GM Dali Layout Only-Picture 22 June 04.qxd
Transcrição
GM Dali Layout Only-Picture 22 June 04.qxd
Salvador DALÍ V I C T O R I A C H A R L E S Salvador Dalí 1904-1989 Text: Victoria Charles © Confidential Concepts, worldwide, USA © Sirrocco, London © ARS, New York/ VEGAP, Madrid © Kingdom of Spain, Gala-Salvador Dalí Foundation/ ARS, New York ISBN 978-1-78042-272-5 Weltweit alle Rechte vorbehalten Soweit nicht anders vermerkt, gehört das Copyright der Arbeiten den jeweiligen Fotografen. Trotz intensiver Nachforschungen war es aber nicht in jedem Fall möglich, die Eigentumsrechte festzustellen. Gegebenenfalls bitten wir um Benachrichtigung. Inhalt Die öffentlichen Geheimnisse des Salvador Dalí 7 Die Jahre des Königs 9 Kindheit und Jugend in Figueras und Cadaqués Vom Außenseiter zum Dandy 39 Studienjahre in Madrid Eine Freundschaft in Versen und Stillleben 53 Dalí und García Lorca Das zerschnittene Auge 69 Dalí und Buñuel Gala oder die Heilung 87 Die surrealistischen Jahre in Paris Die Bilder hinter den Bildern 109 Paranoia als Methode Zwischen den Welten 121 Erste Erfolge in Amerika Aufbruch in die Tradition 141 Die Renaissance des Universalgenies als Marketingexperte Wandlung zum Göttlichen 149 Zeit der Ehrungen und des Reichtums Lebenslauf Notes Index 158 158 159 1. Bildnis Lucias, 1918 Öl auf Leinwand. 43, 5 x 33 cm Sondersammlung 6 Kapitel 1 Die öffentlichen Geheimnisse des Salvador Dalí Im Alter von 37 Jahren schrieb Salvador Dalí seine Autobiographie. Unter dem Titel The Secret Life of Salvador Dalí – „Das geheime Leben des Salvador Dalí“ schildert der spanische Maler seine Kindheit, die Studienzeit in Madrid, die frühen Jahre des Ruhms in Paris bis zu seiner Ausreise in die USA 1940. Die Richtigkeit der Ausführungen Dalís ist an mehr als einer Stelle zweifelhaft. Zeitangaben stimmen sehr häufig nicht, und so manches Kindheitserlebnis begründet zu perfekt den Lebenslauf. Dalí hat die Werke Sigmund Freuds und Otto Ranks aufmerksam gelesen – seine Autobiographie ist, wie seine Malerei, angewandte Psychoanalyse, für die der Autor sehr bewusst Erinnerungen, Anekdoten und Träume ausgewählt hat. Das Bild, das Dalí 1942 von sich entwarf und in den Jahren bis zu seinem Tod 1989 weiter ausmalte, zeigt einen exzentrischen Menschen, der sich in Posen gefällt. Dabei gibt er vor, schonungslos aufrichtig zu sein, wenn er vor laufenden Kameras intime Details aus seinem Leben enthüllt. Diese Selbstschau, erklärt Dalí in seiner Autobiographie, sei eine Art von Vivisektion, eine Öffnung des lebendigen Leibes, die er aus reinem Narzissmus vornehme: „Ich vollführe sie mit Geschmack – meinem eigenen – und auf jesuitische Art. Außerdem gilt: Eine totale Sektion ist erotisch nicht interessant; sie lässt alles genauso unerforschlich und frisiert wie es das vor der Entfernung der Haut und des Fleisches war. Gleiches gilt für das bloße Skelett. Meine Methode ist es, zu verbergen und zu enthüllen, die Möglichkeit gewisser innerer Verletzungen behutsam anzudeuten, während ich zugleich andernorts an völlig freiliegenden Stellen die nackten Sehnen der menschlichen Gitarre zupfe und dabei nie vergesse, dass es wünschenswerter ist, die physiologische Resonanz des Präludiums erklingen zu lassen als den melancholischen Schluss der vollendeten Tatsache.“1 Je mehr Dalí sich der Öffentlichkeit präsentierte, desto mehr verhüllte er sich. Seine Masken wurden größer und großartiger: Er nannte sich „Genie“ und „Göttlicher“. Wer dahinter steckte, der Mensch Dalí, ist ein Geheimnis geblieben. „Ich weiß nie, wann ich anfange zu simulieren, oder wann ich die Wahrheit sage“, erklärte er in einem Interview mit Alain Bosquet 1966. „Jedenfalls darf das Publikum nicht wissen, ob ich spaße oder ernst bin; und ich selbst darf es auch nicht wissen.“2 7 2. Holländisches Interieur (Kopie nach Manuel Benedito), 1914 Öl auf Leinwand. 16 x 20 cm Sammlung Joaquin Vila moner, Figueras 8 Kapitel Die Jahre des Königs 2 Kindheit und Jugend in Figueras und Cadaqués Dalís Erinnerungen beginnen bereits zwei Monate vor seiner Geburt am 11. Mai 1904. In seiner Autobiographie beschreibt er das „intrauterine Paradies“ in den „Farben der Hölle, das heißt Rot, Orange, Gelb und Bläulich, die Farbe von Flammen, von Feuer; vor allem war es warm, unbeweglich, weich, symmetrisch, doppelt und klebrig.“3 Das auffälligste Erinnerungsbild, das er von der Geburt, der Vertreibung aus dem Paradies, in die helle, kalte Welt hinüberrettete, besteht aus zwei frei schwebenden Spiegeleiern, deren Weiß phosphoresziert: „Diese Feuereier vermischten sich schließlich mit einer sehr weichen, amorphen weißen Paste; sie schien in alle Richtungen gezogen zu werden, ihre extreme Dehnbarkeit, die sich allen Formen anpasste, schien mit meiner wachsenden Begierde zu wachsen, sie zermahlen, gefaltet, zusammengelegt, zusammengerollt und in die unterschiedlichsten Richtungen gedrückt zu sehen. Dies kam mir als der Gipfel des Entzückens vor, und ich hätte gerne alles immer so gehabt! Technische Gegenstände sollten später für mich die größten Feinde werden, und was Uhren angeht, so mussten sie weich sein oder gar nicht sein.“4 Dalís Leben ist überschattet vom Tod seines Bruders. Am 1. August 1903 war der Erstgeborene der Familie im Alter von knapp zwei Jahren an einem Magen-Darm-Katarrh gestorben. Dalí selbst behauptete, sein Bruder sei bereits sieben Jahre alt gewesen und an einer Hirnhautentzündung erkrankt. Ian Gibson hat für eine Ausstellung über die frühen Jahre Dalís 1994 in London die Geburts- und Sterbeurkunden des toten Bruders geprüft und dabei festgestellt, dass die Angaben des Malers falsch sind. Gibson weist auch darauf hin, dass Dalís Vorwurf, seine Eltern hätten ihm den Namen des toten Bruders gegeben, nur bedingt zutrifft. Beide erhielten als ersten Vornamen den ihres Vaters, zusätzlich aber noch zwei Beinamen: Der Erstgeborene wurde „Salvador Galo Anselmo“ getauft, der zweite Sohn „Salvador Felipe Jacinto“.5 Gleichviel, das Kind Salvador fühlt, dass es nur ein Ersatz für den toten Bruder ist: „Ich habe meine ganze Kindheit und meine ganze Jugend mit der Vorstellung gelebt, dass ich ein Teil von meinem toten Bruder wäre. Das heißt, ich trug in meinem Körper und in meiner Seele den festgekrallten Kadaver dieses toten Bruders, weil meine Eltern ständig von dem anderen Salvador sprachen.“6 Aus Angst, der Zweitgeborene könne ebenfalls erkranken und sterben, wurde Salvador besonders umsorgt und verwöhnt. Ihn umgab ein Kokon weiblicher Zuwendung, gesponnen nicht nur von seiner Mutter Felipa Domènech Ferrés, sondern später auch von seiner Großmutter Maria Ana Ferrés und seiner Tante Catalina, die 1910 in Dalís Elternhaus zogen. 9 3. Selbstbildnis im Atelier, um 1919 Öl auf Leinwand. 27 x 21 cm Salvador Dalí-Museum, Sankt Petersburg (Florida) 4. Bildnis des Cellisten Ricardo Pichot, 1920 Öl auf Leinwand. 61,5 x 49 cm Sondersammlung, Cadaqués 10 11 Dalí berichtet, dass seine Mutter ihn stets ermahnte, einen Schal umzubinden, wenn er nach draußen ging. Wenn er dennoch erkrankte, genoss er es, im Bett bleiben zu dürfen: „Wie ich es liebte, Angina zu haben! Ich erwartete ungeduldig den Rückfall – was für Paradiese diese Rekonvaleszenzen waren! Llucia, mein altes Kindermädchen, kam und leistete mir jeden Nachmittag Gesellschaft, und meine Großmutter kam und ließ sich zum Stricken in der Nähe des Zimmerfensters nieder.“7 Dalís vier Jahre jüngere Schwester Ana Maria schreibt in ihrem Buch Salvador Dalí visto por su hermana – „Salvador Dalí, mit den Augen seiner Schwester gesehen“, dass ihre Mutter den Bruder nur selten aus den Augen ließ und häufig nachts an seinem Bett wachte, da er, wenn er aus dem Schlaf hochschreckte und sich allein fand, ein schreckliches Gezeter veranstaltete.8 Salvador genießt die Gesellschaft der Frauen, insbesondere der beiden ältesten, der Großmutter und Llucias. Mit Kindern seines Alters hat er dagegen nur wenig Kontakt. Oft spielt er allein. Er verkleidet sich als König und betrachtet sich im Spiegel: „mit meiner Krone, das Cape über die Schultern gelegt, und sonst völlig nackt. Dann drückte ich meine Geschlechtsteile zwischen meinen Schenkeln zurück, um so sehr wie möglich wie ein Mädchen auszusehen. Schon damals verehrte ich dreierlei: Schwäche, Alter und Luxus.“9 Zu seinem Vater hatte Dalí ein anderes Verhältnis als zu seiner Mutter, die ihn uneingeschränkt liebte und vergötterte. Salvador Dalí y Cusi war Notar in der katalanischen Marktstadt Figueras, nahe der spanisch-französischen Grenze. Seine Vorfahren waren Bauern, die Mitte des 16. Jahrhunderts in der Gegend von Figueras ansässig wurden. Dalí selbst behauptete, seine Urahnen seien zum Christentum konvertierte Moslems gewesen. Der in Spanien unübliche Familienname leite sich aus dem katalanischen Wort „adalil“ ab, das wiederum aus dem Arabischen stamme und soviel wie „Führer“ bedeute.10 Dalís Großvater Galo Dalí Viñas beging im Alter von sechsunddreißig Jahren Selbstmord, nachdem er sein Geld bei Spekulationen an der Börse verloren hatte. Dalís Vater wuchs im Haushalt seiner Schwester und ihres Mannes auf, eines überzeugten Katalanen und Atheisten. Sein Einfluss auf den jungen Schwager war groß: Dalís Vater trat beruflich in dessen Fußstapfen, indem er Jura studierte, und er entwickelte sich zu einem antikatholischen Freigeist. So schickte er seinen Sohn Salvador nicht, wie es seinem Stand entsprochen hätte, auf eine kirchliche Schule, sondern in eine staatliche. Erst als Salvador nach dem ersten Jahr das Klassenziel dort nicht erreicht hatte, ließ der Vater ihn auf die katholische Privatschule des französischen „La Salle“-Ordens wechseln. Dort lernte der Achtjährige unter anderem Französisch, das später seine zweite Muttersprache wurde, und er erhielt den ersten Mal- und Zeichenunterricht. Bei den Ordensbrüdern, schrieb Dalí 1927 in der Zeitschrift L’Amic de les Arts, habe er eines der wichtigsten Gesetze der Malerei gelernt: „Wir aquarellierten einige einfache geometrische Formen, die vorher mit schwarzen Ecklinien aufgezeichnet worden waren. Dabei sagte uns der Lehrer, dass die gute Maltechnik für diesen Fall und, ganz allgemein, das gute Malen überhaupt, darin bestünden, nicht über die Linie hinauszugehen. Dieser Zeichenlehrer [...] wusste nichts von Ästhetik. Aber der gesunde Menschenverstand eines einfachen Lehrers kann nützlicher sein für einen eifrigen Schüler als der göttliche Spürsinn eines Leonardo.“11 12 5. Das kranke Kind (Selbstbildnis in Cadaqués), um 1923 Öl und Gouache auf Karton. 57 x 51 cm Salvador Dalí-Museum, Sankt Petersburg (Florida) 13 6. Bildnis Hortensias, Bäuerin aus Cadaqués, 1920 Öl auf Leinwand. 35 x 26 cm Sondersammlung 7. Selbstbildnis mit Raffaels Hals, 1920-1921 Öl auf Leinwand. 41,5 x 53 cm Gala-Salvador Dalí-Stiftung, Figueras 15 16