Weiterlesen - Sankt Pauli Museum

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Weiterlesen - Sankt Pauli Museum
Das Sankt Pauli Museum –
einzigartig, bunt und kreativ
Autorin: Sabrina Hirche
1900 Postkarte Peter Muus Theater lebender Bilder Spielbudenplatz. Heute: Schmidts Tivoli
Aus einer Sammelleidenschaft des Fotografen Günter Zint wurde ein Museum; doch dahin war es ein weiter Weg.
Der ursprünglich aus Fulda stammende
Günter Zint ließ sich in den 1960er Jahren in Hamburg nieder und ist durch die
Bebilderung der verdeckten Reportagen
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des investigativen Journalisten Günter
Wallraff bekannt geworden. Zum Ende
der 60er Jahre gründete er die bis heute
existierende Zeitschrift St. Pauli-Nachrichten, die sich damals noch linkspolitisch orientierten Berichten widmete.
Zint verkaufte sie wenige Jahre später,
womit auch ein Wandel des Inhalts einherging. Hernach konzentrierte er sich
weiter auf die Fotografie des Stadtteils
und der darin lebenden und arbeitenden Menschen. Dabei war es ihm immer
wichtig, weniger als gängiger Pressefotograf denn als Gebrauchsfotograf gesehen zu werden. Dass er den besonderen
Blick und eine deutliche Leidenschaft für
St. Pauli und die St. Paulianer hat, ist seinen Fotografien wunderbar anzusehen.
Günter Zint sammelte in jenen Tagen
nicht nur Bilder des Stadtteils, sondern
begann auch Exponate zusammenzutra-
gen. Schloss hier oder da ein Etablissement, sicherte Zint das ein oder andere
Stück, nur, damit es nicht verloren ging.
Die immer größer werdende Sammlung
umfasste bald so viele Ausstellungsobjekte, dass er seit den frühen achtziger
Jahren begann, sich auf die Suche nach
geeigneten Räumlichkeiten für diese zu
machen – ein St. Pauli Museum schwebte ihm vor. Doch es sollte nicht staubig und trocken sein. Es sollte wie der
Stadtteil selbst, lebendig die Geschichte
dieses weltberühmten Fleckchens Erde
wiedergeben.
Doch dass sich ein solches nicht ohne
weiteres finanzieren lässt, mussten Günter Zint und seine Mitstreiter schon bald
erfahren. Von 1988 an begann so eine
Odyssee, die das Museum schon fast
zu einer Wanderausstellung machte –
jedoch nur im zugehörigen Stadtteil.
Nach Stationen am Spielbudenplatz und
in diversen Nebenstraßen der Reeperbahn, fanden sich im Jahr 2010 endlich
geeignete und würdige Räumlichkeiten
an der Davidstraße unweit der weltberühmten Wache. An dieser zentralen
Stelle wird das Museum bis heute vom
2005 gegründeten St. Pauli Museum
e.V. betrieben und zeigt auf einer Ausstellungsfläche von 160 Quadratmetern
wie auf St. Pauli aus Geschichten Geschichte wurde. Geführt wird es von einem Vorstandsteam bestehend aus fünf
dem Stadtteil verbundenen Mitgliedern.
Günter Zint ist heute Ehrenmitglied des
Museums.
Aus Geschichten wird Geschichte
Anders als andere Museen wollte das
Sankt Pauli Museum gar nicht unbedingt sein, vielmehr ergab sich dieser
Umstand aus der Geschichte des Stadtteils, den damit verbundenen Themen
und der Leidenschaft des für Ausstellung und Drumherum verantwortlichen,
ehrenamtlich arbeitenden Vorstands
des Museums, der aus Anwohnern im
Stadtteil besteht. Im Sankt Pauli Museum will man nicht plakativ barbusige Damen oder spannernde Freier zur
Schau stellen, auch wenn diese natürlich
ebenso zu St. Pauli gehören. Das Museum möchte Besuchern zeigen, wie der
Stadtteil entstanden ist, welchen Wandel er durchlebt hat, aber es auch aktuell immer wieder tut. St. Pauli fasziniert
und begeistert feierwütige Jungscharen
an den Wochenenden. St. Pauli ist aber
auch Wohnraum für hier geborene und
Zugezogene. St. Pauli transformiert sich
ständig und so widmete sich eine Ausstellungsreihe im Jahr 2014 diesem Thema in allen Facetten. Mit Collagen, aber
auch mit schauspielerischen Darbietungen und Lesungen zeigte das Sankt Pauli Museum, wie sich der Stadtteil verändert hat. Man beschäftigte sich mit den
Oben: Die Außenansicht des Star Club, der faktisch nur
wenige Jahre wirkte. Wirtschaftlich musste der wohl
bekannteste Club Deutschlands schließen. Danach zog
dort das Salambo - St. Pauls erste Live-Sex-Bühne unter der Leitung von René Durant ein. Bis das Gebäude
dann 1983 komplett abbrannte. Heute befindet sich
dort im Durchgang ein Gedenkstein für den Starclub,
der allerdings wegen etlicher Schreibfehler die zweite
Version ist.
Rechts: 90er Jahre. Die Große Freiheit 36 als Konzertlocation existiert bereits einige Jahre. Das Dollhouse
feierte Ende der 90er Jahre fröhliche Umsätze. Man
ging neuerdings mit Geschäftspartnern in diese Striplocation, die aufgrund der Qualität ihrer Tänzerinnen
Furore machte.
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Oben: Evi zeigt für einen Heiermann (5,--DM) im Express-Imbiss auf der Freiheit jedem zahlenden Gast ihre Brüste.
Unten: Marianne. Sie arbeitete in Dieters Puff und war stets ein beliebtes Fotomotiv von Günter Zint. Dieters Puff bot allgemein viel Kamerafutter. Neben dem sagenhaften
Spruch „Es gibt kein schlechtes Geschäfts aber faule Weiber“ prangte auch der Satz „Es ist nicht statthaft die Sittenpolizei als Lochstreife zu bezeichnen“ an der Wand des
Etablissements.
Fragen, wie aus den Revuetheatern und
Tanzcafés der 50er und 60er Jahre die
Partymeile Reeperbahn entstand. Oder
wie ein Hausbesetzer oder Seemann
heute noch auf dem im Volksmund genannten „Kiez“ wahrgenommen wird.
Damit die Zeiten der von Autonomen
besetzten Häuser in der Hafenstraße in
den 80er Jahren nicht vergessen wird
und wie von Politik und Anwohnern
damit umgegangen wurde – auch das
ist St. Pauli und gehört in ein Museum. Ob es Parallelen zu aktuell brisanten Themen wie dem Abriss der wohl
bekanntesten Tankstelle und vor allem
den dazugehörigen Wohnhäusern gab,
diesem Thema widmete sich die Ausstellung „#2112“. Der Vorteil des kleinen
Museums ist definitiv der übersichtliche fünfköpfige Vorstand, der ad hoc
auf solche Geschichten reagieren kann
und den Besuchern, aber auch den St.
Paulianern selbst, ein Forum bietet, um
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Ein Autohändler möchte mit seiner Nobelkarosse auf der Großen Freiheit Eindruck schinden und lässt Stripperin einsteigen. (80iger Jahre)
70iger Jahre, beide Fotos: Zuhälter zeigt sein von vielen Schlägereien gemartertes Gebiss.
Turbo Rudi erledigt auf der Strasse Schriftverkehr für Obdachlose
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Dominca Niehoff - Deutschlands berühmteste Hure, tat sich insbesondere durch ihr soziales Engagement für ihren
Kampf gegen die Luden hervor. Bei ihren zahlreichen TV-Auftritten gab sie u.a. ab und zu ihren Song „Alle meine
Freier“ zum Besten. Sie verstarb schwer krank im Jahr 2009.
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diese Themen zu bewältigen, bevor sie
zur Geschichte werden.
Neben den Dauer- und immer wechselnden Sonderausstellungen, finden im
Sankt Pauli Museum auch Konzerte, Lesungen oder andere künstlerische Darbietungen statt. So beging der Zeichner
Ralph Kretschmann die Vernissage zu
seinem erotischen Comic im Museum,
das dafür die ideale Bühne bot. Musikalische Highlights der letzten Jahre
waren die Konzerte der Lokalmatadore
„Kapelle Herrenweide“, die ihren Namen von ebendieser kleinen und unbekannten Nebenstraße auf St. Pauli
hat oder auch die etwas andere Beatles-Coverband „Die Koschmiders“, mit
dem Namenspaten Bruno Koschmider.
Auf St. Pauli weiß man, dass hier dem
Mann ein Denkmal gesetzt wird, der
die berühmten Pilzköpfe seinerzeit nach
Hamburg holte. An kaum einem anderen Ort erklingen die bekannten Songs
der Fab Four authentischer als im Museum, unweit der ersten Wirkungsstätte, in der sie ihre Weltkarriere starteten.
Aus persönlichen Gründen eng mit dem
Stadtteil verknüpft und als guter Freund
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des Museum-Gründers, stellte sich auch
Gunter Gabriel gerne auf die Kleinkunstbühne des Sankt Pauli Museums, um ein
Charity-Konzert zu spielen und aus seiner eigenen Geschichte zu erzählen.
Das Sankt Pauli Museum ist anders
Aus Geschichten wird Geschichte – so
lautet der Leitspruch des Sankt Pauli
Museums. Doch Geschichten können
nur da entstehen, wo sich Leben tummelt. Mit der Sankt Pauli Museum-Bar,
die seit 2013 von ansässigen Gastronomen betrieben wird, hat sich eine neue
Institution im Viertel manifestieren können. Denn die Bar ist in ihrer Art einzigartig. So können sich Gäste schon zu Beginn ihres Museumsbesuchs ein kühles
Astra auf die Hand holen und mit diesem durch die Ausstellung schlendern,
die bis in die späten Abendstunden zu
besuchen ist. Für viele Anwohner dient
die Bar als Nachbarschaftstreffpunkt.
Ähnlich einer Dorfschänke kommt man
hier zusammen ohne verabredet zu sein
und klönt über den Tag oder über Neuigkeiten aus dem Viertel. Dabei kann es
gut sein, dass plötzlich die schrille DragOben: Olivia Jones. Foto: © Sabrina Hirche
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queen Olivia Jones oder einer ihrer Mitarbeiter, Burlesque-Star Eve Champagne
oder der quietschbunte Sven Florijan,
mit einer Touristengruppe neben einem
an der Bar auftauchen und anstoßen.
Die Gewinne aus dem Barbetrieb fließen ebenfalls in den Museumsbetrieb.
Einen außergewöhnlichen Ort für seine
betriebliche Weihnachtsfeier oder einen
anderen besonderen Anlass findet man
ebenfalls im Museum. Durch die flexible
Gestaltung des Ausstellungsraumes ist
es möglich, das Sankt Pauli Museum zu
mieten.
Manch einer behauptet, dass der weltberühmte Stadtteil St. Pauli im Grunde
genommen einem Dorf gleiche. Sicher
ist, dass man sich gegenseitig hilft und
aus dieser Hilfsbereitschaft ist auch
das einzigartige Nachbarschaftsprojekt
„Antikältehilfe für Obdachlose „ entstanden, das zweimal im Jahr Essen und
Sachspenden an Bedürftige ausgibt. Gesammelt werden die Kleider, Schlafsäcke
und Hygieneutensilien im Museum, das
an besagten Tagen auch Anlaufpunkt
für diejenigen ist, die es weniger gut getroffen hat.
So vielfältig wie der Stadtteil selbst ist
Vorstand: Christian Feder, Jürgen Henke, Sabrina Hirche, Marc Müller, Julia Staron
auch das Sankt Pauli Museum. Es Ist
bunt, lebendig, kreativ und erfindet Teile von sich immer wieder neu. Im Jahr
2015 wird der junge Künstler Bobbie
Serrano dem geneigten Besucher seine
Interpretationen von bekannten Kiezgrößen darbieten. Synchronsprecher
und Türsteher Viktor Hacker lässt das
Publikum an seinen Erlebnissen aus der
Nacht vor Hamburgs Clubtüren in seiner
Türsteherlesung teilhaben und es sind
weitere spannende Sonderausstellungen
zur Geschichte und zu den Geschichten
St. Paulis geplant.
Sankt Pauli Museum e.V.
Davidstraße 17, 20359 Hamburg
http://www.sankt-pauli-museum.de
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