Juden in Grabow - Die Stadt Grabow
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Juden in Grabow - Die Stadt Grabow
Juden in Grabow Werden wir in Grabow nach Juden gefragt, so fällt uns als erstes der Judenfriedhof ein. Es ist ein Friedhof etwas abseits und versteckt auf einem Sandberg am Ende der Trotzenburg, nicht weit entfernt von der B5 oder dem Lidl. Gustav Ritter bringt es auf den Punkt: “Wat nich geew dat Lewen, geew ehr nahst dei Dot, hier in frömden Landen rauhn’s in Abra’ms Schoot“. Es ergeben sich viele Fragen: Wann siedelten sich Juden in Grabow an? Welche Gewerbe haben sie betrieben? Wie groß war die jüdische Gemeinschaft in Grabow? Gab es in Grabow eine Synagoge? Was geschah mit den Grabower Juden in der Nazizeit? Welche Grabower Juden wurden in der Nazizeit in Konzentrationslagern ermordet? Wer pflegt den jüdischen Friedhof? Aus der Geschichte ist bekannt, daß nach der Besiedelung Mecklenburgs auch die ersten Juden ins Land kamen. Sie waren bei der Bevölkerung aber nur wenig beliebt. Einige von ihnen waren wegen ihres Wuchers verhaßt und wurden bereits im 14. Jahrhundert aus einigen Orten vertrieben. Zum anderen beruhte die Ablehnung der Juden auf religiösen Motiven. 1492 wurde in Sternberg die Judenschaft angeklagt, sich heimlich Hostien beschafft und mit Nadeln zerstochen zu haben, doch fingen die Hostien an zu bluten. Nach Bekantwerden dieser Sache wurden 65 Juden verhaftet, davon wurden 25 Männer und 2 Frauen auf dem Judenberge bei Sternberg auf Grund eines Richterspruches verbrannt. Alle übrigen Juden wurden aus Mecklenburg verbannt. Erst im 17. Jahrhundert wurden unter Christian Ludwig I. wieder Juden ins Land gelassen. Sie erhielten ein Monopol für den Tabakhandel, später auch für den Leder- und Wollhandel. Die Zahl der Juden war in Mecklenburg gering, 1749 waren es erst 30 Familien. Im Juli 1749 antwortete der Magistrat auf eine Anfrage der herzoglichen Regierung, dass sich in Grabow keine Juden dauerhaft aufhalten. 1753 wurden zwei Juden, Moses Wulf und Simon Moses, Schutzbriefe ausgestellt und ihnen in Grabow häusliche Niederlassung und Handel erlaubt. 1763 hatte der Magistrat nichts dagegen, dass sich Moses ein Haus in Grabow kauft. 1769 wohnten in Grabow 4 jüdische Familien, sogenannte Schutzjuden. Die Volkszählungsliste aus dem Jahre 1819 weist bereits 44 Juden in Grabow aus. Es sind 30 Erwachsene und 14 Kinder. Grabow hatte 1819 insgesamt 2344 Einwohner. Als Familiennamen finden wir u.a. Lichtenstein, Simon, Arnheim, Herz, Levi, Salomon und Wulff [siehe Anlage 1]. Bei der Volkszählung am 1. Dezember 1905 wurden für Grabow 20 Juden, davon 11 Erwachsene und 9 Kinder erfasst [siehe Anlage 2]. Tätig waren die Juden in Grabow als selbständige Händler und Kaufleute. Die israelitische Gemeinde besaß in Grabow bis 1932 ein Synagogengebäude. Es befand sich an der Ecke Schulstraße, Wasserstraße. 1930 hat sich die Gemeinde einstimmig entschieden, das Gebäude zu verkaufen. Als Begründung wird angegeben, dass das Gebäude seit langen Jahren unbenutzt gewesen ist und durch die Verkleinerung der Gemeinde auch weiter unbenutzt bleiben wird. 1 Dieses Haus wurde am 25.5.1932 an Karl Giern verkauft. Das Gebäude existiert heute nicht mehr, es wurde etwa 1975 wegen Baufälligkeit abgerissen. [siehe Anlage 3] Die Entrechtung und Verfolgung der deutschen Juden begann direkt nach Hitlers Machtübernahme, zunächst mit gezieltem Straßenterror der SA. Ab März 1933 wurden jüdische Ärzte, Rechtsanwälte, Apotheker, Bademeister usw. aus ihren Freiberufen gedrängt, von ihren Verbänden ausgegrenzt und erhielten Berufsverbote. Am 1. April 1933 organisierte die SA den ersten Boykott jüdischer Geschäfte. Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Brufsbeamtentums vom 7. April 1933 wurden missliebige Beamte aus dem Staatsdienst entfernt. Der darin enthaltene Arierparagraph war das erste rassistische Gesetz für „Nicht-Arier“ und betraf Anhänger des jüdischen Glaubens oder vermuteter jüdischer Herkunft. Sie wurden zuerst aus dem öffentlichen Dienst, dann auch aus Vereinen, Berufsverbänden und evangelischen Landeskirchen entfernt, die ähnliche Paragraphen einführten. Sie wurden dann auch gesetzlich aus allgemeinen Schulen und allmählich aus dem gesamten öffentlichen Leben ausgeschlossen. Nur ehemaligen jüdischen Soldaten des Ersten Weltkriegs bot das Frontkämpferprivileg bis 1935 einen geringen Schutz. Infolgedessen wählten etwa 200.000 politisch oder rassisch Verfolgte den Weg der Emigration. Das NS-Regime begrüßte dies als „Flucht von Systemgegnern“. Gleichzeitig ließ es Konzentrationslager einrichten, in denen vor allem politische Gegner, aber auch religiöse Minderheiten massenhaft interniert wurden. Damit wurde der diktatorische Charakter des Regimes im In- und Ausland offensichtlich. 1935 entzog das Reichsbürgergesetz sämtlichen deutschen Juden ihre Bürgerrechte. Dennoch emigrierten daraufhin nur wenig mehr von ihnen als zuvor. Die meisten hatten sich auf die Diskriminierungen eingestellt und hofften auf Ablösung des Regimes; dies stellte sich in den Folgejahren als tödlicher Irrtum heraus. 1938 setzte sich die systematische Entrechtung der deutschen Juden mit den Arisierungen, der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben und der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens fort. 2 Mit administrativen Maßnahmen wie z. B. durch einen zusätzlichen Vornamen, einem „J“ im Reisepass, Kennkarten und Meldelisten wurden alle Juden erfasst. Die Novemberprogrome 1938 vernichteten reichsweit die jüdische Kultur in Deutschland. Erstmals wurden zehntausende Juden in Konzentrationslagern inhaftiert. Im Verlauf der nächsten Tage und Wochen wurden Hunderte von ihnen misshandelt, ermordet oder in den Tod getrieben. Was geschah davon in Grabow? Theodor Heinsius berichtet in seinen Erinnerungen „Meine Kindheit in Grabow/Mecklenburg“: „Eines Tages - Adolf Hitler und die Nationalsozialisten hatten am 30. Januar 1933 die »Macht« übernommen, wie es hieß - stand ich an der Gartenpforte unseres Hauses, als eine Kolonne von SA Männern vorbeimarschierte. Einige riefen mir das Wort »Judennlümmel« zu. Ich verstand das nicht und fragte am Abend meinen Vater, was ein »Jude« sei. Der Ausdruck »Lümmel« war mir natürlich bekannt. Mein Vater stutzte einen Augenblick, wusste wohl nicht recht, was' er seinem kleinen Sohn antworten sollte und sagte dann »Onkel Tobi ist ein Jude«. Das war eine kluge und für mich lehrreiche Definition, denn Onkel Tobi kannte ich und mochte ihn gern. Antisemitische Anwandlungen habe ich seitdem nie gehabt. Juden waren auch die Sabielaks, die in der Marktstraße 7 ein gutgehendes Schuhwarengeschäft betrieben. Noch heute habe ich trotz Krieg und Vertreibung einen Schuhlöffel mit der Aufschrift »1. Sabielaks Schuhwarenhaus Grabow i/M Marktstr. 7« in meinem Besitz. Einer ihrer Söhne, der mit mir zur Schule ging, trug den Vornamen »Adolf«. In den von Josef Goebbels als Reaktion auf die Ermordung eines Mitgliedes der Deutschen Botschaft in Paris durch den Juden Herschel Grünspan inszenierten Ausschreitungen gegen die Juden, der »Reichskristallnacht« am 9. Novemmber 1938, wurden im Schuhhaus die Schaufenster zerschlagen und die in der Auslage befindlichen Schuhe auf der Straße verstreut. Das sah ich am nächsten Morgen, was ich aber nicht sah, war die Polizei. Ich lief zu meinem Vater ins Büro, um ihn zu fragen, was das alles zu bedeuten habe. Eine plausible Antwort erhielt ich nicht, sondern nur den Hinweis, möglichst schnell nach Hause zu gehen und mich um meine Schularbeiten zu kümmern. Die Sabielaks verließen danach unser und ihr Land, bevor es zu spät gewesen wäre. Sie gingen nach London und hatten dort später ein sehr schickes Schuhgeschäft in der eleganten Old Bond Street.“ [siehe Anlage 4] Bernd Kasten berichtet in einem Aufsatz über die „Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945“ Am 10. November 1938 wurde in Grabow das Schuhhaus Sabielak verwüstet. Am Abend des gleichen Tages gegen 19:30 Uhr lieferte Polizeihauptwachtmeister Möller drei Häftlinge, nämlich Josef Sabielak (geb. 29. Oktober 1895 in Warschau), seinen Sohn Emil (geb. 29. Januar 1923 in Grabow) und Alfred Wolff (geb. 20. November 1876 in Hamburg) im Gefängnis in Alt-Strelitz ab. Ernil Sabielak und Alfred Wolff wurden am 17. November und Josef Sabielak am 2. Dezember entlassen. Am 23. November 1938 kam auch noch Georg Schmuhl (geb. 17. November 1895 in Osterode) aus Grabow in Alt-Strelitz an. Er wurde am 23. Dezember 1938 auf freien Fuß gesetzt und verzog von Grabow nach Berlin. Im Oktober 1941 wurde er von Berlin nach Lodz deportiert und am 4. Mai 1942 im Vernichtungslager Kulmhof (Kulm/Chelmno) ermordet. 3 Alfred Wolff, der in Grabow am Steindamm 8 gewohnt hatte, wurde am 9. Dezember 1939 in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht, wo er am 16. Februar 1940 starb. Die in Grabow am Kießerdamm 30 lebende Witwe Helene Tobias (geb. 31. März 1879 in Grabow) wanderte am 23. August 1939 nach Holland aus, wohin ihr Sohn bereits ein Jahr früher gegangen war. Im Februar 1942 befand sich Gertrud Hoffmann geb. Cohn (geb. 14. April 1887 in Verehen) im Konzentrationslager Ravensbrück. In Grabow selbst lebte nur noch Betty Londe geb. Rosenthal, die mit einem Nichtjuden verheiratet war. Über das Schicksal der Familie Londe während der NS-Zeit wurde in der Schweriner Volkszeitung im Jahre 1965 von Ursula Gärber unter dem Titel „Lassen Sie sich scheiden. Heldentum vor 20 Jahren“ berichtet. Gerhard Busse hat nach Rücksprache mit dem Sohn Erich Londe einige Richtigstellungen und Ergänzungen hierzu vorgenommen. Für Adolf Londe und seine Frau war es ein Glück, dass sie in einer Kleinstadt lebten. Denn hier, wo einer den anderen kannte, wo man vor Beginn der Hitler-Diktatur am Stammtisch gesessen hatte, gab es doch einige Hemmungen einem angesehenen Zahnarzt die jüdische Ehefrau zu entreißen. Am Anfang benügten sich die Grabower Nazis noch damit, den Arzt zu boykottieren, ihm die Kassenzulassung zu streichen und ihn aus dem Kegelverein auszuschließen. Bereits 1935 wurden die Fensterscheiben in der Wohnung der Familie Londe auf dem Steindamm eingeworfen. Adolf Londe hat während der ganzen Nazizeit ohne Krankenkassenzulassung praktiziert und sich nur mit Privatpatienten über Wasser gehalten. Sicherlich wurde Adolf Londe von verschiedenen Seiten aufgefordert, sich scheiden zu lassen. Das Ehepaar Londe lebte in einer sogenannten Mischehe, in der der jüdische Ehepartner vorerst vor Deportationen geschützt war. Frau Londes Bruder dagegen war in Auswitz vergast worden, ebenso dessen Frau und die Kinder. Der Sohn Erich von Adolf und Betty Londe ging von Ostern 1931 bis Ostern 1940 in die Realschule in Grabow. Danach besuchte er das Gymnasium in Ludwigslust, um dort das Abitur abzulegen. Er selber bestätigt, dass die Verfolgung durch sogenannte Schulkameraden von Ostern 1937 bis September 1940 währte. Er wurde im Spätherbst 1944 verhaftet und mußte im Kalischacht in der Nähe von Stassfurt arbeiten. Sein Abitur hat er nach dem Krieg 1946 in Greifswald abgelegt. Wie auf die Gewerbetreibenden Druck gemacht wurde, Juden nicht mehr zu bedienen, berichtet Ingeborg Siegmund: „Meine Eltern Wilhelm und Lisbeth Rutenberg bewirtschafteten in den Jahren 1935 1939 die Ziegelscheune bei Grabow. Es war ein gern besuchtes Ausflugslokal. Es war damals so üpblich, daß sonntags nachmittags ganze Familien längere Spaziergänge machten, sei es zur Hechtfortschleuse, Fresenbrügge, zum Gasthof Grünhof in der Nähe des Flugplatzes Techentin oder zur Ziegelscheune. In der Ziegelscheune trafen sich viele Grabower zum Klöschnack. Willi Fründt kam auch öfter. Auch einige jüdische Mitbürger gehörten zu unseren Stammgästen. Sie wurden wie andere Gäste akzeptiert und in keiner Weise von den Gästen belästigt. Im Sommer 1936 passierte jedoch folgendes: Herr Simon (Lotterie-Einnehmer vom Steindamm) und Familie saßen im Garten. Plötzlich fuhr ein Auto vor und ein SA-Standartenführer sowie einige Begleiter stiegen aus und ersuchten meinen Vater um eine Unterredung. Der Standartenführer warf meinem Vater folgendes vor: In Ihrem Lokal versammeln sich die Juden und Sie haben kein Schild an der Tür „Juden unerwünscht“ gehängt. Gerade von Ihnen als SA-Mann hätte ich eine andere Haltung erwartet. Ich erwarte, daß Sie das nachholen. 4 Er verschwand danach wieder. Mein Vater sagte daraufhin zu meiner Mutter: Jetzt muß ich den schwersten Gang meines Lebens tun. Er ging an den Tisch der Familie Simon und wollte etwas sagen. Herr Simon kam ihm jedoch zuvor und sagte „Herr Rutenberg. Sie brauchen mir nichts zu sagen. Ich habe das Auto gesehen. Nun ist auch diese Oase genommen.“ Geblieben ist von den Juden in Grabow nur der Friedhof. Der jüdische Friedhof in Grabow wird 1794 das erste Mal erwähnt. Er wurde bis in die 1939 Jahre belegt und hat alle Unbilden der Nazi-Zeit mit nur leichten Beschädigungen überstanden. 1952 wurde bei der Umgestaltung des Friedhofes zu einer Gedenkstätte dieser weitgehend abgeräumt. 17 Grabsteine blieben erhalten und wurden halbkreisförmig aufgestellt. 1988 wurde der Friedhof wiederum hergerichtet. Dabei wurde um die Grabsteine ein schmiedeeiserner Zaun gesetzt. Bei der Restaurierung der Grabsteine hat sich besonders Steinmetzmeister Bernhard Senff verdient gemacht. Der jüdische Friedhof in Grabow gehört ohne Zweifel zu den gut gepflegten Begräbnisstätten seiner Art in Mecklenburg. Wünschenswert wäre jedoch an einer würdigen Stelle in Grabow eine namentliche Übersicht, welche Juden aus Grabow in den Konzentrationslagern der Nazis ums Leben gekommen sind. 2012 erreichte uns eine Anfrage von Silke Georgi vom Komité Struikelstenen aus Eindhoven in den Niederlanden: „In Eindhoven, Niederlande, sind in den letzten 2 Jahren 246 Stolpersteine verlegt worden für die ermordeten Juden der Stadt. Unter den Opfern ist Hans Tobias, geboren am 27. Januar 1908 in Grabow. Seine Mutter war Helen Tobias, geborene Jacob, geboren am 31.3.1879 in Grabow. Sie war verwitwet und ist mit ihrem Sohn in 1938 in die Niederlanden geflüchtet. Hans Tobias wurde in einem Konzentrationslager ermordet, seine Mutter hat den Krieg überlebt. Wir werden ein Buch herausgeben mit den Biographien der Opfer und suchen daher so viel Information wie möglich über sie. Wir wissen beinah nichts über Hans Tobias. Haben Sie innerhalb Ihrer Tätigkeiten für die Website Grabow - Erinnerungen die Möglichkeit in Erfahrung zu bringen, ob in Grabow noch etwas von der Familie Tobias bekannt ist?“ Eine Durchsicht einiger uns zur Verfügung stehenden Quellen ergab folgendes über die Familien Jacob und Tobias. Die Familie Jacob hat in Grabow eine sogenannte Lumpensortieranstalt besessen. Die nebenstehende Anonce findet man in einem Buch über die Stadt Grabow aus dem Jahre 1924: Die Stadt Grabow in Mecklenburg Schwerin, Ein Führer unter besonderer Berücksichtigung der städtischen Verwaltungseinrichtungen und sonstigen Gemeindeverhältnisse, herausgegeben aus Anlaß der am 22.-24. Mai 1924 in Grabow stattfindenden 6. ordentlichen Mitgliederversammlung des Mecklenburgischen Städtetages vom Bürgermeister Dr. jur. Werner Siegismund Hieraus geht hervor, daß die Firma von Herrmann Jacob 1877 gegründet wurde. Alfred Jacob und Th. Tobias waren 1924 Inhaber dieser Firma. Bei Alfred Jacob handelt es sich um den Bruder von Helen Tobias, geborene Jacob. Th. Tobias ist der Vater von Hans Tobias. Im Telefonbuch aus dem Jahre 1934 wird obige Firma als „Lumpensortieranstalt Hermann Jabob“ geführt, Tel. 310, Postschließfach 1265 5 Die Familie Jacob hat folgendes Haus Kießerdamm 31 besessen, in dem sich unten das Kontor der Firma befunden hat. Sortieranlage, Lagerplatz, Lagerhalle und Garagen befanden sich hinter diesem Gebäude. Der Familie Tobias gehörte das Nachbarhaus Kießerdamm 30. Nach 1938 wurde die Firma von Friedrich Queißer unter der Bezeichnung „Altstoffverwertung“ bis etwa 1955 weitergeführt. Elisabeth Stolzenburg erinnerte in ihrem Vortrag über den 2. Weltkrieg in Grabow am 25.4.2013 an eine mutige Tat einer Grabower Bürgerin: „Immer öfter heulte die Sirene auch nachts auf. Dann wurden wir Kinder aus unseren Betten geholt, torkelten die Kellertreppe runter und schmissen unsvöllig übermüdet auf die ausgelegten Matratzen. Als unsere Mutter uns wieder einmal wegen Fliegeralarm mitten in der Nacht weckte, sah sie am Fenster unseres gegenüberliegenden Hauses den jungen Karl-Heinz Dreyer. Diese Entdeckung machte sie zu ihrem großen Geheimnis und viel später, als der Krieg vorbei war, hat sie uns davon erzählt. Das Haus Große Straße 5-6 gehörte Anfang des vorigen Jahrhunderts der jüdischen Kaufmannsfamilie Lichtenstein, die eine sehr schöne Tochter hatten. In die verliebte sich der Kaufmannssohn Heinrich Dreyer aus der Kirchenstraße und nach der Hochzeit stieg der Schwiegersohn in das renomierte Konfektionsgeschäft mit ein. Ich weiß nicht, ob die alten Lichtensteins noch lebten, als im November 1938 auch in Grabow den jüdischen Kaufleuten die Schaufensterscheiben eingeschmissen wurden und ob sich Heinrich Dreyer zu der Zeit schon auf Anraten von seiner jüdischen Frau scheiden lassen hatte. Jedenfalls verließ die junge Frau Dreyer nach der Scheidung Grabow und tauchte in Berlin bei Verwandten unter. Der Sohn Karl-Heinz blieb beim Vater und wurde im Krieg Soldat. Nur ein paar Monate vor Ende des Krieges entdeckte man die in einer Berliner Laubenkolonie versteckte Frau Dreyer und sie ging den furchtbaren Weg ins KZ und in den Tod. Nun wurde auch in Grabow nachgefragt, wo sich denn der Sohn aufhält, der ja schließlich ein Halbjude ist. Karl Heinz Dreyer war zu dieser Zeit als Wehrmachtsangehöriger in Frankreich stationiert, wo er auf Grund eines Fernschreibens aus Deutschland verhaftet werden sollte. Aber da gab es in der Schreibstube einen Kameraden, der, bevor er das verhängnisvolle Schreiben 6 weitergab, Karl-Heinz warnte. Der wußte sofort, was ihm drohte, denn er hatte beim Eintritt in die Wehrmacht verschwiegen, daß er Halbjude ist. Wie sein Fluchtweg durch Frankreich verlief und wie lange er unterwegs war, wissen wir nicht, nur daß er eines abends plötzlich bei seinem Vater vor der Tür stand. Eine Tragödie, denn der Vater ließ ihn nicht rein. Ich denke, er konnte es ja gar nicht. Im Dreyerschen Haus wohnte auch eine junge Familie Zierck. Herr Zierck war an der Front Soldat und Frau Zierck verdiente für sich und ihren 10-jährigen Sohn Wilfried als Verkäuferin ihren Unterhalt. Und diese Paula Zierck machte einfach ihre Tür auf und ließ den armen Karl-Heinz in ihre Wohnung. Wilfried brachte sie wegen der gefährlichen Situation zu den Großeltern in die Prislicher Straße. Frau Zierck hat den Halbjuden und fahnenflüchtigen Karl-Heinz Dreyer bis zum Kriegsende versteckt, obwohl sie wußte, dass darauf die Todesstrafe steht. Und meine Mutter wußte das auch. Nach dem Krieg ließ Vater Heinrich Dreyer für Frau Zierck das Wohnrecht auf Lebzeiten im Grundbuch seines Hauses eintragen und Karl-Heinz Dreyer ging in die Kommunalpolitik. Frau Zierck konnte das Wohnrecht mit freier Miete voll auskosten, denn sie ist sehr alt geworden. Bevor sie starb hat sie mir noch von den Ängsten und gefährlichen Situationen erzählt, die sie mit ihrem Schützling durchlebt hat. Ist es nicht eine Ironie des Schicksals, daß in den letzten Kriegswochen ausgerechnet in dem Dreyerschen Haus eine Stadtkommandantur der Deutschen Wehrmacht eingerichtet wurde? Wenn der junge Kommandant geahnt hätte, mit wem er dort unter einem Dach lebt! Und wieviel Ängste er unbewußt im Haus verbreitete!“ Die Erinnerung an die Verfolgung der Juden in der Nazizeit wachzuhalten und auch nachfolgenden Generationen zu vermitteln, gehört zu unserer Verantwortung vor der Geschichte. Ein Vergessen und die häufig anzutreffende Relativierung oder gar Leugnung der Verbrechen des Nationalsozialismus geht Hand in Hand mit der Ablehnung der Demokratie. Die hier zusammengetragenen Fakten über die Geschichte der Juden in Grabow bedürfen weiterer Ergänzungen. Für Hinweise wäre ich sehr dankbar. Letzte Ergänzungen und Berichtigungen: 28.10.2013 Dr. Uwe Sonnemann Kirchenstr. 18 19300 Grabow Tel. 038756 22102 7 Anlage 1: Die Volkszählungsliste aus dem Jahre 1819 weist folgende Juden in Grabow aus: Name Geburtsdatum / Informationen ABRAHAM, Mariane AHRENHEIM (geb. SIMON), Täubchen AHRENHEIM, Aaron AHRENHEIM, Abraham AHRENHEIM, Hanna AHRENHEIM, Jacob AHRENHEIM, Jette AHRENHEIM, Moses AHRENHEIM, Salomon AHRENHEIM, Simon FREENSTORFF, Zadick KEYMANN (geb. HOLLAENDER), Ester KEYMANN, ? LEVY (geb. MEYER), Henriette LEVY, Abraham LEVY, Daniel LEVY, David LEVY, Moses ROSENTHAL (geb. ALTENAUER), Zinel ROSENTHAL, Daniel Alexander ROSENTHAL, Marcus Daniel SALOMON (geb. LIEPMANN), Rahel SALOMON, Amalia SALOMON, Gelle SALOMON, Itzig SALOMON, Jette SALOMON, Joseph SALOMON, Joseph SALOMON, Lene SALOMON, Liepmann SALOMON, Maria 10.09. 1781, Perkunsch im Bambergischen; Dienstmädchen 10.07. 1777, Grabow; Ehefrau vom Kaufmann A.A. April 1765, Titz/Westpreußen; Kaufmann 04.08. 1805, Grabow 06.10. 1809, Grabow 28.10. 1754, Titz/Westpreußen 16.10. 1811, Grabow 27.04. 1816, Grabow 06.04. 1799, Grabow 16.04. 1800, Grabow 29.12. 1810, Hamburg (Pflegesohn v. KEYMANN) 02.10. 1787, Hamburg 14.10. 1779, Gniesen; Kaufmann, Schutzjude 13.02. 1773, Stavenhagen 25.01. 1787, Grabow; Handlungsdiener 30.07. 1806, Grabow 05.08. 1798, Grabow; Bursche 09.11. 1792, Grabow, Handlungsdiener 18.10. 1790, Rotkirch b. Fulda 10.10. 1818, Grabow 12.02. 1783, Proskow/Russisch Polen; Jüd. Schulmeister Januar 1777, Hagenow 01.07. 1786, Polnisch Schwerin; Witwe September 1806, Grabow Juni 1811, Grabow März 1802, Grabow Dezember 1800, Grabow 02.01. 1779, Grabow 27.12. 1815, Grabow Februar 1798, Grabow; Handlungsbursche 09.10. 1739, Schwerin/Westpreußen?; Ww., Mutter vom Kaufmann A.AHRENHEIM April 1767, Grabow; Hofliederant Januar 1809, Grabow 20.04. 1817, Grabow Juni 1804, Grabow 13.01. 1814, Grabow 20.09. 1778, Grabow; Ehefrau vom Haupt-Collecteur 06.05. 1807, Grabow 06.05. 1804, Grabow; Handlungsbursche 24.04. 1780, Grabow; Haupt-Collecteur 19.03. 1774, Stavenhagen; Witwe vom Schutzjuden 27.09. 1802, Grabow 21.09. 1808, Grabow 26.06. 1811, Grabow SALOMON, Moses SALOMON, Salomon Moses SALOMON, Samuel SALOMON, Sara SALOMON, Sophie SIMON (geb. MAGNUS), Jette SIMON, Itzig SIMON, Julius SIMON, Moses WOLFF (geb. JOSEPH), Lea WOLFF, Fanny WOLFF, Isaac WOLFF, Rosa 8 Anlage 2 9 Anlage 3 Schulstraße 15, im 1. Stock befand sich der Saal der Synagoge Hier stand das Haus, in dem die israelitische Gemeinde eine Synagoge hatte. 10 11 Anlage 4 Schuhhaus Sabielak in der Marktstraße Haus der Sabielaks in London Emma Sabielak mit ihren Kindern Isaak *1922 und Dolfi *1927 12 Literaturangaben /1/ Jürgen Borchert, Detlef Klose: Jüdische Spuren in Mecklenburg, Berlin 1994 /2/ Bernd Kasten: Verfolgung und Deportation der Juden in Mecklenburg 1938-1945 Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg Vorpommern 2008 /3/ Norbert Francke/Bärbel Krieger: Schutzjuden in Mecklenburg, ihre rechtliche Stellung, ihr Gewerbe, wer sie waren und wo sie lebten, Verein für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg und Vorpommern e.V. /4/ Heinz Hirsch: Spuren jüdischen Lebens in Mecklenburg, Schwerin 2006 /5/ Theodor Heinsius: Meine Kindheit in Grabow/Mecklenburg, Erinnerungen, Frankfurt am Main 2008 /6/ Elisabeth Stolzenburg: Vortrag über den 2. Weltkrieg in Grabow, gehalten am 25.4.2013 im Reuterhaus in Grabow /7/ Ursula Gärber: Lassen Sie sich scheiden. Heldentum vor 20 Jahren, Ludwigsluster Volkszeitung von 1965 /8/ Gerhard Busse, Erich Londe: Richtigstellungen zu dem Zeitungsartikel von Ursula Gärber, Archiv der Stadt Grabow /9/ Erinnerungen von Ingeborg Siegmund an eine Begenheit mit der jüdischen Familie Simon in der Gaststätte Ziegelscheune bei Grabow, Archiv der Stadt Grabow /10/ Verschiedene Materialien aus dem Stadtarchiv über die Juden in Grabow, ich bedanke mich für die Unterstützung durch Frau Pries 13