DOLLY ESS DEI SUPP INNENTEIL
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DOLLY ESS DEI SUPP INNENTEIL
Dolly Hüther Dolly ess dei Supp Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN: 3-936950-00-8 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 2003 bei Verlag und Autor CONTE Verlag Am Ludwigsberg 80 - 84 66113 Saarbrücken Tel: 0681 / 416 24 28 Fax: 0681 / 416 24 44 E-mail: [email protected] www.conte-verlag.de Druck und Bindung Illustration Titel Lektorat Layout und Satz : PRISMA Verlagsdruckerei, Saarbrücken : Gerd Strössner : Gisela Jürgens, Frankfurt am Main : Susanne Annen, Armin Körner gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Ich möchte den Personen danken, die mich während der Entstehung dieses Buches unterstützt haben. Es waren viele, alle Namen zu nennen würde den Rahmen sprengen. Inhalt Inhalt 6 Vorwort 9 Vorgeschichte zu diesem Buch 15 Über Attitüden, Adjektive und Attribute 19 21 25 29 33 39 40 45 50 51 52 53 58 61 65 68 69 75 80 Du bist...! Ich bin...? Sie ist. Alltagsgeschichten Verrückt Normal Ordinär Sensibel Sprachkritik (Gedicht) Hilfsbereit Hysterisch Verändern Frauen die Welt? (Gedicht) Lieben Frauen das Leben? (Gedicht) Hinterlassen Frauen Spuren? (Gedicht) Spontan, schnell, flexibel, unüberlegt! Mutig Pfiffig Glücklich Mandala malen (Gedicht) Zärtlich Zärtlich 1999 Eitel, gefallsüchtig und geltungsbedürftig? Oder lustig, offen und ehrlich? Eigenschaftensalat (Gedicht) Emotional. Agressiv. Einfach stark. Feministisch. Politisch. Kritisch. Listig, spitzfindig bis stur. Nachlässig, faul und auch noch hartnäckig 84 85 88 91 93 4 4 99 108 117 126 138 141 148 153 Provokatorisch. Provokant. Provozierend. Nein! Respektlos. Spöttisch. Übermütig. Ruhig. Hellhörig. Genervt. Ungehalten. Wütend. Selbstbewußt. Energisch. Emanzipiert. Verletzt. Traurig. Entsetzt. Froh. Heiter. Lustig. Spaßig. Freundlich. Konsequent und spannend. Freundlich bis spöttisch. Wütend bis ruhig. Undiplomatisch. Bösartig. Rigoros? Meine Bäume im Wind (Gedicht) 155 157 160 164 168 173 176 Glossen Der Computer! Das Hemd Die Mütze Die Penispuppe Girls only Das Radio 177 178 180 182 184 186 188 190 192 194 Gesprächs-Zyklus Das Kreuz Der Kopf Der Körper Die Hand Die Füße Das Herz Das Blut Der Bauch Die Haut 197 Sinngebung 198 Die Autorin 199 Veröffentlichungen 200 Presse 55 Vorwort Vorwort Dolly Hüther ist zu beneiden. Wo andere mühsam recherchieren, reagiert sie aus der Situation heraus, spricht an, was ihr nicht passt und erhält manches Mal überraschende Antworten, die sie an uns weiterreicht. Ganz sicher hat diese unbekümmerte, frische Art, in der sie auch schreibt, damit zu tun, dass sie aus einer langen Lebenserfahrung heraus schreibt und dass sie ihre unverwechselbare Sicht auf das Leben hat. Der Urgrund, auf dem sie steht, ist ein Feminismus, der sich aus dem Protest gegen Ungerechtigkeiten speist und fernab aller modischen Attitüden nach dem fragt, was wichtig ist für ein menschliches Leben. Sie braucht keine ausgeklügelte Gesprächstechnik um ihr jeweiliges Gegenüber dahin zu bringen die eigene ehrliche Meinung zu offenbaren, denn sie provoziert den Widerspruch. Xanthippe wäre vielleicht zufriedener mit ihr als Sokrates, denn das Fragen schließt bei ihr das Handeln, das Stellung nehmen und auch das Schimpfen, wo es am Platze ist, gleich mit ein. Sie darf für sich beanspruchen, es mit Xanthippe in punkto Streitbarkeit und mit Sokrates in punkto Offenheit aufzunehmen. Ich habe Dolly Hüther bei einer Autorinnentagung des Jahres 1998 im idyllischen Rheinsberg kennen gelernt. Es war nicht möglich sie zu übersehen geschweige denn zu überhören. Ihre fröhlich unbekümmerte und sehr direkte Art, die Dinge beim Namen zu nennen, fiel auch in einer Runde von schreibenden Frauen auf, die es gewohnt sind aus6 6 zuleuchten, was hinter dem Offensichtlichen hervorscheint. Eine Männerfeindin ist Dolly Hüther nicht, dazu liebt sie Mann und Söhne viel zu sehr und dazu ist sie auch viel zu begierig geistige Anregungen zu erhalten. Sie schließt keine mögliche Quelle aus. Sie hat – offiziell schon im Rentenalter – ein Soziologiestudium aufgenommen, gehört zum Urgestein Saarbrückener politischen Lebens und strahlt durchaus auch auf das Leben der französischen Nachbarinnen und Nachbarn aus, wie ihren Geschichten zu entnehmen ist. Ihre Geschichten bieten Spaß und die Anregung, selbst ein bisschen mutiger zu sein. Vielleicht braucht es weniger Medizin, wenn wir es schaffen, uns mehr mit uns auseinander zu setzen. Übrigens – das sei hier noch angemerkt – ich verehre die Xanthippe, ist sie doch das Urbild einer Frau, die sich nicht bescheiden wollte, die nicht den Kopf senkte, wo es zu reden galt, die sich mit den praktischen Fragen des Lebens auseinander zu setzen wusste. Die Möglichkeit auf philosophischem, politischem oder literarischem Gebiet zu agieren wie ihr Ehegespons hatte die Xanthippe nicht. Dolly Hüther hat sich den Zugang zur Welt des Wissens und der Poesie erschlossen und nutzt dies für ihr Reden und Schreiben. Begleiten wir sie auf ihrem Weg und schärfen dabei den eigenen Blick in Zustimmung und Widerspruch. Es lohnt sich. Dr. Dorle Gelbhaar Berlin 77 Vorgeschichte zu zu diesem diesem Buch Buch Vorgeschichte Warum habe ich das alles aufgeschrieben? Zuerst wollte ich an das Buch Wenn politische Frauen kuren anschließen. Das neue sollte den Titel erhalten Wenn politische Frauen reisen... Bei der Stoffsammlung und der Durchsicht meines Zettelkastens fand ich zum Thema bereits viel Geschriebenes vor. Alte Texte, Autobiographisches, Fiktives, Erlebtes - das meiste zusammenhanglos nebeneinander. Und doch vieles, was mich betroffen gemacht hatte. Dennoch fehlte der rote Faden eines Zusammenhangs, um diese Aufzeichnungen veröffentlichen zu können. Eine reine Autobiographie wollte ich auch nicht schreiben. • Ich dachte immer, wer interessiert sich schon für mein Leben? Außerdem störte mich so ein Satz wie Das war mein Leben. Denn 1. denke ich, mein Leben geht ja hoffentlich noch lange weiter. 2. Will ich auch weiterhin schreiben. 3. Habe ich noch viele Geschichten parat, die lesenswert sind. Sie gehen mir nicht aus. Der alte saarländische Poet und Dichter, Hans Bernhard Schiff, sagte mir einmal: „Ich schreibe Geschichten auf, um sie vor dem Vergessen zu bewahren. Tun Sie das auch, bei Ihrem interessanten Leben.“ 99 Umberto Eco behauptet einfach: „Das menschliche Gehirn ist konzipiert, Geschichten aufzunehmen und sie wieder herzugeben.“ Germaine de Staël (1766-1817) schrieb: „Gedanken in Umlauf zu bringen, ist von allen Tätigkeiten diejenige, die am sichersten von Nutzen ist“ (zitiert nach Herold 1960, S.467). Eine schreibende Zeitgenossin Emily Dickinsons zitiert diese: „Ich bin die Schöpferin meines eigenen Diskurses“. Diese Aussagen treffen den Kern meines Schreibens. Es kam die Phase, in der ich offen von dem Buch sprach, welches ich schreiben wollte. Mein erstes Buch, das ich ohne andere AutorInnen verfassen werde. Birgit Amrath, Gleichstellungsbeauftragte des Stadtverbandes in Saarbrücken, fragte mich bei einem Besuch in ihrem Büro: • „Und? Was sind das für Geschichten, über die du da berichten willst?“ „Einige kennst du. Eine davon habe ich erst vor ganz kurzer Zeit erlebt.“ Ich schilderte folgendes: Anfang 1991 haben wir vom Unterbezirk der SPD Saarbrücken Stadt in Luxemburg eine Delegiertenkonferenz abgehalten. In der Mittagspause sitze ich am Tisch und habe gerade meine Suppe serviert bekommen. Meine Laune ist nicht besonders gut, da uns Frauen am Vormittag ein Antrag abgelehnt wurde. Der damalige Bildungsminister, Prof. Dr. Diether Breitenbach, kommt mit einem zweiten Herrn, den ich nicht kenne, an meinen freien Tisch mit den Worten: „Ich setze mich an den Tisch der Emanzipation. Denn da, wo die Dolly sitzt, ist Emanzipation.“ 10 10 Meine Entgegnung: „Eigentlich will ich hier am Tisch beim Essen dieses Thema auf gar keinen Fall diskutieren. Aber bitte sehr, du hast den ersten Satz gesagt. • Ich weiß übrigens gar nicht, wie du Emanzipation definierst?“ „Du bist für mich emanzipiert.“ Der zweite Herr wirft jetzt ein: „Vielleicht eine Emanze!“ Verständlicherweise frage ich nach: • „Was verstehen Sie unter einer Emanze?“ Er überlegt so vor sich hin: „Das ist ein Schimpfwort.“ • „Und? Wieso beschimpfen Sie mich? Sie kennen mich gar nicht. • Wer sind Sie?“ Er: „Tue ich das?“ Ich erkläre, zu Diether gewandt, der die Beschimpfung bestreitet, wie ich das sehe: „Emanze ist laut Duden ein Schimpfwort. Noch!“ Danach erläutere ich, wie ich das mit der Emanzipation halte: „Du weißt doch, die Partei hat zu diesem Thema viele Beschlüsse verabschiedet. Ein wichtiger darunter betrifft die Erwerbstätigkeit von Frauen. Damit ist die wirtschaftliche Unabhängigkeit von einem Mann (Ehemann) gegeben.“ Er: „Ach ja, richtig.“ Ich folgere weiter: „Da ich seit 1955 verheiratet bin und vorhabe, dies auch zu bleiben, also Nur-Hausfrau bin, werde ich nie eine emanzipierte Frau darstellen. Da ich von meinem Mann wirtschaftlich abhängig bin. Demnach kann ich schon gar keine Emanze sein, aber auch keine werden.“ 11 11 Diether Breitenbach sagt sehr liebevoll: „Aber wo du bist, ist immer etwas los.“ Ich antworte lachend: „Oh ja, ich bin eine Power-Frau, und Power ist nicht an Alter gebunden.“ Er bejaht und sieht sich an seine 91-jährige Mutter erinnert. Der andere Herr aber meint: „Essen Sie Ihre Suppe, sonst wird sie noch kalt.“ Über so viel Unverschämtheit kann ich zu diesem Zeitpunkt nur schweigen. Auch Diether Breitenbach zuliebe. – Birgit Amrath hatte interessiert zugehört. Ihr Gesicht veränderte sich während des Erzählens. Am Ende lachte sie. Sie lachte, lachte, lachte. • „Hast du schon einen Titel für dein neues Buch?“ „Nein, nur den von den politischen Frauen, die reisen.“ „Der ist schlecht. Nenn‘ es doch einfach: <Dolly ess dei Supp>. Daraufhin mußte ich mitlachen. Entgegnete aber: „Das ist ein guter Titel für das Saarland. Da werden auch die Personen die Botschaft verstehen, von denen viele Geschichten handeln. • Aber andere auch?“ Birgit Amrath hatte sofort eine Idee parat: „Weißt du, gute Bücher haben einen Untertitel. Nimm einfach dafür das Hochdeutsche. Du schreibst in Klammern ‚Essen Sie bitte Ihre Suppe‘, wie der Luxemburger Herr gesagt hat.“ Meine plausible Reaktion: „Dann kann ich gleich noch einen zweiten Untertitel schreiben: 12 12 <Halt endlich deine Klappe>. Nun, Birgit, dir ist klar, daß ich sie nie und nimmer halten werde.“ „Hoffentlich!“ Aber dann ging das mit dem Frotzeln erst richtig los. Birgit erwähnte ihre letzte öffentliche Veranstaltung. „Wo du hinkommst, ist es wirklich nie langweilig. Ich war dir so dankbar, als du der Inderin widersprochen hast. Die von dem wunderbaren Leben in ihrem Elternhaus berichtete. Sie entstammte einer hohen Kaste. Deren Ritus zufolge habe die Mutter nicht gegessen, wenn der HERR und Vater des Hauses nicht anwesend war. Ich erinnere mich noch genau, wie du herausgeplatzt bist: ‚Ein Glück, daß wir hier in unserer Kultur leben. Denn ich würde weder warten noch hungern.‘ “ „Ja, selbstverständlich weiß ich das noch. Jene Inderin wollte uns Europäerinnen raten, in bezug auf unsere Ehen wieder bescheidener zu werden und die Mädchen zu mehr Demut zu erziehen.“ „Ja, jetzt ist mir klar“, schloß Birgit, „das wird dann ein lustiges, engagiertes und informatives Buch.” „Los, dann schreib’!“ Eines Nachts werde ich wach. Ich hatte geträumt. Alle meine Geschichten waren plötzlich geordnet. Ihre Ordnung ergab einen Sinn. Sie waren zugeordnet oder besser untergeordnet. • Subsumiert? • Worunter? Da ging die große Fragerei los. • Waren es meine Attitüden, die die Geschichten vereinten? 13 13 Klang doch gut. Meine inneren Einstellungen wirkten so, daß ich verrückt, sensibel, pfiffig oder listig erscheine. Aber dann wären es ja Adjektive oder Attribute. An der Universität korrigierte meine Dozentin: „Das sind nicht nur Attitüden, die du da beschreibst. Überdenke das Ganze noch einmal. Überlege, was besser paßt.“ Inzwischen bin ich überzeugt, daß alle drei A’ s in meinen Geschichten eine wesentliche Rolle spielten und spielen. Ich bin selbst gespannt, was schlußendlich als Titel erscheint. Meine Dozentin legte mir ein Buch ans Herz, welches ich auf alle Fälle noch lesen solle. Und zwar Robert Musils Mann ohne Eigenschaften. Sie fände es witzig, vielleicht in Anlehnung daran zu titeln: Die Frau mit den vielen Eigenschaften. Nein, ich werde Musils Buch erst lesen, wenn meine Aufzeichnungen abgeschlossen sind. Es soll auf gar keinen Fall der Verdacht aufkommen, kopiert oder abgeschrieben zu haben. Meine Rückgewinnung bestimmter Eigenschaften können LeserInnen anregen, die Geschichten aus ihrer Sicht zu deuten oder zu definieren. Das ist ihrer Phantasie überlassen. Und dabei wünsche ich viel Vergnügen. 1996 14 14 Über Attitüden, Adjektive Adjektive und Attribute Über Attitüden, und Attribute Die drei A‘s Warum ist es für sie so interessant, Geschichten, die sie erlebt, auf die Einstellung der Beteiligten hin zu befragen, ihr Verhalten zu charakterisieren und ihnen bestimmte Eigenschaften zuzuordnen? So kommt sie dazu, über Attitüden, Adjektive und Attribute zu schreiben. Was ist überhaupt eine Attitüde? Da hilft der Fremdwörterduden weiter: Unter Attitüde steht: 1. Einstellung, (innere) Haltung, Pose 2. durch Erfahrung erworbene dauernde Bereitschaft, sich in bestimmten Situationen in spezifischer Weise zu verhalten. • Und was sind Attribute, Adjektive? Ein Adjektiv kennt jede Person unter der Bezeichnung Eigenschaftswort. Beispiel: Sie ist eine kluge Frau. Zu einer näheren Bestimmung dienen auch Attribute. Also: Sie ist bekannt als kluge Frau. • Die große Frage lautet jetzt für sie: Welche Worte verwendet sie, um das zu charakterisieren, was vor ihren Augen passiert? • Hoppla -, wird sie denn nicht selbst tagtäglich von ihren Mitmenschen charakterisiert? Ja, sogar definiert. Festgelegt. Das war ihr schon aufgefallen. Wenn sie ein bestimmtes Verhalten an den Tag legte, wurde sie von gewissen Personen als verrückt bezeichnet. Das passierte an man15 15