Online-Plattformen

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Online-Plattformen
Mobil - Elektronik
15.12.11 / Nr. 293 / Seite 58 / Teil 01
! NZZ AG
Gamer, Hacker und Spione
Online-Distribution von Computerspielen – Das Netzwerk ist die Game-Konsole
Die Game-Industrie verlagert
ihre Inhalte auf Online-Plattformen. Um die Piraterie zurückzudrängen, nimmt sie Datenschutzverletzungen in Kauf.
Marc Bodmer
Zu Beginn dieser Woche konnte Apple
vermelden, dass mehr als 100 Millionen
Software-Applikationen für MacintoshComputer direkt übers Internet verkauft worden seien. Der Mac-AppStore von Apple besteht seit einem Jahr
und erleichtert die Beschaffung von
Software für Macintosh-Computer. Was
dem Macintosh-Anwender der MacApp-Store, soll dem Gamer der Computerspiele-Service Steam sein.
Datenschutzprobleme
Steam wurde 2003 vom Game-Studio
Valve, das hinter Meilensteinen der
Videospielgeschichte wie «Counter
Strike» und «Half-Life» steckt, ins digitale Leben gerufen. Was anfangs harzte
und von den grossen Verlagshäusern
wie Electronic Arts, Activision-Blizzard
und Ubisoft, die über globale Vertriebsnetzwerke verfügen, belächelt wurde,
hat sich ziemlich still und leise zu einem
gewichtigen Kanal für die gesamte
Game-Industrie entwickelt. Das Angebot umfasst heute rund 1400 Titel, die
von Independent und Major Studios
bereitgestellt und von über 30 Millionen Kunden genutzt werden. Die
Marktforscher der Firma Fade beziffern
den Umsatz von Steam auf rund eine
Milliarde Dollar. Der frühere Konkurrent Stardock schätzte 2009 den Marktanteil von Steam auf 70 Prozent, eine
Zahl, die im Geschäftsbericht 2010
nicht wiederholt, aber mit dem Hinweis
«Steam hat die klare Marktführerschaft» bestätigt wurde.
Während Game-Hersteller Stardock
sich aus der digitalen Distribution zurückgezogen hat und seine Titel ebenfalls über Steam vertreibt, ist Branchenriese Electronic Arts (EA) mit der eigenen Plattform Origin diesen Herbst eingestiegen. Wer Millionen-Bestseller wie
«Battlefield 3» und «Fifa 12» online und
vernetzt mit seinem PC spielen will,
kann dies nur mit der Origin-Software
auf seinem Rechner. Statt die Benutzer
zu fragen, ob sie bereit wären, diverse
Daten zu ihrer Person und der von ihr
benutzten Hardware freiwillig preiszugeben, um den Dienst zu optimieren,
nahm sich die Endbenutzer-Lizenzver-
einbarung solche Rechte gleich selber
heraus. Das Vorgehen hat Datenschutzbeauftragte in Deutschland alarmiert.
So geriet die Origin-Software unter
Verdacht, ähnlich wie dies auch Cookies
von Facebook und anderen Websites
tun, Daten-Spionage auf der Harddisk
des Nutzers zu betreiben, unter anderem um Raubkopien zu eruieren.
Grund für die Suchaktionen gemäss
EA: Origin sucht nach Ordnern mit EASpielinhalten, um diese zu markieren
und gegebenenfalls aufzudatieren. Was
von den gefundenen Informationen und
in welcher Form zurückgemeldet wird,
war nicht ganz klar. Aus diesen Gründen wurde EA von der nordrhein-westfälischen Verbraucherzentrale abgemahnt. Jens Uwe Intat, Europa-Chef
von EA, kommentierte das Vorgehen
seiner Firma kürzlich am runden Tisch
mit Konsumentenvertretern mit klaren
Worten: «Das war ein Scheiss, und das
wissen wir.» In der Zwischenzeit wurden die heiklen Passagen in den Vertragskonditionen relativiert, und für
den Spielverlag ist klar: «Wenn es um
Datenschutz geht, gilt das lokale Gesetz», erklärt Intat auf Anfrage.
Nebst der Reduktion von aufwendigen internationalen Vertriebsstrukturen
ist die Bekämpfung von Software-Piraterie ein Ziel der digitalen Distribution.
Erfahrungen im asiatischen Raum haben gezeigt, dass der klassische Vertrieb
ein wenig lukratives Geschäftsmodell
ist. DVD oder CD-ROM werden kopiert und auf dem Schwarzmarkt verschleudert. Dieser Umstand bewog die
Game-Hersteller dazu, in manchen Fällen die Software gratis abzugeben und
das Geld online zu verdienen.
Der Schutz von digitalen Inhalten erweist sich aber als eine heikle Gratwanderung zwischen den Rechten der
Konsumenten und jenen der Urheber.
Versuche mit neuen Digital-Rights-Management-Systemen (DRM) verlaufen
in der Regel schmerzhaft. So dürfte das
Origin-Debakel Electronic Arts an die
unrühmliche DRM-Geschichte mit dem
Spieltitel «Spore» erinnert haben. 2008
konnte man das gekaufte Spiel, wohl
um eine unkontrollierte Verbreitung zu
verhindern, nur fünf Mal installieren.
Ein Umstand, den EA später mit einem
Patch rückgängig machte. Ähnliche Erfahrungen machen auch Nutzer von
Ubisoft-Titeln wie «Assassin’s Creed 2»
und «Silent Hunter 5». PC-Spieler, die
über keinen Internetzugang und damit
eine Verbindung zu den DRM-Servern
von Ubisoft verfügen, werden selbst von
der Einzelspieler-Variante ausgeschlossen, weil die Spiele-Software öfters
«nach Hause anruft».
Datendiebstahl
Gänzlich das Nachsehen haben PCNutzer zurzeit bei Call of Duty Elite,
der Community-Plattform für CoDFans. Zum Start des Bestsellers «Call of
Duty: Modern Warfare 3», der die Milliarden-Dollar-Grenze schneller erreicht hat als James Camerons «Avatar», lancierte Activision Elite, um das
Potenzial der 30 Millionen aktiven Online-Spieler anzuzapfen. Binnen einer
Woche wurden eine Million PremiumMitgliedschaften zu 50 Dollar verkauft,
und über fünf Millionen User haben
sich für den Online-Service angemeldet.
Diesem Ansturm waren die Elite-Server nicht gewachsen. Inzwischen hat
sich die Lage normalisiert, aber PCSpieler bleiben vorerst ausgeschlossen;
wann sie zugelassen werden, ist offen.
Klar ist, dass sich Activision die Öffnung wohl überlegt, denn jede Sicherheitsvorkehrung ist eine Herausforderung für Hacker, wie kürzlich auch
Branchen-Primus Steam erfahren musste, als Kunden- und verschlüsselte Kreditkartendaten gestohlen wurden.