Blau und Weiß ein Leben lang

Transcrição

Blau und Weiß ein Leben lang
Beluga New Media
Olivier Kruschinski
Blau und Weiß
ein Leben lang
Eine Saison mit Schalke
© 2005
1. Auflage 2005
Beluga New Media
Marketing und Verlags GmbH
Hagenstraße 43
45894 Gelsenkirchen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 3-938152-04-4
Satz und Layout:
Oliver Praceius
Milan Retzlaff
Christian Wiemeler
Produktionskoordination:
Charly Rinne
Lektorat:
Beate Mehls
Kira Schmidt
Fotos:
Olivier Kruschinski
Klaus Wieschus
Firo Sportphoto
Team 2
Kira Schmidt
Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für
Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und Einspeicherung und
Verarbeitung in elektronischen Systemen.
printed in the E.U.
Blau und Weiß ein Leben lang
Eine Saison mit Schalke
Inhalt
Aufwärmen
10
Anpfiff
12
UI-Cup: Erste Runde gegen FK Vardar Skopje
17
UI-Cup: Esbjerg – Schalke 04 (Hinspiel)
24
UI-Cup: Schalke 04 - Esbjerg (Rückspiel)
33
1. Bundesliga • Saison 2004/05 • Hinrunde
Werder Bremen – Schalke 04
39
UI-Cup (Finale, Hinspiel) Schalke 04 – Liberec
47
Schalke 04 – 1. FC Kaiserslautern
52
DFB-Pokal (1.Runde)
Hertha BSC Amateure – Schalke 04 (1.Runde)
58
UI-Cup: Liberec – Schalke 04 (Finale, Rückspiel)
61
Schalke 04 – Hansa Rostock
68
VfL Wolfsburg – Schalke 04
71
UEFA-Cup (1.Runde, Hinspiel)
Schalke 04 – Metalurgs Liepaja
74
Schalke 04 – Borussia Mönchengladbach
78
DFB-Pokal (2.Runde)
1. FC Kaiserslautern – Schalke 04
81
Hannover 96 – Schalke 04
87
UEFA-Cup:
Metalurgs Liepaja – Schalke 04 (1.Runde, Hinspiel) 90
7
Schalke 04 – VfL Bochum
94
FC Bayern München – Schalke 04
97
UEFA-Cup (1. Spiel)
Schalke 04 - FC Basel
102
Schalke 04 - FSV Mainz 05
105
1. FC Nürnberg - Schalke 04
109
Schalke 04 - VfB Stuttgart
112
UEFA-Cup (2. Gruppenspiel)
Heart of Midlothian - Schalke 04
116
Hamburger SV - Schalke 04
121
DFB-Pokal (2. Runde)
Eintracht Frankfurt - Schalke 04
126
Schalke 04 - Hertha BSC Berlin
131
Bayer 04 Leverkusen - Schalke 04
136
UEFA-Cup (3. Gruppenspiel)
Schalke 04 - Ferencvaros Budapest
140
Schalke 04 - Arminia Bielefeld
144
UEFA-Cup (4. Gruppenspiel)
Rotterdam - Schalke 04
149
Borussia Dortmund - Schalke 04
152
Schalke 04 - SC Freiburg
157
Halbzeit: Intermezzo Biathlon
164
1. Bundesliga • Saison 2004/05 • Rückrunde
Schalke 04 – Werder Bremen
171
1.FC Kaiserslautern – Schalke 04
178
Hansa Rostock – Schalke 04
183
Schalke 04 – VfL Wolfsburg
189
UEFA-Cup (Achtelfinale)
Schachtjor Donezk – Schalke 04
194
8
Borussia Mönchengladbach – Schalke 04
203
UEFA-Cup (Achtelfinale, Rückspiel)
Schalke 04 – Schachtjor Donezk
208
Schalke 04 – Hannover 96
210
DFB-Pokal (Viertelfinale)
Schalke 04 – Hannover 96
213
VfL Bochum – Schalke 04
216
Schalke 04 - FC Bayern Müchen
219
FSV Mainz 05 - Schalke 04
227
Schalke 04 – 1. FC Nürnberg
234
VFB Stuttgart - Schalke 04
237
Schalke 04 - Hamburger SV
241
DFB-Pokal (Halbfinale)
Schalke 04 – Werder Bremen
246
Hertha BSC Berlin – Schalke 04
253
Schalke 04 – Bayer 04 Leverkusen
257
Arminia Bielefeld – Schalke 04
260
Schalke 04 – Borussia Dortmund
263
SC Freiburg – Schalke 04
268
DFB-Pokal (Finale in Berlin)
FC Bayern München – Schalke 04
272
Nachspielzeit
277
Abpfiff
279
Über den Autor
280
Danksagungen des Autors
280
Abschlusstabelle Saison 2004/05
281
9
Aufwärmen
Vor gut einem Jahr, die Saison
war gerade vorbei, lag ich am Cap
d`Antibes an der wunderschönen Côte d`Azur und verschlang
wie ein Wahnsinniger Tim Parks´
Meisterwerk: “Eine Saison mit Verona“. Ich bemerkte nicht einmal
den schweren Sonnenbrand, den
ich mir gerade einholte, so sehr
war ich gefesselt von seinen Schilderungen. „Warum – verdammte Hacke – gibt es so etwas nicht
über uns, über den FC Schalke
04,“ fragte ich mich?
Parks hatte auf faszinierende Art und Weise eine komplette
Saison den italienischen Fußballclub Hellas Verona zu allen
Spielen begleitet und seine Erfahrungen, Beobachtungen und
Erlebnisse in einem Buch niedergeschrieben. Nicht in einem
stinknormalen Jahresrückblick, wie es ihn an jeder Ecke gibt,
nicht in einer furztrockenen Chronik, die nur auf langweilige Zahlen und nichtssagende Statistiken aus ist, sondern in
einem lebendigen Tagebuch, in dem zwar das Spiel immer
im Mittelpunkt steht, das ganze Drumherum jedoch mindestens genauso wichtig ist: Die Anreise, lustige Randereignisse,
Anekdoten, Emotionen, Land & Leute. Parks hauchte dem
Besuch des FußballSpiels Leben ein und es entstand diese
Pflichtlektüre für jeden Fußballfan, mit Liebe zum Detail.
Und das sollte es für den aufregendsten, skandalreichsten,
interessantesten, emotionalsten und geilsten Club der Welt
nicht geben? Das musste sich, so schwor ich es mir am Cap
d`Antibes unverzüglich, ändern!
So entstand die Idee zu diesem Buch, in dem ich aus meiner
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Sicht, aus Sicht eines ganz normalen Schalke-Fans, aus Sicht
eines „ganz normalen“ Fanclubmitgliedes, meinen – unseren
- FC Schalke 04 (wie immer) ein Jahr lang zu allen Spielen
begleitete, diesmal allerdings das Erlebte niederschrieb.
Entstanden ist ein durch die königsblaue Brille betrachteter Rückblick auf die Saison 2004/2005 der etwas anderen
Art. Ein Jahresrückblick, der nach Bier und Bratwurst, nach
Fußballstadion und Testosteron riecht. Natürlich ist alles
Niedergeschriebene subjektiv empfunden, vieles überzogen,
übertrieben, verzerrt – und trotzdem irgendwie so erlebt und
gefühlt worden.
„Blau und weiß ein Leben lang“ ist ein Nachschlagewerk für
Schalke-Fans, die in zehn Jahren nicht mehr interessieren
wird, in welcher Minute Ebbe Sand im wievielten Spiel die
dritte gelbe Karte sah, sondern vielmehr noch einmal nachlesen wollen, was beim skandalösen Bundesligasaisonauftakt
in Bremen – als das Flutlicht ausfiel – wirklich los war. Oder
wisst ihr noch, bei welchem Spiel, bei welchem Torjubel Ailton unser „Maskotte“ köpfte? Und wie reagierten wir Fans
auf die Umbenennung der Donnerhalle, gab es da nicht diesen Schiedsrichterskandal?
„Blau und weiß ein Leben lang“ schildert das Leben mit, für
und rund um den FC Schalke 04. 365 Tage, 54 Pflichtspiele
lang. Ein Schalker Jahr halt.
11
Anpfiff
Neues Spiel – neues Glück heißt
es doch so schön, und genau mit
dieser Hoffnung gehe ich mal
wieder in die neue Saison hinein.
Meine wievielte Saison dies mit
Schalke ist? Ich weiß es selbst
nicht mehr. Eigentlich bin ich,
seitdem ich denken kann, Schalke-Fan. Natürlich habe ich, als ich noch ein kleiner Lütte war
und voller Begeisterung ab und an mal vor dem Fernseher sitzen durfte, um ein Europapokalspiel eines Deutschen Teams
mitzuverfolgen, diesem dann auch – bei Chips und Cola - ein
wenig die Daumen gedrückt. Dem Hörensagen nach geht es
da vielen meiner Generation so. Ich erinnere mich an die legendären, spannenden und faszinierenden Auftritte von Bayer Uerdingen oder Werder Bremen. Schon in diesen frühen
Tagen fesselte und faszinierte mich dieses Spiel, begeisterte
mich die Atmosphäre. Und zu dieser Zeit durfte man sich
wirklich, nicht so wie heute, auch schon tagelang auf eine
solche Begegnung im Fernsehen freuen. Heutzutage wird ja
fast jedes bessere Freundschaftsspiel – auf jeden Fall jedes
der Bayern – live im Fernsehen übertragen. Ach ja, eines
weiß ich heute noch ganz genau: Niemals habe ich den Bayern die kleinen Däumchen gedrückt! Diesbezüglich war ich
auch damals schon ideologisch absolut gefestigt.
Auch die Sympathien für Bayer Uerdingen und Co. legten
sich spätestens bis zum nächsten Heimspiel der Blauen in
der tristen, weiten Betonschüssel namens „Parkstadion Gelsenkirchen“, wieder. In meinem Herzen war und bin ich halt
seit Jahr und Tag ein Schalker!
Ich kann auch die mir mittlerweile schon x-fach gestellte Frage nicht beantworten, wie man denn überhaupt Schalke-Fan
wird: Wie ich es geworden bin? Ich weiß es nicht. Entweder
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man ist es, oder man ist es nicht. Weder bin ich diesbezüglich
familiär großartig vorbelastet, noch wurde ich zu diesem verrückten Dasein gezwungen. Einzig die geographische Nähe,
Dank der Gnade Gottes, der mich hat im wunderschönen GE
auf die Welt kommen lassen, mag als Erklärung dienen. Auf
jeden Fall gibt es keinerlei Leitfaden, kein Handbuch zum
Thema „wie werde ich Schalke-Fan“. Ich bin es halt, mit Kopf,
Herz und Hand. Schalker wird man nicht, Schalker ist man.
Neues Spiel – neues Glück, das bedeutet für mich einmal
mehr auch eine große Erwartungshaltung an die neue Saison.
Grenzenloser Optimismus, Träume von Meisterschaft oder
Pokalsieg, erhofftem, euphorischem Jubel nach mitreißenden, packenden Spielen und dollen Traumtoren. Wir haben
uns mit Ailton, dem Torschützenkönig der vorangegangenen
Saison, und dem Abwehrrecken Mladen Krstajic, die beide
ablösefrei vom Deutschen Meister Werder Bremen an die
Emscher wechselten, gezielt verstärkt. Dazu scheint unsere
Vereinsführung, trotz nicht gerade berauschender Bilanzzahlen (die bei der JHV mit leicht zittriger Stimme durch unseren Finanzminister Jupp Schnusenberg präsentiert wurden),
ein hohes Risiko bei der Verpflichtung von Marcelo Bordon
(VfB Stuttgart) eingegangen zu sein. Obwohl dieser zweifelsfrei einer der besten Abwehrspieler der Liga ist, hätte man
ihn ab der kommenden Saison ablösefrei haben können. Nun
allerdings hat man diesen Transfer vorgezogen, was einem
äußerst seriösen deutschen Boulevardblatt mit vier Buchstaben nach, den Club bis zu fünf Millionen Euronen gekostet
haben soll. Kein Pappenstiel in Zeiten knapper Kasse – dafür
eine Abwehr, die verspricht einem Betonmischer alle Ehre zu
machen. Des weiteren hat kein Leistungsträger den Club verlassen und somit haben wir, meiner und meiner Mitstreiter
Meinung nach, mit diesen drei Neuverpflichtungen eine mehr
als schlagkräftige Truppe beisammen, mit der die UEFA-CupQualifikation Pflicht sein muss. Träume von höheren Zielen
sind – wie in jedem Jahr – ausdrücklich erlaubt.
Zunächst aber holt mich die Realität ein, denn trotz schlag13
kräftiger Truppe, auch in der vergangenen Jubiläumssaison
2003/2004, hat es einmal mehr nur für einen bitteren siebten Platz im weiten Niemandsland der Tabelle gereicht. Eine
herbe Enttäuschung, aber das ist für unser leidensfähiges
und leid geplagtes Schalker Herz seit Jahr und Tag nichts
Neues. Als „Übergangsjahr“ wurde die Geburtstagssaison im
Nachhinein durch unseren obersten sportlichen Übungsleiter
(auch „Trainer“ genannt) Josef Heynckes (vielmehr bekannt
unter dem Namen „Don Jupp“) bezeichnet. Übergangsjahr
– toll! Mein halbes Schalker Fanleben besteht scheinbar aus
„Übergangsjahren“. Aber wer will denn schon bei dreieinhalb
Titeln in den letzten sieben Jahren meckern? Eigentlich sind
wir Schalker, rein objektiv betrachtet, in den letzten Jahren
doch vom Erfolg verwöhnt worden, haben das Glück, in der
zweiterfolgreichsten Zeit seit Vereinsgründung vor genau
100 Jahren, zu leben. Fragt mal einen Kölner, einen Hamburger, einen Leverkusener! Sie alle würden gerne mit uns
tauschen.
Trotzdem, die Ansprüche wachsen und an diesen muss man
sich auch messen lassen. Erst Recht, wenn man das Umfeld
und die in die Hand genommenen Investitionssummen betrachtet. Und diesbezüglich war die abgelaufene Saison eine
einzige Katastrophe. Einzig bemerkenswert bleibt mir von
ihr, sportlich betrachtet, in Erinnerung, dass wir teilweise,
durch mehrfaches Verletzungspech gezwungen, mit sechs
waschechten Gelsenkirchener Eigengewächsen auf dem
Platz standen. Das ist doch das, was so viele Fußballfans sich
immer wünschen. Den gewünschten Erfolg hat es trotzdem
nicht gebracht. Dann spiele ich lieber mit drei Niederländern,
einem Chinesen und zwei Brasilianern, die sich zu 104 % mit
Schalke identifizieren um die Europapokalplätze mit, als mit
einer Gelsenkirchener Truppe gegen den Abstieg in die Regionalliga. Unabhängig davon sei den Fußballfreunden kurz
gesagt, dass es eine reine Gelsenkirchenern Truppe – von
der man in seiner Idealvorstellung träumt - so noch nie gegeben hat. Selbst nicht im goldenen Schalker Jahrzehnt (19351945). Das waren auch nicht alles Jungs, die ausschließlich
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an der Schalker Grenzstraße geboren wurden und aufgewachsen sind. Auch damals kamen die Spieler schon von anderen
Clubs – ja, und auch damals wurde schon Geld für das Bolzen
gezahlt. Lese die Schalker Chroniken gründlich! Trotzdem
dauert es auch im Fußball nicht allzu lang und aus Halbwahrheiten, Legenden und Geschichten werden, wenn man
sie selbst nur oft genug gehört und erzählt hat, Tatsachenberichte. Früher, vor dem Krieg, war eh alles anders – und
natürlich auch besser!
In der glücklicherweise immer mehr zusammenwachsenden
„Einen Welt“ ist es doch eh Wurst, ob der Kicker nun aus
Gelsenkirchen, Ottawa oder von der Elfenbeinküste kommt.
Spielen tun sie alle nur dort, wo sie am meisten Geld verdienen können. Hauptsache der Spieler gibt alles und identifiziert sich mit meinem FC Schalke 04. Oder kommt Ebbe Sand
etwa aus Gelsenkirchen-Ückendorf, Marco van Hoogdalem
aus Gelsenkirchen-Bismarck?
Zurück zur letzten Saison; Denn der Platz Sieben verspricht
uns zumindest wie im Vorjahr einen winzigen Silberstreif am
Horizont: Die Teilnahme am UI-Cup, dem so genannten „Döner-Cup“ oder „Intertotto-Cup“. Der bei so vielen ungeliebte
Wettbewerb hält uns auch in diesem Jahr die Möglichkeit
offen, doch noch den lukrativen und finanziell so wichtigen
UEFA-Cup zu erreichen. Sollte mit der Truppe eigentlich zu
schaffen sein. Allerdings wird – und das ist der Preis für diese
Ehrenrunde – die gesamte Vorbereitung in Mitleidenschaft
gezogen. Während andere Teams nämlich bereits Kondition
und Taktik unter der spanischen Sonne trainieren, müssen
Don Jupp und seine Spieler – und wir Fans natürlich auch
– quer durch Europa reisen, um in besseren Regionalligastadien Siege einzufahren. Da hilft kein Jammern, denn wer sich
die Suppe eingebrockt hat, muss sie schließlich auch selber
wieder auslöffeln.
Ärgerlich nur, dass ich zu Beginn des Jahres unseren diesjährigen Sommerurlaub - clever wie ich bin - exakt so gelegt
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habe, dass ich weder von der EM, noch vom Bundesligaauftakt auch nur ein einziges Spiel, einen einzigen Anstoß, verpassen würde. Wer konnte denn, bei allem Realismus – lasst
mich ruhig sagen: Zweckpessimismus - schon damit rechnen, dass wir uns tatsächlich erneut über den UI-Cup für
den UEFA-Cup würden qualifizieren müssen? Ich hatte mit
einem glasklaren Champions-League-Platz gerechnet, auf
die Meisterschaft gehofft. Pustekuchen! Der Fußball schreibt
halt bekannterweise seine eigenen Gesetze. Ich habe meine
Rechnung einmal mehr ohne den Wirt gemacht. In puncto
Unzuverlässigkeit sind meine Blauen bereits seit Jahren die
Zuverlässigkeit schlechthin.
Was soll es, etwas Gutes findet man immer, auch im
schlimmsten Übel: Ich habe zumindest, da ich Dank der Urlaubsplanung die erste Runde nicht live mitverfolgen kann,
einige hundert Euro gespart.
16
17.07.2004 & 24.07.2004 - UI-Cup
Erste Runde gegen FK Vardar Skopje
So kommt es halt, dass ich mich
am ersten (inoffiziell-offiziellen)
Spieltag der Saison 2004/2005,
dem Auftakt im UI-CUP, einem
Heimspiel gegen den mazedonischen Vertreter FK Vardar
Skopje, am wunderschönen
Mittelmeer befinde. Während
zigtausende meiner Gesinnungsgenossen in den Genuss
kommen, erstmalig wieder das
frisch gebügelte Lieblingstrikot
bzw. den immer noch nach Bier und Bratwurst riechenden
Lieblingsschal aus dem Schrank zu holen. Da machst Du
nichts! Die Dame des Hauses – die Fiene - hat ja Woche für
Woche viel Verständnis, aber einen kompletten Urlaub wegen eines Döner-Cup-ViertelfinalSpiels verschieben, gar absagen? Kam gar nicht in die Tüte. Eher hätte ich meine zwei
kümmerlich gepackten Koffer samt meines Hab und Gutes
vor der Haustür wieder gefunden. Die sprichwörtliche: „Rote
Karte“! 1.200 Kilometer entfernt von meinem Wohnzimmer,
der Donnerhalle, packe ich also meinen Weltempfänger - bei
strahlendem Sonnenschein, königsblauem Himmel und zarten 30° C im Schatten - aus und stelle ich ihn auf unseren
Campingtisch. Kurzerhand entscheide ich mich, dem Blick
auf das wunderschöne Cap d’Antibes zu entsagen, indem
ich direkt vor unserem Zelt die große „100 Jahre Schalke 04
– 100 % Gelsenkirchen“ Fahne zwischen zwei Olivenbäumen
aufhänge. So entsteht zumindest ein wenig Fußballambiente.
Einige der Zeltnachbarn schauen neugierig hinüber, schütteln mit dem Kopf oder tuscheln leise miteinander. Diese
Spezies scheint mit „Schalke 04“ etwas anfangen zu können,
sich jedoch zu fragen, was denn „Gelsenkirchen“ bloß für eine
hoch ansteckende, schreckliche Krankheit sein könnte. Innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde wird auch noch gekonnt
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der 2001 Côte du Mont Ventoux geöffnet und der adäquate
Plastikbecher (der Marke „Tupperware“) gefüllt. Wenn ich
ehrlich bin, könnte ich mich just in diesem Moment glatt an
diesen Zustand des „Fandaseins“ gewöhnen. Wäre da nicht
diese verflixte Suche nach dem passenden Radiosender, nach
der vertrauten Stimme von Manni Breukmann oder Dietmar
Schott. Das Radio wird durchgeschüttelt, in allen Variationen gedreht und gewendet, die Antenne führt akrobatischste
Kunststücke im Fach „wie finde ich die passende Frequenz
für Dummies“ vor. Es tut sich nichts. Wie ernüchternd. Wie
ärgerlich. Musikdudeleien in allen Variationen, Polit- und
Ratesendungen die jetzt gerade kein Mensch braucht, Pferdesport und Hunderennen in jeglicher Form als Live-Übertragung, Regionalmeisterschaften im Synchronschwimmen,
die südfranzösischen Bouleswettkämpfe. Ich kriege alles rein,
nur nichts über Schalke, nur keine deutsche Sportsendung.
Verdammte Hacke. Ich drehe am Rad. Irgendein dämlicher
Radiosender wird doch, erst Recht im Sommerloch, das erste
internationale Pflichtspiel meiner Blauen live im Radio übertragen, oder? Zumindest ausschnittsweise?
Mein schlimmster Albtraum scheint wahr zu werden. Ein
Pflichtspiel meiner Knappen und ich kriege davon weder über
Radio, Live-Ticker, Fernsehen oder sonst einem Medium was
mit. Das sollte mir zum letzten Mal passiert sein! Es ist für
jemanden der mit Schalke nichts zu tun hat oder nicht selber
Fan einer Mannschaft, eines großartigen Clubs ist, sicherlich
nicht vorstellbar, dass es so ein großes Problem, eine solche
Qual ist, dass es so schlimm sein kann bei einem Spiel mal
nicht live dabei sein zu können. Natürlich gibt es schlimmeres, viel tragischeres im Leben. Von der schlimmen Krankheit
bis hin zur Arbeitslosigkeit. Auch ich, ich nehme es gerne
vorweg, habe es überlebt. Trotzdem, ich bleibe dabei, es ist
ein ungewohnt komisches, beunruhigendes, beklemmendes
Gefühl, nicht den gewohnten Platz im Stadion einnehmen zu
können. Selbst eine Niederlage ist einigermaßen erträglich,
wenn man nur selbst dabei ist! Man möchte doch auch die
Geburt seines Kindes nicht verpassen, oder?
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Gott sei Dank greift in solchen Fällen immer noch die oft erprobte Notlösung, der lang ausgearbeitete, bewährte und vorbereitete Plan B für den „worst case“: Die Handyschaltung!
Und so sitze ich nun am hellichten Tage, an einem der
schönsten Fleckchen Erde, die ich je bereist habe, vor einem
immer noch rauschenden Radio und einem Plastikglas gefüllt
mit herrlichem Rotwein und blicke nervös und angespannt
bis in die Zehenspitzen still und starr auf das Display meines
Handys.
„Es ist nur ein dämliches UI-Cup-Viertelfinal-Spiel gegen
einen Gegner mit Regionalliganiveau“, sage ich mir. „Die
müssten durch unsere Mannen um Ailton und Co. einfach
weggeputzt werden“. Tatsächlich surrt bereits zwei Minuten
nach dem vermeintlichen Anpfiff in der weiten Heimat (Nein,
es gibt keine Zeitverschiebung zwischen dem Pott und der
schönen französischen Mittelmeerküste) mein Telefon. Eine
SMS von Deppi, meinem besten Freund und Sitzplatznachbarn in der Donnerhalle. Hoffentlich kein grandioser Fehlstart der Blauen. „Ausverkauftes Haus. 56.054 Zuschauer.
Jupp spielt mit Ailton, Krstajic und Pander 4-4-2. Bombenstimmung. Nur Du drückst Dich – trotz Pflichtspiel. Gruß
von allen - Deppi“. „Der alte Hund, weiß genau, wie er mich
ärgern kann“ denke ich und lösche den Text sofort. Natürlich
gehe ich auf die Nachricht nicht ein. Den Gefallen tue ich ihm
nicht. Nach gut einer Viertelstunde und dem zweiten Glas
Roten werde ich immer nervöser. „Haben mich die Jungs
im Stadion vergessen oder tut sich da wirklich nichts?“ Weitere 15 Minuten später eine zweite SMS: „1:0 Krstajic nach
Eckball“. Als wenn ich im Stadion wäre, springe ich kurz auf,
balle meine Beckerfaust und lasse mich zu einem kurzen aber
lautstarken „Jaaaaaa“ hinreißen. Verdutzt schauen mich zwei
spielende Kinder an, die gerade vor unserem Zelt toben. Ich
ziehe es vor, um den Einzug der Sittenpolizei auf dem Campingplatz nicht zu provozieren, meinen gemütlichen Platz auf
dem Campingstuhl wieder einzunehmen. Stolz weht meine
Schalke-Fahne vor dem Zelt in der leichten Brise des aufkommenden Windes. Ein tolles Bild: Ein königsblaues Fähnlein
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vor azurblauem Hintergrund. Ich entspanne mich ein wenig,
der Bann scheint gebrochen. „Souveräne Blaue, hier passiert
heute nichts“ erreicht mich die nächste SMS von Schlammi,
meinem alten Kumpel seit Schulzzeiten und anderen ArenaSitznachbarn. Kurz darauf wieder Deppi: „2:0 – der goldene
Ball, 40. Minute“. Mich führt er nicht aufs Glatteis. Natürlich
weiß ich, dass es sich dabei um die türkische Übersetzung
von Altintop handelt.
Auch bei uns auf dem Zeltplatz ist nun Halbzeit. Ein rascher
Gang zur Toilette, Campingtisch & -Stuhl kurz dem weiterwandernden Schatten nachgestellt, den Rotweinstand kritisch geprüft. Auf geht’s in die zweite Halbzeit! Kaum habe
ich mich hingesetzt (der Schiri wird doch nicht etwa zu früh
wieder angepfiffen haben?) eine neue SMS: „Ailton – 3:0
(50.)“. Scheint ja ganz gut zu laufen, denke ich. Erstes Spiel,
gleich treffen beide Neuzugänge, so kann es weitergehen. Um
ein wenig Stadionluft bei frischer Meeresbrise schnuppern zu
können, lasse ich es mir nicht nehmen, meinen persönlichen
Stadionbotschafter Deppi einmal kurz anzurufen. Ich verstehe zwar kaum ein Wort, was weniger an der großen Entfernung als an der Lautstärke in der Donnerhalle liegt, aber für
einige Sekunden fühle ich mich wie zuhause und mir läuft
es eiskalt den Rücken hinunter. In kurzen Sätzen berichtet
er von dem souveränen Spiel und dem unglaublich kurzen
Hals von Ailton. Live kommentiert mir Deppi das 4:0 durch
Thomas Kläsener in der 80. Minute. Alleine der Torjubel verursacht bei mir erneut eine Gänsehaut. Wir sind durch, da
bin ich mir sicher. Wir spielen im UI-Cup-Halbfinale und ich
werde dabei sein! Da brennt nichts mehr an. Da läuft nichts
mehr schief. Das erste Hindernis auf dem Weg zu Europas
Spitzenteams ist aus dem Weg geräumt. Erstaunlicherweise
jetzt, wo das Spiel um ist, weicht wie von Geisterhand alle
Nervosität und Anspannung von mir und ich bin glücklich,
noch für einige Tage hier im Süden Frankreichs verweilen
zu dürfen. Beim abendlichen Besuch der Strandpromenade,
im „100 Jahre Schalke 04 Retro-Shirt“, schaffe ich es noch
kurzerhand, der Bewachung der Hausherrin zu entwischen,
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Einen Toilettenbesuch vorgaukelnd gelingt es mir, geschwind
in ein Internetcafé zu stürzen, um zumindest den Spielbericht
auf der Homepage des S04 und ein oder zwei Fotos aufzusaugen. Dort lese ich, dass sogar noch das 5:0 in der Nachspielzeit gefallen ist. Ein Eigentor. Der höchste Schalker Sieg der
UI-Cup-Geschichte war perfekt. Da hatten mich die Jungs
mit der SMS-Schaltung doch glatt vergessen. Schwamm drüber! Wie gewohnt zahlt sich auch heute ein Sieg der Knappen
für Madame aus, indem ich sie, in bester Laune, zu einem
feinen Essen einlade. „Hoffentlich klaut mir keiner die Fahne
am Campingplatz. Die ich, quasi als Skalp, hängen gelassen
habe“, geht es mir noch durch den Kopf.
Da wir noch eine Woche in Frankreichs Süden verweilen
sollten, war von vorneherein klar, dass ich auch das Rückspiel nicht live im Auswärtsstadion würde verfolgen können.
Besonders ärgerlich, da zwar einerseits der sportliche Wert
dieser Begegnung nahe der Frostgrenze liegen würde, aber
andererseits gerade diese Spiele, in noch unbekannten, reizvollen, weit entfernten Gegenden und Städten für uns „Allesfahrer“ das Salz in der Suppe ausmachen. Oder wann kommt
man sonst einmal für zwei oder drei Tage nach Skopje, in
die 2.000 Kilometer entfernte mazedonische Hauptstadt?
In München war ich mit den Blauen mittlerweile wohl schon
um die 345 Mal. Aber in Skopje?
Aber wer will darüber meckern, wenn er bei strahlendem
Sonnenschein mit einer dollen Frau stundenlang durch die
Lavendelfelder der Provence fährt und den herrlich frischen
Duft einatmen darf, in Vorfreude auf ein feines, abendliches
vier Gänge Menü (inkl. Froschschenkeln) in freier Natur bei Rotwein und Kerzenschein. Trotzdem schaffe ich es, mit
viel Glück und Geschick, den Termin der Rückfahrt in die
heimatlichen Gefilde so zu legen, dass wir pünktlich zur LiveÜbertragung des RückSpiels, welche netterweise der Pay-TV
Sender Premiere übernimmt, bei unserem Sportsfreund Markus auf der Matte stehen. Das noch voll bepackte Auto wird
einfach vor der Haustür geparkt und wir betreten gemeinsam,
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pünktlich, noch vor Anpfiff, den vollbesetzten und königsblau geschmückten Partyraum. Alle anderen Jungs, die nicht
mit nach Skopje gefahren oder geflogen sind, sind ebenfalls
schon da und wir genießen erst einmal, unter großem Hallo,
ein frisches Veltins. In Anbetracht der Tatsache, dass es bei
dem Match nur noch um die goldene Ananas geht, schaue ich
nur mit einem Auge auf die Großbildleinwand. Einmal mehr
ist das Spiel nur der Anlass für das gesellige Beisammensein. Bereits nach nur fünf Minuten sorgt Christian Pander,
bei hochsommerlichen Temperaturen im Gradski-Stadion,
für klare Verhältnisse. Er erzielt, frei stehend vor dem mazedonischen Torwart, mit einem schönen Außenrist-Schlenzer das 0:1. Der Jubel in unserer trauten Runde hält sich
in Grenzen. Zu unwichtig erscheint das Spiel. Für Christian
Pander allerdings, der in den letzten eineinhalb Jahren vom
Verletzungspech verfolgt war, freut es uns ganz besonders.
Der Junge hat das Talent und das Zeug, ein richtig Guter zu
werden und sich sogar in unserer Stammformation für die
linke Seite, noch vor Böhme und Rodriguez, durchzusetzen.
Bereits zehn Minuten später erhöht Ebbe Sand, nachdem
der mazedonische Torhüter einen Schuss von Lincoln nur
abklatschen lassen kann, in klassischer Stürmermanier mit
einem Abstaubertor auf 0:2. Der anschließende Spielverlauf
wird dem Namen „Döner-Cup“ gerecht. Zu groß ist der Klassenunterschied zwischen den beiden Teams. Unsere Schalker
ziehen ein lockeres Trainingsspielchen auf, das später mit
dem Worte „Sommerfußball“ treffend beschrieben wird.
Spannender hingegen verläuft das Spiel bei unseren Freunden in der Nähe von Lüdenscheid. Markus zappt immer mal
wieder rüber. Die schwatz-gelben vergeigen doch tatsächlich
den Einzug ins UI-Cup-Halbfinale. Das wird böse enden! Zumindest die Schadenfreude zieht einen euphorischen Kreis in
unserem Raum. Mehr soll dazu an dieser Stelle – auf einen
am Boden liegenden Gegner tritt man nicht ein - nicht gesagt
werden. Auch wenn wir den Kartoffelkäfern nicht einmal das
Schwarze unter dem Fingernagel gönnen. Es bestätigt sich
jedoch mein ungutes Gefühl der letzten Woche, als ich weit
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entfernt auf einige wenige, bruchstückhafte Informationen
angewiesen war und auf diese verzweifelt warten musste, um
dem Spiel meiner Blauen einigermaßen folgen zu können.
Auch wenn der Gegner nur Skopje oder Gent heißt: Schief
gehen kann immer etwas. Das ist ja das Tolle am Fußball.
Nichts, noch nicht einmal der Erfolg, ist wirklich planbar.
Immer wieder kann der kleine David den großen Goliath
schlagen. Allerdings wird immer wieder durch einen solchen
sportlichen Misserfolg eine Lawine ins Rollen gebracht, die,
speziell in ökonomischer Hinsicht, kaum mehr aufzuhalten
ist. Doofmund lässt grüßen!
Gegen Ende unserer Partie fällt, kurz vor Abpfiff, noch der
Anschlusstreffer für die Gastgeber. Mit 2:1 gewinnen die
Blauen auch das Rückspiel des UI-Cup-Viertelfinals und erreichen damit die Runde der letzten vier. Gegner wird dann
bereits am kommenden Mittwoch der dänische Vertreter Esbjerg fB sein. Und ich bin wieder dabei! Kann man prima mit
dem Bus hinfahren. Somit endet nicht nur ein toller Urlaub,
sondern ein äußerst erfolgreicher Spieltag. Die Blauen sind
weitergekommen, der Verein aus der Nähe von Lüdenscheid
ist ausgeschieden – Fußballherz was willst du mehr?
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28.07.2004 - UI-Cup
Esbjerg – Schalke 04 • 1:3 (Hinspiel)
Die Planungen zur Auswärtstour
nach Esbjerg sind, erwartungsgemäß, rascher beendet als ein
Fußballspiel dauert. Im Vergleich
zu den strapaziösen und teilweise
äußerst unattraktiven Losen, mit
denen die uns scheinbar weniger
wohl gesonnene Glücksfee in der
Vergangenheit immer wieder hat
in den fernen Osten Europas reisen lassen, klingt das Wort „Dänemark“ fast schon wie Musik in
unseren Ohren. Dänemark: Wikinger, Ebbe Sand, Smörebröd.
Die Schildkröte (unser Bus) ist rasch gefüllt, einen Tag Urlaub hat jeder schnell genommen und wir können uns noch
einige Tage mit den üblichen Lobhudeleien auf des Gegners Spielkunst beschäftigen. „Die Hürden werden immer
höher“, „hohe fußballerische Qualität“ und ähnliches kann
man nun Tag für Tag auf der Homepage unseres Clubs und
in den regionalen Gazetten lesen. Für uns Fans steht jedoch
bereits heute fest: Auch dieser Gegner, ein Mittelmaßclub
aus der dänischen Kronendivision (derzeit Tabellendritter),
der im Viertelfinale den litauischen Vertreter FK Vetra Rudiskes aus dem Rennen warf, darf auf gar keinen Fall ein
Hindernis bei unserem Sturm auf Europas Fleischtöpfe sein.
Nicht bei unserer Truppe! Sogar von der medizinischen Abteilung gibt es die äußerst ungewöhnliche und dennoch gern
vernommene Entwarnung was die Einsätze von Nils Oude
Kamphuis (Grippe) und Christian Poulsen (leichte Knieverletzung) angeht. Das heißt wir fahren mit der Bestbesetzung
nach Skandinavien!
Allerdings hat der Vorortclub aus der Nähe von Lüdenscheid
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uns nur vor wenigen Tagen eines Besseren belehrt. Hochmut
kommt bekanntlich vor dem Fall! Vorsicht also ihr Knappen!
Voller Tatendrang und Elan – und natürlich auch mit Leckereien bepackten Rucksäcken und Kühltaschen – betritt
unsere Stammformation mitten in der Nacht die Schildkröte, in welcher uns unser standesgemäße Busfahrer, der „100
Jahre alte Peter“, bereits stürmisch begrüßt. Ja, eine Sommerpause kann lang sein, Peter ist wahrscheinlich einer der
wenigen Buskondukteure auf diesem Erdball, der offenherzig
zugibt, lieber unsere verrückte Horde Schalker quer durch
Europa zu kutschieren, anstatt eine x-beliebige Schulklasse
vom Pausenhof zum Schwimmbad. Diese Ehrlichkeit ehrt ihn
und wir wissen das zu schätzen! Wobei dies natürlich, aus
Peters Sicht, auch verständlich ist. Die Schulklasse dürfte es
kaum schaffen, auf diesem kurzen Teilstück 20 Kästen mit
feinsten Erfrischungsgetränken zu vernichten.
Auf geht es in Ebbes Heimat. Wie üblich spaltet sich relativ
rasch das Lager unserer Mitreisenden. Die einen haben ihr
eigenes, kuscheliges Kopfkissen aus dem heimischen Schlafzimmer entführt und geben sich getrost einer Mütze Schlaf
hin, während der andere Teil der Besatzung die Nacht zum
Tage werden lässt. Da wird geklönt, das eine oder andere
Radler getrunken, über den vergangenen Sommerurlaub
philosophiert und der mutige Ausblick auf die kommende
Saison gewagt. So vergeht Stunde um Stunde und nach dem
x-ten Getränk sieht der Ausblick auf die Saison voraus, dass
wir mindestens Meister, Pokalsieger und UEFA-Cup-Sieger
werden. Red Bull verleiht bekanntlich Flügel. Zu diesem
Zeitpunkt würde es mir erst einmal reichen, wenn wir erfolgreich den UI-Cup verteidigen könnten. Wird sicherlich
schwer genug.
Meine etwas pessimistischere, vorsichtigere Haltung wird
freundlich, aber bestimmt ignoriert. Als Zeichen der gleich
zu erwartenden Ankunft werden kurzerhand noch heroische
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Schlachtgesänge aus den Siebzigern angestimmt. Somit ist
auch der Rest des Busses erwacht. Diese altbewährte Methode der Fußballfans klappt kurioserweise immer wieder – und
zwar bestens! Ich frage mich einmal mehr, warum unsere
Schildkröte eigentlich nicht in „Rennschildkröte“ umgetauft
wird.
Hatten wir uns die letzten Tage noch auf ein schönes Auswärtsspiel, bei Sonne, Sand und Strand an der Westküste
Dänemarks gefreut, so werden wir von dichten Nebelschwaden und unangenehm kühlen Temperaturen begrüßt. Was
ist denn hier los? Daraufhin erklärt uns der 100 Jahre alte
Peter, dass Esbjerg zwar tatsächlich in der Nähe der Küste
liegt, man allerdings noch einige Kilometer auf sich nehmen
müsse, um die tollen Sanddünenstrände zu sehen. Er selber
müsse im übrigen jetzt, um seine Ruhe- und Lenkzeit einhalten zu können, umgehend den Bus vor dem Stadion absetzen
und bis heute Abend stehen lassen. Und Tschüss!
Da stehen wir nun also mit einer Horde von knapp 50, teilweise noch müden, teilweise gerade müde werdenden, Schalkern um kurz vor 10 Uhr vor der Haupteinkaufspassage Esbjergs und schauen uns verdutzt an. Was wollen wir denn
„verdammte Hacke“ um diese Uhrzeit bereits hier in diesem
Kaff? Ebenso verwundert reiben sich die Ladenlokalinhaber,
die gerade ihre Geschäfte zu öffnen beginnen, die Augen und
schauen uns neugierig an. Kaufwillige Touristen? Nein, was
wollen Touristen in Esbjerg! Eine Exkursion der geographischen Fakultät Bochums? Niemals! Prompt fängt der erste
aus dem Bus gefallene im königsblauen Trikot an, lauthals
und dazu auch noch schrecklich falsch, etwas von „Oppa Pritschikowski aus dem Ruhrrevier“ zu singen und sofort freut
sich die ganze Esbjerger Geschäftswelt auf uns: „Hurra, Hurra – die Schalker die sind da!“
Wir setzen uns mit einem kleinen Grüppchen von fünf Leuten
dezent ab, alles andere ist viel zu kompliziert, und starten
eine kleine Erkundungstour durch die Innenstadt und Ein26
kaufspassage Esbjergs. Allerdings endet diese abrupt. Nein,
es hat sich weder jemand bösartig verletzt, noch haben wir
wen in einem Dessous-Shop verloren. Die Einkaufsmeile ist
eigentlich vielmehr nur ein Einkaufsmeilchen. Und selbst das
ist hemmungslos übertrieben. Wer jemals - im Vergleich dazu
– auf der ebenfalls recht kleinen Hochstrasse in Gelsenkirchen-Buer (also hinterm Kanal) flanieren war, muss sich ab
heute auf dieser fühlen wie auf den Champs-Elyseés.
Da stehen wir nun und schauen uns ein wenig verdutzt an.
Keine Sonne, kein Nordseestrand, keine Sehenswürdigkeiten.
Die Knochen stecken noch voller Müdigkeit, ungeputzt sind
die Zähne, was in Herrgotts Namen sollen wir den ganzen
Tag hier in dieser Einöde nur machen?
Der Besuch im nahe liegenden Zoo wird schnell ausgeschlossen. Ebenso sinnlos ist der teure Ausritt mit dem Taxi zum
Strand. Nein, wir besinnen uns auf unsere alten Schalker Tugenden und tun das, was wir als Fußballfans so oft tun: Das
Beste aus einer hoffnungslosen Situation machen!
Erst einmal erfreuen wir uns an dem Schengener Abkommen und versammeln uns vor dem scheinbar einzigen ECAutomaten – landesweit. Zumindest erhalten wir diesen
Eindruck, denn es stehen gerade gut und gerne 40 Schalker
davor Schlange. Was nützt einem auch eine dolle Brieftasche,
prall gefüllt mit frisch gedruckten €uronoten, wenn man sein
heiß begehrtes Bier oder Brötchen ausschließlich mit den
guten alten Kronen auslösen kann? Den wenigsten scheint
bekannt, dass der €uro hier noch keinen Einzug gehalten
hat. So vertreiben wir uns die Zeit mit den üblichen: „Wieviel
tauschst Du um?“-Fragen (obwohl am Ende des Tages, so die
Erfahrungen, der Betrag so oder so nicht ausreichen wird)
und ziehen letztendlich das komische Papier aus dem Automaten. Ob da wohl tatsächlich, wie mir mal ein befreundeter,
vertrauenswürdiger Bankangestellter verriet, jemand im Automaten sitzt und die Scheine, fein geordnet und gebügelt,
lediglich herausgibt?
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Da mittlerweile einige Zeit vergangen ist, macht sich ein gewisses Hungergefühl bei einigen von uns breit und wir entschließen uns, die dänischen Spezialitäten in einer Pizzeria
zu erforschen. Es gibt wahrlich Schöneres, als so manchen
Mitmenschen beim Verschlingen seiner dänischen SchinkenChampignon-Pizza von 78 cm Durchmesser neben sich zu
wissen. Neben mir sitzt gerade so ein Wesen – selbst, rein
äußerlich betrachtet, einer zarten Pizza ähnelnd. Beim Essen
scheint es, als atme dieser Haufen Mensch die kulinarische
Köstlichkeit allein nur durch sein rechtes Nasenloch ein. Was
soll´s. Mir schmeckt es. Gestärkt verlassen wir mit einer bestens gelaunten Truppe das Lokal Richtung Supermarkt. Der
Tag ist noch lang, da dürfte noch das eine oder andere Bierchen drin sein. Das Spiel am Abend ist zu diesem Zeitpunkt
des Tages noch überhaupt kein Thema.
Vor dem dänischen Discounter hat sich bereits eine königsblaue Menschentraube gebildet und verbreitet gute
Stimmung. Mehr als ein Indiz für genügend vorhandenes,
vernünftiges Bier. Im weiteren Verlauf des Nachmittages
bestätigt sich die Standortwahl und noch des Öfteren wird
dem Supermarkt der ein oder andere Besuch abgestattet, um
Getränke jeglicher Kategorie nachzuladen.
Unangefochtener Höhepunkt des Tages ist der Erwerb eines Plastikballes und das anschließende, spontan angesetzte
Fußballmatch (natürlich spielt Schalke gegen Schalke) auf
zwei Dixieklos. Dieses wird allerdings noch vor dem regulären Abpfiff der ersten Halbzeit abgebrochen, da sich herausstellt, dass das Spielfeld sich direkt unter dem Bürofenster
des einheimischen Polizeipräsidenten befindet. Der fühlt
sich in seiner Mittagsruhe gestört, schickt umgehend seine
Schergen heraus, die wiederum, trotz massiver Proteste der
Spieler, das Spielgerät einkassieren und beim Stande von 2:2
das Match für beendet erklären. Wie auch in der Bundesliga
wird, in diesem Falle glücklicherweise, für die spontan entstehende „Rudelbildung“ keinem der Spieler „ROT“ gezeigt.
Spielabbruch! Das ist wahrscheinlich auch besser so. Zu28
mindest prophylaktisch, aus medizinischer Sicht betrachtet,
was Verletzungen beim Fußballspiel unter Alkoholeinfluss
angeht.
Das Erscheinen unserer szenekundigen Beamten (SKBs) verführt mich zu einem Blick auf meine Uhr, welche mir umgehend verrät, dass doch tatsächlich einmal mehr die Zeit fast
wie im Fluge vergangen ist. Wir haben kurz vor 18 Uhr und
so langsam sollten wir uns auf den Weg zum Stadion, dem
eigentlichen Ziel unserer Anreise, begeben. So setzt sich unsere blau-weiße Karawane langsam in Bewegung Richtung
Busbahnhof, wo freundlicherweise schon ein Sonderbus für
uns bereit steht. Das ist doch mal nett. Zwar dauert es, bis
alle ihren Obulus in Höhe von zwei Kronen beim Busfahrer
abgedrückt haben, aber dann geht es endlich los.
Da das eigene Stadion von Esbjerg, der „Esbjerg Idraetspark“,
derzeit umgebaut wird, werden wir ins weiter entfernte Stadion „Messezentrum“ – zur Freude aller Groundhopper - in
Herning liegend, in welchem normalerweise der FC Midtylland seine Heimspiele austrägt, gefahren. Dort steht auch
schon unsere Schildkröte mit dem 100 Jahre alten Peter und
gilt ab sofort für uns alle als Fix- und Orientierungspunkt.
Abfahrt, wie gehabt, direkt nach dem Spiel, so schnell wie
möglich. Immerhin müssen morgen noch einige von uns arbeiten.
Das Stadion sieht eigentlich ganz nett aus. Mühelos passieren
wir die Eingangskontrolle. Erst jetzt stellt sich so langsam das
eigentliche Fußballgefühl, diese unterschwellige Nervosität
ein. Keinesfalls zu vergleichen mit dem nervösen Kribbeln,
welches mich noch in Südfrankreich überkommen hatte.
Man trifft die altbekannten Gesichter, begrüßt sich herzlich
(wenn man sich nicht den ganzen Tag über eh schon auf der
Pelle gesessen hat), hält einen kurzen Plausch, bestellt noch
schnell eine Wurst und nimmt auch schon seinen Platz ein.
19:45 Uhr. Anpfiff. Die Stimmung bei uns in der Gästekurve
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ist ausgesprochen gut. Es ist schon erstaunlich, immer wieder
mit ansehen bzw. anhören zu dürfen, dass einige hundert
Schalker einen Auswärtssupport hinlegen können, welcher
der gesamten Gegengerade in der Donnerhalle alle Ehre
macht.
Schnell holt mich meine Anspannung ein und ich merke, wie
ich von Minute zu Minute aufgeregter werde. Von wegen ein
souverän aufspielendes Knappenteam! Zwar steht tatsächlich
die vermeintliche Stammelf auf dem Platz (wobei, wer kann
bei Don Jupps – mir unverständlichem – Rotationsschema
schon von einer Stammformation reden?), aber irgendwie
auch neben sich. Druckvoll und engagiert gehen die jungen
Dänen ein hohes Tempo, lassen uns kaum den Ball annehmen und verdutzen mit ihrem mutigen Spiel unsere Jungs.
Erneut bestätigt sich der Riecher des Fans. Nach nur acht
Spielminuten fällt das Tor. Eine unaufmerksame Schalker
Abwehr kann einen wunderschönen Pass auf den in der Mitte
mitgelaufenen Lucena nicht verhindern – Flachschuss ins
lange Eck – 1:0. Konsternierte Mienen in der Schalker Fankurve verheißen nichts Gutes. Uns wird doch wohl nicht das
passieren, was den Zecken vor einer Woche passiert ist? „Ärmel hochkrempeln“ muss es heißen. Es sind gerade mal acht
von 180 Minuten gespielt, es gilt die Mannschaft anzufeuern! Bis gegen Ende der ersten Halbzeit verändert sich das
Bild auf dem Rasen allerdings nicht so wirklich. Die Dänen
bleiben stets gefährlich und wenn ich ehrlich bin, sehe ich
sie stärker als unsere müde und pomadig wirkenden Blauen.
Auch ein 2:0 oder 3:0 wäre mittlerweile durchaus im Bereich des Machbaren, jedoch klären unsere Innenverteidiger
Waldoch und Krstajic jeweils in allerhöchster Not. Von königsblauer Herrlichkeit ist zu diesem Zeitpunkt des Spiels im
weiten Oval, außer auf den Rängen, herzlich wenig zu sehen.
Ein Distanzschüsschen von Pander, ein kleiner Aufreger im
dänischen Strafraum nach Böhmes wundervoller Flugeinlage
(hätte ich auch nicht gepfiffen) – das war’s!
Glücklicherweise hat vor vielen, vielen Hunderten von Jah30
ren eine schlaue, fußballbegeisterte Mutter von der britischen Insel das Regelwerk des Fußballes niedergeschrieben.
Sie war allein erziehend, hatte drei Kinder und seitdem wird
England bekanntlich auch als das „Mutterland des Fußballs“
bezeichnet. Diese Dame auf jeden Fall berücksichtigte beim
Niederschreiben des Regelwerkes, dass es bei diesem Spiel
namens Fußball zwangsläufig auch zu so genanten „Standardsituationen“ kommen muss. So zum Beispiel, wenn der
Ball ins Toraus gespielt wird - dann gibt es einen „Eckball“.
Standardsituationen sorgen immer wieder dafür, dass - quasi
aus dem „Nichts“ heraus - ein Tor fallen kann. So auch heute. In der 40. Spielminute unterläuft der Keeper der Dänen
eine von Böhme hinein geschlagene Ecke. Und Ailton tut das,
goldrichtig am langen Pfosten stehend, was er am liebsten
tut: Einnetzen. 1:1. Und das auch noch relativ kurz vor der
Pause. Natürlich ist der Jubel bei uns in der Kurve groß und
da das Tor auch noch direkt auf unserer Seite gefallen ist,
müssen die Spieler keine Extrameter hinlegen, um mit uns
gemeinsam das Tor bejubeln zu können. Der Schiri pfeift
pünktlich zur Pause und bei den üblichen Pausenfachsimpeleien sind wir uns alle einig, dass wir wohl noch einmal mit
einem blauen Auge davongekommen sind. Jetzt dürfte doch
hoffentlich der Widerstand der tapferen Dänen gebrochen
sein. Ein Auswärtstor im Rücken, die spielerisch sicherlich
stärkere Mannschaft auf unserer Seite stehend – die Weichen
fürs Rückspiel sollten doch gestellt sein.
Das leckere Smörebröd für schlappe vier Kronen schnell
verschlungen, geht es auch schon mit der zweiten Halbzeit
weiter. Leider können die Blauen den Elan des Ausgleichs
vor der Halbzeit nicht mit in die Anfangsphase dieser zweiten Spielhälfte nehmen, aber immerhin ist klar zu erkennen,
dass die Beine der Esbjerger Kicker deutlich müder werden
und wir zunehmend das Spiel – zwar zerfahren und durch
viele kleine taktische Fouls geprägt, aber trotzdem in der Defensive sicher stehend - zunehmend in den Griff kriegen. So
plätschert das Spiel vor sich hin. Auf den Rängen singen wir
uns die Kehle aus dem Leib und als Belohnung scheinen die
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Knappen uns noch etwas Schönes für die Heimfahrt schenken zu wollen. Gut eine Viertelstunde vor Abpfiff wird auf
einmal ein Gang höher geschaltet, um die Vorentscheidung,
sehr zu unserem Gefallen, noch vor dem Rückspiel zu suchen. Das Engagement wird umgehend belohnt. Eine tolle
Flanke von Dyn-Hamit Altintop von der rechten Außenbahn
findet in der Mitte des Strafraumes den Kopf des zuvor eingewechselten Mike Hanke – 1:2. Und um uns die Heimreise
gar komplett zu versüßen, spielen die Jungs einfach munter
weiter. Zwangsläufig fällt, unter großem Jubel, drei Minuten vor dem regulären Abpfiff das alles entscheidende 1:3.
Diesmal hat der Flankengeber zum 1:2 selbst einen Konter
aus ca. 12 Metern Torentfernung eiskalt abgeschlossen und
den Ball für den Torwart unhaltbar in den rechten oberen
Winkel gedroschen. Und damit ist das Spiel aus. Artig bedanken sich die zwei Teams bei den 8.000 zahlenden Besuchern
und die ersten vierzig Minuten der ersten Halbzeit schnell
vergessend, macht sich schon wieder grenzenlose Euphorie
im Schalker Fanlager breit. Warum auch nicht? Das Finale
um den UI-Cup sollte hiermit so gut wie sicher erreicht sein
und es warten ja noch einige nette Stunden Busfahrt auf uns,
die man sicherlich noch sinnvoll wird nutzen können. Oder
muss tatsächlich irgendwer morgen arbeiten?
So nehmen wir erneut, müde aber glücklich, unsere Plätze
in der Schildkröte ein, kaufen dem 100-Jahre-Alten dankbar noch einige Erfrischungsglöckchen ab und erfreuen uns
an dieser tollen Erfindung Namens „UI-Cup“, ohne den wir
nicht diesen wundervollen Tag in Ebbes Heimat gemeinsam
hätten verbringen können. Nach und nach fallen dann auch
die Äuglein der Tapfersten unter uns zu, und dem Lächeln
auf den Lippen der schlafenden Gesichter ist zu entnehmen,
dass der eine oder andere Traum von der Meisterschale handeln muss.
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03.08.2004 UI-Cup:
Schalke 04 - Esbjerg 3:0 (Rückspiel)
Nach dem 3:1-Sieg in Dänemark
sollte das Rückspiel eigentlich
nicht zum möglichen Stolperstein werden. Und so sprachen
und philosophierten wir die ganze kommende Woche eigentlich
mehr über den potentiellen,
kommenden Endspielgegner, als
über das eigentliche Rückspiel in
unserer Donnerhalle. Unser unangenehmer und überraschend
starker Vorjahresfinalgegner,
Slovan Liberec (Tschechien),
hatte in der Vorwoche, für viele
nicht überraschend - im anderen
UI-Cup-Halbfinale - den favorisierten französischen Gegner
FC Nantes daheim mit 1:0 geschlagen. Egal wie dieses Rückspiel ausgehen würde, ein starker Gegner würde in jedem Fall
auf uns warten.
Ich müsste lügen, wenn ich behauptete, dass mich am Tage
des Rückspiels ein ungutes Gefühl in der mittleren Magengrube breit gemacht hätte. Viel zu sicher war für mich das
Erreichen des Endspiels. Und trotzdem konnte ich mich nicht
der Emotionslosigkeit hingeben, nicht so zu tun, als würde
mich dieses – scheinbar unwichtig gewordene Spiel – doch
nicht irgendwie bewegen. Schon morgens am Frühstückstisch kann ich das Breitmaulfroschgrinsen und die gute Laune nicht verdrücken. Endlich mal wieder in die Donnerhalle!
Lang genug war für mich die Sommerpause, die Abwesenheit
von meinem Wohnzimmer. Endlich sollte es wieder losgehen!
Die altbekannten Gesichter, der vertraute Weg, die üblichen
Rituale, dieses lang ersehnte Gefühl der Vertrautheit. Daher
lasse ich mich auch nicht lange bitten als Deppi mich anruft
und fragt, ob ich nicht – natürlich nur des wunderschönen
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Sonnenscheins wegens – Lust hätte, mich, trotz der relativ
späten Anstoßzeit um 20.15 Uhr, auf einen Cappuccino im
Biergarten des Café Centrals, einzulassen. Kurzerhand den
Rechner ausgeschaltet, die Dauer- und Knappenkarte schnell
noch ins Portemonnaie gesteckt (es gibt nichts Elendigeres,
als das Gefühl, fünf Minuten vor Anpfiff vor dem Eingangstor zu stehen, seine Dauerkarte zu suchen und feststellen zu
müssen, dass sie noch daheim an der Pinnwand hängt), den
Supporters Club e.V.-Schal um den Pfirsich geworfen und
mit schwingenden Hufen bin ich also schon um kurz vor 17
Uhr am Stammlokal.
Natürlich ist weit und breit noch kein Schalker zu sehen. Würde mich auch stark wundern, wenn überhaupt mehr als drei,
vier bekannte Gesichter heute hier auftauchen würden.
Spiele unterhalb der Woche, also an ganz normalen Arbeitstagen, nötigen viele Schalker dazu, direkt mit dem PKW zum
Stadion zu kommen. Man darf nie vergessen, dass letztlich
nur ein geringer Anteil der eigentlichen Stadionbesucher
direkt aus Gelsenkirchen-Schalke oder Umgebung kommt.
Wenn ich mich richtig erinnere, hat eine vor kurzem erstellte Studie ergeben, dass jeder Fan in der Donnerhalle einen
durchschnittlichen Anfahrtsweg von ca. 100 Kilometern hat.
Das ist schon eine Marke!
Wir bestellen uns noch ein leckeres Radler, philosophieren
über den möglichen Endspielgegner und setzen uns dann
langsam in Bewegung Richtung Straßenbahn. Dort treffen
wir tatsächlich, wir können es selbst kaum glauben, auf eine
Gruppe von mitgereisten Dänen. Sie zeigen sich beeindruckt
von der wunderschönen, verwinkelten Altstadt Gelsenkirchens mit all ihren Sehenswürdigkeiten und Kulturschätzen
- und da wir uns in Sachen Selbstironie nichts vormachen
lassen, teilen wir uns spontan mit ihnen unser gerade käuflich erworbenes Fahrbier und versprechen ihnen mit unserer
Donnerhalle ein tatsächliches Highlight unserer Stadt. Mehr
als in Esbjerg gibt es bei uns allemal zu sehen.
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Am Stadion angekommen macht sich die übliche Hektik
breit, die man immer wieder an Wochenspieltagen spüren
kann. Familienväter sprinten, drei Kinder an zwei Händen
haltend vom Parkplatz kommend, zu den Eingängen, blaue
Trikots flitzen an einem vorbei. Auch wir stiefeln durch die
Eingangkontrolle „West 2“ und begeben uns in den Oberrang. Als mir das erste Hinweisschild den Weg zu „meinem“
Block 41 weist, fängt mein Herzlein an ein wenig schneller
zu pochen. Endlich wieder da!
Die tolle Neuigkeit von unserem Mitglied Clive, der uns in
diesem Moment entgegen kommt, es gäbe heute – entgegen
der üblichen Prozedur bei internationalen Pflichtspielen nur
Plörre auszuschenken – reinrassiges Bier, lässt uns frohlocken. So machen wir noch einen kleinen Abstecher an die
Bierbude. Frisch bewaffnet gehen wir also in unseren bereits
fast vollständig besetzten Block und zielstrebig, als hätte ich
mich noch nie von hier entfernt, bringen mich meine Beine
automatisch zur Reihe 6, zum Platz 3. „Oli4sichseinPlatz“
lächelt mich der von Spaßvogel Volli angebrachte Aufkleber
an. Auch ich kann mir ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen. Alles ist gut!
Gerade habe ich mich gesetzt, getestet ob auch niemand in
der Zwischenzeit an meiner Sitzschale herumgefummelt hat
(man stelle sich vor, jemand hätte bei einem der „PUR“-Konzerte in der Sommerpause einen dementsprechenden – und
wenn auch nur winzigen – Aufkleber angebracht), da darf ich
auch schon wieder aufstehen. Die altbekannte Einlaufmelodie
für die zwei Teams erklingt. Blaue Schals werden gekonnt, für
die Nachbarn teilweise aber auch gewagt, wie Ninja-Sterne
durch die Luft gewirbelt und ergeben ein Bild, als würde die
Donnerhalle aufgrund von Tausenden kleinen Propellern tatsächlich gleich als UFO abheben können. Nichts dergleichen
geschieht (Gott sei Dank!) und ich gebe mich meiner Gänsehaut hin. Mensch, hat mir das gefehlt! Das Spiel beginnt
und das Kollektiv unseres Blockes 41 darf sich, für kurze Zeit,
wieder geschlossen setzen. Beim ersten Angriff stehen dann
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alle wieder auf, wenn der Angriff erfolglos verebbt ist, setzen
sich umgehend alle wieder. Dann wird ein Lied angestimmt
– alle stehen wieder auf und setzen sich wieder. So geht das
jetzt einerseits das ganze Spiel über, andererseits aber auch
direkt in die Oberschenkel. Irgendwie erinnert mich dieses
Ritual doch immer stark an meine Erstkommunion, an eine
Zeit, in der die sonntäglichen Besuche der Gottesdienste zum
Pflichtprogramm gehörten. Aufstehen, hinknien, setzen. Aufstehen, hinknien, setzen. Wie sehr sich doch Schalke und die
Religion in vielen Punkten ähneln.
Nun sitze ich also zum ersten Mal seit vielen, vielen Wochen
wieder auf meinem angestammten Platz, lasse einmal mehr
fasziniert meinen Blick im weiten Rund umherschweifen und
werde ein wenig nostalgisch. Immerhin darf man in solchen
Momenten, zu Recht, durchaus stolz darauf sein, ein Schalker
zu sein. Das Spiel hat kaum noch einen sportlichen Wert, die
Uhr zeigt 20.15 Uhr an und trotzdem ist die Hütte rappelvoll.
Haben die Leute nichts besseres zu tun, als auf Schalke zu
gehen? Nein!
Offiziell 56.000 zahlende Besucher prangert es in diesem
Moment in dicken Lettern auf der 36 Quadratmeter großen
Anzeigefläche unseres riesigen Videowürfels (so groß war
meine erste Studentenbude gerade mal). Das hätten so ziemlich alle deutschen Clubs wohl gerne mal an einem normalen
Bundesliga-Heimspieltag. „Auf Schalke brauchst Du nur das
Flutlicht anzuknipsen – und schon sind 30.000 Bescheuerte
da“ hat mal zu Parkstadionszeiten jemand gesagt. Nein, zu
Parkstadionszeiten, immerhin dem Stadion in dem ich groß
geworden bin, in dem ich große Freud und tiefes Leid mit
Schalke 04 habe kennen lernen dürfen, war nicht alles Gold
was glänzte. Und man vergisst auch schnell, die Legende ist
rapide gestrickt. Gerade was die Stimmung und die Zuschauerzahlen angeht. Die alte Betonschüssel war nicht immer voll,
bei weitem nicht. Und auch die Stimmung war nicht immer
die, an die man sich heute noch zu erinnern glaubt. Gegen
Teneriffa, im UEFA-Cup-Halbfinale natürlich, gegen Mai36
land im Finale, selbstredend. Aber donnerstags abends, vor
10.000 Fans gegen Viktoria Aschaffenburg?
Daher hat erst jetzt, viele Jahre später, mit Eröffnung der
Arena, dieser Spruch tatsächlich einen neuen, gesunden
Nährboden gefunden. Ob Abschiedsspiele für Altgedienteoder UI-Cup-Begegnungen, ob Arsenal London oder Vardar
Skopje hier antreten: Die Hütte ist immer voll. Die Leute
werden durch die Aura dieses Ortes, durch den Mythos dieses
Vereines magisch angezogen.
Natürlich mag an dieser Stelle der eine oder andere unter
uns kritischen Schalke-Fans argumentieren, dass der Mutterverein sich im zweiten Jahr in Folge dazu entschlossen hat,
den Dauerkartenpreis leicht anzuheben, um automatisch die
UI-Cup-Spiele mit ins Paket zu nehmen. Sicherlich ist dieses
Prozedere für einige Fans ein gewisses Ärgernis. Zum Beispiel wenn man, bedingt durch die ungünstige zeitliche Ansetzung des Spiels, die berufliche Verpflichtung oder die geographische Entfernung, es nicht rechtzeitig zur Donnerhalle
schaffen kann. Natürlich sorgt auch diese Koppelung dafür,
dass die Hütte heute wieder ausverkauft ist. Aber was soll
diese typisch deutsche Eigenschaft, erst einmal grundsätzlich
gegen alles zu sein und zu meckern? Wenn wir ehrlich sind,
hat diese Maßnahme auf 90 % der S04-Fans keinerlei Auswirkung. Sie kommen doch so oder so zu allen Spielen, ob die
Dauerkarte nun von vorne herein an den UI-Cup gekoppelt
ist oder nicht. Und bis heute hat sich immer noch ein Dankbarer gefunden, der, im Falle der eigenen Behinderung, gegen
einen adäquaten Obulus das Ticket gerne in Empfang nimmt.
Und über allzu hohe Kartenpreise, verglichen mit den Preisen
in den anderen deutschen und europäischen Stadien, dürfen
wir uns hier auf Schalke sicherlich sowieso nicht beschweren.
170 € zahle ich in dieser Saison (ohne die UI-Cup-Spiele) für
eine Sitzplatz-Dauerkarte im sichersten, modernsten, komfortabelsten, service-gerechtesten und geilsten Stadion Europas. Umgerechnet 10 Euronen pro Spiel! Das muss man sich
mal auf der Zunge zergehen lassen. Mit 10 Euronen in der
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Tasche werde ich heutzutage, mit meiner Dame an der Hand,
an jeder Kino- oder Theaterkasse hämisch ausgelacht.
Lange Rede – kurzer Sinn. Äußerst überzeugend und souverän treten die Blauen von der ersten Sekunde an auf. Sie
vermitteln sofort: „Wir sind hier Herr im Hause“. Elfte Spielminute: Ähnlich wie im Hinspiel wird eine, diesmal von Altintop getretene Ecke, per Kopf verlängert und unser Mike
Hanke muss den Ball nur noch unter unserem Jubel ins lange
Eck befördern. Endlich mal wieder heimischer Jubel. Und
spätestens in diesen Momenten macht die Donnerhalle ihrem
Namen alle Ehre. Lautstärken bis über 180 Dezibel sind da
keine Seltenheit. Mensch, auch das hat mir gefehlt!
Die Stimmung ist euphorisch. Teilweise beteiligt sich das gesamte Stadion an Gesang, Hüpf- und Klatscheinlagen. Ein
forsches Offensivspiel mit zahlreichen Torchancen lässt die
tolle Stimmung anhalten. Auch nach der Pause geht das muntere Treiben auf dem Rasen weiter. In der 54. Spielminute
haut Altintop, nach einem tollen Zuspiel unseres Offensivkünstlers Tomas Waldoch, aus 15 Metern den Ball – unhaltbar für den dänischen Keeper Lars Winde - in die Maschen.
Keine zehn Minuten später, Ailton zieht aus dem Lauf ab, der
Ball rollt unglücklich durch die Beine des Schlussmannes,
klatscht gegen den Pfosten und Asa staubt ab (3:0). Das Spiel,
eh schon von Anpfiff an so gut wie gelaufen, glänzt daraufhin nur noch durch kreative Showeinlagen der Trainerbank,
welche geschlossen zum „Wer nicht hüpft, der ist Borusse“
der Nordkurve anfängt mitzuhüpfen. Wenn die Jungs genau
so weiterspielen, dann kann es tatsächlich ein dolles Jahr
werden. Die Vorstufe des Minimalzieles haben wir erreicht,
unser Endspielgegner wird im übrigen erneut Slovan Liberec
heißen. Eine harte Nuss, aber sicherlich nicht unschlagbar.
Und mein ganz persönliches Fazit des Abends lautet: „Und
zuhause ist doch am schönsten“!
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06.08.2004
Werder Bremen – Schalke 04 • 1:0
Ich schlage die Augen auf, werfe einen
verschlafenen, bösen,
Blick auf meinen Radiowecker (es wird gerade
der Holzmichel von „De
Randfichten“ gespielt)
und prompt stehe ich
kerzengerade im Bett.
Nein, nicht weil dieses
schreckliche Lied erklingt, nicht weil ich etwa verschlafen
hätte, sondern weil heute der große Tag ist. Heute ist nämlich
Freitag, der 6. August. Der erste Spieltag der 42. BundesligaSaison, der Saison 2004/2005. Die fußballlose Zeit, die Zeit
der Samstagsausflüge und Shoppingtouren ist endlich vorbei.
Ein Tag, auf den ich mich – gemeinsam mit Millionen anderer Fußballfans - seit Tagen und Wochen gefreut habe.
Der Blick aus dem Veluxfenster über mir scheint die Wettervorhersage der Tagesthemen am Vorabend zu bestätigen.
Heute soll einer der heißesten, wenn nicht sogar der heißeste Tag des Jahres werden. Als kleiner Sonnenanbeter stört
mich diese Tatsache weniger. Lieber sich bei tollem Sonnenschein und wolkenlosem Himmel als bei strömenden Regen
auf große Fahrt begeben. Ob allerdings die Kühlung unserer
Schildkröte dieser Belastung standhalten wird, wage ich zu
bezweifeln. Daher ist das absolute Sommeroutfit zu wählen.
Kurze Hose, kurzes Shirt, kurzes alles. Gut, dass die Merchandisingabteilung des Supporters Clubs auf alle Eventualitäten
vorbereitet ist.
Der Bus ist, fast schon selbstverständlich, seit Wochen bis
auf den letzten Platz ausgebucht und Dank der wenigen Baustellen auf der A1 haben wir uns für eine Abfahrtszeit von 13
Uhr entschlossen. Um 20.30 Uhr ist Anpfiff, um spätestens
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19 Uhr sollten wir also vor Ort sein. Sechs Stunden bis nach
Bremen, sechs Stunden für ca. 200 Kilometer an einem Freitagnachmittag auf Deutschlands Autobahnen, das dürfte mit
ein wenig Glück zu schaffen sein. Allerdings bedeutet dies,
dass ein Großteil der Mitfahrer schon wieder einen halben
Tag Urlaub nehmen muss. Für diejenigen unter uns, die auch
mit beim UI-Cup-Spiel in Dänemark waren, sind demnach,
bevor die Saison eigentlich richtig angefangen hat, die ersten
eineinhalb bis zwei Urlaubstage bereits futsch. Rechnet man
das aufs ganze Jahr hoch, kommt ganz schön was zusammen
– und die Dame des Hauses möchte ja auch nicht zwangsläufig für Schalke, auf ihren wohlverdienten Sommerurlaub
verzichten. Mit diesen Problemen müssen wir Fußball-Fans
halt Jahr für Jahr kämpfen.
Natürlich könnten wir an dieser Stelle wieder über die Ansetzung dieses Spiels schimpfen und ellenlang grundsätzlich über unser Anliegen als Fans, die Forderungen von „Pro
15:30“ durchzusetzen, diskutieren, aber der Freitag Abend ist
uns immer noch wesentlich lieber als der Sonntag Nachmittag und daher hält sich unser Groll doch in Grenzen. Eigentlich hat ein schönes Freitag Abend Spiel bei Flutlicht ja auch
etwas Romantisch-Nostalgisches an sich, bin ich doch selber ein Angehöriger der Generation: „Zwei Spiele am Freitag
Abend, sieben am Samstag Nachmittag“. So oder so nutzt alle
Aufregung nichts. Es wird gespielt, wenn die DFL und das TV
das wollen – und ganz nebenbei spült das Ganze ja auch noch
ein wenig Bares in unsere leicht ramponierte Vereinskasse.
Angeblich ist noch ein wenig Platz auf dem Clubkonto, da
passt noch was drauf! Und sicherlich freuen sich auch Tausende von Schalkern und Millionen von Fußballfans, dass sie
diese Partie im Free-TV werden sehen können.
Das Schalke 04-Sommeroutfit also übergeworfen, treibt es
mich gen Mittagszeit zum Stammlokal. Dort haben sich bereits einige Supporters eingefunden und genießen die warmen Sonnenstrahlen bei einem ersten Erfrischungsgetränk.
Schnell sind wir in ein Fachgespräch verwickelt, indem wir
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zu dem Schluss kommen, dass es sich heute zeigen wird, was
wir uns mit dieser, durch den UI-Cup permanent unterbrochenen, Vorbereitung eingebrockt haben. Haben wir, im Vergleich zu den anderen Teams, etwa schon mehr Spielpraxis
gesammelt? Sind wir auf den Punkt topfit? Sind wir bereits
eingespielt? Eigentlich kaum vorstellbar bei Jupps Rotationsschema. Oder gingen die Spiele zu Lasten von Kondition,
Theorie und Taktik? Ich, wäre ich Profi, würde es meinem
Arbeitgeber mit Leistungen danken, dass ich lieber spielen,
als Kondition trainieren durfte. Aber mich fragt ja niemand.
Auf jeden Fall ist es, da sind wir uns alle einig, gleich am ersten Spieltag ein unglaublich wichtiges, vielleicht sogar schon
richtungsweisendes Spiel. Und ein Spiel voller Brisanz noch
dazu, treffen doch Mladen Krstajic und Ailton direkt im ersten Match auf ihre alten Kollegen aus dem Meisterteam 2004.
An Motivation dürfte es diesbezüglich also nicht fehlen.
Und wenn ich ehrlich bin: An den letzten richtig guten Saisonstart, einen Saisonstart, der den Rest der Saison fast schon
hat zum Selbstläufer werden lassen kann, an den kann ich
mich – trotz meiner mittlerweile 29 Jahre – nicht erinnern.
Täte also doch auch mal ganz gut! Die Euphorie unter uns ist
jedenfalls riesengroß!
Wir steigen voller Vorfreude in die Schildkröte ein. Jedoch
sollte irgendwie alles anders kommen. Der Fußball schreibt
halt immer wieder seine eigenen Geschichten! Das uns die
Schildkröte, besser gesagt der Megamops (Fachbegriff für die
100-Personen-Schildkröte), auf halber Strecke nach Bremen
fast verreckt, ist ja noch zu verkraften. Der Kühler hat, bei
40° C im Schatten schlichtweg mitten im Stau, in dem wir
nun seit zwei Stunden stehen, schlapp gemacht. Also schnell
den nächsten Autobahnrasthof angesteuert um die Kiste abkühlen zu lassen, während der 100 Jahre alte Peter, gespielt
fachlich, hinten im Motorblock herumwühlt, und sich für uns
die Gelegenheit bietet, eine köstliche Bratwurst am Imbissstand zu verzehren. Natürlich nutzen wir auch die Möglichkeit, rasch noch einige eiskalte Büchsen Bier einzukaufen, ist
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doch der bordansässige Kühlschrank hemmungslos überfordert. Kein Wunder, bei 100 durstigen Kehlen an Bord.
Weiter geht’s nach einer halben Stunde, und erstaunlicherweise kommen wir danach bis zur Weser relativ zügig durch.
Zumindest sind wir alle pünktlich eine halbe Stunde vor Anpfiff im Stadion. Mehr oder weniger alle, ist doch einigen
die Mischung aus Alkohol & Sonne scheinbar ein wenig zu
Kopf gestiegen, was zwangsläufig zu einer verlängerten Siesta
führt. Nun stehen wir also da, hoch motiviert, bis in die Zehenspitzen gespannt, die Stimmung bei uns im Block kocht
– im wahrsten Sinne des Wortes – fast über und wir warten
gemeinsam, wie natürlich auch die Bremer Fans, auf den Anpfiff. Was dann allerdings passiert, werden wir wohl unseren
Enkelkindern noch erzählen können. Offiziell werden sie in
den Chroniken eine Geschichte von einem totalen Ausfall der
Stromversorgung lesen können, von absoluter Dunkelheit im
Stadion und ähnlichen Legenden. Aber wir waren live dabei,
können diesen und ähnlichen Quatsch widerlegen. Was ist in
Bremen also wirklich passiert?
Für uns Stadionbesucher macht sich der Stromausfall – ja,
es hat ihn tatsächlich gegeben – zunächst lediglich im Vorprogramm bemerkbar, als plötzlich beide Videoleinwände
ausfallen. Die Flutlichtmasten sind weiterhin tadellos in Betrieb und auch sämtliche Stadiondurchsagen funktionieren
problemlos. Zu diesem Zeitpunkt denkt niemand von uns
auch nur eine Millisekunde daran, dass die nachfolgenden
zwei Stunden zu einer großen Farce werden sollten. Nach
dem Ausfall der Anzeigentafel erfolgt zunächst eine Durchsage, die uns Fans über besagten Stromausfall aufklärt und
gleichzeitig verkündet, dass das Spiel vorerst nicht angepfiffen werden kann. So zieht sich der Anpfiff bis 21.15 Uhr hin,
obwohl es hell genug ist – wie gesagt, das Flutlicht funktioniert einwandfrei - um anzupfeifen. Unruhe und Unverständnis machen sich im Stadion breit. Mittlerweile habe ich daheim angerufen und so erfahre ich, dass die Fernsehanstalten
(ARD & Premiere) keinen Ton und kein Bild senden können.
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Aha. Daher weht der Wind also. Einige Zeit später verkündet
der bemitleidenswerte Stadionsprecher den baldigen Anpfiff
(zur Not auch ohne TV-Anstalten, die offenbar immer noch
mit dem Stromausfall zu kämpfen haben). In unserem Gästeblock wir die Stimmung in der Zwischenzeit merklich gereizter. Immer mehr Fans machen lautstark ihrem Unmut
Luft.
Das Stadionthermometer zeigt immer noch satte 27 Grad
Celcius an, doch die schwitzende Masse muss fortan ohne
Getränke auskommen oder Wucherpreise (vier Euro!!!)
für notdürftig gespülte und mit Leitungswasser aufgefüllte
Pfandbecher bezahlen.
Als Krönung wird zwischendurch einigen von uns die Rückkehr in den Gästeblock (wegen angeblicher Überfüllung) untersagt. Zusammengefasst: Chaos! Wie Hohn erklingt da eine
erneute Stadiondurchsage: Man könne das Spiel, aus Sicherheitsgründen, nicht anpfeifen. Hält man uns Fans eigentlich
alle für hemmungslos bescheuert? Bedenkt man dann noch,
dass die Sicherheitskräfte mit Handys oder Funkgeräten
arbeiten, die so oder so nicht ans Stromnetz angeschlossen
sind, ist die lächerliche Begründung der mangelnden Sicherheit als Ursache für den ausbleibenden Anpfiff der Gipfel der
„Verarschung“. Weder die Sicherheit der Zuschauer, noch
die der Spieler ist gefährdet. Nichts – aber auch gar nichts
– spricht gegen einen regulären Ablauf des Spiels. Ganz im
Gegenteil: Die Sicherheit von uns Fans wird einzig und allein durch die Verzögerung des Anpfiffes gefährdet. Sitzen eigentlich nur Bratbären in führenden Positionen? Gerade weil
ich zur Garde der alten Idealisten in Sachen Fußball gehöre,
sage ich: Es geht hier um ein Spiel, ein Fußballspiel. In der
Tat, vielleicht sogar um eines der wichtigsten der gesamten
Saison. Aber es wird einzig und allein wegen des Fernsehens
gewartet? Das kann ja wohl nicht wahr sein! Die Sicherheit
tausender Besucher wird gefährdet!
Ich fange an zu überlegen: „Ist eigentlich jemals ein Bundes43
liga-Spiel um über eine Stunde verspätet angepfiffen worden,
weil wir Fans noch im Stau standen? Wurden etwa schon
einmal Spiele verspätet angepfiffen, obwohl es Verletzte –
vielleicht sogar Tote – im Umfeld dieses Spiels gab? Wurden
etwa Champignons-League-Spiele abgesagt bzw. verspätet
angepfiffen, obwohl die halbe Welt erschüttert und Atem
anhält, weil in den USA zigtausend Menschen durch Terroranschläge starben?“. Quatsch, der Rubel muss rollen – und
das geht nur, wenn der Ball im TV rollt! Dazu allerdings muss
das TV sendebereit sein.
Mittlerweile tun alle Fans im Stadion ihren Unmut lauthals
durch Pfeifkonzerte und Ähnliches kund. Einzig unser Mannschaftskapitän Frank Rost sorgt noch für ein wenig Erheiterung und Unterhaltung indem er, mit der Flüstertüte in
der Hand, unsere Kurve zur La Ola und zum „Schalke – 04“
Wechselgesang animiert (ganz großes Tennis, Frank!). Aber
es kommt ja noch viel besser!
Als gerade der Anpfiff nun doch erfolgen soll, kommt es,
quasi im Moment des Anstoßes, zum plötzlichen Ausfall des
Flutlichtes – und ohne Flutlicht – kein Spiel. Im Nachhinein,
wäre es nicht so traurig, kann man sich das Lachen eigentlich
kaum noch verkneifen. Zufälle gibt’s im Leben! Selten war
für einen aktiven Fan die Ohnmacht gegenüber der Macht
des Fernsehens deutlicher zu spüren als in diesem Moment.
Dem Letzten wird es in diesen Minuten des Wartens die Augen geöffnet haben, wo wir als Fans stehen und wer uns, als
Teil des zu vermarktenden und zu verkaufenden Produktes
Fußball, wie Marionetten manipulieren kann. Dagegen verkommt unser üblicher Ärger um Anstoßzeiten fast schon zum
Nichts. Ganz gleich ob Springer, Murdoch, DFL, DFB oder
die öffentlich rechtlichen Sendeanstalten – für die sind wir
unmündige, unkritische Objekte die 1:1 auch durch Stimmung machende Roboter ersetzt werden könnten.
Letztenendes wird über eine Stunde lang, bei saunaähnlichen
Temperaturen, mit aller Macht versucht, die TV-Übertragung
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zu sichern. Man gefährdetet damit die Sicherheit und Gesundheit von über 40.000 Stadionbesuchern. Ja, liebe Leute,
in einem Stadion befinden sich heutzutage tatsächlich sogar
auch Familien mit Kindern, schwangere Frauen, ältere Menschen und sonstige „Risikogruppen“. Vielleicht sollten die
Verantwortlichen mal ihren Hintern in eine Fankurve bewegen und sich anschauen, wer dort als Endkunde sitzt.
Noch einmal gute zwanzig Minuten später, inzwischen ist
es 21.40 Uhr, wird die Partie dann doch noch angepfiffen
und - oh Wunder - rein zufällig sind die ARD und Premiere
genau in diesem Moment wieder live auf Sendung. Symbolisch werfen Schalker Fans in unserem Block die vor dem
Spiel verteilten ARD-Schalkefähnchen in hohem Bogen auf
die Tartanbahn. Einzig an den Außentemperaturen liegt es
wohl, dass wütende Fans daraus nicht ein riesiges Feuer entfachen. „Fanverkackeierung – bei ARD & ZDF sitzt Du in der
ersten Reihe!“ So - und nicht anders - sollte es demnächst in
den Bundesligachroniken stehen.
Mit ziemlicher Sicherheit werden wir aber dann eine andere
Version nachlesen können. Eine, die der DFL bequemer ist,
eine, die wir in dem Kapitel „Pannen“ direkt nach dem „Pfostenbruch in Gladbach“ wieder finden werden.
Trauriger Höhepunkt des Tages ist im übrigen dann noch
das eigentliche Spiel. Man hätte es gar nicht erst anpfeifen
sollen, anpfeifen dürfen. Die Lust auf Fußball ist auf unter
Null Grad Celsius gesunken. So recht motiviert scheint da
keiner mehr zu sein. Kurz gemacht: Als wir uns alle schon,
nach einem öden Hin- und Herschieben des Balls, mit einem
gerechten, torlosen Remis abgefunden haben sorgt der kurz
zuvor eingewechselte Nelson bei den Fischköpfen in der 83.
Minute mit einem Abstauber für das 1:0 Siegtor. Damit ist
das Spiel, damit ist der Tag gelaufen. Die Aufregung über
den vermasselten Saisonstart hält sich auf der Rückfahrt allerdings in Grenzen. Viel zu sauer sind alle über die Ereignisse der vergangenen Stunden. Noch nie zuvor war ich nach
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einem Freitagabendsspiel in Bremen – und davon habe ich
schon einige miterleben dürfen - erst um vier Uhr am frühen
morgen daheim im Bett. Ich nehme noch die Zeitung mit
hoch und lese etwas von einem Baggerfahrer der kurzerhand
den Auftrag erhalten hatte, alle Stromleitungen im Umkreise
von drei Kilometern rund ums Bremer Weserstadion zu kappen, damit bloß kein Strom dieses erreichen konnte. Wie ein
Wahnwitziger hämmerte dieser dann mit seinem Apparillo
auf alles ein was auch nur ansatzweise nach Strom aussah.
Zumindest so oder so ähnlich lautete das offizielle Statement
für die Realsatire. Ich bin zu müde es im Halbschlaf richtig
verstehen zu können. Vielleicht will ich es auch gar nicht.
46
10.08.2004 - UI-Cup
Schalke 04 – Liberec • 2:1 (Finale, Hinspiel)
Zwar sitzen Ärger und Frust
über den wenig meisterlichen
Saisonstart in Bremen - samt
all seiner negativen Randgeschehnisse - noch tief, aber der
Döner-Cup lässt uns Gott sei
Dank keinerlei Möglichkeiten,
allzu lange Trübsal zu blasen.
Bereits im letzten Jahr hat sich Slovan Liberec als starker
Gegner erwiesen. Besonders imponierte mir da ihre Spielstärke, aber auch die taktische Diszipliniertheit. Und daher
wäre es verdammt wichtig, heute entsprechend vorzulegen,
um dem Erreichen der ersten Runde im UEFA-Cup ein ganzes Stückchen näher zu kommen.
Einmal mehr ist die Bude brechend voll, als ich kurz vor Anpfiff, ich komme heute direkt vom Marathon-Training, die
heilige Stätte betrete. 55.000 zahlende Besucher und sicherlich einmal mehr große Freude beim Schatzmeister. Drei „Zusatzveranstaltungen“ namens UI-Cup in nur drei Wochen, da
lacht der Klingelbeutel.
Das ist der pure Wahnsinn. Das ist die Faszination Schalke,
der Mythos wie er leibt und lebt! Und damit sich der Schatzmeister nach dem Spiel noch viel mehr freuen kann – und
unsere arg gebeutelte Fanseele in naher Zukunft statt Liberec und Skopje wieder Mailand und Madrid als Reiseziel ansteuern kann - legen die Blauen heute tatsächlich los wie die
Feuerwehr.
Erstmalig lässt Don Jupp unseren Neuzugang Marcelo Bordon auflaufen, und auch die Aufstellung von Asa und Lincoln zeugt von einer offensiven Ausrichtung der Knappen.
Damit stehen heute im übrigen erstmalig drei Brasilianer
in unserer Anfangsformation. Kaum zu glauben, wenn man
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bedenkt, dass noch vor wenigen Jahren unser verantwortliches Management davon überzeugt war, dass südamerikanische Spieler, schon alleine ihrer Mentalität wegen, nichts auf
Schalke zu suchen hätten. Hier wo der Fußball angeblich nur
malocht wird. Gut, dass man Irrtümer erkennen und korrigieren kann.
In der fünften Minute trifft unser kleiner Dicker „mit ohne
Hals“ nach einem tollen Heber aus ca. 20 Metern Entfernung nur die Latte. In der zwanzigsten Minute, wieder ist es
Ailton, fliegt ein wuchtiger Kopfball nur knapp über selbige. Zwar macht sich nicht gerade Verzweiflung in der Arena
breit, aber die schlechte Torchancenauswertung ist tatsächlich zum Haareraufen. Irgendwann einmal muss die Kirsche
doch reingehen! Wo ist der Ailton aus der letzten Saison, als
er für Werder spielte und nach dem Motto: „Jeder Schuss
ein Treffer“ agierte?
Doch dann ist es endlich soweit. 26. Spielminute, eine Hereingabe von Lincoln rutscht irgendwie unglücklich unter dem
Torwart der Tschechen durch und der am hinteren Pfosten
einschussbereite Ailton beweist, warum er sich im letzten
Jahr die Torjägerkanone sicherte. Er steht goldrichtig, einfach da, wo ein Stürmer stehen muss und braucht nur noch
locker den Schlappen hinzuhalten. Eine brasilianisch–brasilianische Co-Produktion. Mehr davon bitte! Der ersten Erleichterung wird erst einmal freien Lauf gelassen.
In den folgenden Spielminuten liegt uns im Block etliche Male
der Torschrei schon auf den Lippen. Gut, dass wir zumindest
mit 1:0 führen. Man möchte am liebsten selbst auf den Platz
springen und die Dinger reinhauen. Chance um Chance wird
vergeben, aber wir spielen gut, voller Selbstvertrauen munter
weiter. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, wann es
wieder klingelt. Und so kommt es auch. Ungewohnt kämpferisch holt sich Ailton einen Ball aus der eigenen Hälfte. Von
wegen, der Kugelblitz habe keine Lust auf Döner-Cup – sondern wolle lieber Champignon-Legaue spielen. Heute gibt er
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alles, damit wir in den UEFA-Cup einziehen können. Er zieht
blitzschnell aus der eigenen Hälfte mit einem frisch eroberten
Ball los und schickt im richtigen Moment den pfeilschnellen
Asamoah mit einem tollen Pass in die Tiefe steil. Dieser lässt
leichtfüßig seinen Gegenspieler aussteigen und schlenzt den
Ball überlegt aus acht Metern zum 2:0 in den rechten Winkel.
2:0, und das auch noch kurz vor der Pause. Der diplomierte
Fußballpsychologe würde nun sagen: „Besser kann es nicht
kommen!“.
In der Halbzeitpause versorge ich mich noch schnell mit einem frisch gezapften Veltins und die Gedanken wandern bei
unserem Halbzeitgeplänkel schon Richtung Samstag. Schon
wieder ein Heimspiel, das erste Bundesligaheimspiel der Saison. Die roten Teufel vom Betzenberg werden dann unsere
Gäste sein. Sie gilt es zu schlagen, um die Schlappe von Bremen umgehend wett zu machen.
Wir spielen eigentlich genauso weiter wie wir aufgehört haben. Vor allem Bordon beweist ein ums andere Mal, warum
er (hoffentlich) jeden einzelnen Cent seiner relativ hohen
Ablöse wert war und lässt seinen Gegenspieler, der immer
wieder gezwungen ist ins Leere zu laufen, verzweifeln. Unglaublich souverän, schnell, kampfstark und gleichzeitig auch
technisch perfekt, verkörpert er wohl den Prototyp des „Innenverteidigers 2004“. Wie wohl ein Johan de Kock oder ein
Yves Eigenrauch neben ihm ausgesehen hätte?
Im Spiel nach vorne gleichen sich die Bilder. Asa verpasst
gleich mehrfach, Altintop hat Pech. Und so steht eine Viertelstunde vor Abpfiff, statt einem sicherlich hochverdientem
3:0 oder 4:0 immer noch „nur“ ein 2:0 auf dem Videowürfel
und es tritt das ein, was unbedingt zu vermeiden war. Wie
sagt doch ein deutsches Sprichwort: Man soll den Tag nicht
vor dem Abend loben!
Ich glaube es nicht! Da kommen die Tschechen einmal gefährlich vors Tor und knallen in Person von Tomas Zapo49
tocny den Ball aus sechs Metern zum 2:1 direkt unter die
Querstange, von wo aus er in die Maschen purzelt. Alles wie
immer. So etwas nenne ich optimale Chancenauswertung.
Aber das führen uns seit Wochen und Monaten die Gästeteams in der Arena in Perfektion vor. Während der Großteil
der Fans spontan anfängt, die Mannschaft anzufeuern, beginnt im Gegengeradenbereich wieder der große Abmarsch
der notorischen Frühgeher. Mensch, wie mich das immer ärgert! Auch ich muss - ob unterhalb der Woche oder am Wochenende – nach einem Spiel öfter Mal schnell weg und einen
Termin wahrnehmen. Trotzdem dauert ein Spiel, unser Spiel,
90 Minuten und vorher rühre ich mich keinen Fuß breit von
meinem Platz weg. Auf den Gedanken, vor Abpfiff das Stadion zu verlassen, käme ich unter normalen Umständen gar
nicht, schon alleine nicht aus dem Grund, weil selbst in den
letzten Sekunden noch soviel passieren kann, weil ich Angst
hätte, etwas Entscheidendes, dramatisches, zu verpassen. Es
gibt Tausende Beispiele.
Das scheint diesen Leuten aber völlig egal zu sein – ob wir
nun hinten liegen oder haushoch führen - regelmäßig wird
der Platz mindestens zehn Minuten vor Abpfiff geräumt. Was
soll es, in unserem freien Land kann jeder machen, was er
gerne möchte, kann jeder gerne gehen, wann es ihm beliebt.
Ich muss es ja nicht begreifen! Und die Fernsehzuschauer
daheim sowie die Haupttribünenbesucher dürfen sich darüber freuen, ab einer gewissen Zeit den dollen „FC Schalke
04“–Schriftzug auf der Bestuhlung sehen zu können.
Zwar bemühen sich unsere Jungs, trotz der Abreisewelle, in
der letzten Viertelstunde noch redlich ein weiteres Tor zu
erzielen, doch die Tschechen stellen sich, natürlich mit dem
Ergebnis hochzufrieden, mit Mann und Maus hinten rein und
schlagen jeden Ball einfach nur noch wild nach vorne. Und
so endet das Hinspiel, relativ knapp, mit 2:1. Eigentlich zu
knapp, gemessen am Spielverlauf, aber immerhin gewonnen.
Es gilt positiv zu denken. Und ein Auswärtstor sollte auch, bei
unserem Kader, immer drin sein. Jetzt wird es im Rückspiel
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in Liberec in zwei Wochen noch einmal ein richtig heißer
Tanz. Dort wird dann nicht zwangsläufig eine Leistungssteigerung nötig sein – das Spiel war okay. Aber die Chancenverwertung war heute nun wirklich nicht internationale Spitze.
Vielmehr freue ich mich heute schon auf den erneuten Besuch der, recht preiswerten, tschechischen Metropole. Dieses
Mal mit einer Übernachtung. Das wird eine Gaudi!
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14.08.2004
Schalke 04 – 1. FC Kaiserslautern • 2:1
Endlich ist es wieder soweit! Nur vier Tage
nach dem Hinspielsieg im Finale des UICups hält nun endlich auch der Bundesligaalltag wieder Einzug in unsere Donnerhalle.
Es ist halt doch immer noch etwas anderes,
ob wir im Döner-Cup daheim gegen Liberec oder in der Liga gegen den 1. FC Kaiserslautern spielen. Gegen den haben wir
die letzten Spiele gar nicht so schlecht ausgesehen, ein gutes
Omen?
Relativ früh geht es heute ins Café Central und im Vergleich
zu den ersten Heimspielen im Döner-Cup ist es hier heute
rappelvoll. Überall wo ich hinschaue, sehe ich die bekannten Gesichter, sehe ich diese wunderschönen Supporters
Club-Fanutensilien: Supporters Club Balkenschal, SC-Polo,
SC-T-Shirt, SC-Mitglieder, alles ist vertreten. Eine große
Schalker Familie. Hier fühle ich mich wohl. Hier bin ich zu
Hause. Selbst die „Betzeknaller“, eine befreundete Kongo
eingefleischter FCK-Anhäger, mit denen wir Jahr für Jahr
jeweils zu Hin- und Rückspiel viel Spaß haben, sind schon
da. Auch sie werden natürlich mit einem herzlichen „Prost“
begrüßt. Mehr allerdings – ich gebe es zu – verstehe ich von
ihrem Pfälzer Dialekt auch nicht. Nette Leute! Wir haben uns
trotzdem gerne.
Gemeinsam mit meinen SC-Jungs Rudi, Rainer, Deppi, Kurti
und Co. wird schleunigst ein frisch Gezapftes bestellt (immerhin haben wir schon 13 Uhr durch – da darf man!) und
die üblichen Prognosen für das Spiel werden abgegeben,
während man aus dem Begrüßen, Küssen und Abklatschen
gar nicht mehr herauskommt. Richtige Bundesliga-Heimspielstimmung. Wahre Wiedersehensfreude, die vom Herzen
kommt, traumhaft!
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Einmal mehr überkommt mich dieses Gefühl, dieser innere
Drang, alle umarmen zu wollen und meinen Mitmenschen die nichts mit Fußball zu tun haben - an dieser Stelle erklären
zu wollen, was Schalke 04 eigentlich für uns alle bedeutet.
Erklären zu wollen, dass unser Dasein als Schalker, als Fans,
als Mitglieder eines Fanclubs, mehr - viel mehr - ist, als nur
der einfache, stupide wöchentliche Besuch eines 90 Minuten
dauernden FußballSpiels mit königsblauer Beteiligung. Da
steckt viel, viel mehr dahinter. Wir sind ein soziales Gefüge,
ein Kollektiv. Wir tragen Verantwortung füreinander, sind
füreinander da, hören uns zu – auch wenn es, wie allzu oft
- nicht um Schalke geht. Auch wenn Schalke natürlich immer
um uns und in uns, der Mittelpunkt unserer Gemeinsamkeit
ist, so gehören doch Themen wie Arbeitslosigkeit und Krankheit genauso dazu wie politische Themen, Ängste, Probleme,
Sorgen – aber dann halt auch die geteilte Freude. Wir sind
mehr als nur ein loser Haufen Fans die dem S04 die Daumen
drücken. Wir sind eine verschworene Gemeinschaft, in welcher auch in der Not alle zusammen stehen, so wie es auch in
unserem Vereinslied schon besungen wird: „1.000 Freunde,
die zusammen stehen, dann wird der FC Schalke niemals untergehen!“. König Fußball, Schalke regiert bei uns die Welt.
Wir lieben und leben Schalke – und trotzdem verbindet uns
darüber hinaus noch einiges mehr. Bei uns allen ist Schalke
04 Teil unserer eigenen Identität, ein Teil von uns selbst geworden. Wir stehen mit Schalke auf und gehen mit Schalke
schlafen. Schalke bestimmt unseren Jahresrhythmus – zum
Beispiel bei der Urlaubsplanung. Schalke ist mitverantwortlich für unsere gute, aber auch schlechte Laune.
So manche empirische Erhebung würde für erstaunliche Ergebnisse sorgen, wenn man der Frage nachgehen würde, wie
wichtig der FC Schalke 04 für seine Fans, oder wie wichtig er
gar für die Bürger Gelsenkirchens ist. Nicht nur in ökonomischer Hinsicht, als Steuerzahler oder als mittlerweile zweitgrößter Arbeitgeber – sei es direkt oder indirekt – in dieser
Stadt. Nein, Schalke 04 bringt Gelsenkirchen, einer angeblich
dem Untergang geweihten Stadt, einer Stadt mit über 20 %
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Arbeitslosigkeit, grauen Hausfassaden, kaputten Straßen, einem furchtbaren Ruf und einem schäbigen Bahnhof, ein wenig Freude mit heim. Schalke bringt vielen Mitbürgerinnen
und Mitbürgern dieser Stadt, bringt vielen seiner Fans, ein
wenig Farbe in den tristen Alltag, sorgt für ein wenig mehr
Lebensqualität, ein wenig mehr Stolz.
Ich werde abrupt aus meinen Gedanken gerissen, als das Aufbruchkommando erklingt. Hörnchen und Voffi – zwei Jungs
unserer „Sexion Rheinland“ - sind bereits vorgegangen um
uns im Brauhaus Hibernia noch ein leckeres „Grubengold“
für die lange Bahnfahrt zu organisieren. Toll wie das klappt,
wir sind ein eingespieltes Team, jeder Spielzug sitzt! Am Stadion angekommen fällt uns zunächst einmal auf, dass im Vergleich zur letzten Spielzeit im direkten Stadionumfeld weitere
Bierstände aufgestellt wurden. Eine Tatsache, die uns nicht
großartig betrübt, einzig ärgert uns, dass man im Gegenzug
auch an das Aufstellen von mobilen Toiletteneinheiten hätte
denken können.
Noch schnell ein Helles mit meinen Busenfreunden aus dem
SC, Helge, Kreischer und Heiner – die wir natürlich hier (wo
sonst?) antreffen - „auf die Faust“ genommen und dann ab
ins Stadion. Viertel nach drei zeigt mein Chronometer mittlerweile bereits an.
Fünf Minuten später sitze ich auf meinem Platz und blicke,
während Ailton auf dem Platz als „Spieler des Jahres“ geehrt
wird, hinunter in den Stehplatzbereich der Nordkurve. Es
hat uns seit dem Ende der letzten Saison sehr viel Energie
und Arbeit gekostet dafür zu sorgen, dass er auch bei Bundesligaspielen so aussieht, wie er jetzt aussieht. Zahllose Gespräche haben wir, die einzelnen großen Fangruppierungen,
gemeinsam mit der Politik, dem Sicherheitsdienst und Schalke 04 geführt. Man wollte die einzelnen Stehplatzsegmente
fanfreundlich mit 2.20 Meter hohen Zäunen abtrennen und
ein riesiges Fangnetz vor der Kurve aufhängen. Dank unseres Engagements und unserer Überzeugungsarbeit hat man
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auf diese restriktiven Maßnahmen, die ein gutes Stück unserer Kurve, ein bedeutendes Stück bestehender Fankultur,
zerstört hätten, verzichtet. Freie Sicht für freie Bürger! Im
Gegenzug haben wir Fans den Verantwortlichen versprochen
uns selbst zu disziplinieren, indem halt nicht Spiel für Spiel
kiloweise Bananen, Golfbälle oder Feuerzeuge auf dem Spielfeld landen und wir vor allem selbst dafür Sorge tragen, dass
die Ein- und Aufgänge zu den Stehplatzblöcken als Fluchtund Rettungswege immer halbwegs frei bleiben. Genau dies
schaue ich mir jetzt von meinem Platz im Oberrang an und
man mag es kaum glauben: Es klappt! Respekt Nordkurve!
Anpfiff. Wieder lässt Jupp Heynckes gleich auf vier Positionen rotieren. Wird sich so jemals ein Team richtig einspielen
können, Jupp? Trotzdem, wie bereits am Dienstag, nehmen
die elf Knappen auf dem Platz das Heft sofort in die Hand,
während die Pfälzer, wie fast schon zu erwarten, ihr Abwehrbollwerk aufbauen.
Die Stimmung in der Donnerhalle ist prächtig. Da unterläuft
Hamit Altintop – der heute für Kamphuis ins Spiel gekommen ist – vor dem eigenen Sechzehner ein kapitaler Fehler.
Er spielt dem Neu-Lauterer Carsten Jancker, der im letzten Jahr in der italienischen Seria A noch mit dem Preis als
„goldene Mülltonne des Jahres“ bedacht wurde, direkt in die
Füße. Dieser spielt auf das Bewegungswunder Seitz weiter
(ja, genau der Seitz, der im letzten Jahr noch für uns gespielt
hat und im Tausch für Lincoln in die Pfalz gewechselt ist).
Unter normalen Umständen ist es beim Fußball so, wenn
Not auf Elend trifft, dann kann ja eigentlich nix passieren.
Denkste, Pustekuchen, so kann man sich täuschen! Irgendwie bekommt „uns Jochen“, an alter Wirkungsstätte den Ball
aus drei Metern Entfernung im Tor unter. 0:1 nach knapp
einer Viertelstunde, Torschütze Jochen Seitz. Der Glaube an
den Fußball scheint mich zu verlassen. So etwas gibt es doch
gar nicht!
Keine drei Minuten später lässt sich Seitz wegen einer (an55
geblichen) Verletzung am Oberschenkel auswechseln. Clever
ist er ja – man soll bekanntlich immer aufhören, wenn es
am schönsten ist, wenn man auf dem Zenit seiner Karriere
angekommen ist!
Ein Ruck scheint durch unsere Mannschaft und durchs Stadion zu gehen, und die Blauen erhöhen nach dem Rückstand
weiter den Druck. Speziell Asamoah unterstreicht seine Topform, bewegt sich, seitdem er ca. acht Kilogramm abgenommen hat (angeblich weil ihn seine Freundin, die zu oft und
zu lange in Ghana verweilt, kaum noch bekochen kann), gazellenartig über das Grün. Es liegt was in der Luft, die Nordkurve feuert unser Team an und in der 26. Minute ist es endlich soweit! Eine Hereingabe von Christian Poulsen, durch
Krstajic auf den rechten Torpfosten verlängert, erreicht den
richtig postierten Asa, der den Ball noch vor dem Lauterer
Keeper Tim Wiese, dessen Haare heute wieder – fein gegelt
– prächtig liegen, aus extrem spitzem Winkel noch ins Tor
schieben kann. Ausgleich! Das erste Heimspieltor der Saison
2004/2005, der Kessel tobt. Jetzt muss schleunigst nachgelegt werden.
Und das tun die Knappen auch. Altintop verfehlt nur knapp,
die Lauterer werden zunehmend nervöser und so unterläuft
Nerlinger sogar fast noch ein Eigentor. Halbzeit.
Eigentlich müsste das Spiel heute gewonnen werden. Allerdings müssen wir unsere Chancen effektiver nutzen! Mit neuem Elan und frohen Mutes geht es in die zweite Halbzeit. Die
Lauterer agieren jetzt noch defensiver und das liegt unserer
Mannschaft bekanntlich gar nicht. Kein Durchkommen, kein
Rezept! Endlich kommen, meiner Meinung nach fast schon
zu spät, Nils Oude Kamphuis und Christian Pander – der letzte Woche in Bremen als Bundesligadebütant ein gutes Spiel
abgeliefert hatte – ins Spiel, um von den zwei Außenpositionen mehr Druck zu erzeugen. Eine alte Fußballweisheit: Über
die Flügel muss man kommen! Prompt ändert sich das Spiel.
Ich möchte zwar nicht von einer Flügelzange reden, aber es
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ergeben sich wieder einige Großchancen, die leider erneut
fahrlässig ausgelassen werden. Es ist zum verrückt werden.
Tja – wenn gar nichts mehr hilft, dann muss bekanntlich ein
Eckball herhalten. 65. Spielminute, Asamoah steht erneut
goldrichtig und braucht den Ball, nach Krstajics Hereingabe,
nur noch ins Tor zu drücken. Führung, 2:1! Jubelnd liegen
wir uns in den Armen. Jetzt wird doch noch alles gut. Das
Unternehmen Meisterschaft ist gestartet. Das Stimmungsbarometer zeigt uns auf dem Videowürfel satte 180 Dezibel an,
und vom „Schalke-04“-Wechselspiel bis zu „Oppa Pritschikowski“ arbeiten wir Fans die komplette Stimmungspalette
ab. So liebe ich die Donnerhalle.
Zwar ist Bremen damit nicht vergessen, aber der totale Saisonfehlstart ist damit schon einmal vermieden. Und in zwei
Wochen - am nächsten Samstag ist der Pokal dran - haben
wir ja die große Chance nachzulegen, haben wir sofort wieder
ein Heimspiel gegen Hansa Rostock. Sechs Punkte aus den
ersten drei Spielen, das wäre ja immerhin schon was. Wie es
sich gehört, werden im Central noch einige Weizenbiere mit
den Betzeknallern geleert, bevor sich zu später Stunde unsere
Wege trennen.
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21.08.2004 - DFB-Pokal (1.Runde):
Hertha BSC Amateure – Schalke 04 • 0:2
Nachdem ich unsere erste Runde im
UI-Cup bekanntlich verpasst habe,
entscheide ich mich spontan, auch
das Pokalspiel bei den Amateuren
der Tante Hertha in BÄRlin sausen
zu lassen. Eines der Lose, die ich mir
so niemals freiwillig gewünscht hätte, fast schon eine Niete würde man
auf der Kirmes wohl sagen. Spiele
in Aindlingen oder Lech am Rhein
haben ja wenigstens noch ein wenig
Abenteuercharakter. Aber der Pokalwettbewerb ist bekanntlich kein
Wunschkonzert und auf dem Weg nach Berlin muss man alles aus dem Wege räumen, was sich einem in die Quere stellt,
notfalls auch Berlin selbst. Wunderbar unmotiviert hätte man
im Vorfeld, im Hinblick auf diesen Kick, den altbekannten
Evergreen „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“ in „Berlin,
Berlin, wer will schon nach Berlin?“ umdichten können.
Die Entscheidung daheim zu bleiben, fällt mir am Tage des
Spiels natürlich doch schwer. Erst recht, als am Samstag
morgen meine Jungs bei mir auf der Matte stehen und noch
versuchen, mich zum Mitkommen zu überreden. Ich kenne
sie ja selbst am besten, meine Nervosität, meine Anspannung,
meine Angst davor, etwas verpassen zu können, wenn ich
nicht selbst live im Stadion mit dabei sein kann. Sicherlich
wäre meine Entscheidung auch nicht so ausgefallen, wenn es
sich um ein Meisterschaftsspiel gehandelt hätte oder die Partie nicht erst um 18.30 Uhr, sondern, ganz normal, um 15.30
Uhr angepfiffen worden wäre. Aber am Dienstag spielen wir
ja bereits wieder in Liberec und ich habe noch die gesamte
Planung für unsere Übernachtungstour, für immerhin insgesamt 100 Supporters, vor der Brust. Daher verzichte ich
schweren Herzens auf den Kilometerstress. Eigentlich lustig
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– die Blauen spielen und ich mache blau! Das ist mir auch
seit Jahren nicht mehr passiert!
Hätte man von Berlin aus nicht direkt die wenigen Kilometer
nach Tschechien in Kauf nehmen können? Egal, ich vertraue
doch meinem Team und verlasse mich auf eine reibungslos
funktionierende Symbiose zwischen Videotext, Handykontakt und Live-Ticker im Internet.
So tritt unsere kleine Supporters-Club-Kongo die Reise nach
Berlin ausnahmsweise mal im Kleinbus an und berichtet mir
später von einem unmöglichen Benehmen nicht gerade weniger so genannter „Hertha-Fans“. Aber ganz langsam, der
Reihe nach: Als erstes suchen die Jungs das Stadion, findet
das Spiel doch nicht im Berliner Olympiastadion, sondern
auf einem Nebenplatz statt, der gerade einmal 4.000 Besuchern Platz bietet. Das Stadion soll dann wohl, gemessen am
Eintrittsgeld, eher ein schlechter Scherz gewesen sein – aber
was willst du machen? Halb so wild, kann man noch mit leben! Aus mehrfach bestätigten Quellen, also nicht nur unserer anwesenden Mitglieder, muss sich im Stadion dann das
Niveau der Berliner Fans einmal mehr auf unterster Stufe,
gepaart mit übelstem Faschismus, bewegt haben. Kriegen die
das nicht in den Griff?
Geistlose Beleidigungen à la: „Polacken“ und „Zigeuner“ sollen wohl noch eher der harmloseren Kategorie zuzuordnen
gewesen sein. Eigentlich ist es viel zu peinlich, diese Leute
auf eine Stufe mit Fußballfans zu setzen. Sie sind es nicht
wert, auch nur mit einer einzigen niedergeschriebenen Silbe bedacht zu werden bzw. überhaupt in irgendeiner Form
beachtet zu werden. Jedoch sollte man solche rassistischen
Vorkommnisse, die auch ich bereits mehrfach in Berlin habe
miterleben müssen, nicht einfach so unter den Teppich kehren. Immerhin soll in dieser Stadt bald das wichtigste Fußballspiel der Welt, das WM-Finale 2006, ausgetragen werden. Die Welt zu Gast bei Freunden? Da kriegt der Berliner
Bär doch wohl eher das große Kotzen! Aber scheinbar hat
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man in Berlin, zumindest bei Hertha BSC, kein sonderlich
großes Interesse daran, diesen braunen Tendenzen vehement
entgegenzuwirken. Da lobe ich mir doch die Satzung meines FC Schalke 04, der bereits vor vielen Jahren, als erster
Deutscher Fußballclub im Profifußball überhaupt, einen Passus in seiner Satzung geschaffen hat, der dem Rassismus in
jeglicher Form die rote Karte zeigt und ihn weit aus seinem
Stadion und Stadionumfeld verbannt. Schalker gegen Rassismus – Der Name ist Programm!
Noch Tage später liefern die peinlichen Rahmenbedingungen dieses Spiels reichlich Zündstoff. Da ich selbst ja nicht
zugegen war, möchte ich gerne kurz aus dem Forum „Nordostfußball“ zitieren: „Schlimm war hingegen das Publikum
der Berliner, zumindest hinter dem Tor. Übelster Nazi-Abschaum, asozial und besoffen, so was habe ich noch nie erlebt. Wie Asamoah und Ailton beschimpft wurden („keiner ist
so schwarz wie Asamoah“ bzw. „Jude! Jude!“) war widerlich
und wurde von den Schalkern auch mit „Nazis raus!“- Rufen
vernünftig quittiert“. Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.
Zwei Tore von Mike Hanke (24.) und Hamit Altintop (78.)
sorgen dafür, dass der Rest der Republik von diesem braunen
Abschaum - zumindest fürs Erste einmal wieder - verschont
bleibt. Sportlich betrachtet soll es ein lauer Pflichtspielsieg
gewesen sein. Völlig egal, Hauptsache wir sind in die nächste
Runde eingezogen. Liebe Berliner, liebe Tante Hertha, bei
aller sportlicher Konkurrenz - nehmt Euch doch diese Zeilen
mal zu Herzen und räumt doch bitte mal ein wenig bei Euch
auf! Danke. Herzlichst, Eure Schalkers!
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24.08.2004 - UI-Cup:
Liberec – Schalke 04 • 0:1 (Finale, Rückspiel)
Endlich ist es soweit!
Pünktlich trudeln ab
23 Uhr insgesamt 100
bestens gelaunte Supporters am Café Central ein, um – auf zwei
Busse verteilt – zum
zweiten Mal innerhalb
eines Jahres die 750 km
weite Reise nach Tschechien anzutreten. Allerdings dieses Mal mit dem Bonbon für
eine komplette Busbesatzung, dass wir nicht direkt nach dem
Spiel heimreisen werden, sondern eine Übernachtung mit
eingestreut haben. Das wird, sollten uns die Blauen keinen
Strich durch die Rechnung machen, hoffentlich eine Mordsgaudi.
Alleine schon die Hinfahrt hält, was ich mir davon versprochen habe. Wie sollte es auch anders sein, sind doch so Supporters Club-Kojoten wie Deppi, der „Chef“ (Schlammis kleiner Bruder), Toto, Strauch und Kreischer – um nur einige
zu nennen – mit von der Partie. Mit solchen Jungs könntest
du halb verdurstet durch die Wüste Kalahari wandern – du
würdest dich immer noch vor Lachen biegen. So fahren wir
im frühesten Morgengrauen kilometerweit die wunderschöne
Elblandschaft entlang, wundern uns einmal mehr über den
tollen Ausbau der Infrastruktur, die güldenen Bürgersteige
und sind immer wieder begeistert von den wunderschönen
Eckchen, die es in Deutschland gibt und die wir bei solchen
Touren kennen lernen dürfen. Wahrhaftig, ein schönes
Land!
Was folgt, ist die zaghafte Geburt der Elb-Haie. Es scheint
hoffnungslos, wenn man es nicht selbst miterlebt hat, an späterer Stelle zu erklären, welche Entwicklung ein solcher Ka61
lauer nehmen kann. Wahrscheinlich hat jeder so etwas schon
mehrfach erlebt. Ein Lachkrampf reiht sich an den anderen
– und man weiß zum Ende gar nicht so richtig warum. Situationskomik halt. Ich versuche es trotzdem kurz: Kreischer
schnappt sich, schon leicht beschwipst, das Busmikrofon und
lässt einen Schwall, einen Mischmasch aus zusammenhanglosen Fakten, Anekdoten und biologischen Tatsachen über
den hier ansässigen Hai ab. Den Elb–Hai. Nur eine Stunde
später liegen wir, uns vor Lachen krümmend, auf dem Boden
und können nicht mehr. Die wildesten Geschichten entstehen
und werden gestrickt, der Elb-Hai ist geboren. Es ist der Running-Gag der kommenden zwei Tage, kein Außenstehender
jedoch wird jemals verstehen, warum wir uns alleine bei dem
Worte „Elb-Hai“ - auch heute noch - das Schmunzeln nicht
verkneifen können. Wir haben diesem nicht existenten Wesen tatsächlich Leben eingehaucht und nach der Rückkehr in
GE wird keiner mehr wissen, ob wir uns diese Phantasiewelt
zusammengestrickt haben oder ob es diesen Elb-Hai wirklich gegeben hat. Wahnsinn! Natürlich konnte ich Fiene, als
ich ihr die irrwitzige Geschichte des Elb-Hais nach unserer
Rückkehr darlegte, noch nicht einmal eine Schmunzette abgewinnen.
Schwupp-die-wupp sind wir schon in Liberec. Sofort ins Hotel, eingecheckt, schnell die Zimmer eingeteilt und belegt (die
im übrigen unglaublich groß und super ausgestattet sind –
und das für „nen Appel und ein Ei“), um uns umgehend – die
Stadt ruft – unten an der Rezeption wieder mit dem harten
Kern zu treffen. Wie üblich dauert das natürlich wieder ein
paar Minuten länger als geplant, weil einige Sportsfreunde
und Sportsfreundinnen wohl ihren ureigenen Instinkten und
angeborenen Angewohnheiten nachgeben: Sie müssen Duftmarken setzen!
Endlich setzt sich unser königsblauer Konvoi in Bewegung
und wir gehen gemeinsam Richtung Innenstadt. Dort haben
wir uns bereits mit den Leuten aus dem Tagesbus und weiteren Allesfahrern verabredet. Als uns der Weg dann doch
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zu lang wird, setzen wir uns, verteilt auf mehrere Wagen, in
Taxen. Kostet uns umgerechnet soviel, wie daheim ein Wassereis.
In der wunderschönen, empfehlenswerten Altstadt von Liberec, direkt an der alten Rathausplatte gelegen, besetzen
wir mit einer Riesenmeute ein wunderschönes Lokal und
schmausen und trinken (und lachen), schön draußen sitzend, den ganzen Nachmittag lang. Vom Allerfeinsten! Selbst
Froschschenkel kriege ich serviert. Das alles für einen Betrag,
der nicht der Rede wert ist. Mehr als zwei Schnitzel hätte
man dafür in der Donnerhalle jedenfalls nicht erhalten. Der
Ausspruch „Leben wie Gott in Tschechien“ – den es ja gar
nicht gibt – erhält da eine ganz neue Dimension.
Nachdem auch das Infomobil des Schalker Fan-Club Verbandes endlich auf dem Rathausplatz eingetroffen ist und wir gegen Vorlage eines Vouchers die Eintrittskarten für das Spiel
erhalten, machen wir uns langsam aber sicher auf den Weg
zum Stadion. Den kennen wir ja bereits aus dem Vorjahr.
Kurz bevor wir es jedoch erreichen, macht unser „Staatsterrorist“ Kurt Böse seinem Nachnamen alle Ehre und rettet uns
vor einem wild vor uns herumfuchtelnden Haufen tschechischer Nachwuchshooligans. Mit Zahnschutz und Sturmhaube
ausgestattet, macht Kurt mit ihnen kurzen Prozess, indem er
einfach nur böse faucht und die kleinen Lümmel in die Flucht
schlägt. Auch so etwas kann, leider, bei einem Auswärtsspiel
dazu gehören.
Das Stadion „U Nisy“ selbst, in dem sich heute Abend gut
und gerne 1.500 königsblaue Schlachtenbummler unter die
insgesamt 8.000 Fans gemischt haben, ist im Gegensatz zum
letzten Jahr modernisiert und – zumindest in Teilbereichen
- umgebaut worden. Zwar merkt man davon im notdürftig
installierten Sanitärbereich (vier Dixi-Toiletten) nicht viel,
dafür ist es aber ein total schönes Gefühl, unter einer frisch
überdachten Gästekurve Platz zu finden, während die Fans
der Heimmannschaft dem gerade einsetzenden Platzregen
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vollkommen hoffnungslos ausgeliefert sind. Danke Liberec,
so etwas nennen wir Gastfreundschaft!
Die Stimmung im Schalker Fanblock ist gut und trotzdem
ein wenig angespannt, weiß doch jeder was heute hier, vor
allem für den Club, auf dem Spiel steht. Einige zusätzliche
Taler aus dem UEFA-Cup ins Säckle unseres Finanzministers
Jupp Schnusenberg gespült täten uns sicherlich gut, stünden
unserem Club mit Sicherheit gut zu Gesicht.
Don Jupp lässt heute wieder Krstajic und Bordon in der
Abwehr sowie Ailton und Asamoah im Angriff spielen. Das
müsste dem Team doch eigentlich Sicherheit geben. Die erste
Halbzeit gestaltet sich für uns Fans, Gott sei Dank, wenig
aufregend. Weitestgehend haben wir das Spiel, vor allem
aufgrund eines kontrollierenden, defensiven Mittelfeldes,
im Griff und haben fast ständig den Ball in unseren Reihen.
Keine Tormöglichkeiten für Liberec zu vermelden, allerdings
auch keine nennenswerten Aktivitäten vor des Gegners Kasten. Eigentlich ein bisschen wenig für die optische Überlegenheit. Aber bekanntlich muss Liberec ja ein Tor schießen,
und nicht wir. Halbzeitpfiff!
Statt einem gepflegten Halbzeitsnack und einem Gang zur
Toilette, bleiben wir hier und heute auf der Tribüne stehen
und harren der Dinge, die da folgen werden. Als hätten wir
es geahnt.
Direkt mit dem Anpfiff zur zweiten Halbzeit legt Liberec auf
einmal los wie die Feuerwehr. Auf deutsch gesagt: Volles Risiko! Und scheinbar kommen unsere Blauen damit, auf einmal
völlig in die Defensive gedrängt, überhaupt nicht klar. Ich
weiß nicht mehr, wie oft mir in den folgenden 45 Minuten das
Herz stehen geblieben ist. Was sich mir – und natürlich auch
den anderen S04-Fans - da unten auf dem Rasen darbietet,
ist grausam. Mindestens dreimal, da bin ich mir ganz sicher,
sehe ich mich von Helfern des Roten Kreuzes auf einer Bahre
aus dem Stadion getragen und mit Blaulicht und unter Ein64
satz eines Defibrillators ins nächste Klinikum gebracht. Ein
Krimi von Alfred Hitchcock könnte nicht dramatischer sein.
Ein ums andere Mal riskiert Frank Rost Kopf und Kragen –
ach was rede ich – sein Leben, um uns vor einem Rückstand
zu bewahren. Unnötig davon zu reden, dass er zum absoluten
Matchwinner avancierte. Das sind die Spiele, die man sich
als Fan gerne sparen würde – auch wenn sie letztlich sogar
noch gut enden. Speziell in der Schlussphase gleicht unsere so hoch gelobte Abwehr einem Hühnerhaufen und Frank
Rost stellt sich alleine Mann und Maus in den Weg. Mensch,
Leute, das hier ist Slovan Liberec und nicht Real Madrid. Es
geht hier um die Zukunft unseres Clubs!
Vor allem Poulsen und Rodriguez spielen in der zweiten Halbzeit irgend etwas, aber sicherlich nicht das, was sie sollten.
Von Flügelzange keine Spur, eher ein Fehlpassfestival. Kopfschütteln überall, der blanke Wahnsinn macht sich unter den
Fans breit – sieht der Trainer das denn nicht? Da muss doch
was passieren, da muss man doch handeln! Gerupfte Haarbüschel fliegen durch den Block. Und der arme Frank steht
da hinten alleine im Kasten und muss alles ausbügeln.
Und dann das passiert doch noch das schier Unmögliche.
Kurz vor Schluss spielt von halbrechts Hanke den Mann mit
ohne Hals frei, der noch kurz einen Gegenspieler als Fahnenstange stehen lässt und mit einem klasse Schuss den Ball
präzise ins linke, lange Eck drischt. 1:0 für Königsblau, zwei
Minuten vor Abpfiff. Ailton rennt in unsere Kurve und präsentiert der tobenden und jubelnden Menge seinen Schriftzug auf seinem Trikot: „Ich bin es, Ailton – und ich habe
das entscheidende Tor gemacht“ will er uns damit, glaube
ich, sagen. Logo, freue ich mich. Am meisten auf die nächste
internationale Tour die sich anbahnt: Spanien, Italien, Griechenland – Hauptsache in die Sonne!
Ich träume ein wenig vor mich her, so richtig freuen kann ich
mich ob des Siegtreffers allerdings nicht. Auch in Momenten der Freude, des Sieges, des Triumphes kann man sich in
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Demut und Bescheidenheit üben. Nächsten Freitag wird uns
das Los dann hoffentlich etwas Dolles bescheren und dann
kräht kein Hahn mehr nach dem „Wie?“.
So langsam senkt sich mein Puls wieder in den grünen Bereich und wir können nach der Siegerehrung wieder zum angenehmen Teil der Tour übergehen. Lecker Essen gehen und
in bescheidenem Maße unseren Sieg feiern.
Altstadt, Europa – wir kommen!
Der Rest unserer Auswärtstour ist schnell zusammengefasst.
In einem wunderschönen Lokal in der Altstadt schmausen wir
lecker und vernichten literweise Becherovka. Dieser wiederum schlägt scheinbar einem gewissen F. aus dem Bosch-Bus
auf den Magen, der beim Verlassen des Ladenlokales beginnt,
torkelnd von A nach B zu fallen, um anschließend im Scheinwerferkegel eines Polizeiwagens stehend, einen dreihundert
Kilogramm schweren Blumenkübel in der Einkaufspassage
umzuwerfen, der unverzüglich bricht. Ich meine den Kübel.
Damit ist der weitere Verlauf der Nacht für ihn mit dem Besuch einer netten, kleinen Zelle verplant und wir feiern mit
einer Person weniger in den Geburtstag unseres SC-Members
„Manni“ Wrase hinein. Mit Becherovka.
Zu späterer Stunde verteilen sich die einzelnen Supporters
in der Geburtstagsrunde auf ihre jeweiligen Hotels und Jugendherbergen und fahren mit kleineren Spontanpartys fort.
Letztlich landet die noch halbwegs fitte Besatzung aus unserem Hotel in einer Art Holzschuppen, in dem, bis in die
frühen Morgenstunden hinein, die Getränkekarte rauf und
runter probiert wird. Kostet ja fast nichts!
Irgendwie schleppen sich dann – nur zwei Stunden später
– auch die letzten sich zum üppigen Frühstücksbuffet und
schaffen sich eine solide Grundlage für die Rückfahrt. Immerhin liegen noch über zehn Stunden Rückfahrt vor uns.
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Tatsächlich gestaltet sich die Rückfahrt zur absoluten Kulttour. Die liebe Cognac-Conny macht ihrem Namen alle Ehre,
und sämtliche Kalorien die wir – in welcher Form auch immer – zu uns nehmen, gehen umgehend durch das Anspannen der Bauchmuskeln beim Lachen verloren.
Oh Mann, hatte ich am nächsten Tag Bauchschmerzen! Eine
ganz, ganz feine Tour, die einmal mehr Bande, Freundschaften und Sympathien in unseren Reihen gefestigt hat. Danke
Schalke 04, dass es dich gibt und: Elb-Haie allez!
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28.08.2004
Schalke 04 – Hansa Rostock • 0:2
Wenn mich jemals jemand fragen sollte, was denn für mich
der Begriff „Bundesliga-Alltag“
bedeuten würde, dann würde ich
– ohne auch nur eine einzige Sekunde mit der Wimper zu zucken
- sagen: Heimspiele gegen Hansa
Rostock. Da wünscht man sich ein
Leben lang klangvolle Namen wie
Inter Mailand, Manchester United, Real Madrid oder Juventus
Turin ins schönste Stadion der
Welt, und was für einen Namen spuckt mein Kalender für
den heutigen Spieltag aus? Hansa Rostock! Und diesen Gegner darf man dann auch noch, aufgrund der letzten Ergebnisse, als „Angstgegner“ bezeichnen. Ne, liebe Freunde des
Fußballsportes, bitte lasst Frankfurt oder Köln aufsteigen
und erspart uns diese Begegnungen und elendig langen Auswärtstouren an die wunderschöne Ostsee. Liberec ist dagegen
ja eine wahre Wohltat.
Aber andererseits ist dies natürlich auch die große Chance für
uns, trotz der Niederlage am ersten Spieltag in Bremen, mit
dem zweiten Heimspielsieg in Folge gegen einen vermeintlich
kleinen Gegner halbwegs gut – mit sechs Punkten nämlich
– in die Saison zu starten. Also greift man sich diesen kleinen
Funken Ansporn und Motivation und stiefelt irgendwie doch
glücklich darüber, dass heute wieder Fußball ist, bei strahlendem Sonnenschein in Richtung Donnerhalle.
Ich wäre wohl lieber zu Hause geblieben. Von vornherein hatte ich so ein mulmiges, schlechtes, ungutes Gefühl. Das, ich
meine daheim bleiben, hätten unsere Kicker heute auch tun
sollen. Zwar sind wir von der ersten Minute an, in der heute eher lethargisch wirkenden Arena, klar spielbestimmend.
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Aber irgendwie finden die Jungs im dichten Abwehrbollwerk
der Hansa-Kogge keine Lücke. In Rostocks Reihen wird kein
Fußball gespielt, sondern zerstört. Die alte „wie entführe ich
möglichst einfach Punkte aus der Arena?“ -Taktik scheint
aufzugehen. Die Knappen machen immer mehr auf und bei
einem Gegenstoß der Gäste steht auf einmal Antonio Di Salvo
frei vor Frank Rost. Aus zehn Metern Entfernung versenkt er
die Kugel nach gut einer halben Stunde Spielzeit für Frank
unhaltbar im Netz. Toll! Das alte Spiel! Alles wie gewohnt,
nichts scheint sich geändert zu haben. Es ist zum Kotzen!
Anstatt eines Aufbäumens nach dieser kalten Dusche, kommt
es noch besser: Unser kleiner frustrierter Dicker mit ohne
Hals, dem heute irgendwie gar nichts gelingt, lässt sich von
zwei Rostocker Spielern provozieren und verteilt zwei dezente Ohrlaschen. Schiri Meyer zögert keine Millisekunde und
zeigt unserem Mann, den wir fürs Tore schießen und nicht
zum Boxen an die Emscher geholt haben, das rote Ticket,
welches zum sofortigen Duschen berechtigt.
Berechtigt auch die Karte, allerdings darf die kleine Anmerkung gestattet sein: Dann bitte auch ligaweit konsequent.
Denn dann müsste der Kahnsinnige aus dem Tor der Bazen
bei jedem zweiten Spiel den Abpfiff nicht mehr miterleben
dürfen, fuchtelt er doch ständig mit seinen Pranken in anderer Spieler Gesichthälften herum. Ich bin mal gespannt, was
für eine Sperre das für Ailton als Wiederholungstäter gibt.
Pause. Wer ab dem Wiederanpfiff eine Trotzreaktion der
Knappen erwartet hat, der sieht sich getäuscht. Statt Kampf,
Moral und Einsatzwillen herrschen Ernüchterung und Ratlosigkeit auf dem Platz - und im Stadion. Ein Teil der Besucher hat in Jörg Böhme scheinbar den Heiland gefunden und
fängt an ihn lauthals zu fordern. Warum? Ein Großteil des
Stadions singt: „BvB Hurensöhne“. Ob das unserer Mannschaft den Rücken stärkt? Bei Schobers Abschlägen grölt die
halbe Nordkurve: „Arschloch, Wichser, Hurensohn“. Tolle
Nummer. An so einem Tag regt einen natürlich immer alles
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auf. Vielleicht ist auch meine Erwartungshaltung mal wieder
einfach nur zu groß. Aber das, was mir hier und heute mal
wieder geboten wird, kann doch eigentlich nicht wahr sein.
Ein weiterer Gegenstoß der Rostocker, Di Salvo trifft zum
zweiten Mal. Fluchtartig verlassen Tausende ihre Plätze und
gehen heim. Zehn Minuten vor Abpfiff ist die Arena nicht
einmal mehr halbvoll und erfüllt von Pfiffen. Wurde so ein
Spiel etwa noch nie in zehn Minuten gedreht? Auf jeden Fall
heute nicht mehr.
Abpfiff. Hängende Köpfe. Ein gellendes Pfeifkonzert von den
Rängen. Minutenlang bleibe ich noch schweigend und enttäuscht auf meinem Platz sitzen. Zwar haben wir verloren,
aber trotzdem waren die Rostocker grottenschlecht – das ist,
bezogen auf unsere Leistung, äußerst aussagekräftig. Ob die
wohl woanders überhaupt noch Punkte holen werden? So
eine Graupentruppe. Aber unsere drei haben sie jedenfalls.
Wir schaffen es einfach nicht, trotz spielerischer Überlegenheit, Matches bei uns daheim in der Donnerhalle zu gewinnen, wenn sich ein vermeintlich schlechteres Team einfach
nur hinten reinstellt.
Die Spieler fangen an, sich auszulaufen und flachsen miteinander. In meinem Kopf spukt hingegen das Abstiegsgespenst
umher. Wenn wir in den nächsten Spielen auch so auftreten,
sollte man sich ganz, ganz schnell nach unten orientieren.
Angetreten mit Meisterschaftsträumen, bin ich bereits am
dritten Spieltag auf dem harten Boden der Tatsachen angelangt. Euphoriebremse statt Trendwende.
Wohin geht der Trend Don Jupp? Sach mich watt! Meine
Gedanken kreisen ungefähr so schwer im meinem Kopf umher wie Du unsere Kicker rotieren lässt. Eines steht fest: Wir
sind weit entfernt vom Schalker Kreisel. Ich gehe mir auf
dem Rückweg erst einmal an der Bude eine Flasche „Hansa“
kaufen. Export. Gute Nacht.
70
11.09.2004
VfL Wolfsburg – Schalke 04 • 3:0
Eigentlich sind unsere Auswärtstouren nach Wolfsburg in den vergangnen Jahren immer äußerst
lustig und entspannt gewesen. Und
so soll es, trotz allen Kummers der
letzten Tage, auch in diesem Jahr
sein. Schalker stehen halt schnell
wieder auf, auch wenn der Kopf
noch ein wenig schief hängt. Und
so entschließen wir uns dazu, die
diesjährige Auswärtstour unter ein
Motto zu stellen, nämlich: „Grillen
wie die Profis“. Die Nähe des Mittellandkanales zur VWArena fordert uns quasi zu diesem idyllischen Einschub auf.
So kommt es, dass wir am späten Freitag nachmittag durch
Gelsenkirchens Einkaufsläden touren und tonnenweise Grillkohle (zzgl. natürlich zweier neuer Grills), Ketchup, Senf und
Toastbrot einkaufen. Dazu natürlich noch zwei tote Rinder,
vier ganze Schweine und noch einiges mehr. Soll doch keiner
behaupten, er sei nicht satt geworden. Mit vereinten Kräften
schleppen wir dann am frühen Samstagmorgen die zu grillenden Speisen zum Megaliner und verstauen sie hinter seinen
Bauchklappen – und los geht’s!
Die Stimmung unter den 100 Supporters ist erstaunlich heiter
und fröhlich. Wer hätte das nach letztem Samstag erwartet?
Aber das Spiel scheint abgehakt – schlimmer geht nimmer.
Denken wir.
Relativ früh, denn wir haben ja noch einiges vor, passieren
wir die Stadtgrenze Wolfsburgs. Wenn Fremde zu mir sagen,
sie würden Gelsenkirchen nicht wirklich hübsch finden, dann
habe ich in meinem tiefsten Inneren einen klitzekleinen Funken Verständnis dafür. Aber wirklich nur einen klitzekleinen.
Beim Erreichen dieser künstlichen Autostadt allerdings über71
kommt mich immer wieder ein eiskalter Schauer. Ich glaube,
sie hat soviel Flair und Charme wie ein Schluck lauwarmes
Wasser in der Kurve. Allerdings sind wir ja nicht aus touristischen oder gar kulturhistorischen Gründen hier (eher schon
wollen wir daraus eine Kult-Tour machen), sondern es gilt,
erst dem Grillmeister alles abzuverlangen und dann noch die
drei Punkte zu entführen.
Teil eins unserer Mission wird zur Freude und bedingungslosen Zufriedenheit aller erfüllt. Die Grillzange glüht. Die
fast noch drei Stunden bis zum Anpfiff werden in geselliger
Runde bei Bier und Bratwurst verbracht. Tatsächlich ist zum
Schluss wirklich kein einziger Fetzen Fleisch übrig geblieben.
Respekt!
Nach dem Schwingen der Grillzange begeben wir uns nun
gestärkt zum Stadion und sind einmal mehr erschüttert von
der Kulisse. Wir spielen beim derzeitigen Spitzenreiter und
gut ein Drittel der Plätze sind frei, die restlichen größtenteils
durch königsblaue Trikots und Schals besetzt. Von Heimsupport eigentlich kaum eine Spur. Das ist halt der große Unterscheid zwischen einem Traditionsverein und einem Plastikclub, einem künstlich geschaffenen Verein aus der Retorte.
Ab dem Anpfiff tun sich umgehend gravierende Unterschiede auf und es schmerzt, in wenigen Zeilen davon berichten
zu müssen. Dachte man letzten Samstag noch, eine solche
„Nicht-Leistung“ wäre nicht zu toppen, sieht man sich heute
eines Besseren belehrt. Den Bauch mit einer nicht unwesentlichen Anzahl an Grillwürstchen, Koteletts und Erfischungsgetränken gefüllt, hätte wohl keiner von uns auf dem Platz
schlechter aussehen können. Eine Schande für den grünen
Rasen, dass unsere königsblauen Kicker ihm heute die schöne Grasnarbe mehr kaputt treten, als dass sie den Ball treffen. Selbst Petrus scheint Erbarmen zu haben und schickt
umgehend einen wolkenbruchartigen Regenschauer. Ein Offenbarungseid. Ein lauer Kick, ohne Leidenschaft, Kampf,
Herzblut, Moral – einfach allem, was einen Schalker Kicker
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eigentlich auszeichnen sollte. Einzig prächtig ist die Stimmung im Schalker Fanlager.
Nach einer halben Stunde folgerichtig die verdiente Führung für Wolfsburg, nachdem der Schwalbenkönig der Liga,
Marian Hristov, regulär einen von D’Alessandro getretenen
Eckball freistehend aus sechs Metern an Rost vorbei ins Tor
köpft. Keine zehn Minuten später wieder eine Standardsituation für Wolfsburg. D’Alessandro zirkelt einen Ball in den
Strafraum, diesen köpft Brdaric an den Pfosten, den Abpraller drückt erneut Hristov, erneut regulär, über die Linie. Was
ist denn da bloß los? Spielen die gegen Don Jupp, gegen sein
nervendes Rotationssystem? Oder haben die einfach keine
Lust? Oder beides? Ausbaden dürfen wir Fans das auf jeden
Fall. Just in diesem Moment sind wir recht herzlich willkommen im direkten Abstiegskampf.
Während der Halbzeit wird an allen Ecken und Kanten gemotzt und geschimpft. Alle sind frustriert und reagieren sich
verbal ab. Definitiv klar ist: Es muss was passieren – so kann
und darf es nicht weitergehen. Die zweite Halbzeit, egal was
man später über sie schreiben und berichten wird, bestätigt
die Analysen von uns Amateurtrainern. Kein Kampf, kein
Aufbäumen, eine erschreckend schwache, desolate Leistung.
Dagegen war Rostock ja fast noch großartig. Der absolute
Tiefpunkt! Und um der Gesamtsituation noch das „i-Tüpfelchen“ oben draufzulegen, erhöht Wolfsburg in der Schlussminute sogar noch auf 3:0. Wenn schon, dann richtig!
Aber das kriege ich gar nicht mehr mit, denn, so wie viele andere mit mir, habe ich schon, entgegen meiner Gewohnheiten
und Prinzipien, zwei Minuten vorher den Rückweg zum Bus
in Angriff genommen. Erst einmal einen Magenbitter zu mir
nehmen, so sehr schlägt mir da gerade jemand drauf. Wir
sehen zu, dass wir schnell den Ort des Grauens verlassen
und nach einigen Jägermeistern beginnt die Rückfahrt, trotz
allem, doch noch richtig lustig zu werden. Es kann nur besser
werden, denn ganz unten sind wir gerade bereits.
73
16.09.2004 - UEFA-Cup
Schalke 04 – Metalurgs Liepaja • 5:1
(1.Runde, Hinspiel)
Die Entscheidung sei in der Nacht
von Sonntag auf Montag in ihm
gereift und sei ihm letztlich sehr,
sehr schwer gefallen. So unser
Manager im Rahmen einer Pressekonferenz am Montag. Tja, und
nun ist er weg. Der Don Jupp, der
Osram, der Meister der Rotierer. Der Mann, in den man, als
Trainer von Welt, so große Hoffnungen gesetzt hatte. Außer zwei
erfolgreichen Teilnahmen am UICup gab es jedoch nicht viel vorzuweisen. Ob der Schritt nun
allerdings der richtige ist, wage ich nicht zu kommentieren.
Stattdessen ist man dazu geneigt festzustellen, dass es nach
der langjährigen Ära Huub Stevens, nach Frank Neubarth
und Marc Wilmots, bereits der dritte Coach innerhalb kürzester Zeit ist, der uns nicht dort hat hinführen können, wo
wir hinwollen und, meiner Meinung nach, auch hingehören.
Nach ganz oben!
Entsprechend verhalten ist heute auch die Stimmung im
Stadion vor dem Erstrunden-Gruppenspiel im UEFA-Cup
gegen den lettischen Vertreter aus Libau: „Metalurgs Liepaja“. Dicke Luft. Die Lust auf Schalke kann einem wirklich
manchmal fast vergehen. Aber auch nur fast.
Sollte man diese erste Runde überstehen, kommt man in
dieser Saison erstmalig in den Genuss einer Gruppenphase.
Zumindest hätte man dann weitere vier Spiele sicher – und
damit auch wieder zusätzliche Einnahmen. Und zumindest
eine dolle Auswärtsfahrt sollte dabei für uns Fans auch heraus springen. Etwas überrascht reagiere ich daher auf die
heutige Protestaktion der UGE. Im Oberrang der Nordkurve
74
ein dickes, fettes Transparent, auf dem „Mannschaft ohne
Leidenschaft - Management, das Leiden schafft“ steht, im
Block selbst absoluter Stimmungsboykott und Verzicht auf
königsblaue Fahnen. Nun mag man gerne der Meinung sein,
einen solchen Gegner – der sicherlich höchstens Regionalligaformat besitzt – müsse man aus der Halle putzen. Nichtsdestotrotz denke ich, dass die Mannschaft und der Verein
– bei aller gesunden Kritik – nicht gerade bei so einem immens wichtigen Spiel den legitimen Groll von uns Fans zu
spüren bekommen sollte. Diese Aktion sollte auch in den
kommenden Tagen in der Schalker Fanszene noch für genügend Gesprächsstoff sorgen.
Der Mann auf unserer Bank ist ab sofort der ehemalige CoTrainer Eddy Achterberg. Und da unser Management glasklar betont hat, sich bei der Suche nach einem neuen sportlichen Übungsleiter nicht hetzen lassen zu wollen, kann dies
vielleicht sogar für einige Wochen der Status Quo sein. Eine
dankbare Aufgabe? Hoffentlich kehrt der neue Besen auch
wirklich so lange so gut.
Eddy setzt sofort einige Duftnoten, indem voll auf Offensive
setzt und mit drei Spitzen antritt. Der in der Liga immer noch
gesperrte Ailton bildet neben Ebbe den Hauptsturm, darüber hinaus spielt von Anfang an der als hängender Stürmer
ausgerichtete Lincoln und dahinter die offensiv spielenden
Gustavo Varela und Christian Pander. Von der ersten Sekunde an zeigen die Blauen großen Einsatz, Laufbereitschaft und
Kampfeswillen. Trotzdem haben die Jungs in den Anfangsminuten mal wieder Probleme damit, das Abwehrbollwerk
der Letten zu knacken. Da haben die Gäste aber gut die Videomaterialien unserer vergangenen Heimspiele studiert.
Doch bereits in der zwanzigsten Minuten fällt ganz Schalke
ein dicker Stein vom Herzen. Ailton erläuft einen Kopfball
von Bordon und produziert aus dem Gewühl heraus einen
Querschläger, der seinem Sturmpartner Ebbe direkt vor die
Füße fällt. Dieser schießt den Ball trocken aus zehn Metern
ins Tor. 1:0 für die Blauen, endlich mal wieder ein Tor für
75
uns! Trotzdem fällt der Jubel äußerst verhalten aus. Als hätte man es geahnt: Anstatt dass die Knappen locker und gelöst weiter ihr Ding durchziehen, kommen die Letten immer
besser ins Spiel und tauchen gleich zweimal gefährlich vor
unserem Tor auf.
Die Alarmglocken müssten spätestens jetzt schrillen, Eddy
rauft sich die Haare und hüpft wie ein Rumpelstilzchen in
seiner Coaching-Zone umher. Und dann die 35. Minute. Ein
ungewohnter Fehler von Bordon, Krstajic grätscht beim Rettungsversuch ins Leere, Kastanov, oder wie der heißt, kann
frei auf Rost zulaufen und netzt ein. Ausgleich. Schon wieder
der alte Bockmist. Und das gerade auch noch beim UEFACup, bei dem die geschossenen Auswärtstore doch so wichtig
sind. Für Kastanov selbst und für sein gesamtes Team muss
es wohl der Triumph seines Lebens gewesen sein: Im schönsten Stadion der Welt, vor ausverkauftem Hause, ein Tor zu
erzielen - sicherlich der pure Wahnsinn! Ich allerdings finde
es wahnsinnig scheiße!
Drei weitere gute Chancen für uns bis zur Pause, die nicht
genutzt werden, sorgen nicht gerade für allgemeine Erheiterung. Allerdings bin ich mir heute sicher: Das packen wir
noch. Locker.
Als hätten Eddy und seine elf tapferen Knappen meine Gedanken lesen können, kommen sie wie verwandelt aus den
Katakomben heraus. 52. Spielminute, Ebbe köpft – nach Ecke
Pander und Kopfballverlängerung Poulsen – frei aus zwei
Metern zum 2:1 ein. Erleichterung! Acht Minuten später, ein
abgefälschter Schuss von – na wem wohl: Ebbe - findet den
Weg ins Tor. 3:1. Aufatmen.
Danach spielen die Blauen, endlich mal wieder das nötige
Selbstvertrauen getankt, routiniert und selbstsicher ihren
Part herunter. Die Letten scheinen auch ein wenig groggy
zu sein. Kobiashvili erhöht mit einem tollen Heber aus rund
20 Metern in der 67. Spielminute noch auf 4:1 – sein erstes
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Pflichtspieltor für die Blauen. Zehn Minuten vor Schluss, wir
führen wie gesagt mittlerweile haushoch verdient mit 4:1,
eine weitere Fandemonstration in der Nordkurve, die für viel
Unruhe und Gesprächsstoff sorgt. Ein weiteres, großes Transparent mit dem Schriftzug: „Stevens, Neubarth, Wilmots,
Heynckes - 4 Alibis, Schämt euch!!!“ wird hochgehalten.
Die Antwort der Mannschaft darauf folgt umgehend. Vorlage
von Dyn-Hamit auf Asa, der trifft kurz vor Abpfiff mit einem
Flachschuss aus zehn Metern zum Endstand von 5:1. Fünf
Buden der Blauen in einem Pflichtspiel, da lacht das Schalker
Fußballherz.
77
18.09.2004
Schalke 04 – Borussia Mönchengladbach • 3:2
In der Hoffnung, dass der neue Trainerbesen Eddy Achterberg auch in
der Bundesliga richtig gut kehrt,
bereite ich mich am heutigen Samstagmorgen mental auf das Heimspiel gegen den Traditionsverein
aus Gladbach vor. Ist schon eher
das Bundesligasalz in der Suppe,
als Rostock oder Wolfsburg. Zumal
die Fohlen auch immer eine tüchtige
Portion Fans mitbringen, die stets stimmgewaltig für eine
gute Stimmung in der Donnerhalle sorgen. Vielleicht wollen
die auch heute nur noch einmal nachschauen, was man bei
ihnen im neuen Stall alles hätte besser machen können.
Da die vergangenen Tage doch für relativ viel Gesprächsstoff
– und zwar in vielerlei Beziehungen – gesorgt haben, begebe
ich mich heute relativ früh in das Stammlokal meiner Wahl.
Dort hat sich bereit ein lustiger, kunterbunter Haufen aus
Supporters - aber auch einige Fohlen - eingefunden und bei
einem leckeren Alster beäugt man kritisch die Entwicklung in
unserem Verein. Sportlich, aber auch vereinspolitisch. Trotz
aller konstruktiven Kritik nützt es ja alles nichts – heute müssen drei Punkte her, um aus dem Tabellenkeller heraus zu
kommen.
Kurz vor fünfzehn Uhr am Stadion angelangt, treffen wir an
der Fan-Mauer noch auf den restlichen Supporters-Trupp
und kommunizieren hier unsere Ergebnisse der letzten Stunden intensiver und hitziger Schalke 04–Debatten. Auch hier
kommen wir zum schnellen Konsens: Entscheidend ist heute
auf dem Platz – und zwar nur mit drei Punkten beim Abpfiff
in der Tasche. Ob Don Jupp heute, gegen seinen Ex-Club,
wohl noch gerne auf der Bank gesessen hätte?
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Eddy jedenfalls lässt mit der siegreichen Elf von vergangenem Mittwoch spielen, lediglich Asa rutscht für den Ailbrummer ins Team. Von der ersten Sekunde an richtig Alarm in
der Donnerhalle.
Bei den Fohlenfans ist gleich richtig Stimmung in der Kurve.
Bernd Korzynietz zieht ca. 25 Metern vor der Nordkurve ab
– und der Ball zappelt auf einmal im Netz. Gerade einmal
vier Minuten sind gespielt. Von meiner Sicht aus schien der
Ball nicht völlig unhaltbar, aber er muss wohl noch leicht
abgefälscht bzw. Kristajic durch die Beine geschossen worden
sein. Rost sieht auf jeden Fall ein wenig unglücklich aus und
bereits nach vier Minuten läuft alles so wie immer. Führung
für den Gast. Nur drei Minuten später hat Neuville die große
Chance um auf 2:0 zu erhöhen. Er vergeigt. Wir sind aber
auch nette Gastgeber. Allerdings merkt man nach dem denkbar ungünstigen Start sofort, dass heute etwas anders ist. Die
Mannschaft scheint eine Trotzreaktion zu zeigen, fängt an zu
rackern, zu kämpfen und erspielt sich Chancen. Alleine Varela könnte bis zur zehnten Spielminute zweimal den Ausgleich
schaffen. Dann endlich der erlösende Ausgleich (34. Minute)
durch Christian Pander, der damit seinen ersten Bundesligatreffer erzielt. Und was kann dieser am besten? Richtig – Freistoßtore! Aus 23 Metern zieht der erst 21-jährige Knappe aus
halblinker Position voll ab und der Ball senkt sich, unhaltbar
für Torhüter Kampa, ins rechte Eck. Die Fohlenfans sind auf
einmal ganz ruhig. Dafür explodiert der königsblaue Mob wie
eine Rakete. Es ist eine riesige Erleichterung für alle – und
auf einmal ist die Arena, von einer Sekunde auf die andere,
wieder das, wofür ich sie halte: Die Donnerhalle.
Die zweite Halbzeit beginnt ebenso dämlich wie die erste.
Auch die Spielsituationen ähneln sich. 47. Spielminute: Neuville schießt aus knapp 20 Metern ins linke Eck und die Kugel
passt genau. Wieder tobt der Gladbacher Haufen und viele
der Schalker, die gerade erst von der Würstchen- oder Bierbude ins Stadion kommen, wollen nicht glauben, was sie da
sehen. Die erneute Führung für Gladbach. Doch die Knappen
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fighten heute. Varela und Asa spielen einen Doppelpass und
mit der Abwehr der Fohlen Katz und Maus. Varela hämmert
die Kirsche daraufhin aus zehn Metern, frei stehend, ins
Tor. Erneuter Ausgleich. Erneuter, ohrenbetäubender Jubel.
Kampf, Moral, Einsatz – alles was wir hier auf Schalke immer
sehen wollen, stimmt heute zu 104 %. Die Hütte kocht. Und
die Jungs haben noch lange nicht genug. Ist das nicht toll?
So kommt es, wie es bei so Spielen, wegen derer wir diesen
Sport doch alle so lieben, kommen muss. Eine Geschichte
fürs Fußballbuch. Zweimal einen Rückstand aufgeholt, aufopferungsvoll in einem Tollhaus alles gegeben, angepeitscht
und angestachelt von 60.000 wahnsinnig Verrückten, gekämpft und dann auch noch die Führung und gleichzeitig das
Siegtor erzielt. 66. Spielminute: Der enorm ballstarke Ebbe
dribbelt und fummelt sich durch die Gladbacher Abwehr und
findet, direkt vor unseren Augen in der Nordkurve, eine winzige Lücke. Der Ball passt gerade durch diese und schlägt aus
15 Metern zum 3:2 in die Gladbacher Maschen ein.
Minuten nach Abpfiff sind die meisten Fans noch im Stadion
und feiern ihr Team mit stehenden Ovationen. Ja, wir haben
euch natürlich wieder lieb.
Am beeindruckensten ist heute allerdings unser neuer Coach,
Eddy Achterberg. So sehr von uns Fans, von dem Hexenkessel, von der Donnerhalle fasziniert, berichtet er den Reportern mit glänzenden Augen von seinem Hühnerfell. Damit
meint er seine Gänsehaut. Er ist halt ein Käsekopp. Es ist die
Geburt vom „gute-Laune-Eddy-Hühnerfell.“ Und mit guter
Laune gehen wir heute auch alle heim.
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22.09.2004 - DFB-Pokal (2.Runde)
1. FC Kaiserslautern – Schalke 04 • 7:8 n.E.
Mit dem tollen Sieg unter unserem Interimscoach „Eddy Hühnerfell“ gegen
die Borussia aus Mönchengladbach im
Rücken, geht es Mitte der Woche in einem anderen Wettbewerb, nämlich im
DFB-Pokal, in der 2. Runde zum Betzenberg. Sicherlich der Wettbewerb, bei
dem man sich – weil es am wenigsten
Spiele sind – am einfachsten direkt für
den internationalen Wettbewerb qualifizieren kann. Und die Pokalfeiern in
Berlin sind darüber hinaus, bekannter
Maßen, doch soooooooo schön. Allerdings ist der FCK sofort in der zweiten
Runde eine harte Nuss, die es erst einmal zu knacken gilt. Gut, wir haben sie zwar in der Donnerhalle am zweiten Spieltag geschlagen, aber ein Heimspiel in
der „Hölle“ Betzenberg – es gibt einfachere Spiele.
Selbstredend wird als Spitzenspiel des Tages der Klassiker,
der Evergreen, der Knüller VfL Osnabrück gegen den FC
Bayern im TV gezeigt. Das bedeutet für uns, dass wir relativ
spontan von der Planung, mit einer kleinen Truppe mit dem
Auto anzureisen, abrücken müssen und einen Kleinbus in
Anspruch nehmen, weil sich doch noch einige Bescheuerte
finden, die sich das Spiel live anschauen wollen. Wie sagte
doch Rudi kürzlich: „Den fetten Gänsen wird noch zusätzlich
der Arsch gepudert“. Oder zumindest so ähnlich.
Die Hinfahrt gestaltet sich überraschend angenehm, weil
lustigerweise die kleine Babyschildkröte hinten in der Mitte
über einen Tisch verfügt. So wird an der ersten Tanke kurzfristig angehalten, ein Kartenspiel gekauft und wir kloppen
bis zur Ankunft in der Pfalz Karten. Mau-Mau oder Schwimmen. Alles was nicht zu kompliziert ist, nicht zu lange dauert
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und bei dem man als Strafe fürs Verlieren kleine Pfläumchen,
Klopfer (das sind so fiese kleine süße Teile mit „a bissl Allohol
drin“, die einem langsam aber sicher die rechte und linke
Gehirnhälfte verkleben) oder Ähnliches trinken muss. Selbstredend, dass jeder versucht, so oft wie möglich zu verlieren.
Und als uns Toto dann in einem Moment der Schwäche noch
gesteht, dass er demnächst Papa wird, reißen alle Stränge.
Nicht nur, dass er sich vor Glückwünschen kaum noch retten
kann, sondern selbstverständlich ist Eierlikör und Roséwein
zur Feier des Tages Pflicht.
Ungefähr so müssen wir auch ausgesehen haben, als wir endlich kurz vor Anpfiff „uffe Betze“ ankamen. Dieser ist nur
halbvoll und vor allem immer noch eine nasskalte Baustelle.
Die Stimmung bei uns im Gästeblock ist jedenfalls prächtig.
Alle sind hoch motiviert und die Vorfreude auf einen Fußballkrimi, wie ihn Alfred Hitchcock sein Sohn nicht besser
hätte inszenieren können, ist groß. Königsblaue Euphorie
allen Ortes.
Eddy Hühnerfell lässt wieder eine offensive Truppe auflaufen. Vor allem auch Lincoln, der ja bekanntlich vor der Saison mit Schimpf und Schande aus Lautern weggeekelt wurde und im Tausch gegen Jochen Seitz an die Emscher kam.
Hoffentlich hält der Junge dem Druck stand. Von der ersten
Sekunde des Spiels an wird er bei jeder Ballberührung gnadenlos ausgepfiffen. Mehr Support kommt von den Lauterern
nicht rüber. Das Spiel ist zunächst hektisch, zerfahren aber
stets unter unserer Kontrolle. Auch die eine oder andere gute
Torchance schleicht sich so langsam für uns ein. Es dauerte
jedoch eine halbe Stunde bis zu unserem ersten Torjubel.
Kamphuis flankt dynamisch Richtung FCK-Strafraum, doch
seine Flanke wird durch einen Lauterer Spieler abgeblockt.
Den Abpraller erläuft sich Gustavo Varela mit einem famosen
Zwischensprint, dessen scharfe Hereingabe Ebbe Sand aus
sieben Metern trocken ins Tor schießt. 1:0 für die Blauen und
großer Jubel natürlich in unserem Gästeblock. Eddy Hühnerfells Erfolgssträhne scheint anzuhalten. Guter Mann! Und
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Ebbe hat in den letzten Spielen mehr Tore gemacht, als in
den letzten acht Monaten zusammen. Ist tatsächlich die DonJupp-Blockade weg? Danach läuft alles nach Plan. Ruhig und
abgeklärt wird die Führung, vom Mannschaftskapitän unter
dem Arm getragen, mit in die Pause genommen. Zeit für uns,
uns wieder einen Rosé auf Totos Nachkommen zu gönnen.
Dann noch einen weiteren für den restlichen Verlauf des
Spiels mit in den Block genommen – weiter kann es gehen!
Und es geht weiter – und zwar so, wie es aufgehört hat. Es
scheint, als könne heute nichts mehr anbrennen. Bis auf einmal, völlig überraschend, der kurz zuvor eingewechselte Selim Teber mit einem Sonntagsschuss den Ausgleich in der 60.
Spielminute erzielt. Alles fängt wieder von vorne an. Hoffentlich beginnt jetzt nicht wieder das große Zittern. Nur nicht
nervös machen lassen Jungs, ihr habt das Spiel im Griff! Pustekuchen. Nur zwei Minuten später, nachdem Asa eine Großchance vergeben hat, geht der FCK nach einem unglücklichen
Kopfballeigentor von Krstajic sogar – dem Spielverlaufe nach
völlig unverdient - mit 2:1 in Führung. Kommt ihr Blauen,
noch eine halbe Stunde zu spielen! Ärmel hochkrempeln und
kämpfen – wir packen das noch!
Die Anfeuerungsrufe bei uns im Gästeblock zeigen mir, dass
die anderen S04-Fans das Spiel genauso lesen wie ich. Ausgerechnet Lincoln erkämpft sich eine knappe Viertelstunde vor
Abpfiff den Ball von dem als Letzter Mann agierenden Lembi.
Dann ein schöner Doppelpass mit Asa, ein strammer Schuss
– Ausgleich. Wie ein kleines Kind hüpft Lincoln – zur Verärgerung der FCK-Fans – über den Platz und freut sich über
sein Tor, als wolle er sagen: „Euch habe ich es gezeigt!“. Aber
das Spiel geht ja noch weiter. Keine der beiden Mannschaften
denkt zu diesem Zeitpunkt an die Verlängerung – alles oder
nichts heißt es in der Schlussviertelstunde. Ein mitreißendes
Pokalspiel entwickelt sich. Ein Spiel, für das allein es sich
lohnt, Fußballfan geworden zu sein. Das Unglaubliche geschieht. Ebbe steht in der 90. Minute auf einmal frei vor dem
FCK-Keeper Ernst, umläuft ihn wie Alberto Tomba zu seinen
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besten Zeiten eine Slalomstange, und drückt die Pille locker
über die Linie. Alle Mühe, aller Kampf haben sich gelohnt.
Das Achtelfinale winkt. Die Jungs liegen alle auf dem Rasen,
ein einziges Mensch gewordenes Knäuel, und auch bei uns
im Block sieht es nicht anders aus.
Allerdings wissen wir ja nicht erst seit 2001, dass ein Spiel
in den seltensten Fällen nach exakt 90 Minuten abgepfiffen
wird. Während wir uns noch freuen, scheinen die Blauen im
Kopf auch schon bei der „After-Play-Party“ zu sein. Schneller
Anstoß der Lauterer, kurzer Pass auf Ingo Hertzsch, der legt
sich unbedrängt den Ball bis kurz vor dem Elfer vor, fasst
sich ein Herz und zieht einfach ab. Genau vor unseren Augen. Und was passiert? Richtig. Der Ball flattert ins Tornetz.
Ausgleich in letzter Sekunde. Zwei Tore in den letzten zwei
Minuten. Es ist nicht zu fassen. Der Schiri pfeift ab zur Verlängerung und die Blauen lassen allesamt die Köpfe hängen.
Den moralischen Vorteil haben jetzt sicherlich die Betzebuben auf ihrer Seite.
Kurze Zeit für einen Besuch an der Rosé-Station und schon
geht’s weiter. Die 95. Spielminute, die Partie also gerade erst
wieder angepfiffen. Wieder Selim Teber. Ein, ich denke mal,
sicherlich nicht unhaltbarer Schuss vom Strafraumeck findet
seinen Weg ins Tor. Wieder die Führung für den FCK. 4:3. Es
ist nicht zu fassen. Jetzt gehen wir ein, jetzt ist alles verloren,
wir können nach Hause fahren. Das singen und raten uns
zumindest die FCK-Fans. Aber wir Schalker sind bekanntlich
wie ein Stehaufmännchen und geben nie, zumindest seltenst,
auf. Erneut Halbzeit und Seitenwechsel. Noch eine Viertelstunde zu spielen. Die Blauen werfen jetzt alles nach vorne
und die Abwehr der Lauterer, unter enormen Druck gesetzt,
beginnt tüchtig zu schwimmen. Und das ohne Schwimmflügel.
Wir schreiben die 116. Spielminute. Unser Abwehrrecke
Mladen Krstajic möchte sich unbedingt gerne bei seinen
Mannschaftskameraden (und das finde ich sehr gut!) für sein
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Eigentor von vorhin entschuldigen und drischt mit einem
gekonnten Flugkopfball, nach Vorarbeit Asa, den Ball aus
kürzester Distanz und damit unhaltbar für Ernst in die Maschen. Erneuter Ausgleich. Unglaublich! Während diesmal
die FCK-Fans die Köpfe hängen lassen, findet man die wahre
Hölle auf dem Betzenberg gerade in unserem Block wieder.
Und nach der Jubelorgie noch drei Minuten zittern – dann
ist Abpfiff. 4:4 nach Verlängerung, es muss das bittere Elfmeterschießen geben, um einen Sieger dieser wahnsinnigen
Partie zu erzwingen.
Zeit, sich noch einmal kurz mit einem Getränk zu bewaffnen. Die Nerven, diese Anspannung. Es ist zum Wahnsinnigwerden. Die üblichen Fachsimpeleien. Wer tritt für uns an?
Welcher Lauterer schießt wohin? Wird Rost, obwohl er bis
hierhin sicherlich nicht seinen allerbesten Tag hat, doch noch
zum Helden des Tages? Geschossen wird auf die FCK-Kurve.
Zandi läuft an und trifft für den FCK, Böhme für uns. Danach
läuft Marco Engelhardt an – Rost hält. Er ballt die Beckerfaust. Unsere Kurve jubelt, die FCK-Fans schauen entsetzt
drein. Kobiashvili setzt nach und trifft. Erstmals die Führung für die Blauen. Der Zwillingsbruder von unserem Hamit
– Halil Altintop – scheitert ebenfalls an Rost. Beckerfaust,
Jubel, doppeltes Entsetzen. Hochdramatisch geht es weiter.
Krstajic läuft an und verschießt. Es bleibt bei der knappen
2:1-Führung für uns im Elferschiessen. Hertzsch gleich zum
2:2 aus. Ebbe erhöht auf 3:2. Wenzel wiederum gleicht aus.
Und nun der eventuell entscheidende Elfer.
Lincoln schnappt sich den Ball und hat den Sieg, die uneinholbare 4:3-Führung, auf dem Fuß. Ist er sicher, sich das
antun zu wollen? Behält er die Nerven? Gerade Lincoln, der
die gesamten 120 Minuten nur ausgepfiffen und beschimpft
wurde. Ausgerechnet er soll an alter Wirkungsstätte die Nerven bewahren und uns bei diesem Pokalkrimi ins Achtelfinale
schießen? Eddy wird sich was dabei gedacht haben. Bis in die
Zehenspitzen bin ich versteift. In unserem Block recken sich
die Hälse ellenlang in die Höhe, während man einen Steck85
nadelkopf fallen hören könnte. Bitte mach ihn rein Lincoln!
Er läuft an, verlädt Ernst und der Ball fliegt, fliegt und fliegt
- hinein ins Netz.
Der gesamte königsblaue Trainerstab hüpft über den Platz
und liegt sich in den Armen. Ebenso sieht es in unserer Kurve aus. Nur Lincoln schluchzt, jetzt wo der Druck von ihm
weicht, im Freudentaumel der anderen leise vor sich hin.
Währenddessen ergreifen die roten Fans fluchtartig das Weite. 8:7 nach Elfmeterschießen gewonnen, wir sind im Achtelfinale, der dritte Sieg unter Eddy Hühnerfell. Der S04 ist
wieder da!
86
25.09.2004
Hannover 96 – Schalke 04 • 1:0
Mit dieser Miniserie und der dazugehörigen Euphorie im Rücken geht es
heute zu Hannover 96. Die sind zum
jetzigen Zeitpunkt Tabellenletzte. Es
sollte für unseren Erfolgscoach Eddy
Hühnerfell also hoffentlich ein Leichtes
sein, die kleine Siegesserie auszubauen
und unsere Jungs hochmotiviert und
selbstbewusst ins Spiel zu schicken.
Die allgemeine Stimmung auf Schalke
nach dem sensationellen Spiel auf dem
Betzenberg ist – nicht nur Dank „guteLaune-Eddy-Hühnerfell“ – super. Vor allem die königsblauen Spieler haben spürbar wieder Freude und Spaß am Kicken,
an herzerfrischendem Offensivfußball. Und da wir Fans uns
natürlich schnell angesteckt haben, fährt heute einmal mehr
eine gut gefüllte Schildkröte in die Heimat des Kanzlers.
Unterwegs gibt es noch ein wenig Nachhilfe in Geschichte, als
uns Rudi nämlich den Ursprung des Stadtnamens erläutert.
Oder wusstet ihr etwa, warum Hannover „Hannover“ heißt?
Ganz einfach: Als Ende des zweiten Weltkrieges die Stadt
durch die Alliierten erst besetzt und dann befreit wurde, hatte
die „Hann“, der ortsansässige Fluss, Hochwasser und die GI’s
sprachen verwundert folgendes aus: „Oh, look over there. The
Hann is over!“. Und so entstand der Name Hannover. Was
man auf Auswärtsfahrten alles lernen kann...
Mit weiterem Blödsinn steigert sich die Stimmung bis nach
Hannover noch und als uns direkt vor dem Stadion auch
noch eine Kirmes anlächelt, erhält das Spiel für einen kurzen Zeitpunkt nur einen nebensächlichen Charakter. Mit der
gesamten Truppe eine Runde über den Rummel gegangen,
die Plauze ordentlich voll gehauen – auf geht’s ins Stadion.
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Das heißt im übrigen jetzt, nachdem der Umbau abgeschlossen ist „AWD-Arena“. Einmal mehr freue ich mich darüber,
dass wir es bei uns auf Schalke – zumindest bis heute – geschafft haben, zu vermeiden unserer Hütte einen ähnlich
schäbigen, kommerziellen Namen zu geben. Natürlich sind
uns die Zwänge und Automatismen des professionellen Profifußballs bekannt, die Praktiken und Geschäftstätigkeiten
unserer Fußballclubs – die ökonomisch betrachtet nichts
anderes sind als mittelständische Wirtschaftsunternehmen.
Und trotzdem, der Fußballgott möge mir vergeben, gehe ich
wesentlich lieber immer noch „auf Schalke“ als in die AWD-,
Toffifee-, Meister Propper-, Playmobil-, VW-, Tempo-, Allianz-, AOL-, Bayer- oder sonst was Arena. Bitte, liebe Verantwortlichen des S04, liebe Königsblauen, sorgt und kämpft mit
uns gemeinsam dafür, dass es auch in Zukunft so bleibt!
Hinein ins neue Stadion! Der Stehplatzbereich für die Gästefans befindet sich direkt unter dem Dach. Man ist damit zwar
sehr weit weg vom Spielfeld, aber trotzdem sieht die Hütte eigentlich ganz nett aus. Die Stimmung unter den rund 4.000
Schalkern ist heute eher mau. Komisch eigentlich, nach dieser Serie. Aber ich muss dem sofort hinzufügen: Das Spiel,
das heute da unten auf dem Rasen stattfindet, ist aber auch
wirklich eher lau. Eigentlich gibt es darüber auch kaum etwas
zu berichten. Ein tristes Ballgeschiebe ohne wirkliche große
Torchancen hüben wie drüben läuft ab der ersten Spielminute
auf ein müdes 0:0 hinaus. Vielleicht stecken der Truppe, die,
wie am Mittwoch, frei nach dem Sprichwort „never change a
winning team!“, aufläuft, noch die Strapazen des Pokalspiels
in den Knochen. Auch die Hannoveraner mussten in ihrem
Pokalspiel bis in die Verlängerung. Keine guten Vorzeichen.
Und so plätschert das Spiel müde vor sich her. Unentschieden – nicht mehr und nicht weniger – wäre letzten Endes
auch für beide Teams verdient gewesen.
Und wie es nun einmal so ist, passiert dann doch noch etwas.
Lässig und pomadig verliert der gerade zuvor eingewechselte
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Sven Vermant im Mittelfeld (ich rege mich jetzt NIIIIICHT
darüber auf!!!), ohne danach nachzusetzen, den Ball an
Christiansen. Da die Blauen in diesem Moment alle in der
Vorwärtsbewegung sind, hat dieser leichtes Spiel, passt zu
Clint Mathis, der den Ball zum 1:0 Siegtor in der 83. Spielminute, unhaltbar für Rost, aus sieben Metern ins Tor drischt.
Das war es. Nach der kleinen Siegesserie unter Eddy bringt
uns dieses Spiel die erneute Ernüchterung. Zumal, von der
spielerischen Klasse her gesehen, heute bei Normalform viel,
viel mehr für uns zu holen gewesen wäre.
Ein enttäuschter Rudi Assauer verkündet direkt nach dem
Spiel - mindestens ebenso sehr enttäuscht und gefrustet wie
wir - das Ende der Trainerlosigkeit auf Schalke. Mal schauen, wen sie uns da aus dem Hut zaubern. Und hoffentlich
behalten sie zumindest Eddy im Trainerstab. Und wenn wir
die vergangenen Tage Revue passieren lassen, sieht es so
schlecht wie nach der Niederlage im Wolfsburgspiel ja nun
auch nicht aus. Vom drohenden Abstiegsgespenst hat man
flüchten können und im DFB-Pokal und im UEFA-Cup haben
wir die nächste Runde (so gut wie) erreicht. Es hätte schlimmer kommen können.
Daher gönnen wir uns während der Rückfahrt noch ein bis
zwei Helle und beginnen mit den üblichen Raterunden über
die Besetzung des Traineramtes auf Schalke.
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30.09.2004 - UEFA-Cup (1.Runde, Hinspiel):
Metalurgs Liepaja – Schalke 04 • 0:4
Christoph Daum. Olaf Thon.
Berti Vogts. Branko Oblak.
Ottmar Hitzfeld. Edgar Davids & Marc van Bommel
(Spielertrainer). Udo Lattek.
Max Merkel. Helmut Schön.
Ich könnte die Liste noch
ellenlang fortführen, so viele verschiedene Trainernamen wurden in den letzten Tagen genannt, wenn es um die
Neubesetzung des Trainerpostens auf Schalke ging. But the
winner is: Ralf Rangnick, den unser Assi prompt auf der offiziellen Pressekonferenz mit „Rolf“ Rangnick den Medienvertretern präsentiert. Klar, dass er sofort seinen Spitznamen
auf Schalke weg hat. Rolf – alias Ralf – Rangnick. Ein Trainer, den sicherlich nicht jeder auf der Rechnung hatte und
der den Beinamen „Professor“ trägt. Hat er sich doch in früheren Tagen mit seiner belehrenden und besserwisserischen
Art unbeliebt gemacht.
Auf jeden Fall ein Trainer der „jungen Generation“ und ohne
Zweifel ein ausgewiesener Fachmann. Darüber hinaus eine
weitere Neuverpflichtung auf Schalke, die ganz eindeutig die
Handschrift unseres Teammanagers Andreas Müller trägt.
Ein weiteres Indiz dafür, dass Rudi doch in der Lage ist, immer mehr los zu lassen?
Sympathisch macht den Rolf jedoch sofort, dass er im Rahmen der Pressekonferenz erläutert, dass er die Mannschaft
in den vergangenen Tagen mehrfach genauestens beobachtet
habe und er nach Schalke gekommen sei, weil er der festen
Überzeugung sei, mit dem vorhandenen Spielerpotential,
trotz des nicht so wahnsinnig erfolgreichen Saisonstarts,
noch ganz oben angreifen zu wollen. Das hört sich doch schon
besser an als bei Don Jupp. Erfreulich darüber hinaus noch 90
für mich jedenfalls - die Entscheidung unseres Managements
auch in Zukunft, trotz des Trainerwechsels, im Trainerstab
unbedingt weiterhin mit Eddy „Hühnerfell“ Achterberg zusammenarbeiten zu wollen.
Der wird Rolf Rangnick in den vergangenen Tagen sicherlich auch hilfreich zur Seite gestanden haben, als es in seiner
ersten Trainingseinheit hieß: Mannschaft kennen lernen und
ohne viel Zeit zu verlieren sofort auf das heutige UEFA-CupSpiel in Lettland vorbereiten.
Als das Los „Liepaja“ vor einigen Wochen gezogen wurde,
blickte die ganz Schalker Fangemeinde fragend auf die Landkarte und begab sich auf die Suche des Erstrundengegners.
„Wo zum Teufel liegt Libau eigentlich?“ fragten sich unzählige königsblaue Herzen. Bei dem kleinen Fleckchen „Lettland“
im Baltikum blieb dann der Finger auf der Landkarte kleben
und die ersten Anreisemöglichkeiten wurden umgehend gecheckt.
Letztlich begleiteten rund 150 Knappen unsere Schalker zum
(durch den 5:1-Heimspielsieg relativ unwichtig gewordenen)
Erstrundenrückspiel des UEFA-Cups nach Libau. Neben den
üblichen „Tagesfliegern“ und den ganz hart gesottenen „Busfahrern“ zog es unter anderem auch uns, eine Kombo von
insgesamt 15 Leuten, in einer selbst zusammengestellten
Riga- und Liepajatour, ins Baltikum.
Ruckizucki die Flüge bei der „AirBaltic“ gebucht, einen
Reiseführer gekauft - schon stand der Tour in die lettische
Hauptstadt nix mehr im Wege. Von Köln aus fliegen wir an
diesem Mittwoch in aller Herrgottsfrühe los und der lettische
Albatros landet – inkl. Zeitverschiebung – pünktlich gegen
Mittag in Riga. Wir begeben uns umgehend ins Hotel und erkunden die mittelalterliche City der Hansestadt. Es wird das
gesamte königsblaue Programm aufgefahren: In zwei Worte
gefasst – Kultur (jede Menge Sehenswürdigkeiten – Riga ist
eine Reise wert!!!) und ausgezeichnete Gastronomie.
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So neigt sich ein anstrengender, aber wunderschöner Tag bei
Bier & Balsam (einem milden, pechschwarzen, einheimischen
Kräuterlikör mit 45 Umdrehungen) und feinsten Speisen zu
ausgesprochen zivilen Preisen dem Ende entgegen. Wobei es
einige in dieser Nacht mit dem „Balsam für die Seele“ scheinbar übertrieben haben.
Als wir uns nämlich am nächsten Morgen gegen 9 Uhr am
Busbahnhof in Riga treffen, um eine lettische Schildkröte
zu besteigen, die uns über Weiden und Wälder ins ca. 200
km entfernte Libau bringen soll, wirken einige Teilnehmer
nicht wirklich frisch. Dieser Eindruck sollte sich während
der ca. vierstündigen Busfahrt durch eine wunderschöne,
moorastige Waldlandschaft auch bestätigen. Es kommt zu
zwei krankheitsbedingten Zwischenfällen der Marke „Horst“
– allerdings ohne gravierende Konsequenzen.
In Libau angekommen, wird auch hier umgehend Quartier
bezogen und die Stadt besichtigt. Vom Glanz der alten Zeiten,
als die Zaren in dieser Stadt residierten und ihre Urlaube an
der Ostsee verbrachten, ist zwar nicht mehr viel übrig geblieben, nachdem jedoch die 25.000 russischen Soldaten aus
dem zweitgrößten Militärhafen der ehemaligen UdSSR abgezogen sind, gewinnt die Stadt einiges von ihrem Charme und
Flair wieder zurück. Auch hier speisen wir prima für wenig
Geld und machen uns dann auf den Weg zum Stadion. Wobei
Stadion durchaus ein dehnbarer Begriff zu sein scheint. Auf
jeden Fall hat es etwas Nostalgisches an sich, mal wieder in
einem solchen Oval mit Kreisklasseambiente vor einigen 100
Zuschauern ein Pflichtspiel zu verfolgen.
Souverän wird, wie zu erwarten, das Spiel mit 4:0 (1 x Sand
und 3 x Hanke) gewonnen und man begibt sich zurück in die
Innenstadt, während der Rest des Schalker Anhanges - die
einen per Flieger, die anderen per Bus – die Heimreise antreten. Wir verbringen noch einen feucht-fröhlichen Abend miteinander und sind einmal mehr sehr positiv von der enormen
Deutschfreundlichkeit und Gastfreundschaft überrascht. Das
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gibt es auch nicht überall. Und als wir Stunden später (es ist
mittlerweile erneut tief in der Nacht) für kurze Zeit unser Bett
besuchen gehen, tanzen die Letten noch munter weiter.
Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Am nächsten
Mittag bringt uns der Bus wieder zurück nach Riga, wo wir
den Tag – bei feinstem Sonnenschein – noch angemessen
ausklingen lassen. Natürlich wieder mit Sightseeing, Bier &
Balsam. Am nächsten Morgen geht es in aller Herrgottsfrühe
zum Flughafen, von wo aus wir die Heimreise gen Köln antreten. Letztlich sind wir nur knappe vier Stunden nach den
Busfahrern zurück in GE. Sie haben schlappe 31 (!!!) Stunden
gebraucht!
93
02.10.2004
Schalke 04 – VfL Bochum • 3:2
Kaum aus Lettland wieder gelandet,
kaum aus dem Flieger gestiegen, ist
heute auch schon wieder Derbytime. Dieses „kleine Derby“, auch das
„Straßenbahnduell“ genannt, ist
sicherlich nicht so spektakulär und
vor allem nicht so brisant wie das
gegen die KGaA aus der Nähe von
Lüdenscheid. Aber trotzdem messen wir Fans ihm große Bedeutung
zu. Haben wir mittlerweile seit Urzeiten gegen die KGaA nicht mehr
verloren, so haben uns doch gerade
die grauen Mäuse in den letzten Jahren mehrfach geärgert
und uns das Leben in der Liga schwer gemacht.
Ich denke da nicht nur an das Auswärtsspiel in der Saison
2001 sondern auch an unsere Heimniederlage in der Vorsaison. Obacht also, ihr Blau-Weißen! Da gilt es die klaren
Machtverhältnisse im Pott wieder gerade zu rücken. Bei einem Sieg könnten wir im günstigsten Falle, zumindest bei
der derzeitigen Tabellenkonstellation, bis ins vordere Tabellendrittel vorstoßen. Hoffentlich Motivation genug, liebe
Knappen! Ihr habt auch noch was gut zu machen, wenn ich
an den Kick letzte Woche in Hannover denke.
Irgendwie steckt der Lettland-Flug mir dann doch noch in
den Knochen. Vielmehr die gesamte Tour. Der Lettland-JetLag. Fast auf direktem Wege geht es vom Flughafen zum Café
Central. Natürlich habe ich vorher kurz die Fiene angerufen
um Bescheid zu geben, dass ich wieder heil & gesund in der
Heimat angelangt bin. Nach zwei pechschwarzen Kaffee im
Stammlokal fahren wir in einer bunt gemischten Bahn zur
Donnerhalle. Wenigstens tragen die VfL’er ebenfalls blaue
Schals. Ist irgendwie schon lustig. Wenn man überlegt, dass
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die Fahrt mit der 302 bis zur Donnerhalle hinterm Kanal
für mich fast genauso lange dauert wie die Fahrt in die entgegen gesetzte Richtung zum Ruhrstadion. Und wenn man
dann noch bedenkt, dass man in dieser Zeit theoretisch 43
Stadtgrenzen im Pott überqueren kann, sollte man doch tatsächlich noch einmal verstärkt über eine „Ruhrstadt“ nachdenken. Aber das geht die Politik etwas an. Wir sind heute
zum Fußball gucken hier. Lasst das Spiel beginnen!
Zwar ist erstmalig Ralf Rangnick bei seinem Heimspieldebüt im Rahmen eines BundesligaSpiels für das Team verantwortlich, trotzdem trägt die Mannschaftsaufstellung noch
die Handschrift von Eddy. Alles richtig gemacht, denn zur
Halbzeit werden die Blauen mit stehenden Ovationen in die
Kabinen begleitet. Zu diesem Zeitpunkt führen wir nämlich
bereits mit sage und schreibe 3:0.
Die Donnerhalle ist ein Freudenhaus. „Die Nummer eins im
Pott sind wir!“ schallt es bei handgemessenen 182 Dezibel
aus 60.000 freudetrunkenen Kehlen.
Die zweite Hälfte wird wieder angepfiffen und sofort hat Lincoln die Chance auf 4:0 zu erhöhen. Na prima, denke ich mir
noch. Nur nicht nachlassen! Prompt fällt in diesem Moment
der Bochumer Anschlusstreffer zum 3:1. Der in der Halbzeit
eingewechselte Zvejzdan Misimovic (den Namen habe ich
vorher noch nie gehört) steht plötzlich frei vor Rost und trifft
aus zehn Metern unhaltbar für Frank. Statt eines sicher geglaubten Sieges schleicht sich bei den Blauen der Schlendrian
ein und die Partie entwickelt sich auf einmal zu einem packenden, turbulenten und dramatischen Revierderby voller
Emotionen. 65. Spielminute: Nach eine Ecke der Bochumer
verliert Kamphuis einen sicher geglaubten Ball. Ähnlich wie
Vermant vor sieben Tagen in Hannover. So etwas Bescheuertes! Der Bochumer Innenverteidiger Raymond Kalla steht
noch in der Mitte des Sechzehners und netzt freistehend aus
sechs Metern ein. Nur noch 3:2.
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Die Blauen verteidigen nur noch mit Mann und Maus während die Bochumer alles nach vorne werfen. Aus Sicht eines
Schalke-Fans kann man nur noch den treffenden, kriegerischen Begriff „Abwehrschlacht“ ins Spiel bringen. Und hätten
wir keinen Frank Rost hinten drin stehen, wäre der Ausgleich
sicherlich schon längst gefallen, so sehr sind die Bochumer
am Drücker. Zwar erhalten beide Teams von ihren jeweiligen
Fans die volle Unterstützung, doch trotzdem muss ich zugeben: Der Ausgleich liegt in der Luft. Zu diesem Zeitpunkt des
Spiels haben uns die Bochumer voll im Griff. Jede Sekunde die gerade vergeht, kommt mir wie eine gefühlte Stunde
vor.
Es folgt die vielleicht Spiel entscheidende Szene des Spiels,
die 80. Spielminute. Der völlig ausgelaugte und ausgepumpte
Lincoln trabt langsam zur Auswechselbank, soll durch den
frischen Varela ersetzt werden. Noch ein letztes Umdrehen
und Klatschen zur Nordkurve – das geht dem nervösen Schiri zu weit und vor allem zu langsam. Eine Szene, wie es sie
bei jedem stinknormalen Fußballspiel x-fach gibt, führt zu
einer gelben Karte. Und da Lincoln bereits eine erhalten hatte bedeutet dies: Gelb-Rot! Die Blauen für die letzten zehn
Minuten in Unterzahl. Die Donnerhalle kocht vor Wut! So
eine Frechheit – so etwas kann auch nur bei uns Schalkern
passieren! Spontan muss ich an die rote Karte für Gustavo
Varela denken, die bis heute auch die einzige in der Liga geblieben ist, für die so genannte „Rudel-Bildung“ beim Spiel
in 1860 vor drei Jahren.
Im Nachhinein muss ich allerdings sagen: „Danke, Herr
Schiedsrichter Stark“. Auf einmal sind die Blauen wieder
hellwach. Die Donnerhalle ist ein Hexenkessel. Herrlich,
diese aggressive Stimmung! Und so schaukeln wir das Spiel,
welches wir ansonsten in unserer Lethargie vielleicht sogar
noch verloren hätten, doch noch klug über die Zeit. Erster
Saisonsieg im ersten Spiel für Ragnick, der dritte Saisonsieg
im siebten Spiel, Platz sieben in der Gesamttabelle. Schon
sieht die Schalker Welt ein wenig fröhlicher aus.
96
16.10.2004
FC Bayern München – Schalke 04 • 0:1
Eigentlich kommt es äußerst
selten vor, dass die Vorbereitung auf ein Spiel bereits am
Abend vorher beginnt. Heute
ist es allerdings mal wieder
so weit. Am frühen Mittag hat
unser dritter Vorsitzender des
Supporters Clubs, der Rabe,
seine Claudia im Schloss zu
Horst geheiratet und von da ab ist natürlich Party satt angesagt.
So sitze ich am Freitagabend, wie es sich gehört mit Hemd
und Jackett, im Schacht Bismarck und labe mich an Leckereien und koste den feinen Rotwein. Später geht es dann
über zu Schnaps mit Fanta und als wir dann alle so richtig
in Stimmung sind, kündigen wir über das Mikrofon, unter
dem Jubel der anwesenden Gäste und zur Bestürzung der
Braut an, dass es gleich eine spektakuläre Braut- samt Bräutigamentführung geben wird: Um Punkt zwei Uhr würde die
Schildkröte mit der gesamten Hochzeitsgesellschaft ab zum
Auswärtsspiel nach München düsen. Natürlich ist die Braut
hellauf „begeistert“ und nachdem wir sie ein wenig haben
zappeln lassen, offenbaren wir ihr, dass eigentlich nur ich um
zwei Uhr direkt von hier aus in den Bus fallen werde. Mann,
war sie erleichtert.
Leicht angesäuselt steige ich um zwei Uhr in die Kröte und
nehme den kuscheligen Fensterplatz neben Kurti ein. Während ich im sanften Licht des Mondes die Bäume entlang der
Sauerlandlinie taxiere, frage ich mich, wie oft ich eigentlich –
nur des Fußballes wegen – schon diese elendig lange Strecke
in die bayerische Landeshauptstadt gefahren bin. Ich glaube,
ich kenne mittlerweile jeden einzelnen Kilometerstein, jeden
Baum den wir passieren, mindestens so gut wie das Innere
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meiner Sporthose. Und trotzdem ist diese Tour eine Reise
wert. Mehr als das. Und einen leicht nostalgischen Touch hat
unser heutiges Gastspiel in München auch. Zumindest wenn
der DFB-Pokal uns keinen Strich durch die Rechnung macht.
Es ist unser letzte Spiel im Münchener Olympiastadion.
Stunden später fahren wir an der Baustelle der neuen „Allianz-Arena“ vorbei und die bloßen Ausmaße sind schon imposant. Aber im Focus liegt für uns erst einmal der Biegarten
am Olympiaturm, traditioneller Treffpunkt für uns vor den
Spielen beim FC Bäh. Ob es auch hier unser letztes Gastspiel sein wird? Wir stärken uns tüchtig mit deftiger Hausmannskost und Maßbier und kurz vor unserem Aufmarsch
zum Stadion lässt sich erneut festhalten: Der Laden ist fest in
königsblauer Hand! Einige kleinere Scharmützel mit irgendwelchen arroganten Bazen, die außer ihrem Dorf und dem
Olympiastadion wohl noch nie was anderes von der schönen,
großen, weiten Welt zu sehen bekommen haben, sind vorprogrammiert, jedoch harmlos. Gehört einfach dazu!
Ich schnappe mir unseren „Strauch“ und seinen Frankfurter
Kumpel und wir nehmen die Gipfelbesteigung des Hügels
im Olympiapark in Angriff. Völlig außer Atem, als hätten wir
gerade einen Dreitausender bestiegen, oben angekommen,
freuen sich die zwei darüber, dass es nach dem Aufwärts auch
immer wieder ein Abwärts gibt. Ich hoffe, dass dies nicht für
unseren derzeitigen Spielrhythmus gilt. Mit ein wenig Glück
könnte doch ein Punkt, als Abschiedsgeschenk, aus dem
Stadion mit der schönen Frey-Otto-Glasdachkonstruktion
zu holen sein.
Wir sind drin. Ich schätze mal, beim Blick über das weite Oval
der Betonschüssel, das heute gut und gerne 5.000 Schalker
den Weg in die ausverkaufte Olympiabude gefunden haben.
Rein optisch betrachtet ein riesiger Unterschied, ob die Hütte, wie man nur allzu oft am Fernseher verfolgen kann, mit
10.000 Leuten gefüllt, oder, so wie heute, rappelvoll, ist.
Traurige Zustände herrschen hier eigentlich. Ob sich das
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bei diesem Publikum im neuen Stadion ändern wird? Kaum
vorstellbar. Jeder gescheite Bub, der in München selbst groß
wird, geht automatisch, weil er kultiviert ist, zu 1860. Alle
anderen Besucher des Stadions bei Bayern-Spielen bestehen
zu 90 % aus Publikum. Im Fachjargon auch Erfolgs- oder
Modefans, Stadiontouristen genannt. Allenfalls Sympathisanten – jedoch keine wahren Fans so wie wir es kennen und
für uns definieren. Das Wort „Fan“ kommt immerhin vom
Wort „fanatisch.“
Das Problem an der Sache ist, dass diese Sympathisanten
natürlich unterhalb der Woche nicht zu einem Spiel kommen.
Der Würstchen-Ulli und der Kaiser-Firle-Franz weinen und
jammern dann immer in die TV-Kameras hinein. Sie versuchen dem Zuschauer zu erklären, dass ihr Stammpublikum
doch unterhalb der Woche nicht so eine weite Anreise tätigen
könne. Unzumutbar! Klägliche Erklärungsversuche! Vergessen sie doch dabei gerne, dass so etwas bei einem Kultverein
mit Tradition, Mythos, Charme, Charakter, Zauber, Charisma
undenkbar ist.
Nehmen wir zum Beispiel den ruhm- und glorreichen FC
Schalke 04. Da kannst du Dienstagsabends bei minus 10°
C ein Freundschaftsspiel gegen Stacheldraht Moskau oder
Barfuß Jerusalem ansetzen und die Donnerhalle ist trotzdem
voll - obwohl auch hier die treuen Fans aus ganz Deutschland
kommen. Ach, was rede ich: Bei uns braucht man nur das
Flutlicht anzuknipsen und schon platzt die Hütte aus all ihren
Nähten. Ihr wisst schon. Ich könnte mich wieder aufregen.
Halten wir es mit den Hosen: Nie im Leben würde ich zum
FC Bayern München gehen!!!
Das Spiel beginnt. Die 5.000 Schalker supporten das Trompeten blasende Kinderpublikum des FC Bäh – auch Regensburger Domspatzen genannt - in Grund und Boden. Andere
sind nur im Stadion, um, mit weißen Regenjacken gekleidet,
gelangweilt ein großes „T“ auf der Gegengerade zu bilden.
Hut ab allerdings vor einigen couragierten Münchenern, die
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von Beginn des Spiels an den Mumm haben ihrem Vorstand
zu trotzen, indem sie Spruchbänder empor halten, auf denen
die Versitzplatzung der Fankurven in der neu entstehenden
Arroganz-Arena scharf kritisiert wird.
Zum eigentlichen Sinn und Zweck unseres Besuches – Punkte klauen! Rolf lässt heute mit Asa, Ailton und Ebbe wieder mutig mit drei Spitzen spielen. Ein scheinbar genialer
Schachzug, denn als der souverän pfeifende Schiedsrichter
nach 45 Spielminuten die zwei Teams zum Pausentee bittet,
gibt es von den Rängen für die Millionarios des FC Bäh ein
gellendes Pfeifkonzert. Keine einzige Chance hat unsere, das
Spiel kontrollierende, Formation zugelassen. Natürlich auch
Dank Marcelo, der den „Rheuma-Kai“ ziemlich blass aussehen lässt.
Die Bayern sind mehr damit beschäftigt, unsere drei Stürmer
im Schach zu halten, als ihre in Szene zu setzen. Man muss
halt Prioritäten setzen. Gut gemacht Rolf! Die haben doch
tatsächlich großen Respekt vor uns. Bezeichnenderweise gab
es die einzige echte Tormöglichkeit für unsere Blauen. Asa
spielt den Mann mit ohne Hals frei, der jedoch in der 25.
Spielminute aus zehn Metern an dem Kahnsinnigen scheitert. Das war es eigentlich auch schon. Den Rest der Zeit
plätscherte das Spiel eigentlich nur ohne große Höhepunkte
vor sich hin.
Etwas schwungvoller kommen die Spieler des Rekordmeisters allerdings zur zweiten Runde aus der Kabine und setzen
die Blauen verstärkt unter Druck. Ohne jedoch dabei zwingend zu agieren. Ein Schüsschen in die Wolken von Lucio,
daher auch nur die magere Ausbeute. Hier ist heute doch
tatsächlich was drin! Und als hätten die Blauen mich gehört,
sind sie es, die auf einmal einen Gang zulegen. Weitschuss
von Kobi – nur knapp am linken Winkel vorbei (58.). Asa aus
nur acht Metern knapp über das Tor (70.). Wir nähern uns
der magischen Torlinie. Dann der große Moment in dem der
Elefant das Wasser lässt, in dem der Knoten platzte:
100
Altintop bringt einen Freistoß für Königsblau von der linken
Seitenauslinie aus gut und gerne 35 Metern Entfernung in
des Gegners Strafraum. Zur Freude von uns allen steht genau
dort, wo der Ball sich senkt, unser seit Wochen überragend
spielender Asa. Und zwar völlig frei und unbedrängt. Tja, und
da man ja bekanntlich, wenn man nicht weiß wohin mit dem
Ball, ihn am besten ins Tor schießt, fasst sich unser Asa ein
Herz und wagt das unmöglich Geglaubte. Eine Majestätsbeleidigung. Ob das nicht noch ein Nachspiel haben wird?
Er fixiert den Ball, der wie durch Geisterhand herunter gezogen wird, nimmt Maß und wuchtet ihn mit dem Kopf aus fünf
Metern – unhaltbar für Kahn – in die Maschen. 1:0-Führung
in der 75. Spielminute für uns bei den Bayern. Jubelnd liegen
sich die Spieler in den Armen, wir tun es ihnen gleich. Was
kann es schöneres geben?
Und um es vorweg zu nehmen: Es war das Tor des Tages,
denn auch in der Schlussviertelstunde geriet unser Sieg nie
in Gefahr. Die Führung hielten unsere Jungs rund um Marcelo ganz fest in ihren Armen und gaben sie auch nicht wieder her. Schön im Übrigen noch, dass bei der Auswechslung
des Mannes des Tages, unserem Nationalspieler „Blondie“,
selbst das Publikum, welches eigentlich dem FC Bayern die
Daumen drückte, heftig Beifall klatschte. Nach drei aufeinander folgenden Niederlagen, ohne eigenen Torerfolg, auf des
Gegners Platz gelingt uns ausgerechnet bei den Schalendieben der erste, verdiente, Auswärtssieg. Ich würde sagen: So
langsam geht die Saison für uns richtig los!
101
21.10.2004 UEFA-Cup (1. Spiel, Gruppenphase):
Schalke 04 – FC Basel • 1:1
Und wieder steht uns eine englische Woche ins Haus. Hurra!
Ich habe noch nie verstanden,
wie man sich über drei Spiele in
einer Woche beschweren kann.
Substanzverlust, Kräfteverschleiß
und was man da nicht alles hört.
Sicherlich alles nicht falsch – aber als Profi doch sicherlich
schöner, als zwei knochenharte Trainingseinheiten am Tag.
Zumindest sehe ich das als Hobbysportler so. Heute nun also
unser Debüt im neu formierten und umstrukturierten UEFACup gegen den Schweizer Meister FC Basel. Eigentlich schon
gleich im ersten Spiel ein Knüller - Gott sei Dank aber auch
gleich ein Heimspiel.
Es folgt ein Auswärtsspiel in Edinburgh, ein Heimspiel gegen Budapest und letztlich ein Auswärtsspiel in Rotterdam.
Die ersten drei der Gruppe ziehen in die nächste Runde ein,
die dann wieder im traditionellen KO-System ausgetragen
wird. Müsste zu packen sein. Vor allem auf das Auswärtsspiel in Schottland freue ich mich ganz besonders. Ich war
damals mit meiner Abi-Stufe schon einmal zehn Tage lang
da. Eine geniale Stadt. Umgehend laufen die Planungen zu
einer Übernachtungstour an.
Aber heute fallen die „Blau-Roten“, wie man die äußerst „netten“ Fans des FC Basel nennt, in unsere Heimatstadt – die
dementsprechend eher einem Hochsicherheitstrakt gleicht
- ein und bringen tatsächlich einen ordentlichen Batzen Fans
mit. Von denen dürften einige viele unser Stadion wohl nicht
gesehen haben. Die Welt zu Gast bei Freunden!
Trotzdem schaffen es einige Baseler, sich in unserer Stadt zu
verirren und landen schließlich bei uns im Café. Nette Jungs.
Gemeinsam mit ihnen fahren wir Richtung Donnerhalle. Äu102
ßerst beeindruckt zeigen sie sich von diesem imposanten Bau
und bevor sich unsere Wege hier trennen, wünschen wir uns
gegenseitig noch ein schönes Spiel.
Die Arena ist wie immer bis auf den allerletzten Platz ausverkauft und die Stimmung, Dank der Siegesserie, bestens.
Rangnick lässt die Elf spielen, die in München die Punkte
einfahren konnte. Lediglich Lincoln rutscht für Ailton ins
Team. Von der ersten Minute des Spiels an fällt auf, wie taktisch klug und diszipliniert die Schweizer spielen. Ein wahres
Klasse-Team, das nicht umsonst in der letzten ChampionsLeague-Saison den ganz, ganz Großen mehrfach ein Bein
stellte.
Trotzdem starten wir deutlich besser, denn bereits in der achten Spielminute passiert folgendes: Kobi tänzelt rund 20 Meter vor Pascal Zuberbühlers Kasten seinen Gegenspieler aus
und zieht mit Links trocken ab. Sekundenbruchteile später
zappelt der Ball, links im Winkel eingeschlagen, unhaltbar für
den Baseler Schlussmann im Netz. Ein Auftakt nach Maß!
Während die komplett auf Sitzplätze umgerüstete Donnerhalle nach diesem optimalen Start aufsteht und jubelt, scheint es
im Baseler Block doch zu einigen Unstimmigkeiten zu kommen. Rauchzeichen werden gegeben und umgehend schreitet
die Staatsmacht ein, um zur Hilfe zu eilen. Die Aufregung legt
sich – alles nur ein Missverständnis – und die volle Konzentration gilt wieder dem grünen Rasen. Im weiteren Verlauf
der ersten Spielhälfte haben die Knappen das Spiel eigentlich
ganz gut im Griff. Allerdings bleibt es bis zur Pause bei dieser
knappen Führung.
Kurz den alten Portemonnaie-Trick aus der Tasche gezogen:
Raus aus dem Stadion, Chipkarte dabei wieder frei schalten
lassen, ein leckeres verbleites Veltins an der Bierbude geordert, wieder rein mit der Chipkarte. Da das Ganze geschlagene zehn Minuten dauert, geht’s auch sofort wieder los.
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Auch jetzt plätschert das Spiel weiter vor sich hin und es
dauert bis zur 60. Minute, bis zum ersten Mal der Ball wieder Richtung Tor fliegt. Der überragende David Degen zieht
aus 18 Metern ab und zwingt Rost zu einer Körperbewegung.
Wichtig, denn er wäre vorher fast eingeschlafen.
Die letzten zehn Minuten des Spiels läuten die heiße Schlussphase ein. Die Blauen könnten erneut den Sack zumachen,
als wieder unserer Zaubermaus Lincoln der Ball im Strafraum vor die Füße fällt. Allerdings nimmt er zu genau Maß
und ballert die Kirsche aus 14 Metern, mittig und frei vor
Zuberbühlers Tor stehend, nur um Haaresbreite daneben.
Spätestens zwei Minuten später (82.) rächt sich das Auslassen dieser Großchancen. Freistoß für Basel an unserem Strafraum. Rost stellt die Mauer. Der Baseler Delgado (nein, nicht
der ehemalige Radprofi) nimmt Anlauf und zirkelt den Ball
ins Netz. Ausgleich! So ein Mist. Und schon wieder so ein
dummes Freistoßtor. Obwohl Frank seit Wochen überragend
hält, fängt er sich erstaunlich viele Freistoßtore ein. Ob er
vielleicht eine Brille braucht?
Die Baseler Fans jubeln, bei uns kehrt Ruhe ein. Obwohl Ragnick noch Hanke und Ailton bringt, können wir am Ende froh
sein, dass wir zumindest diesen einen Punkt geholt haben,
denn die Eidgenossen haben tatsächlich in den Schlussminuten noch zwei dicke Chancen. Ob dieser Punkt für uns nun
mehr Fleisch oder mehr Fisch ist, wird sich in den kommenden Gruppenspielen zeigen. Sicher ist, dass der Auftritt der
Baseler mich zumindest stark beeindruckt hat. Seit langem
war dies die beste Mannschaft in der Donnerhalle. Die Punkteteilung ist daher voll okay und die Rot-Blauen werden noch
ganz anderen Teams die Punkte klauen. Ebenso wie wir.
104
24.10.2004
Schalke 04 - FSV Mainz 05 • 2:1
Nach unserem Donnerstagsspiel im UEFA-Cup
gegen den FC Basel steht
heute ein Heimspiel auf
dem Pflichtspielkalender. Und erneut wird eine
Mannschaft bei uns in der
Donnerhalle auflaufen,
die ich einerseits noch nie
habe spielen sehen und die sich andererseits ebenfalls mit
zahlreichen stimmgewaltigen Fans angekündigt hat. Zu Gast
in Gelsenkirchen ist heute die Überraschungsmannschaft der
Hinrunde, der Karnevalsverein FSV Mainz 05.
Da die Sonne uns heute hold ist, treffen wir uns wieder einmal relativ früh am Café Central und treffen dort nicht nur
auf unsere eigenen Mitglieder, sondern auch auf zahlreiche
Mainzer. Und sie machen ihrem Namen alle Ehre – die Jungs
sind richtig töffte drauf. Man merkt ihnen die ausgelassene
Freude an, überhaupt in der Liga dabei sein zu dürfen. Eben
das, was man ihrer jungen Truppe seit Wochen, in denen sie
mit herzerfrischendem Fußball auftrumpfen, nachsagt.
Die zwei alten „Kumpels“ aus der Trainergilde der „jungen
Wilden“, Rangnick und Klopp, lassen beide – so verrät es
uns die Mannschaftssaufstellung – erneut offensiven Fußball
spielen. Ich hoffe es zumindest, war doch das Spiel am Donnerstag eher mau. Bei unserem Team heißt es, dass Ailton
und Varela anstatt Altintop und Kamphuis auflaufen. Südamerika allez!
Anpfiff. Von der ersten Sekunde an machen die Mainzer Fans,
die das komplette Gastkontingent in Anspruch genommen
haben, einen Mordslärm. Respekt! Das ist sicherlich der beste Auswärtssupport in diesem Jahr in unserem Stadion. Wie
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vorhin schon festgestellt, man merkt allen Mainzer Beteiligten – auf Rasen und Rang – die Freude des olympischen Gedankens „Dabei sein ist alles!“ an. Allerdings trägt auch das
Spiel heute zur guten Stimmung bei. Von Anfang an gehen
beide Teams kompromisslos ein hohes Tempo, verzichten
auf ein taktisches Abtasten und spielen konsequent auf des
Gegners Tor. Bereits nach fünf Minuten zwei dicke Chancen, klasse gehalten vom Mainzer Keeper Dimo Wache. Zehn
Minuten später vergibt Asa eine Chance, die „unser Omma
mit dem Krückstock“ rein gehauen hätte. Panders Freistoß
aus fast 40 Metern halbrechter Position fällt ihm direkt auf
den Fuß. Das ganze Stadion brüllt, Wache ist geschlagen, Asa
schiebt den Ball mit dem rechten Fuß parallel die Torlinie
entlang. Kein Tor. Auch das muss man erstmal schaffen!
In der zwanzigsten Spielminute steht erneut Asa im Mittelpunkt. Dimo Wache kann einen harten Kopfball von Ebbe
nur abklatschen lassen, dieser fällt erneut Asamoah direkt
vor die Füße. Anstatt jedoch den Ball aus nicht einmal zehn
Metern in die Maschen zu donnern, versucht er, sich die
Kugel noch einmal selbst vorzulegen. Ich betone versucht.
Die alte Schwäche, binnen weniger Minuten unzählige Großchancen versiebt. Die Mainzer haben in dieser Spielphase im
Übrigen selbst keine große Möglichkeit, spielen aber stets
gefährlich munter mit. Mimoun Azaouagh heißt der junge,
frech aufspielende, talentierte Mainzer Bursche, der nach 25
Minuten zum ersten Mal für Mainz auf Rosts Kasten schießt
– und verzieht. Den Namen sollte man sich noch merken.
Endlich, fast im direkten Gegenzug, der lang ersehnte Torjubel auf königsblauer Seite. Unsere brasilianische Zaubermaus Lincoln kommt 20 Meter vor Waches Tor, halbrechte
Position, frei zum Schuss. Der Ball klatscht an den Pfosten,
von dort aus fliegt er wie in Zeitlupe auf Waches Rücken zu,
von wo aus er wiederum, unglücklich für den Keeper, zurück
springt. Ins Tor. Erinnert ein wenig an eines der sensationellen Oliver Reck Eigentore. Uns ist es egal – 1:0 für die
Guten!
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Die Mainzer indessen scheint unsere Führung wenig zu beeindrucken. Mutig spielen sie auch in den folgenden Minuten
forsch nach vorne und kommen auch zu zwei guten Chancen durch Azaouagh (27.) und Benjamin Auer (41.). Gerade
richtig, um unsere Jungs wieder wach zu rütteln, ertönt der
schrille Pausenpfiff.
Nach der Pause das gleiche Bild. Die Mainzer geben sich
noch lange nicht geschlagen und bevor Rost so richtig in
seinem Gehäuse Platz genommen hat, darf er gleich zweimal in höchster Not eingreifen. Im Anschluss daran wirklich ein dolles Spiel. Es geht hin und her, das Publikum geht
voll mit und die 180 Dezibel-Grenze wird wieder geknackt.
Dicke Konterchance für Ailton (48.), knapp vergeben. Distanzschuss von Auer (49.), daneben. Lattenschuss von Ailton (52.), an dem Wache noch seine Fingerspitzen dran hat.
Erneute Glanztat von Wache nach Fernschuss von Pander
(53.) Sekunden später Ebbe mit dem Kopf knapp über die
Latte. Wie gesagt, ein tolles Spiel mit großen Chancen auf
beiden Seiten. Die nächste Tormöglichkeit führt demnach,
fast folgerichtig – unter dem Jubel der 6.000 mitgereisten
Mainzer - zu einem Tor. Leider für die falsche Truppe. Ein
weiter Freistoß in unseren Strafraum wird von Rost leicht
unterschätzt und von Auers Scheitel fliegt er an die Latte.
Danach geht alles sehr schnell, aber irgendwie kommt der
Mainzer Niclas Weiland als Erster an den Ball und köpft ihn,
äußerst unglücklich für Papa Bordon, an dessen Fuß, von wo
aus er zu unser aller Entsetzen langsam ins eigene Tor rollt.
1:1 nach genau einer Stunde Spielzeit.
Umgekehrte Vorzeichen, jetzt dürften die Mainzer den psychologischen Vorteil auf ihrer Seite haben. Aber die Blauen
lassen sich nicht beeindrucken und nur zehn Minuten später
(70.) gehen wir erneut in Führung. Lincoln wird von Pander
frei gespielt, dieser wiederum holt sich einen Scorer-Punkt,
indem er Ailton zauberhaft anspielt. Und was macht der? Das
wofür wir ihn geholt haben. Aus halblinker Position fackelt er
nicht lange und donnert den Ball aus sieben Metern an Wa107
che vorbei in die Maschen. Die Donnerhalle steht Kopf – was
für ein geiles Fußballspiel. Auch Ailton scheint eine Zentnerlast vom Herzen zu fallen. Nach seinem ersten Ligator für uns
hüpft er wie ein kleines Kind vor unserer Nordkurve umher
uns springt sogar unser Maskottchen „Erwin“ an. Dieser hat
in diesem Moment wohl mit allem, aber nicht damit gerechnet, und Ailton säbelt ihm glatt die ganze Maske vom Kopf.
Eine der lustigsten Szenen dieser Saison – bis jetzt!
Nach so viel Spannung folgte noch viel mehr. Wir hätten auf
3:1 erhöhen können, hätten aber kurz vor Abpfiff, hätte Altintop nicht auf der Linie geklärt, auch noch den Ausgleich
kassieren können. So gewinnen wir das Spiel letztlich mit 2:1
und tasten uns tatsächlich, so langsam aber sicher, an die
vordersten Plätze heran.
Fazit: Ein hartes Stück Arbeit mit einigem Zittern für uns
und viele, viele Sympathiepunkte für die Mainzer. Eine ganz
klare Bereicherung für die Liga. Im Übrigen, auch dies sollte
kurz erwähnt werden, gerade diese Spiele haben wir in der
letzten Saison unter „Don Jupp“ noch verloren. Rolf Rangnick drückt erkennbar unserem Team den Stempel auf. Zur
Feier des Tages ziehe ich heute – auch zu Fienes Freude – die
neue „100 Schalker Jahre“ – Bettwäsche auf.
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27.10.2004
1. FC Nürnberg – Schalke 04 • 0:2
Wie viele Fanfreundschaften gibt es eigentlich in der Bundesliga?
Ich meine so richtige
Fanfreundschaften?
Freundschaften, die
unter anderem bedeuten, dass man sich in
seiner Freizeit besucht,
regelmäßig miteinander
kommuniziert, mit dem anderen Club gemeinsam Auswärtsspiele besucht, ihn unterstützt, wenn er in der Nähe spielt?
Ich kenne nur eine wahre Fanfreundschaft in der höchsten
deutschen Spielklasse. Die zwischen den zwei Altmeistern 1.
FC Nürnberg und unserem S04. Alles andere ist im Vergleich
dazu Pipifax. Die schwatz-gelben zum Beispiel pflegen ja mit
jedem x-beliebigen Club eine so genannte „Freundschaft“
und zeigen dies stolz anhand ihrer schäbigen, kunterbunten
Schals. Wer es nötig hat. Pfui! Die Bochumer, anderes Beispiel, als graue Maus der Liga bekannt, hätten gerne auch
mal einige Krümel vom Erfolgskuchen ab und haben sich für
eine angebliche Freundschaft mit dem FC Bayern entschieden – toll! Grönemeyer mit seinem Kulthit „Bochum“ würde
sich beim Gedanken daran wohl am liebsten erbrechen. Mit
seiner Lobeshymne auf den Pott meinte er sicherlich etwas
anderes.
Nun gibt es da also diese deutschlandweit einzigartige Fanfreundschaft. Und die DFL hat nichts Besseres zu tun, als
das Aufeinandertreffen dieser zwei Clubs, welches eh bedingt
durch Zweitligazugehörigkeiten hüben wie drüben, nur allzu selten stattfinden kann, auf einen Wochentag zu legen.
Sensationell, gut mitgedacht liebe Herren! Wer denkt sich
bei der DFL solche Terminierungen aus? Ich kann dazu nur
eines sagen: Pro 15:30!
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Verständlich, dass der Frust auf beiden Seiten groß ist, fällt
doch die traditionelle Fanparty für die meisten damit ins
Wasser. Unbeeindruckt von dieser Tatsache finden trotzdem
50 tapfere Supporter den Weg in die Schildkröte und fahren
bestens gelaunt, die gute Serie im Rücken, zum Club. Auch
dort soll heute unbedingt gepunktet werden!
Einmal mehr rasen wir mit gefühltem Tempo 80 die altbekannte Strecke gen Süddeutschland hinunter und kommen
nach gut und gerne sechs Stunden amüsanter Fahrt in der
Hauptstadt des Frankenlandes an. Für eineinhalb Stunden
gehen wir noch auf eine Maß zur Fanparty, treffen auf altbekannte Gesichter und tasten uns dann im zappendusteren
Umfeld zum Stadion. Immerhin haben doch gut und gerne
4.000 Königsblaue den Weg ins Frankenstadion gefunden.
Zur Begrüßung empfängt uns die Nürnberger Fankurve mit
einer großen Choreografie, die die Nachbildung eines übderdimensional großen Freundschafsschales zeigt. Echt geil
gemacht. Respekt!
Das Spiel fängt an und von der ersten Sekunde an wird die
gerade noch hoch gelobte Fanfreundschaft auf eine harte Zerreißprobe gestellt. Bereits nach nur neun Minuten, eigentlich
unser erster konstruktiver Angriff, ein glasklarer Elfmeter für
uns. Der Nürnberger Thomas Paulus legt den davon eilenden
Asa im Sechzehner. Ailton verwandelt den fälligen Strafstoß
souverän zur 1:0-Führung.
Keine zehn Minuten später eine etwas umstrittenere Szene.
Unser ehemaliger Innenverteidiger Tomasz Hajto, die Einwurflegende und die Koryphäe des weit und hoch gespielten
Balles – ein Junge, der sich immer für uns den Hintern aufgerissen hat - wird durch geschicktes Pressing der Blauen zugestellt, wird nervös und verliert gut 35 Meter vor dem eigenen
Tor den Ball gegen unsere brasilianische Zaubermaus. Diese
macht sich auf in Richtung FCN-Kasten, kann aber nicht so
schnell, wie sie gerne möchte, da Hajto sie, in gewohnt robuster Manier - als letzter Mann - am Trikot festhält. Der
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Schiedsrichter Michael Fröhlich zeigt Hajto wegen einer
Notbremse das rote „Duschen gehen!“-Ticket, obwohl Lincoln eigentlich lieber schnell den Freistoß ausführen möchte.
Dumm gelaufen, die Entscheidung trotzdem vertretbar, wenn
auch ein wenig hart. Auf jeden Fall sicherlich nicht hinderlich
für unser Spiel. Trotzdem, von dieser Stelle aus noch einmal
DANKE Tomasz für Deine Schalker Jahre.
In den darauf folgenden zehn Minuten haben Lincoln und
Varela das 2:0 auf dem Fuß, scheitern jedoch nur knapp. Zu
diesem Zeitpunkt haben wir das Spiel voll im Griff, Nürnberg ist immer noch geschockt. Und schon wieder wird die
Fanfreundschaft strapaziert. Paulus, der vorhin bereits den
Elfer verursachte und dafür auch gelb sah, foult Ebbe. Nichts
Wildes, aber ein wenig dumm, da unbedrängt im Mittelfeld.
Und was macht der Schiri? Zeigt unter dem empörten und
wütenden Getöse der FCN-Fans gelb-rot. Ich kann die Jungs
verstehen, in der Donnerhalle wäre jetzt der Teufel los. Noch
keine vierzig Minuten gespielt, zwei nicht ganz hundertprozentige Platzverweise, ein 0:1 im Rücken und ein scheinbar
übermächtiger Gegner namens FC Schalke 04. Und wenn
wir schon einmal dabei sind. Die Blauen machen in der 45
Spielminute den Sack zu. Asa flankt von der Grundlinie in
den Strafraum, Ebbe hält nur noch seinen Appel hin und
markiert aus vier Metern das 2:0. Ich traue mich kaum zu
jubeln, so unangenehm ist es mir. Aber die drei Punkte dürften wir damit schon im Mannschaftsbus liegen haben, die
Ralle-Rangnick-Erfolgssträhne setzt sich fort.
Die Pause schafft es kaum, die erhitzten Gemüter zu beruhigen und in diesen langen Minuten hat sich wohl mancher
Clubberer die Fanfreundschaft zum Teufel gewünscht. Obwohl wir ja gar nichts dafür konnten. Daher möchte ich diese
lange und innige Freundschaft an dieser Stelle auch gar nicht
weiter strapazieren.
In wenigen Tagen von Platz 16 auf Platz 6 geschlichen – da
geht noch was. Aber jetzt ab in die Heia!
111
30.10.2004
Schalke 04 – VfB Stuttgart • 3:2
Fragt man einen Fußballfan, warum er eigentlich
regelmäßig, immer und
immer wieder, zum Fußball
geht bei Wind und Wetter
den Weg ins Stadion seines
Lieblingsclubs findet, so
wird die Antwort immer aus verschiedenen Komponenten
bestehen. Verschiedene Menschen, verschiedene Fans, verschiedene Beweggründe.
Für die einen ist das Fußballspiel die pure Entspannung,
schlicht und einfach Freizeitspaß, Leidenschaft, Emotion.
Für die anderen eine Art Droge, eine Sucht. Wiederum andere sehen darin einen Platz für Freundschaften, Geborgenheit, Zusammengehörigkeitsgefühl. Aber sicherlich wird bei
jedem unterschwellig immer ein weiterer Aspekt von entscheidender Bedeutung sein: Die Angst, etwas zu verpassen.
Die Angst davor, bei allen 08/15-Durchschnittsheimspielen,
bei allen tristen Ligaspielen im Jahr dabei zu sein und dann
aber das sensationelle, genau dieses eine Spiel, wegen eines
Schnupfens oder gar des 46sten Geburtstages von der Freundins Nachbarin ihrem Kind, oder irgend einem anderen Käse,
zu verpassen. Die unglaubliche Schlappe, mit der niemand
gerechnet hat, der Sensationssieg, das Skandalspiel.
Genau aus diesem Grund setzt man manchmal alle Hebel in
Bewegung, erfindet Ausreden, schafft Notlügen, um sich genau diese Angst des Verpassens selbst zu nehmen. Man muss
dabei sein. Immer. Überall. Selbst Ernst Kuzorra schlich sich
schon von seiner eigenen Konfirmation davon, wollte er doch
einfach kein Pflichtspiel von seinen Knappen verpassen.
(Kennt ihr das auch? Er: „Ich muss jetzt los, auf Schalke“. Sie:
„Was heißt hier du MUSST auf Schalke? Du MUSST nicht“.
Er: „Ja, soll ich etwa nicht gehen? So ein Blödsinn“.) Und was
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hätte man als S04-Fan da heute bloß alles verpasst!
Zu Gast ist der starke VfB Stuttgart, Bordons Ex-Club. Sicherlich, nach unserer tollen Serie, ein richtungsweisendes Spiel
für uns. Können wir uns ganz oben festsetzen oder waren die
letzten Siege nur ein helles, lichterloh brennendes Strohfeuer? Ersteres wäre zu schön. Und so pilgern auch heute wieder
die königsblauen Massen in bester Laune zum Schalker Feld.
Man ist halt gerne Optimist.
Nach einem kurzen Aufenthalt an der 1000-Freunde-Mauer
bin ich pünktlich auf meinem Platz und studiere Rangnicks
Veränderungen. Kamphuis spielt hinten rechts für Varela,
Krstajic für Waldoch. Damit ändert sich an der offensiven
Anfangsformation - und das kriegen die Schwaben auch wenige Sekunden nach Anpfiff zu spüren - nichts. Viele unter
uns haben noch gar nicht Platz genommen, da zappelt der
Ball auch schon im Stuttgarter Netz. Ganze 39 Sekunden
haben die Blauen dafür gebraucht. Das soll das schnellste
Tor für Schalke in der Bundesligageschichte gewesen sein.
Die Entstehung: Die Schwaben schlafen noch, Lincoln spielt
einen Zauberpass direkt in Ailtons Lauf, der – bereits auf Betriebstemperatur - umspielt noch kurz den VfB-Keeper Timo
Hildebrand, schiebt ein und schon steht es 1:0. Ein Start wie
er optimaler nicht hätte verlaufen können. Lustig sieht es aus,
wie Tausende von Fans den Hals gen Videowürfel recken, um
zumindest die Zeitlupe des Tors noch mitzukriegen. Und das
hätten sie nicht tun sollen.
Denn während das Schalker Führungstor auf der riesigen, 36
Quadratmeter großen, LCD-Modulfläche gerade noch wiederholt wird, geht das Spiel auf dem Rasen bereits wieder
weiter. Anstoß für Stuttgart. Wieder verlieren sie sofort den
Ball und diesmal stürmt Kobi zielstrebig durchs Mittelfeld.
Warum auch nicht? Es greift ihn ja niemand an. Pass auf Asa,
den jedoch Markus Babbel aufmerksam abfängt und zurück
zum Torwart spielt. Der will den Ball weit nach vorne schlagen, trifft ihn jedoch nicht richtig und er landet 17 Meter vor
113
dem eigenen Kasten, genau vor Kobi. Der zögert nicht, zieht
einfach ab und keine 60 Sekunden nach der Führung zappelt
der Ball schon wieder unhaltbar für Hildebrand im Stuttgarter Kasten. 2:0 nach nicht einmal zwei Minuten. Tore für uns
im Sekundetakt, und das ja nicht gegen TuS Wacker Hintermwalde sondern gegen einen der großen Meisterschaftsfavoriten. Die Arena tobt, der sprichwörtliche Hexenkessel
ist da. Alle liegen sich in den Armen und können noch gar
nicht fassen, was sie da sehen. Das sollen tatsächlich unsere
Schalker sein? Ein schöner Traum?
Aber es kommt ja noch besser. Zwar haben die Stuttgarter in
der Folgezeit zwei, drei gute Torchancen. Aber das nächste
Tor schießen wir wieder, mitten in die Drangphase des VfB’s
hinein. 25. Spielminute, Rollentausch auf Schalke. Ebbe
spielt einen Zuckerpass auf Lincoln, der frei auf Hildebrand
zuläuft und von der Strafraumgrenze aus die Kirsche ins linke
Eck legt. 3:0. Wie die Bekloppten laufen die Blauen jubelnd
über den Platz. Nicht minder bekloppt wird auf den Rängen
gejubelt. Ach was rede ich eigentlich von Jubel, die Hütte
tobt.
Bei 190 gemessenen Dezibel wird schnell klar, dass jeder
Düsenjet im Vergleich zu unserer gut funktionierenden
Donnerhalle ein kleiner Papierflieger ist. Eines dieser Spiele, die man niemals hätte verpassen sollen und dürfen. Im
Freudenrausch geht fast unter, dass die Schwaben in der 31.
Spielminute durch Soldo auf 3:1 verkürzen. Als allerdings,
wiederum nur zwei Minuten später, nach einem verunglückten Abwehrversuch eines Eckballes, der Stuttgarter Szabics
aus 14 Metern sogar zum 3:2 verkürzt, stockt uns allen der
Atem. Nicht, dass wir uns in diesem Moment nicht über
satte fünf Tore in 33. Minuten gefreut hätten. Weit gefehlt!
Für jeden außenstehenden Fan zweifelsohne ein fabelhaftes
Fußballspiel. Für mich auch, wären da nur nicht die letzten
fünf Minuten gewesen. Auf einmal sind die Stuttgarter am
Drücker und dem Ausgleich näher als wir dem 4:2. Noch jetzt
perlt mir der Angstschweiß von der Stirn wenn ich an diese
114
Phase des Spiels denke. Ich mache ganz, ganz feste die Augen
zu und stelle mir vor, ich sei gerade - egal wo, irgendwo, nur
ganz weit weg. Und als ich meine Augen wieder öffne, ist
endlich Halbzeit. Zeit, sich neu zu sammeln, zu sortieren, sich
taktisch neu einzustellen. Was für eine Wahnsinnshalbzeit.
Die hat sicherlich einigen von uns heute im Stadion wertvolle
Lebensminuten gekostet.
In der zweiten Halbzeit das umgekehrte Bild und trotzdem
ein wahnsinnig spannendes, fesselndes und zudem auch
noch gutes Fußballspiel. Von unserer Seite aus betrachtet
eine kontrollierte Abwehrschlacht statt des Hurra-Fußballs
der ersten Minuten, ähnlich wie nach dem 3:2 gegen den VfL
Bochum, was sich als genau die richtige Taktik erweist. Einige Torszenen auf beiden Seiten führen nicht zum erwünschten Torerfolg und so bleibt das Spiel bis zum Ende spannend
und hochdramatisch. Niemand, was leider selten genug vorkommt, verlässt heute vor Abpfiff das Stadion – und ich glaube so ziemlich jeder muss am morgigen Sonntag heiser am
Mittagstisch gesessen haben. Die Unterstützung der Mannschaft in dieser kritischen Situation von den Rängen aus ist
auf jeden Fall allererste Sahne. Und als dann doch endlich
der Abpfiff wie eine Befreiung, eine Erlösung nach neunzig
Minuten packendem Fußball unter dem riesigen Jubel aller
Fans ertönt und das große Zittern beendet, steht der nächste Dreier fest. Wir hatten heute auch einmal das oft zitierte
Glück des Tüchtigen und wurden somit nach einer Mischung
aus Zauberfußball und aufopferungsvollem Kampf gerecht
belohnt.
Belohnt nicht nur mit den drei Punkten, sondern auch – man
mag es kaum glauben – mit dem zweiten Tabellenplatz. Ist
das nicht unheimlich? Ralf Rangnick, dich hat der Himmel
nach Schalke geschickt!
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04.11.2004 - UEFA-Cup (2. Gruppenspiel):
Heart of Midlothian – Schalke 04 • 0:1
Mann, war das geil als wir mit
zitternden Mienen gebannt vor
dem Fernseher saßen, die Daumen feste drückten, dass es fast
schon weh tat und uns tatsächlich
live die Übertragung der Gruppenauslosung für die UEFA-CupSpiele anschauten. So etwas hätte
man mir mal vor zehn Jahren sagen sollen. Umso größer war die
Freude, als die Fee uns das Los
„Hearts of Midlothian“ für das
erste Auswärtsspiel bescherte.
Ein Auswärtsspiel in Schottlands Hauptstadt, bei Ede seine
Burg in „Edinburgh“. Sekunden später schon rufen die ersten Mitglieder an. Wie reisen wir an? Wann? Mit oder ohne
Übernachtung? Schildkröte oder Billigflieger? Mensch kostet
das Nerven!
Letztlich entscheiden wir uns für die preisgünstigste Variante: Mit 100 Personen und der Schildkröte in Calais auf die
Fähre, dann von Dover aus über die Straße quer durch Großbritannien bis nach Edinburgh. Die Fähre von Rotterdam
nach Hull, die ich vorgezogen hätte, wollte keine Fußballfans
befördern. Die werden schon wissen warum. In Edinburgh
selbst hatte ich kurz nach der Auslosung umgehend 50 Zimmer im Hotel IBIS reserviert. Eine geniale Tour kündigt sich
an. Und selbst die sportlichen Erfolgsaussichten sind mittlerweile, nach den letzten Spielen, mehr als gut.
So sitzen wir nun also seit mittlerweile vierzehn Stunden in
der Kröte und bewundern die wunderschöne, verregnete, von
zig Millionen Schafen gesprenkelte schottische Landschaft.
Die Fährfahrt haben alle gut überstanden. Einige haben die
Möglichkeit genutzt, um sich mit Getränken und Zigaretten
116
einzudecken, andere haben sich für Schottenröcke (schließlich will man ja in Schottland nicht als Tourist oder gar Fußballfan auffallen) und ähnliche Utensilien entschieden. Und
genau so, nämlich nach ungelüftetem Schottenrock, nach 14
Stunden Fahrt, Bier, Alkohol, Zigaretten und Männerfußschwitze riecht es mittlerweile auch im Bus.
Endlich erreichen wir die Außenbereiche dieser wunderschönen, mittelalterlichen Stadt und ein wenig Melancholie
überkommt mich. Vieles erkenne ich umgehend wieder. Mir
kommt es vor, als wäre es gestern gewesen. Wie die Zeit doch
vergeht.
Der 100 Jahre alte Peter kutschiert uns gekonnt durch das
links fahrende Schottland. Unterwegs sehen wir überall schon
Schalker beim Sightseeing. Über die unglaublichsten Anreisemöglichkeiten haben sie zu Tausenden den Weg nach Edinburgh gefunden. Wir selbst, am Hotel angekommen, checken
ebenfalls nur schnell ein, hüpfen kurz unter die Brause, putzen kurz die Zähnelein und begeben uns umgehend auf große
Erkundungstour, denn es gibt viel zu sehen und es gilt keine
Zeit zu verlieren. Volli zieht es zunächst einmal vor, einen der
touristischen Busse in Anspruch zu nehmen. Den Gefallen
tun wir ihm an diesem wunderschönen Herbsttag natürlich
gerne. Stunden später, nachdem wir so ziemlich alles, was
es in Edinburgh zu sehen und zu besichtigen gibt bewundert
haben, kehren wir in einen geilen Pub ein, lernen umgehend
nette Schotten kennen (die sofort all ihre Merchandising-Artikel – selbst die Unterbuxen – gegen die Unsrigen tauschen
wollen) und verkürzen uns mit einigen Pints die Zeit bis zum
Anpfiff.
Echt super die Jungs, und hätten wir nicht zum Spiel aufbrechen müssen, es wäre wohl eine neue, tiefe & innige Fanfreundschaft entstanden.
Auf geht’s zum Fußball, die „verbaselten“ Punkte aus dem
ersten Gruppenspiel zurückgewinnen! Der Weg zum Stadion
117
führt uns durch dunkle Gassen (hoffentlich finden wir nach
dem Spiel den Weg zurück) und auf einmal steht es imposant
vor uns: Das Murrayfield Stadium. In freudiger Erwartung einer großen Zuschauerzahl sind die Hearts heute von ihrer eigentlichen Heimspielstätte, dem Tynecastle Stadium, ins größere Rugby-Stadion ausgewichen. Tatsächlich kommen wir
uns mit den 28.000 Zuschauern (darunter schätzungsweise
2.500 Schalker) eher komisch vor, passen doch fast 80.000
Fans hier hinein. Das Stadion ist also eher halb leer als halb
voll. Die 80.000 wird es erst am kommenden Samstag geben,
wenn Schottlands Nationalmannschaft hier aufläuft. Schottlands Rugby-Nationalmannschaft wohlgemerkt!
Schon während der Mannschaftsaufstellung präsentieren wir
uns vom Allerfeinsten. Der gesamte Schalker Block macht
gute Stimmung und die schottischen Fans zeigen sich durchaus beeindruckt. Ein gemeinsames „Stand up if you hate England“ sorgt für gegenseitigen Szenenapplaus.
Das Spiel selbst beginnt rasant. Ailton versucht es nach nur
180 Sekunden mit einem Heber aus knapp 30 Metern, weil
er sieht, dass der Keeper der Hearts ein wenig zu weit vor seinem Tor steht. Der Ball jedoch geht nur knapp über die Latte.
Das wäre es doch gewesen. Beide Teams gehen, wie gesagt,
hohes Tempo aber trotzdem bleiben die Chancen Mangelware, da beide Defensivreihen sehr gut stehen und arbeiten
und die Schotten dem technisch versierteren Spiel unserer
Blauen einen robusten Kick and Rush entgegenbringen. Die
mangelnde Spannung vor dem Tor gleichen wir mit lautstarkem Support in unserem Block aus.
Die zweite Halbzeit beginnt mit einer vielleicht entscheidenden Spielsituation. Patrick Kisnorbo, Stürmer bei den Hearts,
der bereits in der ersten Halbzeit verwarnt wurde, legt in
unserem Strafraum eine klägliche Schwalbe hin. Direkt vor
der Nase des Unparteiischen der, ohne zu zögern, unter dem
Protest der Schotten in seine linke Brusttasche greift und die
gelbe Karte zückt. Nach kurzem Nachrechnen greift er dazu
118
noch in seine hintere Hosentasche und zückt auch noch den
roten Karton. Denn wie haben wir es schon in der Schule
gelernt: Minus und Plus ergibt wieder Minus, sowie gelb und
gelb gelb-rot ergibt.
Somit spielen wir fast die komplette zweite Halbzeit in Überzahl. Sofort legen die Blauen eine Schippe zu und versuchen,
eine passende Überzahlsituation vor dem schottischen Tor
zu erzwingen. Zunächst erfolglos. Aber immerhin läuft jetzt
Angriff auf Angriff. Ein Tor liegt in der Luft.
Das erlösende und entscheidende 1:0-Siegtor für uns fällt
endlich in der 72. Spielminute. Lincoln schnappt sich einen
von Ebbe erkämpften Ball und drischt ihn aus knapp 25 Metern Torentfernung unhaltbar für den Hearts-Kepper Craig
Gordon ins linke untere Eck. Den Rest der Zeit schaukeln
wir noch locker und gelöst über die Bühne. 1:0 in Edinburgh
gewonnen, vier Punkte aus den ersten zwei UEFA-Cup-Gruppenspielen, wir sind der Runde der letzten 32 einen riesigen
Schritt näher gekommen.
Damit können wir uns nun getrost dem angenehmsten Teil
der Tour widmen. Dem Abend nach dem Spiel. Auf unserem Weg in die verschiedensten Pubs der Stadt begegnen wir
ausschließlich lauter freundlichen schottischen Gesellen, die
uns viel Glück für den weiteren Verlauf der Gruppenphase
wünschen. Schade, dass es kein Rückspiel gegen diese Jungs
gibt. Ich hätte sie gerne mal für ein oder zwei Abende bei uns
gehabt. Feiern können die – aber so richtig.
A propos feiern: Wir landen schließlich mit dem kompletten
Supporters-Haufen in einem lustigen Lokal, in dem bis in
die frühen Morgenstunden hinein Karaoke-Party angesagt
ist. Von wegen „Last Order“ um 23 Uhr! Durch etliche Pints
und andere leckere Kleinigkeiten motiviert, dürfte sich an
diesem Abend so ziemlich jeder von uns einmal das Mikro
geschnappt haben. Was für ein geiles Fest!
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Dementsprechend sehen unsere Gesichter am nächsten Morgen auch aus. Dem Namen Bleichgesichter tragen wir auf
jeden Fall Rechnung. Einige sind gerade erst für ein kurzes
Nickerchen in ihrem Bett gelandet, andere haben es erst gar
nicht aufgesucht. Wir alle werden, egal wie, diese Tour, diese
Nacht, diese Stadt für immer und ewig in unserem Herzen
halten. Pünktlich um 10 Uhr fahren unsere zwei Schildkröten
wieder gen Heimat los. Ein letztes Winken und ab geht’s.
Immerhin liegen wieder unglaublich kurzweilige Stunden
der Rückfahrt vor uns. Die werden sicherlich nicht minder
lustig. Lustig auch, dass gegen Mittag unser Ibbenbürener
Panzerfahrer und „Herman the German“, zwei unserer Mitglieder, anrufen. Wo wir denn bleiben würden? Da haben
wir doch tatsächlich die zwei Hunde aus Versehen im Hotel
zurückgelassen.
Per Handy machen wir den beiden Strolchen (wie kommen
die auch auf die Idee, wir würden erst spätnachmittags heim
fahren???) zwei Plätze in einem anderen Fanclub-Bus klar.
Für die allgemeine Erheiterung haben die zwei auf jeden Fall
gesorgt.
Viele, viele Stunden, Pilschen und Lacher später erreichen
wir den heimatlichen Zielhafen. Einmal mehr war klar: Diese
internationalen Touren sind das Salz in unserer Fansuppe.
Und da sollten auch keine Kosten und Mühen gescheut werden. Sie sind die Highlights in unserm von Leid geprägten
Dasein als Fans. Müde hauen wir uns auf die Pritsche, wohl
wissend, dass die Schildkröte gleich schon wieder weiterfährt.
Auswärtsspiel in Hamburg. Ein ganz normales Pflichtspiel.
Da machst Du nichts.
120
07.11.2004
Hamburger SV – Schalke 04 • 1:2
Es wiederholt sich das gefürchtete
Szenario. Man steigt aus der Schildkröte aus, fährt heim, um seinen daheim Gebliebenen kurz mitzuteilen,
dass es einem gut geht, macht sich
ein wenig unter den Armen frisch,
putzt sich ein wenig die weißen Beißerchen und macht sich auch schon,
mit einem neuen, von der Dame des
Hauses präparierten Lunchpaket
(mit viel Obst, Gemüse und Vollkorn – leider ohne jeglichen
Erfrischungsglöckchen oder Muntermacher) wieder auf den
Weg gen Schildkröte. Als Dankeschön für diesen kurzen Heimaturlaub wird die Regierung des Hauses, in meiner Abwesenheit sicherlich die Diele oder das Wohnzimmer wieder
gelb anstreichen. Zumindest irgendeine Überraschung in der
Art wird mich erwarten. Das ist das Zugeständnis für die tagelange Abwesenheit mit und für den S04.
Am Treffpunkt blicke ich in die leicht aufgefrischten Gesichter der Schottland-Mitfahrer. Zumindest die der ganz
hart gesottenen. Was soll man machen? Ist halt ein ganz
normales Pflichtspiel! Dass die meisten unter uns morgen
früh wieder ran die Schüppe müssen, daran mag in diesem
Moment glücklicherweise niemand auch nur einen Gedanken verschwenden. Die Anreise nach Hamburg gestaltet sich
äußerst kurzweilig. Trotzdem verzichten wir heute auf eine
zu frühe Anreisezeit mit Reeperbahnbesuch, Hafenrundfahrt
und Cityshopping (haben wir natürlich noch nie gemacht).
Sonntagsspiele sind halt wirklich nichts Fanfreundliches.
Gerade nach Hamburg hin kann man sonst eigentlich die
dollsten Auswärtsfahrten organisieren. Egal was man wann,
wie, wo machen möchte, der Samstagabend nach einem Spiel
ist immer ein Highlight. Da wird immer schwer gerockt.
121
Vor dem Stadion gönnen wir uns noch eine herzhafte Bratwurst (die tut nach dem Inselfraß mal so richtig gut) und
machen uns dann auch schon auf den Weg zu unseren Plätzen. Die AOL-Bude ist meiner Meinung nach immer noch
eines der geilsten Stadien in Deutschland, außer, dass der
Rasen meistens die Qualität eines Kreisliga-Spielfeldes hat.
Aber wenn man seinen Platz eingenommen hat und seinen
Blick umher schweifen lässt, haben die sich hier eine richtig
schöne Hütte hingesetzt. Gefällt mir ausgesprochen gut! Allerdings – wo viel Lob da auch viel Kritik – das Drumherum
ist eine Karre Mist. Da haben die Planer jegliche Kosten und
Mühen gescheut um dem Besucher, dem Fan, auch nur ein
Mindestmaß an Service und Komfort zu bieten. Alles nasskalter, grauer Beton. Von überall tröpfelt es von den Decken.
Um als hungriger und durstiger Fußballfan die Imbissstationen zu finden, benötigt man ein abgeschlossenes Geographiestudium. Und die Toiletten befinden sich für jeden einzelnen Fan scheinbar jeweils am anderen Ende des Stadions.
Schade, da hätte man durchaus mehr draus machen können.
Jedes Mal ertappt man sich beim Besuch des umbenannten Volksparkstadions dabei, dass man sich selbst die Frage
stellt, ob die Bude denn nun fertig sei, oder sich immer noch
im Baustellenzustand befindet. Ersteres scheint wohl die Antwort zu sein. Wie gesagt, schade eigentlich. Man sieht ja an
unserer Donnerhalle, wie man es besser machen kann. Aber
wir sind ja auch heute nicht hier, um den ultimativen „Stadion-Check“ zu machen, sondern um, trotz aller Müdigkeit,
die Punkte zu entführen.
Das Spiel beginnt. Ich schätze mal gut und gerne 8.000
Schalker haben den wundervollen Sonntag zu einem Ausflug genutzt und den Weg ins Hamburger Stadion gefunden.
Langsam macht sich Euphorie im Schalker Lager breit. In
unserer Fankurve beste Stimmung – wie immer eigentlich.
Die Hamburger beweisen einmal mehr, warum ihr Stadion in
Fankreisen „Arena ohne Leidenschaft“, also AOL-Arena genannt wird. Leises Schnarchen in der HSV-Kurve. Der Verein
mit der Raute, mit so viel Tradition, als einziges Gründungs122
mitglied der Liga noch nie abgestiegen, kriegt stimmungstechnisch daheim nicht viel auf die Kette.
Der Ball rollt. Ab sofort gilt es mit Händen und Füßen zumindest den in der letzten Woche hart erkämpften zweiten
Tabellenplatz zu verteidigen. Von einem Sieg wage ich nach
dem schweren Spiel am Donnerstag in Schottland gar nicht
zu sprechen. Wenn die Jungs nur halb so müde sind wie wir,
wird das nichts.
Ein müder Kick entwickelt sich tatsächlich auch in der ersten
Halbzeit. Beide Mannschaften spielen konzentriert, vorsichtig und mit großem Selbstbewusstsein auf (auch der HSV
hat aus den letzten drei Spielen unter seinem neuen Trainer
Thomas Doll sieben Punkte geholt). Torchancen sind daher
Mangelware. Und das, was man ansatzweise als Chance an
dieser Stelle umschreiben könnte, ist keine Silbe der Erwähnung wert. Und genau deshalb gibt’s auch viel mehr dazu
nicht zu sagen. In der Halbzeit, zum Wasser lassen, dreimal
im Stadion verirrt, endlich das Pissoir (wie schon vorausgesagt) am anderen Ende des Stadions vorgefunden und für
die Standard-Halbzeitbratwurst kurz zum Hamburger Hafen
gelaufen. Zumindest kommt es mir so vor.
Kaum habe ich meinen zugigen Platz (warum, verdammte
Hacke, regnet es in einem geschlossenen Stadion bloß von
hinten rein?) eingenommen, als es auch schon vorbei ist, mit
der soliden, konzentrierten Schalker Leistung. Eine endlos
lange Kombination zwischen vier oder fünf Hamburger Spielern wird durch uns nicht unterbunden und so steht als letztes Glied der Kombinationskette auf einmal der Fußballopa
Stefan Beinlich, der all seine Routine ausspielt und aus nur
sieben Metern halblinker Position Frank Rost keine Chance
lässt. 1:0 in der 47. Spielminute. Zumindest Zeit genug, um
den Spieß, den Braten noch umzudrehen. Aber da haben wir
gerade schlicht und einfach gepennt.
In der Folgezeit haben wir ein wenig Glück, denn der HSV
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spielt tatsächlich auf einmal ansehnlichen Fußball und könnte
zwei, dreimal auf 2:0 erhöhen. Aber die Knappen geben nicht
auf und überzeugen mich mit herzerfrischendem Kampffußball. Sie geben wirklich alles. Zwanzig Minuten vor Abpfiff
setzt auch unser neuer Erfolgscoach alles auf eine Karte – nur
noch die Offensive zählt! Varela ist inzwischen für Altintop
gekommen und nun bringt Ralf noch den frischen Hanke für
den ausgepumpten Ailton. Die Maßnahme zeigt Wirkung,
die Blauen schalten zwei Gänge höher. Trotzdem fällt der
Ausgleich ein wenig aus heiterem Himmel. Das Spiel kippt
daraufhin völlig zu unseren Gunsten. Die Belohnung für den
harten Kampf. Lincoln hat butterweich in den Hamburger
Strafraum geflankt, in dem Mike, zwischen zwei Innenverteidigern stehend, ein technisches Kabinettstückchen vollführt.
Perfekte Ballannahme, trockener Linksschuss aus sieben Metern, ein zappelndes Netz. Ausgleich, 1:1 in der 79. Spielminute. Kollektiver Freudentaumel bei den 8.000 mitgereisten
Schalkern. Fast schon ein kleines Déja-Vu-Erlebnis. Hatte
nicht in der letzten Saison der Glieder Edi den Hamburgern
in letzter Sekunde den Zahn gezogen und für den Last-Minute-2:2-Ausgleich gesorgt? Aber wer spricht denn hier von
Ausgleich? Während wir uns noch gegenseitig umarmen und
abklatschen, rollt schon wieder der nächste königsblaue Angriff. Unsere brasilianische Zaubermaus fängt kurz vor unserem eigenen Sechzehner einen Hamburger Angriff ab und
rennt wie ein Irrer mit der Kirsche in die Hamburger Hälfte
hinein. 10 Meter, 20 Meter, 30 Meter. Keiner greift ihn an.
Die mit zurück gelaufenen Hamburger Abwehrspieler decken
Asamoah und Hanke. 40 Meter, 50 Meter, 60 Meter. Immernoch greift keiner an. Und wie sagte schon Ernst Kuzorra: „Ich wusste nicht wohin mit der Kirsche, da habe ich sie
einfach reingewichst!“.
Lincoln nimmt sich diese fußballerische Leitthese zu Herzen
und überwindet aus 18 Metern den Hamburger Keeper mit
einem satten Flachschuss ins rechte untere Eck. Man kann
also doch während eines Spiels Samba tanzen!
124
2:1 für uns (81.), innerhalb von nur drei Minuten aus einem
1:0 ein 1:2 gemacht, das Spiel gekippt, den Braten umgekehrt,
den Spieß gewendet. Der Freudentaumel von vor drei Minuten ist im Gegensatz zu dem, was sich jetzt in der Schalker
Kurve abspielt, ein Kindergeburtstag gewesen. Da der Oberrang in der AOL-Bude doch relativ steil ist, üben sich einige
im unfreiwilligen Stage-Diving – und das bei einem parallelen Torschrei aus mehr als 8.000 Kehlen der selbst Tarzan
aus dem Urwald vertrieben hätte. Einfach sensationell was da
abgeht. Die letztem zehn Minuten noch grandioser, lautstarker Dauersupport, so dass die HSV-Fans beängstigt fluchtartig ihre Heimspielstätte verlassen. Heimspiel in Hamburg!
Dann der Abpfiff. Schluss. Aus. Feierabend! Erschöpft aber
glücklich sinken alle 8.000 und 11 Schalker im Stadion zu
Boden und umarmen sich. Wir sind wieder da wo wir hingehören. Ganz oben. Mit diesem sechsten Sieg in der Liga
in Folge haben wir, ganz nebenbei, auch einen neuen Vereinsrekord aufgestellt und die seit zwölf Jahren andauernde
Negativserie beim HSV beendet.
Auf dem Weg zurück zu unserem Bus treffen wir keine Hamburger mehr. Wohl alle schon daheim. Wir sind uns alle einig: Das kann doch noch was ganz Großes geben in diesem
Jahr. Wenn man nur bedenkt, dass wir die ersten Spieltage
völlig vergurkt haben. Voller Stolz und mit breit geschwollener Brust nehmen wir noch zwei oder drei Erfrischungskanonen – die sich die Stimmbänder auch redlich verdient
haben - zu uns bevor so ziemlich allen vor lauter Vorfreude
auf süße Träume die Äuglein zufallen. Und ob man es mir
glaubt oder nicht, ich träume von einem gelben Spielball,
der durch Hankes grazile Fußbewegung Schwung erhält, die
Richtung ändert und mitten in die eingewebte Raute der Maschen des HSV-Tores fliegt. Ein Reporter stürmt auf Hanke
zu und stellt ihm die Frage: „Herr Hanke, sensationell was sie
da gemacht haben, das Spiel gedreht bla bla bla. Möchten sie
nicht diesen Ball mit nach Hause nehmen?“. Hanke guckt ihn
doof an und sagt: „Ne, Igitt, der is doch gelb!“. Gute Nacht.
125
10.11.2004 - DFB-Pokal (2. Runde):
Eintracht Frankfurt – Schalke 04 • 0:2
Auch wenn man ein „Profifan“ ist,
englische Wochen können ganz schön
schlauchen. Nicht nur aus diesem
Grunde kommt uns das Pokallos Eintracht Frankfurt ganz gelegen. Einerseits ist es nicht so weit weg von uns
daheim und wir dürften, da der Anpfiff
um 20 Uhr ist, trotzdem nicht allzu
spät wieder zuhause sein. Andererseits
gibt es die Möglichkeit, mal einen Blick in das neue Frankfurter WM-Stadion zu werfen. Sportlich sollte im Rahmen unseres derzeitigen Höhenfluges der Zweitligist quasi en passant
zu schlagen sein. Sollte!
Eine volle Schildkröte macht sich am frühen Nachmittag
voll bepackt mit torhungrigen Schalkern auf den Weg gen
Riederwald. Auf die traditionelle Sauerlandlinie müssen wir
allerdings verzichten, da wir doch tatsächlich einen kaum
noch für möglich gehaltenen Wintereinbruch zu verzeichnen
haben. Eiseskälte und Schnee – und das in unseren Breitengraden. Selbst die Klimakatastrophe, der Treibhauseffekt,
hält nicht mehr das, was er verspricht. Mensch, was ist die
Welt schlecht geworden!
Und auch die Menschen auf dieser Welt haben teilweise, speziell bei uns hier in Deutschland, ganz schön einen an der
Rappel. Dies bestätigt sich bei unserer ersten Pinkelpause, als
das kleine Kind in uns durchbricht und eine spontane, lustige
Schneeballschlacht entfacht. Eines unserer Geschosse trifft
doch tatsächlich einen parkenden PKW, woraufhin der Besitzer, völlig außer sich und mit hochrotem Kopf, empört die Polizei zu rufen versucht. Der Strafbestand: Sachbeschädigung
an seinen vier Rädern mit Stern vorne an der Motorhaube,
des deutschen Mannes allerliebstes Stück! Gut, dass zumindest noch auf die Polizei in Deutschland, unserem Freund
126
und Helfer, Verlass ist. Sie lacht den Spießer kurz aus und
lässt uns ohne weitere Gefängnisstrafen weiterziehen. Für
Belustigung und Unterhaltung ist also ausreichend gesorgt.
In Frankfurt angekommen bietet sich uns die Möglichkeit,
erst einmal die WM-Tauglichkeit des Gesamtkonzeptes zu
testen. Selbst unsere bekennenden Schein-Frankfurter und
eigentlich doch Voll-Schalker, Anja & Volli, wissen auf einmal
nicht mehr weiter. Keine Beschilderung, keine Ordnungskräfte, nichts. Mit ein wenig Glück finden wir im Halbdunkel
doch noch einen Weg zum Riederwaldparkplatz, weiß der
Donner wie im nächsten Jahr eine chinesische, jamaikanische
oder peruanische Fandelegation überhaupt in die Nähe des
Stadions gelangen soll. Später wurde mir noch von einigen
Schalkern glaubhaft versichert, sie hätten hinter Offenbach,
gar in Mannheim, parken müssen. Desolat! Aber es kommt
ja noch besser. Nun stehen wir hier also auf dem offiziellen,
kaum beleuchteten Busparkplatz im Riederwald und erneut
ist keine Beschilderung zu sehen. Sind wir etwa hier, um eine
Schnitzeljagd zu veranstalten, um an einem Pfadfinderseminar teilzunehmen, einen Spurenlesekurs zu besuchen?
Während wir uns diese Frage zum dritten Male stellen, sind
die ersten zwei von uns bereits böse über eine Wurzel gestolpert und während vier weitere von uns ihnen zur Hilfe eilen,
bemerken wir, dass wir so langsam aber sicher im sumpfigen
Morast versinken. Mit WM-Tauglichkeit hat das hier nichts,
aber auch gar nichts zu tun. Ich komme mir vor wie in einem
schlechten Traum und verstehe die Säuerniss unseres S04Vorstandes von Tag zu Tag immer besser wenn moniert wird,
dass alle WM-Standorte von öffentlichen Mitteln profitieren
dass die Schwarte nur so kracht, während wir dies alle aus
unserem eigenen Vereinssäckel zahlen müssen.
Alle Aufregung nützt eh nichts und immerhin sind wir ja
heute hier, um ins Viertelfinale des DFB-Pokals einzuziehen,
um die Blauen zu supporten und nachdem wir uns durchs
tiefe Dickicht gekämpft haben, können wir auch schon am
127
fernen Horizont die Silhouette des Stadions erkennen. Die
Verantwortlichen wussten einst sehr genau, warum sie das
Waldstadion „Waldstadion“ nannten! Vor lauter Wald sieht
man das Stadion nicht mehr, oder so ähnlich sagt man doch.
Genug genörgelt.
Abgesehen von diesen Randereignissen sind wir bestens gelaunt und auch die Personenkontrolle vor dem Stadion, die
mit allen Mitteln versucht, dafür Sorge zu tragen, dass bloß
keiner der 40.000 Fans pünktlich zum Anpfiff im Stadion
ist, lässt uns kalt.
Endlich betreten wir den Schauplatz, der für uns nur eine
Durchgangsstation auf dem Weg nach Berlin sein soll. Nette
Hütte, kann man nicht anders sagen. Und die Frankfurter
legen auch einen ordentlichen Support hin. Allerdings kann
man das Niveau den Frankfurter Spielern nicht wirklich bescheinigen. Von der ersten Sekunde an zeigen meine Blauen
dem Zweitligisten klar die Grenzen auf und machen deutlich,
wer heute hier Herr im Hause ist – nämlich die elf Königsblauen samt ihrer ca. 3.000 mitgereisten Schlachtenbummler. Die englischen Wochen scheinen spurlos an unserem
Team vorüber zu gehen und so legen wir nach einer kurzen
Orientierungsphase los wie die Feuerwehr.
Bereits nach sieben Spielminuten hat Ebbe eine dicke Chance, nicht zu vergleichen jedoch mit der, die Lincoln in der 18.
Minute hat. Asa wird vom Frankfurter Schlussmann Markus
Pröll gefoult und der Schiri zeigt sofort, ohne auch nur den
Bruchteil einer Millisekunde mit den Füßen zu klappern, auf
den Elfmeterpunkt. Lincoln legt sich die Kugel zurecht und
nimmt Maß und Anlauf. Während sich der Schalker Block
bereits zum Jubeln fertig macht, pfeift die Frankfurter Kurve
in Düsenjetlautstärke. Hat dies Lincoln irritiert? Das gibt es
doch sonst nur auf Schalke?
Auf jeden Fall hält Pröll den Schuss. Kein Jubel in der blauweißen Kurve. Noch nicht. Bis in die 32. Spielminute müssen
128
wir auf diesen warten. Varela flankt von links in den Eintracht-Strafraum, der Frankfurter Abwehrspieler Markus
Husterer spürt Ebbes heißen Atem im Nacken und weiß sich
nicht weiter zu helfen. Er nickt ängstlich ins eigene Tor ein.
Eigentor, 1:0 für uns. Zwietracht bei der Eintracht, grenzenloser Jubel im Schalker Block. Wahnsinn, diese Schalker
Mannschaft. Trotz verschossenen Elfers die Nerven behalten,
Moral bewiesen, wächst da womöglich was Großes heran?
So gehen wir beruhigt in die Pause, der Versuch eine Bratwurst oder ein Erfrischungsgetränk zu ergattern scheitert
kläglich. Erinnert ein wenig an Hamburg. Sollte Frankfurt
jemals was mit bundesweiter Nahrungsversorgung zu tun
haben, wird wohl umgehend in ganz Deutschland eine Hungersnot ausbrechen. Also, schnell zurück auf den Platz. Anpfiff zu Halbzeit Nummer zwei.
Die Frankfurter kommen mit neuem Elan aus der Kabine
und setzen uns unter Druck, wollen die einzige Chance, die
sie gar nicht haben, am Schopfe packen. Ein kämpferischer
und spannender Pokalfight entwickelt sich, aber zu keinem
Zeitpunkt wackelt unsere Abwehr rund um Papa Bordon so
richtig. Ein ums andere Mal laufen sich die rot-schwarzen
Adler in dem weit gespannten Schalker Vogelnetz fest.
So kommt es, wie es bei einem solchen Spiel nun einmal kommen muss: Nachdem etliche Großchancen nicht genutzt wurden steht Hanke, der mittlerweile ins Spiel gekommen ist,
nach einer butterweichen Flanke von Ebbe goldrichtig. Am
zweiten Pfosten stehend, senkt sich der Ball von der Torauslinie kommend direkt auf seinen Kopf und er muss diesen nur
noch hinhalten (77.). Das Netz zappelt. 2:0. Den hätte wohl
jeder von uns gemacht. Damit ist die Entscheidung gefallen,
der Einzug ins DFB-Pokal-Viertelfinale beschlossene Sache,
und wir nutzen die letzten Minuten im Frankfurter Stadion
für einen grandiosen Support. Den haben sich unsere Knappen auch redlich verdient.
129
Zufrieden verlassen wir den Ort des Triumphes und begeben
uns zurück zur Schildkröte. Eine fröhliche Rückfahrt nach GE
nimmt ihren Lauf. Ach ja, ein kurzer Nachtrag noch: Tatsächlich waren wir bei der Rückfahrt nicht komplett.
Wie es manchmal nun so ist, verpassten zwei Supporters den
Bus. Warum auch immer. Am nächsten Morgen erfuhr ich
warum. Ich erhielt einen Anruf von der hessischen Försterei.
Ein Förster hatte bei seinem morgendlichen Rundgang durch
das Riederwalder Dickicht zwei völlig orientierungslose, halb
verhungerte und erfrorene Schalke-Fans vorgefunden, die
seit Stunden, die Schildkröte suchend, hilflos umherirrten.
Ein Dank dem Förster, die Jungs stünden wohl heute noch
– im wahrsten Sinne des Wortes – im Wald.
130
13.11.2004
Schalke 04 – Hertha BSC Berlin • 1:3
Da steht man, als bekennender und eingefleischter
Fan des FC Schalke 04, am
frühen Morgen eines Heimspieltages auf und kann es
eigentlich immer noch nicht
fassen. Haben wir wirklich
die letzten sechs Meisterschaftsspiele in Folge gewonnen? Stehen wir wirklich auf
Tabellenplatz zwei? Haben wir tatsächlich eine reelle Chance im Kampf um die Deutsche Fußballmeisterschaft? Man
reibt sich noch einmal die müden Äuglein wach, wirft kurz
einen Blick auf die aktuelle Tabelle im Videotext, reibt sich
noch einmal die Äuglein und weiß: Kein Traum! Die reine,
die nackte Wahrheit!
Bestens gelaunt schlendere ich frühzeitig, ein Lied auf meinen Lippen, zum Stammlokal, um die ach so lang nicht mehr
gesehenen Gesichter wieder begrüßen zu dürfen. Euphorie
an allen Ecken und Kanten. Als wäre die Fünfte Schalker
Jahreszeit angebrochen. Es duftet so herrlich nach Schalker
Frühling, nach Bier, Bratwurst und Nikotinqualm – nach
Fußball.
Und wenn wir heute noch die alte Tante Hertha schlagen können, dann sind wir ganz, ganz oben mit dabei. In der Bahn
Richtung Donnerhalle begegnen wir zwei angetrunkenen
Berlinern. Blanker Hass schlägt uns entgegen. Für die Hertha
sind wir seit den siebziger Jahren der Erzfeind Nummer eins.
Uns gehen sie – auf deutsch gesagt – am Arsch vorbei. Da
könnte sich genauso gut ein Schwarm heimatloser Einzeller
in meiner Abfalltonne einquartieren. Daher belächeln wir ihre
Provokationen, bis sie selbst anfangen sich zu ärgern. Klappt
immer wieder prima so etwas. „Dumm, dümmer, Herthaner“
möchte man in diesem Moment am liebsten sagen. Gestern
131
noch haben wir uns mit der Berliner Clownsjugend, den
„Harlekins“, solidarisch gezeigt, die versuchen, einem ihrer
an Leukämie erkrankter Mitglieder („Helft Benny!“) das Leben zu retten. Ein passender Knochenmarksspender wird
gesucht. Eine noch nie da gewesene Hilfsaktion innerhalb
der verschiedenen bundesweiten Fanszenen wird gestartet.
Das haben unsere zwei Pöbelkandidaten aber scheinbar nicht
mitbekommen. Die kriegen aber mittlerweile, zwei Biere und
drei Haltestellen weiter, eh nix mehr mit. Leider verschlafen
sie sogar die entscheidende Ausstiegsstelle an der Donnerhalle. Schade Popade - aber gute Fahrt noch!
In der Donnerhalle, mal wieder, ausgelassene Stimmung.
Klar, wie sollte es auch anders sein bei der Siegesserie? Rangnick lässt wieder offensiv spielen. Fast die selbe Truppe wie
in den letzten Wochen. Lediglich Ailton rutscht wieder für
Varela – im Vergleich zu letztem Mittwoch in Frankfurt – ins
Team. Vielleicht liegt ja auch gerade da unser Erfolgsgeheimnis. Eine eingespielte Truppe, ein eingespieltes Team. Bei
Don Jupp war es im Gegensatz dazu das klassische Rotationssystem. Hoffentlich lassen wir heute nur Ailtons Kumpel
im Berliner Dress, „Marcelinho“, nicht zu sehr rotieren. Vor
ihm habe ich am meisten Respekt. Respekt haben die Berliner aber hoffentlich auch vor uns. Auf geht’s zum siebten
Streich.
Von der ersten Sekunde an brennt die Stadionluft. Bereits
nach zwei Minuten hat – wer auch sonst (?) – Marcelinho
eine erste gute Chance. Erst im Nachfassen entschärft Rost
die Situation. Nur eine Minute später wieder Rost in allerhöchster Not vor Bastürk. Die Hertha ist halt ein anderes
Kaliber als die Eintracht aus Frankfurt. Es dauert bis zur
22. Minute, bis Christian Fiedler, der Berliner Torwart, zum
ersten Mal eingreifen muss. Ebbe Sand hat eine Asa-Flanke
Richtung Tor geköpft. Nichts wirklich Wildes. Wesentlich
aussichtsreicher Ailtons Chance in der 29. Minute, doch dieser verzieht nur knapp. So langsam kommen wir immer besser ins Spiel, aber die Berliner Abwehr steht gut. Die größte
132
Möglichkeit zur königsblauen Führung in der 35. Spielminute
für Asa. Asa erläuft sich einen verunglückten Pass des Berliner Abwehrspielers Niko Kovac, kann jedoch aus halbrechter
Position, gute acht Meter vorm Berliner Gehäuse, den Ball
nicht mehr richtig kontrolliert aufs Tor bringen. Das war die
große Chance, das halbe Stadion stand schon zum Torjubel
bereit mit den Armen in die Höhe gehoben. Ein Tor liegt in
der Luft.
Der richtige Riecher erweist sich einmal mehr als mein zuverlässiger Begleiter. Allerdings fällt das Tor, leider, auf der falschen Seite. Eine Berliner Flanke wird per Kopf durch Nando
verlängert, fällt Marcelinho quasi in den Schoß, der aus knapp
fünf Metern eiskalt einnetzt. Allerdings nicht regelkonform.
Marcelinho stand im Moment der Kopfballverlängerung ganz
klar im Abseits. Abseits ist jedoch nur, wenn der Linienrichter die Fahne hebt bzw. der Schiri pfeift. Da jedoch weder der
eine noch der andere etwas in der Form unternimmt, zählt
das Tor. Trotz wütender Proteste von Spielern und vor allen
von uns Fans. Kaum geht es um was, werden wir Schalker
wieder beschissen. Die alte Leier.
Verschwörungstheorien machen wieder wie ein Lauffeuer
die Runde. „Fußballmafia DFB“ skandiert die Donnerhalle
in Ohren betäubendem Lärm. Der Schiri zieht es vor, die Situation zu entschärfen und pfeift zur Halbzeit ab. Zeit für
eine eiskalte Erfrischung – für Spieler und uns Fans. Und die
haben wir uns auch redlich verdient!
Anpfiff zur zweiten Hälfte. Voller neuem Tatendrang,
Schwung und Elan kommen die Blauen aus ihrer Kabine. Die
Erfrischung zeigt Wirkung. Wahrscheinlich Eistee mit einem
Schuss Grappa, oder einfach nur ein Red Bull mit Wodka.
Und dies wohl im wahrsten Sinne des Wortes. Eine stinknormale Flanke von Christian Pander rutscht unter den HerthaKeeper, der wohl in der Halbzeit auf den Eistee verzichtet
und den doppelten Grappa bevorzugt hat, hindurch und fällt
unserem „Asa-Mohr“ (...dies sang in der Halbzeitpause doch
133
tatsächlich ein kleines Mädel in der „Böcklunder-Box - ob
das so okay ist?) direkt vor die Füße. Der braucht aus fünf
Metern nur noch den Schlappen hinzuhalten und der Ball
springt zum viel umjubelten 1:1 ins Berliner Tor (50.). Jetzt
geht’s so richtig los, denke ich mir noch. Die Zuschauer im
Rücken, ebenso den Motivationsschub des Ausgleichs und
dann noch diese unglaubliche Schalker Siegesserie, die dem
Team Selbstvertrauen für drei Jahre geben muss.
Und so spielen die Blauen zu unserer aller Freude munter
weiter. Bis zur 70. Spielminute sieht das alles aus königsblauer Sicht auch eigentlich ganz gut aus, auch wenn keine zwingenden Torchancen dabei herausspringen. Aber die
ausgeruhte Tante Hertha ist ja auch nicht irgendeine Kreisligatruppe, der man mal kurz vier Buden einschenkt. Nein,
die Tante Hertha verfügt auch über einen Spieler mit dem
Namen: „Onkel Marcelinho“. Und wie leider fast zu erwarten,
sorgt dieser dafür, dass ich einen bösen Stich in die Magengrube miterleben muss. In der 71. Spielminute dribbelt er sich
nämlich durch unser Mittelfeld und schlägt einen Zuckerpass
auf den Berliner „Zecke“ (was für ein dämlicher Name!) Neuendorf. Frei auf Rost zulaufend, kann dieser den Ball jedoch
aus 14 Metern nicht unterbringen. Rost hält. Kurze Zeit zum
Luftholen. Dann der zweite Stich in die Magengrube. Der Ball
prallt von Rost ab und fällt dem ungedeckten Nando Rafel in
den Lauf. Dieser braucht nur noch die Kugel ins freie Netz zu
schieben. 1:2 für die Berliner, unsere unglaubliche Siegesserie unter unserem neuen Zaubercoach Ralf Ragnick scheint
ihr Ende zu finden.
In den folgenden Minuten entwickelt sich ein hochdramatisches Fußballspiel mit hohem Unterhaltungswert, wie man
so schön zu sagen pflegt, für uns Zuschauer. Es geht auf und
ab. Die Blauen drücken, gehen mit Mann und Maus nach vorne, versuchen den Ausgleich zu erzwingen. Berlin nutzt diese
vergebenen Anläufe und Chancen um zu kontern. Das Spiel
steht auf des Messers Schneide. Ausgleich oder Vorentscheidung. Das Pendel neigt sich, leider, zu unseren Ungunsten,
134
neigt sich zur Vorentscheidung. Sands Kopfball wird auf der
einen Seite in der 81. Spielminute gerade noch von der Linie
gekratzt – der Torschrei ertönte schon im halben Stadion –
und im Gegenzug bringt der schnell vorgetragene Gegenstoß
den Berlinern eine Ecke. Man sieht und fühlt förmlich, dass
unseren Blauen so langsam die Kraft schwindet, ein wenig
die Puste ausgeht. Der Gegenstoß führt, nach Ecke, zum Todesstoß. Nico Kovac verfügt über die größten Kraftreserven,
springt am höchsten, trifft den Ball optimal und köpft ihn unhaltbar zum 1:3 in der 83. Spielminuten mitten ins Schalker
Herz. Das war es. Zwar trifft Lincoln in der 84. Minute noch
einmal die Latte, aber letztlich geht halt jede Serie einmal
zur Neige. Und so wie sie heute zur Neige ging, das war mehr
als okay, da kann man als Schalker gut mit leben. Kampf bis
zum Umfallen, alles gegeben – und auch wenn Marcelinho
in der letzten Spielminute sogar noch auf 4:1 erhöhen müsste
– jedoch an Rost scheitert, so wäre heute sicherlich auch ein
Remis okay gewesen.
Und wieder einmal haben die Fans, haben wir, ein feines
Gespür für die Situation. Nach dem Anpfiff hört man keinen einzigen Hertha-Fan im Stadion (die sitzen höchstwahrscheinlich eh immer noch schlafend in der Bahn). Stehende
Ovationen auf den königsblauen Tribünen, Gesänge aus voller Brust, Szenenapplaus, Jubelarien. Wir sind stolz auf unser
Team. Wir honorieren die Leistungen der Truppe der letzten
Tage und Wochen. Einige sind, ob der Unterstützung für das
Team zu Tränen gerührt. Aber so ist Schalke. Zeigt den Fans,
dass ihr bereit seid, alles zu geben. Wir werden es – auch in
der Niederlage – gebührend honorieren!
Die fast schon unheimliche Siegesserie ist gerissen, es lebe
die neue Siegesserie. Mit diesem Gefühl verlasse ich, verlassen wir, heute das Stadion, in Vorfreude auf den nächsten
Spieltag. Dann geht es zu den Pillendrehern nach Leverkusen! Und da geht hoffentlich alles wieder von vorne los. Der
König ist tot – es lebe der König. Und dann schauen wir mal,
wo wir am Ende der Hinrunde tatsächlich stehen können.
135
20.11.2004
Bayer 04 Leverkusen – Schalke 04 • 0:3
Was verbindet uns eigentlich, uns, den
glorreichen Traditionsverein namens FC
Schalke 04 mit dem Werksclub Bayer 04
Leverkusen? Richtig, nichts. Außer einem
UEFA-Cup-Sieg auf dem Erfolgskonto.
Könnten zumindest die meisten unter
uns meinen. Sie dürften damit auch goldrichtig liegen. Allerdings gibt es da doch noch eine weitere klitzekleine Kleinigkeit, die wir darüber hinaus noch gemein haben: Beide
Vereine wurden 1904 gegründet. Das war es dann eigentlich
aber auch schon. Während wir unseren 100. Geburtstag mit
über 60.000 Blauen – im wahrsten Sinne des Wortes – in
unserer Donnerhalle feierten, standen zum Leverkusener
Vereinsjubiläum gerade mal sieben hilflose ältere Damen mit
Einkaufstaschen vor der Bayer 04-Partybühne und suchten
verwundert und verzweifelt ihre Marktstände, die an diesem
Tage dort eigentlich – wie immer – hätten stehen sollen. Allerdings standen dort weder die Marktstände noch Leute um
Party zu machen. Leverkusen wurde 100 – nur keiner hatte
es gemerkt.
Kein Wunder also – und folglich richtig – dass man sich auf
unsere Heimspiele in Leverkusen immer wieder freut. Egal
was dort nämlich passiert, ob haushohe Klatschen oder grandiose Siege, das Stadion ist immer in Schalker Hand und die
Stimmung dementsprechend prächtig. Erst recht, wenn man
ausnahmsweise mal als Favorit dorthin fährt. So düst gegen
Mittag der rappelvolle Schildkrötendoppelmops mit 100
bestens gelaunten Supporters gen BayArena - für alle, die es
nicht mehr wissen: Früher Ulrich-Haberland-Stadion – und
es ist immer wieder eine wahre Wonne live miterleben zu
dürfen, wie geduldig unser 100 Jahre alter Peter bereit ist, auf
einer Strecke von nicht einmal 70 Autobahnkilometern drei
Pinkelpausen einzulegen. Unsere Busbesatzung ist ganz klar
ein Fall für „Wetten dass...?“. Ich sollte wirklich mal überle136
gen, ob ich uns nicht zu einer Außenwette anmelde. So etwas
in der Art wie: „Wir, der SC wetten, dass wir es mit unserer
Schildkröte nicht schaffen, pünktlich bis zum Anpfiff 50 Kilometer auf einer Landstraße oder Autobahn zurückzulegen,
ohne auch nur eine einzige Pinkelpause einzulegen!“.
Am Stadion angekommen, sehen wir wie gewohnt überall nur
königsblau. Vereinzelt erblickt man auch einen Bayer-Sympathisanten, der noch schnell zum stadioneigenen McDonalds-Schalter huscht – oder will er doch nur zum Kinderparadies? Wir betreten den Schauplatz des heutigen Spiels. Gut,
dass zumindest die Heizstrahler heute aus sind, die einen
ansonsten von oben grillen. Es gibt nicht Schlimmeres, als
im Winter unter den glühenden Leverkusener Röststrahlern
zu stehen, während dir von der Seite der eisige Ostwind um
die schwitzenden Hautporen fegt.
Ein kurzes Winken noch zur voll verglasten Tribüne rechts
von uns – kein Zurückwinken der Haute Volée zu vernehmen
– dann den siegeshungrigen Blick Richtung Spielfeld gerichtet. Die zwei Mannschaften laufen auf. Rangnick setzt, trotz
der Niederlage im letzten Spiel, auf sein bewährtes Offensivsystem. Lediglich die eher defensiv ausgerichteten Krstajic,
Vermant und Kläsener rücken jeweils für Waldoch, Kamphuis
und Poulsen ins Team. Vollgas also, den nächsten Dreier feste im Visier. Und so legen wir los. Wir auf den Rängen mit
einer Bombenstimmung, aber auch die Blauen auf dem Platz.
Allerdings in den ersten zwanzig Minuten noch ein wenig
verhaltener und behäbiger, mit angezogener Handbremse
wie man so schön sagt. So haben wir es einer Glanz-Grätsche
von Thomas Kläsener zu verdanken, dass der Ukrainer Andrej Voronin in Leverkusens Diensten, der plötzlich alleine
aufs Schalker Tor zuläuft, den perfekten Abschluss nicht findet (17.). Glück gehabt! Aber das war der allerletzte richtige
Wach- und Muntermacher, der noch gefehlt hatte.
Wir schreiben die 27. Spielminute, als die BayArena in ihren
Grundfesten erschüttert wird. Unsere Zaubermaus Lincoln
137
überlistet mit einem Hackentrick seinen Gegenspieler und
der Ball wird seinem Landsmann Ailton genau in den Lauf
gespielt. Dieser, man mag es kaum glauben, spielt, obwohl
er selber schon an der Strafraumgrenze steht, uneigennützig auf den besser postierten und völlig frei stehenden Ebbe.
Der braucht nur noch einmal kurz den Leverkusener Schlussmann Jörg Butt als Slalomstange zu missbrauchen und den
Ball ins leere Tor einzuschieben (27.). Das Schalker Fußballfest ist hiermit eröffnet. Liebe Leverkusener, ihr seid hierzu
natürlich recht herzlich eingeladen.
Fünf Minuten später läuft Ailton herrenlos aufs Leverkusener
Tor zu. Doch der Linienrichter wird just in diesem Moment
von einem Krampf im rechten Unterarm gepeinigt und hebt
reflexartig den Arm samt Fahne. Es muss so gewesen sein.
Abseits war es jedenfalls nicht. 35. Spielminute. Nach Ebbes
Vorarbeit leitet Lincoln uneigennützig quer weiter auf Ailton.
Der braucht aus zehn Metern nur noch zum 2:0 für uns zu
verwandeln. Die Leverkusener Abwehr zu diesem Zeitpunkt
als herum irrenden Hühnerhaufen zu beschreiben, wäre einerseits sicherlich treffend, andererseits würde man damit
verkennen, dass wir zu dieser Phase des Spiels auch wirklich
traumhaft schönen Offensivfußball spielen. Die Kurve bebt.
Niemand der sicherlich 5.000 bis 6.000 Schalker sitzt noch.
Kurzerhand verwandelt sich die Leverkusener Gegengerade
zur Schalker Stehtribüne. Armes Bayer!
Bis zur Halbzeit haben wir weitere zwei Großchancen, doch
einmal verfehlt Lincoln das Tor der Leverkusener nur knapp,
und einmal scheitert Ailton beim Versuch, frei auf Torhüter
Butt zulaufend, diesen mit einem Tunnelschuss zu düpieren. Ein Heber hätte es auch getan, das Spiel wäre sicherlich
noch vor dem Pausentee entschieden gewesen. Aber auch so
brauchen wir uns keine allzu große Sorgen zu machen. Zu
überlegen sind wir soeben aufgetreten.
Dank der großen Vorfreude auf den zu erwartenden Zauberfußball der zweiten Spielhälfte, gestaltet sich die Halbzeit138
pause relativ kurzweilig und ehe man sich versieht, pfeift der
Schiri auch schon wieder an.
Unser Zauberfußball allerdings ist kurzzeitig noch in der Kabine geblieben. Und so darf sich auch Rost zweimal bewähren
und zeigen, dass auch er ein wichtiger Teil der Mannschaft
ist. Nachdem aber auch der „Geist der ersten Halbzeit“ etwas
verspätet aus der königsblauen Kabine gekrochen kommt,
geht es wieder weiter schnurstracks nach vorn. Die Leverkusener wissen vor lauter Schalker Ballstafetten schon gar
nicht mehr wo ihnen der Kopf steht. All unsere Großchancen
zu beschreiben, würde eindeutig den Rahmen sprengen. Sie
würden im Übrigen wohl sogar für drei bis vier siegreiche
Spiele genügen.
So konzentrieren wir uns noch einmal auf die 71. Spielminute. Lincoln tut das, was er mit am besten kann – Freistöße schießen. Und auch diesmal enttäuscht er uns nicht.
Aus ca. 25 Metern Entfernung senkt sich die Pille, unhaltbar
für Butt, ins linke Eck. 3:0. Nun ist nicht nur stimmgewaltig, sondern auch numerisch betrachtet, das Spiel für uns
ein Heimspiel. Denn auch die letzten 43 noch verbliebenen
Leverkusener Sympathisanten verlassen nun fluchtartig die
Hütte, während wir das gesamte Schalker Liedgut rauf und
runter singen. Damit ist der Drops gelutscht, der Fisch geschält – auch wenn wir sicherlich noch weitere Tore hätten
schießen können, schießen müssen. Hoffentlich rächt sich
das am Ende der Saison nicht. Denn trotz Platz zwei ist unser
Torverhältnis derzeit, gemessen an unseren Verfolgern und
am Tabellen-Ersten, nicht so prickelnd. Das interessiert uns
jetzt gerade allerdings herzlich wenig.
Ein hoch verdienter Sieg für uns Knappen. Wir feiern noch
ausgiebig die Mannschaft, feiern uns, und dies bis tief in die
Nacht hinein. Danke lieber Fußballgott, dass Du dafür Sorge
getragen hast, dass ich Fan dieses Mythos umwobenen Vereins mit den wunderschönen Farben blau und weiß und nicht
dieses Plastikclubs geworden bin.
139
25.11.2004 UEFA-Cup (3. Gruppenspiel):
Schalke 04 – Ferencvaros Budapest • 2:0
Endlich mal wieder ein Pflichtspiel unserer Blauen. Man kriegt
ja fast schon Entzugserscheinungen, wenn man seine Knappen
nicht alle drei Tage auflaufen
sieht. Heute ist zur Abwechslung
mal wieder der UEFA-Cup an der
Reihe. Bei den ganzen Wettbewerben soll mal einer den Durchblick
bewahren!
Nach dem Remis im ersten Heimspiel gegen Basel und unserem Auswärtssieg in Edinburgh
können wir heute mit einem Sieg gegen den ungarischen
Meister Ferencvaros Budapest alles klar machen, denn die
nächste Runde erreichen bekanntlich in jedem Fall die jeweils drei Gruppenbesten. Dritter wären wir bei einem Sieg
auf jeden Fall und eine weitere Schippe Geld würde unserem
Finanzminister in den Tresor geschaufelt. Das so genannte
„Soll“ bzw. „Mindestziel“ wäre erreicht, alle UI-Cup Strapazen wären somit auf fruchtbaren Boden gefallen.
Relativ spät komme ich zur Donnerhalle. Das totale Verkehrschaos herrscht - wie immer bei Heimspielen unterhalb
der Woche – in Gelsenkirchen. Aus allen Himmelsrichtungen
rollen die Blechlawinen in wilder Hektik Richtung Tempel,
wollen es unbedingt, wie auch immer, noch schaffen, pünktlich um 18.15 Uhr im Stadion zu sein. Fernsehgerechte Anstoßzeit nennt man so etwas heutzutage.
Mit ein wenig Glück habe auch ich, als erfahrener Bahnfahrer, es rechtzeitig geschafft. Was für eine Hektik, Leute rennen, rasen völlig aufgelöst und ohne Rücksicht auf Verluste
gen Stadion. Gefahren- und Alarmstufe rot für alle NichtFußballfans!
140
Während Tausende sich noch unter Einsatz ihres Lebens zur
Donnerhalle kämpfen, sehe ich mich mit einem ganz anderen, weitaus tiefer greifenderem Problem konfrontiert: Wo,
verdammte Hacke, kriege ich jetzt noch, kurz vor Anpfiff, ein
Erfrischungsgetränk der Marke Veltins her? Dank der lieben
UEFA darf es ja heute kein leckeres, sondern nur bleifreies
Pils geben. Erklären konnte uns Fans, in allen Stadien der
Welt, den Sinn und Zweck einer solchen Regelung noch nie
jemand. Erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass die oberen Herren der Entscheidung selbst bei feinem Chardonnay
und Schampus in ihrer Loge sitzen und dabei kichernd auf
die Bleifrei trinkenden Trikotscharen glotzen. Da es noch
fünf Minuten bis zum Anpfiff sind, nutze ich also noch die
Vorteile des elektronischen Zeitalters aus. Kurz mit meiner
Dauerkarte aus dem Stadion raus, an der Bierbude direkt vor
dem Eingang einen ganzen Karton voller Einwegbecher mit
frisch Gezapftem unter den Arm gepackt, und mit meiner
Dauerkarte wieder rein. Ja liebe Herren von der UEFA, das
darf man. Toll was heutzutage alles dank der Chipkarten so
geht, gelle? Meine Sitznachbarn im Block wird’s freuen.
Anpfiff. Die Donnerhalle trotz der beschissenen Anstoßzeit,
bis auf den letzten Platz mit knapp 52.000 ausverkauft und
voll besetzt. Auch wenn die Kapazität – natürlich Dank der
UEFA - wieder reduziert werden musste. Bekanntlich darf es
ja bei internationalen Pflichtspielen keine Stehplätze geben.
Alles viel, viel zu gefährlich. Schreckliche Gefahren lauern
da an allen Ecken und Kanten auf den gemeinen Schalker
Fußballfan. Dieser steht zwar an jedem zweiten Wochenende
völlig risiko- und gefahrlos gleich 15.000-fach im Stehplatzbereich des sichersten und modernsten Stadions der Welt,
aber man weiß ja nie. Wenn Basel oder Budapest hier spielt
und mit 200 oder gar 2.000 Gästefans anreist, dann wird
wahrscheinlich alles anders. Gerade in der Nordkurve. Auch
hier nützt alle Aufregung über den Mist nichts und sitzen
tut jetzt gerade so oder so kaum einer dort unten. „Sitzen ist
für`n Arsch“ skandieren die Massen und lassen diesem ein
inbrünstiges: „Steht auf, wenn ihr Schalker seid!“ folgen.
141
Um die drei Punkte heute sicher einzufahren und im internationalen Geschäft zu überwintern, entscheidet sich unser Mannschaftsverantwortlicher wieder für das siegreiche
Team aus Leverkusen. Sicherlich die richtige Taktik gegen
die stark defensiv ausgerichteten Ungarn, für die ein Punkt
heute mehr als ein Erfolg wäre. Meiner Meinung nach legen
die Blauen erneut eine äußerst souveräne Leistung hin. Zu
keinem Zeitpunkt habe ich ein ungutes Gefühl, sei es, das
Spiel nicht in den Griff zu kriegen oder sei es gar, das Spiel
nicht gewinnen zu können. Technisch überlegen, kampfstark,
taktisch souverän und selbstsicher sind die Attribute, mit denen man das heutige Knappenteam charakterisieren kann.
Dementsprechend gut auch die Stimmung auf den Rängen.
Ich nenne sie einmal: ausgelassen fröhlich. Folgerichtig führen wir bereits nach nur einer Viertelstunde. Und das es ein
Eigentor ist, interessiert morgen keinen Hund mehr. Ein
weiter, langer Einwurf von der rechten Seite in bester Hajto–Qualität, allerdings von Thomas Kläsener, wird unglücklich bzw. glücklich – eine Frage der Sichtweise - durch einen
Budapester Abwehrspieler ins eigene Tor gelenkt. Ein Tor
aus dem Nichts, aber ein Gastgeschenk, welches wir natürlich
jubelnd dankbar annehmen. Da werde ich mich doch morgen
früh glatt revanchieren und beim Metzger die Frühstückstulle mit Budapester Fleischsalat belegen lassen.
Wie gerade schon gesagt, zu jedem Zeitpunkt haben wir heute
das Spiel im Griff, kontrollieren Ball und Gegner nach Belieben, und so schockieren meine Knappen nach fast 25 Minuten des völligen Leerlaufes die ungarische Hintermannschaft
mit einem plötzlichen und unerwarteten Vorstoß. Nachdem
Ailton diesen trotz hundertprozentiger Chance versemmelt,
kriegt er den Abpraller noch und legt ihn wunderbar in den
Lauf des mitgeeilten Kobi. Der schlenzt den Ball in bester
Stürmermanier aus gut und gerne 15 Metern, unhaltbar für
den ungarischen Schlussmann, nur noch ins rechte Eck. 2:0
für uns nach 40. Spielminuten, königsblauer Jubel im weiten
Rund. Wenn ich richtig hingeschaut habe, konnte man unserem Schatzmeister, anhand der sich verziehenden Mundwin142
kel, durchaus ein befriedigtes Schmunzeln andichten. Da ist
es auch halb so wild, dass kurz nach dem Tor Papa Bordon
verletzungsbedingt aus dem Spiel muss. Sicherlich nur eine
reine Vorsichtsmaßnahme. Für ihn kommt Waldoch in die
Partie.
In der Halbzeitpause wieder der alte Dauerkartentrick. Nur,
dass sich dieses Mal einige Schalker meiner glorreichen Idee
anschließen, so dass wir zum Wiederanpfiff von Halbzeit zwei
in unserer Reihe lauter mit Bierbechern gefüllte Kartons vor
unseren Füßen stehen haben. Anlässlich eines Einzuges in
die nächste UEFA-Cup Runde darf doch schließlich mit einem Getränk des Donnerhallen-Hauptsponsors angestoßen
werden, oder? Prost!
Der Verlauf der zweiten Halbzeit erlaubt es uns dann sogar
noch einmal, den Weg aus dem Stadion als vorrangiges Ziel
zu betrachten Eine souveräne Leistung der Blauen ist auf
dem grünen Rasen zu bewundern. Lediglich das Toreschießen klappt nicht so ganz. So endet die Partie schließlich mit
2:0. Hätte auch 4:0 oder 5:0 ausgehen können. Die Mannschaft wird mit stehenden Ovationen, La Ola und allem, was
dazu gehört von uns verabschiedet. Wir bedanken uns für
eine weitere Auswärtstour in ferne, warme Länder, die uns
(hoffentlich) hiermit gerade beschert wurde. Europa, wir
kommen, auch in 2005! Darauf wird gleich erst einmal noch
eine Flasche „Côtes du Rhone“ südeuropäischer Südhang
geöffnet.
143
28.11.2004
Schalke 04 – Arminia Bielefeld • 2:1
„Immer wieder sonntags...“ endet eine englische Woche. So
lange wir erfolgreich sind und
Sieg um Sieg, Punkt und Punkt
einfahren, ist dies sicherlich die
zweitschönste Sache - okay - sagen wir die drittschönste Sache,
der Welt.
Heute ist der Aufsteiger aus
Ostwestfalen, die Arminia aus
Bielefeld, bei uns zu Gast. Unser Opfer. Damit spielen die
zwei derzeit besten Mannschaften aus dem Westen gegeneinander. Die KGaA aus der Nähe von Lüdenscheid ist nur noch
unter ferner liefen im unteren Tabellendrittel vorzufinden.
Da, wo sie im Übrigen auch hingehört. Der Rest interessiert
uns bekanntlich erst gar nicht.
Bielefeld, eine Truppe die ähnlich wie Mainz in diesen Tagen
für Furore in Deutschlands höchster Spielklasse sorgt. Vor
allem, weil sie nicht nur positiv-frech auftritt, sondern sie
ist äußerst auswärtsstark. Frisch, fromm, fröhlich, frei grasen sie die sich teilweise im miserablen Zustand befindenden
Rollrasenweiden der heimspielenden Mannschaften ab und
entführen die letzten gesunden Halme. Bei uns gäbe es da
sogar eine prächtige Weide abzugrasen, aber da geben wir
– hoffentlich – nichts von ab. Sicherlich eine interessante
Truppe mit einerseits erfahrenen Spielern wie Buckley und
Vata, andererseits mit emporsteigenden Youngstars der Marke „Owomoyela“. Das kann ein heiteres Spielchen werden!
Allgemeine Heiterkeit natürlich auch am Stammlokal, als ich
dieses um kurz vor 15 Uhr erreiche. Und das liegt sicherlich
nicht ausschließlich am Wetter. Nach dem völlig verkorksten
144
Saisonstart haben wir uns langsam aber sicher zu einem festen Anwärter auf die Champions-League-Plätze gemausert.
Einige reden und träumen da sogar schon von mehr. Auch
im DFB-Pokal und im UEFA-Cup läuft doch alles perfekt.
Schalker Herz, was willst Du mehr? Ganz einfach, einen Sieg
heute gegen die Arminia aus Bielefeld, weitere drei Punkte
auf dem Weg zum noch in weiter Ferne liegenden Ziel.
Frühzeitig machen wir uns auf dem Weg zur Donnerhalle,
um uns noch mit den anderen SC-Banausen am „Schalker“,
der Gastronomie an der S04-Geschäftsstelle, treffen zu können. Auch hier ist die Stimmung bestens. Nach weiteren
Erfrischungsgetränken und einer leckeren Bratwurst machen
wir uns bei langsam einsetzender Nervosität auf dem Weg
rüber zum Tempel der Lust.
Die heutige Mannschaftsaufstellung des sportlichen Hauptverantwortlichen läuft ohne großartige Überraschungen über
den Videowürfel. Vorne alles wie gehabt, lediglich Poulsen
und Altintop ersetzen, im Vergleich zu Donnerstag, Vermant
und Kläsener spielen im defensiven Bereich. Auf geht’s in
die Partie.
Gleich in den ersten Aktionen lassen die Akteure beider
Teams erkennen, dass heute das attraktive Offensivspiel
Trumpf sein wird und die taktischen Zwänge, der Bundesliga-Catennacio, tief unten im Keller verschlossen geblieben
sind. Bereits nach 120 Sekunden unsere erste Chance. Einen
wuchtig geschossenen Freistoß von Pander unterschätzt Arminen-Keeper Mathias Hain. Ebbe ist jedoch über den zu
ihm kommenden Ball so überrascht, dass er tatsächlich das
Kunststück vollbringt, diesen im plötzlich vor ihm leer stehenden Tor nicht unterzubringen. Fast im direkten Gegenzug
eine dicke Einschusschance für den kleinen Albaner Fatmir
Vata nach Fehler Krstajic. Völlig frei verzieht aber auch er, zu
sehr von seiner Chance überrascht, aus nur sieben Metern.
So munter wie das Spielchen begonnen hat, geht es auch weiter. Chancen hüben wie drüben, in Hülle und Fülle. Sand in
145
der neunten Spielminute, danach fast ein Bielfelder Eigentor nach einer Viertelstunde Spielzeit, zu dem Zeitpunkt ist
auf dem Schalker Rasen bereits mehr passiert, als bei den
meisten Partien am gestrigen Samstag. Natürlich auch eine
wundervolle Möglichkeit für die beiden Torhüter, ihr Können
unter Beweis zu stellen.
Das erste Tor heute gelingt allerdings den falschen, den
Ostwestfalen. Nach etlichen Ballstafetten in den Bielefelder
Reihen, spielt der kleine Vata, bis jetzt bester Mann auf dem
Platz, einen Traumpass auf Rüdiger Kaufauf (lustiger Name
an sich, oder? Vielleicht ist dies ja die deutsche Übersetzung
des Chelsea-Mäzens Abramovich). Der lässt in diesem Falle unserem Frank Rost mit einem trockenen Schuss aus 20
Metern ins linke untere Eck keine Möglichkeit, sich zu beweisen. 1:0 für die Gäste. Und ich sage noch: Die sind auswärtsstark!
Die Reaktion folgt prompt mit lautstarken Anfeuerungsrufen.
Unsere Mannschaft nimmt umgehend den zwölften Mann
dankbar ins Team auf. Nur wenige Minuten nach der Bielefelder Führung dann der hoch verdiente Ausgleich für uns.
Durch stetiges und robustes Nachsetzen erkämpft sich Ebbe
aufopferungsvoll im Mittelfeld die Pille und kann fast alleine auf den Bielfelder Kasten zustürzen. Total sauer darüber,
grätscht der Bielefelder Abwehrspieler Langkamp dazwischen und verlängert so, unfreiwillig, auf den noch viel besser
postierten Kobiashvili. Gut für uns, schlecht für die Arminia,
denn Levan hat bekanntlich am Donnerstag mit seinem Tor
gegen Budapest Blut geleckt und am Toreschießen Spaß gefunden. Also fasst er sich auch dieses Mal wieder ein Herz
und lässt Hain mit einem festen Schuss aus zehn Metern ins
linke Eck keine Chance. 1:1 (28.). Aber reicht den Blauen ein
Punkt? Keineswegs. Weiter geht’s, Attacke Marsch, alles für
den Sieg!
Lincoln hat nur Sekunden nach Wiederanstoß die Führung
auf dem Schlappen, verzieht jedoch von der Strafraumgrenze
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knapp. In der 38. Spielminute wieder ein Torjubel. Blau-weißes Fahnenmeer, fliegende Bierbecher, herzliche Umarmungen, 180 Dezibel und zerplatzende Trommelfelle, alles genau
so, wie ich es liebe. Wieder ist der Ausgangspunkt ein eroberter Ball aus dem Mittelfeld – diesmal ist es Krstajic. Dann
noch drei, vier lange Schritte, ein Pass, wie man ihn sonst nur
von Lincoln kennt, direkt in den Lauf von Ailton gespielt. Der
überwindet Hain eiskalt mit einem lässigen Schuss ins rechte
Eck zum zweiten Mal. 2:1 für uns, 37 Minuten gespielt – was
für ein dolles Fußballspiel. Rost entschärft bis zum Halbzeitpfiff in überragender Art und Weise noch zwei Bielfelder
Chancen - das war es dann mit dem ersten Akt. Durchatmen,
Luft holen, Kräfte für die zweite Halbzeit tanken.
Und das ist auch bitter nötig. Eine Angriffswelle nach der anderen rollt auch in Halbzeit zwei. Alleine das wilde Herzklopfen aller Schalke-Fans verursacht heute in der Donnerhalle
ein lautstarkes Grundgeräusch. Adrenalin und Testosteron
pur, und Rost wird zum großen Schalker Helden des Tages.
In der 55. Spielminute hält er einen von Poulsen verursachten
und von Dammeier geschossenen Strafstoß. Skela scheitert
frei stehend in der 57. Minute, Vata ebenso nur zwei Minuten
später. Der Ausgleich liegt so etwas von in der Luft, dass kann
man sich kaum vorstellen. Aber Rost hat sein Tor zugenagelt.
Lense scheitert, Vata versucht es auch noch einmal, es geht in
einer Tour weiter. Die Arminen beginnen zu verzweifeln.
Das nutzen die Blauen aus und fangen ab der 70. Spielminute,
langsam an sich zu befreien und fahren den einen oder anderen gefährlichen Gegenstoß. Auch die Knappen scheitern am
ebenfalls bestens aufgelegten Bielefelder Schlussmann. Kurz
bevor das Spiel abgepfiffen werden müsste und das Stadion
- mittlerweile sitzt niemand mehr auf seinem Platz – tobt und
bebt, noch eine dicke, dicke Doppelchance für die Arminia.
Auch die wird nicht genutzt. Das bedeutet in dem Moment
des viel und lautstark umjubelten Abpfiffs: Zwei Tore haben wir geschossen, eines Bielfeld, die drei Punkte gehören
– nach Adam Riese bzw. Eva Zwerg - uns.
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Damit liegen wir bereits drei Punkte vor dem Tabellendritten
Stuttgart. Ein Sieg, den wir ganz klar unserem Mannschaftskapitän im Kasten zu verdanken haben. Wobei das absolut
hochklassige Spiel letztlich wohl gar keinen Sieger verdient
hätte. Während die Spieler noch in die Kurve kommen, um
mit uns um die Wette zu hüpfen, noch ein dickes Lob an Uwe
Rapholder und sein Team. Das war echt Spitze, was ihr hier
bei uns geboten habt!
Auf dem Heimweg statten der „Chef-Schlammi“, Deppi und
ich, entgegen unserer Gewohnheiten, noch einem Kiosk einen
kurzen Besuch ab. Drei Eis werden bestellt – zur Abkühlung.
Das Spiel hat Nerven gekostet, aber die eingefahrene Beute,
nämlich die aktuelle Tabelle betrachten zu dürfen, ist dafür
umso schöner. Nur noch zwei Meisterschaftsspiele bis zur
Winterpause. Das schaffen wir auch noch. Und wenn Sonntag
um ist, dann ist wieder Montag!
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01.12.2004 - UEFA-Cup - (4. Gruppenspiel):
Rotterdam – Schalke 04 • 2:1
Heute ist nun also der große
Tag gekommen. Das letzte, fast
schon unwichtige gewordene
Spiel in der UEFA-Cup-Gruppenphase in Rotterdam. Nicht
nur, dass es sportlich nur noch
um die Platzierung geht - das
könnte ja noch für den weiteren Verlauf im Wettbewerb in irgendeiner Form reizvoll sein
- sondern vielmehr das Drumherum lässt einem die Lust auf
Fußball ein wenig vergehen. Die Rotterdamer Fans, nicht
gerade als äußerst liebenswürdig oder gar gastfreundlich
bekannt, tragen dafür Sorge, dass individuelle Anreisen verboten wurden. Wenn auch nur ein Bruchteil von dem, was
man hört, wahr sein sollte, ist es eine Beleidigung für alle
anderen europäischen Clubs die versuchen, ihre Sicherheitsstandards zu wahren, dass dieses Team international noch
mit dabei sein darf. Ich glaube, die würden jeden einzelnen
von uns am liebsten bei lebendigem Leibe verspeisen. So zumindest sind die verschiedenartigsten Gästebucheinträge auf
unserer Homepage vor dem Spiel wohl zu deuten. Fast schon
kriminell!
Sicherheits- und Alarmstufe Rot herrscht also an diesem Tag
in und rund um die Feyenoord–Festung, dem Stadion mit
dem klangvollen Namen: „De Kuip“, die Wanne. Na prima.
Das Resultat ist eine akribisch im Vorfeld geplante, geschlossene Anreise aller Schalke-Fans in drei Sonderzügen. Und
da ich Zugfahren mindestens genauso klasse finde wie Synchronschwimmen auf Kreisklasseniveau, kann sich sicherlich
jeder gut vorstellen, wie euphorisch meine Stimmung beim
Betreten des Sonderzuges ist. Gut, dass es den meisten anderen Mitreisenden so ziemlich egal ist. Sie feiern einfach,
machen Party und freuen sich über einen freien Tag. Was
wäre das schön gewesen, den Einzug in die nächste Runde
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in Parma, Rom oder Lissabon feiern zu können. Stattdessen
Käseland, umzingelt von Polizisten und umgeben von meterhohen Zäunen und mit Plexiglas verhängten Tunneln. Auch
wenn die Stadt eh nicht die schönste sein sol; gesehen haben
wir davon weniger als nichts.
Als nach endlosen Warteschleifen, Kontrollen und versuchten
Attacken der Rotterdamer Radaubrüder endlich alle 2.800
mitgereisten Knappen mehr oder weniger gesund im Stadion
sind, kommt nun doch endlich die Freude auf Fußball auf.
Ein schönes Stadion, eine aufgeheizte Stimmung, richtige
Flutlichtatmosphäre, das Virus schlägt wieder zu. Rangnick
lässt mit einer etwas besseren B-Elf spielen. Das sagt wahrscheinlich schon alles über die Wertigkeit dieses Spiels aus.
Waldoch für Bordon, Kamphuis für Asamoah, Vermant für
Lincoln, Hanke für Ailton, um nur die wichtigsten Umstellungen zu nennen. Trotzdem legen wir einen blitzsauberen
Start hin. Bereits in der siebten Spielminute, nach einem Eckball für uns, die Führung durch Mike Hanke, unserem Mister
Europacup. Poulsen hatte die Ecke mit dem Kopf verlängert,
Hanke dankbar diese Verlängerung mit irgendeinem Körperteil – es war auf jeden Fall nicht der Fuß - über die Linie
gebracht. Die weitere erste Halbzeit ist bis zur 30. Minute gekennzeichnet durch ausgezeichnete königsblaue Stimmung,
umher fliegenden Sitzplatzschalen und anderen Gegenständen und vor allem einer überragenden Schalker Mannschaft,
die gegen lustlos und behäbig wirkende Holländer lediglich
versäumt, den Sack rechtzeitig zu zumachen.
Der Ausgleich für Rotterdam fällt daher wie aus heiterem
Himmel. Nach einer erneut versiebten Chance landet ein
Pass von Poulsen in den Reihen der Niederländer. Schneller
Gegenstoß gegen die Blauen, kurzes Dribbling von Salomon
Kalou, Schuss, Tor. Groß umjubelter Ausgleich der Niederländer, die heute unbedingt punkten müssen, um sicher
die nächste Runde zu erreichen. Nachdem Hanke nur zwei
Minuten später völlig frei auf den niederländischen Keeper
zulaufend, die Riesen-Möglichkeit zur erneuten Führung ver150
gibt, geht Rotterdam schließlich sogar noch vor der Pause
in Führung. Wieder ist es Kalou der aus sechs Metern eine
Flanke zum 2:1 einköpft. Der Stimmung bei uns im Block
tut diese Führung keineswegs Abbruch. Nur das Spiel selbst
gerät mittlerweile ein wenig mehr ins Hintertreffen.
In der zweiten Halbzeit gleichen sich die Bilder. Die Blauen spielen mit der B-Truppe einen gefälligen Ball, vergessen
dabei jedoch erneut das Toreschießen. Feyenoord bleibt mit
seinen Kontern und seinen schnellen Stürmern stets gefährlich. Der Pausenstand bleibt auch der Endstand. Da hätten
wir ja gleich eine Stunde eher heim fahren können. Aber
immerhin haben wir dieses Spiel hinter uns gebracht und
können uns nun ganz und gar den erfreulichen Sachen des
Lebens widmen. Der Rückfahrt und dem Auswärtsspiel bei
den Zecken!
Es stellt sich heraus, dass auch Zugfahrten, zumindest mit
Howard, Helge und weiteren Hunden dieser Gattung, doch
durchaus kurzweilig und unterhaltsam sein können. So sind
wir im Handumdrehen im heimischen GE. Im Bett träume
ich von der nächsten Runde, von Parma, Rom oder Lissabon.
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05.12.2004
Borussia Dortmund – Schalke 04 • 0:1
Endlich ist es wieder so weit: Derbytime im Pott. Und damit meine ich nicht
irgendein kleines, niemanden interessierendes Spiel zwischen Duisburg und
Essen, Hassel und Erle oder Bochum
und Wattenscheid. Nein, ich meine das
einzig wahre Derby. Die glorreichen,
die göttlichen Königsblauen gegen das
schwatz-gelbe Böse aus der Nähe von
Lüdenscheid. Früher, also bis kurz nach
dem Krieg, nannten wir dieses Kartoffelkäferkonstrukt noch den „Verein aus der Nähe von Lüdenscheid“. Dieses wertvolle Prädikat „Verein“ – und damit auch
alles, was man mit Tradition und Mythos hätte verbinden
können - haben die Biene Majas jedoch dem Haufen Börsengeld, dem schnöden Mammon zuliebe über Bord geworfen.
Sie nennen sich nun lieber KGaA. Zu deutsch: Kommanditgesellschaft auf Aktien. Au Backe!
Bis zum heutigen Tag tun mir die „Zecken“, wie wir sie
schlicht und einfach im Folgenden nennen wollen, einfach
nur Leid. Ich denke, dass dies das Schlimmste ist, was einem
Fußballfan wohl jemals passieren kann. Der Verein löst sich
auf, geht an die Börse, man jubelt in der Kurve einem börsennotierten Wirtschaftsunternehmen zu. Tja, die Zeiten ändern
sich. Und die Zecken gehen trotzdem weiterhin ins Stadion,
die so genannte „Wellblechhütte“. Aber ich werde bis zum
letzten Tropfen Herzensblut dafür kämpfen, dass es bei uns
auf Schalke niemals soweit kommen wird.
Nicht erwähnen wollen wir an dieser Stelle, dass Hunderte
von Millionen Taler, die in die KGaA-Kasse flossen, bereits
alle versiebt sind. Borussia Dortmund steht kurz vor der Insolvenz. Schreckliche Substantive, dabei geht es doch nur
um Fußball, oder? „Doofmund steht kurz vor dem Abstieg“,
152
das hört sich Klasse an, aber Insolvenz? Der Fußballfan von
heute muss halt gleichzeitig, möchte er sich wahrhaftig für
seinen Sport interessieren, mindestens einen Grundkurs in
Wirtschaftswissenschaften besucht haben und darüber einen
qualifizierten Leistungsnachweis vorlegen können.
Und wenn wir ganz ehrlich sind: Mit den Zecken geht es hier
bei uns auf Schalke gar nicht (und ich gönne denen – habe
ich das eigentlich schon erwähnt? - auch nicht das Schwatze
unter dem Fingernagel), aber ohne sie wäre mein Leben als
Fußballfan auch nur halb so witzig. Zum heutigen Auswärtsspiel haben wir uns mal wieder was ganz Besonderes einfallen lassen. Wie eigentlich schon für das letzte Auswärtsspiel
in der verbotenen Stadt geplant, werden wir mit dem Kanalkreuzfahrtschiff „Santa Monika“ mit 250 Supporters das
Rhein-Herne-Binnengewässer bis zum Doofmunder Hafen
runterschippern.
Die gesamte Organisation dieser Tour kostet mich zwar mal
wieder schlaflose Nächte, aber als der Kutter dann am frühen
Morgen, pünktlich um 10 Uhr, die Leinen los lässt und 250
bestens gelaunte Schalker ein erstes Liedchen anstimmen,
ist alles wie weggeblasen. Wir sind im übrigen, wenn mich
nicht alles täuscht, heute genau 2.222 Tage ohne Niederlage
gegen die Zecken in einem Pflichtspiel. Das sind ca. sechs
Jahre. Wie sagte unser Kultreporter Manni Breukmann doch
treffend: „Und auch in diesem Jahr werden sich in Dortmund
zu Weihnachten die Kinder mit dem Großvater unter den
Tannebaum setzen und sich die Geschichte vom letzten Dortmunder Sieg erzählen lassen!“.
Alleine der Gedanke daran lässt die Festtagsstimmung noch
einmal ins Unermessliche steigen. Ist das nicht knorke? Warum sollte sich das gerade heute ändern? Wir sind derzeit in
Topform, die Zecken krebsen dafür im Niemandsland der Tabelle herum. Und da die Auswärtsspiele in der Doofmunder
Wellblechhütte traditionell Heimspiele für uns sind, werden
wir also wieder mit einem Mann mehr spielen.
153
Zurück auf das Traumschiff. Die Tour kommt sensationell gut
an und wird von Schleuse zu Schleuse immer besser. Auf den
Kanalbrücken wird uns zugejubelt, am Kanalrand wird die
La Ola für uns gemacht und der Kapitän macht wohl gerade
den Umsatz der Saison. Selbst Mario, mein alter Sandkastenkumpel, der sonst nie auswärts mitfährt, ist außer Rand und
Band. Fiene, die heute ebenfalls erstmalig zu einem richtigen
Derby mitkommt, findet augenscheinlich ebenfalls Gefallen
an der Tour. Nur ich schwächele ein wenig. Ist da etwa eine
Vogelgrippe im Anmarsch?
Fazit nach vier Stunden Schifffahrt auf dem Kanal: Kein
Mann, keine Frau über Bord, keine Verluste, allgegenwärtige
Siegesgewissheit, Breitmaulfroschgrinsen in allen Gesichtern, unbedingt zu wiederholen! Anreisen zu Auswärtsspielen erfolgen, nach Möglichkeit, ab sofort nur noch über den
Wasserweg.
Im Doofmunder Hafen angelegt, holt uns ein freundlicher
Trupp grüner Schutzbeamter ab, der jedoch der feucht-fröhlich-friedlichen Schiffsbesatzung erst einmal freien Aufenthalt gewährt. Geschlossen machen wir uns auf den Weg
zur Wellblechhütte und das eine oder andere nette Wort
wird mit schwatz-gelben Schalträgern gewechselt. Klasse
kommen auch immer wieder diese neongelben Trikots an.
Bääääääääh!
Am Stadion verrät uns der Blick auf die Uhr, dass der Kutter doch eher ein Speedboot war. Noch eineinhalb Stunde
bis zum Anpfiff. Ausreichend Zeit für das eine oder andere Erfrischungsgetränk. So positionieren wir uns vor einer
der lustigen Bierbuden hinter dem Stadion Rote Erde und
sind – wie jedes Jahr – verwundert über die königsblauen
Menschenmassen. Wie schon erwähnt, es wird wieder ein
Heimspiel.
Bei aller sportlichen Rivalität, bei aller Antipathie, die bei
dieser heutigen Begegnung eine Rolle spielt: die Szenen, die
154
sich vor dem Stadion abspielen, sind teilweise äußerst peinlich. Hüben wie drüben. Dumme und plumpe Provokationen,
Wortgefechte auf unterstem Niveau, den ersten Preis jedoch
für das widrigste Verhalten erhalten die Jungs mit dem goldenen Schlagstock. Selbst Fiene, die heute ja zum ersten Mal
ein solches Derby hautnah miterlebt, ist von der Willkür und
Brutalität der Staatsmacht erschüttert. Und je weiter die
Dunkelheit voranschreitet, umso schlimmer scheint es zu
werden. Es wird Zeit, in die Westfalenbude zu gehen.
Die 10.000er Grenze wird heute locker geknackt. Überall,
wohin das Auge reicht, sieht man nur königsblau. So haben
wir es gerne. Kurz vor Anpfiff gibt es von der Südtribüne der
Zecken noch eine Choreo. Verstehen tut sie keiner, selbst die
anderen Zecken-Fans nicht, aber wer will da schon mehr erwarten.
„Kniet nieder ihr Bauern, Schalke ist zu Gast!“ ertönt es
pünktlich zum Anpfiff tausendfach aus unserer Kurve und
unser Befehl wird von den schwatz-gelben Spielern auf dem
Platz umgehend befolgt. Von der ersten Sekunde an geben
die Blauen zu unserer großen Freude Vollgas. Die Kartoffelkäfer sind wie gelähmt. Lediglich Jörg Böhme, dessen Abschied aus Schalke sich wohl langsam aber sicher ankündigt,
hat scheinbar keine Lust auf das Derby gehabt und sich mit
einem Krankenschein, einem „Gelben“, beim sportlichen
Übungsleiter abgemeldet. Auch ein Novum auf Schalke. Dafür spielt unsere erfolgreiche Formation der letzten Tage und
Wochen einen „lecker Ball“.
Folgerichtig sorgen unsere Knappen bereits in der 17. Spielminute für ein vorzeitiges Nikkelausgeschenk. Kobiashvili
spielt vor dem Strafraum der Bösen wunderbar Ailton frei,
der im richtigen Moment lossprintet und den herausstürmenden Torwart Roman Weidenfeller mit einem Beinschuss
düpiert. Der Ball trudelt langsam aber sicher, wie in Zeitlupe,
über die Torlinie, 1:0 für die Guten. „Auswärtssieg, Auswärtssieg“, hallt es durch das Stadion!
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Spätestens von diesem Zeitpunkt an ist die Westfalenhütte fest in Schalker Hand. Hohn- und Spottgesänge in Richtung der mucksmäuschenstillen BvB-Fankurve, das gesamte
Schalker Gesangsrepertoire wird rauf und runter gesungen.
Muss das traurig für die Doofmunder sein. Der weitere Spielverlauf ist nicht der Rede wert. Blau dominiert auf Rasen und
Rang. Blau gewinnt. Zum Zeitpunkt des Abpfiffs ist das halbe
Stadion bereits wieder leer. Schwatz-gelb ist schon daheim.
Immerhin haben sie es heute länger ausgehalten als noch
beim legendären 0:4 vor vier Jahren. Da war die Hütte bereits nach 60 Minuten leer.
Siege in Doofmund sind doch immer wieder was Schönes. In
dem Moment des Abpfiffs sind wir nun seit dem 14. November 1998 gegen die Zecken ungeschlagen – und gleichzeitig
auch punktgleich mit den Bayern an der Tabellenspitze. Jetzt
müssen wir am nächsten Spieltag nur noch gegen den Tabellenletzten Freiburg punkten, und dann winkt womöglich
noch die Herbstmeisterschaft. Freudentränen fließen, wildfremde Menschen küssen sich. „Der S04, der S04, der S04 ist
wieder da“ und das altbekannte: „Wo ist Helmut Schön? Oh
wie ist das schön! Mensch, den hat man lange nicht geseh’n
den Schön. So schön“ schallt es durch das Stadion.
Die Mannschaft wurde ausgiebig und gebührend gefeiert. Für
manche das Schönste am ganzen Tag. Der Triumpfzug per
Pedes von der Westfalenbude zum Doofmunder Bahnhof.
Die verbliebenen bedröppelt dreinschauenden DoofmundFans werden ausgelacht. Überall Schalker Freudengesänge.
Königsblaue Fahnen werden geschwungen. Zumindest heute
ist Doofmund mal wieder fest in Schalker Hand!
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11.12.2004
Schalke 04 – SC Freiburg • 1:1
Obwohl ich nun mit einer Mumpserkrankung flach im Bett liege, steht heute nun
das letzte Pflichtspiel des Jahres auf dem
Kalender. Der äußerst sympathische SC
Freiburg aus dem Breisgau ist zu Gast in
unserer Arena. Tatsächlich hat er sich in
den letzten Tagen und Wochen auch äußerst gastfreundlich präsentiert, nämlich
kaum einen Punkt auf fremden Plätzen
(sowie daheim) geholt. Tabellenletzter
sind sie, haben die letzten sieben Spiele allesamt verloren.
Das wird sich jawohl nicht ausgerechnet heute ändern,
oder?
Ich ertappe mich dabei, dass ich erstmals auch auf die Begegnung unseres ärgsten Mitkonkurrenten um die Meisterschaft (habe ich jetzt wirklich Mitkonkurrent um die Meisterschaft gesagt?), den Schalendieben aus München schiele.
Die spielen daheim gegen den VfB Stuttgart. Wird sicherlich
auch kein Zuckerschlecken. Da wir beide punktgleich sind,
könnten wir also theoretisch heute den Tabellenplatz Eins
übernehmen und auf ihm überwintern. Dann dürften wir uns
auch „Herbstmeister“ nennen. Ein Titel, für den man sich
nichts kaufen kann und vor allem ein Titel, den wir schon
zweimal gewonnen haben. Am Ende reichte es jedoch jeweils
nur für die Vizemeisterschaft. Abgerechnet wird bekanntlich
immer zum Schluss!
Trotzdem scheint alleine das Wort „Meisterschaft“ einmal
mehr eine wahre Euphorie zu entfachen. Wie gewohnt begebe ich mich, immer noch leicht angeschlagen von der Kindererkrankung, gegen 13.30 Uhr in Richtung Stammlokal. Am
Café Central angekommen, werden erst einmal alle bekannten Nasen herzlich begrüßt. Bei einigen werde ich das Gefühl
nicht los, ich hätte sie länger nicht gesehen.
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„Natürlich“, fällt es mir wie Schuppen von den Haaren, „seit
Langem hatten wir mal keine englische Woche“. Englische
Wochen, was für eine Vokabel. Eigentlich ein Zustand, an den
man sich problemlos gewöhnen könnte. Zumindest wird diese Woche, da sind wir uns in unserem kleinen Fachkreis bei
einem heißen Pinientee einig, den Blauen gut getan haben.
Unverkennbar war in den letzten Spielen doch ein gewisser
Substanzverlust zu erkennen. „Die Spieler krauchen auf den
Brustwarzen“, pflegt man an einer solchen Stelle gerne zu
sagen. So schlimm wird es wohl nicht sein. Erst recht nicht,
wenn man bei der Metapher als sprachlichem Mittel bleibt
und bedenkt, dass der „Erfolg ja auch Flügel verleiht“.
Die Jungs sind also hoffentlich erholt, motiviert und haben
einen Lauf. Ich gebe mit meinen Fußballweisheiten zu bedenken, dass der Ball rund ist, ein Spiel 90 Minuten dauert
und entscheidend, so oder so, nur auf dem Platz ist. Ergo:
Auch dieses Spiel muss erst einmal gewonnen werden! Aber
der Optimismus der Schalker Fanschar ist grenzenlos. Möge
sie recht behalten!
Zum letzten Mal im Jubiläumsjahr 2004 steigen wir an der
Haltestelle Arena „Auf Schalke“ – ehemals „Parkstadion“
– zu einem Spiel aus, geben brav unser Fahrbier in Flaschen
und Dosen an der mobilen Sammelstelle ab und passieren
den üblichen Schwarm an Schwarzmarktkartenhändlern. Die
altbekannten Gesichter, stapelweise Tickets in den Händen
haltend. Warum tut eigentlich niemand etwas gegen diesen
scheinbar gut organisierten Handel?
Flink werden in gewohnter Manier die Eingangskontrollen
passiert und zügig, nicht ohne aus der unteren Promenade noch einen warmen Kakao mitzunehmen, begeben wir
uns zu unserem Block 41. Wir werden gerade noch Zeuge
des spektakulären Nikkelaus-Abseil-Events. Insgesamt 40
Nikkeläuse seilen sich von dem ca. 40 Meter hohen Wartungsgang (Anglizismus: Catwalk), an welchem auch ein
Großteil des Flutlichts und der Beschallungsanlage befestigt
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ist, ab und kommen so auf die Erde. Wobei - eigentlich nur
39. Denn einer scheint irgendwelche Probleme mit einem
imaginären Rentierschlitten zu haben, der ihn leicht durch
die Lüfte gleiten lassen sollte und müsste. Mensch, waren
das noch Zeiten, als Charly Neumann, schlicht und einfach
als Nikklelaus verkleidet, zu uns in die Kurve kam, uns mit
Schokoläusen bewarf, dreimal winkte und dann auch schon
angepfiffen werden konnte.
Ohne ein großes amerikanisiertes Show- und Rahmenprogramm ist ein Fußballspiel heutzutage eigentlich kaum noch
denkbar. Aber die Werbepartner, die immerhin viel Geld in
unseren Club investieren, wollen natürlich auch adäquat präsentiert werden und nutzen diese Plattform „Stadion“ gerne.
Für uns allerdings ein Grund, immer später ins Stadion zu
gehen. Wobei, wenn Charly im Nikkelauskostüm sich noch
einmal von solch einem Catwalk abseilen würde...
Kurz vor Anpfiff noch ein bewegender Moment. Unter stehenden Ovationen der gesamten Donnerhalle wird Jörg Böhme verabschiedet, weil er uns zur Winterpause Richtung Borussia Mönchengladbach verlässt. Zwar ist es wohl besser so
für alle Beteiligten, vielleicht hätte man diesen Schritt sogar
schon wesentlich eher machen sollen, und trotzdem wird für
Jörg immer ein Fleckchen unseres königsblauen Herzens frei
bleiben. Unvergessen seine genial-verrückten Aktionen wenn
er in Topform war. Nicht von der Hand zu weisen sein Anteil
an der Erfolgen von 2001 und 2002. Danke Jörg!
Und dann ist es auch endlich soweit, die letzten 90 Minuten
des Jahres 2004 werden angepfiffen. Leider kann der derzeit
in Bestform spielende Pander wegen einer Verletzung, die er
sich gerade beim Aufwärmen zugezogen haben muss, nicht
auflaufen. Dafür rückt kurzfristig Nils Oude Kamphuis ins
Team. Eine klare Schwächung unserer linken Seite und ein
Zeichen für mehr Defensive.
Trotzdem dominieren wir das Spiel, ein Treffer liegt förmlich
159
in der Luft. Fußballfans wissen, dass dies keine leere Phrase
ist. Man spürt förmlich, dass in den nächsten Minuten ein
Tor fallen muss, fallen wird. 19. Minute, erneut ein Freistoß
von Lincoln, wem sonst? Aus knapp 40 Metern zirkelt er den
Ball Marcelo Bordon auf den Kopf, doch dieser köpft die Pille
knapp übers Tor. So langsam werden die Zuschauer ungeduldig. Wird heute wohl doch nichts mit einer Packung für die
Breisgauer. Kurzzeitiger Jubel ertönt im weiten Rund nur bei
der Einblendung der Zwischenergebnisse: Rostock führt gegen die Zecken und Stuttgart bei den Schalendieben. Wir sind
jetzt gerade, in diesem Moment, Herbstmeister! Das muss
der Mannschaft doch Flügel verleihen! Während wir uns auf
den Rängen die Kehle aus dem Leibe singen und brüllen, um
die Mannschaft als zwölften Mann nach vorne zu peitschen,
offenbart diese uns ihr wahres Gesicht. Ein eckballähnlicher
Freistoß von der linken Seitenauslinie wird von Lincoln in
den Strafraum gebracht. Aus ca. sechs Metern köpft Krstajic
den Ball knapp unter die Latte 1:0. Endlich!
Uns allen, Fans wie Spielern, scheint ein riesiger Gesteinsbrocken, ein Fels, vom Herzen zu fallen. Trotzdem fällt der
Jubel auf den Rängen erstaunlich moderat aus. Selbst der
letzte Schalker scheint gemerkt zu haben, dass der Fisch heute gegen die tapfer rackernden Freiburger noch lange nicht
gepellt ist. Und so gleichen sich leider nach dem Führungstreffer die Bilder. Chance um Chance wird nicht genutzt. So
gehen wir, statt mit einem beruhigenden 2:0 oder 3:0 mit
einem mickrigen 1:0 in die Halbzeitpause.
Die Bazen liegen zur Halbzeit zurück und ob wir nun mit
einem knappen 1:0 oder einem deutlichen 6:0 gewinnen; es
gibt trotzdem nur drei Punkte für einen Sieg. Einzig unsere
Nerven und demnach unsere Gesundheit würden ein wenig
mehr geschont werden. Aber wenn wir druckvoll so weiterspielen, dürfte das 2:0 schon irgendwann einmal fallen. Und
dann schaukeln wir das Kind locker und leicht nach Hause.
Druckvoll weiterspielen? Wie verwandelt kommen unsere
160
Knappen aus der Kabine. Zwar melden wir uns eindrucksvoll
mit einer weiteren Großchance zurück, die gesamte Donnerhalle hat sich den Jubelschrei in diesem Moment quasi schon
zurecht gelegt, jedoch verpasst der Schuss knapp das Tor.
Und danach ist auch umgehend Schluss mit der Schalker
Herrlichkeit. Wie gehemmt spielen sich die Knappen den Ball
müde hin und her. Kein Druck mehr, keine Risiko, kaum
noch Laufbereitschaft. Das Ganze erinnert mich ein wenig
an die letzten drei Spiele der Vizemeistersaison 2001. Ein
ungutes Gefühl überfällt das Stadion. Dieses Gespür ist wieder da. Erkennt die Mannschaft nicht die Zeichen der Zeit,
die Warnsignale?
Meiner Meinung nach macht auch Ralf Rangnick zu diesem
Zeitpunkt den ersten Fehler als Chefcoach auf Schalke. Er
wechselt den schwachen Ebbe Sand aus und bringt dafür
allerdings Dario Rodriguez. Vom Prinzip her vielleicht die
richtige Auswechslung, das war heute wirklich nicht Ebbes
Tag, allerdings geht von dieser Auswechslung das ganz falsche Signal an die Mannschaft aus. Noch mehr Defensive,
das kann nur in die Hose gehen. Die Freiburger auf jeden Fall
packen die Situation am Schopfe und fangen an, mutig und
frech nach vorne zu spielen. Ein paradoxes Bild. Der Meisterschaftsmitfavorit verteidigt vor heimischer Kulisse, trotz
Führung, mit Mann und Maus. Der Ball wird nur noch wild in
Richtung gegnerisches Tor geschlagen und statt Richard Golz
steht nun unser Frank immer öfter im Mittelpunkt. Bilder,
die wir eigentlich gar nicht sehen wollen.
Machen wir es kurz. Einmal mehr bestätigt sich unser ungutes Gefühl und es kommt wie es kommen musste; Die Doofmunder schießen den ärgerlichen Ausgleich in Rostock, die
Bazen machen in den letzten 20 Minuten aus einem 0:2 ein
noch viel ärgerlicheres 2:2 und wir spielen Angsthasenfußball. Spiele zu versuchen über die Zeit zu retten, geht meist
schief. Kurz vor Abpfiff dann, wir schreiben die 86. Spielminute, fällt der Ausgleich, um den die Knappen so lange
gebettelt haben. Und damit ist das Spiel auch aus. Die Spieler
161
lassen die Köpfe hängen. Auch wir verlassen scharenweise
zutiefst enttäuscht die Donnerhalle. Lediglich die ca. ungefähr 1.000 mitgereisten Freiburger Schlachtenbummler aus
dem Breisgau bejubeln ihren ersten Punkt auf fremden Platz
seit Dekaden. Schlachtenbummler. Wenn ich dieses dämliche Wort nur schon höre, wer sich das wohl hat einfallen
lassen.
Unser erstes Remis am letzten Spieltag der Hinrunde lässt
uns „lediglich“ auf Platz zwei in der Tabelle überwintern. „Lediglich“, wie schnelllebig die Welt, das Fußballgeschäft, doch
ist. Man denke einmal nur wenige Wochen zurück.
Während der Rückfahrt zum Stammlokal in der Bahn lassen wir geschlossen unserem Ärger, unserem Frust freien
Lauf. Warum verlieren wir daheim ausgerechnet gegen die
Graupentruppen aus Rostock und Freiburg die Punkte?
Wo stünden wir heute, hätten wir nicht den kompletten
Saisonstart vergeigt und unnötige Geschenke in Form von
Punkten verschenkt? Warum verlieren wir überhaupt und
hören auf, in der zweiten Halbzeit Fußball zu spielen? Warum
haben die Schalendiebe mal wieder so ein Glück und können
nicht wenigstens verlieren? Ist es sehr weit her geholt, die
gerade verpasste „fünf-Minuten-Herbstmeisterschaft“ mit
der verpassten „vier-Minuten-Meisterschaft“ von 2001 zu
vergleichen? Die Symptome waren doch ähnlich. War der
Erwartungsdruck zu hoch? Die altbekannte Angst vor dem
Siegen plötzlich da? Oder waren einfach nur die Knochen
müde? Immerhin haben wir wesentlich mehr Spiele in den
letzten Wochen und Monaten als alle anderen Bundesligisten
absolviert. Fragen über Fragen, die die Welt nicht braucht
und die mich und Tausende von anderen Schalkern noch tagelang beschäftigen werden.
Wir bestellen erst einmal ein gepflegtes Pils, setzen uns an
einen Ecktisch und quatschen weiter. Schnell kriegen wir,
bei allem Frust, jedoch heute die Kurve und blicken rundum
zufrieden auf eine tolle Hinserie zurück. Lieber heute nur
162
einen Punkt geholt und dafür letzte Woche bei den Zecken
gewonnen! Vielleicht ist die Vizeherbstmeisterschaft ja auch
ein gutes Omen? Wie schon gesagt, zweimal bereits ging in
unserer Vereinsgeschichte das Projekt „Herbstmeisterschaft
gleich Meisterschaft“ tüchtig in die Hose.
Wir müssen lernen, die Dinge viel öfter positiv zu sehen. Wir
überwintern im DFB-Pokal, im UEFA-Cup, stehen – punktgleich mit dem Führenden – an der Tabellenspitze, sind Zeugen von mitreißenden, tollen Spielen geworden, die fast allesamt gut für uns ausgingen. Alles in allem eine fast perfekte
Schalker Hinrunde.
Summa summarum ist doch fast alles okay. Soll ich Euch mal
etwas sagen? Ich freue mich jetzt zwar erst einmal auf einige
fußballfreie Tage – ja, auch das gibt es – aber ein wenig auch
schon auf die Rückrunde. Da geht noch was!
163
28.12.2004
Halbzeit: Intermezzo Biathlon
Still und leise neigt sich das Jahr
dem Ende entgegen. Eigentlich die
Zeit, um die Vielzahl der Ereignisse noch einmal vor dem geistigen
Auge Revue passieren zu lassen und
Zeit, um die leeren Tanks aufzufüllen, um mit neuem, frischen Elan
in die Rückrunde durchstarten zu
können.
Denkste! Die Donnerhalle übt eine
magische Anziehungskraft auf mich aus und so kann ich die
Finger nicht davon lassen, ihr einen letzten (Abschieds-) Besuch im Jahr 2004 abzustatten. Man kann es auch Sehnsucht
nach seinem heimischen Wohnzimmer nennen. Der Anlass?
Die dritte Auflage von „Biathlon auf Schalke“. Hätte ich das
vor nicht einmal fünf Jahren meinem Hausarzt erzählt, er
hätte mich wahrscheinlich auf direktem Wege in die nächstbeste Klappsmühle einweisen lassen, um meine Umwelt vor
mir zu schützen. Bis dahin war Gelsenkirchen mit Schnee
und Biathlon so undenkbar, wie Pfingsten mit Tannenbaum.
Aber um die fußballlose Zeit zu überbrücken (und natürlich
auch, um einige Taler zu verdienen) kamen die Verantwortlichen auf die Idee, dass Undenkbare denkbar zu machen.
Weiße Weihnachten in GE... Zumindest in der Arena!
Man mag es kaum glauben, aber als ich mich am 28.12. fertig
mache, um den Weg zur Bahn zu bestreiten, blicke ich aus
dem Fenster und es schneit. Eine puderzuckerweiß bedeckte
Hausfront blickt mich an und scheint zu fragen: „Hat der
Rudi etwa die Schneekanonen falsch aufgestellt bzw. ausgerichtet? Der Schnee sollte doch eigentlich in der Donnerhalle und nicht außerhalb verteilt werden?“ Ob man in diesem
Jahr sogar wegen zuviel Schnee alles absagen muss?
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Als die Bahn am Kennedyplatz um die Ecke biegt, erkenne
ich schon die erste bekannte Fratze, die mich schelmisch anlächelt und mich in meinem Bestreben, die Donnerhalle im
Jahr 2004 noch einmal zu betreten, bestätigt. Ich will meine
Jungs treffen, mit ihnen einen oder drei Kaffee trinken, über
Schalke klönen. Ich will in mein Wohnzimmer! Ich brauche
diesen Stadiongeruch, dieses Gemisch aus Bier, Bratwurst,
Testosteron und Nikotin.
Die Fahrt verläuft reibungslos, allerdings ist irgendetwas anders, ungewohnt. Und schon fällt es mir wie Schuppen aus
den Haaren: Kein Wippen in der Bahn, keine beklemmende
Enge, keine Kippe, die mir von meinem Nachbarn unter den
Nasenflügel gehalten wird, kein Drängeln, kein Schweiß- und
Knoblauchgeruch, kein Bierdunst, der mir entgegenweht, keine Gesänge, keine leeren Bierflaschen, die beim Anfahren der
Bahn durch die Gegend rollen, keine Scheiben, die beschlagen, keine Fachsimpeleien unter Fußballtrainern – nichts
davon. Die Bahn ist tot! Bei dem einen oder anderen kann
man gerade noch erkennen, wie er schüchtern versucht, seinen S04-Schal unter der Jacke zu verbergen. Wir sind in der
Minderheit! Eine Menschenschar mit einem Durchschnittsalter von 50 bis 60 bereitet akribisch die Arena-Invasion vor.
Sollen sie doch ihre Frührente dort unters Volk bringen. Hier
sind die Talers sicherlich gut angelegt.
Wir passieren die Eingangskontrolle und besorgen uns flugs,
um die Sammelleidenschaft zu befriedigen, die „Biathlon
2004 Knappenkarte“. Die gibt’s allerdings nur mit einem
Guthaben von 10 Euronen. Wollen die uns verhohnepiepeln? Das reicht doch gerade mal für die erste halbe Stunde.
Entgegen unser sonstigen Gewohnheiten begeben wir uns
zum verabredeten Kiosk. Dort stehen bereits einige altbekannte Gesichter. Endlich Zuhause! Selbst unser Schutzpatron Asi-Erich zieht seine gewohnten Kreise – alles ist also
in Ordnung.Völlig locker und gelöst stehen wir beisammen,
flachsen entspannt und unverkrampft und trinken eine erste
Brause.
165
Ich weiß dabei die Ohren meiner Sportsfreunde auf meiner
Seite, als ich anfange, die Weihnachtsgeschichte des Jahres
2004 zu erzählen. Tatsächlich hatte noch keiner der Jungs
etwas davon mitbekommen. Totgesagte leben halt länger!
Nach dem letzten Heimspiel des Jahres gegen den SC Freiburg wurde im offiziellen Forum der Webpage des S04 von
Unbekannt verkündet, dass Catweazle nach langer, schwerer
Krankheit, still und einsam gestorben sei. Die Jüngeren unter
uns mögen sich nun fragen: Wer ist Catweazle? Catweazle
ist, ebenso wie Asi-Erich, eine (lebende) Legende, ein Urgestein des Parkstadions. Dort stand er bei jedem Heimspiel
an einen Lautsprecherposten angelehnt auf einem Wellenbrecher des Blocks N5 und haute wie ein Wahnsinniger auf
seine Trommel ein. Man hätte fast glauben können, sie seien
Eins geworden, die Trommel ein Teil von Catweazle selbst
gewesen. Es ist sicherlich schwer, einen Vergleich zu ziehen.
Aber Catweazle war damals für die Fans so etwas wie heute
der Megafonmann für die Ultras, eine Institution, ein Vorbild für seine Generation. Ähnliches kennt man zum Beispiel
auch aus Valencia oder Mönchengladbach, wo „Manolo“ der
Trommler ein Symbol für die Fanszene ist, eine wahre Kultfigur. Seit dem Umzug in die Donnerhalle war es allerdings
ruhig um Catweazle geworden. Man sah ihn immer seltener, in führender Rolle so oder so nicht mehr. Tatsächlich
war er wirklich krank. Dann entstand jedoch dieses Gerücht,
verbreitete sich rasend, und die Fanszene war erschüttert.
Vielleicht auch ein wenig, weil man sich selbstkritisch die
Frage stellte, warum man sich nicht schon eher um sein leises
„Verschwinden“ gesorgt hatte. Oft kommen solche Gedanken zu spät – helfen können hätte man nur zu Lebzeiten.
Catweazle ist also tot. Spontan wurden Kondolenzbücher im
Internet ins Leben gerufen, in denen sich innerhalb weniger
Tage Hunderte von Schalkern eintrugen. Beileidsbekundungen wurden säckeweise in Form von Karten an die Adresse
seiner Familie geschickt und über ein Spendenkonto wurden
bereits fleißig Taler für eine überregionale Todesanzeige gesammelt. Selbst auf der offiziellen Homepage des S04 wurde
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des Verstorbenen gedacht, alle Gelsenkirchener Tageszeitungen widmeten ihm ausführliche Berichte.
Nun die Pointe: Exakt am ersten Weihnachtstag ruft auf einmal der verstorbene Catweazle bei dem ersten Vorsitzenden
des SFCV, Rolf Rojek, an und fragt, was er mit der ganzen
blöden Post solle, die mittlerweile in seinem Wohnzimmer
lagere? Rolf muss wohl, verständlicherweise, sehr überrascht
reagiert haben und um einen weiteren „schlechten Scherz“
zu verhindern, umgehend selbst bei Catweazle zurückgerufen
haben. Spätestens jetzt stand fest: Catweazle ist weder der
neue wiedergeborene Heiland, noch ist er von den Toten auferstanden. Nein, es hatte sich nur jemand einen schlechten,
schlechten Scherz erlaubt. Oder hätte einer von uns Lust,
beim Frühstück seine eigene Todesanzeige in der Zeitung zu
lesen?
Ich muss nicht erwähnen, dass diese kleine Anekdote, so
traurig sie in ihrem Kern sein mag, in unser trauten Runde
für Erheiterung sorgt. Und da ich vom vielen Erzählen schon
riskiere, eine trockenen Kehle zu kriegen, (schon Fienes Oma
sagte einst: „Man muss immer viel trinken, sonst trocknet
das Gehirn aus...“!) entschließe ich mich, die tollen neuen
Veltins- 6er-Tragebehälter auszuprobieren.
Nachdem wir also genug Zeit vertrödelt haben, wird erst
einmal unser Platz im Block S4 sondiert. Beim Betreten
des Segments, der altbekannte Blick ins weite Rund. Schon
irgendwie komisch, anstatt des grünen Rasens eine reine,
weiße Winterwelt vor Augen zu haben. Aber es sieht toll aus
und einmal mehr sorgen 52.000 zahlende Besucher für eine
ausverkaufte und imposante Kulisse. Ich setze mich auf meinen Platz und in dem Moment fangen die „Florians“, unsere
Haus- und Hofband, an, in die Tasten zu hauen. Hat man
denn nie vor denen Ruhe? Egal ob du in Warschau aus dem
Bus steigst und zur Fanparty gehst oder in Ruhe Wintersport
sehen möchtest – die Jungs sind immer dabei! Aber dann
singen sie wenigstens noch von Königsblau und versuchen
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nicht, eher schlecht als recht, Robbie Williams zu imitieren.
Schuster, bleib’ bei deinem Leisten!
Einige Damen hinter mir monieren die ausgesprochene Frische in unserem Tempel. Ja, liebe Arena-Touristen, im Physik-Unterricht mal wieder nicht aufgepasst, gelle? Ich möchte
hiermit ebenfalls einmal gerne kurz der Aufklärungsarbeit
dienen. Die Donnerhalle ist ca. 55 m hoch, ca. 225 m lang
und ca. 187 m breit. Es ergibt sich ein Raumvolumen von ca.
1.7Mio m3. Die Bausubstanz besteht zu 99,9 % aus kaltem
Stahl und eiskaltem Beton. Nun geht’s los: Warme Luft, egal
woher sie kommen mag, ist leichter als kühle, steigt demnach
nach oben. Verstärkt wird dieses thermische Phänomen (genant: Kamineffekt) bei einem offenen Dach (und das Dach
der Donnerhalle ist, Dank einer Flügelkonstruktion, immer
offen). Die Folge ist ganz einfach: Im Sommer ist es in der
Donnerhalle stets bedeutend frischer als draußen, im Winter ist es drinnen teilweise sogar schweinekalt. Aus diesem
Grunde gibt es „Carmen“ nur im Sommer und Biathlon im
Winter. Also immer lieber einen Pulli mehr mitnehmen! Den
Unterschied zwischen gefühlter und gemessener Temperatur
möchte ich im übrigen an dieser Stelle nicht näher erläutern.
Das Drumherum langweilt mich so langsam und ich muss an
Deppi denken, der konsequent diese Veranstaltung boykottiert. Wegen ihres leicht bajuwarischen Touches. So schlimm
finde ich es nun auch nicht. Beim Prominentenschießen beweist Thomas Kläsener, dass er nicht nur mit der großen Lederkugel gut umgehen kann. Um mich herum einige fragende
Gesichter. Wann geht denn nun das eigentliche Rennen los?
Die meisten Besucher in der Donnerhalle scheint dies allerdings nur nebensächlich zu interessieren. Vielmehr sollte die
Veranstaltung tatsächlich in „BIERathlon“ oder auf den Namen: „Wie schaffe ich es, in möglichst kurzer Zeit die strahlend weiße Donnerhalle zu betreten und in möglichst kurzer
Zeit blau zu werden?“, umgetauft werden.
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Der Stimmung selbst tut dies natürlich gar keinen Abbruch.
Ausgelassen und entspannt dreht die La Ola ihre Runden
(eigentlich ziemlich makaber wenn man bedenkt, dass fast
zeitgleich fast 300.000 Menschen in Asien ihr Leben bei der
Tsunami-Flutkatastrophe verloren haben) und beim eigentlichen Hauptrennen werden alle Biathleten, egal welcher Nation, angefeuert, als würden die Blauen gerade ihre Sturm- und
Drangphase haben.
Lustig wird’s allerdings, wenn unser Schalker Schlachtruf
tausendfach erhallt, da er eine ganz neue Bedeutung erhält:
„Macht sie alle, schießt sie aus der Halle!“ Wer das Rennen
gewonnen hat? Ich glaube es waren zwei Norweger. Auf jeden Fall konnte er, der männliche Part, wesentlich besser
deutsch sprechen als Ailton. Aber was juckt es uns? So lange
der Junge für uns Tore schießt. Oder was juckt es die Eiche,
wenn der Eber sich dran reibt?
Ich erinnere mich noch glänzend an den Moment der Siegerehrung, als unser Schalker Finanzminister Josef „Jupp“
Schnusenberg den güldenen Pokal übergibt. Wahrscheinlich
wusste er in diesem Moment bereits, dass man innerhalb
weniger Stunden mehr Glühwein verkauft hatte, als es der
gesamte Gelsenkirchener Weihnachtsmarkt in drei Wochen
geschafft hatte.
Tja, liebe Schalker Fangemeinde, man kann zu diesen „Zusatzveranstaltungen“, wie sie ja genannt werden, stehen wie
man will, aber so (re)finanziert man Veranstaltungsstätten,
Fußballstadien. Es sei denn, Papa Staat hat einen ganz doll
lieb und greift einem, wie den Gebrüdern Hoeneß, mit Finanzspritzen, die so groß sind wie eine Rakete, tüchtig unter
die Arme. Man kann es aber auch anders ausdrücken: Mit
einer solchen Zusatzveranstaltung kann man prima einen
neuen Spieler verpflichten.
Und das ist die Bombe des Tages: Der Junge heißt Mimoun
Azaouagh (wie spricht man den Namen nur richtig aus?) und
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kickt ab sofort bei uns. Den Namen noch nie gehört? Er gilt
als Supertalent, ist sechsmaliger (deutscher) U21-Nationalspieler, spielt im offensiven Mittelfeld, kommt vom Ligakonkurrenten und Aufsteiger Mainz 05 und erhält einen Vertrag
bis zum 30. Juni 2009. Über die Höhe der Ablösesumme
wurde natürlich Stillschweigen vereinbart. Gehen wir mal davon aus, dass der Getränkeverzehr des heutigen Tages diesem
Transfer zu Gute kommt. Mit dieser Personalentscheidung ist
für uns klar, dass unser Management eine klare Linie fährt
und im WM-Jahr 2006 sicherlich mindestens vier bis fünf
Jungs in unserem Kader stehen werden, die den Bundesadler
auf der Brust tragen werden. Unser neuer Asa II - wie ich ihn
ab sofort nennen werde - absolvierte bis heute acht Bundesligaspiele und 48 Zweitliga-Partien. Er ist zwar noch verletzt,
aber schenkt man den Aussagen unserer Verantwortlichen
Glauben, dann ist der Junge bald wieder fit und ein richtig,
richtig Guter, der uns bereits in der Rückrunde im Kampf um
die angestrebten Titel weiter nach vorne bringen wird.
Auf diese erfreuliche Nachricht hin verdrücken wir noch
ein kleines Erfrischungsgetränk, bestaunen das großartige
Feuerwerk in der Halle und machen uns glücklich, aber erschöpft auf den Heimweg. Und soll ich mal ehrlich sein? Ich
freue mich jetzt schon wie ein Schneehase, wie vorhin die
Schlittenhunde auf ihre Ehrenrunde, auf das Erste Bundesliga-Heimspiel des Jahres 2005, wenn wir in unserem Wohnzimmer die Gerda aus Bremen empfangen.
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22.01.2005 (Rückrundenstart)
Schalke 04 – Werder Bremen • 2:1
Viel zu lang ist die Winterpause in dieser Saison.
Oder kommt mir das nur
so vor? Ein Blick in mein
Tagebuch bestätigt meine
gefühlte Abstinenz. Am 11.
Dezember war unser letztes Spiel. Fünf Wochen
ohne Fußball, ohne Emotionen, ohne Leidenschaft
sind seitdem still und leise ins Land gezogen. Der Ärger über
das späte Ausgleichstor und die verpasste Tabellenführung
ist längst verzogen. Viel zu heiß bin ich auf den Rückrundenstart, scheint doch tatsächlich bei unserer Truppe mehr
möglich zu sein, als wir noch vor der Saison zu hoffen gewagt
hätten. Der Tanz auf drei Hochzeiten geht weiter.
Zwar tippten in der Winterpause die meisten Trainer, gewohnheitsgemäß, auf die Münchener Schalendiebe als heißesten Titelanwärter, aber die zunehmenden Spitzen und
verbalen Attacken, die Ulli Hoeneß von seinem Weißwurstäquator an unsere Adresse schickt, zeugen von großem Respekt, der uns gezollt wird. Berechtigt!
Würden wir der legendären Carmen Thomas (das ist die
Dame, die sich im „Sport-Studio“ mal den „Schalke 05-Versprecher“ leistete) glauben, dann hätten wir in unserem jetzt
gerade beginnenden Geburtstagsjahr (Teil II) doch noch eine
zweite realistische Chance auf zumindest einen Titel. 100
Jahre Schalke – die Party geht weiter!
Wir wollen den Titel! Wir sind reif dafür! Und wir sollten
offensiv damit umgehen. Wir alle gemeinsam: Fans, Mannschaft, Vorstand. Einfach alle, die sich nichts mehr wünschen, als dass wir diese verdammte Salatschüssel endlich
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mal wieder in den Händen halten. Wir müssen dafür leben,
alles dafür geben, daran glauben. Genau dieser fehlende Optimismus, diese fehlende Zuversicht hat uns, da bin ich mir
ziemlich sicher, 2001 die Meisterschaft gekostet. Also Jungs,
packen wir es an. Ich will endlich diese verdammte Schale an
der Emscher sehen!
Samstag, der 22.01.2005, Rückrundenauftakt gegen Werder
Bremen. Nicht nur der amtierende Deutsche Meister, sondern
fast schon unser Angstgegner. Seit dem Jahr 2000 haben wir
gegen diese Mannschaft im heimischen Gelsenkirchen nicht
mehr gewinnen können. Nach der weiteren Verpflichtung
eines Bremers in der Winterpause, nämlich der von Fabian
Ernst, hat dieses Spiel sicherlich nicht unbedingt an Brisanz
verloren. Wie gewohnt ist die Partie seit Wochen ausverkauft
und man merkt in der Woche vor dem Spiel, wie bei allen
Beteiligten Kribbeln und Anspannung wachsen.
Am Tag vor dem Spiel ruft mich, völlig überraschend, Mike
„Bujo“ Büskens, einer unserer ehemaligen Eurofighter und
mittlerweile Co-Trainer der Amas an und schimpft (zurecht)
als erstes über die Endung meiner Rufnummer, der 09. Vor
gut einem Jahr hatte ich Mike, im Rahmen eines Interviews,
welches ich mit ihm für das „Sprachrohr“ (dem Magazin des
SFCV) führte, persönlich kennen lernen dürfen. Scheinbar
hatte er sich mein Gesicht gemerkt. Denn er fragt mich, nachdem er zu Ende gemeckert hat, ob ich als Arena-Gästeführer
morgen Zeit hätte, mit ihm und einigen seiner Lieben, eine
kleine Gruppe exklusiv durch die Donnerhalle zu führen. Klaro sage ich sofort zu und so befinde ich mich heute vor dem
Spiel nicht wie gewohnt im Café Central, sondern direkt in
den heiligsten Bereichen der Donnerhalle.
Wir laufen durch die bereits fertig ausgestattete Kabine,
schießen kurz einen Elfer auf dem heiligen Rasen, geben vor
der ARD-Werbetafel ein gespieltes Interview und ich spüre
diese Hektik, die in den Katakomben herrscht. Eine ganz andere Art, sich auf das Spiel vorzubereiten.
172
Mir bleibt nach dem damals geführten Interview und dieser
Privatführung nichts anders übrig als zu sagen: Der Mike ist
einfach nur töffte! Ein echter, bekennender Wahl-Gelsenkirchener und natürlich Schalker obendrein. Nach gut zwei
Stunden Arena-Tour verabschiede ich mich von Bujo und seinen Gästen und unsere Wege trennen sich. Hoffentlich nicht
für immer. Er begibt sich in das Incentive-Modul „Schalker
Markt“, während ich mich zu meinem Block hoch begebe.
Es ist schon ein komisches Gefühl und natürlich auch eine
ganz andere Perspektive: Gerade noch in der Spielerkabine,
in den Katakomben, auf dem Spielfeld – und nun hier oben,
weit weg vom Geschehen, den Blick nach unten statt nach
oben gerichtet.
Die Spieler laufen endlich ein, wärmen sich auf. Ich fühle, wie
mich ein wohliger, angenehm warmer Schauer durchfährt.
Endlich hat der Samstag wieder einen Sinn. Vorbei die Tage
der Spaziergänge am Kemnader Stausee, dem sinnlosen Einkaufsbummel durchs CentrO Oberhausen. Endlich ist wieder
Fußballzeit.
Da ich noch relativ früh dran bin, nutze ich noch schnell die
verbleibende Zeit und fülle meine Knappenkarte mit einem
üppigen Betrag auf. Das sollte für die nächsten drei bis vier
Spieltage reichen. Man darf auf Schalke sicherlich alles, nur
nicht knapp bei Knappe sein! Da auch der Bierstand mit einer relativ kurzen Wartschlange auftrumpft, beschließe ich
kurzfristig, noch eine Rutsche Bier zu holen, um meinen Sitzplatznachbarn eine kleine Freude zu bereiten.
Der tolle, neue, Sechserträger, den die Cateringabteilung vor
einige Monaten auf den Markt gebracht hat, bewährt sich
einmal mehr als eine der sinnvollsten Erfindungen, die die
Donnerhalle zu bieten hat. Auch wenn mich das Teil fast
doppelt soviel kostet wie mein Eintrittsticket. Nun kann es
endlich losgehen.
173
Das Vereinslied lauthals geschmettert, diesmal die Mannschaftsaufstellung noch mitbekommen, pfeift der im hässlichen schwarz-gelb gekleidete Schiri die Partie endlich an.
Die erste Halbzeit hält nicht, was wir uns von ihr versprochen haben. Bremen ist der erwartet starke Gegner und wir
sind wirklich alle froh, dass wir das 0:0 in die Halbzeit retten
können. Das Übliche: erst einmal wieder neu sammeln, neu
sortieren und dann mit neuem, frischem Elan auf den Platz
kommen.
Die zweite Halbzeit sollte uns dann tatsächlich doch noch
für alles entschädigen. Sie ist an Dramatik kaum zu überbieten und sorgt noch lange für Gesprächsstoff. Sie wird so
manchem von uns mal wieder einige wertvolle Minuten des
Lebens gekostet haben. Aber hübsch-fein der Reihe nach.
Die Plätze bei uns im Block sind noch nicht alle eingenommen, da verursachen die Bremer einen unnötigen Eckball
direkt vor unseren Augen, direkt vor der Nordkurve, vor
dieser Wand in blau und weiß. Irgendwie landet Micouds
verunglückter Befreiungsschlag bei unserem Gerald, der mittlerweile bedingt durch eine klaffene Fleischwunde an der
Backe mit einem Kopfverband spielt. Einem Verband, der einem Wasserballer alle Ehre machen würde. Gerald trifft von
Höhe des Elfmeterpunktes den Ball optimal und der fliegt,
unhaltbar für Reinke, zum 1:0 (48.) in den Maschen.
Der Jubel ist riesig. Eine Zentnerlast fällt uns allen vom
Herzen, Doch während wir uns im Wirrwarr eines riesigen
Menschenknäuels noch gegenseitig abklatschen und selbst
feiern, folgt auch schon die Reaktion der Bremer. Ebenfalls
ein Eckball . Plötzlich, wie aus dem Nichts, ein Pfiff. Elfmeter
für Bremen, die gelbe Karte für Christian Poulsen. Dieser
soll Miroslav Klose beim Versuch eines Kopfballs regelwidrig
behindert haben. Von meiner Position aus, am anderen Ende
des Stadions, ein Zweikampf im Strafraum wie es ihn während eines Spiels x-fach gibt. Eine brachenübliche Rangelei
und Zerrerei. Allerdings ergibt die Summe aller dummen
174
Fouls von Christian heute vielleicht diesen Strafstoß. Auch
die Zeitlupenbilder am späteren Abend werden mich nicht
überzeugen. Aber was soll es. Nützt jetzt eh nichts. Der Schiri
hat gepfiffen und der Elfmeterkiller Frank Rost ist machtlos.
Valerien Ismael verwandelt souverän zum 1:1 Ausgleich. Zwei
Tore in nur drei Minuten, die Führung leichtfertig verspielt,
alles beginnt wieder von vorne.
Und wie! Der kollektive Aufschrei der Empörung, der nun
in der Arena erfolgt, dürfte das Lautstärkemessgerät der
Arena gesprengt haben. Kobiashvili überläuft das gesamte
Mittelfeld, steht fast schon völlig frei vor Reinke, als Ismael irgendwie noch von der Seite in den Strafraum geflogen
kommt. Anstatt die 3:1-Überzahlsituation zu nutzen und
auf die in der Mitte frei stehenden Asamoah und Ailton zu
spielen, entscheidet sich Kobi noch drei Meter zu gehen. In
diesem Moment fährt ihm der Bremer Abwehrspieler von
der Seite voll in die Beine, dass es nur so kracht. Levan, mit
einer schäbigen Blutgrätsche von den Beinen geholt, kommt
zu Fall. Ein ganz klarer Elfmeter! Denkste!
Der Schiedsrichter blickt unsicher zu seinem Linienrichter.
Dieser hat bis jetzt sämtliche Entscheidungen falsch getroffen und zeigt gar nichts an - und so lässt der Schiri weiterspielen. Ein wahrer Orkan der Empörung überkommt das
Stadion. Die halbe Schalker Mannschaft rennt hinter dem
Unparteiischen her, möchte ihm am liebsten an die Wäsche.
Bordon knallt vor lauter Rage den Ball vor die Werbetafel und
als der Schiri nur Sekunden später einen klaren Einwurf für
uns auf einmal den Bremern zuspricht, ist fast alles vorbei. In
Oliver Kahn–Manier stürmt unser Frank Rost auf den Mann
in schwarz-gelb zu und bläst ihm tüchtig den Marsch.
Tumultartige Momente in denen uns Zuschauern eine Art
Ohnmacht überkommt. Eine schreiende Ungerechtigkeit!
Die ganze Welt hat sich gegen uns verschworen. Natürlich
hockt der DFB mit dem FC Bayern unter einer Decke. Ach,
Quatsch, der halbe DFB besteht ja aus dem FC Bayern. Man
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gönnt dem Arbeiter-, Proleten- und Polackenverein Schalke
04 die Meisterschaft nicht. Niemals wird auch nur ein einziger Schalker vergessen, wie der eigentlich neutrale DFBPräsident beim legendären vier-Minuten-Meisterschaftsspiel
jubelnd dem Kaiser „Firle-“ Franz in den Armen lag, ihm halb
um den Hals hing. „Fußball-Mafia DFB“ schallt es durch das
Stadion. Alles steht, selbst die Fans auf der Gegengeraden
und der Haupttribüne.
Die Donnerhalle, ein Hexenkessel. Jede Bremer Ballberührung wird von einem gellenden Pfeifkonzert begleitet, so dass
man sich nur noch die Ohren zuhalten kann. Die Fans haben
königsblauen Schaum vorm Mund. Ähnlich wie beim Hinspielsieg gegen Bochum ist das Stadion, nach einer eklatanten
Fehlentscheidung zu unseren Ungunsten, plötzlich hellwach,
macht mit allem was geht Krach. Richtig geile Fußballstimmung treibt die Mannschaft an und diese scheint tatsächlich
den Kampf erneut aufzunehmen. Jetzt sind wir wach, jetzt
geht’s los! Bissig gehen die Jungs in alle Zweikämpfe, wollen
nun unbedingt die Entscheidung.
Kobiashvili spielt einen langen Ball auf Asamoah. Dieser,
heute mal wieder bester Mann auf dem Rasen, stürmt frei auf
Reinke zu, spielt dann jedoch quer rüber zu Ailton und der
braucht die Pille nur noch zum 2:1 ins leere Tor zu schieben.
2:1 für die Blauen (67.). Ausgerechnet Ailton. Gänsehautatmosphäre. Fliegende Bierbecher, egal wo man nur hinschaut.
Selbst vor den Logen und auf den Business Seats wird vor
Freude und Ekstase wild durch die Gegend gehüpft.
Dieses Mal protestieren allerdings die Bremer. Ailton soll im
passiven Abseits gestanden haben. Auch diese Aufregung, so
beweist die Torwiederholung auf dem Videowürfel, ist berechtigt. Das Schirigespann bleibt seiner Linie treu und produziert eine Fehlentscheidung nach der anderen. Die Note
5.5 in der Montagsausgabe vom Kicker haben sie sich redlich
verdient.
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Für uns ist es natürlich nichts anderes als ausgleichende
Gerechtigkeit. Elfmeter verweigert, beim passiven Abseits
weiterspielen lassen, da gibt es nichts zu meckern! Bis zur
letzten Sekunde bleibt das Spiel spannend, gibt es Großchancen auf beiden Seiten, bieten uns beide Teams einen tollen
Offensivfußball. Als nach exakt 90 Minuten der Schiri, zur
Verwunderung aller fast schon überpünktlich, die Partie
abpfeift, ist der Jubel in der Donnerhalle riesig. Ein wenig
glücklich gewonnen, ein dolles, rassiges Spiel gesehen, den
Bayern auf den Fersen geblieben, besser und spannender hätte der Rückrundenauftakt kaum laufen können.
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29.01.2005
1. FC Kaiserslautern – Schalke 04 2:0
Nach diesem tollen Start in die
Rückrunde ist vor dem Spiel
auf dem Betzenberg das Selbstbewusstsein und die Euphorie
bei uns mal wieder in den Himmel gewachsen. Zurecht! Selbst
Andreas Müller gibt (bei einem
leichten Augenzwinkern) zu, dass
er selbst mittlerweile fest an die
Meisterschaft glaubt. Und zwar
nicht nur weil die Mannschaft
über ein Riesenpotential verfügt,
sondern weil man merkt, dass der
mannschaftliche, geschlossene Wille etwas ganz Großes zu
schaffen, derzeit fast schon zu Greifen nah ist. Die Spieler
seien reifer als noch vor vier Jahren, seien „geil“ darauf, dieses Jahr das Unmögliche zu schaffen. Das könne am Ende
den Unterschied ausmachen, so Andi. Es tut gut so etwas
von unserem Teammanager zu hören. Wenn einer Ahnung
von Fußball haben sollte, dann doch bitte sicherlich er. Ab
Samstag sind es nur noch 112 Tage bis zum Titelgewinn!
Dass unterhalb der Woche, vor immerhin 52.000 zahlenden
Besuchern, in der Donnerhalle auch noch das Benefizspiel
zugunsten der Flutopfer in Südostasien stattfand, geht in
diesen Tagen vor lauter Trubel fast unter. Dabei darf doch
unser Shootingstar Christian Pander erstmalig den Adler auf
der Brust tragen, Asa erzielt sogar den zwischenzeitlichen 2:1
Führungstreffer gegen die Bundesliga-All-Star-Auswahl.
Der Trubel wird allerdings durch eine andere Meldung entfacht: Die Deutsche Fußball Liga hat einen neuen Skandal.
Einen Wett- und Bestechungsskandal. Erinnerungen an
1972 und den „FC Meineid“ werden wach. Gut, dass ich damals noch im Erbsenglas saß. Es soll für Schalke-Fans kei178
ne schöne, keine lustige Zeit gewesen sein. Robert Hoyzer
heißt der Übeltäter, der den Stein ins Rollen gebracht hat.
Er ist 25 Jahre jung, Schiedsrichter und gibt zu, Spiele für
Geld „verpfiffen“ zu haben. Eine schlimme Sache. Vor allem,
weil zu erwarten ist, dass dies erst die berühmte Spitze des
Ei(ch)sberges ist. Der Tropfen auf dem heißen Stein. Die Entwicklung in dieser einen Woche war auf jeden Fall rasant.
Am Montag die erste schlimme Vermutung, am Dienstag
alles abgestritten, am Mittwoch alles zugegeben, am Donnerstag die kroatische Wettmafia als Strippenzieher enttarnt,
am Freitag erstmalig die Behauptung verbreitet, es würden
weitere Schiris, aber auch Spieler und Funktionäre mit im
sinkenden Boot sitzen. Nachtigall, ick hör dir trapsen! Der
Fall Hoyzer, er wird uns wohl noch einige Tage und Wochen
beschäftigen. Auch weil der Frankfurter DFB-Clan in diesen
ersten Tagen noch nicht so wirklich mit dem Thema umzugehen weiß. „Erst wenn der Schnee geschmolzen ist, kommt
die Kacke darunter zum Vorschein!“.
Was jedoch länger bleiben wird, ist der Imageschaden. Der
Schaden für den deutschen Fußball, und das genau ein Jahr
vor der WM im eigenen Land. Ganz zu schweigen von dem
Schaden für die Fußballfans und natürlich auch für die
Schiedsrichter selbst. Ich höre heute schon die Gesänge in
den Stadien: „Schiri, hol’ denn Wettschein raus!“. Da erhalten
unsere Schmährufe vom letzten Samstag in der Donnerhalle
(„Fußballmafia DFB“; „Schiebt den Bayern die Schale in den
Arsch!“) doch eine ganz neue Qualität. „Ihr macht unseren
Sport kaputt!“
Werden wir Fußballsfans nicht schon lange durch unsinnige
Pfiffe gequält? Was führt denn dazu, dass wir mit Schaum vor
dem Munde anfangen, „Schiiiiieber, Schieber“ zu schreien?
Weil die Ungerechtigkeit gen Himmel schreit und stinkt und
der Schiri die berühmt berüchtigten Tomaten auf den Augen
hat! „Schieber“ kommt doch von Schiebung, oder? Halte niemals einen Fußballfan, der ein feines Gespür für Ungerechtigkeit hat, für doof! „Ihr macht unseren Sport kaputt!“.
179
Und wer bitte schön, der nicht selber schon einmal gekickt
hat, hat noch nie davon Wind bekommen, dass in der Kreisklasse C für eine Kiste Bier oft mal ein Spiel kippt, oder durch
eine kuriose, äußerst großzügige Spende in die Mannschaftskasse, auf einmal die Abschlussfahrt nach Mallorca finanziert
werden kann? „Ey, Schiri – das war nie und nimmer ein Elfer!“ – „Wetten doch?“
Wenn es nicht so traurig wäre. Der Schaden für uns Fans
jedenfalls ist immens. Und als wir am Samstag im voll besetzten Bus endlich Richtung Pfalz düsen, ist selbstverständlich
der Skandal unser Thema Nummer eins. Hoffentlich hängen
wir Blauen da nicht mit drin. Das würde einigen von uns das
Genick brechen. Aber so schlimm wird es schon nicht kommen. Wir gönnen uns den Spaß und besprechen die Ergebnisse dieses Spieltages (wir gewinnen 2:0) und fahren daher
als haushoher Favorit nach Lautern. Lasst uns bitte schnell
wieder über Fußball reden!
„Uff dem Betze“ haben wir die letzten zwei Bundesligaspiele
und natürlich auch das sensationelle Pokalspiel gewonnen.
Wir haben sogar, um der Statistik mehr Nachdruck zu verleihen, die fünf letzten Auswärtsspiele in der Bundesliga allesamt gewonnen. Was soll also heute noch schief laufen? Wir
müssen nur an die zweite Halbzeit vom letzten Heimspiel
gegen Bremen anknüpfen und die Betzebuben werden kein
Land mehr sehen. Leider kommt es - wie so oft - anders, als
man denkt.
Tatsächlich dominieren und bestimmen wir zwar das Spiel,
haben wahrscheinlich mindestens 80 % Ballbesitz, mittlerweile ein Eckballverhältnis von 8:0 zu unseren Gunsten,
aber trotzdem hat man irgendwie das ungute Gefühl, dass
das heute nichts wird. Von wegen an die zweite Halbzeit vom
Bremenspiel anknüpfen! Irgendwie fehlt mir heute das Feuer,
der zwingende Wille, die Leidenschaft, von der Andi Müller
noch unterhalb der Woche sprach. Und auch im Stadion, bei
den Fans, ist heute irgendwie kein Pepp drin. Die Lauterer
180
Fans hört man überhaupt nicht. Die ehemalige Hölle Betzenberg ist es derzeit nicht einmal wert, als Höhle bezeichnet zu
werden. Einzig entfacht wird eine Woge der Begeisterung, als
Ende der ersten Halbzeit die roten Teufel zum ersten Mal in
unsere Hälfte eindringen können. Respekt! Man kann halt
auch mit wenig zufrieden sein.
Zu Beginn von Halbzeit zwei semmeln Ebbe und Lincoln zwei
Großchancen daneben. Dann fällt auch noch Bordon verletzungsbedingt in der 53. Minute aus. Und während sich im
Stadion alle so langsam aber sicher auf ein langweiliges 0:0
einstellen, vollendet Amanatidis einen, zugegeben, nett vorgetragenen Angriff aus knapp 15 Metern zum 1:0 (56.). Null
Chancen dabei für Rost. In den folgenden Minuten versuchen
die Blauen, mehr über Krampf als über Kampf, den Ausgleich
zu erzielen. Aber es ist eines dieser Spiele, bei denen wir sicherlich noch drei Tage lang spielen könnten und nichts passieren würde. Ailton vergibt die Riesenchance zum Ausgleich
und im direkten Gegenzug legt unser Ex-Knappe Jochen
Seitz, mittlerweile eingewechselt, eine astreine Schwalbe im
Sechzehner auf den Tisch. Eine Schwalbe, die sich wirklich
gewaschen hat. Trotzdem, es gibt Elfmeter! So erzielt zumindest ein Gelsenkirchener bei diesem Bundesligaspiel heute
ein Tor: Der ehemalige Schüler des Gauß-Gymnasiums, Stefan Blank, verwandelt den gegebenen Strafstoß souverän zum
2:0. Das Spiel ist gelaufen. Peinlich, dass Amanatidis weder
die rote Karte erhält, geschweige denn sich dafür entschuldigt oder gar schämt, dass er bei einem Zweikampf in der
vorletzten Minute unserem Tomasz Waldoch fast den Kopf
abschlägt. Das ist Fußball, nicht Kung Fu! Was will man von
so einem auch schon erwarten?
Völlig sinnlos haben wir einmal mehr einen bzw. drei Punkte
verschenkt. Stuttgart verliert ebenfalls daheim, die Bazen holen nur einen Punkt in Berlin - umso ärgerlicher! Wir hätten
heute Tabellenführer werden können. Was soll es, starten
wir ab nächster Woche, auch wenn Asa und Kobi, aufgrund
ihrer fünften gelben Karte gesperrt sein werden, eine neue
181
Serie. Im Kampf um die Meisterschaft ist noch lange, lange
nichts entschieden.
Das Anstrengendste dieses Tages folgt allerdings noch: Helge
hat sich, wohl um seinen Kummer und Stress der vergangenen Woche ein wenig abzubauen, auf der Hinfahrt drei
bis vier Pils gegönnt, die ihm allerdings ein wenig auf den
Magen geschlagen sind. So tragen Goe und ich den 140 Kilogramm-Mann vom Betzenberg zum Busparkplatz hinunter.
Die Muskelkatze für morgen ist vorprogrammiert.
Wir beschließen, über das heutige Spiel nicht mehr zu reden und wenden uns auf der Rückfahrt lieber einigen Erfrischungsgetränken und dem Wettskandal zu. Daheim angekommen, ist das Spiel dann auch schon lange, für immer und
ewig, aus dem Lang- und Kurzzeitgedächtnis gestrichen und
verbannt („wie, wir haben heute in Lautern gespielt?“).
182
05.02.2005
Hansa Rostock – Schalke 04 • 2:2
D i e G e bu rt s t ag s w oc he
fängt ja toll an. Als mich die
Nachricht am Montagfrüh
erreicht, stehen mir sofort
die Nackenhaare zu Berge.
Bujo liegt im Krankenhaus.
Man hat ihn in ein künstliches Koma versetzt. Er hat
wohl irgendeinen saudoofen Virus eingefangen (den selbst
die Jungs vom Tropeninstitut in Hamburg nicht einordnen
können) und eine Sepsis. Er ringt mit dem Tod.
Unglaublich! Vor zwei Wochen war ich noch mit ihm und
seiner Familie gemeinsam in der Arena, wir haben zusammen gescherzt und geulkt. Und nun das. Da rückt der Fußball
aber so was von Ruckizucki in den Hintergrund. Bujos Gästebuch auf seiner Homepage droht fast zu explodieren. So viele
Einträge und Genesungswünsche in wenigen Stunden hat es
wohl noch nie gegeben. Wir sind bei dir, Mike, beten für Dich,
komm’ bitte ganz, ganz schnell wieder auf die Beine!
Am Dienstag ist es dann endlich soweit! Zwar ist mir immer
noch nicht so richtig zum Feiern zumute, aber ich habe soeben mein dreißigstes Lebensjahr vollendet. Unglaublich, wie
schnell die Zeit vergeht. 30 Jahre Oli4. Davon habe ich einen
Großteil zusammen, gemeinsam des Weges, Hand in Hand,
mit dem FC Schalke 04 bestritten.
Wie sollte ich aber nun meinen Geburtstag zelebrieren? Ich
habe mich nach langem Hin und Her, nach ausführlichen
und intensiven Abwägungen dazu entschlossen, meine diesjährige Geburtstagsfeier auf eine ganz besondere Art und
Weise zu begehen. Eine der bescheuertsten Ideen, die mir je
untergekommen ist. Ich habe für Samstag eine Schildkröte
gemietet mit der ich, gemeinsam mit meinen besten Freun183
dinnen und Freunden, die Stadt Rostock ansteuern werde.
Natürlich werden zufälligerweise die Blauen dann auch dort
spielen, aber das ist selbstverständlich nur ein beiläufiges
Nebenprodukt dieser Tour. Der Weg ist das Ziel.
Ist das nicht bekloppt? Eine Auswärtsfahrt in der Schildkröte
zu einem Spiel bei Hansa Rostock als Geburtstagsfeier. Die
Idee scheint so schlecht gar nicht anzukommen. Selbst meine
Schwester aus Frankreich und mein Cousin aus Bonn (die mit
Fußball normalerweise soviel zu tun haben, wie ich mit Balletttanzen), die Bande rund um den Zaubermario und meine
Handballjungs sagen geschlossen zu. Das wird ein Spaß! So
verbringe ich die halbe Woche damit, einzukaufen. Gar nicht
so einfach eine Party in einem Bus für 45 Leute zu planen und
zu organisieren. Wir werden um 5.30 Uhr ab Gelsenkirchen
losfahren und wahrscheinlich vor Mitternacht nicht daheim
sein. Was muss man da wohl alles besorgen? Es soll ja niemand auf dem Trockenen sitzen.
Bis Freitag ist die Schildkröte dann endlich komplett bepackt.
Theoretisch kann es jetzt losgehen. Gott sei Dank trifft am
Freitag morgen noch die Nachricht ein, dass sich Bujos Zustand erheblich gebessert hat und er wohl über den Berg ist.
Zumindest liegt er jetzt nicht mehr im Koma und er hat auch
schon wieder feste Nahrung zu sich nehmen können. Das
verbessert unser aller Laune doch schlagartig!
Sportlich betrachtet wird uns in Rostock ein äußerst schweres
Spiel erwarten. Wir müssen unbedingt gewinnen, um ganz
oben mit dabei zu bleiben. Für Rostock ist es wohl die letzte
Chance, um eventuell doch noch die Klasse halten zu können.
Allerdings macht sich unterhalb der Woche Ernüchterung im
Schalker Fanlager breit. Kobi und Asa sind gesperrt, Kamphuis und Varela (wie leider allzu oft) verletzt, kurz vor Anpfiff wird noch die Unmöglichkeit eines Einsatzes von Bordon
(Oh nein – gerade er wird fehlen!!!) und Pander bekannt
gegeben. Auf deutsch gesagt: Wir fahren mit einer Rumpfelf,
mit einer B-Truppe in den Osten. Vier entscheidende Leis184
tungsträger werden nicht auflaufen können. Es ist genau das
passiert, was um jeden Preis nicht passieren durfte.
Die Schalendiebe aus München haben eine halbwegs adäquate Ersatzbank. Bei uns werden morgen Hanke, Delura,
Lamotte, Hoogland, Niko Bungert und Ahmet Cebe (schon
einmal den Namen gehört?) mitfahren. Nichts gegen diese
Jungs, aber die Namen aus München, die in solchen Fällen
zum Einsatz kommen, klingen da schon ganz anders! Da
kannst du nichts machen. Müssen diese Jungs halt die Kastanien für uns aus dem Feuer holen. Müssen sie halt den Rostocker Abstiegskampf annehmen, Moral beweisen, dagegen
halten. Immerhin ist Rostock noch Tabellenletzter, hat noch
kein einziges Heimspiel in dieser Saison gewinnen können.
Warum also gerade heute?
Die Tour nimmt einen sensationellen Verlauf. Gut gelaunt
sind fast alle pünktlich um 5.30 Uhr da und eröffnen die Party mit einem kleinen Begrüßungspilschen. Nachdem auch
Goe mit seiner lieben Steffi eintrifft, geht’s los Richtung Osten. Die Reisepässe und Visa sind vorhanden und die Party
steigt. War ich doch zu Beginn der Planung noch ein wenig
skeptisch, ob denn die Idee, meinen Geburtstag in Verbindung mit einer Auswärtsfahrt komplett in einem Bus zu feiern, gut ankommen würde, so entwickelt sich eine der geilsten Partys, die ich je miterlebt habe. Egal ob Männlein oder
Weiblein, Fußballfan oder nicht, alle rocken tierisch gut mit.
Mehr intime Details zum näheren Verlauf werden niemals an
die Öffentlichkeit gelangen.
Als wir in Rostock gegen 14 Uhr eintreffen, haben meine 45
Gäste, darunter immerhin auch zehn Damen, bereits insgesamt bereits 17 (!!!) Kästen Bier, etliche Flaschen Rotwein
und andere fiese Spirituosen geleert. Kein Wunder, dass die
Stimmung einfach nur geil ist!
Bei strahlendem Sonnenschein betreten wir also, manche
unter uns zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt, das
185
Fußballstadion. Wir nehmen ein schönes Eckchen Stehplatzbereich für uns in Beschlag. Ehrlichweise muss ich zugeben,
dass manche von uns nicht nur wenig vom Fußballspiel verstehen, sondern auch nicht viel davon sehen. Auch ein Nickerchen muss halt mal sein. Hauptsache lustig!
Zum Spiel selbst: Wie schon zu erwarten war, läuft eine völlig
neu formierte Schalker Mannschaft auf. Rostock kämpft um
seine letzte Chance, in der deutschen Eliteliga zu bleiben. Das
erste Tor des Spiels jedoch macht zu unser aller Freude Ebbe
Sand. Fast eine halbe Stunde lang war von den Blauen zuvor
kaum etwas auf dem Platz zu sehen, als ein überraschender,
schöner Angriff über die rechte Seite über Ailton zu einer
Flanke führte, die in der Mitte Mike Hanke erreicht. Dieser
spielt blitzschnell zu dem neben ihm herein laufenden Ebbe
Sand weiter, dessen Schuss, noch leicht abgefälscht, zu einer
unhaltbaren Bogenlampe für Matthias Schober wird. 0:1, 25
Minuten gespielt. Jubelnd liegt sich die Geburtstagsgesellschaft in den Armen. Selbst die Mädels. Werden wir sie etwa
auf ihre alten Tage doch noch für den Fußball begeistern?
Auf jeden Fall ist das doch ein Geschenk des Himmels, ein
Drehbuch, wie ich es schöner kaum hätte selbst schreiben
können. Es scheint heute einfach alles zu passen. Bis zur
Halbzeit allerdings hat Hansa noch zwei Riesenchancen zum
Ausgleich. Glücklichweise werden diese nicht genutzt, genauso wenig wie unsere zwei Chancen, um auf 2:0 erhöhen
zu können.
Halbzeit. Erst einmal tief Luft holen, Selbstvertrauen tanken.
Vielleicht können wir mit einem weiteren Kontertor den Rostockern das Genick endgültig brechen. Das wäre es doch!
Man muss kein großer Fußball-Connaisseur sein, um an dieser Stelle bereits zu erahnen, dass wir nicht der FC Bayern
München und daher nicht so planbar sind. Bis zur 66. Minute
haben die Blauen das Spiel relativ souverän im Griff. Allerdings lassen wir auch wieder reihenweise beste Konterchancen aus, um auf 2:0 zu erhöhen. Das muss sich zwangsläufig
186
rächen. Dann der Schock: Flanke David Rassmussen, in der
Mitte steht der kurz zuvor eingewechselte Prica zehn Meter
von Rosts Gehäuse völlig frei, Schuss, Tor. Der Ausgleich.
Und was kommt jetzt? Das große Aufbäumen? Unbedingter
Siegeswille?
Ja, genau das. Allerdings sehen wir das mit konsternierten,
versteinerten Mienen bei der Hansa-Kogge. Unnötiger Ballverlust im Spiel nach vorne, als alle Blauen gerade in der
Vorwärtsbewegung sind. Wieder eine Flanke in die Mitte des
Schalker Strafraums. Dieses Mal ein Kopfball aus zehn Metern von Arvidsson in den linken Winkel. Keine Chance für
Rost. 2:1, eine Viertelstunde noch zu spielen, das Spiel gekippt. Das war es mit der Meisterschaft! Aus der Traum! Die
Blauen werfen jedoch noch einmal alles nach vorne. Der erst
18-jährige Tim Hoogland kommt zu seinem Bundesligadebüt,
spielt noch fünfzehn Minuten lang druckvoll auf der rechten
Seite. Hässliche Szenen spielen sich bei den Eckbällen der
Schalker ab. Zwei Ordner müssen jeweils mit weit aufgerissenen Regenschirmen die den Eckball tretenden Schalker
Spieler vor Wurfgeschossen schützen. Was die Rostocker da
alles in den Taschen haben!
Die gerechte Strafe folgt: Nachdem Allbäck, nach einer
dummen Ohrfeige gegen Dario Rodriguez, fünf Minuten
vor Abpfiff sogar noch die rote Karte sieht, zeigt der vierte
Schiedsrichter zwei Minuten Nachspielzeit an. Diese sind
fast abgelaufen, wütende Proteste der Rostocker führen zu
einer erneuten Spielverzögerungen und so entscheidet sich
der Unparteiische dazu, glücklich für uns, noch einmal 30
Sekunden Nachspielzeit dranzuhängen.
Freistoß für uns an der Mittellinie. Alle Knappen finden sich
vorne im Rostocker Strafraum ein. Der Ball wird lang und
hoch herein geschlagen, Hanke kommt an den Ball und verlängert per Kopf auf Ailton. Der zieht aus fünf Metern voll ab
und ich sehe nur noch das Netz zappeln. 2:2 und Abpfiff!
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Die anderen Ergebnisse treffen ein. München hat, wie zu erwarten, daheim gewonnen. Stuttgart spielt gegen den FCK
ebenfalls nur remis. Es hat sich also, mal wieder, nichts
Grundlegendes in der Tabelle getan. Wir bleiben als BayernJäger Nr. 1 dran. Jetzt muss aber nächste Woche unbedingt
gegen Wolfsburg gewonnen werden.
Auf dem Weg zurück zu unserem Bus werden wir von aufgebrachten Rostockern noch freundlich mit Pflastersteinen
beworfen. Ganz großer Sport, Jungs! Anja kriegt sogar einen
ab, die Sache geht jedoch glimpflich aus. Gut, dass es bald
vorbei ist mit den Auswärtsfahrten nach Ostdeutschland.
Als wir uns endlich alle wohlbehalten im Bus wiederfinden,
entscheiden wir uns kurzerhand dazu, uns über den Ausgleich
in letzter Sekunde doch noch tierisch zu freuen und spätestens nach der ersten halben Stunde Rückfahrt ist das Spiel
eh schon wieder vergessen. Wir feiern, singen und tanzen im
Bus, bis auch dem Letzten die Augen zufallen. Ich hoffe, dass
niemand jemals diese einzigartige Feier und Auswärtstour
vergessen wird. Was für ein schöner Tag es doch war!
188
12.02.2005
Schalke 04 – VfL Wolfsburg • 3:0
Nachdem ich mich, vielmehr von der gesamten Tour als vom eigentlichen Spiel in Rostock, halbwegs gut erholt habe, amüsieren
uns im nachhinein die Rostocker doch noch
einmal. Da haben die Ostsee-Ossis doch tatsächlich, in einem Akt der reinen Verzweiflung, Protest gegen die Wertung unseres
Ausgleichstores in der Nachspielzeit eingelegt. Begründung: Der Schiri hätte nur zwei
Minuten und keine Sekunde länger nachspielen dürfen, da
der Schiedsrichterassistent an der Außenlinie nur zwei Minuten Nachspielzeit angezeigt hätte. In ihrer wahren sportlichen Größe fügen die letzten Vertreter des ostdeutschen
Ballzaubers in der ersten Deutschen Fußballliga sogar noch
hinzu: „Der Einspruch beinhaltet nicht die Beantragung eines
NachholSpiels. Vielmehr solle die Partie mit 2:1 für Hansa gewertet werden. Nach unserem Regelverständnis müsste das
Sportgericht unserer Argumentation folgen“. Sensationell,
oder? Wie nett die Ossis doch sind! Dabei würde ich total
gerne meine Geburtstagstour wiederholen und noch einmal,
warum nicht anlässlich eines NachholSpiels, an die Ostssee
reisen. Warnemünde ist doch schön! Irgendwie war mir der
Punkt eh zuwenig.
Mitten in die Patsche gegriffen hat auch mal wieder unser
Manager, indem er unnötig weitere Brisanz in den Schiedsrichter-Betrugsskandal gebracht hat. So werden die Schiris
uns gegenüber niemals milder gestimmt sein. Was passiert
ist? Der geständige Ex-Schiri Robert Hoyzer hat seinen Essener Kollegen Jansen mitbelastet, woraufhin Assi im Rahmen
einer Pressekonferenz folgenden Satz von sich gibt: „Dass der
Jansen da reinrutscht, überrascht mich nicht. Er ist vom Typ
her anfällig“. Um Gottes Willen, Rudi!
Zwar entschuldigt sich Assauer Tage später für diese „un189
glückliche“ Äußerung, Freunde gewinnt man dadurch aber
sicherlich nicht. Trotzdem finde ich solche kleinen Geschichten irgendwie auch klasse. Ist doch eh Länderspielwoche und
daher kaum was los.
Mächtig viel los ist allerdings im Schalker Lazarett. Da muss
gehegt und gepflegt werden, dass sich die Balken biegen. Der
morgendliche Blick auf die Homepage des S04 verspricht in
diesen Tagen immer wieder eine neue Überraschung: Bordon ist und bleibt verletzt. Sicherlich unser größter Verlust.
Kamphuis und Pander sind hingegen wieder fit. Asa zieht sich
während des LänderSpiels gegen die Gauchos einen Muskelfaserriss zu und muss bereits nach einer halben Stunde ausgewechselt werden. Wie auch immer - zwei Tage später steht
er beim Abschlusstraining auf dem Platz und ist einsatzfähig.
Komisch. An einem Muskelfaserriss knabbere ich mindestens
drei Wochen lang. Damit aber nicht genug. Krstajic ist dafür
auf einmal verschnupft und wird nicht spielen können. Das
bedeutet, dass wir morgen gegen den schnellsten Sturm der
Liga ohne eigentliche Innenverteidigung spielen. Müssen
halt Waldoch und Rodriguez Beton anmischen. Eines ist auf
jeden Fall sicher: Wir müssen und wir wollen ganz oben mit
dran bleiben, egal wie. Nur fünf Punkte aus den letzten vier
Spielen, dass ist viel zu wenig um die Schale an die Emscher
zu holen, wahrscheinlich sogar zu wenig für die ChampionsLiga. Gut, dass die anderen direkten Mitkonkurrenten ebenfalls Federn gelassen haben.
Eine dolle Nachricht gibt es im übrigen in dieser Woche doch
noch. Nein, dass Niebaum in Doofmund zurückgetreten ist,
interessiert mich nicht. Aber Bujo ist auf dem steilen Wege
der Besserung und ist mittlerweile sogar schon von der Intensivstation runter gekommen. Wenn ich ehrlich bin, die
schönste und wichtigste Meldung in dieser Woche, in der es
so viel um Verletzungen und Krankheiten ging.
Samstagmorgen die üblichen Rituale. Und draußen schüttet
es wie aus Kübeln. Fein, dass unsere Donnerhalle ein Dach
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hat. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ich mich
auf einmal, auf dem Weg zum Café Central, plötzlich einer
Menschenschlange von ca. 300 Metern gegenüber finde. Den
Leuten läuft das Wasser bereits in die Schuhe. Der Vorverkauf für U2 hat heute begonnen. Eine der geilsten Bands
schlechthin wird diesen Sommer in der Arena auftreten und
einige versuchen noch ihr Glück, um an ein Ticket zu gelangen. Da ich bereits eines habe, schaue ich mich noch einmal
lächelnd um und gehe, hoch erfreut über letztere Tatsache,
zur Straßenbahnhaltestelle weiter.
Wir sind allesamt heilfroh, als wir um kurz nach 15 Uhr die
trockene Glasfassade der Donnerhalle passieren dürfen. Ich
verneige mich in tiefster Dankbarkeit vor den Offiziellen des
S04, die einst beschlossen, dieses großartige Bauprojekt in
Angriff zu nehmen. Heute vor drei Jahren wären bei diesem
Wetter sicherlich keine 30.000 zahlenden Besucher ins alte
Parkstadion gekommen. Und die, die gekommen wären, wären jetzt bereits, eine halbe Stunde vor Anpfiff, nass bis auf die
Haut. Da werden die sich in ihrer Arroganz-Arena noch böse
umschauen. So aber stehen wir noch gemütlich in der Oberrangpromenade, lauschen den dicken, fetten Regentropfen,
wie sie an die Glasfassade klatschen und haben Mitleid mit
den Bochumern, die heute in Doofmund antreten müssen.
Dort findet heute, in Deutschlands größtem Schwimmbad,
das kleine Derby statt. Ob die Teams wohl mit Schwimmflügeln antreten? Oder haben sie sich doch lieber auf ein Wattwurmrennen geeinigt?
Auf unserem Rasen herrschen auf jeden Fall beste Bedingungen. Lincoln–Bedingungen. Mit zwei sechser-VeltinsTaschen nehmen wir Platz und schauen verwundert auf die
Anzeigentafel. Tatsächlich, Asa spielt von Anfang an. Dazu
Rodriguez und Waldoch in der Innenverteidigung, Vermant
für den verschnupften Poulsen im Mittelfeld.
Es entwickelt sich von der ersten Minute an eine Demonstration in Sachen modernen, schnellen Kombinationsfußballs.
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Von meinen Blauen zelebriert, als wollten sie im wahrsten
Sinne des Wortes den hochnäsigen Bazen den Kampf ansagen. „Schaut her, Jungs, auch wenn ihr euch heute schon
sicher seid, die Schale wandert in diesem Jahr mal wieder an
die Emscher! Ihr könnt dann in eurer Isar baden gehen“.
Der Schalker Kreisel lebt wieder auf! Heute sollte alles gut
werden. Freistoß von, richtig, Lincoln: Aus halbrechter Position köpft Asa unbedrängt aus fünf Metern zur Führung
ins rechte Eck (13.). Der Bann ist gebrochen. Weitere nicht
genutzte Großchancen folgen, jedoch bleibt heute die ganze
Zeit über das sichere Gefühl: Da brennt nichts an! Endlich
das erlösende 2:0. Ebbe Sand köpft Lincolns Hereingabe aus
fünf Metern ins Tor (35.). Großer euphorischer Jubel im weiten Oval.
Und weiter geht’s: Kurz vor der Halbzeit ein großer Aufreger
vor dem Tor der Gäste: Ailton setzt sich gegen drei Wölfe
gleichzeitig durch, als diese sich dazu entscheiden, ihn zu
reißen. Hinzureißen. Statt Elfmeter und einer roten Karte
für eine Notbremse, zumindest aber einer gelb-roten Karte
für den bereits verwarnten Hans Sarpei, gibt’s einen kleinen
Freistoß. Dieser bringt nichts ein. Die Donnerhalle, hätten
wir nicht zu diesem Zeitpunkt bereits 2:0 geführt, wäre sicherlich wieder zum Tollhaus geworden.
Nach der Halbzeit das gleiche Bild. Ein erneutes Foul von
Sarpei an Lincoln bringt uns einen zweifelsfreien Elfer, den
Ailton kläglich versiebt. Egal! Dafür meckert der Ailbrummer
heute auch nicht, als er ausgewechselt wird. Stark gespielt,
trotzdem keine Fortune gehabt. Für ihn kommt Mike Hanke
ins Spiel. Und wie das Leben nun einmal so spielt – führt
sein erster Ballkontakt zum 3:0. Kobiashvili, der nach einem
Traumpass von Altintop auf einmal frei vor Jentzsch steht,
spielt den entscheidenden Querpass auf Mike. Den hätte meine Oma mit dem Klumpfuß noch gemacht. 3:0 Heimsieg.
Endlich mal daheim zu Null gewonnen, alles ist in Ordnung.
Bayern wir kommen!
192
Nun können wir beruhigt noch den Abend ausklingen lassen
und uns schon einmal auf die minus 20 Grad einstellen, die
uns bereits am Dienstag in Donezk erwarten werden. Natürlich bin ich dabei. Auch wenn 519 € für den Flug inkl.
Übernachtung kein Pappenstiel sind. Aber wann komme ich
sonst mal wieder in die Ukraine?
Ach ja, während wir schon bei den guten Meldungen sind, da
gibt es noch zwei weitere, die uns das Wochenende versüßen:
Bujo kann am Montag das Krankenhaus verlassen. Ein Glück.
Auch wenn es sich vielleicht drastisch anhören mag, aber da
ist er dem Sensenmann wohl gerade noch einmal von der
Schüppe gesprungen. Und die Bazen verlieren tatsächlich
bei den Bielfeldern.
193
16.02.2005 - UEFA-Cup (Achtelfinale):
Schachtjor Donezk – Schalke 04 • 1:1
Endlich ist es soweit! Endlich wieder einmal richtiges UEFA-Cup-Flair! Um
5 Uhr in der Früh klingelt
mein Wecker. Umgehend
wird mit schläfrigen Augen noch die Kaffeemaschine angeworfen, bevor
ich langsam anfange, meine Tasche zu packen. Wobei, was heißt hier Tasche packen? Ich fülle mein Täschchen
mit zwei, drei entscheidenden Utensilien. Socken, Zahnbürste & Zahnpasta, eine frische Garnitur Unterwäsche, einen
Schal und einige SC-Pins, um sie in Donezk zu tauschen.
Dann noch meinen Reisepass – ganz wichtig - das war es
auch schon. Ein kurzer Blick ins Netz verrät mir noch, dass
wir jetzt gerade in Donezk knapp Null Grad haben. Glück gehabt. Noch vor wenigen Tagen lagen die Nachttemperaturen
vor Ort bei rund minus 20° C.
Um kurz vor 7 Uhr verlasse ich also die heimische Straße,
um mich zu meiner weitesten Auswärtsreise in meinem S04Fandasein zu begeben. Ab nach Donezk, in die Ukraine, ans
schwarze Meer, rund 3.000 Kilometer von GE entfernt.
Schnell die Formalia abgewickelt, den üblichen Fanschal,
Flugtickets, Reiseinformationen und Gutschein für ein Freigetränk in Empfang genommen und die verbleibende Stunde
bis zum Abflug sinnvoll mit dem Verzehren des vorzüglichen
Frühstücksbuffets genutzt. Natürlich kann man über den Reisepreis von 519 € meckern, aber der Service und die Planung
des Reisebüros Mengede sind einmal mehr fabelhaft. Hut
ab! Zwar hätte ich gerne 100 Euro weniger gezahlt und auf
den ganzen Schnickschnack verzichtet, aber was soll es. Was
kostet die Welt wenn es um Schalke geht? Heute ein König!
194
Wir entern die Maschine. Anstatt um 10 Uhr startet unsere
Rakete erst um 10.30 Uhr. Die Mannschaft, im übrigen ohne
Bordon und Lincoln an Bord, hat sich um eine halbe Stunde
verspätet. Endlich kommen die jungen, hübschen Damen
aus dem Lenkradraum gekrochen und versorgen uns mit
lecker Gebäck und feinen Rotweinen. Auch hier bleibt nur,
die Organisation zu loben, ist man doch mittlerweile fast nur
noch die 0 %-Service-Flüge von Billigairlines gewohnt. Jeder
Wunsch wird uns fast von den Lippen abgelesen und nach
nahezu drei Stunden Flugzeit landet, unter größten Anstrengungen und bösem Ruckeln, unser prall gefüllter Papiervogel, mit 250 Fluggästen an Bord auf der Landebahn in der
viertgrößten (mit 1.2 Millionen Einwohnern) ukrainischen
Stadt Donezk. Die eine Stunde Zeitverschiebung bedeutet,
dass wir sofort unsere Uhren von 13.40 Uhr auf 14.40 Uhr
umstellen müssen. Schon wieder eine Stunde meines Lebens
einfach so verloren.
Das Bild, das uns am Flughafen erwartet, ist ernüchternd:
Grauer Himmel, alte, vergammelte Fahrzeuge, grauer – dreckiger - Schnee. Alles ist grau in grau. Genauso trist ist die
Abfertigung am Zollschalter. Stolz erläutern uns die Zollbeamten zwar, dass sie – handgemessen – nur 93 Sekunden
für eine Person benötigen. Bei zwei geöffneten Schaltern und
250 Fluggästen ergeben sich, den Regeln der Mathematik folgend, so allerdings ca. zwei Stunden Wartezeit. Und genauso
kommt es auch. Erst knappe zwei Stunden später verlässt
auch der letzte Königsblaue den Flughafen Donezk und betritt den Bus, der uns zu unserem Drei-Sterne-Hotel „Atlas“
mitten in der Innenstadt Donezks bringen soll. Zumindest
konnten wir in der Zwischenzeit bereits einige Hasenrubel
eintauschen.
Es ist kaum zu glauben, wie traurig es hier aussieht. Da sitzt
man lediglich drei Stunden im Flugzeug und kommt in einer
ganz anderen Welt an. Ich danke dem Herrgott und vor allem
meinen Eltern dafür, dass sie mich an diesem wunderschönen Fleckchen Erde namens Gelsenkirchen, im Herzen des
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Ruhrpotts haben zur Welt kommen lassen. Was mir übrigens
als erstes an der 1.2 Millionen Metropole auffällt, ist dieser
beißende Geruch, der in der Luft hängt. Auf Deutsch gesagt,
es stinkt fürchterlich! Und zwar nach Autoabgasen. Schrecklich! Ob es, vor der Einführung des Katalysators bei uns im
heimischen Pott, auch so gerochen hat?
Im Hotel angekommen, lernen wir die Gastfreundschaft der
Donezker kennen. Keine drei Sekunden dauert es, bis ich den
ersten orangefarbenen Donezk-Schal um den Hals gebunden
habe. Rasch eingecheckt, Tasche aufs Zimmer gebracht, kurze Katzenwäsche getätigt, begeben wir uns umgehend auf die
Erkundung der Innenstadt. Unschwer zu erkennen, dass die
Ukrainer zweifelsohne sowjet-freundlich sind. Die Sehenswürdigkeiten bestehen aus alten Rotarmee-Panzern, LeninStatuen und Stalin-Büsten. Dazu noch ein, zwei russisch-orthodoxe Kirchen und das war es. Ist aber auch gar nicht so
schlimm. Denn so langsam locken uns der böse Hunger und
der schlimme Durst. Immerhin sind wir ja auch hier, um den
kulinarischen Genüssen der ukrainischen Küche zu frönen.
Und wie es das Leben nun einmal so will - es selbst schreibt
die schönsten Geschichten!
Da schlendern wir, während im heimischen Deutschland der
Schiedsrichterskandal tobt, auf der Suche nach einer feinen
Speisenstätte durch die Buchstabenwüsten des Kyrillischen,
als uns in riesigen Lettern ein bunter „Café King -Schriftzug“
anlächelt. Der Name der Wettbar, in der Hoyzer seine Spiele
verschob. Dazu noch der Hammer: Darüber hängt auch noch
ein Spielautomat. Und da das Lokal einen äußerst einladenden Eindruck auf uns macht, betreten wir es und sollten es
bis spät am Abend auch nicht mehr verlassen. Wir speisen
fast vier Stunden lang wie die Fürsten, jeder mindestens drei
Gänge, literweise wird „Schampanski“ getrunken, und erst
dann lassen wir die Krimsektkorken nur noch so durch die
Lüfte wirbeln. Das perfekte Mahl. Und was haben wir gelacht! Howard und Heinz erfreuen den Rest des Lokales mit
alten Ostpreußendiskussionen. Toto wird spontan zum „Bür196
germeister“ ernannt und auch ein junger S04-NachwuchsTorhüter, glühender Anhänger unseres A-Teams, kriegt sein
Fett weg.
Gegen Ende zahlen wir für den gesamten Abend im Café King
pro Nase nur knapp 20 €. Für einen Ukrainer zwar ein halber
Monatslohn, in GE kriege ich dafür gerade mal zwei Magherita-Pizzen. Selbstverständlich bedanken wir uns bei der Bedienung nicht nur mit einem tüchtigen Trinkgeld, sondern
auch mit den dollen königsblauen Pins. Die Freude darüber
ist riesig! Leicht angesäuselt verlassen wir das Restaurant
und fallen nur wenige Meter weiter, beim einzigen Iren der
Stadt, in die Türe. Hier wimmelt es nur so von Schalkern und
kurzerhand beschließen wir, auch hier noch einige Hasenrubel unters Volk zu bringen. Wie lange wir dort waren, weiß
wohl keiner mehr so genau. Als Howard und Heinz sich zum
dritten Mal mitten im Laden lang gemacht haben, ziehen wir
die Reißleine. Es ist ja immer noch früh am Tag (es dürfte
wohl um die zwei Uhr am Morgen sein). Wir beschließen mit
rund 15 Schalkern, die Discothek „Chigaco“ zu stürmen. Auf
dem Weg dorthin steigen wir kurz noch im Mannschaftshotel
„Donbass“ ab, um unserem Finanzminister, der heute Geburtstag hat, ein Geburtstagsständchen zu singen. Kurz darauf, das Hotelpersonal scheint von diesem Exclusivauftritt
der angeheiterten „Beautiful Nails“ nicht gerade begeistert zu
sein, fliegen Wrase und Co. in hohem Bogen aus dem Hotel
und landen direkt vor den Füßen von George.
Wer zum Teufel ist George? Keine Ahnung. Ein ukrainischer
Derwisch, der wohl sinnlos durch die leeren Straßen irrt und
sich spontan unserem Grüppchen anschließt. Zwar verstehen wir kein Wort von dem, was er sagt, er versteht keines
von uns, aber egal. Das „Chigaco“ meiden wir geschlossen,
nachdem man uns den Zutritt mit Jacken verweigert. Wir
sind doch nicht bekloppt und geben mitten in der Nacht, im
tiefsten Südostsibirien, unsere wertvollen Kutten an der Garderobe ab. Also setzen wir uns, auf drei Taxen verteilt, in diese autoähnlichen Geschosse und lassen uns für 50 Cent, inkl.
197
fettem Trinkgeld, einmal quer durch die Stadt zu unserem
Hotel bringen. Dort wird die Hotelbar gestürmt. Ein Großteil der Fans aus dem Mannschaftsflieger ist dort bereits an
der Theke versackt, als wir erneut dem Ruf des vorzüglichen
„Schampanski“ folgen. Nach weiteren zwei Stunden und dem
dritten Versuch, habe ich es dann auch irgendwann geschafft,
Dank Wrases Hilfe, unseren Howard aufs Zimmer zu bringen, bevor die Gesangsschlacht im Hotelfoyer startet.
Es ist einmal mehr sinnlos, verlorenes Hopfen- und Malzgut,
dem Verzehrer dieser Zeilen etwas von der Eigendynamik
solcher Abende zu erzählen. Der „Porno George – leck mich
anne Eier“-Schlachtruf hat bereits heute Kultstatus und jeder, der zu dieser späten Stunde noch in der Hotellounge war,
wird niemals den gesungenen Schwachsinn vergessen. Unser
ukrainischer Gast, der Porno-George, muss uns allesamt für
einschlägige Idioten gehalten haben. So ging dann irgendwann einmal, kurz vor dem Verlust der Muttersprache bei
einigen Protagonisten, der Abend in Donezk zu Ende. Nicht
jedoch ohne den 24-Stunden Rundumservice zu genießen
und noch ein leckeres Hühnerbrustfiletgericht zu ordern.
Dann bat uns die Hotelbedienung letztlich doch darum, für
die gleich erscheinenden Frühstücksgäste den Raum freizugeben. Also, ab auf die Koje und zumindest für ein paar Minuten die Augen schließen.
Vier Stunden später lässt eine eiskalte Dusche meinen Zimmernachbarn Helge und mich wieder wach werden. Kurzerhand bestellen wir erst einmal einen Kaffee. Eine halbe Stunde später ist uns so, als wären wir gar nicht erst in die Heia
gegangen. Eine Spitzenstimmung, so wie es sie allzu oft nur
bei weiten Auswärtstouren gibt. Es hat immer so etwas Wildes, Abenteuerliches an sich: „Aber wir, die 1000 Freunde,
stehen zusammen – egal wann, wie und wo!“.
Die organisierte Stadtrundfahrt boykottieren wir, haben wir
doch gestern bereits mit unseren gesunden Beinen alles sehenswerte abgeklappert. Wir verbringen einen urgemütli198
chen Nachmittag in der Hotellounge und je näher der Anpfiff
kommt, desto größer wird so langsam auch die Nervosität.
Unglaublicherweise tauchen auf einmal sogar noch Kirsche
(der Cappo der UGE) und Co. auf, der Wahnsinnigentrupp,
der die weite Anreise mit dem Zug vorgezogen hat. 50 Stunden Anfahrt, Spiel gucken, 50 Stunden Rückfahrt! Wir Schalker sind echt bescheuert!
Zwischendurch wird ein kurzer Pit-Stop bei McDonalds eingelegt. Der Besuch dieser Lokalität, bei internationalen Spielen, ist Pflicht. Auch das große gelbe „M“ in Donezk ist völlig
okay und vor allem hauen wir uns alle, für umgerechnet nur 2
Euro, die Plauze voll. Danach zurück ins die Hotellounge und
noch ein, zwei Absacker trinken. Die perfekte Vorbereitung
auf das Spiel.
Gegen 17 Uhr werden wir dann mit einem Bus, mit Sack und
Pack vom Hotel zum Stadion gefahren. Dort angekommen
werden wir sofort von souvenirhungrigen Ukrainern angefallen, die uns am liebsten Schals, Trikots, Pins und alles was
auch nur halbwegs nach Königsblau aussieht, vom Körper
reißen wollen. Trotzdem bleibt alles geordnet und gesittet.
In einem kleinen Lokal direkt am Stadioneingang nehmen
wir noch einen letzten kleinen Saft zu uns, bevor wir die
Stadionkontrolle passieren. Vielleicht sollte ich noch kurz
noch erwähnen, dass uns unser Ticket 18 Cent kostet. Nicht
schlecht, oder?
Zum Stadion selbst gibt es wohl nicht viel zu sagen. Es ist das
Olympiastadion. Eines von drei tauglichen Stadien in Donezk, jedoch nicht die eigentliche Heimspielstätte der Orangenen. Schade im Übrigen, dass wir nicht in zwei Jahren hier
antreten, denn seit September sind hier die Arbeiten für das
neue Stadion in vollem Gange. Es soll bis Mitte 2007 fertig
sein, 200 Millionen Dollar kosten und 50.000 Zuschauern
Platz bieten. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder.
Auffällig für uns Deutsche ist, dass sämtliche Bereiche nicht
199
geräumt sind. Sprich: alle Ein- und Zugänge total vereist oder
verschneit. Unter solchen Umständen dürfte, aus Sicherheitsgründen, in Deutschland nicht einmal ein Kreisklasse C Spiel
angepfiffen werden. Uns doch egal. Kalt genug ist es, bei eisigem Ostwind, allemal. Für die Einheimischen, die zur Zeit
am liebsten in Badehose und T-Shirt umherlaufen würden
– sind sie doch ganz anderes gewohnt – allerdings eher ein
frühlingshaftes Lüftchen. Mitte Februar sind Temperaturen
um die minus 30° C hier keine Seltenheit. Grrrrrr.
Okay, rein ins Getümmel. Asa und Pander spielen nicht,
Rangnick hat sich für eine defensive Grundtaktik entschieden. Und trotzdem erwischen die Blauen gegen den ukrainischen Vizemeister, der seit dem 10. Dezember 2004 kein
Pflichtspiel mehr bestritten hat, klar den besseren Start.
Nachdem Ebbe Sand in der ersten Minute aus vier Metern
noch knapp vorbei zielt, macht es Ailton kurz darauf besser.
Nach einem schönen Zuspiel von Ebbe, erzielte der Torjäger
mit einem trockenen Linkschuss sein erstes UEFA-Cup-Tor.
Das fängt ja klasse an. Das wichtige Auswärtstor bereits nach
fünf Minuten im Sack. Werden wir jetzt Donezk gar überrollen? Es fällt uns die erste Zentnerlast vom Herzen. Wussten
wir doch alle nicht, wie spielstark Donezk sein würde.
Wirklich erfahren sollten wir es an diesem Tage auch nicht
mehr. Zwar übernimmt in der Folge Donezk das Spielgeschehen und kontrolliert das Mittelfeld, das liegt aber primär daran, dass sich die Blauen unverständlicherweise zurückziehen.
So wird in Frank Rost der Held des Tages geboren. Ein ums
andere Mal wirft er sich wagemutig in die Bälle und rettet uns
in heikelsten Situationen den Vorsprung. Kurz vor der Halbzeit trifft ihn sogar ein Schuss mit voller Wucht ins Gesicht.
Nach kurzer Behandlung kann er aber weitermachen.
Endlich Halbzeit. Ruhe gewinnen, ordnen, durchatmen. In
der Pause genieße ich den seltenen Luxus, die VIP-Räume betreten zu dürfen (irgendwer hat mir da gerade seine Karte in
die Hand gedrückt). Speis und Trank sind vom Allerfeinsten
200
und ich wäre schwer doof, wenn ich nicht zuschlagen würde.
Also tue ich genau das. Überrascht bin ich nur über die vielen
bekannten Gesichter hier. Ob sie sich immer in VIP-Räumen
herumtreiben?
Nachdem mein Teller und mein Glas geleert sind, begebe ich
mich wieder, vorbei an den 20 Bodyguards des Schachtjor
Donezks-Mäzens Rinat Achmetow (einem russischen Rohstoffoligarchen und Multimilliardär, der alleine in den letzten
Monaten rund 80 Millionen Euro in Transfers gesteckt hat!),
zurück zu unserem unüberdachten und eiskalten SchalkeBlock. Fußball sehen und fühlen, den Blues der Fankurve
spüren.
Auch nach Wiederanpfiff geht das Anrennen des Tabellenführers aus der Ukraine weiter. Der eingewechselte Acht-Millionen-Einkauf Elano zielt knapp vorbei. Dann verhindert
Rost ein Krstajic-Eigentor, hält zudem großartig gegen die
immer wieder frei vor ihm auftauchenden Donezker. Einmal
mehr eine Weltklasseleistung von Frank, die die berechtigte
Frage aufkommen lässt, warum man sich seit Jahr und Tag
auf das ewige Torwartduell Kahn gegen Lehmann für die Nationalmannschaft eingeschossen hat. Spieler, die ihr Maul
aufmachen und ihre Meinung sagen, waren und sind beim
DFB halt noch nie so richtig beliebt gewesen.
Als wir uns alle auf einen 1:0 Auswärtssieg eingestellt haben,
nachdem gerade noch zehn Minuten vor Abpfiff Ailton eine
Großchance vergeben hat, fällt tatsächlich doch noch der,
ehrlich gesagt, hochverdiente Ausgleich. Trotzdem, meiner
Meinung nach aus stark abseitsverdächtiger Position. Das
trübt unsere Stimmung jedoch nicht, hätten wir immerhin
auch untergehen können.
Der Jubel der ca. insgesamt 300 mitgereisten Schalke-Fans
über den Abpfiff scheint die ukrainischen Fans so sehr zu
ärgern, dass es spontan zu einer netten Schneeballschlacht
im Stadion kommt. Danach geht auch alles ganz schnell. Ab
201
in die Busse verfrachtet, die direkt vor dem Stadion immer
noch auf uns warten, und von da direkt zum Flughafen.
Die meisten von uns haben wohl den langen Rückflug über
geschlafen. Erwähnenswert bleibt noch das rot angelaufenen
Gesicht unseres peinlich berührten Stewards, als er bei der
Landung bemerkt, dass unser Otto, von Start bis Landung,
auf einer der Bordtoiletten eingesperrt, geschlafen hat. So bin
ich morgens früh, nachdem uns Sven wieder abgeholt und
heimgefahren hat, um 5.00 Uhr im Bett und kann die ganze
sensationell geile Tour noch einmal Revue passieren lassen.
Mehr davon bitte!
202
20.02.2005
Borussia Mönchengladbach – Schalke 04 • 1:3
Da bist du gerade aus dem Flieger ausgestiegen und in dein
Bett gehüpft, schlägst erstmals,
nach kurzem Schlaf, wieder zaghaft die Äuglein auf, schaltest
die Flimmerkiste an, um langsam wach zu werden, und, was
siehst du? Schrecklich, auf allen Programmen die Fratze des
Managers des BvB, auch Mr. Bean genannt – alias Michael
Meier – der dir traurig, mit tiefschwarzen Ringen unter den
Augen, mitten ins Gesicht blickt. Verwundert reibt man sich
die Müdigkeit aus den Backen und liest erst einmal den unten
auf dem Bildschirm mitlaufenden Text: „Ad-Hoc-Mitteilung:
Dortmund pleite – letzte Überlebenschance liegt bei Gläubigern. Insolvenz droht“. Währenddessen stammelt Mr. Bean
im Rahmen der extra einberufenen Pressekonferenz gebündeltes Kauderwelsch, dass sich nur die so Balken biegen. Was
soll man davon halten? Einerseits gönne ich den schwatz-gelben, wie schon mehrfach erwähnt, nicht das Dunkelschwarze unter meinem Fußnagel. Andererseits, gäbe es sie nicht
mehr, würden uns am Ende jeder Saison sechs Punkte fehlen.
Und wenn ich ganz ehrlich bin: Ein wenig würden sie mir ja
schon fehlen, die Frotzeleien und Sticheleien, die Vorfreuden
auf die Derbys. Zu schwarz gehört auch weiß. Nach der Nacht
folgt der Tag. Nach dem Ebbe kommt die Flut.
Ach du meine Güte! Jetzt übernimmt der neue Großaktionär
und Bertelsmann-Enkel Florian Homm auch noch das Wort
und erklärt, man werde sich notfalls in Dortmund 05 umbenennen. Oh je, jetzt tun mir die kleinen Bienchen ja fast schon
Leid. Ab sofort gibt es nicht mehr nur die üblichen Spottgesänge, sondern auch folgendes: „Über Dortmund kreist der
Pleitegeier – auf Schalke steigt die Meisterfeier...“.
203
Womit wir beim eigentlichen Thema sind, der Bundesligaalltag ruft. Mal wieder eines dieser dollen Sonntagsspiele.
Heute im neuen Stall der Fohlen, in Gladbach. Um 13 Uhr
treffen wir uns am CC, erfreuen uns an den Anekdoten aus
Donezk und kosten eines dieser herrlichen deutschen Erfrischungsgetränke. Veltins statt Schampanski, alles hat seine
Vorzüge. Punkt 14 Uhr rollt die vollbesetzte Schildkröte los
und ist leider auch eine Stunde später schon da.
Warum leider? Warum wir uns nicht freuen, dass wir super
durchgekommen sind? Ganz einfach, das Wetter ist miserabel. Es ist arschkalt, windig, und dann setzt auch noch der
angekündigte Schneeregen ein. Und wir haben noch zweieinhalb Stunden bis zum Anpfiff zu überbrücken. Normalerweise kein Problem. Da aber die Verantwortlichen den Borussenpark mitten auf die grüne Wiese gesetzt haben, ist weit und
breit natürlich auch nichts Vernünftiges zu sehen. Weder eine
gastronomische Einrichtung, ein Kiosk, geschweige denn ein
Rostbratwurstgrill, einfach nichts! Also grapschen wir uns
noch kurz einen Sixpack Veltins, stellen uns vor den Bus und
verbringen die kommenden zwei Stunden damit, uns nass
regnen zu lassen. Die Grippe ist vorprogrammiert. Bereits
jetzt friere ich wie eine Schnattergans. Kein Wunder, dass
derzeit fünf Millionen Bundesbürger die Grippe haben. Wenn
die auch alle vor einem Spiel immer zwei Stunden lang, Wind
und Wetter ausgeliefert, in der Pampa stehen müssen...
Viel mehr aber als das Wetter, geht mir das pessimistische
Gequatsche meiner Kumpels auf den Sack. Da wir halt sonntags spielen, haben alle anderen direkten Verfolger – auch
die Bazen – gestern schon gespielt. Und leider halt auch alle
gewonnen. Besonders das 0:5 der Pleitegeier aus der Nähe
von Lüdenscheid beim FC Bäh war schon mehr als peinlich.
Eigentlich fast schon eine zum Himmel stinkende Wettbewerbsverzerrung. Die Zecken haben sich ohne jegliche Gegenwehr (immerhin bis zu diesem Zeitpunkt ungeschlagen in
der Rückrunde) im wahrsten Sinne des Wortes abschlachten
lassen. Ich weiß noch, wie genau vor einem Jahr der super204
cholerische Würstchen-Ulli wie ein Rumpelstilzchen gepoltert und getobt hat, als der SV Werder mit eben diesem Ergebnis den HSV beim traditionellen Nordderby schlug. Am
liebsten hätte die Fraktion „Unabhängiges Königreich Bayern“ damals die ganze Saison annulieren lassen. Wie schnell
sich das Blatt doch wendet.
Fakt ist, dass gestern alle anderen Meisterschaftsmitfavoriten
bereits gewonnen haben und sich der große Pessimismus in
unseren Reihen breit macht. Obwohl ich nicht gerade der
geborene Superoptimist bin, frage ich mich wirklich, und
zwar lautstark, ob die Jungs denn noch alle auf dem Streifen
haben? Erstes haben wir immer noch einen komfortablen
Vorsprung vor den Verfolgern und zweitens bin ich heute
nach Gladbach gefahren um zu gewinnen. Und warum sollte das hier auch nicht klappen? Wenn wir tatsächlich Meister werden wollen, dann darf Gladbach, derzeit auf Platz 14
stehend, keine Hürde sein. Vom Spielerpotential her schon
einmal gar nicht. Also, „Positive Thinking“ und das was ich
schon zu Ende der Rückrunde sagte, auch wirklich befolgen:
Wir wollen Meister werden. Wir werden Meister, also lasst
uns auch positiv-offensiv mit der Sache umgehen!
Kurz nach 17 Uhr, völlig durchgefroren und hungrig, entscheiden wir uns dann doch endlich, das neue Stadion unter
die Lupe zu nehmen. Von Weitem sieht die Hütte äußerst
funktional aus. Vier Tribünenseiten aus Betonfertigteilen, ein
Wellblechdach draufgesetzt, fertig ist der Borussenpark. Den
Charme des ehemaligen Bökelbergs, dem Stadion, das - wie in
so vielen englischen Städten - direkt in ein Einwohnerviertel
integriert war, hat es allemal nicht. Endlich im Stadion drin,
offenbart sich mir ein angenehmer Blick. Doch, auf jeden Fall,
ein schönes Stadion geworden. Das ganze Drumherum, die
Ästethik, der Service, entspricht zwar nicht den Maßstäben
der Donnerhalle, aber wie gesagt: ganz nett. Besonders, ich
bin ja ehrlich, gefällt mit der Blick auf das viele Königblau im
weiten Rund. Von rund 53.000 Fans im ausverkauften Haus,
dürften heute durchaus locker 10.000 Schalker hier sein.
205
Und die zeigen stimmungstechnisch von der ersten Sekunde an, wer hier heute Herr im Hause ist. Nicht umsonst sind
wir Schalke-Fans in dieser Woche von einem renommierten
Fachmagazin von allen Bundesligaclubs als die lautesten und
originellsten Auswärtssupporter gewählt worden.
Auf geht’s in die Partie! In den ersten 25 Minuten findet noch
das übliche langsame Abtasten statt. Heute im Übrigen ohne
Bordon, Lincoln und Kamphuis, dafür aber erstmalig mit Tim
Hoogland von Beginn an. Es entwickelt sich ein Spiel geprägt
von taktischen Zwängen, behäbig und ohne direkten Zug zum
Tor. Aber dann, von einer Sekunde auf die andere, nehmen
die Blauen auf einmal das Heft in die Hand, nehmen Fahrt
auf und kommen mit gefährlichen Pässen in die Spitze. Auch
wenn die guten Chancen durch Ailton nicht genutzt werden.
Letzte Saison hätte er die wahrscheinlich noch einbeinig reingehauen. Und mitten in diese Sturm- und Drangphase der
Blauen hinein, als es nur noch eine Frage der Zeit zu sein
scheint, bis es endlich im Kasten der Fohlen klingelt, pfeift
der Schiri. Das ist ja nicht weiter schlimm. Aber er pfeift einen
Elfer. Einen Elfer für Gladbach. Warum, wird bis heute nur er
alleine wissen. Von einem angeblichen Foulspiel während eines Kopfballduells zwischen Pander und Sonck hat jedenfalls
von den anderen 53.000 Fans – inkl. unzähliger TV-Kameras
– niemand etwas gesehen. Und wenn überhaupt, dann war es
eine glasklare Abseitsstellung des Gladbachers. Mann, würde
Würstchen-Ulli jetzt toben.
Es tritt ausgerechnet, ja wer schon – natürlich – unser Jörg
Böhme an. Der Spieler, der uns zur Winterpause Richtung
Borussia verlassen hat. Der Mann, der für immer und ewig
in unseren Herzen ein Schalker bleiben wird. Komm Jörg, sei
heute noch einmal ein echter Schalker und hau die Kirsche
daneben! Oder zumindest dem Frank in die Arme! Pustekuchen! Zwar kennt Rost die Ecke, aber jubelnd zieht Böhme unter meinen Augen von dannen. 1:0 (37.) für die einzig
wahre Borussia in der Liga. Völlig unverdient. Aber so ist
halt der Fußball.
206
Glücklicherweise lassen sich meine Jungs nicht aus dem Konzept bringen und spielen munter ihr Spiel weiter. In der 45.
Minute, also psychologisch extrem wichtig (haben die Blauen
wahrscheinlich extra so hingebogen), dann endlich der mehr
als verdiente Ausgleich nach einem schlimmen Gladbacher
Abwehrfehler. Die Hütte bebt.
In der Halbzeit wird die Gastronomie im neuen Stall der Fohlen getestet. Nimmt man einmal mehr die Arena nicht als
Maßstab, darf man getrost sagen: Mehr als okay. Interessiert
mich letztlich aber so sehr auch nicht, denn ich brenne auf die
zweite Halbzeit. Ich bin mir sicher: Wenn die Jungs so weiterspielen wie in den letzten 20 Minuten der ersten Halbzeit,
dann gehen wir heute auf jeden Fall als Sieger vom Platz.
Tatsächlich bleibt Gladbach in der zweiten Hälfte völlig harmlos, erarbeitet sich praktisch keine Chance. Sicher nicht zuletzt deshalb, weil wir im Mittelfeld einfach sensationell gut
stehen und keine Spielentwicklung zulassen. Parallel dazu
spielen wir aber weiterhin auch souverän, druckvoll und effektiv nach vorne und wie ich es richtig erwartet hatte, stellt
sich das Klingeln im Gladbacher Kasten zwangsläufig ein. Der
erneut von der Gladbacher Hintermannschaft einfach nicht
zu bremsende Ailton (der heute sicherlich sein bestes Spiel
im Schalker Trikot absolviert hat), nutzt ein feines Zuspiel
Vermants, welches Ebbe fast noch feiner durchlässt, und mit
einem fulminanten Linksschuss lässt er den königsblauen
Jubel im Stadion entfachen. 2:1 (66.) für uns. Und wenn wir
schon einmal dabei sind: Ähnlich gnadenlos versenkt Ailton nach einem pfeilschnellen Flügelangriff die Kirsche auch
zum 3:1-Endstand (79.). Der Borussenpark gefällt mir immer
besser. Und kurz vor Abpfiff sind wirklich fast nur noch königsblaue Trikots im weiten Rund zu sehen. Feierstimmung
pur!
Die Bazen werden sicherlich gerade geschockt vom Fernseher
sitzen. Tja Jungs, wir haben jetzt auch 44 Punkte!
207
24.02.2005 - UEFA-Cup (Achtelfinale, Rückspiel):
Schalke 04 – Schachtjor Donezk • 0:1
Als wenn ich es geahnt hätte. Hatte
ich das nicht schon nach dem Gladbachspiel gesagt? So ein Mist. Müde
und ausgelaugt schleppe ich mich
langsam zum Fernseher und schaffe
es mit letzter Kraft noch, den „PowerSchalter“ zu drücken. Anstatt eines
leckeren Veltins zur Spielvorbereitung, stehen vor mir ein Glas frisch
gepresster Orangensaft und ein heißer Pfefferminztee. Lecker!
Ich habe Grippe. 39.8° C Fieber hat mir noch vor einer halben
Stunde mein Fieberthermometer zugezwinkert. An den Besuch des Rückspiels in unserer Donnerhalle gegen Schachtjor
Donezk ist also nicht zu denken. Ist mir jetzt gerade auch
völlig schnuppe. Ich bin so richtig lethargisch. Mein Kopf
droht vor Hitze gleich zu platzen.
Statt Trikot und Schal heißt es heute also: Steppdecke, Wollsocken und Wärmekissen. Was für ein Outfit! Als Fiene dann
auch noch mit einer Schale frisch geschältem Obst ankommt,
ist die Herrlichkeit komplett. Gut zu wissen, dass ich nur
Einer von Vielen bin.
Im zweiten Programm läuft in, Vorbereitung auf das Spiel,
ein Vorbericht, der sich mit den Äußerungen eines gewissen Professors Klüting beschäftigt. Dieser hat in der letzten
Ausgabe eines bekannten (dem FC Bayern scheinbar nahe
stehenden) Magazins unserem FC Schalke 04 den Bankrott
bescheinigt. Ein leichter Anflug von Wut kommt in mir hoch.
Diese verdammten Bazen! Müssen die immer ihre Streubomben werfen? Das hat schon richtig Methode. Aber gekonnt
stellt unser Finanzminister Jupp Schnusenberg gerade alles
richtig und lässt Klüting wie einen kleinen dummen Schul208
jungen da stehen. Richtig so!
Und wenn wir gleich noch in die nächste UEFA-Cup Runde
einziehen, sieht es finanziell noch wesentlich entspannter bei
uns aus, von BvB-Verhältnissen gar nicht mal zu sprechen.
Dann kommt eine Maus - und die Geschichte ist aus. So gut
wie aus. Mit fiebrigen Augen muss ich leider mit ansehen,
dass es scheinbar auch meine Knappen erwischt haben muss.
Zumindest traben sie schlapp über den Rasen und schauen mit fiebrigen Augen zu, als Aghahowa in der 22. Minute
das entscheidende Tor für den ukrainischen Tabellenführer
schießt. So bitter es ist, es ist verdient.
In der ersten Halbzeit stehen die Blauen gar nicht auf dem
Platz. Und das sinnlose Anrennen auf das Tor von Schachtjor
in der zweiten Halbzeit zeugt auch nicht gerade von klarem
Verstand. Das war es mit den internationalen Auftritten der
Blauen in diesem Jahr. Wir sind ausgeschieden. Nach Dänemark, den Niederlanden, Schottland und der Ukraine folgen
jetzt wieder das Schwabenland, Preußen und Ostwestfalen.
Schade eigentlich. Das Salz in der Suppe haben die Spieler
uns mal wieder genommen. Ob sie das wissen?
Jetzt gelten halt alle unsere vereinten Kräfte der Schale. Weg
mit dem Balast UEFA-Cup, volle Konzentration auf Meisterschaft und Pokal. Keine Zeit zum Ärgern. Ist vielleicht,
bei unserem qualitativ doch spärlich bestückten Kader, zumindest ab der Nr. 12, auch besser so. Da sieht die Bank der
Bayern schon ganz anders aus.
209
27.02.2005
Schalke 04 – Hannover 96 • 1:0
„Everyday is like sunday“
von Morrisey. So könnte ich
fast jeden Sonntagmorgen
unter der Frühstücksdusche trällern. So oft spielen
wir in letzter Zeit am heiligen Tag.
Allerdings ist es heute bei
mir nicht die Dusche, sondern die heiße Wanne. Alleine der
Blick nach draußen sorgt dafür, dass das Blut in meinen
Schwellkörpern sich bis unter die Kniekehlen zurückzieht.
Grrrrrr. Der Winter hat den Ruhrpott erreicht. Minus 6° C
zeigt unser Thermometer an und eine sanfte weiße Schicht
aus Puderzucker hat sich in der Nacht von Samstag auf Sonntag auf die Hausdächer und Baumkronen der heimatlichen
Straße gelegt. Endlich kommt dem handgestrickten Supporters Club-Schal und der S04–Mütze heute mal die Bedeutung
zu, die ihr eigentlich, der Materie wegen, auch zusteht. Dazu
noch (muss ich mich eigentlich dafür schämen?) eine lange
Unterhose unter der Jeans, über das Sweat-Shirt noch den
dicken SC-Fleece-Pulli gepackt, dann noch eine dicke Jacke
drüber geworfen – jetzt könnte ich in diesem Outfit die perfekte Polarexpedition mitmachen. Bloß keinen Gripperückfall
erleiden! Frieren darf ich jedenfalls nicht. Falsch gedacht!
Eine gute Stunde vor Anpfiff treffen wir uns mit einigen lustigen Gesellen an der Bierbude vor der Mauer der 1000 Freunde. Die erste Runde ist tatsächlich noch ein frisches Veltins,
als uns aber dann, trotz dicker Handschuhe, die Fingerkuppen vor Kälte fast abfrieren und bereits anfangen blau anzulaufen, schwenken wir doch relativ zügig auf einen heißen
Glühwein um. Gesprächsthema Nummer eins: Hoffentlich
haben die Blauen die Niederlage bzw. das Ausscheiden von
vor drei Tagen gegen Schachtjor Donezk gut verkraftet und
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können den Hebel umschalten. Auf dass die drei wichtigen
Punkte im Kampf um die hässlichste Salatschüssel der Welt
bei uns in der Donnerhalle bleiben. Alle anderen Mitkonkurrenten haben im übrigen, wie in der Vorwoche, ihre Spiele
gestern gewonnen. Dabei haben die Schalendiebe, bei ihrem
1:0-Erfolg bei den abstiegsbedrohten Freiburgern aus dem
Breisgau, ihrem Namen als „FC Dusel“ alle Ehre gemacht.
Das Glück des Tüchtigen?
Kurz vor Anpfiff nehmen wir unsere Plätze ein und es herrscht
kollektives Bibbern im weiten Oval. „Wer nicht hüpft, der ist
Borusse“ erklingt es minutenlang im Stadion. Alle Fans sind
begeistert von dieser sportlichen Einlage. Da kann man sich
zumindest ein wenig mit aufwärmen.
Zunächst einmal die positive Nachricht: Nach vierwöchiger
Zwangspause, aufgrund einer Achillessehnen-Verletzung,
kann Marcelo Bordon erstmals wieder auflaufen und übernimmt in der Innenverteidigung den Platz von Darío Rodriguez. Ich nehme hoffentlich nichts vorweg, wenn ich bereits
an dieser Stelle erwähne, dass er den souveränen Part der
Wochen vor seiner Verletzung, einfach eins zu eins weiterspielt, als wäre nichts geschehen. Der Fels in der Brandung.
Der Turm in der Abwehrschlacht. Was für ein supergenialer
Abwehrspieler. Des weiteren lässt Rangnick erneut Tim Hoogland hinten rechts spielen, ebenso wie Mike Hanke für den
leicht angeschlagenen Ebbe im Sturm.
Was allerdings nach der leichten Aufregung bei der Mannschaftsaufstellung folgt (speziell mit Marcelos Auflaufen war
nicht zwangsläufig und unbedingt zu rechnen), ist ehrlich
gesagt ein eher müder Kick. Zusammenfassend dargestellt:
Die Blauen wirkten irgendwie nicht spritzig genug, als wenn
sie ein wenig müde im Kopf wären. Natürlich mit einigen
Ausnahmen und einigen hellen, lichten Momenten.
Hannover 96 wählt die berühmt-berüchtigte: „Wir stellen
uns auf Schalke mit Mann und Maus hinten rein und versu211
chen einen Punkt zu holen, evtl. riskieren wir es sogar, wenn
es die Situation erlaubt, einen Gegenstoß zu fahren“-Taktik. Die Niedersachsen, auswärts in der Rückrunde bislang
unbesiegt und noch ohne Gegentor, lassen ihrem Vorhaben
Taten folgen. Ihre Defensivabteilung verliert zu keiner Zeit
den Überblick und die Knappen stellen sich parallel dazu
nicht wirklich gerade schlau an. Gerade an den Standardsituationen sollte der Übungsleiter Ralf Ragnick doch noch
einmal mit den Jungs arbeiten. Andere Spitzenteams sind
uns da meilenweit voraus und schlagen aus diesen Standards
wesentlich mehr Kapital. Das Resultat: Zur Halbzeit 62.000
frierende Zuschauer und ein Spiel, bei dem es einem nur kalt
ums Herz werden kann. Allerdings ist unser eigener Kasten,
man muss es ja auch einmal positiv sehen, nie ernsthaft in
Gefahr.
Kurioserweise habe ich trotzdem ein gutes Gefühl, dass das
heute noch was wird. Tatsächlich starten die Blauen wesentlich druck- und schwungvoller in die zweite Hälfte. Es ergeben sich dabei einige Chancen, wobei davon wirklich keine einzige der Kategorie 100% zuzuorden ist. Dann endlich
die 65. Spielminute und das viel umjubelte und vor allem
erlösende Tor des Abends. Einen von Pander scharf in den
Strafraum gezirkelter Freistoß köpft Krstajic, goldrichtig am
zweiten Pfosten stehend, wieder zurück in die Mitte. Dort
steht Mike Hanke und muss nur noch seine Rübe hinhalten.
1:0 für Königsblau. Nur so geht’s. Dem Bayerndusel folgt der
Schalkedusel. Wie will man sonst Meister werden? So machen es die Bazen seit Dekaden.
Das Ende der Partie verläuft unspektakulär. Man hätte noch
einen Elfer für die Blauen, aber auch einen für die Hannoveraner geben können. Ein für uns glücklicher Pfostentreffer
der 96er in der Schlussminute bedeutet den Sieg, ein weiterer
Dreier. Wir bleiben punktgleich mit den Bazen. So langsam
wird es bedrohlich. Auf den vierten Rang haben wir mittlerweile gar acht Zähler Vorsprung. Und nun geht es in der Liga
zu den abstiegsbedrohten Bochumern.
212
01.03.2005 DFB-Pokal (Viertelfinale):
Schalke 04 – Hannover 96 • 3:1
Wer gedacht hätte, die bittere Kälte von letztem Sonntag wäre nicht
zu toppen, der sieht sich getäuscht.
War es beim letzten Anpfiff gegen
Hannover 96 in unserer Donnerhalle, vor exakt 51 Stunden, noch bitterkalt, so ist der heutige Zustand mit
dem am Südpol zu vergleichen. Sibirische Kälte. Ich kriege mich nicht
ein. 57.000 zahlende Fans. Das hätte ich nicht unbedingt gedacht. Die
späte Anstoßzeit, die eisigen Temperaturen, der „unattraktive“ Gegner, der immerhin vor zwei
Tagen schon hier gespielt hat, nicht zu reden davon, dass es
das dritte Heimspiel innerhalb von nur sechs Tagen ist. Und
letztlich wird die Partie ja parallel auch noch live im Free-TV
übertragen. Schalke ist halt der geilste Club der Welt!
Nur noch zwei Spiele bis nach Berlin. Angesichts dieser Tatsache hat sich unser sportlicher Übungsleiter Ralf Rangnick
mal wieder etwas ganz Dolles einfallen lassen. Im defensiven Mittelfeld erhält Poulsen den Vorzug vor Vermant – ein
durchaus nachvollziehbarer Schachzug - während im Angriff
der genesene Sand in die Startformation zurückkehrt und dafür unser kleiner Dicker mit ohne Hals, Ailton, auf der Bank
Platz nehmen muss. Der wird sich lecker gefreut haben.
Gerade will ich mich auf meinen Platz setzen und mir in
Ruhe das Spiel anschauen, als mich eine grüne Pappe auf
meinem Sitz anlächelt. Der DFB scheint eine Sympathieaktion für seine Schiedsrichter gestartet zu haben. „Die grüne
Karte für die Schiedsrichter“ oder so etwas ähnliches steht da
drauf. Keine Ahnung was die sich dabei gedacht haben. Aber
im weiten Rund der Donnerhalle hält unter den fast 60.000
keiner dieses Teil hoch. Warum auch? Die Suppe haben sie
213
sich ja selber eingebrockt – sollen sie sie auch selber wieder
auslöffeln. Diese Aktion hat sicherlich wieder zigtausend Euronen gekostet. Geld, welches man sicherlich hätte besser
und sinnvoller ausgeben können.
Geil, dass die UGE als Gegenaktion im kompletten Block N3
und N4 rote Pappen hochhält.
Die grüne Karte zerrissen, Platz genommen und auf geht es,
die Mannschaft als zwölfter Mann ins Halbfinale brüllen! Von
Anfang an, das ist bis in die hinterletzte Reihe der Donnerhalle zu spüren, sind die Blauen bemüht, das Spiel in den Griff
zu kriegen und ihm ihren Stempel aufzudrücken. Die Jungs
wollen allesamt ins Halbfinale, keine Frage. Nach dem ersten,
zugegeben, schönen Angriff der Gäste macht sich Entsetzen
in der Donnerhalle breit: Unser zweiter Youngstar, Tim Hoogland, ist zuvor im Strafraum gegen Krupnikovic zu ungestüm eingestiegen. Elfmeter für die Roten – gar keine Frage.
Das hat selbst der blauäugiste Blaue gesehen. Die Spieler
versuchen auch gar nicht erst mit dem Schiri zu diskutieren.
Der Gefoulte läuft selbst an, bleibt cool und verlädt Rost gekonnt. Schon wieder ein 0:1-Rückstand (27.) innerhalb von
nur wenigen Tagen vor heimischer Kulisse bei einem alles
entscheidenden Ko-Spiel.
Oh je, oh je! Nicht nur wir Fans, auch die Knappen auf dem
Platz wirken geschockt. Und prompt steht Mertesacker völlig
frei vor Rost, scheitert jedoch kläglich.
Zu diesem Zeitpunkt ist gut ein Drittel der regulären Gesamtspielzeit abgelaufen. Erinnerungen an Donezk werden
wach. Schalke in der Krise? Doch dann geht auf einmal alles
sehr schnell (ich glaube der Fachmann nennt so etwas einen
gemeinen Doppelschlag) und binnen zweieinhalb Minuten
machen die Jungs auf dem Platz aus einem 0:1 Rückstand
eine, glückliche, 2:1 Pausenführung. Kollektiver Jubel in der
Donnerhalle, das Spiel in Sekunden gedreht, Träume von
Berlin fangen wieder an zu reifen.
214
Gott sei Dank sitze ich pünktlich zum Wiederanpfiff wieder
auf meinem Platz. Denn was ich dort unten auf dem Spielfeld
sehe, bereitet mir große Freude. Die Blauen machen nämlich genau da weiter, wo sie kurz vor der Pause aufgehört
haben. Nach einem schönen Hackentrick von Lincoln staubt
der bärenstarke Hanke zur Vorentscheidung ab. 3:1 nach
55. Spielminuten – wen interessiert es da, dass Hanke einen
knappen Meter im Abseits stand? Das Glück des Tüchtigen!
Der Drops scheint jedenfalls gelutscht, dass war die endgültige Vorentscheidung. Ein ganz dickes Kompliment an die
Mannschaft.
Jetzt stehen wir im Halbfinale, triumphieren und jubilieren.
Die Auslosung findet am Sonntag statt. Neben uns haben sich
heute auch Bremen und Bielefeld qualifiziert. Morgen spielen
noch die Bazen gegen Freiburg. Aber egal gegen wen es im
Halbfinale geht, jetzt heißt es nur noch ein Spiel gewinnen
und dann singen wir alle gemeinsam endlich mal wieder:
„Berlin, Berlin – wir fahren nach Berlin!“ Hoffentlich wird
dieser erneute Traum wahr. Jetzt sage ich erst einmal: Danke
Hanke!
215
05.03.2005
VfL Bochum – Schalke 04 • 0:2
Ist das nicht schön?
Endlich mal wieder ein
Heimspiel an einem
stinknormalen Samstag. Zwar müssen wir
heute, wenn wir an der
Straßenbahnhaltestelle
stehen werden, aufpassen, dass wir nicht in die
falsche Richtung fahren, aber Heimspiel ist halt Heimspiel.
Heute geht es mit der 302 nicht nach Gelsenkirchen Buer,
sondern wir fahren in die entgegengesetzte Richtung, bleiben
somit vor dem Kanal. Heute heißt es wieder: Heimspiel beim
VfL in Bochum!
Pünktlich um kurz nach halb eins haben wir mit gut und gerne 30 Supportern die halbe Bahn in Beschlag genommen und
begeben uns auf große Fahrt. Da sich alle mit üppig bestückten Picknickkörben bewaffnet haben, Mülleimer in der Bahn
allerdings Mangelware sind, sieht es nach einer dreiviertelstündigen Fahrt, als wir am Bochumer Rathaus aussteigen,
ungefähr so aus wie in der Schildkröte nach zehn Stunden
Rückfahrt aus Rostock.
Ein riesiges Getöse erwartet uns und wir schauen fasziniert
auf den riesigen Pulk von S04-Fans, der sich gerade vom
Bochumer Hauptbahnhof aus in Richtung Ruhrstadion in
Bewegung setzt.
Wir schließen uns dem Ende der Truppe an, müssen aber
spätestens beim lang gezogenen Anstieg zum Ruhrstadion schließlich abreißen lassen, haben wir doch körperliche
Wracks und sportliche Trümmerhaufen in unseren Reihen.
Ist aber halb so wild. Immerhin haben wir noch fast zwei
Stunden Zeit bis zum Anpfiff.
216
Das Spiel heute ist bereits seit sechs Monaten ausverkauft.
Der Ex-Schalker Filip Trojan sagt uns einen heißen Tanz voraus. Warten wir es ab.
Um kurz vor drei Uhr betreten wir endlich eines der schönsten Fußballstadien Deutschlands. Muss man einfach mal
zugeben. Immer wieder bin ich gerne hier. Das Bochumer
Ruhrstadion ist im Übrigen das erste Stadion, in dem ich
in meiner Kindheit, gemeinsam mit Papa, ein Auswärtsspiel
unsere Blauen sehen durfte. Ich möchte nicht wissen, wie
vielen Schalkern es so erging und wohl immer noch ergeht
wie mir einst. Es verbindet mich also sogar richtig etwas wie
Sympathie mit diesem Stadion.
Aus den Boxen dröhnt Herbert Grönemeyers Kulthit „Bochum“ und das ist wohl der erste und einzige Moment an
diesem Nachmittag, an dem man die Bochumer Fankurve
spürbar vernehmen kann. Der arme Herbie. Ihm würde sich
sicherlich der Magen im Kreise drehen, könnte er hören, dass
die Bochumer Fans den Bazen die Meisterschale wünschen.
Anpfiff. Hektisch hüpft Fiene neben mir von einem Bein auf
das andere. Warum sitzt hier eigentlich niemand im Schalker
Block, obwohl wir doch für teuer Geld Sitzplatzkarten gekauft
haben?
Von Beginn an entwickelt sich zwischen den beiden WestTeams ein gutes Bundesliga-Derby. Kobi prüft bereits nach
60 Sekunden Bochums Stammtorwart Rein Van Duijnhoven,
der nach fast drei Monaten Verletzungspause wieder ins VfLGehäuse zurückgekehrt ist. Danach taktisches Geplänkel, bis
wir nach gut 20 Minuten gegen den aktuell Drittletzten der
Liga das Heft endgültig in die Hand nehmen. Ailton scheitert
nach einer knappen halben Stunde freistehend am großartig
reagierenden Van Duijnhoven. Unglaublich! Was für eine
Chance. Gott sei Dank klappt es nur zwei Minuten später
besser: Eine zu kurze Kopfballabwehr von Kalla versenkt der
Brasilianer vom Strafraumrand mit seinem zwölften Saison217
tor, mit einem satten Schuss zur 1:0 Führung ins linke obere
Eck. Und das auch noch mit rechts! Das halbe Ruhrstadion
liegt sich jubelnd in den Armen. Fienchen wird mit kleinen
Küsschen übersät, während die Bochumer Fans bedröppelt
die Köpfe hängen lassen. Halbzeit.
Anpfiff. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, als wollten
die Jungs sich tatsächlich schon ein wenig für das Spitzenspiel am nächsten Sonntag schonen. Eine gute Viertelstunde vor Abpfiff muss Asa mit einer Oberschenkelzerrung vom
Platz. Im Vergleich zu Filip Trojan noch Glück im Unglück,
ist dieser doch gerade mit Verdacht auf einen Kreuzbandriss
mit einer Trage vom Platz getragen worden. Gute Besserung,
Junge!
Kurz nach Asas Ausscheiden, wir schreiben die Spielminute
77, nutzt Lincoln einen Abwehrfehler der Bochumer zur endgültigen Entscheidung. 2:0 für uns. „Ihr könnt nach Hause
fahren“ singen die Schalker.
Die drei Punkte sind unser! 50 haben wir nun insgesamt davon. Ich glaube, das gab es letztmalig in der Saison 1971 . Einen Riesenspaß haben wir im übrigen noch kurz vor Abpfiff,
als alle 15.000 Schalker anfangen zu singen“ Euer Trainer
ist ein Schalker – hey – hey“ Ist doch der VfL-Coach Peter
Neururer bekennender S04-Fan, gar zahlendes Mitglied in
unserem Club.
Die Bazen haben ihr Spiel gegen Werder Bremen ebenfalls,
mit 1:0, gewonnen. Während sich einige darüber ärgern, finde ich das eigentlich gar nicht so tragisch. Immerhin haben
wir nun bereits sieben Punkte Abstand zum Dritten und damit zu einem Nicht-Zasterliga-Platz.
218
13.03.2005
Schalke 04 – FC Bayern München • 1:0
Über eine Woche lang
habe ich diesem Tag
entgegen gefiebert.
Dem Tag des Gipfeltreffens zwischen unserem FC Schalke 04
und den punktgleichen Schalendieben
vom Weißwurstäquator. Eine ganze Region ist wie elektrisiert
und hoch motiviert bis in die Fußballstiefelspitzen. Selten
habe ich in meinem langen, langen und leidvollen Dasein als
fanatischer Fußballfan des FC Schalke 04 miterleben dürfen,
dass eine Schalker Mannschaft, ein Schalker Umfeld, kurz
vor einem so ungemein wichtigen Spiel so siegessicher, so
heiß, aber auch so selbstbewusst war. Man hat es die ganze
Woche über schon gemerkt: Die Luft brennt. Die Stadt der
tausend Feuer erwacht. Der Rasen wird bis zum bitteren finalen Sieg unserer Knappen umgepflügt werden. (Herz-) Blut
wird fließen.
Täglich gibt es neue Spitzen aus Bayerns Landeshauptstadt.
Abwechselnd äußert sich Würstchen-Ulli und der ehemalige
Weltklasse-Stürmer Kalle Rummelfligge, die „Schande von
Lippstadt“ wie er oftmals „liebevoll“ genannt wird, mehr als
abfällig über uns und unseren Club. Die üblichen Giftpfeile
halt, die abgeschossen werden, wenn den Bayern ein Konkurrent sportlich zu nahe auf die Pelle rückt.
Entgegen unserer Angewohnheiten treffen wir uns am heutigen Sonntag relativ früh vor dem Spiel an der altehrwürdigen
Glückauf Kampfbahn. Da wir gestern Nachmittag unsere Jahreshauptversammlung des Supporters Clubs e.V. hatten, gab
es danach in den Räumlichkeiten des Schalker Fanprojektes
219
und auf den Tribünen der Glückaufkampfbahn noch eine nette, kleine Feier. Dabei wurden nicht wenige Würstchen artgerecht vergrillt und auch einige hundert Liter frisches Veltins
fanden den einen oder anderen dankbaren Abnehmer.
Wie es so Feiern nun einmal an sich haben, muss man am
darauf folgenden Tag auch aufräumen. Beim Betreten des
Fanprojektes fällt mir erst einmal die Kinnlade runter. Dass
so wenige Menschen in so kurzer Zeit so viel Dreck machen
können. Ich dachte, das ginge nur in der Schildkröte. Aber,
was soll es. Heute Abend werden wir Tabellenführer sein und
außerdem erblickt unser geschultes Auge ein noch nicht geöffnetes 50-Liter Fass. Inklusive des noch angeschlossenen
und noch nicht vollständig leeren Fasses dürften wir für den
heutigen Nachmittag als Lohn für unsere schweißtreibende
Aufräum- und Putzaktion noch gut und gerne 60 Liter Bier
haben. Mit vereinten Kräften wird alles wieder auf Vordermann gebracht und eine Stunde später sieht es wieder recht
wohnlich im Fanprojekt aus. Vom gestrigen terroristischen
Anschlag ist nichts mehr zu sehen und wir werfen umgehend
den Grill an und gönnen uns ein erstes Helles. Ich brauche
nicht zu erwähnen, dass just in diesem Momente die ersten
Mitglieder eintreffen, die sich ebenfalls am „Restbier“ laben
wollen. Das Ende der Reinigungsaktion schön abgepasst.
Die Vorfreude unter allen ist groß. Wie zu erwarten war: Die
Luft brennt, alle sind heiß. Zieht den Bazen heute mal wieder
lecker fein die Lederhosen aus! So verwundert es auch nicht,
dass wir uns – kurz nach den Ultras – bereits eineinhalb
Stunden vor Anpfiff auf dem Weg zur Donnerhalle machen.
Ich glaube, so früh war ich noch nie da. Aber alle sind bis in
die Zehenspitzen gespannt. Es zieht uns allesamt magisch
zum Tempel der Lust. Die wenigen Haltestellen vom ErnstKuzorra-Platz zur Arena, die wir mit der guten alten „302“
zurücklegen, offenbaren uns ein Feuerwerk der Sangeskultur.
Selten habe ich erlebt, dass eine ganze Bahn so lautstark das
Schalker Liedgut rauf und runter geträllert hat. Der Kutscher
hat, glaube ich, sogar selbst mitgesungen.
220
Während wir noch vor der Mauer der 1000 Freunde stehen
und ein letztes Erfrischungsgetränk zu uns nehmen, fällt mir
noch eines auf: Noch gut und gerne 30 Minuten bis zum Anpfiff und man sieht kaum mehr ein blaues Trikot über den
Platz huschen. Ganz Schalke hat sich schon zum Warmsingen
in der Donnerhalle eingefunden.
Die Hütte ist voll. Unglaublich. Es gibt keinen schönerer Ort
auf diesem wunderschönen Erdball!
Die Schalendiebe laufen gleich ohne den Rheuma–Kai,
Scholl, Ze Roberto, Frings und Kovac auf. Bei uns sind, außer den Langzeitverletzen und dem gesperrten Poulsen, alle
Mann an Bord. Los geht’s!
Von der ersten Sekunde an gleicht die Arena heute mal wieder einem Hexenkessel. Zwar ist bei jedem einzelnen Fan
auch eine gewisse Anspannung, ein Hauch von Nervosität zu
spüren, doch trotzdem wird heute das Stadion gerockt.
Nach nur acht Minuten der erste kleine Dämpfer für unser
Team: Die Muskelverletzung bei Asa hat sich wohl wieder
bemerkbar gemacht (scheiß Heilfleisch!) und er wird gegen Hamit Altintop ausgewechselt. Aber das wird uns nicht
erschüttern können. Nur eine Minute später die eigentlich
größte Chance der ersten Halbzeit. Direkt vor unseren Augen, also vor der Nordkurve. Unsere Nummer „10“, Lincoln,
entwischt seinem Gegenspieler und spielt den Ball von der
Grundlinie perfekt auf den völlig frei stehenden Ailton in die
Mitte des Strafraumes. Der nimmt den Ball im Stand, mit
seinem rechten Fuß direkt an, schießt jedoch aus gut und
gerne zehn Metern den Kahnsinnigen an. Die Chance noch
lange nicht vorbei: Vom Torwart der Bazen prallt der Ball ab
und fällt Ebbe vor die Füße. Irgendwie springt der Ball von
da aus wiederum zurück in die Mitte des Strafraumes. Und
wer steht da immer noch? Ailton! Ich sehe es noch wie im
Zeitraffer vor mir. Ideal kommt der Ball in halber Höhe auf
ihn zu, er hebt die gefährlichste aller Fußballerpranken in
221
der höchsten deutschen Spielklasse – die linke Klebe – und
trifft den Ball optimal. Volley. Der Ball fliegt mit einem Affenzahn Richtung Bayern-Tor. Der ist drin! Sicherlich! Ich
höre jetzt noch das Pfeifen des Schusses, hebe die Arme zum
Torjubel. Nur der heiß ersehnt Torjubel bleibt aus. Die Kugel
hat doch tatsächlich irgendwie noch einen Weg über die Latte
gefunden. Nichts ist es mit dem 1:0. Verdammter Mist! Wenn
man die – zugegebenermaßen - geniale Abwehrleistung der
Bayern am Mittwoch bei Arsenal London gesehen hat, dann
ist davon auszugehen, dass es nicht viele solcher Riesenmöglichkeiten im Verlaufe dieses Spiels für uns geben wird. Soviel
ist sicher. Hoffentlich war es nicht gar die Einzige.
Geduld ist gefragt! Sicherlich kein Spitzenspiel was das Zählen von Großchancen betrifft. Allerdings ein taktisch und vor
allem auch kämpferisch starkes Spiel unserer Blauen. Dies
äußert sich auch an der Anzahl der Verwarnungen: Michael Ballack sieht für ein rüdes Foul an seinen Gegenspieler
Kobiashvili gelb, der revanchiert sich umgehend und sieht
dafür ebenfalls gelb. Die beiden schenken sich nichts. Auch
Krstajic sieht nach einem Foul gelb. Geil! Es ist die erwartete Kampfpartie mit kleineren Ruppigkeiten und die Blauen
geben keinen Quadratzentimeter heiligen Schalker Bodens
freiwillig preis.
Die Stimmung in der Pause ist eigentlich ganz gut. Logo. Ist
mittlerweile auch dem Letzten klar geworden, dass es heute
– nicht wie noch vor drei Jahren – sicherlich kein glattes 5:1
geben wird.
Anstoß zur zweiten Hälfte. 45 Minuten Zeit, um dem ollen
Kahnsinnigen einen einzuschenken. Unverändert bleibt es
ein intensives, interessantes und vor allem ein spannendes
Spiel. Allerdings auch weiterhin ohne große Chancen. Vor allem die Blauen begeistern uns mit ihrem unglaublichen Biss,
ihrer enormen Leidenschaft, ihrem Willen. Mag zwar sein,
dass die Bazen in ihren Reihen die besseren Einzelspieler
haben, aber das, was sich da unten auf dem Rasen bewegt
222
und das königsblaue Trikot mit Stolz trägt, ist zweifelsohne eine Einheit, eine füreinander kämpfende Mannschaft.
Da ist Teamspirit wie bei den Eurofightern 1997 erkennbar.
Das dollste Kompliment, was man einem Schalker machen
kann.
Es folgt die entscheidende Szene dieses Spiels. Wie eigentlich nicht anders zu erwarten, resultiert sie aus einer Standartsituation. Fertig machen zum Jubeln! Unser Ebbe, einer
der nach den bewegenden Weltschmerzszenen des Meisterschaftsfinales von 2001 im alten Parkstadion so etwas von
geil auf die Schale ist, holt nach einem Foul an der halblinken
Strafraumgrenze einen Freistoß für uns heraus. Gut und gerne 18 Meter Torentfernung. Nervös dirigiert der Kahnsinnige
vor den Augen unserer Fans in der Südkurve seine Mauer
unsicher hin und her.
Unsere Zaubermaus Lincoln läuft an und trifft den Ball optimal. Der fliegt mit viel Effet über die Mauer, schlängelt sich
an Kahn, der viel zu weit in der linken Ecke steht, knapp unter der Latte ins Tor. Das Netz zappelt. Die ganze Südkurve
springt wie eine Wand in die Höhe und ist Sekundenbruchteile später nur noch ein hüpfendes Knäuel Mensch. Und jetzt
habe auch ich es begriffen. Der Ball ist drin!!! 69 Minuten
sind gespielt. Der Beton wackelt. Die Tribünen beben, Bierbecher fliegen in hohem Bogen durch die Luft, fremde und gut
bekannte Menschen liegen sich in den Armen, drücken sich,
küssen sich und schreien was das Zeugs nur hält. Jeder glaubt
in diesem Moment daran. Sieg!!! Wir können die Schale an
die Emscher holen!
Was dann folgt, ist eigentlich unbeschreiblich. Der Dezibelmesser fällt bei der Marke 200 aus, das gesamte – ja, auch
die Gegengerade und die Haupttribüne - Stadion hüpft beim
kollektiven „Spitzenreiter – Spitzenreiter – Hey – Hey“ und
selbst die hart gesottensten Bazen-Fans sollten später, nach
dem Spiel zugeben, sie hätten so etwas noch nie erlebt.
223
Fünf Minuten nach der Führung wieder ein Freistoß für
uns, ein gutes Stück vom Strafraum der Bauern entfernt.
Die Entfernung ca. 30 Meter. Keine Sache für Lincoln, sondern für „Papa“ Bordon – meinem ganz persönlichen Spieler
des Tages. Er nimmt Anlauf und zimmert das Ding direkt
auf Olli Kahn zu. Ich würde zu gerne wissen, was der in diesem Moment gedacht hat. Den Schuss als „Gewaltschuss“ zu
umschreiben, wäre eine persönliche Beleidigung gegenüber
Marcelo. Ich schätze mal, dass Kahn den Ball mit gefühlten
300 km/h irgendwie über das Tor gefaustet hat, in der Hoffnung, er möge nie wieder im Laufe seiner weiteren Karriere
einen solchen Schuss parieren müssen.
Danach fällt noch Ailton aus dem Rahmen, erhält auf einmal
nach zwei gelungenen Defensivaktionen stehende Ovationen.
Alles für die Meisterschaft! Das war es dann auch. Fünf Minuten vor Abpfiff hat zwar Lincoln noch die Riesenchance
auf 2:0 zu erhöhen, vergeigt aber. Wer wird es ihm jemals
krumm nehmen?
A propos Abpfiff: Schiedsrichter Fandel pfeift tatsächlich
pünktlich ab. Pünktlich nach 90 Minuten. In Manier des
Kahnsinnigen stürmt das halbe Bazenlager auf ihn ein, beschimpft, beleidigt und bedrängt ihn. Ja glauben die denn
ernsthaft, man würde immer viereinhalb Minuten nachspielen lassen? Oder gar noch länger, bis der Ausgleich fällt?
Ich sage nur: Peinlich! Schlechte Verlierer seid ihr!
Allerdings, auch mit einem dicken Augenzwinkern, ein Lob
an unseren Cheftrainer. Der, das haben glaube ich nur die
wenigsten im Stadion mitbekommen, hat auf eine letzte Auswechslung bestanden und somit dem vierten Schiedsrichter
die Anzeigentafel für die Nachspielzeit blockiert. Der hatte
ja nur eine.
Die Donnerhalle ist im Moment des Abpfiffs ein Tollhaus.
Königsblaue Ekstase pur. Keiner geht nach Hause. Alles steht
224
auf den Rängen, singt, klatscht, jubelt. Gänsehautfeeling
überall. Hühnerpelle.
Würstchen-Ulli verlässt wutenbrannt den Ort der Niederlage
und wird tagelang kein Interview mehr geben. Der Kahnsinnige versucht unserem Trainer die Hand zu brechen und durch
die 150.000-Watt Boxen dröhnen die Florians: „...Deutscher
Meister kann nur Schalke sein...Königsblauer S04...“. Live
gesungen. Das geschlossene Dach der Arena droht wegzufliegen. Ich glaube, in diesem Moment recken 62.000 Schalker
ihren Schal stolz in die Höhe, verwandeln die Donnerhalle
in ein einziges Meer in Blau und Weiß. Meine Güte, was wird
hier bloß los sein, wenn wir wirklich die Schale an die Emscher holen sollten?
Ich hole tief Luft und gehe kurz in mich, lasse die Geschehnisse im Schnelldurchlauf noch einmal Revue passieren.
Wahnsinn, wir haben es geschafft! Wir gehen nun mit 53
Zählern, also mit drei Punkten Vorsprung vor den Bazen,
in den nächsten Spieltag. Neun Ligaspiele sind insgesamt
noch auszutragen. Wobei wir wohl das etwas schwierigere
Restprogramm haben, die Bayern aber auch noch in der Zaster-Liga mitwirken. Von mir aus können sie diese gewinnen,
Hauptsache, die hässlichste Salatschüssel der Welt kommt
an den Schalker Markt.
„Spitzenreiter – Spitzenreiter – Hey – Hey“ hallt es noch einmal durchs gesamte Stadion. Das Wackeln des Betons unter
meinen Füßen, unseres Blocksegmentes, holt mich wieder
aus den Wolken, auf den Boden der Tatsachen. Über Schalke
ist ab sofort nur noch der Himmel.
Nachdem das gesamte Stadion auch den dritten Klassiker aus
der S04- Gesangsschublade lauthals mitgesungen hat, gehen
wir zum nicht unwesentlichen letzten Teil des Tages über:
Den Feierlichkeiten! Auf Gelsenkirchens Straßen ist die Hölle
los. Als hätten wir die Schale bereits im Sack. Hupkonzerte
überall Leute hängen Fahnen schwenkend gefährlich weit
225
aus den Autofenstern heraus. Das gesamte Handynetz bricht
hinterm Kanal zusammen. Auf ein gemeinsames Siegerpils
– bei mir ist es bevorzugt ein guter Roter – treffen wir uns
noch bei mir daheim und kriegen gerade noch die Nachberichterstattung und die Interviews mit. Mensch haben wir
gelacht! Ich glaube, der Titel: „der Meister der Sprüche“ - in
Anlehnung an diesen elendigen „Meister der Herzen“, der
uns von 2001 leider immer noch anhängt - könnte passender
und treffender für die Bazen heute nicht sein.
Als ganz, ganz schlechte Verlierer zeigt sich einmal mehr der
FC Bayern. Man sollte das Gejammere der Personalabteilung
der Seppels mit Missachtung strafen, aber der Kapitän der
Deutschen Fußball-Nationalmannschaft und Mittelfeldstar
Michael Ballack gibt seine rhetorische Fähigkeiten so sehr
zum Besten, dass es der Nachwelt unbedingt erhalten bleiben muss. Auf eine Frage eines WDR-Reporters, wie er denn
das Spiel gesehen habe, antwortete dieser sinngemäß: Wir
– also wir Schalker - würden nicht lange oben an der Spitze
stehen, denn wir hätten viel zu schlecht gespielt, wären viel
zu schwach gewesen. Daraufhin unser Coach „Rolf“ Rangnick – und alleine dafür liebe ich diesen Mann schon wieder:
„Wenn der Herr Ballack meint, dass wir nicht gut waren, so
hat es doch zumindest gereicht, die Bayern zu schlagen.“ Ist
der Kerl nicht herrlich?
226
20.03.2005
FSV Mainz 05 – Schalke 04 • 2:1
Mensch, wie ist das schön. Eine ganze
Woche lang konnten wir uns an der Tabellenspitze sonnen und nicht oft genug
konnte ich in diesen Tagen die ARDVideotextseite 253 aufrufen. „Platz 1. Schalke 04 - 53 Punkte“. Und das auch
noch passend zum lang ersehnten Frühlingsbeginn. Ist das Leben nicht schön?
Am Sonntag steht nun das Auswärtsspiel in Mainz an. Einer der vermeintlich „Kleinen“, die uns bekanntlich so oft
das Genick brechen. Aber mit stolz geschweller Brust und
dem Selbstvertrauen eines Tabellenführers sollte doch das
eine oder andere Pünktchen beim Karnevalsverein zu holen
sein.
Auch zu diesem Spiel haben wir, der Supporters Club e.V.,
uns einmal mehr etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Wie
schon zum Auswärtsspiel bei der KGaA aus der Nähe von
Lüdenscheid, werden wir auch am Sonntag mit dem Schiff
anreisen. Zwar wäre die Strecke von GE nach Mainz über die
verschiedensten Wasserwege natürlich viel zu lang, aber wir
sind ja bekanntlich im Organisieren solcher Touren halbe
Profis. Was liegt also näher, als von Frankfurt aus einzuschiffen? Und genauso werden wir es tun. Von GE aus werden
sich insgesamt 250 Schalker, auf Busse verteilt, am frühen
Sonntagmorgen Richtung Frankfurt in Bewegung setzen, um
dann in Mainhatten auf die „MS Wappen von Frankfurt“ umzusteigen. Dieser Luxusliner wird uns dann binnen ca. drei
Stunden nach Mainz schiffen, von wo aus wir nach dem Spiel
mit unseren Bussen wieder gen GE reisen werden. Genial,
oder? Zwar steckt natürlich mal wieder eine Mordsarbeit hinter der Organisation und der Durchführung der Tour, aber
was kann es Schöneres geben, als als Spitzenreiter auf Vatter
Main, bei strahlendem Sonnenschein und frühlingshaften
227
Temperaturen, zum Auswärtsspiel zu reisen? Der Supporters
Club e.V. wie er singt und lacht.
Reibungslos ist die Nussschale geentert. Das Schiff ist wirklich riesig und alle haben locker Platz. Im Vergleich zu dem
Kahn, den wir bei der Doofmund-Tour hatten, ist dieser hier
der Kategorie Champions-League zuzuordnen. Während die
Santa Monika damals wohl eher Kreisklasse war. Vom Service bis zur Ausstattung, alles wirklich klasse. Nur das Bier
hätte, bei 2.50 € für ein 0.33 l Binding, ein wenig günstiger
sein können. Watt soll es, Qualität und Service haben halt
ihren Preis.
Alles passt! Die Meisterschalen aus Pappe und Polyester
glänzen in der Sonne und scheinen auf den Wellen, die unser Boot wirft, zu tanzen. Je länger wir unterwegs sind, desto
mehr steigt die Stimmung auf dem Kahn. Kurz vor Mainz
sind, glaube ich, fast alle Mitreisenden an Deck und singen
sich schon einmal für das Spiel warm. Zum Entzücken der
unzähligen Spaziergänger, Anwohner und Sportler, die den
sonnigen Sonntagnachmittag entlang des Mains zur Ausübung ihrer Freizeitaktivitäten nutzen.
Gegen 15 Uhr in Mainz angekommen, werden wir von einem
netten Trupp grüner Ordnungshüter in Empfang genommen.
Und wenn ich sage nett, dann meine ich auch wirklich nett.
Sie bieten uns an, uns den Weg bis zum Stadion, welches
immerhin eine gute Stunde Fußmarsch entfernt liegt, zu begleiten. Einige nehmen dieses Angebot dankend an, nachdem
sie verdutzt zur Kenntnis genommen haben, dass unsere Busse uns nicht direkt hier wieder in Empfang nehmen. Leute,
ein kleiner gesunder Fußmarsch hat noch keinem Schalker
geschadet. Wir wollen euch kämpfen sehen!
Die meisten von uns entscheiden sich sowieso für einen kurzen Besuch der Mainzer Altstadt. Und der lohnt sich wirklich.
Ich selbst bin auch zum ersten Mal hier und das nette Eiscafé
direkt neben dem Dom, in welchem wir für ein Stündchen in
228
der Sonne Platz nehmen, hätte ich in Gelsenkirchen auch gerne. Wirklich, ein tolles Städtchen. Allerdings sind wir ja zum
Fußballgucken hier. Um die Tabellenführung zurückzuerobern, nachdem gestern die Bazen ihr Heimspiel, mühselig,
gegen Hansa Rostock gewonnen haben.
Die Anspannung, eineinhalb Stunden vor Anpfiff, steigt nun
doch spürbar an und wir begeben uns langsam aber sicher in
Richtung Stadion. Eine gute halbe Stunde später stehen wir
direkt vor dem Stadion am Mainzer Bruchweg. Unterwegs
mussten wir in hunderte von traurigen Gesichter blicken, die
kleine Pappkartons mit dem Schriftzug: „Suche Karte“, vor
ihrer Brust hielten. Mainzer sowie Schalker Fans. Nicht nur
in unserer Arena gibt es also immer zu wenige Tickets. Ist
natürlich in Mainz eine andere Ausgangslage – es passen hier
von vorne herein nur ca. 20.000 Fans ins Stadion.
Die Hütte selbst ist ein kleines, aber feines Schmuckstück.
Dicht gedrängt stehen wir im Stehplatzbereich und wundern
uns schon ein wenig darüber, dass auf der provisorisch aufgebauten Hilfstribüne kaum Wellenbrecher vorhanden sind.
Das der DFB so etwas zulässt. Tatsächlich liegen auch alle
zwei Minuten irgendwelche Blaue auf den Stufen.
Asa hat es diesmal nicht geschafft rechtzeitig fit zu werden.
Auch Tim Hoogland laboriert immer noch an einem Wehwehchen. Daher startet die siegreiche Elf vom Bayern-Spiel.
Warum auch nicht? „Never change a winning team!“ Schiedsrichter der Partie ist heute Lutz Michael Fröhlich. Ja, das
kann ja fröhlich werden. Beim Einlaufen der Teams legt das
gesamte Stadion eine beeindruckte „100 Jahre Mainz 05“Choreo hin. Nicht schlecht. Und der ehrlich gemeinte Applaus der Schalker Fankurve beweist, dass auch die anderen
Schalker dies so sehen
Das Spiel wird angepfiffen. Die Mainzer sind heißer als je
zuvor. Aber noch haben wir in diesem Moment einen Punkt
sicher und sofort skandieren die 2.000 mitgereisten Schalker
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hüpfend ihr derzeitiges Lieblingslied: „Spitzenreiter – Spitzenreiter – Hey - Hey“.
Erster Ballkontakt Lincoln im Mittelfeld, erster Ballverlust.
Ein Mainzer Spieler mit Namen Michael Thurk, den haben
die Knappen scheinbar noch nie gehört, überläuft auf der
linken Seite Nils Oude Kamphuis und darf ungehindert in
den Sechzehner flanken. Benjamin Auer verlängert den Ball
per Kopf zu Fabian Gerber, der kann aus acht Metern köpfen,
das Netz zappelt. 1:0 nach nur 20 Sekunden. Alle taktischen
Überlegungen über Bord geworfen. Die Jungs haben schlicht
und einfach gepennt. So ein Bockmist! Jetzt wird es ein verdammt schweres Spiel für uns. Das Mainzer Publikum geht
geschlossen mit. Ein wirklich beeindruckender Support. In
unserem Gästeblock macht sich fast ein wenig Resignation
breit. Als hätte man es geahnt. Immer diese kleinen Gegner,
die uns die Liga so zur Hölle machen, die uns unnötige Qualen leiden lassen. Der Schock scheint den Blauen bis tief in
die Glieder gefahren zu sein, denn, um es kurz zu machen:
Bis zur Halbzeit kriegen sie gar nichts auf die Kette. Während
die junge Mainzer Truppe mit Einsatz, Kampfeswillen und
Leidenschaft ihr Spiel durchzieht, scheinen unsere Jungs irgendwie pomadig, ungestüm und viel zu passiv zu agieren.
Dyn-Hamit verdribbelt sich ein ums andere Mal und auch
die anderen lassen sich anstecken. Der S04 ist im Vergleich
zum Spiel gegen die Bazen, leider, nicht wieder zu erkennen.
Außer einem Kopfball von Papa Bordon, nach einer Ecke und
einem halbgefährlichen Schuss von Ebbe, war es das. Die
Mainzer dagegen hätten durchaus zum 2:0 erhöhen können.
Unverdient wäre es nicht gewesen.
In der Pause gönne ich mir, zur Beruhigung der Nerven, ein
Light-Bier und begebe mich dann zügig zurück zu meinem
Stehplatz, bevor sich der Block wieder völlig überfüllt. Irgendwie scheinen die mehr Karten verkauft zu haben, als
tatsächlich Platz in unserer Kurve ist. Eigentlich gefährlich,
interessiert mich jedoch jetzt gerade herzlich wenig.
230
Nach dem Wiederanpfiff gehen die Blauen ein wenig entschlossener und aggressiver zu Werke. Da gab es wohl in
der Kabine eine etwas lautere Ansprache des sportlichen
Übungsleiters. Wir bestimmen das Geschehen, aber richtig
zwingend sind wir dabei allerdings trotzdem nicht. Einzig
Papa Bordon hat heute scheinbar einen guten Tag erwischt.
So langsam sollte es, meiner Meinung nach, nun doch endlich
losgehen. Lincoln bringt Hanke, der in der Zwischenzeit für
den schwachen Ailton gekommen ist, in eine prima Schussposition. Entfernung zum Tor etwa 12 Meter. Der Mainzer
Keeper Dimo Wache kann den Schuss zwar glänzend parieren, doch als Kamphuis den Abpraller verwandeln will, wird
er von einem Mainzer Spieler gefoult. Schiedsrichter Fröhlich
zeigt, ohne zu zögern, sofort auf den Elfmeterpunkt. Auch
die Mainzer Spieler protestieren nicht. Ein glasklarer Elfer.
Die Möglichkeit zum Ausgleich und zur erneuten Tabellenführung, zwanzig Minuten vor dem Abpfiff. Der ansonsten
eher schwache Lincoln verwandelt diesen Strafstoß souverän.
Dank der fehlenden Wellenbrecher liegt der halbe Schalker
Tross jubelnd auf den Tribünen und dem Hosenboden.
Wurde aber auch Zeit! Wir werden jawohl nicht wirklich auf
dem Weg zur Meisterschaft an der Hürde Mainz 05, einem
besseren Karnevalsverein, scheitern, oder? Noch zwanzig Minuten um aus dem 1:1 sogar noch eine Führung zu machen.
Wir sind am Drücker. Da geht noch was. Da ist noch was
drin! Denkste! Einen satten Schuss von Ebbe kann Wache
noch glänzend parieren, aber im Gegenzug schummelt sich
Thurk einmal mehr an Kamphuis vorbei und kommt frei vor
Rost zum Schuss. Er drischt die Pille aus acht Metern unhaltbar in die Maschen. 2:1, die erneute Führung für Mainz
und nur noch knapp zehn Minuten zu spielen. Das wird böse
enden!
Die Mainzer Fans, in den letzten Minuten etwas ruhiger geworden, sind wieder voll da und feuern ihre Mannschaft bedingungslos an. So etwas Ärgerliches! Da kommen die Mainzer in der zweiten Spielhälfte nur einmal vor unsere Bude und
231
schon schießen sie gleich wieder das Führungstor. Und das,
obwohl wir am Drücker waren. Fußball kann so ungerecht
sein.
Das war es. Im wahrsten Sinne des Wortes!
So ein Mist! Unsere erste Niederlage nach vier Siegen in Serie.
Unsere erste Niederlage bei einem Sonntagsspiel. Nur eine
Woche konnten wir uns an dem Platz an der Sonne behaupten. Vom Jäger zum Gejagten. Ich will ja keine unnötigen
Vergleiche anstellen, aber irgendwie werde ich das Gefühl
nicht los, dass die Jungs schlicht und einfach die Buxe voll
hatten. Das Saison-2001-Syndrom? Kann ich mir eigentlich
nicht vorstellen. Aber eine gewisse Portion Nervosität war
sicherlich nicht von der Hand zu weisen. War der Druck doch
zu groß?
Wie gesagt, ich kann und will es mir nicht vorstellen. Und
auch wenn meine Enttäuschung jetzt gerade riesengroß ist,
ist natürlich noch lange nichts gegessen. Wir sind immer
noch punktgleich mit den Bazen an der Tabellenspitze und
nur aufgrund des schlechteren Torverhältnisses auf den zweiten Platz zurückgefallen. Die Bazen werden auf jeden Fall, da
bin ich mir sicher, noch Federn lassen. Zumal sie mit Chelsea
London im Viertelfinale der Champions-League noch mindestens zwei schwere Spiele vor der Brust haben.
Aber die Punkte in Mainz hatte ich in meiner ganz persönlichen Rechnung eigentlich feste mit einkalkuliert und eher
mit Punktverlusten auswärts in Berlin oder Stuttgart gerechnet.
Es kam, einmal mehr, anders. Schade an sich. Bis zum Anpfiff des Spiels war es ein rundum perfekter Tag. Eine geile
Auswärtstour mit super Stimmung auf dem Schiff und dann
diese dumme Niederlage. Das einzig Positive zum Ausklang
des Tages ist die Tatsache, dass ich – da ich morgen in aller
Frühe einen Arzttermin habe - mit Schlammi und seinem
232
Auto heimfahre. Bereits um 21.30 Uhr betrete ich wieder
heimischen Boden und in unserer Stube überrasche ich mit
meiner frühen Ankunft die Fiene. Sie empfängt mich zum
Trösten. Kurz darauf erhalte ich von Rabe einen Anruf. Einer unserer Busse hat eine Panne. Und dann auch noch der
Megaliner mit 80 Leuten an Bord.
Erst um vier Uhr morgens sollten meine tapferen Mitstreiter
wieder daheim sein. Bockmist, kann ich aber jetzt auch nichts
machen. Jetzt heißt es, zwei Wochen lang ausruhen, nicht
jammern und meckern, sondern die nächsten drei Punkte
beim Heimspiel gegen den Club einfahren! Abhaken und
positiv denken! Schalke gewinnt, Schalke gewinnt, bis wir
Deutscher Meister sind.
233
02.04.2005
Schalke 04 – 1. FC Nürnberg • 4:1
Wie sagt man doch so
schön? Ab sofort gibt es
nur noch Endspiele. „Nur
noch acht Endspiele bis
zur Schale!“.
Zumindest das Wetter
ist heute auf jeden Fall
schon endspielreif. Zarte
20° C an einem richtig
schönen Frühlingstag.
Im Vergleich zum Hinspiel, zur Freude aller Fußballfans, ein
großartiger Termin für dieses Aufeinandertreffen von Schalke
und Nürnberg. Die traditionelle Fanparty steigt am Gelsenkirchener Hauptbahnhof. Es soll die letzte Veranstaltung vor
seinem Umbau sein. Fertigstellung des neuen Bahnhofes soll
dann, kurz vor der WM, im nächsten Jahr sein. Wer es glaubt,
wird selig. Vermutlich ein verspäteter Aprilscherz der Bahn
AG. Ich würde auf jeden Fall wetten, dass die nächste Fanparty, sollte der FCN nicht absteigen, ebenfalls wieder hier
– und zwar nicht auf einer Baustelle – stattfinden wird.
Frohen Mutes gehe ich, gemeinsam mit Deppi, relativ früh los.
Und zwar ausnahmsweise zum „Schalker“, wo wir auf Goe,
Helge, Heiner, Rabe und Konsorten treffen. Gesprächsthema
Nummer Eins ist, nein, nicht der Tod von Harald Juhnke
oder das nahende Ableben des Papstes, sondern die erneute Verletzung von Gustavo Varela. Dieser war unterhalb der
Woche mit seinem gerade genesenen Knie im Rasen hängen
geblieben. Erneute Knieverletzung, mindestens ein halbes
Jahr Pause. Da kann er sich prima zu Azouagh gesellen. Und
„wenne Samstach überlebst – dann ist Sonntach“.
Das Spiel beginnt mit einem Paukenschlag. Nur wenige Sekunden sind gespielt, als unserem Ebbe auf einmal das Blut
234
nur so aus der Nase spritzt. Nein, keine Szene aus einem Horrorfilm. In einem Zweikampf mit einem Nürnberger Spieler
hat er sich die Nase gebrochen. Ab, sofort ins Krankenhaus,
die Nase wieder gerade biegen lassen. Das kommt davon,
wenn man sich nicht richtig warm macht!
Rangnick zögert keine Sekunde und wechselt Mike Hanke
ein, der seit Wochen fordert, von seiner Rolle als Edeljoker
erlöst zu werden und der von Anfang an in der Startformation
stehen will. Im Nachhinein dürften sich alle Beteiligten wohl
gefragt haben, wer an diesem Tage den richtigen Riecher hatte. Ebbe wohl eher nicht. Unser Trainer da schon eher. Zweifelsohne aber Mike – und zwar den richtigen Torriecher.
Nachdem wir zwanzig Minuten lang einen müden Kick auf
dem Rasen sehen, gibt es einen Freistoß für uns. Lincoln zirkelt ihn lang in den Strafraum. Dort steht Hanke goldrichtig und köpft den Ball freistehend ins Tor (24.). Alles richtig
gemacht, Ralf! Keine zehn Minuten später: Ailton wurstelt
sich im Mittelfeld durch und spielt dann uneigennützig auf
den durchstartenden Hanke. Der hat keine Probleme, den
Ball souverän von der Strafraumgrenze zum 2:0 ins Netz zu
schieben (36.). Und während die Arena im zweiten Torjubel versinkt, legt Ailton mit einem präzisen Heber aus dem
Fußgelenk über den vor ihm herausstürmenden FCN-Keeper
nach. 3:0 (40.). Endlich mal eine sensationelle Chancenauswertung. Beruhigt gehen wir in die Pause, allerdings führen
die Bazen in Wolfsburg mittlerweile ebenfalls mit 2:0, was
unsere gute Stimmung doch ein wenig trübt. Jetzt wird das
Ergebnis aus Mainz umso ärgerlicher.
Die zweite Halbzeit entwickelt sich zum Langweiler. Anstatt
etwas für unser schlechtes Torverhältnis zu tun, verwalten
unsere Blauen das Ergebnis. Zwar trifft Hanke nach einer
dollen Einzelaktion in der 50. Spielminute noch einmal den
Pfosten, doch danach geht es los. Krstajic holt sich für ein
dummes Foul seine fünfte gelbe Karte ab und wird uns demnach nächste Woche beim Spitzenspiel in Stuttgart fehlen. Es
235
wird noch besser: Der kurz zuvor eingewechselten Samuel
Slowak flankt, von Pander nicht bedrängt, von der halbrechten Seite in den Schalker Strafraum. Überraschend für Rost
– und den Rest des Stadions – senkt sich der Ball als Bogenlampe ins lange Eck. Der Anschlusstreffer zum 3:1 (55.).
Eine Viertelstunde vor Abpfiff dann doch noch ein versöhnliches Ende und die endgültige Entscheidung für uns Fans. Ein
herausgespieltes Tor der Marke: „Zucker“! Lincoln umdribbelt zwei Nürnberger und spielt zu Asa. Der könnte selber
schießen, spielt jedoch mit viel Übersicht erneut auf Lincoln
zurück. Dieser hat keine Mühe aus sieben Metern den Ball
zum 4:1-Endstand ins rechte Eck zu schießen. Bereits sein
vierter Treffer im vierten Spiel hintereinander. Kein Wunder,
dass Real Madrid mittlerweile zaghaft anklopft! Angeblich.
Was bleibt? Ein glanzloser Sieg bringt uns nach dem verlorenen Spiel in Mainz, zurück auf die Erfolgsspur. In dieser
Form ist unser Mike Gold wert und lässt sowohl Ebbe als
auch den Nürnberger Torschützenkönig Mintal blass um
die Nase erscheinen. Und zu guter Letzt versprechen uns
die Club-Fans auf dem Heimweg, die Bazen im Rückspiel
zu schlagen. Macht et Jungs, und ich verspreche euch meine
ganz persönliche Fanfreundschaft bis an mein Lebensende!
236
09.04.2005
VfB Stuttgart – Schalke 04 • 3:0
Was war diese Woche auf Schalke
nicht alles los?! Eine Meldung erschüttert erdbebenartig, die Schalker Fanszene. Die „Spocht-Bild“ will
erfahren haben, dass das Schalker
Management den Namen unserer
Donnerhalle für fünf Jahre an den
„Samsung-Konzern“ verkaufen
möchte. Sie würde demnach den
Zusatz des Sponsors erhalten und
fortan: „Samsung Arena Auf Schalke“ heißen. Hört sich das nicht
schrecklich an?
Aufgrund dieses Themas geht die Vorbereitung auf das heutige Spitzenspiel in Stuttgart ein wenig unter. Und was ist
das doch für ein immens wichtiges Spiel. Der Tabellenzweite
spielt gegen den direkten Konkurrenten von Platz drei. Gewinnen wir in Stuttgart, ist die Champions-League-Qualifikation für uns wohl so gut wie sicher. Verlieren wir - ich will
es mir gar nicht erst ausmalen.
Allerdings hat, auch in unseren Reihen, während der Hinfahrt in der vollen Kröte das Thema „Samson-Arena“ absolute Priorität. Ist aber tatsächlich auch ein heißes Eisen. Und
so diskutieren wir uns mit Rabe, Ötte, dem „Chef-Schlammi“
und Denis bei einer leckeren Brause die Köpfe heiß, wägen
die Vor- und Nachteile eines eventuellen solchen Deals ab.
Gar nicht so einfach, da auf einen Nenner zu kommen. Es gibt
einiges, was dafür, aber auch vieles, was dagegen spräche.
Dabei reichen die vorsichtigen Abwägungen von Vor- und
Nachteilen eines solchen Schrittes in unserer Runde von tiefrational bis hochemotional. Und dazwischen klafft ein tiefer
Graben.
237
Die Befürworter eines solchen Deals argumentieren wie folgt:
Es wäre in schweren wirtschaftlichen Zeiten eine gute neue
Einnahmequelle für unseren Verein. Quasi geschenktes Geld,
das man mitnehmen muss. Zumindest vor dem Hintergrund
unserer derzeitigen finanziellen Lage. Wäre es da vielleicht
nicht sogar geradezu fahrlässig, auf die Kohle zu verzichten?
Des Weiteren fällt in der Runde immer wieder das Stichwort:
Tradition. Aber auf welche Tradition blickt denn die Arena
bisher zurück? Die Hütte existiert nun seit 2001. Der Name
hat keine Tradition. Tradition hat der Verein, der Fußballclub Schalke 04. Sicherlich auch die Kampfbahn Glückauf
- aber sicherlich nicht die Donnerhalle. Die Tradition, die
tragen wir, die wir heute hier im Bus sitzen, im Herzen. Und
diese Tradition nehmen wir alle zwei Wochen mit in einen
Koloss aus Stahl und Beton, in dem wir unsere Heimspiele
austragen.
Das Geld sollte man daher auf jeden Fall mitnehmen und
(nach Möglichkeit) zweckgebunden für Sondertilgungen
nutzen, Reserven und Rücklagen bilden, um Schulden bzw.
Verbindlichkeiten abzubauen und in absehbarer Zeit wirtschaftlich gesund im eigenen abbezahlten Stadion kicken zu
können.
Die Vermarktung des Stadionnamens ist uns allen, in dem
Punkt sind wir uns einig, immer noch erheblich lieber als
die Aufnahme teurer Kredite. Oder gar die Verpfändung des
Stadionnamens für die Aufnahme eines solchen. Man schaue
nur auf die KGaA aus der Nähe von Lüdenscheid.
Und hat unser Club in seiner grauen Vorzeit, nämlich 1928,
nicht eh schon einmal seinen Namen für Geld geändert, geopfert, hergegeben?
So argumentiert der eine Teil. Da ist natürlich was dran. Andererseits jedoch, argumentiert die eher emotionale Gegen238
partei, war es doch gerade immer die Philosophie unseres
Clubs, genau dieses Tafelsilber bis zum Schluss, für schlechte
Zeiten, in der Hinterhand behalten zu wollte. Der Name der
Arena ist so etwas wie die letzte heilige Kuh, die zu Schlachten es unbedingt zu vermeiden galt. Dass es vielleicht einmal
so kommen würde, war vielen von uns klar. Aber irgendwie
hatte niemand gerade jetzt damit gerechnet. Warum? Was
steckt dahinter? Was kommt danach? Werden weitere Rechte
verkauft? Haben wir es wirklich so nötig?
Fragen, die alle Fans in diesen Tagen bewegen. Und dann
natürlich die tief-emotionale Komponente: Sollte unser Stadionname nicht einzigartig bleiben, wie der Club, wie seine
Fans, wie seine Geschichte selbst? Müssen wir uns wirklich
einreihen in all die 08/15-Arena-Namen? Haben wir nicht
schon genug Werbung rund um den Ball? Sollte sich unser
Stadion nicht lieber tatsächlich doch nach Fußball statt nach
einer Handymesse anhören?
Bevor wir uns versehen und auf einen Nenner gekommen
sind, sind wir schon in Cannstadt angelangt. Zwar ohne ein
befriedigendes Ergebnis, aber trotzdem noch als Freunde
vereint. Wir brechen daher an dieser Stelle die Diskussionsrunde ab und spazieren, wie üblich, rüber zum PSV-Heim
hinter der Gästekurve, wo wir uns noch mit einigen anderen
Schalkern verabredet haben und verbringen die restliche Zeit
bis zum Anpfiff mit einigen Pläuschchen.
Bei uns fehlen der gelb gesperrte Krstajic und der nicht rechtzeitig fit gewordenen Ebbe. Das Risiko, mit der gebrochenen
Nase zu spielen, war wohl, trotz spezieller Gesichtsmaske,
allen Verantwortlichen doch zu groß. Gerade dieser Ausfall
sollte jedoch problemlos zu kompensieren sein. Hat doch gerade der sehr selbstbewusst auftretende Mike unterhalb der
Woche, auf die Frage einiger Journalisten hin, wie er denn
zu einem möglichen Wechsel Kevin Kuranyis an die Emscher
stünde, geantwortet: „Schalke braucht keinen Kuranyi, Schalke hat Hanke“.
239
90 Minuten später sind wir alle schlauer. Kuranyi hat uns
drei Buden eingeschenkt, Lincoln ist zum zweiten Mal in
dieser Saison mit gelb-rot vom Platz geflogen. Bordon ist,
aufgrund seiner fünften Gelben Karte, ebenfalls im nächsten
Spiel gesperrt und für Christian Pander ist die Saison, mit
Verdacht auf Innenbandriss, gelaufen.
Herzlichen Glückwunsch, Schalke! Da hat man ja mal wieder
hübsch fein die Meisterschaft verspielt. Ein wahres Schlachtfest. Und die Bazen gewinnen natürlich, mit Glück und Dusel,
gegen Gladbach. Ach, was interessieren mich eigentlich die
Bayern? So lange wir unsere eigenen Spiele nicht gewinnen,
können die eh spielen, wie sie wollen. Der VfB jedenfalls ist
somit bis auf zwei Punkte an uns heran gekommen.
Immer noch stehe ich konsterniert auf meinem Platz und
blicke ins Leere, während die VfB-Fans ihre Mannschaft feiern. Um mich herum geht es Tausenden von Schalker ebenso
wie mir. Nichts als Schmerz, nichts als Leid. Willkommen
in der Realität, willkommen auf dem Boden der Tatsachen.
Willkommen beim FC Schalke 04.
Ich fühle mich an so manches Spiel aus den letzten zwei
Jahren erinnert. Wird der Traum von der Schale wirklich zu
unserem Dauertrauma? Geht das überhaupt? Kann aus einem Traum, einem großen unbändigen Wunsch, ein Zustand
dauernder seelischer Verletzung werden?
Die Meisterschaft ist abgehakt. Da bin ich mir sicher. Aber
immerhin gibt es da ja auch noch eine reelle Chance auf das
Pokalfinale in Berlin. Es gibt schlimmere Ausgangslagen.
Und trotzdem ist es so traurig. Ich habe fertig!
240
16.04.2005
Schalke 04 – Hamburger SV • 1:2
Irgendwie beginnt der heutige
Tag so, wie das Wetter draußen
ist: Grau in grau. Die vergangenen Tage waren keine Guten,
zumindest für meinen S04.
Erst die wohl entscheidende
Niederlage im Kampf um die
Meisterschaft beim VfB Stuttgart, dann noch das Ausscheiden des FC Bayern im Viertelfinale der Champions-League gegen Chelsea London – die
werden jetzt mit Mann und Maus alles daran setzen, die zwei
nationalen Titel zu gewinnen - und letztlich dann auch noch
der Verkauf der Namensrechte unserer Arena an die Firma
Veltins.
Das Thema war eigentlich, nach einer dementsprechenden
Aussage von Rudi Assauer, schon vom Tisch. Aber frei nach
Adenauers „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“ wird nur Stunden später der Deal mit der sauerländischen Brauerei bekannt gegeben. Was soll man dazu noch
Großartiges sagen? Das Thema haben wir letzte Woche auf
der Fahrt nach Stuttgart schon hinlänglich durchgekaut.
Richtig wohl ist uns allen nicht bei dem Gedanken, aber so
ist halt der Fußball im Jahr 2005. Und wer diese Entwicklungen nicht mehr bereit ist zu tragen, muss sich wohl oder
übel vom Fußball verabschieden.
Das man uns allerdings von Vereinsseite aus sagt, 90 % der
Fans hätten den Club fast schon dazu gedrängt, diesen Deal
einzugehen, ist schlicht und einfach nicht wahr. Rudi geht
sogar noch einen Schritt weiter. Auf die Frage eines Reporters hin, ob man denn mit einem solchen Schritt nicht die
Seele des Vereins verkauft hätte, antwortet dieser vor laufenden Kameras: „Nein, Veltins ist Bestandteil der Seele des
FC Schalke 04“.
241
Spielt man wirklich so mit diesen Begriffen, mit den Worten?
Alles nur Rhetorik, Metaphern, akrobatische Verbalspagate?
Der Mythos Schalke, die gelebte und gefühlte Tradition nur
ein Hirngespinst? Nein Rudi, für dich, für den FC Schalke 04
wie Du ihn siehst, mag Veltins ein Teil seiner Seele sein. Für
uns ist Veltins – so gut es auch schmecken mag - sicherlich
kein Teil der Schalker Seele.
Das Ende des Liedes ist, dass wir ab dem 1. Juli 2005 in
der „Veltins-Arena“ spielen werden. Mindestens zehn Jahre lang. Dafür sollen pro Jahr um die fünf Millionen Taler
in die Vereinskasse gespült werden. Das hört sich natürlich
schon wieder ganz gut an. Prompt wird die Verpflichtung des
Noch-Freiburgers Bajramovic bekannt gegeben, den derzeit
die halbe Liga jagt. Also zumindest auch eine halbwegs gute
Meldung in dieser Woche.
Und wenn wir gerade schon einmal bei grau waren und nun
von Spielern reden: Heute fehlen uns Bordon, Lincoln (gesperrt), Vermant und Pander (verletzt). Ja herzlichen Glückwunsch! Dafür, dass wir heute unbedingt gewinnen müssen,
beste Rahmenbedingungen. Hoffentlich kommen die Verantwortlichen von Veltins nicht auf die Idee, dank des dollen
Deals, gerade heute Freibier im Stadion zu verteilen. Denn
gerade heute gilt für Deppi und mich: Kein Alkohol. Morgen
steht der 3. Ruhrmarathon an und wir sind natürlich dabei.
Zumindest darauf freuen wir uns wie doof.
Pünktlich betreten wir kurz vor Anpfiff die „noch“-Donnerhalle. Mittlerweile scheint auch wieder die Sonne vom königsblauen Himmel. Gute Vorzeichen also für unseren S04.
Scheinbar hat Veltins jedoch nicht nur die Namensrechte für
unsere Heimspielstätte erworben, sondern irgendwelche Zusatzklauseln mit in den Handschlagvertrag einbauen lassen.
Ansonsten ist es nicht zu erklären, warum bei schönstem
Wetter das Dach heute zu ist. Sollte es nicht, so Rudi, beim
Fußball immer offen sein? Spontan denke ich schon wieder
an den großen Altkanzler. Oder liegt es doch an irgendwel242
chen erhöhten Feinstaubwerten? Sicher ist: Das Dach der
„Veltins-Trink-Halle“ bleibt heute geschlossen.
Ralf Rangnick hat sich, trotz der vielen Ausfälle, für eine offensive Spielvariante der Truppe entschieden. Und die Jungs
auf dem Platz scheinen ihm Recht zu geben. Bereits nach
drei Spielminuten rappelt es im Karton. Asa erkämpft sich
im Mittelfeld die Kugel und spielt auf den Mann mit der Maske – Ebbe. Der zieht entschlossen Richtung Strafraum und
spielt dann den entscheidenden tödlichen Pass quer auf den
mitgelaufenen Asa. Der braucht aus zwölf Metern den Ball
nur noch am Hamburger Keeper Stefan Wächter vorbei zu
schieben. 1:0 für uns. Ohrenbetäubender königsblauer Jubel
entfacht. Ist das tatsächlich doch noch unsere letzte reale
Chance auf die Schale?
Der Wille scheint da zu sein. Kampf und Einsatz stimmen.
Eine ganz andere Truppe steht da auf dem Platz. Warum allerdings nach 20 Minuten unsere Schalker Herrlichkeit auf
einmal wieder vorbei ist, weiß der Donner. Es wird bedrückend und beängstigend ruhig im weiten Rund. Bälle werden konzeptlos und kopflos blind nach Vorne geschlagen.
Aussichtslose Dribblings und Fehlpässe am laufenden Band.
Gott sei Dank passt sich der HSV dem Niveau an. Irgendwie
schaffen wir es, die Führung in die Pause hinein zu verteidigen. Sogar verdient, denn es spielt heute wirklich Not gegen
Elend. Ein grausamer Kick! So spielt kein Anwärter auf die
Meisterschale 2005. Haben unsere Jungs etwa die Hosen
voll?
In der zweiten Halbzeit kommt es so, wie es kommen muss.
In guter alter Jupp-Heynckes-Manier betteln wir wieder um
den Ausgleich und dürfen diesen dann auch in der 61. Spielminute in Empfang nehmen. Stefan Beinlich schlägt einen
abgewehrten Ball wieder in unseren Strafraum und findet
dort den völlig frei – allerdings in abseitsverdächtiger Position - stehenden Raphael Wicky. Der braucht aus acht Metern
nur noch an Frank Rost vorbei einzuköpfen. Unverständlich
243
für mich, warum auf einmal tausende das Stadion verlassen.
„Ey Leute, ein Spiel dauert 90 Minuten. Und immerhin, auch
wenn die Chance minimal ist, spielen wir noch um die Meisterschaft mit! Und es sind noch dreißig Minuten zu spielen.
Was da alles noch passieren kann!“
Kurzzeitiger Jubel entbrandet, als über den Videowürfel bekannt gegeben wird, dass Rostock daheim gegen unseren
direkten Konkurrenten Stuttgart führt. Das scheinen auch
unsere Blauen mitzukriegen, denn noch einmal werfen sie
verzweifelt alles nach vorne. Der Lohn ist eine sehr gute
Chance für Sand, die Wächter prächtig pariert.
Dann, drei Minuten vor Abpfiff, noch unser endgültiger KO.
Ein lang gespielter Ball der Hamburger erreicht Krstajic noch
kurz vor unserem Ex-Spieler namens Mpenza. Der Ball, von
Mladen unglücklich getroffen und abgefälscht, trudelt an
dem völlig konsternierten Rost vorbei ins eigene Tor. 2:1 für
den HSV. Und das noch nicht einmal unverdient.
Scharenweise verlassen die treusten Fans der Liga enttäuscht
das Stadion und verpassen noch unsere letzte Chance zum
Ausgleich. Abpfiff. Das war es mal wieder für dieses Jahr.
Ausgeträumt der ewige große Traum von der Schale! Wie
so oft scheint es das große Nervenflattern zu sein, welches
uns eine dolle Saison kurz vor der Ziellinie versaut. Natürlich
hatten wir heute einige nicht zu kompensierende Leistungsträger zu ersetzen. Leistungsträger wie Bordon und vor allem
Lincoln, die man nicht einfach so eins zu eins austauschen
kann. Aber trotzdem muss man deshalb ja nicht wie der „Hosenscheißer 04“ auftreten.
Während ich kurz nach Abpfiff immer noch konsterniert auf
meinem Platz sitze und das Stadion bereits so gut wie leer
ist, werden noch die Endergebnisse aus den anderen Stadien durchgegeben. Unser ärgster Verfolger, der VfB, verliert
tatsächlich beim Tabellenvorletzten Rostock. Wir bleiben
zweiter, werden also fast noch belohnt für diese Leistung.
244
Und der FC Dusel aus München, wie sollte es anders sein,
gewinnt mal wieder durch ein Tor in der Nachspielzeit gegen
Hannover 96. Gott sei Dank! Man stelle sich vor, die hätten
heute wirklich zwei bis drei Punkte gelassen. So können wir
die Meisterschaft, schweren Herzens, beruhigt abhaken und
uns voll und ganz der Verteidigung des zweiten Tabellenplatzes widmen.
Und ich kann mich heute Abend beruhigt, ohne der Versuchung eines feinen Rotweines auf den möglichen Heimsieg
widerstehen zu müssen, auf meinen morgigen Marathon
konzentrieren. 42,195 Kilometer. Einmal quer durchs Ruhrgebiet. Der Gedanke daran, die Vorfreude auf diese Quälerei,
rettet mir den Tag. Und sicherlich werde ich mal wieder alles
geben. Mehr als die zwölf Knappen heute auf dem Platz!
245
19.04.2005 - DFB-Pokal (Halbfinale):
Schalke 04 – Werder Bremen • 7:6 n.E.
Der Tag beginnt wie ein
wundervoller Traum. Mit
leicht verschlafenen Augen
und immer noch schmerzenden Knochen und Muskeln
von meinem sonntäglichen
Frustbewältigungs-Marathonlauf quer durch den
Pott, blicke ich auf meinen
digitalen Radiowecker. Und was lacht mich da an? Das heutige Datum: 19.04! Der 19. April. Da kann doch eigentlich
überhaupt nichts schief gehen, oder? Wenn das nicht ein
Zeichen ist. Mein Herzlein lächelt. Das wird ein guter, ein
erfolgreicher Tag!
Von draußen klatscht der Regen an das Velux-Fenster. Eigentlich das klassische Parkstadion-Wetter. Da wird das Dach
der Arena heute Abend, wenn es gegen den Titelverteidiger
Werder Bremen um den Einzug ins Pokalfinale geht, sicherlich wieder geschlossen bleiben. Allerdings bleibt mir mein
Frühstücksmüsli beim Hören der morgendlichen Lokalnachrichten fast im Halse stecken. Eine weniger gute Nachricht:
Papa Bordon wird heute Abend nicht spielen können. Immer
noch macht ihm seine Hüftverletzung zu schaffen. Na prima!
Gerade auf ihn hatte ich für das heutige Spiel große Hoffnungen gesetzt, um vor allem die Abwehr gegen die derzeit
ebenfalls leicht kriselnden Bremer zu verstärken. Dafür muss
dann halt wohl wieder Waldoch spielen. Wird schon irgendwie schief gehen.
Kurz vor 18 Uhr nehmen Deppi und ich gemeinsam die Bahn
Richtung Arena. Zu erzählen haben wir uns reichlich. Allerdings quatschen wir weniger über Fußball als über unseren
Läufe vom Sonntag. Bei einem leckeren Veltins kriegen wir
dann allerdings schnell die Kurve und widmen uns fortan
246
ganz und gar den Blauen. In einem Punkt sind wir uns schnell
einig: Wir hatten beide schon einmal ein besseres Gefühl!
Hoffentlich lassen uns unsere „Windel-Bomber“ nicht gerade heute in Stich und kämpfen sich, hoch motiviert, ins
Pokalfinale hinein. Lasst die Faszination des Pokalendspiels
in euch übergehen!
Um pünktlich zum Anpfiff auf unserem heiß geliebten Platz
im Stadion zu sein, gehen wir um 20 nach 20 Uhr ins Stadion – gerade noch rechtzeitig, um mitzubekommen, dass das
Spiel zehn Minuten später angepfiffen wird. Es laufen gerade
irgendwelche Sonderübertragungen im Fernsehen, weil ein
neuer Papst gewählt wurde. Habemus Papam. Ein Deutscher,
ein Bayer, namens Kardinal Ratzinger. Papa-Ratzi quasi. Na
Prost Mahlzeit! Ob der auch sofort Ehrenmitglied bei uns
wird?
Schiedsrichter Lutz Michael Fröhlich, bekanntlich kein außergewöhnlich großer Freund der Blauen, hat schließlich,
„Ratze“ hin oder her, ein Einsehen und pfeift das Spiel an.
Von der ersten Sekunde an glüht die Luft. Die Fans sind heiß,
sind bereit, die Blauen bedingungslos ins Finale zu supporten! Beide Teams geben ebenfalls von der ersten Sekunde an
Vollgas, spielen mit hohem Tempo. Ein tolles Spiel, ein doller
Pokalfight beginnt.
Bereits nach drei Spielminuten hat Bremen zwei gute Chancen gehabt. Glück für uns, dass Rost auf dem Posten ist. In
der 23. Spielminute die erste richtig gute Möglichkeit für uns.
Vermant spielt unseren „Pampers-Toni“ im Bremer Strafraum frei. Der legt sich jedoch den Ball ein wenig zu weit
vor und Bremens Schlussmann Andreas Reinke kann in allerhöchster Not gerade noch zur Ecke klären. Auch wenn es
sich ein wenig blöd anhört: Das war es eigentlich in Hälfte
eins. Und trotzdem haben wir bis hierhin ein rasantes und
hoch spannendes Spiel gesehen.
247
Es sollte noch besser werden. Kurz nach Anpfiff der zweiten
Spielhälfte fällt fast ein Eigentor des Bremers Klasnic, der
einen Befreiungsschlag vom Bremer Verteidiger Ismael an
den Hinterkopf kriegt, von wo aus der Ball um ein Haar ins
Bremer Tor fällt. Die 54. Spielminute: Das ganze Stadion hat
den Torschrei auf den Lippen. Erneut kriegt Ailton den Ball
zugespielt, schießt aber über das Tor.
Dann endlich die lang ersehnte Führung für die Knappen.
Unsere Zaubermaus stößt von links in den Bremer Strafraum
und findet den tödlichen Pass auf Ebbe. Der dreht sich kurz
und schießt den Ball aus acht Metern trocken zum 1:0 an
Reinke vorbei ins Tor (65.). Das Tor nach Berlin ist weit aufgestoßen! Wie ein Irrer läuft Ebbe jubelnd über den Platz.
Man merkt ihm richtig an, wie heiß er auf das erneute Finale ist. Auch wir liegen uns, im kollektiven Freudentaumel,
in den Armen. Jetzt brauchen wir eigentlich nur noch das
Ergebnis zu halten. Aber gerade das wird gegen die offensivstarken Bremer Reihen sicherlich nicht leicht.
Tatsächlich beginnt nun ein kleiner Sturmlauf der Bremer.
Rost hält einen Kopfball von Micoud (68.), einen strammen
Schuss von Borowski (73.), rettet in höchster Not erneut vor
Micoud (78.). Die Blauen kämpfen, da kann man ihnen nichts
vorwerfen. Auch der zwölfte Mann im Stadion gibt alles. Eine
nervenaufreibende Situation. Bremen wirft jetzt Mann und
Maus nach vorne. Unsere Knappen kontern. Sand und Lincoln (79. und 81.) verfehlen das Tor nur knapp. Das wäre die
Vorentscheidung gewesen.
Immer wieder der bange Blick auf den Videowürfel. Nur
noch zehn Spielminuten. Nur noch fünf. Und dann doch der
Ausgleich. Nach einer Flanke vom Bremer Davala trifft der
Franzose in Bremer Diensten, Ismael, den Ball aus zwölf Metern wie man ihn besser nicht treffen kann und drischt ihn,
unhaltbar für Frank, in die Maschen.
So ein Mist. Nur fünf Minuten haben uns vom erneuten Ein248
zug ins Finale getrennt. Jetzt darf ich dem Bremer Gezumpel beim Jubeln zuschauen und alles beginnt von Neuem.
Während sich das Gros der Stadionbesucher bereits innerlich von der regulären Spielzeit verabschiedet hat, brennt es
auf dem Feld noch einige Male lichterloh. Erst pariert Rost
in Weltklassemanier einen Schuss von Valdez (87.), dann
trifft Poulsen (90.) nur den Pfosten und Lincoln schafft es
nicht, den Abpraller im leeren Bremer Tor unterzubringen.
Oh Mann, Leute, das wäre er gewesen. Matchball Nummer
eins vergeben.
Ein Büschel blonder Haare in meiner linken Hand zeugt von
meiner Verzweiflung. Pokal pur! Dann Abpfiff. Verlängerung.
Die meisten entscheiden sich für ein frisches Veltins – als
Nervennahrung – und schon geht’s wieder weiter. Und wie!
Die Verlängerung ist gerade erst wieder angepfiffen, als unsere Abwehr ein kurzzeitiges Seminar zum Freischwimmerlehrgang besucht. Der Bremer Tim Borwowski nutzt die Situation aus, kommt frei zum Schuss und schießt freistehend aus
sechs Metern das 2:1 für die Fischköpfe (94.). Entsetzen auf
den Gesichtern der Fans, der Spieler. War es das womöglich?
Die Mannschaft jedoch zeigt Moral und gibt die passende
Antwort. Fast im direkten Gegenstoß (96.) ein hoher Ball
in den Bremer Strafraum. Asa legt vom Elfmeterpunkt auf
Ailton ab, der trifft den Ball aus 17 Metern in vollem Lauf und
drischt ihn, mit gefühlten 300km/h, zum erneuten Ausgleich
ins Netz. 2:2. Diesmal jubeln wir wieder. Fußballherz, was
willst Du mehr? Danke lieber Fußballgott, dass Du uns diesen wundervollen Wettbewerb namens DFB-Pokal geschenkt
hast! Welch ein Kampf, welch eine Dramatik, welch eine dolle
Moral in unserer Truppe!
Im weiteren Verlauf der Verlängerung noch einige Chancen,
hüben wie drüben, aber dann doch der Pfiff, der ein erhöhtes
Herzinfarktrisiko bedeutet. Elfmeterschiessen!
Die Wahl gewinnen die Bremer. Geschossen wird auf die
Südkurve. Wie die Geisteskranken brüllt das gesamte Stadi249
on: „Südkurve, Südkurve“. Ein Zeichen für diese, den jeweils
schießenden Bremer Spieler gnadenlos auszupfeifen. Die
Kurve folgt dem Befehl der restlichen Schalker. Ismael tritt
als erster an, hört jedoch den Pfiff des Schiedsrichters gar
nicht, so laut ist es. Akute Herzinfarkt- und Hörsturzgefahr.
Dann läuft er doch an und trifft. 0:1. Anschließend Lincoln
für uns. Souverän! 1:1. Stalteri läuft an, entscheidet sich für
unten rechts. Rost auch. Gehalten!
Vermant trifft ebenfalls souverän. 2:1 für uns. Micoud und
Krstajic verladen die zwei Torhüter jeweils problemlos. 3:2.
So langsam wird es richtig spannend. Wir gehen stark auf
die spannende, entscheidende Phase des Elfmeterschiessens
zu.
Borowski, der Schütze zur zwischenzeitlichen Bremer 2:1Führung, legt sich die Pille zurecht. Rost kommt noch einmal
aus seinem Gehäuse, irritiert Borowski, bemängelt die falsche
Lage des Balles. Alles Taktik? Borowski zeigt Nerven. Rost
hält. Nun muss nur noch unser nächster Schütze verwandeln.
Es tritt Oude Kamphuis an. Warum eigentlich er? Der hat
doch noch nie einen Elfer geschossen. Egal. Das Stadion tobt,
feuert ihn an. Kamphuis nimmt Anlauf, schießt und schießt
vorbei. Nicht schlimm, kann passieren. Zweiter Matchball
vergeben.
Davala gleicht daraufhin zum 3:3 aus. Nun aber unser dritter
Matchball. Jetzt muss aber doch das Finalticket für Berlin
endlich gelöst werden. Unser vermeintlich sicherster Elferschütze, der Ex-Bremer und neu „Pampers-Toni“ Ailton legt
sich den Ball zurecht und kann mit dem vielleicht letzten
Schuss des Spiels seinen Ex-Kollegen das Herz ausreißen.
Er läuft an, versetzt dem Ball einen tüchtigen Tritt und trifft
die Latte.
Alles wieder offen. Auch in meiner rechten Hand nun ein Bü250
schel ausgerissener Haare. Zum Verrücktwerden! Jetzt tritt
jeweils nur ein Schütze des jeweiligen Teams an. Die Bremer
legen mit Pasanen vor. 3:4. Erstmals die Bremer Führung im
Elferkrimi. Jetzt muss Kobi unbedingt, unbedingt, unbedingt
treffen. Ich möchte jetzt nicht gerne in seiner Haut stecken,
nicht diese unglaubliche Bürde, diese unglaubliche Last der
Verantwortung auf meinen Schultern spüren. Kobi nimmt
es scheinbar eher gelassen und netzt souverän zum 4:4 ein.
Einfach nur mittig draufgehalten. Jetzt liegt die Verantwortung wieder bei den Bremern.
Ausgerechnet Fabian Ernst, der ja am 1. Juli 2005 an die
Emscher wechseln wird, schnappt sich die Kirsche. Wohin
er schießen wollte, werden wir wohl so richtig nie erfahren.
Denn nach langem Anlauf rutscht er, bei einem ohren-betäubenden Pfeifkonzert, kurz vor dem Elfmeterpunkt leicht aus
und der Ball trudelt mittig aufs Tor, relativ haltbar, auf Frank
Rost zu. Und der hält! Nun wieder alle Karten in unserer
Hand. Matchball Nummer vier.
Bitte Jungs, jetzt macht doch endlich den Sack zu. Wir haben gleich auch schon 23.15 Uhr. Nun die vielleicht spektakulärste Szene des gesamten Spiels. Hanke läuft Richtung
Strafraum und will den entscheidenden Elfer treten. Rost
geht auf ihn zu und schubst ihn weg. Frei nach dem Motto: „Einen solch entscheidenden, wichtigen Elfer lasse ich
doch keinen 21-Jahre-jungen Grünschnabel schießen“. Unser
Mannschaftskapitän übernimmt selbst die Verantwortung
und tritt gegen seinen Konkurrenten Reinke an. Los Frank,
werde unser Held! Kurzer Anlauf, Reinke verladen, der Ball
trudelt aus Franks Sicht unten rechts ins Eck. Geschafft! Sieg!
Wir sind im Finale!
Während die Donnerhalle ausflippt lässt sich Rost feiern.
„Finaaaaaaaaaaaaale, ohoh, Finaaaale ohohohoh“ schallt es
durch das Stadion. Nur die Bremer Fans ergreifen fluchtartig
das Weite.
251
Eine denkwürdige Partie. Ein großartiges Fußballspiel hat
einen würdigen und verdienten Sieger gefunden. Ist das geil!
Zum dritten Mal innerhalb von fünf Jahren fahren wir am 28.
Mai zum Finale nach Berlin.
Auf jeden Fall wird da wieder ein Riesenbatzen an Arbeit auf
Arndtie und mich zukommen. Ich höre schon das Telefon 24
Stunden am Tag klingeln, sehe schon die 10.000 i-Mehls am
Tag eintrudeln: „Krieg ich ne Karte fürs Finale?“
Einen Monat lang werde ich mal wieder (fast) nur Freunde haben. Während die Arena heute Nacht sicherlich noch
für einige Stunden die größte und schönste Kneipe der Welt
bleiben wird, werde ich jetzt zügig heimfahren und bei einem
leckeren Siegerrotwein das Erreichen des Endspiels feiern.
Ich muss allerdings auch noch schnell eine Mail an alle Supporters rausschicken, die Bestellrichtlinien fürs Finalticket
weitergeben. Diesmal kriegen S04-Mitglieder mit einer Dauerkarte ein Vorkaufsrecht auf Finaltickets. Dürfte auf fast alle
unserer über 500 Mitglieder zutreffen. Also Arbeit pur. Aber
dafür fahren wir ja jetzt nach Berlin.
252
23.04.2005
Hertha BSC Berlin – Schalke 04 • 4:1
Am heutigen Samstag
soll es in Deutschlands
Hauptstadt gehen, zum
Auswärtsspiel bei der alten Tante Hertha. Allerdings nicht für mich. Klar
steckt mir der gestrige
Junggesellenabschied von
meinem Sandkastenkumpel Mario noch in den Knochen. Entscheidend ist aber, dass
bis morgen früh unsere interne Supporters Club-Bestellliste
für das Pokalendspiel fertig sein muss. Das heißt für mich:
Nix mit einer schönen Auswärtstour nach Berlin, sondern
hübsch fein rund 200 Briefe, rund 800 Mails und unzählige
SMS-Nachrichten in eine ordentliche Excel-Datei packen und
bearbeiten. Wochenende Ade!
Ich bin so sehr in Arbeit versunken, dass mir die Auswärtstour heute eigentlich kaum fehlt. Ein Bierchen wäre jetzt gerade, nach gestern, wohl eh nicht das richtige gewesen. Kurz
vor 15 Uhr – also eine halbe Stunde vor Anpfiff der Partie
– stellt sich dann aber doch das übliche leichte Kribbeln ein
und ich mache mich auf dem Weg zu Schlammi, um mein
erstes Bundesligaspiel dieser Saison live beim Pay-TV-Sender „Premiere“ zu verfolgen. Wie schrecklich sich das anhört.
Geht aber heute leider nicht anders.
Irgendwie schafft es Schlammi dann doch noch, mir eine Flasche frisches Veltins unterzujubeln. Ich bedanke mich artig,
genieße den ersten Schluck und dann nehmen wir, pünktlich
zum Anpfiff, gemeinsam auf der Couch unseren Platz ein.
Tribüne GE-Ückendorf, Block-Backskamp, Reihe 1, Platz 2.
Pünktlich sind allerdings nur wir. Wie bereits am vergangenen Dienstag wird das Spiel mit zehnminütiger Verspätung
253
angepfiffen. Nein, wir haben nicht schon wieder einen neuen
Papst. Die Berliner werden in der renovierten Albert-SpeerGedächtnis-Bude scheinbar mit dem großen Zuschauerandrang nicht fertig. Mensch „freue“ ich mich schon auf das
Pokalfinale.
Wenigstens haben wir so genügend Zeit, uns mit der Mannschaftsaufstellung auseinanderzusetzen. Bordon fehlt immer
noch verletzt. Ansonsten sind eigentlich die derzeitigen Top
Ten auf dem Platz. Wahrscheinlich zwar ein wenig müde,
aber das haben schon ganz andere Mannschaften vor uns
überstanden.
Unsere scheinbar nicht. Keine vier Minuten nach Anpfiff
spaziert ein gewisser Bastürk - von dessen vorzüglichen
Qualitäten als offensiver Mittelfeldspieler, von dessen Torgefährlichkeit, scheinbar noch nie jemand von uns auch nur
ansatzweise etwas gehört zu haben scheint - durch unsere
Abwehreihen. Dass ihn dabei niemand angreift, versteht sich
von selbst. Immerhin sind wir der FC Schalke 04, stehen im
Pokalfinale, sind der Bayern-Jäger Nr. 1! Da wird sich ja wohl
niemand wagen!
Aber Bastürk, dieser Frechdachs, wagt sich doch! Mit einem
unbedrängten Flachschuss aus zwölf Metern lässt er Rost keine Chance und erzielt das 1:0 für Hertha. Unerhört!
Es dauert dann bis zur 17. Spielminute bis wir erstmalig gefährlich vor dem Berliner Tor auftauchen. Ailton testet Berlins Keeper Fiedler mit einem Weitschuss, den der nur zur
Ecke klären kann. Lincoln tritt diesen in den Strafraum hinein. Fiedler kann mehr schlecht als recht abwehren. Der Ball
fällt Ebbe vor die Füße. Er schnappt sich die Kirsche, dreht
sich in alter Gerd Müller-Manier und markiert den Augleich.
1:1. Na also, geht doch.
Viel spannender und entscheidender allerdings das Drumherum. Wie eine Furie rennt auf einmal der Brasilianer in
254
Berlins Diensten, Marcelinho, aus dem eigenen Sechzehner auf Poulsen los, der sich bereits wieder im Anstoßkreis
befindet, und schüttelt ihn wild und energisch. Poulsen soll
vorher Kovac, selbst als einer der unfairsten und arrogantesten Abwehspieler der Liga bekannt, einen Ellenbogencheck
verpasst haben. Da ich ja heute vor der Flimmerkiste sitze,
schaue ich mir auch die tausendste Superzeitlupe, die zur
Verfügung steht, noch an. Nichts Konkretes zu sehen. Das
Gemenge weitet sich aus: Rudelbildung! Und was macht der
Schiri? Zeigt Poulsen und Marcelinho für das Gerangel gelb.
Eine Frechheit! Denn den vermeintlichen Ellenbogenstoß
kann er ja nicht gesehen haben, sonst hätte er ihn ja als Tatsachenentscheidung sanktioniert. Poulsen ist außer sich. Er
ist, zumindest was diese Situation am Anstoßkreis angeht,
völlig unschuldig.
Es kommt, wie es kommen muss. Mit Schaum vor dem Mund,
man könnte sagen um die rote Karte bettelnd, geht er, wenig
professionell, in die nächsten Zweikämpfe. Die 23. Spielminute. Rabiat, eigentlich schon brutal, attackiert Kovac (ein
klares Revanchefoul) unseren Dänen. Er grabscht ihm mitten
ins Gesicht (obwohl ja eigentlich Fußball gespielt wird), wonach sich Poulsen, zugegebenermaßen äußerst aggressiv, von
ihm losreißt. Die Folge: gelb für beide. Das bedeutet gelb-rot
für Poulsen.
Innerlich lachen sich die Berliner wohl gerade kaputt, nichts
anderes hatten sie vor. So eine Dummheit Herr Poulsen, ein
cleverer Musterprofi verhält sich da anders. Bis zur Weißglut provoziert hätte er seinen Gegenspieler einfach nur anzulächeln brauchen. So spielen wir jetzt, das 120-minütige
Pokalfinale noch in den Knochen steckend, gegen eine der
derzeit sicherlich spielstärksten Mannschaften der Liga fast
60 Minuten lang in Unterzahl.
Statt eine taktische Veränderung vorzunehmen, lässt Rangnick erst einmal mit der offensiven Ausrichtung weiterspielen. Die Quittung folgt auf dem Fuße. Erneut bricht Bastürk
255
frei in unserem Strafraum durch und wird von Krstajic gefoult. Marcelinho verwandelt souverän den Strafstoß gegen
unseren Elfer-Killer Rost.
Zur zweiten Halbzeit gibt es nicht viel zu sagen. Die Köpfe sind leer, die Beine schwer. Eine völlig demoralisierte
Schalker Mannschaft lässt sich vorführen, blamiert sich und
kassiert noch die Gegentore zum 3:1 (50., Rafel) und zum
4:1 Endstand (erneut Marcelinho, 58.). Und damit sind wir
noch gut bedient, denn Berlin spielt sich teilweise in einen
Rausch. Das einzig Positive daran ist, dass ich heute keine
siebenstündige Heimfahrt in der Schildkröte vor mir habe,
sondern mir einen kleinen Spaziergang an der frischen Luft
gönne und schleunigst nach Hause gehe. Der Riesenhaufen
Arbeit wartet auf mich.
Ach ja – und Stuttgart zeigt, parallel zu uns, ebenfalls wieder
Nerven und holt gegen Wolfsburg nur einen Punkt. Wir bleiben also, man mag es kaum glauben, immer noch auf Platz
zwei und halten die direkte CL-Quali immer noch in eigenen
Händen.
256
30.04.2005
Schalke 04 – Bayer 04 Leverkusen • 3:3
Es gibt Tage im Leben, an
denen man sich nicht entscheiden kann ob das Glas
eher halb voll, oder doch
eher halb leer ist. Einen solchen verflixten Tag hat mein
Schalker Herz heute mal
wieder erwischt.
Da ist doch unser „Arena-Angstgegner“ bei uns in der Donnerhalle zu Gast. Und das sicherlich in der schwierigsten
Phase unserer Saison. Trotz eines dominierenden tollen
Spiels unserer Königsblauen sitze ich schwer enttäuscht auf
meinem Platz, schaue zu, wie sich die Arena langsam leert
und weiß nicht, ob ich mich freuen oder ärgern soll. Zu tief
sitzt der Stachel der Enttäuschung.
Nach dem verlorenen Spiel bei der Tante Hertha beschloss
unser Coach in dieser Woche, ein ganz geheimes Geheimtrainingslager einzuberufen. In der Mannschaft knalle es an allen
Ecken und Kanten, so hört man. Und man müsse nun die
Reißleine ziehen, um nicht die ganze Saison an den letzten
Spieltagen in den Sack zu hauen. Ein fast perfekter Samstag
kündigt sich an. Fast.
Auf zur Donnerhalle. Heute mal wieder bei offenem Dach.
Gekonnt blocke ich jegliche Anfrage zu Endspielkarten in
Berlin ab und kämpfe mich somit tapfer, ohne auch nur die
leiseste Schwäche zu zeigen, bis zum Anpfiff zu meinem Platz
durch. Also, auf geht’s, Platz zwei sichern, die Pillendreher
aus der Arena schießen!
Tatsächlich entwickelt sich von der ersten Sekunde an ein
starkes Schalker Spiel. Große Einsatz- und Laufbereitschaft,
viel Herz, viel Ballbesitz – da scheint doch das Trainings257
lager tatsächlich etwas bewegt zu haben. Nichts da... Einen
Freistoß von Bernd Schneider darf Paul Freier in unserem
Sechzehner in aller Seelenruhe annehmen, sich dann auch
noch um seine eigene Achse drehen und dann, unter dem
staunenden Zuschauen unserer Abwehrrecken, den Ball unhaltbar für Heimeroth zum 0:1 (23.) ins Netz schießen.
Entsetzen auf den Rängen. Geht das denn schon wieder weiter? Ich weiß nicht, das wievielte Gegentor das jetzt schon
im Verlaufe der letzten fünf oder sechs Spiele war, aber da
kommt mittlerweile sicherlich einiges zusammen. Tore zu
kriegen ist jedoch nicht so schlimm, wenn man zumindest
selber mehr schießt als der Gegner. Und das nimmt sich unsere überragende Zaubermaus Lincoln ab sofort zu Herzen.
Es folgen seine großen zehn Minuten. Die Blauen lassen den
Kopf nach dem Rückstand nicht hängen und geben weiter
Gas. Ein Freistoß für uns kurz vor dem Strafraum der Leverkusener verwandelt Lincoln trocken ins rechte Eck. Jörg
Butt, der Bayer-Keeper, hatte wohl mit der anderen Ecke gerechnet. Das tut gut. Nur kurz nach der Bayer-Führung der
sofortige Ausgleich (30.).
Dies jedoch war nur der erste Streich und der zweite folgt
sogleich. Eine fast identische Situation nur acht Minuten später. Freistoß für uns. Allerdings diesmal doch knappe dreißig Meter vom Bayer-Gehäuse entfernt. Was kümmert das
einen Lincoln? Kurzer Anlauf, diesmal nach links gezirkelt.
Butt schaut nur verdutzt – Tor. 2:1 (38.). Wir sind wieder auf
Champions-League-Kurs!
Die Blauen setzten weiter nach. 40. Spielminute. Asa, der
heute mal wieder recht blass wirkt und meilenweit von seiner Superform der Hinrunde entfernt ist, ausnahmsweise
mal mit einer tollen Aktion. Klasse Hereingabe von ihm von
der rechten Seite, die in Ebbe ihren dankbaren Abnehmer
findet. Dieser braucht nur noch die Fußspitze hinzuhalten,
verändert somit die Flugrichtung des Balles und netzt zum
3:1 ein (41.). Freudestrahlend läuft der Mann mit der Maske
258
quer über den ganzen Platz. Grenzenloser Jubel in der Donnerhalle. „Der S04 ist wieder da“ erklingt es tausendfach aus
jauchzenden Schalker Kehlen. Dann Halbzeit.
Das Ding dürfte doch wohl hoffentlich gegessen sein, oder?
Alles in allem eine äußerst souveräne Schalker Mannschaft,
die stets den Ton angegeben hat.
Aber freiwillig gibt selbst ein Team wie Bayer 04, das immer
noch um den Einzug in die UEFA-Cup-Ränge kämpft, die
Punkte nicht verloren. Und so kündigt sich der zweite Leverkusener Streich an. Der Argentinier Placente flankt von
der Grundlinie auf Berbatov zurück. Wie bereits bei unserem
ersten Gegentor steht dieser, warum auch immer, alleine und
ungedeckt im Strafraum. Sein Schuss aus zehn Metern, von
Rodriguez noch leicht abgefälscht, senkt sich langsam, unhaltbar für Heimeroth, in die königsblauen Maschen. Nur
noch 3:2 und noch über eine halbe Stunde zu spielen. Das
kann ja heiter werden. Ganz und gar nicht verunsichert spielen die Blauen jedoch munter weiter. Einzig die Chancenauswertung ist zu beklagen. Lincoln trifft in der 58. Minute nur
den Pfosten. Kobi schießt – trotz völlig freier Schussbahn
– knapp neben das Gehäuse (59.). Die bittere Quittung folgt
prompt. Statt der frühzeitigen Vorentscheidung zu unseren
Gunsten, der Ausgleich für Bayer. Andrej Voronin steht nach
einem Doppelpass nur fünf Meter vor Heimeroth völlig ungedeckt und markiert den 3:3-Ausgleich (64.). Unsere Abwehr ist löchrig wie ein Schweizer Käse. Es ist wie verhext!
So trennt man sich nach 90 Minuten mit 3:3.
Der moralischer Sieger heißt heute sicherlich S04. Ein schönes Spiel und tapfer kämpfende Blaue gesehen, die verdiente
Ernte jedoch nicht rechtzeitig eingefahren. Enttäuschung pur.
Bis zum letzten Spieltag wird in diesem Jahr einmal mehr
mit Königsblau gezittert, soviel steht bereits jetzt fest. Glückwunsch an den FCB, ihr seid verdient Meister geworden. Wer
sich am Ende der Saison, so wie wir, den Schneid abkaufen
lässt, hat es schlicht und einfach auch nicht verdient.
259
07.05.2005
Arminia Bielefeld – Schalke 04 • 0:2
Mensch, bin ich müde! Noch
müder als unsere Kicker zur
Zeit. Vier sieglose Spiele hintereinander sprechen eine deutliche Sprache. Und nun stehe ich
hier. Neben mir die Minischildkröte und die dazugehörige Reifenpanne. Wir stehen irgendwo
auf einem Autobahnparkplatz zwischen Gelsenkirchen und
Bielefeld und ich darf mir das Gemaule meiner Mitreisenden
anhören.
Glücklicherweise holt uns die große Schildkröte ab und rettet uns vor dem einsamen Hunger- und Verdurstungstod in
der fremden Wildnis und bringt uns, natürlich hemmungslos überfüllt, bis nach Bielfeld. Wobei, eigentlich landen wir
prompt in der nächsten Wildnis. Der Busfahrer, der noch
nicht einmal weiß, dass wir zum Fußball wollen, findet Bielefeld erst gar nicht. Dann, als er Bielefeld zufälligerweise endlich gefunden hat, verfährt er sich auch noch. Und wir landen
statt in Bielfeld in einem Spargelfeld. Zumindest funkt mir
mein verwirrter Brummschädel gerade so etwas zu. Ich will
doch einfach nur schlafen! Nach fast viereinhalb Stunden
mysteriöser Fahrt, steigt unsere Crew entnervt aus der Kröte
aus. Es sind nur noch zehn Minuten bis zum Anpfiff und wir
befinden uns mitten in der Bielfelder Pampa – an der Uni.
Irgendwie schaffen wir es dann doch noch, pünktlich zum
Anpfiff in der Schüco-Arena auf der Bielefelder Alm zu sein.
Seltsam nur, wie viele Schalker vor dem Stadion noch ihre Tickets loswerden wollen, sogar bereit sind, diese zu verschenken. Aber keiner will sie haben. Und das, obwohl es doch
immerhin um den unglaublich wichtigen zweiten Platz geht.
Unfassbar! Was wäre hier wohl los gewesen, wenn wir immer
noch um den ersten Tabellenplatz mitgespielt hätten?
260
Müde schleppe ich mich auf meinen Sitzplatz. Kurz eine Cola
und eine Bratwurst als Erfrischung eingeworfen, nun bin ich
da und will die Blauen auch siegen sehen. Rost ist immer
noch verletzt und wird erneut durch Heimeroth ersetzt. Und
unser „Freibad-Toni“, wie er seit dem Spiel letzte Woche nur
noch genannt wird, weil er – anstatt sich hoch motiviert während des Spiels gegen Bayer warm zu laufen – an einer Werbetafel angelehnt sonnen ließ, sitzt wieder nur auf der Bank.
Das wird die kleine Fußballdiva nicht sonderlich freuen. Dies
ist jedoch eine Maßnahme Rangnicks, die sicherlich nicht
unbedingt gegen Toni selbst gerichtet ist, sondern die gewiss
auch der langen Saison Tribut zollt. Sprich, die taktischen
Zwängen erlegen ist. Das Spielen mit einer derart offensiven
Aufstellung, wie wir es dreiviertel dieser Saison getan haben,
erfordert schlicht und einfach mehr Kraft als andere Spielweisen. Und diese Kraft haben wir wohl nicht mehr.
Trotz der vielen Ticketverkäufer vor dem Stadion hat sich ein
beträchtlicher und beachtlicher Schalker Anhang im Stadion
zusammengefunden und gibt von der ersten Sekunde an den
Ton an. Und auch die Blauen scheinen sofort an ihre gute Offensivleistung vom letzten Spiel anknüpfen zu wollen, obwohl
wir nur mit der einen Sturmspitze – nämlich Ebbe - auflaufen. Bereits nach nur acht Minuten die beruhigende Führung
für unsere Blauen. Lincoln wird im Strafraum gelegt und den
fälligen Elfer verwandelt er selbst – und zwar souverän.
Danach geht es dem Spiel wie meiner körperlichen Verfassung. Viel Leerlauf, viel benötigter Schlaf, viele Ruhephasen,
kaum Torszenen.
Halbzeitwurst.
Trotz aller Müdigkeit bietet mir die zweite Spielhälfte keinerlei Möglichkeit mehr zum kurzen Schlummern. Es geht hin
und her, Großchancen hüben wie drüben. Heimeroth wird
zum gefeierten Helden auf Schalker Seite, da er mehrfach
glänzend reagiert und den einen oder anderen Unhaltbaren
261
hält. Ein Paradoxon an sich, oder? Unhaltbare halten. Er
schafft es trotzdem. Komischer Fußball-Fachjargon.
Ein tolles Fußballspiel für Außenstehende, nichts für schwache Nerven auf Schalker Seite. Es könnte mittlerweile schon
5:1, 4:4, aber auch locker 0:4 stehen. Irgendwie erschreckend
mit ansehen zu müssen, dass Mitte der zweiten Halbzeit die
Kräfte in unseren Reihen schwinden, dass Bielefeld immer
stärker wird. Ein Kraftproblem? Gerade Asamoah scheint
mir ein Totalausfall zu sein, schlechter könnte Ailton auch
nicht spielen. Und Rangnick macht nichts, wechselt nicht
aus. Sieht er das nicht oder denkt er sich was dabei?
Erst in der 81. Spielminute Rangnicks erster Wechsel. Sand
und Asa gehen, Hanke und Ailton kommen. Wohl der richtige
Schachzug. Er hätte aber auch sicherlich zwanzig Minuten
eher erfolgen können, vielleicht sogar müssen. Aber ich bin
ja nicht der Coach. Ich kann lediglich beobachten. Und was
ich jetzt sehe, gefällt mir außerordentlich gut. Toller Pass von
Kobi auf Ailton, der lässt dem Bielfelder Schlussmann Hain
aus zehn Metern keine Chance. Das erlösende 2:0 für uns
in der Schlussminute. Wir sind wieder voll auf ChampionsLeague-Kurs – und auch der Ailbrummer ist wieder da. Der
Schlusspfiff erlöst uns von den Qualen und dem Zittern dieses Nachmittages. Endlich wieder einmal ein Sieg. Kaum zu
glauben, dass der letzte schon über vier Wochen zurückliegt,
beim Heimspiel gegen Nürnberg. Heimeroth wird, berechtigterweise, von uns Fans als Held des Tages in der Kurve mit
einigen La-Ola-Wellen gefeiert. Und als die Endergebnisse
aus den anderen Stadien über die Leinwand flimmern, wird
klar, wie wichtig der heutige Sieg für das Erreichen der Königsklasse war. Denn auch Berlin und Stuttgart haben ihre
Spiele gewonnen. Jetzt erwarten wir nächsten Samstag die
Zecken in unserer Donnerhalle. Holla die Waldfee. Das wird
sicherlich ein ganz, ganz heißer Tanz.
262
14.05.2005
Schalke 04 – Borussia Dortmund • 1:2
Eigentlich ist es fast schon
ein Art Saisonfinale, wie es
der liebe Fußballgott dramatischer kaum hätte gestalten
können. Zwar ist der FC Bäh
mittlerweile schon lange
Meister und auch die Absteiger stehen seit Dekaden
fest, aber am vorletzten Spieltag gibt es, aus unserer Sicht,
noch einmal etwas ganz Besonderes: ein Heimspielhighlight
in unserer Arena. Wir können dabei mit einem Sieg aus eigener Kraft die Champions-League Qualifikation so gut wie
einsacken.Erst recht, wenn man im Hinterkopf hat, dass wir
am letzten Spieltag beim längst abgestiegenen Schlusslicht
aus Freiburg antreten müssen. Ein Matchball also.
Und wer kommt zu uns? Ausgerechnet der Vorortclub aus
der Nähe von Lüdenscheid! Es ist mal wieder Derbyzeit! Zum
125. Mal. Seit November 1998 haben die schwatz-gelben es
mittlerweile nicht mehr geschafft, gegen uns zu gewinnen.
Das bedeutet 14 Pflichtspiele hintereinander ohne Niederlage
für uns, ohne Blumentopfgewinn für das Böse. Warum sollte
sich das gerade heute ändern? Die Vorzeichen stehen gut: Mit
den zwei Spielen in Leverkusen und Bielfeld haben wir uns
scheinbar wieder ein wenig gefangen und da die Dortmunder
im absoluten Niemandsland umhergeistern, kann ihnen das
Spiel heute eigentlich auch egal sein. Einerseits. Andererseits könnten sie natürlich mit diesem einen Sieg bei uns eine
komplett vermurkste Saison retten. Abwarten!
Der Pott kocht also! Unsere Verantwortlichen jedoch, sicherlich auch zu Recht, spielen die Bedeutung der Partie heute ein
wenig herunter. Egal wer heute gegen uns auflaufen würde,
drei Punkte müssen her. Aus den Reihen der Zecken erreichen uns hingegen in den letzten Tagen ganz andere Töne.
263
Aber ich frage euch allen Ernstes: Wie soll ich denn jemanden ernst nehmen, der in einer anderen Liga spielt, sich auf
einem Level bewegt mit Clubs wie Wolfsburg, Leverkusen
oder Hannover? Wie soll ich für jemanden so etwas wie Hass
empfinden, für den ich eigentlich nur noch Mitleid habe? Ich
weiß es selbst nicht. Aber irgendwie geht es doch. Prima!
Der große Tag auf jeden Fall ist gekommen, und da Sportsfreund Markus extra zum Derby Besuch aus Schottland hat
einfliegen lassen, geht es heute auch frühzeitig los zum „Schalker“. Die Jungs zeigen sich beeindruckt von unserem Schalker Feld. Ein vereinseigenes Grundstück von ca. 1.000.000
Quadratmetern Grundfläche, mit eigener Geschäftsstelle und
Verwaltung, eigenem Jugendinternat, fünf Trainingsplätzen,
eigener Gastronomie, einem sich gerade im Bau befindlichen
Reha-Zentrum und Hotel und vielem mehr, das sucht sicherlich europaweit seinesgleichen. Schalke 04, der schlafende
Riese?
Die zwei Highlander äußern jedoch auch ihre Überraschung
über das geschäftige Treiben von zehntausenden von Fans
auf dem Areal. Und das zwei Stunden vor Anpfiff. Zum Glück
können wir ihnen den Anblick von schäbigen schwatz-gelben Fan-Devotionalien ersparen. Von denen traut sich keiner
hier hin. Relativ früh wird es heute schon leer an den umliegenden Bierbuden. Das Derbyfieber greift um sich. Und so
machen auch wir uns überpünktlich auf den Weg zu unseren
Plätzen. Knisternde Spannung liegt in der Luft. Die ersten
Fangesänge vor dem Anpfiff zeugen von gegenseitigen „Ehrerbietungen“.
Beim Einlaufen der Mannschaften gibt es seit langer Zeit mal
wieder eine richtig große Schalker Ganzkurvenchoreographie, durchgeführt und umgesetzt unter Federführung der
UGE. Titelthema diesmal: „14 Schlachten ungeschlagen - die
Feinde aus der Festung jagen!“. Absolut gelungen, dieses Gesamtkunstwerk! Sieht echt super aus und dürfte auch unsere
Schotten schwer beeindruckt haben. Da steckt nicht nur viel
264
Geld, sondern auch viel Fleiß, Schweiß und Herzensblut hinter. Da könnte sich Christo mal eine Scheibe von abschneiden. Das ist Kunst! Und da sage einer, der Begriff Fankultur
hätte seinen Namen nicht ausdrücklich verdient!
Das Spiel beginnt. Und es beginnt ganz nach unserem Geschmack. Wir müssen lediglich Rost und Krstajic durch Heimeroth und Waldoch ersetzen, aber die königsblaue Offensivabteilung, mit allem was sie zur Verfügung hat, bläst sofort
zur Attacke, um die Feinde aus der Donnerhalle zu jagen.
Roman Weidenfeller, Dortmunds Schlussmann, entschärft
einen Freistoß von Kobi (6.) und Ebbe verpasst, einschussbereit, in den fünf Folgeminuten nur zweimal knapp den Ball.
Die Blauen zündeln ein wahres Fußballfeuerwerk ab.
Die Führung in diesem Derby gelingt allerdings, den Spielverlauf auf den Kopf stellend, in der 17. Spielminute den Zecken. Kehl köpft einen Eckball von Rosicky mitten in unser
Herz. Ich möchte nicht von Entsetzen sprechen, aber ziemlich verdutzt schauen wir schon drein.
Fast im Gegenzug (19.) sofort wieder die Erlösung. Freistoß
auf halblinks für uns. Lincoln zirkelt das Leder in den Strafraum. Völlig frei kann unser Abwehrturm Waldoch wuchtig
aus acht Metern mit dem Kopf zum Ausgleich einnetzen. Großer Jubel überall, nur die etwa 4.000 mitgereisten Doofmunder Schlachtenbummler schauen jetzt etwas dumm drein.
Und die Schlacht geht weiter.
Angriffswelle auf Angriffswelle rollt in Richtung Doofmunder
Festung. Doch der Burgfried Weidenfeller hält alles, was ihm
vor sein Schlosstor kommt. Sand scheitert, Ailton scheitert,
Bordon scheitert. Zu diesem Zeitpunkt müsste es, gemessen
an den Chancen, mindestens schon 3:1 oder 4:1 für uns stehen. Stattdessen jedoch wieder das Böse. Ein hinterhältiger,
feiger, schneller Gegenstoß. Altintop kann den Kartoffelkäfer
Kringe zweimal nicht am Flanken hindern und dann ist es
265
auch schon passiert. Beim ersten Mal kann Heimeroth noch
glänzend klären, beim zweiten Mal steht Lars Ricken völlig
frei und braucht aus acht Metern nur noch ins leere Tor zu
schießen. 1:2 (42.). Das schafft selbst er.
So etwas Ungerechtes! Aber so ist halt Fußball. Die Zecken
kommen nur zweimal vor unser Tor und machen zwei Buden,
wir haben Chancen für drei Spiele (das kennen wir doch irgendwoher, oder?) und erzielen nur einen Treffer.
Nach der Pause das gleiche Bild.
Selten habe ich ein Revierderby miterleben dürfen, bei welchem wir so hochhaushoch überlegen sind. Die Zecken kommen gar nicht mehr aus ihrer eigenen Hälfte heraus. Einzig
ihr Burgfried, der wilde Roman, hindert uns daran, die gelbe
Pest für immer und ewig von dannen zu jagen. Kobi scheitert
(52.), Lincoln verpasst (70.), Hanke scheitert (71.), Lincoln
scheitert noch einmal (79.). Das schwatz-gelbe Gehäuse ist
eine Schießbude, einzig wir sind zu blöd, dies konsequent
auszunutzen. Die letzten zehn Minuten des Spiels sind angebrochen. Die Lüdenscheider Jecken krauchen mittlerweile
auf ihren Brustwarzen, wissen gar nicht mehr, wo vorne und
hinten ist, so schwindelig werden sie gespielt. Und was machen wir daraus? Vermant trifft nach einem Gewaltschuss
aus 16 Metern nur die Latte, Lincoln stürmt frei auf Weidenfeller zu (87.) und – anstatt einfach nur zu lupfen – schießt
er ihn an. Und auch die letzte Hundertprozentige der Blauen
vereitelt Weidenfeller, der ein Weltklassespiel für die KGaA
geliefert hat, in der Nachspielzeit. Erneut gegen den völlig
entnervten Lincoln.
Feierabend. Schluss. Aus. Abpfiff. Enttäuscht lassen Fans und
Spieler die Köpfe hängen. Und trotzdem wird die Mannschaft,
die prima gespielt und gut gefightet hat, mit stehenden Ovationen gefeiert. Die erste Niederlage gegen die Zecken seit
Jahren, und das nach so einem tollen Spiel. Unglaublich!
266
Die Kartoffelkäfer selbst können ihr Glück noch gar nicht
fassen und schauen lieber noch einmal verwundert auf das
eingeblendete Endergebnis auf dem Würfel.
Auf einmal ein Jubelsturm, der durch die Donnerhalle bricht.
Die Endergebnisse aus den anderen Stadien werden eingeblendet. Hertha spielt nur 0:0 in Gladbach und unser direkter Konkurrent um den Champions-League Platz, Stuttgart,
verliert sogar mit 2:0 beim VfL Bochum. Alles ist beim Alten
geblieben. Die Freude hält sich zwar in Grenzen, lindert jedoch die Schmerzen der Niederlage ungemein. Anders ausgedrückt: Der Sieg der Zecken gegen uns ist nichts wert, gar
nichts. Und das ärgert die Kartoffelkäferfans noch viel mehr,
als sie der Sieg freut.
So gesehen gönne ich ihnen den heutigen Triumph. Sie haben
ja sonst nichts zu lachen. Und ab dem nächsten Derby starten
wir halt wieder eine neue Serie.
267
21.05.2005
SC Freiburg – Schalke 04 • 2:3
Zum letzten Mal steigt
die „Straßenköter-GEStammbesatzung“ in
dieser Saison zu einem
Ligaspiel in die Schildkröte ein. Die Stimmung
ist, trotz des vermasselten Derbys, prächtig.
Zum zweiten Mal in der
Vereinsgeschichte, zum zweiten Mal nach dem dramatischen
Saisonfinish 2001, werden wir uns heute auf direktem Wege
für die Fleischtöpfe Europas qualifizieren. Von zig garantierten Millionen Euro Einnahmen träumen unsere Verantwortlichen, ich träume von künftigen, fernen Reisen mit S04 in
die Sonne, denke an zu nehmende Urlaubstage, rechne mit
vielen zu sparenden Taschengeldtalern.
Wie im Fluge vergeht unsere Hinfahrt, denn es gilt, eine ganze Saison zu reflektieren, noch einmal Revue passieren zu
lassen. Was war da nicht alles wieder los:
Der UI-Cup in der Sommerpause mit der erfolgreichen
UEFA-Cup-Qualifikation. Der total verunglückte Start in die
Liga mit dem sich anschließenden Rauswurf von Don Jupp.
Dann unser Eddy Hühnerfell als Interimscoach. Anschließend „Rolf“ Rangnick als Vater und Architekt des plötzlichen
Erfolges. Eine noch nie da gewesene Siegesserie peitschte
uns bis auf den ersten Tabellenplatz, Meisterschaftsträume
fingen an zu reifen. Zwischendurch unvergessliche Europapokalfahrten nach Lettland und Schottland, das erneute Erreichen des DFB-Pokalfinales in Berlin. Dann ging uns ein
wenig die Luft aus und die Bazen zeigten uns, was eine Harke
ist. Meisterschaft Ade, aber Platz zwei immer noch feste im
Visier. Eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Typisch Schalke.
Von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt war wieder
268
mal alles dabei. Aber letztlich gehört die Saison, egal wie man
es dreht und wendet, zweifelsohne mit zu den erfolgreichsten der Schalker Nachkriegsgeschichte (Meisterschaft 1958
- Vizemeister und Pokalsieger 1972/73 - Vizemeister 1976/77
- Vizemeister und Pokalsieger 2000/2001).
In Freiburg angekommen – die Sonne scheint hier, wie immer
- treffen wir bereits auf lauter arg angeschlagene Schalker.
Die Nacht muss wohl äußerst kurzweilig gewesen sein. Ich
husche schnell rüber zum Bosch-Bus, um Rudi zu gratulieren,
der unterhalb der Woche 40 Lenze (!!!) jung geworden ist.
Bleib wie Du bist, alter Hund! Wir stoßen mit einem kleinen
Erfrischungsgetränk auf dieses erfreuliche Ereignis an und
schon ist es Zeit, zum wahrscheinlich letzten Mal für lange,
lange Zeit, ins ehemalige Dreisam-Stadion – nun Badenova
Stadion – zu gehen. Zur Freude einiger mitgereister „Sups“
ist es mir völlig unmöglich, die übrig gebliebenen teuren Sitzplatztickets der spontan daheim gebliebenen Sportsfreunde
zu veräußern. Und so verschenke ich sie an unsere Jungs. So
sitzen wir schließlich mit wenigstens vierzig Leuten zusammen im Oberrang, machen tüchtig Stimmung und genießen
den wirklich wundervollen Blick auf den Schwarzwald. Ein
Blick, den ich aus keinem anderen Stadion der Welt kenne.
Ein wenig Melancholie überfällt mich hinterrücks. Ich fand
unsere Touren nach Freiburg, auch wenn es hier sportlich
nie so richtig lief, immer absolute Weltklasse. Für mich ist es
schlicht und einfach Deutschlands schönste Stadt. Vor allem,
wenn man es unter dem Aspekt „Lebensqualität“ betrachtet.
Steigt schnell wieder auf, ihr lieben kleinen Freiburger!
Nach dem traditionellen Badener Lied geht es los. Ich schätze mal, dass sich gut und gerne 10.000 Schalker im Stadion eingefunden haben, um unser Team auf dem Weg in die
Champions-League zu unterstützen. Eine friedliche Invasion,
wie sie das Badenerland seit dem Erbfolgekrieg anno 1744
– so die Badische Zeitung – nicht mehr erlebt hatte. Alles
fest in blau-weißer Hand. Alle Mann an Bord bei unserem
Team. Rost spielt, Krstajic spielt, selbst Ailton darf, trotz aller
269
Diskrepanzen, wieder von Anfang an spielen. Und die hemmungslose Offensivaufstellung unseres Trainers zeigt bereits
nach nur sechs Minuten Wirkung. Ein feiner Doppelpass zwischen Ailton und Ebbe versetzt Ebbe in eine gute Ausgangslage. Der haut aus 22 Metern einfach mal drauf und die Kugel
fliegt ins rechte untere Eck, zappelt Bruchteile von Sekunden
später im Freiburger Netz. 1:0 für Königsblau. Zasterliga, wir
kommen! Das halbe Stadion liegt sich jubelnd in den Armen.
Einen schöneren und beruhigerenden Spielstart hätten wir
uns gar nicht erträumen können. Jetzt sind die Freiburger,
eh schon lange abgestiegen, sicherlich völlig demoralisiert
und wir müssen nur noch das Spiel über die Runden bringen.
Pustekuchen.
Unsere Abwehr lässt nur fünf Minuten später in aller Seelenruhe einen Freiburger flanken. Irgendein winziger Schützling
Volker Finkes kommt per Kopfball an den Ball. Der springt
an den linken Torpfosten, den Abpraller schiebt Iashvilli zum
1:1-Ausgleich ins Tor (11.). Eine gute Visitenkarte, eine gar
Champions-League reife Leistung, gibt unsere Abwehr heute
weiß Gott nicht ab. Irgendwie ist dann auch schon Pause.
Auf geht es in die letzte Ligahalbzeit. Auf geht es in die letzten
45 Bundesligaminuten der Saison 2004/2005. In der 55.
Spielminute löst Papa Bordon endlich sein lang gegebenes
Versprechen ein – ein Pflichtspieltor für den S04! Ein Tor mit
Ankündigung, denn zu dem Zeitpunkt hält ihn bereits nichts
mehr hinten. 2:1 für uns (55.). Jetzt schaukelt die Kiste ruhig
nach Hause, Jungs und lasst Euch nicht verrückt machen!
Aber warum sollte es gerade am letzten Spieltag für uns anders laufen als sonst? Berg und Tal mit S04. Ausgerechnet
der gerade eingewechselte Zlatan Bajramovic, der ab dem
Abpfiff ja einer von uns ist, spielt in der 78. Minute einen
Zauberpass auf den Freiburger Roda (Kerkrade) Antar. Der
überwindet Rost von der Strafraumgrenze aus. Der erneute
Ausgleich. Es ist zum Verrücktwerden. Jetzt müssen wir doch
tatsächlich noch einmal zwölf Minuten zittern, zwölf Minuten
270
beten, dass wir kein weiteres Tor mehr kassieren. Zwölf Minuten hoffen und bangen, dass die Ergebnisse in Berlin und
Stuttgart so bestehen bleiben. Denkste.
Papa Bordon platzt nun endlich der Kragen. Er hat die
Schnauze scheinbar gestrichen voll. Ganz alleine bricht er,
mit Gottes Hilfe, die Freiburger Gegenwehr und bringt uns
nach Madrid, Mailand, Barcelona, London – zu den ganz
Großen halt.
Wir schreiben die letzte der insgesamt 3060 Spielminuten
lang währenden Saison. Eckball für Königsblau. Die Freiburger Abwehr wartet mit einem verunglückten Befreiungsschlag
auf, der direkt bei Kobi landet. Der flankt die Kirsche einfach
noch einmal in den Freiburger Strafraum, 87 Schalker verpassen, der Ball landet auf der anderen Seite bei Lincoln.
Der flankt auch noch einmal in den Sechzehner hinein und
diesmal steht er goldrichtig da. Papa Bordon, ab heute von
mir, als Ehrerbietung für eine überragende Saison, nur noch
„Flash Bordon“ genannt. Von seinem Scheitel aus senkt sich
der Ball aus sieben Metern langsam in die Freiburger Geldgrube. Toooooooooooooooor. 3:2 für uns. Jetzt gibt es auf
dem Rasen kein Halten mehr.
Unsere kleine spontane „Wir haben Platz zwei in der Meisterschaft erreicht“–Feier fällt auf jeden Fall um einiges größer
aus, als die offizielle Meisterfeier in München. Noch bis weit
nach Abpfiff wird die Mannschaft im Stadion gerockt und
anschließend, Dank einer Sitzblockade, an der Heimfahrt gehindert. Erst als auch die letzten Biervorräte sich dem Ende
entgegen neigen, wird das Team entlassen.
Ein letztes Mal drehe ich mich zu Tränen gerührt um und
winke zum Abschied unserer alten Schildkröte hinterher.
Treue Dienste hat sie uns in den letzten Jahren geleistet. Und
gerade eben erst hat mir Axel offenbart, dass sie kommendes
Wochenende zu unserer letzten Saisontour nicht mehr im
Einsatz sein wird. Er hat sie verkauft.
271
28.05.2005 DFB-Pokal (Finale):
FC Bayern – Schalke 04 • 2:1
Endlich ist es soweit:
Nach tausenden von
verbrachten Reisestunden und Reisekilometern in der Schildkröte
und anderen Fortbewegungsmitteln, nach
hunderten von Kurtis
verzehrten Tiefkühlfrikadellen, nach etlichen Büchsen Bier, Stangenweise Kippen
– egal ob passiv oder aktiv - nach vielen weiteren grauen Haaren, tausenden von Eurocent auf dem Konto weniger für Eintrittskarten, Reisekosten, Speis und Trank und vielem mehr,
steht sie vor unserer Haustür – die letzte Pflichtspielfahrt der
Saison 2004/2005.
Und was für eine Fahrt dies werden soll, die Fahrt zum Pokalendspiel in Berlin, gegen den frisch gebackenen Deutschen
Meister aus dem Freistaat Bayern: Der FC Bayern München
AG. Das Highlight zum Abschluss der Saison.
Mindestens 40.000 Blaue werden schätzungsweise am Samstag im Berliner Olympiastadion erwartet, mindestens ebenso
viele beim Würfelspiel in der Arena. Der Pott in Bewegung
– und das schon teilweise, aufgrund des verlängerten Wochenendes, seit Mittwoch.
Axels neustes Prunkstück hingegen – die neue Kröte - erfährt
erst am frühen Morgen des 27. Mai ihre Feuertaufe, ihre erste
richtige Bewährungsprüfung. Unterhalb der Woche hat er
tatsächlich seinen Worten Taten folgen lassen und die alte
Schildkröte nach Kirgisien (oder sonst wohin) verkauft und
dafür eine neue Kutsche erworben. Sogar eine mit Aschenbechern und funktionierender Toilettenspülung! Dementsprechend vorsichtig und respektvoll besteigen 50 Supporters
272
die nigelnagelneue saubere Kröte und machen sich auf den
Weg in Deutschlands politische Hauptstadt. Zufälligerweise
ist heute auch noch der heißeste Tag des Jahres, so dass wir
äußerst glücklich darüber sind, einen neuen vollklimatisierten Bus zur Verfügung zu haben. Da macht das Reisen doch
richtig Spaß!
Kurz vor Anpfiff gibt es eine prächtige Choreografie in unserer Kurve. Tausende von hoch gehaltenen Papptafeln ergeben
einen blau-weißen: „Sieg“-Schriftzug, das Ganze untermalt
von zehntausenden, vorab verteilten Schalke-Fähnchen und
zwei Riesentransparenten mit dem Schriftzug: „Zum fünften
Mal - heut ist die Nacht! Glaubt an euch, dann wird‘s vollbracht!“. Mögen diese Worte in Euren Beinen und Köpfen
Gehör finden, ihr Knappen!
In der Bayernkurve wird zeitgleich ein Gassenhauer von der
Spider Murphy Gang gespielt, um die Stimmung bei den
Sympathisanten zumindest ein wenig aufzuheizen. Sorry,
liebe Bazen und Spider-Fans, aber in Sachen Stimmung und
Fankultur seid ihr mit Eurem Chor - samt Kindertrompete
- eher Regionalliga als Ligaspitze! Wenn ich da nur an unsere
beiden letzten Pokalfinalauftritte in Berlin denke... Verglichen
damit reichen euch selbst die wenigen Bayer-Fans locker das
Wasser. Union Berlin dagegen war sogar Weltklasse.
Soll aber nicht unser Problem sein. Alles ist also gerichtet.
Die Nationalhymne ist auch noch rasch gesungen, möge das
Spiel beginnen. Beide Teams treten, wie es sich für ein solches Finale gehört, in Bestbesetzung auf. Das heißt für uns:
Rost, Kobiashvili – Bordon – Krstajic – Kamphuis, Vermant
– Lincoln – Poulsen, Asamoah - Sand – Ailton. Was soll da
noch schief gehen?
Nun ja, wenn wir ehrlich sind, haben wir von der ersten Sekunde des Anpfiffs an keine Chance, das Spiel zu gewinnen.
Zu gut, zu übermächtig sind die Bazen und schon nach vier
Minuten könnte es gut und gerne 2:0 stehen.
273
Von unserem Support träumen die Bazen allerdings heute
noch in ihren kühnsten Albträumen. Da können sie Weltpokalsieger und alles andere werden und gleichzeitig noch
ein Stadion eröffnen, diese Gänsehautatmosphäre wird auch
dem letzten, harten Bazen die Tränen der Rührung aus dem
Gesicht kullern lassen mit dem Wunsch, doch nur einmal
im Leben, für nur einen klitzekleinen kurzen Tag Fan des
geilsten Clubs der Welt sein zu dürfen.
Ganz klar überlegen wird den Bazen, durch zwei fehlerhafte
Schiedsrichterentscheidungen der absolut miserabel pfeifenden Pfeife Florian Meyer (habe ich doch schon nach dem
Hertha-S04-Spiel gesagt, dass der nichts kann) die Führung
verbaut. Die Karten für die Rudelbildung bei den sich anschließenden Protesten und die für zwei rotwürdige Fouls der
Bazen bleiben allerdings ebenfalls aus. Unsere Jungs rennen
derweil ein wenig hilflos und desorientiert über den frisch
verlegten Berliner Rollrasen. Da nützt es auch nichts, dass
mitten während des Spiels die Rasensprenganlage angeht.
Ein Schieber hat sich wohl verhakt. „Schieber, Schieber“ hallt
es von den Tribünen.
Pannen über Pannen im gesamten Stadion- und Stadionumfeld, dazu ein desolat schlechter, skandalöser, haarsträubender, katastrophaler Schiedsrichter, alles andere als endspielreif, was sich da heute vor unseren Augen abspielt.
Die Führung der Bayern in der 40. Spielminute durch Makaay ist absolut verdient und folgerichtig. Allerdings keimt
nur drei Minuten später bei uns noch einmal Hoffnung auf.
Ailton, von dem bis dahin noch nichts zu sehen war, wird
im Strafraum gelegt. Der Schiedsrichter zeigt sofort auf den
Elfmeterpunkt, wahrscheinlich zurecht. Lincoln verwandelt
unter dem Jubel der 40.000 Schalker souverän zum 1:1 Halbzeitstand. Würstchen-Ulli flippt in der Halbzeitpause mal
wieder aus. Wie ein wildes Rumpelstilzchen umherhüpfend,
beschimpft er einmal mehr die halbe Welt, will Hinz und
Kunz verklagen. Übt man so etwa Druck beim DFB oder bei
274
den Schiedsrichtern aus? Kann da der Unparteiische wirklich
unparteiisch bleiben?
Die Halbzeit wird in der Schalker Kurve durchgesungen und
durchgefeiert, zu trinken gibt es ja eh nichts. Immer wieder
schauen die Bazen-Fans ängstlich zu uns hinüber, als wollten
sie sagen. „Die stehen ja tatsächlich alle auf ihren Sitzplätzen. Darf man so etwas überhaupt? Was haben die nur vor?“.
Ich höre die FCB-Kids bis hierhin ihren Papa fragen: „Papa,
darf ich später, wenn ich groß bin, auch lieber Schalker werden?“
Die zweite Halbzeit beginnt leider genauso, wie die erste begonnen hat. Die Legionäre aus Stoibers Freistaat wirken wesentlich frischer, entschlossener und dynamischer. Zumindest kommt es mir so vor. Unsere Jungs wirken hingegen wie
gelähmt. Jungs, wenn man den Pott holen will, muss man
anders auftreten!
Dann der Führungstreffer für die Bazen. Damit ist jedem im
Stadion klar, dass der Drops gelutscht ist. Hasan Salihamidzic
(76.) hat aus einer Abseitsposition heraus getroffen. Und was
für einer. Zusammen mit Makaay stand er mindestens zwei
Meter im Abseits. Eine Konzessionsentscheidung?
Die Schalker Fankurve tobt und kocht daraufhin, schäumt
vor Wut. „Fußballmafia DFB“ und „Vorfelder raus!“ wird immer wieder skandiert. Dem folgt noch, aus 40.000 Kehlen,
das seit 2001 Kult gewordene: „Schiebt den Bayern die Schale
in den Arsch!“
Selbst während der Siegerehrung nur feiernde Schalker im
weiten Rund. Mensch, müssen die Bayern sich bescheuert
vorgekommen sein. Man muss sich das einmal vorstellen:
Die Pokalübergabe an den Mannschaftskapitän des FC Bäh
findet unter dem lauthalsen, frenetischen Gesang der S04Fans statt. Keinen interessiert die Pokalübergabe so wirklich,
es gilt die Medaillenübergabe an unser Team zu feiern. Die
275
Bazen haben den gekünstelten Konfetti-Regen, wir haben
eine fette S04-Party. Der emotionale Sieger heute heißt ganz
eindeutig: FC Schalke 04. Voller Inbrunst und Leidenschaft
stimmen 40.000 Blaue das Vereinslied an, singen sich den
Frust und den Schmerz von der Seele. Eine fantechnische
Demütigung für den diesjährigen Gewinner des Doubles.
Als wir zwei Stunden nach Abpfiff den Busparkplatz Richtung Heimat verlassen, stehen noch etliche Schalker auf dem
Parkplatz, reißt der Strom von aus dem Stadion kommenden
S04-Trikots immer noch nicht ab. Wir halten noch einmal
kurz vor der Stadtgrenze, damit Markus, unter großen Applaus, sein 10-Kilogramm-Feuerwerksset abfackeln kann.
Ein gebührender Abschiedsgruß an und aus Berlin.
Natürlich hätte ich, hätten wir alle, heute den Cup gerne mit
nach Hause genommen. Ich hätte mir, ehrlich gesagt, nichts
Schöneres vorstellen können. Es wäre der krönende, der perfekte Abschluss einer ziemlich genialen Saison geworden.
Aber andererseits trage ich wieder etwas in meinem Herzen,
habe ich Bilder in meinem Kopf, die ich mit heimnehmen
werde - von denen ein Baze niemals auch nur die geringste
Ahnung haben wird.
Ich bin solz darauf, mal wieder ein Stück Tradition, Mythos,
Vereinsgeschichte miterlebt haben zu können. „Datt erzähl
ich meine Enkels!“
Wir haben verloren, na und? Glückwunsch zu eurem Erfolg.
Den Pokal habt Ihr uns genommen, unseren Stolz erreicht
Ihr jedoch nie!
Danke, für diese geile Saison mit Schalke, Danke, für diese
geile Saison mit euch. Das heute war unser klitzekleines Dankeschön an euch. „Blau und Weiß ein Leben lang.... „
276
Nachspielzeit
Eine Stunde nach Abfahrt in Berlin, wird es im Bus langsam ruhiger. Natürlich wird noch ein wenig
geplaudert, gesungen und gelacht,
aber bei den Meisten kommt nun
doch die sengende Hitze des Tages
und die Müdigkeit durch. Ein kleines Nickerchen ist angesagt. Ich
schaue derweilen aus dem Fenster der Schildkröte, blicke auf die
schier nicht enden wollende Blechlawine aus an uns vorbeiziehenden Autos hinunter, die allesamt mit Schalker Schals oder kleinen Fähnchen geschmückt
sind und versinke in Gedanken.
Die Saison ist aus und vorbei, nur noch Geschichte. Mit dem
letzten Abpfiff gehört ein weiteres Schalker Jahr, das 101., ab
sofort nur noch der Vergangenheit an.
Wie auch in all den Jahren zuvor, war dieses Jahr in unserem
Schalker Fandasein geprägt durch Freud und Leid. Es war
ein Jahr, welches mich noch näher an den S04 gebunden hat,
meine Beziehung zu ihm noch weiter gefestigt hat, auch wenn
diese „Beziehung“ lediglich auf Einseitigkeit beruht.
Die Erlebnisse und Ereignisse der vergangenen Monate spuken noch wirr und ungeordnet in meinem Kopf umher. Habe
ich zuviel Sonne getankt?
Jetzt, wo wir nicht nur den temporären – sondern auch den
geographischen Abstand zum finalen Abpfiff vergrößern - blicke ich einmal mehr auf ein sehr schönes, bewegtes, bewegendes, aber auch äußerst erfolgreiches Schalker Jahr zurück.
Auch wenn es zum Schluss nicht ganz gereicht hat und die
Enttäuschung über den gerade verpassten Pokalcoup noch
277
nicht vollständig verflogen ist, so muss man es doch positiv
sehen: 16 andere Bundesligaclubs hätten gerne hier und heute mit uns getauscht! Und wenn ich alle Spiele vor meinem
geistigen Auge noch einmal im Schnelldurchgang ablaufen
lasse, dann war auch das eine oder andere Kännchen Glück
in diesem Jahr dabei.
Mit einem Breitmaulfroschgrinsen im Gesicht, versinke auch
ich langsam in meinen wohlverdienten Schildkrötenschlaf
und träume von fernen Landen, hart erkämpften Siegen,
wunderschönen Traumtoren und unvergesslichen KultTouren. Und bereits jetzt vom Ende der gerade begonnenen
schalkelosen Zeit, der Sommerpause.
278
Abpfiff
Neues Spiel, neues Glück wird
es ab Anfang August wieder heißen, wenn erneut ein Schalker
Fußballjahr angepfiffen wird. Es
wird wohl, kurz vor der Weltmeisterschaft im eigenen Lande, die
„Boom-Saison“ schlechthin werden. Zuschauerrekorde werden
purzeln, seit Jahren bestehende
Serien und Bestmarken werden brechen. Und wir, der FC
Schalke 04, werden in genau diesem Jahr erneut im Konzert
der ganz Großen mitmischen.
Allerdings werden wir uns nach dieser Saison, wird die
Mannschaft sich an neuen Zielen messen lassen müssen.
Das erneute Erreichen eines Champions-League-Platzes wird
Pflicht sein, die heimliche Erwartungshaltung von uns Fans
wahrscheinlich dies sogar noch übertreffen, die Reise muss
endlich mal nach oben gehen. Nach ganz oben!
Mit den Neuverpflichtungen von Fabian Ernst, Zlatan Bajramovic und Kevin Kuranyi sind die ersten Weichen für eine
noch goldigere Zukunft gestellt worden, einer Zukunft, in der
man hoffentlich - nicht ohnmächtig und tatenlos wie in diesem Jahr - der scheinbaren Übermacht aus dem Süden der
Republik entgegenwirken, den Abstand verringern kann.
Eines jedenfalls steht bereits heute fest: Wir werden wieder
da sein. Bei jedem Spiel. Egal wann, egal wie, egal wo. Wir
werden uns des blau-weißen Virus nicht entledigen können,
wollen, wir sind davon befallen bis ans Ende unserer Tage.
So war es schon immer – und so wird es immer sein. Blau
und weiß ein Leben lang!
279
Über den Autor
Olivier, alias Oli4, Kruschinski ist seit Jahr und Tag mit dem
blau-weißen Virus infiziert. Der 30-jährige begleitet als Vorstand des FC Schalke 04 Supporters Club e.V. seit Jahren mit
Leib und Seele seinen Verein zu sämtlichen Pflichtspielen; in
guten, wie in schlechten Tagen.
Neben anderen Tätigkeiten arbeitet Olivier Kruschinski federführend als Redakteur des offiziellen Fanmagazins des
Schalker Fanclub Verbandes „Sprachrohr“. Seit Baubeginn
der Arena AufSchalke führt er Besuchergruppen durch den
königsblauen Fußballtempel.
Danksagung des Autors
Bedanken möchte ich mich vor allem bei Fienchen, für ihre
schier unendliche Geduld und Leidens- bzw. Strapazierfähigkeit. Bei Hartmut für die tatkräftige Unterstützung und die
vielen hilfreichen Tipps, allen Mitgliedern des Supporters
Clubs e.V. - aber natürlich auch allen anderen Schalke-Fans,
mit denen ich dieses Jahr unterwegs war und viel Spass und
Freude haben durfte. Und natürlich allen Menschen in meinem Umfeld, die ich sehr lieb habe, die aber unter meiner
Leidenschaft für den Fußball, für Schalke 04, so unendlich
viel leiden müssen.
Ach ja, das Buch widme ich natürlich dem S04.
*Für Schalke*
280
Bundesliga Saison 2004/2005
Abschlusstabelle
1. FC Bayern München
34
24
5
5 75:33 77
2. FC Schalke 04
34
20
3
11 56:46 63
3. SV Werder Bremen
34
18
5
11 68:37 59
4. Hertha BSC Berlin
34
15
13
6 59:31 58
5. VfB Stuttgart
34
17
7
10 54:40 58
6. Bayer 04 Leverkusen 34
16
9
9 65:44 57
7. Borussia Dortmund
34
15
10
9 47:44 55
8. Hamburger SV
34
16
3
15 55:50 51
9. VfL Wolfsburg
34
15
3
16 49:51 48
10. Hannover 96
34
13
6
15 34:36 45
11. FSV Mainz 05
34
12
7
15 50:55 43
12. 1. FC Kaiserslautern
34
12
6
16 43:52 42
13. Arminia Bielefeld
34
11
7
16 37:49 40
14. 1. FC Nürnberg
34
10
8
16 55:63 38
15. Borussia M’gladbach
34
8
12
14 35:51 36
16. VfL Bochum
34
9
8
17 47:68 35
17. FC Hansa Rostock
34
7
9
18 31:65 30
18. SC Freiburg
34
3
9
22 30:75 18
281
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