4 April 2014

Transcrição

4 April 2014
NR. 24, 4. APRIL 2014
DEUTSCHE AUSGABE
Fédération Internationale de Football Association – Seit 1904
DER
AZZURRI
CODE
Cesare Prandelli
JORDANIEN
FUSSBALL IM
FLÜCHTLINGSCAMP
BLATTER
EIN HANDSCHLAG
FÜR DEN FRIEDEN
AUSTRALIEN
MIT 10 000
FANS ZUR WM
W W W.FIFA.COM/ THEWEEKLY
I N H A LT
6
Cesare Prandelli: Weltmeisterlicher Stil
Der italienische Nationaltrainer setzt Massstäbe – durch sein
stilvolles Auftreten und durch den Umgang mit den Spielern. Im
grossen Interview spricht der “Mister” über arrogante Fussballer,
die bevorstehende WM und den Tod seiner grossen Liebe. Zu den
Perspektiven seiner Mannschaft in Brasilien sagt er kryptisch: ­
“Wir sind nicht die Besten, aber wir können die Besten schlagen.”
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Zuschauerrekord in Costa Rica
Die U-17-WM der Frauen begeistert Tausende von Fans: Vom
Studenten über den Ladenbesitzer bis zur 12-Jährigen Pamela. Für
sie ist nun klar: “Ich möchte eines Tages Fussballprofi werden.”
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Festival der Hoffnung
Die WM-Endrunde in Brasilien hat auch eine soziale Strahlkraft.
Anlässlich des Football-for-Hope-Festivals treffen sich Kinder aus
der ganzen Welt zum Gedankenaustausch – und zum Fussballspielen.
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25
Nord- und Mittelamerika
35 Mitglieder
www.concacaf.com
P residential Note: Fussball als Friedensbotschaft
Mit dem Handshake for Peace will die FIFA den Friedensgedanken
des Fussballs akzentuieren. Präsident Blatter schreibt in seiner
Kolumne von “einer der stärksten zwischenmenschlichen Gesten,
die für Respekt, Anstand und Ehrerweisung steht”.
Jordanien: Der Fussball als Rettungsanker
Der syrische Bürgerkrieg treibt Hundertausende von Menschen in
die Flucht. Im jordanischen Flüchtlingslager Za’atari versuchen viele
Kinder, die traumatischen Erlebnisse zu vergessen. Der Fussball
spielt dabei eine zentrale Rolle.
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“ 1974 war wie ein Märchen”
Nationalcoach Ange Postecoglou erinnert sich an die erste
­WM-Teilnahme von Australien. Damals mussten die Spieler Urlaub
eingeben, um nach Deutschland zu reisen.
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N etzer weiss es!
Würde Ihnen das Fussballerleben von heute Spass machen? Günter
Netzer macht in seiner Kolumne klar: Auf die schnellen Medien
hätte er keine Lust, dafür würde er die vielen Experten rund um die
Mannschaft schätzen.
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Turning Point
Hidetoshi Nakata spielte sein Leben lang Fussball. Bis er sich eines
Morgens entschied, die Welt zu bereisen. “Ich war 29, als ich
merkte: Das war’s! Ich bin nicht mehr bereit für den Profisport.”
Deyna Castellanos
Die Venezolanerin
überzeugt an der U-17-WM
Gusti Cup
9. Mai 2014, Zürich
5. September 2014, Zürich
2
Südamerika
10 Mitglieder
www.conmebol.com
T H E F I FA W E E K LY
Blue Stars/FIFA Youth Cup
28. bis 29. Mai 2014, Zürich
D I E WO C H E I N D E R W E LT D E S F U S S B A L L S
Europa
54 Mitglieder
www.uefa.com
Afrika
54 Mitglieder
www.cafonline.com
Asien
46 Mitglieder
www.the-afc.com
Ozeanien
11 Mitglieder
www.oceaniafootball.com
Hulk
Will mit Zenit St. Petersburg
die Saison retten
Der Azzurri-Code
Das Titelbild zeigt
Cesare Prandelli auf den
Rängen im Henryk-­
Reyman-Stadion in
Krakau (Polen). Entstanden ist die Aufnahme im
Sommer 2012.
Cesare Prandelli
Italiens Trainer gibt
sich bescheiden
Hidetoshi Nakata
Vom Fussballprofi
zum Weltenbummler
Cover: Anan Sesa / imago Inhalt: imago, Getty Images (4)
Ange Postecoglou
Der Australien-Coach
im Interview
Fussball-Weltmeisterschaft
12. Juni bis 13. Juli 2014, Brasilien
U-20 Frauen-Weltmeisterschaft
5. bis 24. August 2014, Kanada
T H E F I FA W E E K LY
Olympische Jugendfussball­
turniere
15. bis 27. August 2014, Nanjing
FIFA-Klub-Weltmeisterschaft
10. bis 20. Dezember 2014, Marokko
3
UNCOVERED
Stille Wasser
T
Antonio Calanni / AP
itelgeschichten können an einer Redaktionssitzung lange Diskussionen auslösen.
Als wir uns vor Wochen zur ersten Besprechung dieser Ausgabe trafen, war das Cover-Thema in 30 Sekunden beschlossene Sache:
Italien. ­Italien!
Das Calcio-Dossier. Italiens Fussball steht
für Tradition. Für Taktik und Kult. Auch deshalb bleibt der vierfache Weltmeister in Zeiten
des Wiederaufbaus wettbewerbsfähig. Kein Nationalteam ist vor einem grossen Turnier so
unberechenbar wie Italien. Nur Aussenseiter
2014? Man sagt, am gefährlichsten seien die
Azzurri, wenn sie keiner auf dem Plan hat. Wie
1982 und 2006.
Nach einem langen Gespräch mit Nationalcoach Cesare Prandelli ausserhalb von Florenz
kam unsere Redakteurin Doris Ladstaetter
zum Schluss: Dieser Mann, der seiner Mannschaft einen Verhaltens-Kodex auferlegt hat,
geht das Projekt Brasilien verdächtig bedacht
an. “Wir sind nicht die Besten. Aber wir können
die Besten besiegen.” Als Ort des Treffens wählte Prandelli übrigens eine Bibliothek.
S
ein Berufskollege aus Australien mag
nicht über Fussball-Trophäen nachdenken. Wie auch, wenn daheim alle von Cricket und Rugby reden? Auf dieses und andere
Klischees gab uns Aussie-Coach Ange Postecoglou seine erfrischenden Antworten. Zum
Beispiel, dass sich sagenhafte 10 000 australische Fans für die WM-Reise nach Vitória angemeldet haben.
z­ wischenmenschliche Respekt darf nie verloren
gehen. Sepp Blatter lädt deshalb die Team-Kapitäne ein, sich nach jeder WM-Partie am Mittelkreis zu treffen. “Ein Fussballspiel mag mit dem
Schlusspfiff enden”, sagt der ­FIFA-Präsident in
seiner wöchentlichen Kolumne. “Unser Kampf
für Frieden, Integration und Gerechtigkeit geht
dann aber erst richtig los.” Å
Alan Schweingruber
A
ls besondere Geste wird in Brasilien auch
der gerade lancierte “Handshake for Peace”
von sich Reden machen. Es ist eine
Friedens­botschaft, die der Handschlag in die
Welt tragen soll: Egal, wie ein Spiel endet, der
Warten auf die grosse Welle Das italienische Team badet im brasilianischen Meer (Konföderationen-Pokal, Juni 2013).
T H E F I FA W E E K LY
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Name
Claudio Cesare Prandelli
Geburtsdatum, Geburtsort
19. August 1957, Orzinuovi (Italien)
Kinder
Niccolò (1984), Carolina (1987)
Italienische Nationalmannschaft
Seit 2010
Erfolge als Spieler
Dreifacher italienischer Meister
und Europapokal Gewinner mit
Juventus Turin
Erfolge als Trainer
Massimo Sestini
Italienischer Meister Serie B,
Vize-Europameister 2012, Dritter
beim Konföderationen-Pokal 2013
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I TALIEN
“Wir können die
Besten besiegen”
Cesare Prandelli verkörpert Eleganz und Stil. Sein Verhaltenskodex im
­Nationalteam ist einmalig. Im grossen Interview spricht der italienische
­“Mister” über arrogante Fussballer, die anstehende WM und den Tod
­seiner grossen Liebe.
Mit Cesare Prandelli sprachen
Doris Ladstaetter und
Franco Nicolussi, Coverciano
Cesare Prandelli ist ein eleganter Mann. Im
braun-grauen Anzug schüttelt der 56-Jährige
in Coverciano Hände und wird mit einem
ehrfurchtsvollen “Buongiorno Mister”
begrüsst.
Herr Prandelli, bestehen Sie darauf, als “Mister”
angesprochen zu werden?
Stapeln Sie nicht ein bisschen tief? 2012 haben
Sie mit einer jungen italienischen Mannschaft
das Finale der EM erreicht, im letzten Jahr beim
Konföderationen-Pokal den dritten Platz belegt.
Die erste Runde gegen England, Uruguay und
Costa Rica sollte zu schaffen sein.
Es macht keinen Sinn, eine junge Mannschaft wie die unsere mit zu hohen Erwartungen zu belasten. Klüger ist es, realistische
Ziele zu setzen. Die erste Runde ist realistisch. Ein Turnier wie die Weltmeisterschaft
kann man nur Schritt für Schritt gewinnen.
Cesare Prandelli (lächelt): Aber nein. Es
ist so einfach üblich in Italien. Jeder, der hier
eine Mannschaft trainiert, ist ein “Mister”.
Sie haben die physische Kondition der potenziellen italienischen Nationalspieler vor kurzem
als “peinlich” bezeichnet. In der italienischen
Serie A herrscht seitdem helle Aufregung.
Vier Monate vor der Weltmeisterschaft sind
Sie DER Mister in Italien.
Mag sein. Aber es ist nun einmal wahr:
Die Geschwindigkeit, mit der in Europa
Fussball gespielt wird, ist nicht die, mit der in
Italien gespielt wird. Normalerweise waren
unsere Fussballer im März in guter Verfassung. Bei unserem letzten Spiel war das nicht
der Fall. Hätte ich das verschweigen sollen?
Vor ein paar Tagen trank ich in einem
Café meinen Espresso, als die Tür aufging, ein
Mann reinkam und laut “Ciao Mister!” rief.
Ich drehte mich um und wollte ihn begrüssen.
Der Mann übersah mich völlig und lief
stattdessen strahlend auf den Trainer der
Schulmannschaft zu.
Jetzt sind Sie so bescheiden wie Giovanni
Trapattoni, der bei Juventus sechs Jahre lang
Ihr Trainer war.
Giovanni war mir immer ein Vorbild. Er
schaffte es stets, auch Spielern wie mir, die
weniger spielten, Selbstvertrauen zu schenken.
Er hat immer seine Träume gelebt und seinen
Enthusiasmus behalten, egal was passiert ist.
Träumen Sie davon, die WM in Brasilien zu
gewinnen?
Ich bin froh, wenn wir die erste Runde
überstehen.
Tragen die Klubs die Schuld an diesem
­niedrigen Niveau?
Ich habe niemanden beschuldigt. Ob das
an der Vorbereitung oder an der Kondition
liegt, kann ich nicht beurteilen.
Was werden Sie unternehmen? In den drei
Wochen, die Sie sich mit den Spielern auf die
WM vorbereiten können, werden Sie die
physische Kondition eines Spielers nicht
entscheidend verändern können.
Das müssen wir aber. Diese drei Wochen
müssen reichen. Wir werden uns mit Sicherheit auf die Verbesserung der physischen
Kondition der Mannschaft konzentrieren. Die
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wird in ­Brasilien den Ausschlag geben. Ich
habe meine Lektion beim Konföderationen-­
Pokal im letzten Jahr gelernt.
Was ist da passiert?
Zum ersten Mal in meinem Dasein als
Trainer bin ich an meine Grenzen gestossen.
Bei zwei Spielen haben mich gleich acht
Spieler gebeten, ausgewechselt zu werden. Die
ersten zwanzig Minuten hielten sie sich
wacker, dann spielten sie fünfzehn weitere
Minuten, als hielten sie die Luft an. Schliesslich wollten sie nur noch raus aus dem Spiel.
Unseren Gegnern erging es nicht viel besser,
es war ein ständiges Auf und Ab.
Wer sind Ihre WM-Favoriten?
Die üblichen vier. Brasilien aufgrund der
Technik, Tradition und weil sie zu Hause spielen. Spanien, weil sie in den letzten Jahren den
Weltfussball dominiert haben. Deutschland,
weil sie neue Spieler geschickt in eine Gewinner-­
Mentalität eingefügt haben. Argentinien wegen
der Fülle an Talenten. Kolumbien und Belgien
können die Überraschungen werden.
Und Italien?
Wir sind nicht die Besten. Aber wir können die Besten besiegen. Wir werden mit der
Gewissheit zur WM fahren, dass wir in der
richtigen Kondition jeder Mannschaft Probleme bereiten können.
Bis auf Gianluigi Buffon und Daniele De Rossi
haben Ihre Spieler kaum Erfahrung bei internationalen Turnieren vorzuweisen. Wie vermitteln
Sie dem Rest der Mannschaft das Selbstvertrauen zum Gewinnen?
Ich muss mich bei weniger kompletten
Spielern auf ihre Qualitäten konzentrieren.
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I TALIEN
Freunde Der ehemalige
Nationalcoach Giovanni
Trapattoni und Prandelli
Diesen Verhaltenskodex haben Sie der
Nationalmannschaft gleich bei Ihrem Antritt
vor vier Jahren aufgebrummt. Wer sich nicht
benehmen und kontrollieren kann, darf nicht
spielen, lautet Ihre Devise. Brauchen italienische Fussballer solche erzieherische
­Massnahmen?
Ich wollte, dass ein Spieler wieder das
Gefühl kriegt, dass er sich seinen Platz in der
Mannschaft verdienen muss. Das Trikot der
Azzurri zu tragen ist eine Ehre und die muss
man sich verdienen, nicht nur mit technischen Qualitäten und guten Leistungen,
sondern auch mit korrektem Verhalten. Ein
Spieler, der dem Gegner ins Gesicht spuckt
oder immer wieder mit einer Schwalbe zu
Boden geht, verdient es nicht, zu diesem
Zeitpunkt in die Nationalmannschaft berufen zu werden – egal wie gut er spielt.
Der Ethik-Kodex könnte Sie in Bedrängnis
bringen, wenn ein entscheidender Spieler wie
Daniele De Rossi vor Beginn der WM die
Beherrschung verliert.
Theoretisch ja, praktisch nein. Ich
denke nicht, dass einer der wichtigen
Spieler vor der Weltmeisterschaft die Beherrschung verliert. Wenn er das tun würde,
dann wäre es kein wichtiger Spieler, auf den
ich zählen kann, und die WM ohnehin nicht
sein Platz.
Welcher der Spieler hat sich gegen diesen
Ethik-Kodex gewehrt?
Kein einziger. Höchstens Funktionäre
oder Trainer hatten Einwände.
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Auch De Rossi nicht, als Sie ihn Anfang März
für ein Freundschaftsspiel gegen Spanien nicht
nominiert haben, weil er in einem Ligaspiel die
Fäuste eingesetzt hat?
Der italienische Fussballverband hat Sie
unabhängig vom WM-Ergebnis für zwei
weitere Jahre verpflichtet. Fehlt Ihnen nicht
eine Erfahrung im Ausland?
Auch er nicht. Spieler schätzen solche
Regeln. Sie müssen sich auch an etwas
festhalten können. Die Spieler, die zur WM
fahren, wissen, dass sie Auserwählte sind.
Auch das vermittelt einer Mannschaft
ein Zusammengehörigkeitsgefühl und
Selbstvertrauen.
Ja, die würde ich gerne machen. Vor
wenigen Tagen hat Carlo Ancelotti mir erzählt, dass ihn in den zwei Jahren bei Chelsea
kein einziger gegnerischer Fan beleidigt hat.
Wenn ich das höre und an all die überflüssigen Polemiken denke, die wir hier in Italien
führen, will ich sofort aufbrechen.
Was mögen Sie an der Welt des Fussballs nicht?
Sie waren dreissig Jahre lang verheiratet. Wie
haben Sie den Tod ihrer Frau verarbeitet?
Die Arroganz und den Umstand, dass sich
viele Leute so wichtig nehmen.
Sie kennen es auch anders?
Als ich spielte, haben wir uns nicht so
wichtig genommen. Wenn wir am Sonntag
ein Spiel verloren, blieben wir am nächsten
Tag vor Scham zu Hause. Wir fühlten uns
verantwortlich für ein verlorenes Spiel. Wir
waren dankbar für das aussergewöhnliche
Leben, das wir als Zwanzigjährige führen
durften. Ausserhalb des Spielfeldes lebten
wir leichter. Wir mussten unsere Wohnungen selbst mieten und unsere Rechnungen
selbst bezahlen. Wir hatten keine Entourage,
die uns die unliebsamen Dinge des Alltags
abnahm.
Sie wollten eigentlich Architekt werden.
Ja, aber dann mischte sich meine Mutter
ein. “Das Diplom, Cesare, das Diplom”, sagte
sie. Also habe ich mein Diplom als Geometer
gemacht.
Gefällt es Ihnen, etwas zu kreieren? Und sei es
nur eine Idee auf dem Fussballfeld?
Und wie! Wir könnten uns jetzt Wochen
darüber unterhalten, was ich erschaffen und
verändern möchte: Wohnungen, Häuser,
Kleider. Ich bin für alles zu haben.
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Ich war achtzehn, meine Frau nicht
einmal fünfzehn. Wir trafen uns in unserem
Heimatdorf bei Brescia. Von diesem Tag an
waren wir zusammen. Es war mein Drama, als
sie vor sieben Jahren starb. Deshalb will ich
diesen Teil meines Lebens eigentlich immer
für mich behalten. Aber dann sage ich mir:
Warum nicht? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es Menschen tröstet, wenn ich
darüber spreche.
Was erzählen Sie diesen Menschen?
Dass meine Frau mich und meine Kinder
getröstet hat, obwohl sie diejenige war, die im
Sterben lag. Und nicht nur uns, auch unsere
Freunde, die gesamte Verwandtschaft. Es war
ein Montag als sie starb. Der Tag, an dem
Spieler und Trainer sich ausruhen. Während
ihrer letzten Stunden haben die Kinder und
ich uns zu ihr ins Bett gelegt und ununterbrochen mit ihr geredet. Die Ärzte ihrer
Schmerztherapie haben uns erzählt, dass
Todkranke als letztes ihr Gehör verlieren. Sie
war grossartig. Sie hat uns erlaubt, diesen
schmerzvollen Abschied mit Gelassenheit zu
leben. Das werde ich nie vergessen. Å
Gero Breloer / AP, Claudio Villa / Getty Images (3)
Ich habe nicht die Zeit, um an ihren Schwächen zu arbeiten. Meine wichtigste Aufgabe
ist es, der Mannschaft ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu vermitteln. Das passiert
auch über so angebliche Nebensächlichkeiten
wie den Ethik-Kodex.
“Die Spieler, die
zur WM fahren,
wissen, dass sie
Auserwählte
sind. Auch das
vermittelt einer
Mannschaft ein
Zusammengehörigkeitsgefühl
und Selbstvertrauen.”
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I TALIEN
QUO VADIS
ITALIA?
In Italien dankt eine Generation gealterter Klubbesitzer ab. Sie gehen mit hohen Verlusten und
hinterlassen zweitklassige Spieler und veraltete Stadien. Im Nachwuchs klafft (noch) ein Loch.
Doris Ladstaetter
L
ange haben die italienischen Klub-Krösusse ihre Sorgen einfach totgeschwiegen.
Sie haben ihre Schulden mit teuren Einkäufen überdeckt und mit Millionen um
sich geworfen. So bemerkte im letzten
Jahrzehnt kaum jemand, wie die einst
schönste Liga der Welt zu leiden begann und
still vor sich hin welkte. 1990 noch gewann
Deutschland die Weltmeisterschaft in Italien
mit neun Spielern – darunter so klangvolle Namen wie Klinsmann, Matthäus und Hässler –,
die ihr Brot allesamt in der Serie A verdienten
und in diesen Jahren in keiner anderen Liga
spielen wollten. Aus Südamerika und Europa
wurde nur die Elite des Fussballs in die italienischen Klubs geholt: ­Maradona, Careca, Zico,
Platini, Van Basten, Gullit – die Namenslisten
bei Juventus Turin, Napoli, beim AC Milan oder
bei Inter Mailand lasen sich wie das Who’s Who
des Weltfussballs. Klar war im Belpaese bald
auch jeder ein Fussballfan. Die Stadien waren
mit siegverwöhnten Tifosi prall gefüllt. Italien
war ein Fussball­paradies: Zu Recht nannte jedermann die Serie A die schönste Liga der Welt.
Die grossen Stars verlassen Italien
Zwei Jahrzehnte später stehen all diese Gewissheiten Kopf. Zu den bekanntesten ausländischen Spielern in den italienischen Klubs
­zählen Carlos Tévez und Fernando Llorente –
beide sind nicht für die zur WM antretenden
National­
m annschaften ihrer Heimatländer
­A rgentinien und Spanien nominiert. Die Superstars kommen nicht mehr gerne, umso lieber
setzen sich die, die schon da sind, ab. Kaká,
dem AC Mailand seit Jahren eng verbunden,
schluckte zu Saisonbeginn eine Gehaltskürzung von zehn auf vier Millionen pro Jahr, um
nach einem Wechsel zu Real Madrid wieder in
Italien spielen zu können. Die zweite Lohneinbusse, die ihm jetzt droht, will er nicht mehr
verdauen. Bald könne man ihm in Florida beim
Kicken zusehen, munkelt man in Italien.
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Zwischen 2004 und 2013 erreichten nur fünf
Mannschaften aus dem Belpaese das Viertelfinale der Europa League – zwischen 1994 und
2003 waren es immerhin 17 gewesen. “Die Geschwindigkeit, mit der in Europa Fussball
­gespielt wird, ist nicht die, mit der in Italien
­gespielt wird”, hat Nationaltrainer Cesare Prandelli erkannt. Angesichts der gebotenen Leistung in den Fussballstadien rätselt Italien
­inzwischen darüber, womit sich die Tifosi ihre
Zeit am Sonntag totschlagen. In den Stadien
nicht – dort gähnen den Klubchefs leere Ränge
entgegen. Nicht einmal das Mailänder Derby
oder Milan – Juventus vermochten in den letzten zwei Jahren ein “Ausverkauft!” zu melden.
Beim AC Mailand sahen zuletzt im Schnitt noch
etwa 44 000 Zuschauer ein Spiel. Bei Borussia
Dortmund sind es fast doppelt so viele.
Käufer gesucht
Im einst so fussballverrückten Italien spielen
deshalb immer öfter die Klubbesitzer verrückt.
Hoch verschuldet, wütend und ohne Wachstumsstrategie hangeln sie sich seit Jahren in
immer wechselnden und wiederkehrenden
­A llianzen von Saison zu Saison. Jedes Jahr quält
sie das Gefühl, Gefangene ihrer Leidenschaft zu
sein, ein wenig mehr. Inzwischen schweigen sie
nicht mehr und geben ihre v
­ erzweifelte Suche
nach einem Käufer oder w
­ enigstens einem finanzstarken Partner lautstark kund. “Wer
Genoa will, soll sich melden”, bot Enrico Preziosi seinen für weniger als eine Million Euro erstandenen Klub vor zwei Jahren an. Massimo
Cellinos mal ernsthaft verfolgte und dann wieder aufgeschobene Absicht, seinen Cagliari Calcio in Sardinien an einen Scheich abzutreten,
hält die Fans seit Jahren in Atem.
Seit 2011 suchte auch Inter-Präsident Massimo Moratti nach einem Käufer. Im letzten
Jahr trat er 75 Prozent seiner Anteile an Inter
Mailand an den indonesischen Verleger Erick
Thohir für angebliche 250 Millionen Euro ab.
In 18 Jahren als Präsident investierte Moratti
mehr als 1,2 Milliarden Euro aus seinem inzwiT H E F I FA W E E K LY
schen kriselnden Familienimperium, um die
ständig roten Zahlen bei seiner grossen Liebe
Inter zu verschönern.
Und nun bereitet der Klubbesitzer aller
Klubbesitzer seinen Ausstieg vor. “Mit dem AC
Mailand verliere ich jährlich 50 Millionen Euro”,
klagte der inzwischen rechtskräftig verurteilte
Silvio Berlusconi vor wenigen Tagen der “Gazzetta dello Sport” sein finanzielles Leid. Hunderte
Millionen Euro muss der Cavaliere wegen Steuerhinterziehung und anderer Vergehen zahlen,
dazu kommen Verluste mit seinem Mondadori-Verlag und ein Minus von beinahe 50 000
Euro, das jeden Tag für Unterhaltszahlungen an
Exfrau Veronica Lario fällig wird.
Als Berlusconi 1986 den AC Mailand übernahm, wurde aus dem Vollen geschöpft. Zusammen mit seinem Freund und Vizepräsidenten
Adriano Galliani ging der Cavaliere auf Einkaufstour. Eine verwöhnte Mannschaft um
Gattuso, Pirlo, Kaká, Maldini, Nesta, Leonardo,
Inzaghi und Seedorf lebte zwei Generationen
lang prächtig von seinem Geld. Inzwischen
scheint es dem 77-jährigen Berlusconi zu
schwanen, was er bei der Kaufeuphorie über all
die Jahre beharrlich vergessen hat: Ein eigenes
Stadion zu bauen, sein Erbe zu regeln und den
Nachwuchs zu fördern.
Serie A als Talent-Lieferant?
Versäumnisse, die seiner Tochter Barbara das
Leben schwer machen werden – für den Fall,
dass sie es tatsächlich schafft, sein Erbe zu
übernehmen. Ihr ist längst bewusst, dass der
Klub die fehlende Qualität nicht mehr einfach
zukaufen kann. Sie selbst zu entwickeln, wird
dauern. “Frühestens in drei Jahren”, schätzte
Barbara Berlusconi, werden die Massnahmen
beim Umbau der Jugendausbildung zu greifen
beginnen. Bis dahin hechelt eine Mannschaft,
bei der sich mangels alternativem Nachwuchses alle Hoffnungen auf den erst 23 Jahre alten
Mario Balotelli reduzieren, hinter Juventus her.
Gleichzeitig wird beim AC Mailand weiter
kräftig gespart: Ein kleines Minus von 16 Mil-
Wee Khim
Zuversicht sieht anders aus: Ein Bild aus dem
Nationalteam-Camp mit Christian Maggio (links oben),
Emanuele Giaccherini und Andrea Pirlo (rechts) .
T H E F I FA W E E K LY
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Im einst so fussballverrückten Italien
spielen immer öfter
die Klubbesitzer
verrückt.
lionen Euro hat der Klub in den letzten zehn
Jahren mit Transfers angehäuft. Verglichen
mit den über 300 Millionen, die beim FC Barcelona in zehn Jahren mehr für Spieler ausgegeben als eingenommen wurden, ist das eine
untypische Bilanz. “Die italienischen Fussballklubs sind bei Weitem nicht so hoch verschuldet wie so manche in der spanischen oder
­englischen Liga und das ist gut”, sagt Demetrio
Albertini, Vizepräsident des italienischen
Fussballverbandes und ehemaliger Mittelfeldspieler bei Milan, der seit Jahren vehement für
eine Reform eintritt, die den Nachwuchs in den
Mittelpunkt stellt. “Wir müssen uns entscheiden, was wir sein wollen: Ein Talent-Lieferant
für Ligen im Ausland oder eine Spitzenliga”,
sagt Albertini.
Millionen-Honorare waren einmal
In Udine hat Klubbesitzer und Holzmagnat
­Gianpaolo Pozzo – wie Berlusconi seit 1986 im
Fussballgeschäft – darauf eine Antwort gefunden und gezeigt, dass man auch in Krisenzeiten
Geld mit Fussball verdienen kann. Udinese holt
junge Spieler aus dem Ausland und verkauft sie
dann weiter. Seit wenigen Jahren besitzt Pozzo
nicht nur Udinese, sondern auch den spanischen Klub Granada und den englischen Watford Football Club. Auch bei Juventus Turin
gibt es trotz Krise Gewinne, vorallem dank eigenem Stadion, dem einzigen im ganzen Land,
das nicht im Besitz einer Stadtgemeinde ist.
AS Roma will es Juventus gleichtun und noch
in diesem Jahr mit dem Bau eines neuen
­Stadiums in Rom beginnen. Bis zum Start der
Saison 2016/17 soll es fertig sein. Aussehen wird
es wie ein ultramodernes Kolosseum.
Es sieht so aus, als hätte sich Italiens Klubbesitzer längst entschieden, in welche Richtung
es nach der grossen Krise in Zukunft gehen wird.
Keine Fussballstars mit Millionenhonoraren
mehr, das war einmal. Bald werden wir von in
Italien ausgebildeten Topspielern hören, die wie
Gladiatoren losziehen, um den Weltfussball zu
erobern. Å
12
Fünfter WM-Titel als schwierige Mission Die Italiener Daniele De Rossi (links)
und Mario Balotelli müssen sich in der WM-Gruppe erst mal gegen die ehemaligen
Weltmeister England und Uruguay durchsetzen.
I TALIEN
Die vier
Weltmeistertitel
1982
1934
Ein dreifaches erstes Mal:
Zum ersten Mal nimmt Italien
an einer Weltmeisterschaft
teil. Zum ersten Mal trägt Italien eine solchen
Wettbewerb aus, zum ersten Mal gewinnt Italien die WM gegen die Tschechoslowakei. Diktator Benito Mussolini nutzt die WM als Werbung
für den Faschismus. Die Azzurri werden von
einem seltsamen Paar angeführt: Vittorio Pozzo,
einem Pirelli-Funktionär, und Giorgio Vaccaro,
einem General der faschistischen Miliz. Die beiden isolieren die Mannschaft eineinhalb Monate lang mit einer militärischen Vorbereitung.
Das Finale wird im Nationalstadion der Faschistischen Partei in Rom vor 50 000 Zuschauern
ausgetragen.
Wee Khim, Getty Images / Hulton
1938
Eine spielerisch verbesserte
aber noch immer militärisch
gedrillte Mannschaft um das
Trio Colaussi-Piola-Meazza triumphiert in
Frankreich im Finale gegen Ungarn 4:2. Wieder
nutzt Mussolini das Turnier für seine nationalistische Politik und gibt bekannt, dass für die Italiener nichts weniger als der Sieg vorgesehen ist.
Widerspruch wird nicht geduldet. Die italienische Mannschaft spielt in schwarzen Trikots
und gewinnt das ­Finale erst in der Verlängerung.
Jeder Spieler ­erhält 20 000 Lire Preisgeld. Ein
Jahr später führt Mussolini die Italiener in den
Zweiten Weltkrieg, die WM wird erst 1950 wieder
ausgetragen.
T H E F I FA W E E K LY
Die Azzurri schreiben eines
der schönsten Märchen der
Fussballgeschichte. Nachdem
Italien in der V
­ orrunde kein einziges Spiel gewinnen kann und sich nur aufgrund eines erzielten Treffers mehr als Gruppenzweiter hinter
Polen für die Zwischenrunde qualifizieren kann,
tobt die Polemik um das italienische Team
vor dieser WM so schlimm, dass die Azzurri
zum Presseboykott ausholen und den wenig
gesprächigen Dino Zoff zum Pressesprecher
­
­küren. Paolo Rossi schiesst am kraftvollsten
­zurück und steigt mit sechs Treffern zum Torschützenkönig auf – nachdem er zuvor mit einer
Sperre wegen Totobetruges und Gerüchten um
seine angebliche Homosexualität zermürbt worden war. Die Mannschaft von Enzo Bearzot ist
das beste Team der WM und besiegt Argenti­
nien mit Maradona (2:1), Brasilien mit Zico (3:2),
Polen mit Boniek (2:0) und schliesslich im Fi­nale
Deutschland mit Rummenigge (3:1).
2006
fährt eine Mannschaft zur
WM in Deutschland, die in
den Augen der Italiener zu alt
und korrupt ist. Der Calciopoli-Skandal hat das
Vertrauen der Fans in die Azzurri zerstört – ein
Grossteil der Italiener spricht sich im Vorfeld
dieser WM dafür aus, dass die Mannschaft zu
Hause bleibt, nachdem Schiedsrichterabsprachen in der Serie A zu Tage gekommen sind. Im
Zentrum des Skandals stehen Juventus und die
Söhne von Nationaltrainer Marcello Lippi und
Juve-Generaldirektor Luciano Moggi. Juventus
wird nach zwei gewonnenen Meisterschaften in
die Serie B zurückgestuft. Bei der WM zeigen die
Italiener perfekten Defensivfussball. Das Finale
gegen Frankreich gewinnt Italien im Elfmeterschiessen. Zuvor war Zidane in der Verlängerung
wegen eines Kopfstosses gegen Marco Materazzi vom Platz gestellt worden. Å
Franco Nicolussi
13
U -17 - F R A U E N - W M C O S T A R I C A
→ http://www.fifa.com/u17womensworldcup
Ein Sieg für den Frauenfussball
Die U-17-WM der Frauen in Costa Rica hat sich
als Schaubühne für den Frauenfussball erwiesen.
209 658 Zuschauer strömten in der Gruppen­
phase in die Stadien – ein neuer Rekord
“W
Abeer Elsayed, San José
Jamie McDonald / FIFA via Getty Images
ir haben nicht erwartet, dass das
Niveau so hoch sein würde. Wir
sehen den Frauenfussball jetzt in
einem ganz anderen Licht und
werden die Entwicklung dieser
jungen Spielerinnen verfolgen.”
Das sind die Worte eines der vielen Fans, mit
denen die FIFA in den Stadien gesprochen hat.
Unter den befragten Zuschauern ist auch
Esteban, ein Student, der sich ein Spiel im Esta­
dio Nacional in San José angeschaut hat. “Vor
dieser Weltmeisterschaft habe ich noch nie
Frauenfussball gesehen”, sagt er beim Ver­
lassen des Stadions. “Ich bin gekommen, um
Venezuela zu unterstützen, weil ich finde, die
Venezolanerinnen waren hier bis jetzt gemein­
sam mit Nigeria das beste Team. Es hat wirk­
lich Spass gemacht, beiden Mannschaften zu­
zuschauen.”
“Dasselbe Niveau wie die Jungs”
Paola Ramirez, ebenfalls eine Anhängerin des
Frauenfussballs, kann ihm da nur zustimmen:
“Ich hätte nicht gedacht, dass Mädchen auf
demselben Niveau spielen können wie die
Jungs”, meint sie lachend, “aber ich bin jetzt
wirklich begeistert vom Frauenfussball. Ich
fand Spa­n ien und Japan beeindruckend, aber
ich werde stets Venezuela unterstützen.”
Doch nicht nur in San José zeigten sich die
Leute begeistert. Adrian, ein 29-jähriger Fan
des Teams von Herediano, das in der costa-­
ricanischen Meisterschaft zurzeit den zweiten
Platz belegt, wurde während der WM sogar
eines besseren belehrt. “Ich war wirklich nicht
sonderlich begeistert davon, Mädchen beim
Fussballspielen zuschauen zu müssen”, gibt er
zu. “Ich muss allerdings sagen, dass mich ihre
Leistungen beeindruckt haben, insbesondere
die der japanischen Mannschaft. Ich habe
­K arten bekommen und bin heute extra herge­
kommen, um die Japanerinnen spielen zu
­sehen.” Adrian hat während des Turniers eine
Lieblingsspielerin gefunden: “Deyna Castella­
nos ist unglaublich für ihr Alter. Ich werde ver­
suchen, sie für unser Team unter Vertrag zu
nehmen”, scherzt er.
“Die Stars von morgen”
Die U-17-Frauen-Weltmeisterschaft ist seit je
eine Schaubühne für talentierte Nachwuchs­
spielerinnen. Costa Rica 2014 ist da keine Aus­
nahme, und Castellano, Gloriana Villalobos, die
beiden Garcias – Nahikari and Gabriela – und
Marie Levasseur sind nur einige Beispiele für
aufstrebende Stars, die die Fans mit ihrer her­
ausragenden Technik zu beeindrucken wissen.
“Es macht sehr viel Spass, Villalobos und
Castellano beim Fussballspielen zuzuschauen,
und ich glaube, die beiden haben eine strahlen­
de Zukunft vor sich”, sagt Rafael Romano, ein
einheimischer Ladenbesitzer, der sich die Auf­
taktspiele im Fernsehen anschaute und davon
so angetan war, dass er beschlossen hat, ins
Stadion zu gehen.
Das Turnier hat auch die Träume der 12-jäh­
rigen Pamela beflügelt, die im Stadion war, um
Italien anzufeuern und Manuela Giugliani in
Aktion zu sehen. “Ich möchte eines Tages Fuss­
ballprofi werden und für Costa Rica spielen”, sagt
die erklärte Anhängerin von Lionel Messi und
Neymar. “Das wird aber noch etwas dauern.” Å
Teilnehmende Verbände
16
Finalspiel
Japan – Spanien
(am 4. April) in San José
Siegesserie
Japan mit fünf Spielen
ohne Niederlage
Zuschaueraufkommen
in der Gruppenphase
209 658 Besucher
Treffer pro Spiel
3,43
Dynamik und
Spielfreude
Barbara Serrano
(Venezuela; links)
im Spiel gegen die
Gastgeberinnen.
T H E F I FA W E E K LY
15
BLICK IN DIE LIGEN
N
Russland: Premjer-Liga
Zenit fokussiert das
Duell am 2. Mai
Sven Goldmann ist Fussball­
experte beim “Tagesspiegel” in
Berlin.
Langsam löst sich die
­A nspannung bei Zenit
­St. Petersburg, diese rätselhafte Frühjahrs­
müdigkeit, die den von Gazprom finanzierten
Klub zum Beginn des neuen Fussballjahres in
der Premjer-Liga befallen hatte. Die Unruhen
rund um die Entlassung des italienischen
Trainers Luciano Spalletti waren nur allzu gut
vom Tableau abzulesen: Erst ein Unentschieden daheim gegen Tom Tomsk, dann eine
Niederlage bei ZSKA Moskau. Russlands
oberster Fussballfan Wladimir Putin dürfte
mit einiger Irritation verfolgt haben, was sich
da bei seinem Lieblingsverein tat.
Seit der Rekrutierung des Portugiesen André
Vilas-Boas für den Job auf der Trainerbank
aber geht es wieder aufwärts. Dass die Tabellenspitze nach zuletzt zwei Siegen gegen
Krylja Sowjetow Samara und Ankar Perm nur
noch einen Punkt entfernt ist, haben die
Petersburger aber auch dem mangelnden
Geschick der Konkurrenz zu verdanken.
Im Gipfeltreffen des 23. Spieltages reichte es
für Tabellenführer Lokomotive gegen den
Moskauer Ortsrivalen Spartak nur zu einem
0:0. Die permanente Überlegenheit der
Eisenbahner zeitigte nur zwei Pfostenschüssen
durch Sergej Tkatschew und Alexander
Samedow. Fünf Minuten vor Schluss durfte
noch Lokomotives einstiger Weltstar Roman
Pawljutschenko auf den Platz, doch auch ihm
gelang nichts mehr.
Für Zenit war der Sieg im Fernduell mit
Lokomotive allerdings nur ein kleines Licht
in diesem ansonsten doch sehr dunklen
Frühjahr. Das Prestige gibt es woanders zu
gewinnen. Auf höchstem europäischen
Niveau sind die russischen Klubs im Allgemeinen und die Petersburger im Besonderen
immer noch nicht ebenbürtig. Das liegt nicht
nur, aber auch an einem geografisch bedingten Wettbewerbsnachteil. Der russische
Winter lässt von Anfang Dezember an drei
Monate lang keinen Spielbetrieb zu. Das
verträgt sich nicht gut mit den Playoffs in der
Champions League, die ihre erste Runde stets
für Mitte Februar anberaumt. Ohne Wettkampfpraxis ist dort nichts zu holen. Diese
16
S
I
D
E
“Für ihr schönes Geld bekommen
die russischen Klubs zumeist
nur internationale B-Prominenz.”
Erfahrung machte Zenit in diesem Jahr aufs
Neue – diesmal gegen Borussia Dortmund.
Das Weiterkommen wurde schon durch eine
2:4-Niederlage daheim im Hinspiel verspielt.
Da half auch ein 2:1-Sieg im Rückspiel nichts,
obwohl den Petersburgern dabei das selten
erlebte Kunststück gelang, die Dortmunder
Fans zum Auspfeifen ihrer eigenen Mannschaft zu animieren.
Das kann aber natürlich nicht der Anspruch
der kostspieligen Teams der ehemaligen
Sowjetunion sein. Seit langem schon wird
Zenit und ZSKA und Spartak und Lokomotive ein Aufstieg in höchste europäische
Sphären vorausgesagt. Doch für ihr schönes
Geld bekommen die russischen Klubs zumeist nur internationale B-Prominenz:
Spieler wie Lassana Diarra (Lokomotive),
Lucas Barrios (Spartak), Keisuke Honda
(ZSKA) oder Hulk (Zenit).
Zenit, im vergangenen Jahr in der Premjer-­
Liga nur Zweiter hinter ZSKA, muss nun die
Saison halbwegs retten – mit einer Rückkehr
auf den russischen Thron. Gelegenheit dazu
bietet sich am 2. Mai: Drei Runden vor
Schluss reisen die Petersburger zum mutmasslich die Meisterschaft entscheidenden
Duell ins Moskauer Lokomotiv-Stadion. Å
Obenauf Miguel Danny (FC Zenit; r.) gegen Reginal Goreux (FC Krylja Sowjetow Samara). Das Spiel endete 2:1.
T H E F I FA W E E K LY
Imago
I
Freudenschrei Stürmer Bryan Rochez (Real España) ist in Topform.
Liga Nacional
Alle gegen die
Löwen
Nicola Berger schreibt über den
honduranischen Fussball.
Orlando Sierra / AFP Photo
Olimpia gegen Marathon, das
ist in Honduras eine grosse
Sache: Teguci­galpa gegen San
Pedro Sula, die “Löwen” gegen das “grüne
Monster”, darum geht es im Superclásico. Für
Rekordmeister Olimpia endete das ewige
Duell am Sonntag unerfreulich: Vor heimischem Anhang ging das Team des Technikers
Danilo Tosello mit 0:3 unter.
Die Schmach kam überraschend, Marathon
hatte die Apertura noch auf dem letzten Platz
abgeschlossen, ist akut abstiegsgefährdet und
war erst am 22. März zu Hause von Real
­España mit 1:6 gedemütigt worden. Marathon
plagen zudem andere Sorgen. Das von der
Armut geplagte San Pedro Sula gilt als gewalttätigste Stadt der Welt und verzeichnete 2013
einen traurigen Rekord: Nirgendwo sonst war
die Mordrate höher.
In der 1000 Meter über Meer gelegenen Hauptstadt Tegucigalpa gibt es gleichfalls soziale
und sportliche Brennpunkte, die Fans können
sich aber immerhin damit trösten, dass
Olimpia das Klassement zwei Runden vor dem
Ende der Qualifikation anführt. Der Ligaprimus hat gute Chancen, sich für den Gran
Final, das zweiteilige Endspiel um den Titel
vom ersten Mai-Wochenende, zu quali­fizieren.
Der 28. Titelgewinn wäre nichts als logisch;
das ursprünglich als Baseball-Team gegründete Olimpia hat vier der letzten fünf Meisterschaften für sich entschieden und stellt
abermals die beste Equipe. Die härtesten
Konkurrenten sind das noch titellose Real
Sociedad mit Goalgetter Ronny “Ronigol”
Martinez (25, 23 Saisontore) und der in San
Pedro Sula angesiedelte Apertura-Champion
Real España mit dem hoch veranlagten
T H E F I FA W E E K LY
Angreifer Bryan Rochez (19, bereits 20 Saisontore). Sollte Rochez dem favorisierten Olimpia
den Titel entreissen, es würde nicht einer
gewissen Ironie entbehren: Das Talent
stammt aus Tegucigalpa.
Rochez dürfte sein Glück bald anderswo
versuchen. Wie vielen zentralamerikanischen
Meisterschaften fehlt es auch dem honduranischen Fussball an Infrastruktur und
Finanzkraft. Die wichtigsten Nationalspieler
des WM-Teilnehmers sind Emilio Izaguirre
(27, Celtic Glasgow) und Maynor Figueroa
(30, Hull). Beide haben die Liga Nacional
längst verlassen. Zumindest Letzterer dürfte
den Superclásico indes auch von seinem
britischen Exil aus verfolgt haben: Bis 2008
hatte er selber für Olimpia gewirkt. Å
17
KUNSTRASEN-BOOM
Vorteil
Kunstrasen
I
n den 1960er Jahren erlebte die Welt des
Sports eine kleine Revolution: in den USA
wurde eine ganze Reihe Kunstrasenplätze
gelegt. Der erste wurde im April 1966 im
Houston Astrodome für die Austragung
von Baseball­spielen eingerichtet, wenige
Jahre später fand auf dieser Unterlage eine Super Bowl statt, und alle Feldhockey-Begegnungen der Olympischen Spiele von Montreal 1976.
Der Fussball verfolgte diese Initiative mit
grossem Interesse. Mehrere Klubs in Europa
beschlossen, in diesen Belag zu investieren,
insbesondere in den skandinavischen Ländern. Die Vorteile sind vielseitig: Zum einen
die Unabhängigkeit vom Wetter und die Beständigkeit in schwierigen klimatischen Bedingungen. Zum anderen ist es die einzige
Lösung für überdachte Stadien, die im Schatten hoher Tribünen liegen. Zudem ist die Pflege
weniger zeitintensiv und kostengünstiger, und
die Unterlage ist für die Austragung verschiedenster Ereignisse geeignet, ob für Fussballspiele oder kulturelle Veranstaltungen.
Diese Vorteile überzeugten auch die FIFA,
die heute den Bau von Kunstrasenplätzen fördert. Im Februar 2001 führte der Weltfussballverband ein Qualitätskonzept sowie das Siegel
“FIFA Recommended” ein, das sich als international anerkannte Norm etablierte. Tests im
18
Labor und auf dem Platz zeigten die Widerstandskraft, die Unveränderlichkeit oder die
positive Wechselwirkung mit dem Spieler. 2004
beschloss das International Football Association Board (IFAB), die Kunstrasenplätze in die
Spielregeln aufzunehmen.
Gewiss, die Kunstrasenplätze bieten Angriffsfläche für Kritik. Puristen werden den
Geruch des Rasens und den Kontakt mit der
Natur vermissen. Auch wurde der Vorwurf laut,
die Kunstrasenplätze seien schädlich für die
F IFA - QUALI TÄT SPRO G R AMM
F ÜR KUN S T R A SEN
Star t: 2001
Entwicklung FIFA zer tifizier ter
Felder:
2007: 110; 2013: 1587, davon:
AFC: 142, C AF: 83, CONC AC AF: 111,
CONMEBOL: 30, OFC: 20, UEFA: 1201
Hersteller: 30, die die hohen Anforde ­
rungen er füllen, davon neun “FIFA
Preferred Producer ”.
Nutzung von Kunstrasen:
WM Qualifikationsspiele, UEFA-Cham­
pions-League, Seria A (Italien), Ehrendivi­
sion (Niederlande), Ligue 1 (Frankreich),
Premjer Liga (Russland), FA Cup (England;
siehe The FIFA Weekly 28. März).
T H E F I FA W E E K LY
Gesundheit der Sportler oder für die Umwelt,
weil der Plastikrasen Farbstoffe und Zusätze
enthält. Um die eigenen Anforderungen, insbesondere bezüglich der Qualität der Kunstrasenplätze für den Spitzenfussball weiter zu verschärfen, entwickelte die FIFA 2004 ein neues
Siegel: “FIFA 2 Star RECOMMENDED”. 2009
wurde die Initia­tive “FIFA Preferred Producer
Initiative” gestartet, deren Ziel es ist, das System in jeder Etappe seines Lebenszyklus zu
verbessern: von der Produktion über die Installation des Kunstrasens bis zur Wartung.
Der technologische Fortschritt und die Investitionen in Forschung und Entwicklung
machten es möglich, einige der Schwächen zu
beseitigen. Insbesondere die grösste Befürchtung, nämlich die Sicherheit der Spieler, konnte
durch wissenschaftliche Studien zerstreut werden. Mehrere Studien belegen, dass die Unfallzahl auf Kunstrasen ungefähr derjenigen auf
Naturrasen entspricht und die Schwere der Verletzungen nicht vom Spieluntergrund abhängt.
Letztlich fand der Kunstrasenplatz im Verlauf der letzten 15 Jahre nach und nach Eingang in die Gewohnheiten des Fussballs. Å
Stu Forster/Getty Images
Xavier Breuil
Schritt in die Zukunft
Der Kunstrasen ist mehr
als nur eine Alternative
zum natürlichen Spiel­
untergrund.
C O U N T D O W N B R A S I L I E N 2 0 14 : N O C H 6 9 T A G E
→ http://www.fifa.com/worldcup
Festival der Hoffnung
Die WM-Endrunde in Brasilien ist nicht nur die Bühne der
Besten des Sports. Sie bietet auch die perfekte Gelegenheit,
den Fussball als sozialen Faktor zu fördern.
Honey Thaljieh, Thomas Renggli
A
ls Dachorganisation des Weltfussballs
spielt die FIFA eine soziale Schlüssel­
rolle. Das Programm Football for
Hope gehört zu den wichtigsten Inst­
rumenten in diesem Bereich. Es unter­
stützt Projekte, die Fussball und
so­
z iale Entwicklung verbinden – durch
fi nanzielle Mittel, Know-how, Ausrüstung
­
oder Schulungen zu Themen wie Finanzmit­
telbeschaffung, vernetztes Arbeiten, persön­
liche Entwicklung und Kommunikation.
Wenn im kommenden Juli die WM-End­
runde in ihre entscheidende Phase geht, rückt
auch Football for Hope ins Scheinwerferlicht.
Anlässlich des Football-for-Hope-Festivals
treffen sich 32 Teams von 15- bis 18-Jährigen
aus der ganzen Welt, um ihre Gedanken aus­
zutauschen und Erfahrungen zu teilen. Die
Teilnehmenden kommen aus sozial engagier­
ten Organisationen und feiern in Rio de Jan­
eiro ihre erreichten Ziele und demonstrieren
die soziale Kraft des Fussballs – auf wie auch
neben dem Platz. Sie demonstrieren im Klei­
nen, welch ­integrative Wirkung der Fussball
im Grossen haben kann. Der Sport, der Völker
verbindet und die Brücke zwischen nationalen,
religiösen und ethnischen Grenzen schlägt.
Im Rahmen dieser sozialen WM messen
sich Teams mit je drei Spielerinnen oder Spie­
lern im sportlichen Wettkampf. Im Zentrum
stehen aber nicht Leistungsgedanken und
Resultate, sondern das Vermitteln der sozia­
len Entwicklung durch Fussball und der
G edankenaustausch durch interkulturelle
­
Begegnungen – Teambildung auf natürliche
und spielerische Art. Schiedsrichter kommen
in diesen freundschaftlichen Vergleichen
nicht zum Einsatz. Bei strittigen Situationen
müssen die Spieler vermitteln und schlich­
ten – quasi Entscheidungen auf diplomati­
schem Parkett fällen, um den Zugang zum
Fair Play selbstständig zu finden. Fussball
kann als erzieherisches Mittel dienen – ohne
dass der Mahnfinger gehoben oder eine Gelbe
Karte gezeigt wird. Auch für diesen Gedan­
ken ist die WM die ideale Plattform. Å
Felipe Dana /AP Photo
Spielfreude Fussball kann
Kinder in der persönlichen
Entwicklung fördern und helfen,
Grenzen zu überwinden.
T H E F I FA W E E K LY
19
First Love
Or t: Rom, Italien
D at u m : 2 7. Au g u s t 2 0 1 2
Zeit: 15.05 Uhr
Tino Soriano / NGC
T H E F I FA W E E K LY
21
DEBAT T E
Geste mit grosser Wirkung
Fussball verbindet und
integriert. Mit dem
Handshake for Peace
will die FIFA diesen Gedanken akzentuieren.
“S
Thomas Renggli, Honey Thaljieh
port hat die Macht, Menschen zu inspirieren und zusammenzuführen. Er
ist das perfekte Mittel, um Fair Play
und Gerechtigkeit zu propagieren.”
Diese Worte stammen von Nelson
Mandela. Sie müssen für das Geschehen auf den Fussballplätzen mehr Gewicht
­haben als jede taktische Anweisungen oder
technische Finte. Denn sie zeigen, welche Rolle
der Fussball spielen kann – auch in Konflikt­
zonen wie Palästina, Zypern oder dem früheren
Jugoslawien, wo die Gesprächsbereitschaft der
rivalisierenden Parteien auch durch den Fussball wieder in Bewegung kommt.
Am kommenden Sonntag, dem 6. April,
wird der Internationale Tag des Sports für Entwicklung und Frieden begangen. Initiiert von
der Non-Profit-Organisation Peace and Sport
wurde er auf Empfehlung des Internationalen
Olympischen Komitees im August 2013 von den
Vereinten Nationen ins Leben gerufen.
22
Handshake for Peace Der Südafrikaner Aron Mokoena (l.) und der Norweger Morten Gamst Pedersen an
der Nelson Mandela Challenge 2009.
damals die Ehre als Gastnation zuteil, weil das
Land im Kampf gegen die Apartheid als Vermittler eine entscheidende Rolle gespielt hatte
und es die Heimat des (1993 an Nelson Mandela verliehenen) Friedensnobelpreises ist. Nach
dem Spiel reichten sich der Südafrikaner Aron
Mokoena und der Norweger Morten Gamst Pedersen beim Trikottausch die Hand – und zwar
nach afroamerikanischer Art (Jiveshake). “Bei
dieser Form des Handschlags schauen sich die
Menschen direkt in die Augen – und kommen
sich näher als beim normalen Händeschütteln,”
sagt F
­ IFA-Präsident Blatter.
Das Bild, das um die Welt ging
Der norwegische Fotograf Trond Tandberg
hielt den symbolträchtigen Moment mit seiT H E F I FA W E E K LY
ner Kamera fest. Das Bild ging um die Welt.
Heute steht es für ein Ereignis, das die Welt
ein klein wenig besser machte. Dank der Kampagne Handshake for Peace soll es die Botschaft weiterverbreiten. Mit 265 Millionen
aktiven Fussballern und 209 Mitgliederverbänden (16 mehr als die Uno) kann die FIFA
ihren B
­ eitrag dazu leisten. Å
Trond Tandberg
Bestandteil des Spielprotokolls
Dieser Tag soll ein Zeichen für die integrative
Wirkung des Sports setzen. Unabhängig davon
sendet die FIFA mit der Kampagne Handshake
for Peace ein weiteres starkes Signal. Die anlässlich des FIFA-Kongresses 2012 in Budapest
geborene Idee wurde in den vergangenen Monaten konkretisiert und ist an FIFA-Turnieren
mittlerweile fester Bestandteil des Spielprotokolls. Nach jeder Partie versammeln sich die
beiden Kapitäne sowie die Schiedsrichter zu
dieser symbolischen Geste.
Die ersten Überlieferungen von Handschlägen gehen auf die alten Griechen im fünften
Jahrhundert vor Christus zurück. Der ­Ursprung
des Handshake for Peace liegt in einer Initaitve
des norwegischen Fussballverbandes und dem
Nobel Peace Center. Sie führte zur Nelson Mandela Challenge, einem jährlich stattfindenden
Benefizspiel, das die Bedeutung des Fussballs
als Friedenssymbol in Südafrika demonstriert
und 2009 zwischen Südafrika und Norwegen in
Rustenburg ausgetragen wurde. Norwegen kam
DEBAT T E
PRESIDENTIAL NOTE
Sport verfügt über die einzigartige und
unersetzliche Fähigkeit, Menschen zu
verbinden und überwindet dabei grosse
ethnische, religiöse und soziale Differenzen.
Ich bin überzeugt, dass der Sport dem Frieden
langfristig dienen kann.
nationale Tag des Sports für Entwicklung und
Frieden. Vielen Dank, dass sie uns dabei
unterstützen, durch den Sport positive
Veränderungen zu erreichen!
Prinz Albert von Monaco
Die Kraft des Sports ist grenzenlos. Tag für
Tag wird das Leben der Menschen durch
Sport bereichert, denn der Sport fördert
Teamgeist, soziale Interaktion und natürlich
auch einen gesunden Körper und Geist. Ich
fordere alle dazu auf, auf diejenigen zu
achten, die keinen oder nur einen beschränkten Zugang zum Sport haben, und zu versuchen, die Hindernisse zu beseitigen, die deren
Teilnahme im Wege stehen. Es ist unsere
gemeinsame Verantwortung, den Sport für
alle zugänglich zu machen. Ich hoffe, dass
wir durch diesen Internationalen Tag das
Bewusstsein dafür schärfen können, dass
jeder die Möglichkeit bekommen muss, die
Vorzüge des Sports zu erleben.
“Sportliche
Solidarität
kann sehr
hilfreich sein.”
Die beiden Atommächte Indien und
­Pakistan standen vor zehn Jahren kurz vor
einer militärischen Konfrontation. Das in
beiden Ländern als Nationalsport praktizierte
Cricket konnte die angespannte Situation
entschärfen: Das indische Nationalteam, das
auch Tausende von indischen Fans mitbrachte, ging für einige Wochen auf Pakistan-Tour
und spielte gegen pakistanische Mannschaften. Im Gegenzug besuchte das pakistanische
Nationalteam wenig später, begleitet von
Tausenden von pakistanischen Fans, Indien
und spielte gegen dessen Mannschaften. Auf
diesem Weg kamen sich die beiden Nationen
diplomatisch wieder näher.
Adolf Ogi, Alt Bundesrat, Schweiz
Sportliche Solidarität kann sehr hilfreich
sein, wenn es darum geht, Frieden zu
stiften, wo er am dringendsten benötigt
wird. Der 6. April 2014 ist der erste Inter­
Paula Radcliffe, britische Langstreckenläuferin
Wilfried Lemke, UN-Berater für Sport
im Dienste von Frieden und Entwicklung
Alles, was ich über Moral und Verpflichtungen weiss, verdanke ich dem Fussball.
Albert Camus, französischer Schriftsteller
Durch die Einführung des 6. April als
Internationaler Tag des Sports für Entwicklung und Frieden würdigen die UN und das
IOC die einzigartige Rolle des Sports in
unserer Gesellschaft und die damit einhergehenden konstruktiven und positiven
Werte. Während des gesamten Jahres leisten
alle Beteiligten enorme Arbeit, oftmals unter
sehr schweren Bedingungen. Dieser Tag ­
dient als Anerkennung und Förderung ihrer
Leistungen. Wir haben die Website
www.april6.org eingerichtet, um den verschiedenen Akteuren eine Plattform zu bieten, auf
der sie ihre Aktionen der breiten Öffentlichkeit vorstellen können. Auch Sport-Champions spielen dabei eine grosse Rolle, denn als
Vorbilder können sie zahlreiche Menschen
motivieren, selbst mitzumachen. Der 6. April
muss sich als wichtiges Datum für die Schaffung von Frieden durch Sport etablieren. Das
ist einer der Eckpfeiler unserer Bewegung.
Joël Bouzou, Präsident und Gründer
Die Friedens­
botschaft
D
er Handschlag ist eine der stärksten zwischenmenschlichen Gesten. Er steht für
Respekt, Anstand, Ehrerweisung – quasi
eine Friedensbotschaft im kleinsten Rahmen.
Ich durfte vielen grossen Persönlichkeiten die
Hand reichen. Am besten ist mir der Hand­
shake mit Nelson Mandela in Erinnerung
­geblieben. Es war ein unvergesslicher Akt der
Energie- und Gedankenübertragung.
Die FIFA hat mit dem Nobel-Friedenszentrum in Oslo eine Vereinbarung getroffen, die
dazu beitragen soll, die Friedensbotschaft noch
stärker in die Welt zu tragen. Im Zentrum steht
der Handshake for Peace. Anlässlich der KlubWM 2013 in Marokko war er erstmals ein fester
Bestandteil des Spielprotokolls. In Brasilien soll
er ein noch stärkeres Zeichen setzen. Er zeigt,
dass selbst sportliche Wettkämpfe auf höchstem Niveau friedlich und respektvoll enden.
Ich bin überzeugt, dass diese Botschaft weit
über das Turnier in Brasilien hinausgeht.
Wir laden alle Spielführer ein, sich nach der
Partie zusammen mit dem gegnerischen Kapitän und dem Spielleiter zum Handschlag für
den Frieden zu treffen – an jener Stelle, wo vor
dem Kickoff die Münze geworfen wird.
Ein Fussballspiel mag mit dem Schlusspfiff
enden. Unser Kampf für Frieden, Integration
und soziale Gerechtigkeit geht dann aber erst
richtig los. Ich bitte deshalb die globale Fussball-Gemeinde, diese Idee zu unterstützen und
mitzuhelfen, dass die Friedensbotschaft um die
ganze Welt geht – nicht nur während 90 Minuten, sondern 24 Stunden – an 365 Tagen.
von “Peace and Sport”
“Die Kraft des Sports
ist grenzenlos.”
Ihr Sepp Blatter
T H E F I FA W E E K LY
23
A FIFA World Cup
in Brazil is just like Visa:
everyone is welcome.
™
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F L Ü C H T L I N G S L A G E R Z A ’A T A R I
Momente des Glücks
Auf der Flucht Das syrische
Mädchen Rama steht stell­
vertretend für Tausende von
Kindern im Camp Za’atari.
Mutassem Malkawi
Im jordanischen Flüchtlingslager Za’atari, unmittelbar an der Grenze zu Syrien,
versuchen Tausende Kinder, ihre traumatische Vergangenheit für ­einen
­kurzen Moment zu vergessen. Der Fussball spielt dabei eine zentrale Rolle.
T H E F I FA W E E K LY
25
F L Ü C H T L I N G S L A G E R Z A ’A T A R I
Andrew Warshaw
D
ie neunjährige Rama lächelt bei der
­Begrüssung und streckt freundlich die
Hand aus. “Ich freue mich, dass Sie da
sind, um uns zuzusehen!”, sagt sie auf
Arabisch, bevor sie wegrennt, um die
Grundlagen von Passen, Dribbling,
­Torschuss und Zusammenspiel zu erlernen.
Fussball gilt in vielen Ländern inzwischen
als “Big Business”, in dem es um viel Geld geht
und das bis in den letzten Winkel kommerzialisiert ist. Doch in den jordanischen Flüchtlingslagern unmittelbar an der Grenze zu Syrien dient
der beliebteste Sport der Welt ganz anderen Zwecken: Er verändert sprichwörtlich das Leben
vieler ­Tausender entwurzelter und traumatisierter Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten – und möglicherweise nie zurückkehren
können. Das grösste dieser Flüchtlingslager ist
Za’atari. Etwas mehr als eine Autostunde von der
Hauptstadt Amman entfernt, haben sich Hunderttausende Flüchtlinge über die zwölf Kilometer ­entfernte syrische Grenze hierher gerettet,
um den verheerenden Kämpfen in ihrer Heimat
zu entkommen. Dicht an dicht stehen Zelte und
Wohncontainer. Über die Hälfte der so untergebrachten über 100 000 Menschen sind Kinder. In
Za’atari leben etwa 30 Prozent der syrischen
Flüchtlinge auf jordanischem Boden. Es ist die
weltweit drittgrösste Ansiedlung dieser Art
überhaupt und in mancherlei Hinsicht ein Ort
der Verzweiflung. Jeder hier hat Verwandte oder
Freunde verloren.
Ein Ort der Inspiration
Das ist aber nur die eine Seite von Za’atari. Denn
das Camp ist dank des unermüdlichen Einsatzes
internationaler Hilfsorganisationen und eines
Programms des gemeinnützigen Asian Football
Development Project (AFDP) auch ein Ort der
Inspiration. Ins Leben gerufen wurde es von FIFA-Vizepräsident und Chef des ­jordanischen
Fussballverbandes Prinz Ali Bin Al Hussein mit
Unterstützung des norwegischen Fussballverbands. Im Rahmen des Norway Football Fields
Project schenkten beide Parteien dem Flüchtlingslager Za’atari zwei Fussballfelder. Sechs
weitere wurden in der Umgebung angelegt.
Dreimal in der Woche wird trainiert, einmal
im Monat gibt es ein kleines Fest und Turniere
für die verschiedenen Altersklassen, die von
­geschulten Aufsichtspersonen und ausgebildeten Trainern geleitet werden. Teils zum Schutz
vor Wiedererkennung und teils aus kulturellen
Gründen sind Fotoaufnahmen verboten. Einzige
Ausnahme sind Anlässe von Mädchen unter
13 Jahren wie derjenige, der während meines
jüngsten Besuchs in vollem Gange war.
Auf einem improvisierten, steinigen Feld,
das kaum grösser ist als ein kleiner Schulspielplatz und mit dicken Zeltplanen vor allzu neugierigen Blicken abgeschirmt wurde, haben sich
über 70 Mädchen aufgestellt. Viele von ihnen
26
laufen barfuss oder allenfalls auf S
­ ocken, keines
hat eine richtige Fussballmontur. Die Mannschaften unterscheiden sich durch verschiedenfarbige Leibchen. Dann wird eine Stunde lang
munter trainiert. Der Enthusiasmus und die
Unbeschwertheit sind ansteckend.
“Mach ein Bild von mir”
Der Andrang für das Training ist so gross, dass
nicht alle Mädchen mitmachen können. Viele
der teils unter 8-Jährigen sitzen deshalb dicht
­gedrängt auf Betonbänken direkt am Spielfeldrand. Einige haben überhaupt keine Berührungsängste mit einem Fremden und wollen
sogar ausdrücklich fotografiert werden. “Mach
ein Bild von mir, ich will bei Al-Jazeera gezeigt
werden!”, bekommen die Journalisten zu hören. Andere drücken sich schüchtern weg und
schauen verwirrt.
Ausser den drei
Stunden Schul­
unterricht gibt es
in der staubigen
Halbwüste wenig
Abwechslung.
Neben dem Fussball haben die Flüchtlingskinder, die meist aus der syrischen Stadt
Daraa und Umgebung stammen, wenig Grund
zur Freude. Ausser den drei Stunden Schulunterricht täglich, die inzwischen im ganzen
Lager eingeführt wurden, gibt es in der staubig-steinigen Halbwüste nicht viel Abwechslung. Für Prinz Ali ist die Einführung von
Fussball in dem Flüchtlingslager auch aus
diesem Grund eine grosse Leistung. Vieles
habe sich zum Positiven verändert. Denn soziale Verantwortung hat mittlerweile auch im
modernen Fussball Einzug gehalten, sodass
immer mehr Vereine dem Sport etwas zurückgeben wollen. Doch nirgendwo ist sozialer
Zusammenhalt, wie ihn der Fussball bewirkt,
so wichtig wie in Za’atari. “Die Flüchtlinge
werden mit allem Nötigen ­versorgt, aber letztlich haben gerade die Kinder in ihrer freien
Zeit nichts zu tun”, weiss Prinz Ali. “Fussball
ist deshalb Beschäftigung, Unterricht in
Teamwork und Gesundheitsvorsorge zugleich.
Zudem werden sie eine Weile von dem abgelenkt, was sie in ihrer Vergangenheit erlebt
haben. Es geht um die menschlichen Aspekte
des Fussballs, die manchmal ausser Acht gelassen werden. Einige Flüchtlinge sind bei
T H E F I FA W E E K LY
ihrer Ankunft mit Steinen beworfen worden.
Fussball hält sie von Drogen und Banden fern.
Es geht also nicht allein um den sportlichen
Wettkampf.”
In Za’atari kennt jeder jemanden, der zurückgelassen wurde. “Viele haben zerstörte
Dörfer, Tote und Verwundete gesehen”, berichtet AFDP-­Vorstand Merissa Khurma. “Die Leute
hier haben eine Menge durchgemacht. Gerade
die Kinder haben Dinge gesehen, die kein Kind
sehen sollte. Diese Verzweiflung sieht man auch
in ihren Augen. Aber wenn es um Fussball geht,
haben die Kinder plötzlich wieder Elan. Ihnen
eine Stunde lang ein Lächeln aufs Gesicht zu
zaubern, macht unglaublich viel aus.”
Jordanien ist dabei nicht das einzige Land,
im dem das AFDP tätig ist. Humanitäre Programme gibt es auch in Kambodscha, Malaysia
und auf den Philippinen. Bei allen liegt der
Schwerpunkt auf den Grundlagen des Fussballs und der Stärkung von Gemeinden. “Der
einzige Daseinszweck des AFDP ist letztlich,
mit Fussball Positives zu bewirken, dabei neue
Wege zu gehen und – wenn man so will – neue
Hoffnung zu geben”, so Khurma. “Die Botschaft ist dabei simpel: Man kann mit sehr
wenig sehr viel bewirken!”
Vom “Höllenloch” zur Heimat
Niemand weiss indessen besser, wie wichtig
Fussball für das Flüchtlingslager Za’atari geworden ist, als Kilian Kleinschmidt vom
Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen
(UNHCR). In seinem Büro, das eigentlich
nichts weiter als ein mittelgrosser Wohnwagen
ist, deutet der bullige und stets mitfühlende
Verwaltungschef des UNHCR auf eine Karte
des Camps, in dem mittlerweile wie bei einer
gut geölten Maschine ein Rädchen ins andere
greift. Mehrere Hundert Flüchtlinge gehen
stolz der Arbeit nach, die ihnen in Za’atari gegeben wurde. Das war jedoch nicht immer so.
“Vor einem Jahr haben die Leute zu diesem Ort
‘Höllenloch’ gesagt. Die Lage war sehr angespannt”, erzählt Kleinschmidt, der schon in
vielen Konfliktgebieten geholfen hat. “Wir hatten zwar sanitäre ­A nlagen und Unterkünfte,
was wir aber nicht notwendigerweise hatten,
war ein Zugang zu den Menschen. Es hat einige Zeit gedauert, bis sie verstanden haben, dass
wir sie nicht verhaften und in Folterkammern
stecken werden, dass wir ihnen ihre Würde
lassen wollen und sie bei uns eigene Entscheidungen treffen dürfen.” Laut Kleinschmidt
waren es vor allem die traumatisierten Kinder,
die die grössten Probleme in Sachen Disziplin
hatten. Fussball, glaubt er, hat ihrem Leben
wieder etwas mehr Halt gegeben. “Wenn man
diesen Kindern in die Augen blickt, sieht man
ganz oft Erwachsene”, sagt er. “Viele der Kinder haben keine Orientierung mehr und brauchen eine Form der Normalität. Zu Fussball
haben sie einen Bezug. Er gibt ihnen ihre Kindheit zurück.” Å
F L Ü C H T L I N G S L A G E R Z A ’A T A R I
FLÜCHTLINGSCAMP
ZA’ATARI
Za’atari ist ein
Flüchtlings­lager in
Jordanien und heute
Heimat von 106 073
Menschen (Stand 2. April
2014), die wegen des
anhaltenden Bürger­
kriegs in Syrien geflohen
sind. Mehr als die Hälfte
davon sind Kinder. Es ist
das zweit­grösste
Flüchtlings­c amp der Welt
und umfasst eine Fläche
von 3,3 Quadratkilome­
tern. Das Lager wurde
am 28. Juli 2012 eröffnet
und steht unter der
gemeinsamen Administ­
ration der jordanischen
Regierung und dem
Uno-Hochkommissariat
für Flüchtlinge (UNHCR).
Unzählige NGOs sorgen
für das Wohl der Men­
schen – von Behausun­
gen, über medizinische
Versorgung und Bildung
bis zu Wasser- und
Sanitärversorgung.
Thomas Koehler / photothek, Mandel Ngan / Keystone
Das Norway Football
Fields Project wird vom
Norwegischen Fussball­
verband in Zusammenar­
beit mit dem jordani­
schen Verband und dem
Asian Football Develop­
ment Project (AFDP) orga­
nisiert und hat Za’atari
zwei der acht Fussball­
feldern, die im Norden
Jordaniens finanziert
worden sind, geschenkt.
Ablenkung In Trainings und Turnieren
werden die Kinder unterhalten und
gefördert.
Baracken so weit das Auge reicht
Über 100 000 Menschen müssen
Za’atari vorübergehend als ihr neues
Zuhause akzeptieren.
T H E F I FA W E E K LY
27
emirates.com
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To new people, new ideas and new states of mind.
Here’s to reaching all the places we’ve never been.
Fly Emirates to 6 continents.
W E E K LY T O P 11
FREE KICK
Die ältesten
WM-Spieler
Vom Bambino
zum Nonno
Sarah Steiner
F
ür die einen beginnt mit 40 Jahren ihre
berufliche Laufbahn erst so richtig, für
die anderen ist sie dann bereits beendet.
Zwischen dem Spitzenfussball und dem
“normalen” Arbeits­
a lltag eines Bank­
kaufmanns oder einer Floristin finden
sich nicht viele Parallelen. Auch beim Einstiegs­
alter in den Beruf nicht. Bereits in jungen
­Jahren landen Nachwuchsfussballer auf der
Wunschliste der grossen Vereine. Erst letzten
Herbst hat Real Madrid den neunjährigen
­Japaner Takuhiro Nakai verpflichtet. Pipi, wie
der Junge mit Spitznamen genannt wird, wird
von den spanischen Medien als der neue
­Cristiano Ronaldo gehandelt. Und auch der FC
Barcelona steht den Königlichen in nichts
nach. Erst letzte Woche belegte die FIFA-Diszi­
plinarkommission den Verein wegen Transfers
minderjähriger Spieler mit einer hohen Geld­
strafe und einem Transferverbot.
Mit neun Jahren rannte Dino Zoff noch den
Hühnern auf dem väterlichen Bauernhof im
­norditalienischen Friaul hinterher. Zwar war er
schon seit seiner frühen Kindheit ein begeister­
ter Torhüter, der junge Dino mass aber mit
14 Jahren gerade einmal 1,60 Meter. Die Jugend­
abteilungen von Udinese Calcio und Inter Mai­
land lehnten dankend ab. Dino musste sich ­seine
Sporen bei Marianese, dem Klub seines Heimat­
dorfes, abverdienen und absolvierte ­nebenher
eine Ausbildung zum Automechaniker. Die hei­
mischen Hühner sollen der Legende nach aus
dem Bauernjungen Dino Nationale g
­emacht
­haben. Seine Grossmutter verordnete ihm eine
Eierkur – auf dem Speiseplan standen acht Stück
am Tag; der Bambino werde dann schon wach­
sen. Und tatsächlich: Weitere 22 Zentimeter
schaffte er bis zu seinem 19. Geburtstag.
1961 verpflichtete Udinese den Torwart.
Bis zum definitiven sportlichen Durchbruch
musste er sich weitere sechs Jahre gedulden.
Der Italiener avancierte dann aber zum besten
Torhüter, den die Squadra Azzurra je hatte.
Sechsmal gewann er die italienische Meister­
schaft, zweimal die Coppa Italia, e
­ inmal den
UEFA-Pokal. Dazu kamen 112 Einsätze für die
Nationalmannschaft und vier Weltmeister­
schaftsteilnahmen.
1982 krönte Zoff seine Karriere mit dem
WM-Titel – im Alter von 40 Jahren. Bis heute ist
er der älteste Weltmeister überhaupt. Seinen
Rücktritt erklärte “Nonno” (der Grossvater), wie
ihn seine Mitspieler nannten, mit den Worten:
“Es gibt eine Sache, gegen die ich nicht ankämp­
fen kann, und das ist das Alter.”
Gegen das Altern – besser gesagt das Älter­
werden – kann auch der kleine Pipi beim gros­
sen Real Madrid nichts tun. Bis aber seine Ge­
neration so weit ist, das Rückgrat der ganz
grossen Teams zu bilden, werden noch einige
Jahre ins Land ziehen. Pipi steht noch ganz am
Anfang seiner Laufbahn, vieles ist noch un­
gewiss. Und ob seine Karriere auch nur an­
nähernd so ­erfolgreich sein wird, wie die des
grossen Dino Zoff, steht in den Sternen. Nonno
wird für ihn wohl höchsten im fussballerischen
Geschichtsunterricht zum Thema werden.
Zoffs Durchhaltewillen und Biss hingegen wür­
den Pipi auf dem Weg zum Erfolg sicher helfen.
Und wer weiss, vielleicht hat auch der kleine
Junge eine Grossmutter, die ihm mit Tipps und
Tricks zur Seite steht. Å
Die wöchentliche Kolumne aus der
The-FIFA-Weekly-Redaktion
T H E F I FA W E E K LY
1
oger Milla, Kamerun
R
Turnier: WM 1994
Alter: 42 Jahre, 1 Monat
2
Pat Jennings, Nordirland
Turnier: WM 1986
Alter: 41 Jahre, 0 Monate
3
Peter Shilton, England
Turnier: WM 1990
Alter: 40 Jahre, 9 Monate
4
Dino Zoff, Italien
Turnier: WM 1982
Alter: 40 Jahre, 4 Monate
5
A li Boumnijel, Tunesien
Turnier: WM 2006
Alter: 40 Jahre, 2 Monate
6
Jim Leighton, Schottland
Turnier: WM 1998
Alter: 39 Jahre, 10 Monate
avid James, England
D
Turnier: WM 2010
Alter: 39 Jahre, 10 Monate
8
A ngel Labruna, Argentinien
Turnier: WM 1958
Alter: 39 Jahre, 8 Monate
oseph Antoine, Kamerun
J
Turnier: WM 1994
Alter: 39 Jahre, 8 Monate
10
11
tanley Matthews, England
S
Turnier: WM 1954
Alter: 39 Jahre, 4 Monate
Jan Heintze, Dänemark
Turnier: WM2002
Alter: 38 Jahre, 9 Monate
Welche weiteren Altstars waren an
Weltmeisterschaften involviert?
Ihre Meinung an:
[email protected]
29
DAS INTERVIEW
“Fussball wurde belächelt”
Ange Postecoglou war neun Jahre alt, als die Australier zu ihrer ersten Fussball-WM
aufbrachen. “Der Juni 1974 war wie ein Märchen”, sagt er. In Brasilien will der 48-jährige
Nationalcoach gegen die Favoriten Niederlande und Spanien bestehen.
Ange Postecoglou, wer in Australien Fussball
spielt, gilt als Weichling. Stimmt das?
Ange Postecoglou: Nein, das war früher
mal so. Ich mag mich an die Zeit gut erinnern,
da hatte Fussball keinen Stellenwert in
Australien und wer den Sport mochte, wurde
belächelt.
Rugby und Cricket sind nach wie vor die
populären Sportarten. Wird Fussball überhaupt wahrgenommen?
Es ist schwierig, alte Traditionen aufzubrechen. Unser Land liebt Rugby und Cricket.
Aber Fussball entwickelt sich in eine positive
Richtung. Neuerdings werden die Spiele live
am Fernsehen übertragen – gratis. Das ist gut.
Wie kann man sich für einen Sport entscheiden, wenn man ihn gar nicht kennt?
Wie kamen Sie zum Fussball?
Meine Familie ist griechischer Abstammung. Zum Zeitpunkt unserer Auswanderung
nach Australien war ich fünf Jahre alt. Ich
hatte keine Wahl. Mein Vater meinte damals,
ich soll ins Fussballtraining gehen. Ich kann
mich vage erinnern, dass wir schon in Griechenland gemeinsam in den Stadien waren.
Hatte Ihr 14-jähriger Sohn überhaupt eine Wahl?
Nein (lacht). Er spielt übrigens auf der
gleichen Position, auf der ich gespielt habe. Er
ist Verteidiger.
Australien verfügt über den sehr reichen
Verbandspräsidenten Frank Lowy. Was hat er
zur Entwicklung des australischen Fussballs
beigetragen?
Sehr viel. Seit Lowy Präsident ist (seit
2003, Red.) hat sich viel getan im australischen Fussball. Er ist unter anderem verantwortlich für die Gründung der ­A-League.
Auch die Übertragung am Fernsehen ist
grösstenteils sein Verdienst. Er hat ein exzellentes Beziehungsnetz. Wir haben Glück, dass
Frank Lowy ein begeisterter Fussballfan ist.
Er könnte seine Kraft und sein Geld auch
anders investieren.
30
Hat er sich für Sie stark gemacht, als es um
die Nachfolge von Holger Osieck ging letztes
Jahr?
Norden ist ein Thema. Ich glaube, das wird
generell unterschätzt.
Ja. Frank Lowy wollte nach zwei ausländischen Coaches wieder einen australischen
Trainer einstellen.
Erinnern Sie sich an Australiens erste WM-Teilnahme 1974?
Nach Ihrer Ankunft hat sich das Team verkracht. Vor allem Kapitän Lucas Neill hat
Stimmung gemacht.
Ja, das stimmt. Aber seine Aussagen sind
auch auf die Emotionen zurückzuführen, das
darf man nicht vergessen. Die beiden Freundschaftsspiele gegen Frankreich und Brasilien,
die Osieck mit der Mannschaft verloren hatte
(zweimal 0:6, Red.) waren schmerzvoll.
So etwas vergisst man nie. Es war fantastisch. Ich war erst neun Jahre alt, aber die
Geschichte ist in allen Zeitungen erschienen.
Unsere Nationalmannschaft bestand aus
Fussballern, die nebenbei alle gearbeitet
haben. Die Spieler mussten Urlaub nehmen.
Und Geld zum Reisen war auch keines da. Die
Mannschaft hat sich erstaunlich gut geschlagen. Ein 0:3 gegen das grosse Westdeutschland mit Franz Beckenbauer und Gerd Müller
– das war bemerkenswert. Dieser Juni 1974
war wie ein Märchen für Australien.
Neill wurde aus dem WM-Kader gestrichen ...
Ich habe nie gesagt, dass er in Brasilien
nicht dabei ist. Lucas Neill stand ein paar
Monate ohne richtigen Klub da, deshalb war
seine Personalie immer wieder ein Thema. Er
muss Spielpraxis sammeln, sonst kann ich
ihn nicht für eine WM-Endrunde aufbieten.
Der starke Zusammenhalt der Australier ist
bekannt. Ihr Verband hat nach der Gruppenauslosung als erstes das WM-Quartier des
Teams kommuniziert, um viele Fans in brasilianische Vitória zu locken.
Vielleicht weil wir uns noch besser
vorbereiten und akklimatisieren müssen als
die anderen Nationen. Die Reise von Australien nach Brasilien ist enorm. Wir werden,
wenn ich richtig informiert bin, das erste
Team sein, das in Brasilien ankommt. Und
wir wollen auch sichergehen, dass wir viel
Unterstützung von zu Hause bekommen.
10 000 australische Fans sind in der Stadt
Vitória bereits angemeldet. Das ist toll.
Wo liegt Australiens grösste Herausforderung
an der WM?
Wir befinden uns in einer richtig guten
Gruppe. Die Spiele gegen die Niederlande und
gegen Spanien werden schwierig, Chile ist
ebenfalls stark. Auch die Feuchtigkeit im
T H E F I FA W E E K LY
Wann findet die erste Fussball-WM in Australien
statt?
Hoffentlich bald. Mit der Austragung
2022 hat es nicht geklappt. Ich bin überzeugt,
dass Australien ein grossartiger Gastgeber
wäre. Wir sind ein sportbegeistertes Land.
Wenn ich an Sidney 2000 denke – es waren
grossartige Olympischen Spiele. Å
Mit Ange Postecoglou sprach
Alan Schweingruber
Name
Ange Postecoglou
Geburtsort/Geburtsdatum
Athen, 27. August 1965
Mark Metcalfe / Getty Images
Klubs als Trainer
South Melbourne, U20 Australien,
Panachaiki, Brisbane Roar,
Melbourne Victory, Australien
(seit 2013)
WM 2014
Gruppenspiele: Chile (13. Juni),
Niederlande (18. Juni), Spanien
(23. Juni)
T H E F I FA W E E K LY
31
ZEITSPIEGEL
T
H
E
N
Estadio Santiago Bernabéu, Madrid,
Spanien
Zinédine Zidane, Weltmeister und Europameister, eine Legende des Spiels – im
Fussball galt seine Sorge nicht nur dem Ball (hier im Real-Dress, Champions
League, 23. November 2004), sondern auch seinem Sohn Enzo.
32
T H E F I FA W E E K LY
Andreas Rentz / Bongarts / Getty Images
2004
ZEITSPIEGEL
N
O
W
Stade Charléty, Paris,
Frankreich
2014
Franck Fife / AFP
Wie der Vater, so der Sohn: Der 18-jährige Enzo Zidane spielt in der Farbe, die
schon sein Vater trug: das königliche Weiss Real Madrids (UEFA Youth League,
11. März 2014).
T H E F I FA W E E K LY
33
game onor game over
all in or nothing
adidas.com/worldcup
© 2014 adidas AG. adidas, the 3-Bars logo and the 3-Stripes mark are registered trademarks of the adidas Group.
DAS FIFA-R ANKING
Rang Team
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75
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Rang­veränderung Punkte
Spanien
Deutschland
Argentinien
Portugal
Kolumbien
Uruguay
Schweiz
Italien
Brasilien
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1336
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1199
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1126
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1112
1104
1084
Niederlande
England
Griechenland
USA
Chile
Kroatien
Frankreich
Ukraine
Russland
Mexiko
Bosnien und Herzegowina
Dänemark
Ecuador
Elfenbeinküste
Algerien
Ägypten
Schweden
Serbien
Panama
Tschechische Republik
Slowenien
Rumänien
Kap Verde
Costa Rica
Ghana
Honduras
Schottland
Türkei
Venezuela
Peru
Armenien
Iran
Ungarn
Tunesien
Österreich
Montenegro
Nigeria
Japan
Wales
Slowakei
Kamerun
Island
Guinea
Albanien
Usbekistan
Mali
Norwegen
Finnland
Paraguay
Republik Korea
Vereinigte Arabische Emirate
Burkina Faso
Australien
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1
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1045
1038
1017
998
955
929
911
889
888
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789
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755
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725
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710
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703
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641
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512
511
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481
475
458
453
446
443
Rang
Okt. 2013
Nov. 2013
Dez. 2013
Jan. 2014
Feb. 2014
März 2014
1
-41
-83
-125
-167
-209
Platz 1 78
79
80
81
82
83
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85
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87
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99
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141
142
143
144
Aufsteiger des Monats El Salvador
Haiti
Jamaika
Oman
EJR Mazedonien
Belarus
DR Kongo
Uganda
Nordirland
Kongo
Gabun
Togo
Neuseeland
Aserbaidschan
Estland
Kuba
Benin
Botsuana
Angola
Liberia
VR China
Georgien
Äthiopien
Katar
Simbabwe
Irak
Niger
Litauen
Bahrain
Zentralafrikanische Republik
Moldawien
Kenia
Kuwait
Dominikanische Republik
Kanada
Lettland
Malawi
Mosambik
Libanon
Tansania
Neukaledonien
Äquatorial-Guinea
Luxemburg
Tadschikistan
Sudan
Zypern
Namibia
Vietnam
Guatemala
Afghanistan
Kasachstan
Burundi
Philippinen
Suriname
Grenada
DVR Korea
Malta
Ruanda
Gambia
Syrien
Tahiti
St. Vincent und die Grenadinen
Belize
Malaysia
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Lesotho
Antigua und Barbuda
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0
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0
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2
2
2
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-4
2
Absteiger des Monats
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430
429
426
421
420
392
391
388
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381
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373
369
367
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347
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333
331
330
328
317
315
314
312
310
303
293
287
282
279
265
260
258
254
253
252
251
242
237
236
236
227
224
219
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200
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204
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207
Hongkong
St. Lucia
Kirgisistan
Thailand
Singapur
Puerto Rico
Liechtenstein
Indien
Guyana
Indonesien
Mauretanien
St. Kitts und Nevis
Malediven
Pakistan
Dominica
Nepal
Barbados
Aruba
Färöer
Bangladesch
Salomon-Inseln
São Tomé und Príncipe
Palästina
Nicaragua
Bermuda
Tschad
Chinese Taipei
Laos
Guam
Myanmar
Sri Lanka
Mauritius
Seychellen
Curaçao
Swasiland
Vanuatu
Fidschi
Samoa
Komoren
Guinea-Bissau
Bahamas
Jemen
Mongolei
Kambodscha
Montserrat
Madagaskar
Brunei Darussalam
Osttimor
Tonga
Amerikanische Jungferninseln
Cayman-Inseln
Papua-Neuguinea
Britische Jungferninseln
Amerikanisch-Samoa
Andorra
Eritrea
Südsudan
Macau
Somalia
Dschibuti
Cook-Inseln
Anguilla
Bhutan
San Marino
Turks- und Caicos-Inseln
-1
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7
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2
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155
151
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139
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101
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35
NET ZER WEISS ES!
DAS OBJEK T
Würde Ihnen das seriöse
Fussballer-Leben von
heute noch Spass machen?
Frage von Antonio Pace, Mailand (Italien)
Perikles Monioudis
D
as moderne Fussballerleben beinhaltet
Verpflichtungen, mit denen ich mich
nur ­bedingt anfreunden könnte. Der
Beruf ist komplex geworden. Ihre Frage,
Herr Pace, muss ich in zwei Teilen beantworten.
Zuerst: Nein, ich hätte keine Lust jeden Tag
24 Stunden unter Beobachtung zu stehen. Die
Vielfalt der Medien und deren Schnelligkeit
haben das Leben eines Fussballstars drastisch
verändert. Bekannte Spieler haben heute wenig
Privatsphäre. Ob beim Bäcker oder am Kiosk
– hinter jeder Ecke kann ein Fan mit einem
Smartphone lauern. Das ist anstrengend für
den Protagonisten. Er kommt nicht drumherum, Social Media zu akzeptieren und mitzumachen.
Ich würde aber die neuen Strukturen rund
um den modernen Profifussball begrüssen. Es
ist bewundernswert, wie die Spezialisten das
Optimum aus dem Spieler herausholen. Wenn
ich an die Arbeit der Ernährungsberater und
der Physiotherapeuten denke – ihr Teil ist unverzichtbar geworden. Zu meiner Zeit besass
eine Profimannschaft im besten Fall einen
36
Torhütertrainer. Den Rest erledigte der Coach.
Immer wieder werde ich auch mit der
­Frage konfrontiert, ob die Stars der früheren
Jahren im heutigen Fussball bestehen würden.
Die Zeiten sind schwer miteinander zu vergleichen. Es herrschten andere Bedingungen.
Aber wir verfügten damals alle über die fussballerischen Fähigkeiten. Ja, ich denke wir
würden bestehen.Å
Was wollten Sie schon immer über
Fussball wissen? Fragen Sie Günter
Netzer: [email protected]
T H E F I FA W E E K LY
Panini
Hast du den schon?
Der Panini-Sticker mit
Günter Netzer zur WM
1974.
Die Zeit läuft. Viele Menschen denken, sie liefe
ihnen davon. Die Wahrheit ist, dass das die Zeit
nicht kümmert – sie läuft auch ohne uns. Das
zumindest lässt sie uns glauben. Denn die Zeit
hat bestimmt keine Vorstellung von sich selbst;
der Mensch aber schon – von sich selbst und
von der Zeit.
Bleiben wir bei letzterer, ohne ersteres zu
verlassen. Die Hopi-Indianer in Nordamerika
kultivierten einen Zeitbegriff, der mit “unserem” sehr wenig zu tun hat. Würde man sich
mit einem Hopi-Indianer an einem bestimmten
Tag, sagen wir in drei Tagen, verabreden wollen,
wäre das nicht gut möglich. Denn die Hopi-­
Indianer dachten sich die Zeit nicht linear, sondern zyklisch.
Die Zeit läuft den Hopi-Indianern nicht davon, sie wiederholt sich; es wird Morgen, dann
Mittag, Nachmittag, anschliessend Abend, und
am kommenden Tag fängt der Tag und eben die
Zeit von vorn an. “In drei Tagen” ergibt für den
Hopi-Indianer keinen Sinn.
Auch 90 Minuten wären für ihn schwer zu
fassen. Doch ohne die Konvention, ein Fussballspiel dauere 90+ Minuten, kann es kein
Fussballspiel geben.
Hier nun kommt die oben abgebildete Kuckucksuhr (FIFA-Sammlung) ins Spiel. Sie
misst die Zeit in “unserem” Sinne, zeigt die
Stunden und Minuten an und liefert mithin die
Grundlage für das Fussballspiel. Sie stammt
aus deutscher Fertigung und ist ungefähr 80
Jahre alt. Das heisst nicht, dass sie ihre eigene
Lebenszeit gemessen hat. Vielleicht stand sie
zwischendurch still. Auch das ein Artefakt unseres Zeitbegriffs.
Den Hopi-Indianern war Stillstand fremd.
Sie lebten den Tag. Å
TURNING POINT
“Eines Morgens
wurde mir klar:
Das war’s”
Hidetoshi Nakata hat seine
Fussballschuhe schon früh an
den Nagel gehängt. Brücken
zu bauen und Menschen zu
verbinden sieht er in der Zeit
nach seiner Karriere als seine
Berufung.
Name
Hidetoshi Nakata
Geburtsdatum, Geburtsort
22. Januar 1977, Kofu (Japan)
Position
Mittelfeld
Wee Khim
I
ch habe meine Karriere mit 29 Jahren been­
det. Es ist schwierig zu erklären warum. Ich
war immer mit Leib und Seele Fussballer,
habe diesen Sport voller Leidenschaft
­gespielt. Das musst du auch, denn sonst bist
du nicht gut, in dem was du machst. Eines
Morgens während eines Trainings wurde mir
plötzlich klar: Das war’s! Ich bin nicht mehr
bereit dazu. Es wurde zu Arbeit und das mach­
te mich nicht mehr glücklich. Man muss wis­
sen, ich habe nie Fussball gespielt, um Geld zu
verdienen. Zumindest nicht in erster Linie. Es
hat sich einfach falsch angefühlt. Also habe ich
beschlossen, meine Fussballschuhe in berufli­
cher Hinsicht an den Nagel zu hängen. Ich war
jung und habe mir gesagt: Vielleicht ändere ich
meine Meinung und fange eines Tages wieder
damit an. Ich habe sie nicht geändert.
Seit meinem Karriereende habe ich über
­hundert Länder bereist. Nach dieser langen Tour
wurde mir bewusst, dass ich nun einen grossen
Teil der Welt gesehen hatte. Ich wurde während
dieser Jahre oft auf Japan angesprochen und mir
wurde klar, dass ich meine eigenes Land kaum
kannte. Also habe ich auch Japan bereist, seine
Kultur intensiv erlebt und kennengelernt. Es war
fantastisch. Reisen bedeutet für mich leben.
Ich wusste immer, dass Fussball weit mehr
als nur ein Spiel ist. Es ist viel mehr als 22 Män­
ner, die einem Ball nachjagen. Fussball hat eine
enorme Macht. Er ist fähig, die Welt zu ver­
ändern. Denn seine wichtigste Eigenschaft ist
es, Menschen zu verbinden – über politische,
wirtschaftliche und kulturelle Grenzen hinweg.
Vereine
1995–1998 Bellmare Hiratsuka
1998–2000 AC Perugia
2000–2001 AS Roma
2001–2004 AC Parma
2004 FC Bologna (Leihe)
2004–2006 AC Florenz
2005-2006 Bolton Wanderers (Leihe)
Nationalteam Japan
77 Spiele, 11 Tore
Diese Macht gilt es zu nutzen. Ich habe also mei­
ne eigene Stiftung gegründet und spiele viele
Charity­-Partien. Und ich empfand noch nie so
viel Freude, in meiner gesamten Aktivzeit nicht,
wie wenn ich auf den Strassen dieser Welt mit
Kindern und Jugendlichen Fussball spiele.
Mit meiner Aktivzeit verbinde ich aber auch
unglaublich viele schöne und wichtige Erinne­
rungen. Klar, es war am Anfang nicht einfach.
Ich war 21 Jahre alt, als ich von Japan nach
­Italien wechselte. Es veränderte sich vieles. Die
Kultur, die Lebensweise, die Menschen. Doch
am Ende bleibt Fussball Fussball. Ganz egal wo
auf der Welt man ihn spielt. Er bildet eine Art
gemeinsame Sprache. Nichtsdestotrotz ist es
wichtig, die Sprache des Landes zu sprechen. Ich
habe also Italienisch gelernt, das fiel mir nicht
besonders schwer. Man muss aber auch sagen,
dass man mir meinen Einstand nicht schwer
gemacht hat. Ich wurde sehr herzlich empfan­
gen und im Team aufgenommen. Und am
Schluss diskutierst du über deine Leidenschaft,
den Sport, und alles ist gut.
T H E F I FA W E E K LY
Über Fussball zu diskutieren macht gene­
rell Freude. Im Moment spricht jeder darüber,
die WM steht schliesslich vor der Tür. Ein
solch grosses Turnier ist immer unberechen­
bar. Es ist schwierig, einen Favoriten zu be­
stimmen. Klar würde ich mir für meine Lands­
leute wünschen, dass sie ein erfolgreiches
Turnier spielen. Aber ich denke, es wird
schwierig für das japanische Team. Å
Aufgezeichnet von Sarah Steiner
Persönlichkeiten des Fussballs erzählen
von einem wegweisenden Moment in
ihrem Leben.
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EVERY GASP
EVERY SCREAM
EVERY ROAR
EVERY DIVE
EVERY BALL
E V E RY PAS S
EVERY CHANCE
EVERY STRIKE
E V E R Y B E AU T I F U L D E TA I L
SHALL BE SEEN
SHALL BE HEARD
S H A L L B E FE LT
Feel the Beauty
BE MOVED
THE NEW 4K LED TV
“SONY” and “make.believe” are trademarks of Sony Corporation.
FIFA - R ÄT SEL - CUP
The FIFA Weekly
Eine Wochenpublikation der
Fédération Internationale de Football
Association (FIFA)
Internet:
www.fifa.com/theweekly
Herausgeberin:
FIFA, FIFA-Strasse 20,
Postfach, CH-8044 Zürich
Tel. +41-(0)43-222 7777
Fax +41-(0)43-222 7878
Ein Platz mit Fehlern, ein Stadion ohne Namen, ein Weltmeister ohne Gegentore – raten Sie mit!
Irgendwas fehlt doch da: Auf der Werbekarte für eine
WM scheint der Platz für unsere Augen nicht komplett.
Jedenfalls war es die letzte WM mit so einem Fussballfeld.
Wann?
1
Präsident:
Joseph S. Blatter
Generalsekretär:
Jérôme Valcke
M 1934
D 1966
Direktor Kommunikation und
Öffentlichkeitsarbeit:
Walter De Gregorio
H 1950
B 1982
Chefredakteur:
Perikles Monioudis
Art Director:
Catharina Clajus, Markus Nowak
2
Wer wurde mit seinem Nationalteam zuletzt FIFA-Weltmeister?
Redaktion:
Thomas Renggli (Autor),
Alan Schweingruber, Sarah Steiner
O
Ständige Mitarbeiter:
Jordi Punti, Barcelona; David Winner,
London; Hanspeter Kuenzler, London;
Roland Zorn, Frankfurt/M.;
Sven Goldmann, Berlin;
Sérgio Xavier Filho, São Paulo;
Luigi Garlando, Mailand
A
E
I
Bildredaktion:
Peggy Knotz
Produktion:
Hans-Peter Frei (Leitung),
Marianne Bolliger-Crittin,
Susanne Egli, Richie Krönert,
Peter Utz, Mirijam Ziegler
Ein Stadion ohne rechten Titel ...
Unter welchem Namen kennt man es heute?
3
C Bernabéu
N Estadio da Luz
Korrektorat:
Nena Morf, Kristina Rotach
L La Bombonera
R Maracanã
Redaktionelle Mitarbeit
an dieser Ausgabe:
Nicola Berger, Xavier Breuil, Abeer
Elsayed, Doris Ladstaetter, Franco
Nicolussi, Honey Thaljieh, Andrew
Warshaw, Andreas Wilhelm (Bild)
Redaktionssekretariat:
Honey Thaljieh
Wer wurde Weltmeister ohne ein Gegentor im ganzen Turnier?
(Das Eigentor und die Elfmetertore vergessen wir.)
4
Übersetzung:
Sportstranslations Limited
www.sportstranslations.com
C Uruguay
O Spanien
Projektmanagement:
Bernd Fisa, Christian Schaub
K Italien
S Brasilien
Druck:
Zofinger Tagblatt AG
www.ztonline.ch
Getty Images / AFP
Kontakt:
[email protected]
Der Nachdruck von Fotos und
Artikeln aus dem The FIFA Weekly,
auch auszugsweise, ist nur mit
Genehmigung der Redaktion
und unter Quellenangabe
(The FIFA Weekly, © FIFA 2014)
erlaubt. Die Redaktion ist nicht
verpflichtet, unaufgefordert
eingesandte Manuskripte und Fotos
zu publizieren. Die FIFA und das
FIFA-Logo sind eingetragene
Warenzeichen. In der Schweiz
hergestellt und gedruckt.
Ansichten, die in The FIFA Weekly
zum Ausdruck gebracht werden,
entsprechen nicht unbedingt den
Ansichten der FIFA.
Das Lösungswort des Rätsel-Cups aus der Vorwoche lautete: BOOK (ausführliche Erklärungen auf www.fifa.com/theweekly).
Inspiration und Umsetzung: cus
Bitte senden Sie Ihre Lösung bis zum 9. April 2014 an die E-Mail
[email protected]. Die richtigen Einsendungen aller Rätsel
bis am 11. Juni 2014 nehmen an der Verlosung von zwei Eintrittskarten
für das WM-Finale am 13. Juli 2014 teil. Vor der Einsendung ihrer
Antworten müssen die Teilnehmenden die Teilnahmebedingungen des
Gewinnspiels sowie die Regeln zur Kenntnis nehmen und akzeptieren,
die unter folgendem Link zur Ansicht bereit stehen:
http://de.fifa.com/aboutfifa/organisation/the-fifa-weekly/rules.pdf
T H E F I FA W E E K LY
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FR AGEN SIE DIE FIFA!
UMFR AGE DER WOCHE
Müsste man in den Top-Ligen die
Ausländerzahl beschränken?
Puskás, Maradona, Messi,
Gullit – sind Linksfüsser die
besseren Fussballer?
Louis Fernando Gil, Buenos Aires
Die Antwort von Thomas Renggli:
Die Wissenschaft hat keine
verbindliche Antwort. Sportlich
gibt es aber Erklärungsansätze:
Linksfüsser gelten als Spieler,
deren Bewegungen und Aktionen
unberechenbarer sind und die
eher einen überraschenden Pass
spielen als rechts schiessende
Fussballer. Die Liste von Ausnahmekönnern mit starkem linken
Fuss liesse sich fast beliebig
verlängern: Robben, Rivaldo,
Zico, Raul, Giggs oder Roberto
Carlos. Ähnlich wie im Boxen, wo
allerdings die Linksauslage dem
Normalfall entspricht, sind die
“Ausnahmeathleten” für die
Gegner schwerer einzuschätzen.
Trotzdem würde ich mich nicht
auf die Behauptung versteifen,
dass Linksfüsser die begabteren
Fussballer sind. Grundsätzlich
gilt: Die besten Fussballer treffen
mit links und mit rechts.
In 123 von 472 Klubs der europäischen Topligen beträgt der Ausländeranteil über 50 Prozent. In England sind sogar in 18 der 20 Premier-League-Teams die “Söldner” in der Mehrheit. Mit 17 Treffern gehört
der Ivorer Yaya Touré von Manchester City (Mitte) zu den dominierenden Spielern der Premier League.
ERGEBNIS DER LETZTEN WOCHE
Die FA sagt “Ja” – ist das der endgültige Durchbruch für den Kunstrasen?
60%
NEIN Beim Fussballspielen muss man den Rasen riechen können.
25%
JA Dem Kunstrasen gehört die Zukunft.
15%
SOWOHL ALS AUCH Fussball soll auf beiden Unterlagen gespielt werden können.
fertigten die Reds Tottenham 4:0
2 43
ab – u
­ nter anderem dank dem 29.
Mit 16 Treffern belegt der
DIE TORMASCHINE
30
DER TORGAR ANT
DIE TORLOSEN
Mal wurde Josip Drmic in
seiner Schweizer Heimatgemeinde Freienbach die
Einbürgerung verweigert.
Unter anderem, weil er im
Wissenstest bei den Geographie- und Politik-Fragen
zu wenig treffsicher war.
Liverpool in den
vergangenen acht Partien der
Premier League geschossen und
dabei achtmal gewonnen. Zuletzt
Saisontreffer von Liga-Topscorer
2010 erhielt der gebürtige Kroate den
Schweizer Pass doch
noch – zum grossen
Mal hatte der italienische Titelverteidiger Juventus
Glück für den
Turin (im Bild Carlos Tévez) in Meisterschaftsspie-
Schweizer Fussball.
len mindestens einen Treffer erzielt. Am Sonntag
Nürnberg-Stürmer den
endete diese Serie beim 0:2 in Neapel abrupt. Doch
auch nach der zweiten Saisonniederlage darf sich
Luis Suárez (im Bild). Damit
2. Platz der Bundes­
die Alte Dame beruhigt zurücklehnen. Der Vor-
lösten sie Chelsea als Tabellen­
liga-Torschützen­
sprung auf den ersten Verfolger, die AS Roma,
führer ab.
liste.
beträgt elf Punkte.
T H E F I FA W E E K LY
Getty Images (4)
Treffer hat der FC

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