wurden. Heute leben sie in einem
Habitat, das der Mensch in den letzten
Jahrhunderten grundlegend veränderte.
Weite Flächen, die einst mit Seegras bewachsen waren, existieren heute infolge
Verschmutzung und Industrie nicht mehr.
Während die Tiere früher im Winter
warme Quellen oder die Florida Keys aufsuchten, hängen sie heute in den warmen
Kühlwasserausläufen von Elektrizitätswerken herum. Man befürchtet gegenwärtig
sogar, dass bei der Schliessung alter Anlagen Manatees eingehen könnten, die
ihr ganzes Leben dort verbracht haben.
Nur noch
3000 bis 6000 Exemplare
Heute wird im Zusammenhang mit dem
Schutz dieser Tiere immer wieder über
die Populationsgrösse gestritten. Biologen gehen davon aus, dass noch etwa
3000 bis 6000 Exemplare vorhanden
sind. Die Frage ist aber, ob die Reproduktionsrate dieser faszinierenden Meeressäuger mit der steigenden Zahl von
Todesfällen Schritt halten kann.
Das in Florida heimische Manatee
(Trichechus manatus latirostris) ist eine
Untergattung des Westindischen Manatees, das etwa drei bis vier Meter gross
wird und in freier Wildbahn fast 60 Jahre
leben kann. Ausgewachsen sind die Tiere
normalerweise 400 bis 600 Kilogramm
schwer, können aber vereinzelt weit über
eine Tonne wiegen. Die Weibchen tragen
Schnorcheln mit Manatees
Der wohl bekannteste Ort, um mit Manatees zu schwimmen, sind die warmen
Abfall in den Mägen
Nicht alle sind jedoch mit diesem Programm einverstanden – es finden immer
wieder hitzige Diskussionen zwischen
Tierschützern und Mitgliedern von Motorboot-Clubs statt, die sich gegen jede
weitere Einschränkung ihres Hobbys zur
Wehr setzen.
Paul Alber von der Florida Fish and
Wildlife Conservation Commission beobachtet täglich, wie Abfälle einfach weggeworfen werden – dies, obwohl saftige
Bussen drohen. Oft werden in den Mägen
der Tiere Gegenstände wie Fischleinen
mit Bleigewichten und Haken, Wegwerftücher, Haarbänder und Taschen aus
Plastik, Kinderspielzeug oder Verpackungen von Six-Packs gefunden.
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Quellen des Crystal River in Florida, wo die Tiere überwintern. Viele Rundschwanzseekühe verbringen dort im 22 Grad warmen Wasser die Nacht und die frühen
Morgenstunden, bevor sie zu ihren Futterplätzen in den Küstengewässern des
nahen Golfs von Mexiko aufbrechen.
Da die Blasen eines Tauchers die Manatees erschrecken, können Interessierte Rundschwanzseekühe in Florida nur mit dem Schnorchel besuchen. Es ist ein imposantes
Schauspiel, wenn die massigen Tiere mit ihren teils vernarbten Körpern sich träge
im Wasser bewegen und neben einem Schnorchler herschwimmen. Unwillkürlich
stellt ein Besucher sich die Frage, wieso diese dem äusseren Anschein nach plumpen Tiere Sirenen heissen. Schliesslich verbindet man mit diesem Begriff Anmut und
Eleganz. Sobald jedoch der Meeressäuger die Nase voll hat von seiner Begleitung,
weiss dieser nachher, wieso Manatees Sirenen heissen. Mit einer kräftigen
Schwanzbewegung entschwindet der Koloss elegant im Nirgendwo und es ist dem
Menschen im Wasser unmöglich, je an diese Grazie heranzureichen, geschweige ihr
nachzuschwimmen. Crystal River befindet sich im Citrus County, Florida, nördlich
von Tampa, zwischen Gainesville und Homosassa Springs.
thv
Tiere NATUR
Fotos: Bildagentur Waldhäusl
Sirenen in Not: Jedes Jahr sterben mehr als 300
der inzwischen seltenen Rundschwanz-Seekühe
I N FO B OX
DVD
• «Florida – Geheimnisvolle Flusswelt
der Seekühe», Verlag MCP Sound & Media,
2002, EAN 9002986630104, Fr. 37.95
Literatur
• Rehfeldt: «Florida/Reiseführer Natur»
Tecklenborg Verlag, 2005,
ISBN 3-934427-68-5, Fr. 28.50
Internet
• http://birdsunderwater.com/
manatee_info/index.html
• www.savethemanatee.org/
• www.co.manatee.fl.us
• www.sirenian.org/caryn.html
• http://gorp.away.com/gorp/resource/
us_nwr/fl_cryst.htm
• http://myfwc.com/manatee
nur alle drei bis fünf Jahre ein Kalb, das
nach einer Tragzeit von 12 bis 14 Monaten zur Welt kommt. Das Kalb wird danach etwa 18 Monate gesäugt. Seekühe
verbringen die meiste Zeit mit Ausruhen
und Fressen – bis zu 40 Kilogramm Seegras können sie pro Tag verschlingen.
Alle drei bis fünf Minuten kommen sie
zur Oberfläche, um zu atmen – im Ruhezustand bleiben sie aber zuweilen bis 20
Minuten unter Wasser.
Seekühe weltweit
Neben den Manatees gehören auch die
Dugongs zur Ordnung der Seekühe. Sie
sind nach den Cetacea (Wale) die am besten ans Leben im Wasser angepassten
Säugetiere.
Unterschieden wird in zwei Familien:
die Rundschwanzseekühe (Trichechidae)
oder Manatees und die Gabelschwanzseekühe (Dugongidae) mit heute insgesamt noch vier lebenden Arten. Sie haben
alle einen stromlinienförmigen Körper,
und ihre vorderen Gliedmassen sind zu
Flossen umgebildet. Die hinteren Gliedmassen sind durch einen Schwanz ersetzt.
Während die Manatees vor allem im
Bereich des Mexikanischen Golfes bis
runter nach Guayana, in den brasilianischen Flüssen Amazonas und Orinoco
sowie in den afrikanischen Flusssystemen des Niger und anderen westafrikanischen Flüssen zwischen dem Senegal und
dem nördlichen Angola vorkommen,
sind die Dugongs an den Küstengebieten
des Indischen Ozeans zu Hause.
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