Familienrecht und Religion (2005)

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Familienrecht und Religion (2005)
Prof. Dr. Ansgar Marx
Familienrecht und Religion
Familienrecht und Religion
Prof. Dr. jur. Ansgar Marx, FH Braunschweig/ Wolfenbüttel,
IRS Institut für angewandte Rechts- und Sozialforschung
Problemaufriss
Kein anderes Rechtsgebiet ist so stark durch religiöse Traditionen beeinflusst wie
das Familienrecht. Europäische Staaten begannen zwar schon in der Zeit der Aufklärung mit der Säkularisierung des Ehe- und Familienrechts, dennoch haben bis
heute religiöse Dogmen – in stark relativierter Form – Auswirkungen auf den Zeitgeist und die Kodifikation des Familienrechts. Auch die jüngere Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts greift auf die „christlich-abendländische Tradition“
zur näheren Begriffsbestimmung der Institution Ehe zurück.1 Grundwerte wie Monogamie sowie die grundsätzliche Unauflösbarkeit der Ehe – letztere wurde freilich
durch die Realität längst überholt – lassen sich ohne Umwege aus dem Eheschließungsrecht der Kirchen, das seit dem 12. Jahrhundert ca. 600 Jahre galt,
ableiten. In katholisch geprägten Staaten ist heute noch die aus dem kanonischen
Recht stammende „Trennung von Tisch und Bett“ Element der Auflösung einer
ehelichen Verbindung.2
Aktuelle Präsenz hat religiöses Eherecht in Staaten, in denen der Islam Staatsreligion ist, wie in einigen Ländern des Vorderen Orients sowie Nordafrikas. Dort beruht das Familienrecht auf der islamischen Rechtsordnung, der Scharia, so etwa in
Ägypten, Algerien, Irak, Iran, Marokko, Tunesien, Pakistan, Saudi-Arabien oder im
Sudan. Andere Staaten mit vorwiegend islamischer Bevölkerung hingegen wenden religiöses Recht für Anhänger der jeweiligen Religionsgemeinschaften an
oder haben Familienrecht europäischer Prägung eingeführt, z. B. die Türkei.3
Eine weitere Gruppe mit religiös geprägtem Familienrecht bilden diejenigen Nationen mit interkonfessionell gespaltenen Rechtsordnungen, wobei für die jeweilige
1
BVerfGE, NJW 1993, S. 3058; BVerfGE 36, 146.
Z. B. in Italien und Irland; Brandhuber/Zeyringer, Standesamt für Ausländer, Frankfurt/Main, Loseblatt 2004.
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Religionsgruppe ein eigenes religiöses Recht gilt. Gegenwärtig wenden Staaten
mit multiethnischer und multireligiöser Bevölkerung wie Indien, Israel, Malaysia,
Indonesien, Libanon oder Syrien interkonfessionelles Familienrecht an.4 Es kann
zu solch komplexen Aufspaltungen interreligiösen Rechts kommen, wie etwa in
Syrien. Dort gelten drei Teilrechtsordnungen für islamische Religionsangehörige,
weitere drei Rechtssysteme für Christen sowie das Recht für die jüdische Gemeinschaft.
Bei einem Bevölkerungsanteil von 7,3 Millionen ausländischen Bürgern betrifft etwa jede zehnte Eheschließung in Deutschland einen oder zwei ausländische
Staatsangehörige. Über Art. 13 EGBGB ist bei der Heirat das Heimatrecht des
ausländischen Verlobten als Eheschließungsstatut mit zu berücksichtigen. Das
internationale Privatrecht knüpft bei den allgemeinen Wirkungen der Ehe primär
an der Staatsangehörigkeit der Eheleute an (Art. 14 EGBGB). Ausländische Familienrechtssysteme und damit auch interreligiöses Recht erhalten somit erhebliche
juristische Relevanz bei ausländischen oder binationalen Ehepaaren in Deutschland.5
Religion und Religiosität melden sich als geopolitischer Machtfaktor zurück, häufig
flankiert von negativen Begleiterscheinungen wie gewaltsamen Konflikten. Man
spricht von einer „weltweiten Renaissance der Religion“6, auch wenn sich in
Deutschland ein gegenläufiger Trend abzeichnet.
In seinem weltweit Aufsehen erregenden Buch „The Clash of Civilizations – Kampf
der Kulturen“7 hat Samuel P. Huntington die These aufgestellt, dass die „Rivalität
der Supermächte“ abgelöst wurde durch den „Konflikt der Kulturen“.8 Für ihn sind
die Weltreligionen das reale Fundament der großen Kulturkreise und Zivilisationen,9 sowie einer Polarisierung der Weltgemeinschaft. Er und andere Kulturalisten
3
Prader, in: Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Frankfurt/Main, Loseblatt
2004.
4
Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Vorbemerkung zu Art. 13 ff. EGBGB,
Berlin 2003.
5
Stöcker-Zafari, H./Wegner, J., Binationaler Alltag in Deutschland, Frankfurt/Main 2004.
6
Huntington, Samuel, P., The Clash of Civilizations, München, Wien 1997, S. 144.
7
Huntington, Samuel, P., The Clash of Civilizations – Kampf der Kulturen, München, Wien 1997.
8
Huntington, Samuel, P., a. a. O., S. 24.
9
Huntington, Samuel, P., a. a. O., S. 61; Dawson, Christopher, Gestaltungskräfte der Weltgeschichte, Wien 1959, S. 147.
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erkennen erhebliches Konfliktpotential in dem Nebeneinander der Kulturkreise und
Religionsgemeinschaften.
Die Universalisten hingegen haben einen anderen Blickwinkel und nehmen ein
kulturelles Zusammenrücken der Menschheit und eine zunehmende Akzeptanz
von gemeinsamen Werten, Praktiken und Institutionen durch Völker auf dem ganzen Globus wahr.10 Den Universalisten lässt sich auch Vaclav Havel zuordnen. Er
sieht die Menschheit heute zu einer „einzigen, globalen Zivilisation“ zusammenrücken, hinter der sich eine „ungeheure Vielfalt von Kulturen, Völkern, religiösen
Welten, geschichtlichen Traditionen“ verberge.11
Ziel der folgenden Studie ist es, historische Entwicklung und aktuelle Lage des
religiösen Familienrechts der großen Religionsgemeinschaften in groben Zügen
nachzuzeichnen. Dabei soll die Frage leiten, ob sich eher konservative oder moderne Tendenzen Raum verschaffen. Zu diesem Zweck werden Grundvorstellungen von Ehe und Familie, ihre Kodifikation in nationalen Familienrechtsordnungen
sowie ihre Verankerung in religiösen Traditionen und die damit verbundenen Zusammenhänge analysiert. Zentrum der Untersuchung werden das Familienrecht
der islamischen Religion, der christlichen Gemeinschaften, des Judentums sowie
des Hinduismus sein. Der Buddhismus als fünfte Weltreligion hat kein eigenständiges Familienrecht herausgebildet. Dabei sollen Grundprinzipien, nicht Detailregelungen im Vordergrund stehen.
Lester Pearson hat schon 1955 die zukunftsweisende Feststellung getroffen: „Die
Menschen sind auf dem Weg in ein Zeitalter, wo unterschiedliche Zivilisationen
lernen müssen, nebeneinander in friedlichem Ausdruck zu leben, voneinander zu
lernen, die Geschichte, die Ideale, die Kunst und Kultur des anderen zu studieren,
einander gegenseitig das Leben zu bereichern. Die Alternative auf dieser kleinen
übervölkerten Welt heißt Missverständnis, Spannungen, Kampf und Katastrophe.“12
10
Stellvertretend Naipaul, V. S., Our Universal Zivilization, Manhattan Institute, 1990, S. 20.
Havel, Vaclav, Zivilizations Thin Veneer, in: Haward Magazine, 97/1995, S. 32.
12
Pearson, Lester, Democracy in World Politics, Princeton 1955, S. 83 f.
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