Die letzte Fahrt: "Glück ab und gut Land"
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Die letzte Fahrt: "Glück ab und gut Land"
Die letzte Fahrt: "Glück ab und gut Land" "Nur fliegen ist schöner" - dies war einst der Werbeslogan für einen neuen Sportwagen, der 1968 auf den Automarkt kam. Mit diesem Spruch, den der Volksmund längst in seine Liste der geflügelten Worte aufgenommen hat, wollte ich in vermeintlich salopper Weise punkten kurz vor unserem Start mit dem Heißluftballon aus den Auen bei Eggstätt. Vielleicht, um meine Nervosität zu überspielen. Kam aber nicht gut an bei Ballonpilot Wolfgang Schnaiter. "Soviel vorweg - auch wenn es durch die Lüfte geht: Ein Ballon fliegt nicht, ein Ballon fährt. Wir schweben, wir fahren durch das Luftmeer." Wie recht er doch hatte, wurde mir bei seiner letzten Fahrt deutlich, bei der ich die Ehre hatte, im Korb dabei zu sein. Nach 26 Jahren die letzte Ballonfahrt für Pilot Wolfgang Schnaiter (Bild rechts). Für ihn ist es "immer wieder ein ergreifendes Gefühl, im Luftmeer zu schweben wie jetzt über dem Chiemgau." Ein atemberaubender Blick aus fast 2000 Metern auf das Chiemgau-Alpenvorland mit Eggstätter Seenplatte, dem Chiemsee im Osten und dem im Süden sich majestätisch erhebenden Alpenhauptkamm. Fotos Anita Berger Bernau/Eggstätt - "Glück ab und gut Land" ist das Letzte, was wir hören von Wolfgang Schnaiter junior, als wir an diesem Montag gegen 17.32 Uhr aus dem frischen Grün der Wiese abheben und nahezu lautlos gen Himmel schweben. Nur das rhythmische Donnern des Gasbrenners über unseren Köpfen ist zu hören, immer dann, wenn Wolfgang Schnaiter senior einen Hebel betätigt und die mehrere Meter lange Stichflamme ins Innere der mächtigen Ballonhülle schießt. Sein Sohn am Boden wird kleiner und kleiner, jetzt huscht der Schatten des Heißluftballons über ihn und in wenigen Augenblicken ist er nur noch ein Stecknadelkopf in einer atemberaubenden Landschaft, die sich mehr und mehr unter uns erschließt: das ChiemgauAlpenvorland mit Eggstätter Seenplatte, dem Chiemsee im Osten und der im Süden sich majestätisch erhebende Alpenhauptkamm mit Großvenediger und Großglockner. Was sind wir Menschen doch kleine Kreaturen im Vergleich zu dieser unbeschreiblichen Naturkulisse, fährt es mir durch den Kopf. Andächtige Stille herrscht im Korb, unterbrochen vom Zischen des Gasbrenners. Die Erfurcht ist auch den beiden anderen Mitfahrern ins Gesicht geschrieben. Bis auf 2000 Meter über Meereshöhe lässt Schnaiter senior sein Luftgefährt steigen - einfach ein Wahnsinnsgefühl, im direkten Kontakt mit dem "Luftmeer" so einfach dahinzugleiten. Und dann dieser schier unbeschreibliche Ausblick - selbst für den Ballonpiloten ist es "immer wieder ein ergreifendes Gefühl, im Luftmeer zu schweben wie jetzt über dem Chiemgau", wie er schwärmt. Immer wieder? Eigentlich ist es doch seine letzte Fahrt als Ballonpilot. Denn mit Erreichen des 65. Lebensjahrs ist offiziell Schluss: Wolfgang Schnaiter darf dann keine Passagiere mehr mit dem Heißluftballon befördern im gewerblichen Bereich. Gibt ihm der Fliegerdoktor mit Blick auf seinen Gesundheitszustand grünes Licht, darf er allenfalls im Amateurbereich weiterfahren "mit Gästen die mehr oder weniger nichts bezahlen". Das mache in diesem Marktsegment aber wenig Sinn, denn "Chiemseeballoning ist ein gewerbliches Unternehmen". Dessen Fortbestand allerdings gesichert ist, denn Sohn Wolfgang hat zum Jahresbeginn das Kommando übernommen. Und zwar mit allen Berechtigungen, auch große Ballone zu fahren, so der Vater mit hörbarem Stolz in der Stimme. Außerdem sei der Junior im sportlichen Bereich aktiv. "Er fährt bayerische und deutsche Meisterschaften und liegt dabei immer wieder weit vorne. Wie vor drei Jahren, da wurde er deutscher Juniorenmeister." Und was macht der Schlussstrich mit seinem Seelenleben, will ich wissen. Mental sei er eigentlich mit dem Thema durch, schließe aber nicht aus, dass es ihm "diesbezüglich doch mal wieder schlechter gehen könnte", sagt Schnaiter senior. Was verständlich erscheint, immerhin hat er 26 Jahre Luftfahrt als Heißluftballon-Pilot auf dem Buckel. Dass er seine Profession beherrscht, beweist er an diesem Tag. Er strahlt eine unglaubliche Ruhe und Gelassenheit aus, die eine anfängliche Nervosität bei seinen Passagieren schnell verfliegen lässt. "Wenn ich das so sagen darf: Ich hab' das Ballonfahren im Griff und bei solchen Wetterbedingungen wie heute ist das keine große Sache." Er muss es wissen, beruhige ich mich. 1200 Starts und 1800 Flugstunden - eine Bilanz nach 26 Jahren, was für ihn spricht. Zudem hat er auch die größte Herausforderung für einen Ballonfahrer gleich zweimal gemeistert: die Alpenüberquerung. In die Luft wollte Schnaiter senior schon in seinen jungen Jahren. Unschlüssig war nur mit dem Wie: Segelflugzeug, Motorflieger oder Hubschrauber? Für diese Entscheidung brauchte er dann doch längere Zeit: Kurz vor seinem 40. Geburtstag begann er die knapp einjährige Ausbildung zum Heißluftballon-Piloten. Unter anderem musste er neben der Theorie auch 50 Starts und Landungen hinlegen; und um gewerblich fahren zu dürfen, nochmals 50 Fahrstunden nachweisen. Zurück zur letzten Fahrt: Auch vor dem Start war Schnaiter senior die Ruhe in Person. Klar und fordernd kamen beim Aufrüsten des Ballons seine Anweisungen. Denn jeder musste mit anpacken: Korb aus dem Anhänger ziehen, Brenner montieren, Gasflaschen in den Korb hieven, diesen auf die Seite legen, und dann die mehr als 35 Meter lange Hülle auf der Wiese auseinander ziehen. Dann hieß es, die Öffnung der Ballonhülle mit Muskelkraft zu gewährleisten, derweil ein Gebläse Luft in dieses Monstrum pumpte. Nun wurde es spannend. Schnaiter junior legte den Korb sozusagen an die Kette. Er sicherte mit einem mehrere Meter langen Kunststoffseil den Korb am Transporter so dass sich unser Luftfahrtgerät nicht zu früh auf und davon machen konnte. Die Hülle blähte sich mehr und mehr auf ziemlich verloren wirkte Schnaiter senior, als er ins Innere vordrang und einige Steuerseile für Öffnungsklappen in der Hülle verzurrte. Dann gab er Vollgas: Er hockte im umgelegten Korb und "feuerte aus allen Rohren" des doppelflammigen Brenners die heißen Gase in die Ballonhülle. Jetzt ging's schnell: Das Ungetüm richtete sich auf, wir mussten in den für fünf Personen ausgelegten Korb klettern - und ab "ging der Aufzug" nach oben... Eine Stunde später beweist der Pilot erneut seine Routine. Auf einem Feld bei Aschau in der Gemeinde Söchtenau legt er eine saubere Landung hin - nur wenig hat es uns beim Aufsetzen des Korbes durchgeschüttelt. Die Ballonfahrerei hat einen historischen Hintergrund und geht zurück auf das Jahr 1783, urkundlich erwähnt als Erste die Gebrüder Montgolfier. Damals bestand der Ballon aus leinenverstärktem Papier, darunter wurde eine Gondel hingehängt und ein Feuer entfacht - der Beginn der Luftfahrt. Das hat König Ludwig XVI. so imponiert, dass er die Gebrüder in den Adelsstand erhoben hat. Und diese Tradition hat sich bis auf den heutigen Tag "zäh und hartnäckig" gehalten: Wer zum ersten Mal mit dem Ballon fährt, wird in den Adelsstand erhoben. Der Name, der den Ballonfahrern verpasst wird, muss von ihnen auswendig jederzeit in Ballonfahrerkreisen abrufbar sein, andernfalls muss in flüssiger Form Buße getan werden. Als Erste trifft es unsere Mitfahrerin Elisa: "Wir taufen sie auf den Namen Baronesse Elisa, erhabene Wolkenschauklerin über den unendlichen Weiten des Chiemgaus." Dann geht Elisa vor dem Piloten in die Knie, beugt ihren Kopf vor "und jetzt keine ruckartigen Bewegungen mehr". Wolfgang Schnaiter nimmt eine Haarsträhne zwischen Zeige- und Mittelfinger, zündet sie mit dem Feuerzeug an und sofort erfolgt die Löschaktion durch Schnaiter junior mit einem Schuss Sekt. Begleitet wird diese Feuertaufe durch lautstarkes Bedauern von Vater und Sohn: "Zefix, jetzt hat's doch mehr Haare erwischt, ohje, was jetzt, sieht nicht gut aus." Natürlich ist das nur ein Spaß, der dazu gehört. Und auch bei der nächsten Gräfin geht's so ab: "Auweia, so ein Riesenloch im Kopf." Die frisch Getaufte trägt's mit Fassung: "Wurde eh Zeit für einen Frisörbesuch." Dann erheben Vater und Sohn ihre Sektgläser und stoßen an auf die geglückte Ballonfahrt nebst Taufe. Ob er was vermissen wird, ist meine letzte Frage: "Ich war auf diesen Abschiedstag vorbereitet, der ist jetzt da, ob ich was vermissen werde, kann ich noch nicht beurteilen", sagt Schnaiter senior. Aber Wehmut klingt schon mit...