DOLLY ESS DEI SUPP INNENTEIL

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DOLLY ESS DEI SUPP INNENTEIL
Dolly Hüther
Dolly
ess dei Supp
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ISBN: 3-936950-00-8
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Druck und Bindung
Illustration Titel
Lektorat
Layout und Satz
: PRISMA Verlagsdruckerei, Saarbrücken
: Gerd Strössner
: Gisela Jürgens, Frankfurt am Main
: Susanne Annen, Armin Körner
gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Ich möchte den Personen
danken, die mich während der
Entstehung dieses Buches
unterstützt haben. Es waren
viele, alle Namen zu nennen
würde den Rahmen sprengen.
Inhalt
Inhalt
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Vorwort
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Vorgeschichte zu diesem Buch
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Über Attitüden, Adjektive und Attribute
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Du bist...! Ich bin...? Sie ist. Alltagsgeschichten
Verrückt
Normal
Ordinär
Sensibel
Sprachkritik (Gedicht)
Hilfsbereit
Hysterisch
Verändern Frauen die Welt? (Gedicht)
Lieben Frauen das Leben? (Gedicht)
Hinterlassen Frauen Spuren? (Gedicht)
Spontan, schnell, flexibel, unüberlegt!
Mutig
Pfiffig
Glücklich
Mandala malen (Gedicht)
Zärtlich
Zärtlich 1999
Eitel, gefallsüchtig und geltungsbedürftig?
Oder lustig, offen und ehrlich?
Eigenschaftensalat (Gedicht)
Emotional. Agressiv. Einfach stark.
Feministisch. Politisch. Kritisch.
Listig, spitzfindig bis stur.
Nachlässig, faul und auch noch hartnäckig
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Provokatorisch. Provokant. Provozierend.
Nein! Respektlos. Spöttisch. Übermütig.
Ruhig. Hellhörig. Genervt. Ungehalten. Wütend.
Selbstbewußt. Energisch. Emanzipiert.
Verletzt. Traurig. Entsetzt. Froh. Heiter. Lustig.
Spaßig. Freundlich. Konsequent und spannend.
Freundlich bis spöttisch. Wütend bis ruhig.
Undiplomatisch. Bösartig. Rigoros?
Meine Bäume im Wind (Gedicht)
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Glossen
Der Computer!
Das Hemd
Die Mütze
Die Penispuppe
Girls only
Das Radio
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Gesprächs-Zyklus
Das Kreuz
Der Kopf
Der Körper
Die Hand
Die Füße
Das Herz
Das Blut
Der Bauch
Die Haut
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Sinngebung
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Die Autorin
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Veröffentlichungen
200
Presse
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Vorwort
Vorwort
Dolly Hüther ist zu beneiden. Wo andere mühsam recherchieren, reagiert sie aus der Situation heraus,
spricht an, was ihr nicht passt und erhält manches Mal
überraschende Antworten, die sie an uns weiterreicht.
Ganz sicher hat diese unbekümmerte, frische Art, in
der sie auch schreibt, damit zu tun, dass sie aus einer
langen Lebenserfahrung heraus schreibt und dass sie
ihre unverwechselbare Sicht auf das Leben hat.
Der Urgrund, auf dem sie steht, ist ein Feminismus, der
sich aus dem Protest gegen Ungerechtigkeiten speist
und fernab aller modischen Attitüden nach dem fragt,
was wichtig ist für ein menschliches Leben.
Sie braucht keine ausgeklügelte Gesprächstechnik um
ihr jeweiliges Gegenüber dahin zu bringen die eigene
ehrliche Meinung zu offenbaren, denn sie provoziert
den Widerspruch.
Xanthippe wäre vielleicht zufriedener mit ihr als
Sokrates, denn das Fragen schließt bei ihr das Handeln,
das Stellung nehmen und auch das Schimpfen, wo es
am Platze ist, gleich mit ein.
Sie darf für sich beanspruchen, es mit Xanthippe in punkto Streitbarkeit und mit Sokrates in punkto Offenheit
aufzunehmen.
Ich habe Dolly Hüther bei einer Autorinnentagung des
Jahres 1998 im idyllischen Rheinsberg kennen gelernt.
Es war nicht möglich sie zu übersehen geschweige denn
zu überhören.
Ihre fröhlich unbekümmerte und sehr direkte Art, die
Dinge beim Namen zu nennen, fiel auch in einer Runde
von schreibenden Frauen auf, die es gewohnt sind aus6
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zuleuchten, was hinter dem Offensichtlichen hervorscheint.
Eine Männerfeindin ist Dolly Hüther nicht, dazu liebt
sie Mann und Söhne viel zu sehr und dazu ist sie auch
viel zu begierig geistige Anregungen zu erhalten. Sie
schließt keine mögliche Quelle aus. Sie hat – offiziell
schon im Rentenalter – ein Soziologiestudium aufgenommen, gehört zum Urgestein Saarbrückener politischen Lebens und strahlt durchaus auch auf das Leben
der französischen Nachbarinnen und Nachbarn aus,
wie ihren Geschichten zu entnehmen ist.
Ihre Geschichten bieten Spaß und die Anregung, selbst
ein bisschen mutiger zu sein. Vielleicht braucht es
weniger Medizin, wenn wir es schaffen, uns mehr mit
uns auseinander zu setzen.
Übrigens – das sei hier noch angemerkt – ich verehre
die Xanthippe, ist sie doch das Urbild einer Frau, die
sich nicht bescheiden wollte, die nicht den Kopf senkte, wo es zu reden galt, die sich mit den praktischen
Fragen des Lebens auseinander zu setzen wusste.
Die Möglichkeit auf philosophischem, politischem oder
literarischem Gebiet zu agieren wie ihr Ehegespons
hatte die Xanthippe nicht.
Dolly Hüther hat sich den Zugang zur Welt des Wissens
und der Poesie erschlossen und nutzt dies für ihr
Reden und Schreiben. Begleiten wir sie auf ihrem Weg
und schärfen dabei den eigenen Blick in Zustimmung
und Widerspruch. Es lohnt sich.
Dr. Dorle Gelbhaar
Berlin
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Vorgeschichte zu
zu diesem
diesem Buch
Buch
Vorgeschichte
Warum habe ich das alles aufgeschrieben?
Zuerst wollte ich an das Buch Wenn politische Frauen
kuren anschließen. Das neue sollte den Titel erhalten
Wenn politische Frauen reisen...
Bei der Stoffsammlung und der Durchsicht meines
Zettelkastens fand ich zum Thema bereits viel Geschriebenes vor. Alte Texte, Autobiographisches, Fiktives,
Erlebtes - das meiste zusammenhanglos nebeneinander.
Und doch vieles, was mich betroffen gemacht hatte.
Dennoch fehlte der rote Faden eines Zusammenhangs,
um diese Aufzeichnungen veröffentlichen zu können.
Eine reine Autobiographie wollte ich auch nicht schreiben.
• Ich dachte immer, wer interessiert sich schon für
mein Leben?
Außerdem störte mich so ein Satz wie
Das war mein Leben.
Denn
1. denke ich, mein Leben geht ja hoffentlich noch
lange weiter.
2. Will ich auch weiterhin schreiben.
3. Habe ich noch viele Geschichten parat, die lesenswert sind. Sie gehen mir nicht aus.
Der alte saarländische Poet und Dichter, Hans Bernhard
Schiff, sagte mir einmal:
„Ich schreibe Geschichten auf, um sie vor dem Vergessen zu bewahren. Tun Sie
das auch, bei Ihrem interessanten Leben.“
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Umberto Eco behauptet einfach:
„Das menschliche Gehirn ist konzipiert, Geschichten aufzunehmen und sie
wieder herzugeben.“
Germaine de Staël (1766-1817) schrieb:
„Gedanken in Umlauf zu bringen, ist von allen Tätigkeiten diejenige, die am
sichersten von Nutzen ist“ (zitiert nach Herold 1960, S.467).
Eine schreibende Zeitgenossin Emily Dickinsons zitiert
diese:
„Ich bin die Schöpferin meines eigenen Diskurses“.
Diese Aussagen treffen den Kern meines Schreibens. Es
kam die Phase, in der ich offen von dem Buch sprach,
welches ich schreiben wollte. Mein erstes Buch, das ich
ohne andere AutorInnen verfassen werde.
Birgit Amrath, Gleichstellungsbeauftragte des Stadtverbandes in Saarbrücken, fragte mich bei einem Besuch in
ihrem Büro:
• „Und? Was sind das für Geschichten, über die du da
berichten willst?“
„Einige kennst du. Eine davon habe ich erst vor ganz kurzer Zeit erlebt.“
Ich schilderte folgendes:
Anfang 1991 haben wir vom Unterbezirk der SPD Saarbrücken Stadt in Luxemburg eine Delegiertenkonferenz
abgehalten. In der Mittagspause sitze ich am Tisch und
habe gerade meine Suppe serviert bekommen. Meine
Laune ist nicht besonders gut, da uns Frauen am Vormittag ein Antrag abgelehnt wurde.
Der damalige Bildungsminister, Prof. Dr. Diether Breitenbach, kommt mit einem zweiten Herrn, den ich nicht
kenne, an meinen freien Tisch mit den Worten:
„Ich setze mich an den Tisch der Emanzipation. Denn da,
wo die Dolly sitzt, ist Emanzipation.“
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Meine Entgegnung: „Eigentlich will ich hier am Tisch
beim Essen dieses Thema auf gar keinen Fall diskutieren.
Aber bitte sehr, du hast den ersten Satz gesagt.
• Ich weiß übrigens gar nicht, wie du Emanzipation definierst?“
„Du bist für mich emanzipiert.“
Der zweite Herr wirft jetzt ein:
„Vielleicht eine Emanze!“
Verständlicherweise frage ich nach:
• „Was verstehen Sie unter einer Emanze?“
Er überlegt so vor sich hin: „Das ist ein Schimpfwort.“
• „Und? Wieso beschimpfen Sie mich? Sie kennen mich
gar nicht.
• Wer sind Sie?“
Er: „Tue ich das?“
Ich erkläre, zu Diether gewandt, der die Beschimpfung
bestreitet, wie ich das sehe:
„Emanze ist laut Duden ein Schimpfwort. Noch!“
Danach erläutere ich, wie ich das mit der Emanzipation
halte: „Du weißt doch, die Partei hat zu diesem Thema
viele Beschlüsse verabschiedet. Ein wichtiger darunter
betrifft die Erwerbstätigkeit von Frauen. Damit ist die
wirtschaftliche Unabhängigkeit von einem Mann
(Ehemann) gegeben.“
Er: „Ach ja, richtig.“
Ich folgere weiter: „Da ich seit 1955 verheiratet bin und
vorhabe, dies auch zu bleiben, also Nur-Hausfrau bin,
werde ich nie eine emanzipierte Frau darstellen. Da ich
von meinem Mann wirtschaftlich abhängig bin. Demnach kann ich schon gar keine Emanze sein, aber auch
keine werden.“
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Diether Breitenbach sagt sehr liebevoll:
„Aber wo du bist, ist immer etwas los.“
Ich antworte lachend: „Oh ja, ich bin eine Power-Frau,
und Power ist nicht an Alter gebunden.“
Er bejaht und sieht sich an seine 91-jährige Mutter
erinnert.
Der andere Herr aber meint:
„Essen Sie Ihre Suppe, sonst wird sie noch kalt.“
Über so viel Unverschämtheit kann ich zu diesem
Zeitpunkt nur schweigen. Auch Diether Breitenbach zuliebe. –
Birgit Amrath hatte interessiert zugehört. Ihr Gesicht veränderte sich während des Erzählens. Am Ende lachte sie.
Sie lachte, lachte, lachte.
• „Hast du schon einen Titel für dein neues Buch?“
„Nein, nur den von den politischen Frauen, die reisen.“
„Der ist schlecht. Nenn‘ es doch einfach:
<Dolly ess dei Supp>.
Daraufhin mußte ich mitlachen. Entgegnete aber: „Das
ist ein guter Titel für das Saarland. Da werden auch die
Personen die Botschaft verstehen, von denen viele
Geschichten handeln.
• Aber andere auch?“
Birgit Amrath hatte sofort eine Idee parat:
„Weißt du, gute Bücher haben einen Untertitel. Nimm
einfach dafür das Hochdeutsche. Du schreibst in Klammern ‚Essen Sie bitte Ihre Suppe‘, wie der Luxemburger
Herr gesagt hat.“
Meine plausible Reaktion:
„Dann kann ich gleich noch einen zweiten Untertitel
schreiben:
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<Halt endlich deine Klappe>.
Nun, Birgit, dir ist klar, daß ich sie nie und nimmer halten
werde.“
„Hoffentlich!“
Aber dann ging das mit dem Frotzeln erst richtig los.
Birgit erwähnte ihre letzte öffentliche Veranstaltung.
„Wo du hinkommst, ist es wirklich nie langweilig. Ich war
dir so dankbar, als du der Inderin widersprochen hast. Die
von dem wunderbaren Leben in ihrem Elternhaus berichtete. Sie entstammte einer hohen Kaste. Deren Ritus
zufolge habe die Mutter nicht gegessen, wenn der HERR
und Vater des Hauses nicht anwesend war. Ich erinnere
mich noch genau, wie du herausgeplatzt bist:
‚Ein Glück, daß wir hier in unserer Kultur leben. Denn ich
würde weder warten noch hungern.‘ “
„Ja, selbstverständlich weiß ich das noch. Jene Inderin
wollte uns Europäerinnen raten, in bezug auf unsere
Ehen wieder bescheidener zu werden und die Mädchen
zu mehr Demut zu erziehen.“
„Ja, jetzt ist mir klar“, schloß Birgit, „das wird dann ein
lustiges, engagiertes und informatives Buch.”
„Los, dann schreib’!“
Eines Nachts werde ich wach. Ich hatte geträumt. Alle
meine Geschichten waren plötzlich geordnet. Ihre
Ordnung ergab einen Sinn. Sie waren zugeordnet oder
besser untergeordnet.
• Subsumiert?
• Worunter?
Da ging die große Fragerei los.
• Waren es meine Attitüden, die die Geschichten vereinten?
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Klang doch gut. Meine inneren Einstellungen wirkten so,
daß ich verrückt, sensibel, pfiffig oder listig erscheine.
Aber dann wären es ja Adjektive oder Attribute. An der
Universität korrigierte meine Dozentin:
„Das sind nicht nur Attitüden, die du da beschreibst.
Überdenke das Ganze noch einmal. Überlege, was besser
paßt.“
Inzwischen bin ich überzeugt, daß alle drei A’ s in meinen
Geschichten eine wesentliche Rolle spielten und spielen.
Ich bin selbst gespannt, was schlußendlich als Titel
erscheint.
Meine Dozentin legte mir ein Buch ans Herz, welches ich
auf alle Fälle noch lesen solle. Und zwar Robert Musils
Mann ohne Eigenschaften.
Sie fände es witzig, vielleicht in Anlehnung daran zu
titeln:
Die Frau mit den vielen Eigenschaften.
Nein, ich werde Musils Buch erst lesen, wenn meine
Aufzeichnungen abgeschlossen sind. Es soll auf gar keinen Fall der Verdacht aufkommen, kopiert oder abgeschrieben zu haben.
Meine Rückgewinnung bestimmter Eigenschaften können LeserInnen anregen, die Geschichten aus ihrer Sicht
zu deuten oder zu definieren. Das ist ihrer Phantasie
überlassen.
Und dabei wünsche ich viel Vergnügen.
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Über
Attitüden, Adjektive
Adjektive und
Attribute
Über Attitüden,
und Attribute
Die drei A‘s
Warum ist es für sie so interessant, Geschichten, die sie
erlebt, auf die Einstellung der Beteiligten hin zu befragen, ihr Verhalten zu charakterisieren und ihnen
bestimmte Eigenschaften zuzuordnen?
So kommt sie dazu, über Attitüden, Adjektive und
Attribute zu schreiben.
Was ist überhaupt eine Attitüde? Da hilft der
Fremdwörterduden weiter:
Unter Attitüde steht:
1. Einstellung, (innere) Haltung, Pose
2. durch Erfahrung erworbene dauernde Bereitschaft,
sich in bestimmten Situationen in spezifischer Weise
zu verhalten.
• Und was sind Attribute, Adjektive?
Ein Adjektiv kennt jede Person unter der Bezeichnung
Eigenschaftswort. Beispiel: Sie ist eine kluge Frau. Zu
einer näheren Bestimmung dienen auch Attribute.
Also:
Sie ist bekannt als kluge Frau.
• Die große Frage lautet jetzt für sie: Welche Worte
verwendet sie, um das zu charakterisieren, was vor
ihren Augen passiert?
• Hoppla -, wird sie denn nicht selbst tagtäglich von
ihren Mitmenschen charakterisiert?
Ja, sogar definiert. Festgelegt.
Das war ihr schon aufgefallen. Wenn sie ein bestimmtes
Verhalten an den Tag legte, wurde sie von gewissen
Personen als verrückt bezeichnet. Das passierte an man15
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