11 Freundinnen müsst ihr sein

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11 Freundinnen müsst ihr sein
Okka Gundel
11 Freundinnen
müsst ihr sein
Warum Frauenfußball begeistert
Knaur Taschenbuch Verlag
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Originalausgabe April 2011
Copyright © 2011 by Knaur Taschenbuch.
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Franz Leipold, München
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Umschlagabbildung:
Satz: Adobe InDesign im Verlag
Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany
ISBN 978-3-426-78449-5
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Für Karsten. Meinen größten Fan.
Danke für ein wunderbares Leben.
Inhalt
Vorwort von Dr. Theo Zwanziger . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Frauenfußball in Deutschland –
eine einmalige Erfolgsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Die zarten Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Hannelore Ratzeburg – die Pionierin . . . . . . . . . . . . . 18
Der große Tag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Die Geburtsstunde der Nationalmannschaft . . . . . . . 23
Europameisterschaft 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Frauenfußball in der DDR. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Weltmeisterschaft 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Jahre in der Weltspitze – Bilanz und Ausblick. . . . . . 45
Ladylike – 12 Fußballfrauen im Porträt . . . . . . . . . . . . . 47
Inka Grings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
Silvia Neid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
Fatmire »Lira« Bajramaj. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
Martina Voss-Tecklenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
Simone Laudehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
Nia Künzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
Kim Kulig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
Nadine Angerer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
Alex Popp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
Birgit Prinz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
Steffi Jones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Bibiana Steinhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Dr. Theo Zwanziger –
Übervater der Frauen-Nationalmannschaft . . . . . . . . 173
Rituale – ein Blick in die Kabine . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Anekdoten aus der »guten alten Zeit«
des Frauenfußballs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
Schiedsrichter 2487 / 72 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
China 1991. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
Polen 1992 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
Irgendwann im Ostblock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
»Damen« oder »Frauen« –
»Ladies« oder »Women« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
Vom Flatterhemd zum Girls Cut . . . . . . . . . . . . . . . . 193
Fußballstiefel und andere Stiefel . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Abpfiff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
Frauenfußball und Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
von Dr. Theo Zwanziger
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Vorwort
ch bin ein Freund des Frauenfußballs. Gelegentlich wird
dieses Bekenntnis als Abgrenzung zum Männerfußball
missverstanden, den ich jedoch auch – bereits seit Jahrzehnten – mit großer Leidenschaft begleite. Weil es einen Fritz
Walter gab, einen Uwe Seeler, einen Franz Beckenbauer und
mein großes Idol Günter Netzer.
Durch die großartigen Erfolge unserer Frauen-Nationalmannschaft in den vergangenen Jahren haben sich auch in
diesem Bereich tolle Persönlichkeiten entwickelt, die für
viele fußballbegeisterte Mädchen zu Identifikationsfiguren
geworden sind. Einige von ihnen werden in diesem Buch
vorgestellt. Meine ganz persönliche Lieblingsspielerin, das
ist längst kein Geheimnis mehr, ist Anja Mittag. Sie hat meine Begeisterung für den Frauenfußball entfacht als sie vor
einigen Jahren ein ohnehin schon sehr ansehnliches DFBPokalendspiel in Berlin mit ihrer technischen Brillianz und
Raffinesse zu einem besonderen Spektakel machte.
Zuvor ging es mir wie vielen, die den Frauenfußball zunächst skeptisch beurteilen. Zu selten hatte ich mit der nötigen Aufmerksamkeit ein Spiel unserer Frauen-Nationalmannschaft oder der Frauen-Bundesliga gesehen. Will man
die Faszination des Frauenfußballs beschreiben, endet dies
häufig in Vergleichen zum Männerfußball. Damit wird man
aber beiden Sportarten nicht gerecht. Es gibt begeisternde
Elemente auf der einen Seite, die auf der anderen nicht zum
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Tragen kommen – und umgekehrt. Sich auf den Frauenfußball einzulassen bedeutet auch, sich loszulösen von Klischeedenken, von Vorurteilen, von Vorverurteilungen.
In Bezug auf den gesamten Fußball birgt der Frauenfußball vor allem enorme Chancen. Aktuell haben wir im Deutschen Fußball-Bund fünfzehn Prozent weibliche Mitglieder.
Das ist noch viel zu wenig. Der Boom beim Mädchenfußball
ist längst kein Strohfeuer mehr. Durch die demografische
Entwicklung werden sich bei den Jungs als auch bei den
Männern die Teams reduzieren. Die Mädchen sind die Zukunft. Sie brauchen eine faire Chance in den Vereinen und
dürfen nicht das Gefühl vermittelt bekommen, das fünfte
Rad am Wagen zu sein.
Die große integrative Kraft des Fußballs offenbart sich in
der beeindruckenden Lebensgeschichte von Nationalspielerin Fatmire Bajramaj, die ursprünglich aus dem Kosovo
stammt. Sie ist ein Vorbild für viele junge Fußballerinnen
mit muslimischen Wurzeln, und es muss unser Ziel sein,
künftig noch viel mehr Mädchen mit ähnlicher Geschichte
durch den Fußball in die Gesellschaft zu integrieren und ihnen zu helfen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken.
Die Ausrichtung der FIFA Frauen-Fußballweltmeisterschaft 2011 bietet eine großartige Möglichkeit, diese Chancen wahrzunehmen und den Frauenfußball in unserem Land
nachhaltig zu etablieren. Die Identifikation mit unseren
Spielerinnen voranzutreiben ist dabei eine wichtige Aufgabe. Das vorliegende Buch trägt dazu in informativer, unterhaltsamer und zuweilen nachdenklicher Weise bei.
Dr. Theo Zwanziger
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Einleitung
IFA-Präsident Sepp Blatter mag zwar nicht der sympathischste aller Zeitgenossen im Fußball sein, aber er ist
mächtig, und manchmal landet auch er einen Volltreffer.
»Die Zukunft des Fußballs ist weiblich«, sagte Blatter schon
1995. Und für alle, die es noch nicht mitbekommen haben:
Er hatte recht. Frauenfußball hat ein enormes Potenzial; er
wird seinen vorläufigen Höhepunkt mit der Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland erreichen.
»Frauen sind Zicken und haben keine Ahnung von Fußball.« – willkommen in der Welt der Klischees! Und davon
gibt es im Frauenfußball genug. Alle Fußballerinnen sind
lesbisch, keine rasiert sich die Beine, sie sind langsam und
unathletisch … Wer heute noch so etwas behauptet, hat die
letzten zehn Jahre verpennt. Guten Morgen!
Frauenfußball ist nach der ersten Dekade des neuen Jahrtausends vor allem eins: erfolgreich. Und warum? Weil Fußballerinnen ihren Sport lieben. Sie sind nicht satt wie viele
männliche Profis, sondern hungrig nach Erfolg. Es ist pure
Leidenschaft. Für ihren Sport würden sie alles tun. Im Gegensatz zum Männerfußball, bei dem jeder Durchschnittskicker heutzutage Millionen nach Hause schleppt, ist Frauenfußball bei weitem noch keine Gelddruckmaschinerie.
Nur die Topelite des deutschen Frauenfußballs kann vom
Sport allein leben, die meisten jedoch spielen aus Idealismus.
Sie geben ihr Herzblut.
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Für Frauen ist Fußball mehr als nur ein Sport. Wenn wir
sehen, wie die deutsche Nationalelf einen Titel nach dem anderen abräumt, dann sind das die Highlights im Leben einer
Fußballerin. Der Alltag jedoch sieht anders aus. Neben
Schule, Ausbildung und Job geht’s zum Training, teilweise
zweimal am Tag. Fast alle brauchen ein zweites Standbein
für das Leben nach dem Fußball.
Bis vor wenigen Jahren mussten sich viele Fußballerinnen
verteidigen, weil sie diesen Sport betreiben, der doch eigentlich ein Männersport ist. Sie waren Außenseiter, wurden belächelt und verhöhnt. Fußball war schließlich Sache der Männer. Emanzipation? Im Fußball wurde sie lange ignoriert. Bis
1970 war der Frauenfußball im DFB sogar verboten. Aber
schließlich sind diejenigen, deren Leidenschaft für diesen
Sport stärker als das Machotum war, als Sieger hervorgegangen. Ausgerechnet ein Mann hat den deutschen Frauenfußball nach oben torpediert: Dr. Theo Zwanziger, seit 2004
Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Er hat sich
nicht nur als echter Fan des Frauenfußballs geoutet, sondern
ist auch ihr größter Förderer. Er war es, der die Weltmeisterschaft nach Deutschland geholt hat.
Mittlerweile zeigen der Daumen und der Trend im Frauenfußball nach oben. Es hat sich was geändert. Frauenfußball ist ein Hingucker geworden, und zwar in vielerlei Hinsicht. Frauenfußball ist guter Fußball. Er ist schneller geworden, athletischer, aggressiver, und er hat ein hohes
technisches Niveau erreicht. Er erinnert an den attraktiven
Männerfußball in den 1970er und 1980er Jahren – damals,
als es noch schöne Spielzüge gab, als man sich Spiele nur aus
der Perspektive der Führungskamera angucken konnte,
ohne einzunicken.
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Außerdem ist Frauenfußball etwas fürs Auge geworden.
Wir sehen absolut durchtrainierte Mädchen, die Wert auf ihr
Äußeres legen. Attraktivität auf dem Platz ist wichtig. Frauenfußball ist ein ästhetisches Erlebnis. Verkappte Mannsweiber, womit dieser Sport früher – teilweise auch zu Recht –
automatisch assoziiert wurde, sind selten geworden. Wer
aber sind unsere erfolgreichen Frauen im Fußball? Wir haben in diesem Buch die Geschichten unter den Trikots ausgegraben, die übrigens immer körperbetonter werden. Was
hatte FIFA-Präsident Sepp Blatter 1995 noch gesagt? »Die
Zukunft des Fußballs ist weiblich.« Und die Zukunft ist
jetzt.
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Frauenfußball in Deutschland —
eine einmalige Erfolgsgeschichte
ede Zukunft hat auch eine Vergangenheit. Die des Frauenfußballs in Deutschland hat eine sehr interessante und
bisweilen sogar amüsante. Die Geschichte beginnt nach dem
Zweiten Weltkrieg, das heißt, eigentlich beginnt sie noch
nicht, denn am Anfang stand erst einmal ein Verbot …
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Die zarten Anfänge
In den 1950er Jahren, als wir nach dem Wunder von Bern
endlich wieder wer waren, befand sich der Frauenfußball
auf dem Nullpunkt. 1955 wurde er vom Deutschen FußballBund (DFB) offiziell verboten. Gleichberechtigung und
Emanzipation waren damals noch Fremdwörter – nicht nur
im Fußball. Deshalb war es nicht weiter verwunderlich, dass
man scheinbar plausible Gründe für dieses Verbot fand. So
hieß es zum Beispiel sinngemäß: »… dass diese Kampfsportart der Natur des Weibes im Wesentlichen fremd ist …; dass
Körper und Seele unweigerlich Schaden erleiden …, dass
das Zurschaustellen des Körpers Schicklichkeit und Anstand
verletze und die Gebärfähigkeit beeinträchtige …« Nur als
kleiner Sidekick: Nach dem Krieg durften Frauen schuften
bis zum Umfallen. Niemand fragte damals, ob das auch der
physischen Konstitution einer Frau entsprach. Wie auch immer, die Zeiten haben sich ja zum Glück geändert. Ende
1970 hob der DFB das Frauenfußball-Verbot auf seinem
Bundestag wieder auf.
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Hannelore Ratzeburg — die Pionierin
Hier beginnt die Geschichte der Hannelore Ratzeburg. Ihr
Name ist Programm, wenn es um Frauenfußball in Deutschland geht. Sie war und ist immer noch eine Vorreiterin, die es
aufgrund ihres unermüdlichen Einsatzes in der Verbandsarbeit als bisher einzige Frau bis ins DFB-Präsidium geschafft
hat. Heute ist Hannelore Ratzeburg Vizepräsidentin für
Frauen- und Mädchenfußball. Eine, die immer und überall
dabei ist. Eine, die alles miterlebt hat. So auch das Jahr
1970.
Damals war die Hamburgerin neunzehn Jahre alt. Sie
machte ein bisschen auf intellektuell und las gerne in der
U-Bahn den Spiegel – Hannelore Ratzeburg, eine Rebellin
aus traditionellem Haus. Die Zeit war geprägt von Jugendrevolten und Studentenunruhen, eine Zeit des Aufbruchs
und Umbruchs. Dass der DFB das Verbot des Frauenfußballs aufgehoben hatte, ging damals dick und fett durch die
Medien. Eine Sensation in Zeiten, in denen es noch die sogenannte Hausfrauenehe gab, das heißt eine Ehe, in welcher
der Mann auch rechtlich gesehen das Sagen hatte und eine
Frau beispielsweise nur mit dem Einverständnis ihres Gatten arbeiten gehen durfte. Ratzeburg wurde durch die Aufhebung des Verbots zum ersten Mal überhaupt auf Frauenfußball aufmerksam. Sie war begeistert und sprang sofort
auf den Zug auf – und bisher noch nicht wieder runter.
Ihr damaliger Freund spielte 1970 Fußball bei West-Eims18
büttel. Auf der Weihnachtsfeier seines Vereins war Frauenfußball ein heiß diskutiertes Thema unter den Spielern und
Spielerfrauen. Der Tenor war schnell klar: Man wollte es
ausprobieren. Anfang 1971 ergatterten die Frauen eine Hallenzeit fürs Training, das Hannelore Ratzeburgs Freund zusammen mit zwei Kumpels leitete. Er hatte ihr schon zu
Weihnachten echte Hallenfußballschuhe geschenkt; damit
war sie ganz weit vorne, denn die meisten Mädels kreuzten
tatsächlich in ihren Gymnastikschläppchen auf. Alles war
noch ein bisschen unbeholfen, aber sie juchzten und jauchzten, hatten richtig Spaß, fanden es spannend und auch
schick.
Die Akquise der Spielerinnen nahm Hannelore Ratzeburg
selbst in die Hand. Neben ihrem Elternhaus befand sich ein
Studentenwohnheim – der perfekte »Tatort« sozusagen,
denn dort vermutete sie selbstbewusste Frauen und Sportstudentinnen, die sich nicht mehr von den Eltern reinquatschen ließen und die sich auch nicht rechtfertigen mussten,
ob und warum sie Fußball spielen wollten. Sie machte einen
Aushang, und es meldeten sich tatsächlich mehrere Frauen;
so viele sogar, dass sie ganz schnell eine Mannschaft aufstellen konnten. Zur Rückrunde 1971 durften sie bereits in einer
einfachen Runde spielen. Immerhin gab es damals in Hamburg bereits achtundzwanzig Frauenmannschaften. Kurz
vorher fand die Mitgliederversammlung des Sportvereins
West-Eimsbüttel statt. Ihre Kameradinnen schickten sie
dorthin, damit sie verschiedene Dinge wie Trikots, Bälle,
Platzreservierung etc. ansprechen konnte. Als sie dort ihr
Anliegen vortrug, waren die meisten Mitglieder entsetzt; ein
Herr knallte sogar seinen Handstock auf den Tisch und rief:
»Nehmt euch vor solchen Frauen in Acht!« Natürlich hatte
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keiner der ausschließlich männlichen Verantwortlichen des
Vereins Bock, sich um Hannelore Ratzeburgs »Probleme«
zu kümmern. Stattdessen sollte sie erst einmal die wirklichen Probleme des Vereins kennenlernen. Und so wurde sie,
nachdem sie noch vor Ort ihren Mitgliedsantrag unterschrieben hatte, direkt in den Vorstand gewählt, um sich der
Sache anzunehmen. Da war Hannelore zum ersten Mal allein unter Männern. Es sollte noch öfter so kommen, aber
damit hatte sie nie ein Problem, auch wenn sie sich durchaus
bewusst war, dass sie von den Männern damals keiner für
voll genommen hatte. Egal! Das Gute an ihrer Vorstandsarbeit war, dass durch sie die Ehefrauen der wichtigen Herren
auch auf Frauenfußball aufmerksam wurden. Und so langsam verstummten dann die überheblichen Stimmen in der
abgehobenen Männerrunde.
Hannelore Ratzeburg nahm ihr Amt und ihre Arbeit
ernst, sie kümmerte sich um alles. »Dann ging die Party los«,
wie sie noch heute stolz berichtet. Interessant waren die
Auflagen, die der DFB für die Frauen aufstellte:
• Die Spielzeit betrug nur zweimal dreißig Minuten.
• Es sollte mit einem Jugendball der Größe 4 gespielt werden, der kleiner war als ein normaler Ball.
• Bei Freistößen war die Schutzhand (Arme vor der Brust
verschränkt) erlaubt.
• Es sollten keine Schraubstollen getragen werden, weil sie
schlecht für die Gelenke seien.
Hier also hatte der DFB doch noch einige Abgrenzungen
zum Männerfußball parat, offiziell zum Schutz der Frau.
»Die Männer, die sich das ausgedacht haben, saßen wohl im
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Biologie-Unterricht in der letzten Reihe. Das war doch totaler Quatsch. Kein Mensch hat sich an diese lächerlichen
Auflagen gehalten, und es hat sie auch keiner kontrolliert«,
erzählt Hannelore Ratzeburg. »Außerdem sollte offiziell
nur bei schönem Wetter gespielt werden. Auch das wurde
ignoriert … zum Glück, denn sonst hätte ja niemals ein geregelter Spielbetrieb organisiert werden können.«
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Der große Tag
Am 9. Mai war es soweit: Für Hannelore Ratzeburg stand
das erste Spiel an, und zwar gegen den HSV. Endstand 0 : 6.
Es war Muttertag. Ihre Mutter war natürlich nicht da. Sie
wollte mit Frauenfußball nichts zu tun haben. Es war trocken, erinnert sich Hannelore Ratzeburg, und sie durften
dieses Spiel auf dem heiligen Rasen austragen, wo sonst nur
die Männerspiele stattfanden. Das galt allerdings nur für
diese historische Premiere. Alle anderen Spiele fanden auf
einem Asche- oder Hartplatz statt – immerhin tagsüber bei
guten Lichtverhältnissen, während das Training am Abend
auf einem schäbigen Ascheplatz ohne Flutlicht abgehalten
wurde. »Es gab quasi nur einen Restposten Licht vom anderen Platz, und wir mussten im Halbdunkel trainieren.«
250 Zuschauer waren gekommen, fast nur Männer. Sie
bogen sich vor Lachen, weil es ein katastrophales Match war.
»Wie ein Bienenschwarm jagten alle Spielerinnen dem Ball
hinterher. Kein Wunder, es war ja wirklich das erste Spiel für
uns alle.« 0 : 6 verloren. So what! »Wir sind dann ins Clubheim
gefahren. Die HSV-Frauen kamen mit, und wir haben zusammen gefeiert, wie nach jedem Spiel. Einigkeit macht stark. Die
anderen Frauenmannschaften hatten ja die gleichen Probleme, das heißt wie nett oder nicht nett sie im Verein behandelt
wurden. Es war immer wie eine Erfahrungsbörse«, schwärmt
Hannelore Ratzeburg von dieser verschwörerischen Anfangszeit im Frauenfußball. Es hatte viel Menschliches!
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Die Geburtsstunde der Nationalmannschaft
Im Jahr 1979 lud die UEFA alle Nationalverbände zu einer
Frauenkonferenz ein. Auch Hannelore Ratzeburg als Mitglied des DFB-Spielausschusses war dabei. Die UEFA wollte
von allen Nationen ein Update zum Frauenfußball haben
und bot an, entweder einen europäischen Vereinswettbewerb oder einen Wettbewerb für Nationalmannschaften
auszuschreiben. Hannelore Ratzeburg war damals schon ein
ausgebuffter Fuchs in ihrem Metier; ihr war sofort klar, dass
die einzelnen Vereine damit finanziell überfordert wären,
während bei Nationalmannschaften der jeweilige Verband
die Kosten tragen müsste. Die Abstimmung fiel für die Nationalmannschaften aus. »Dann war Holland in Not«, berichtet Ratzeburg. Oder besser gesagt: Deutschland, denn es
gab bis dahin keine deutsche Nationalmannschaft. Ratzeburg rief den damaligen Präsidenten Hermann Neuberger
an und fragte, was sie nun tun solle – ohne Nationalteam.
Neuberger sagte ganz schlicht: Dann stellen wir eben eine
Nationalmannschaft auf. Kurzerhand wurde Gero Bisanz,
der damalige Leiter der Trainer-Ausbildung an der Sporthochschule Köln, zum Bundestrainer der Frauen ernannt.
Bisanz hatte sich bis dahin noch nicht mit Frauenfußball beschäftigt, und da bereits die ersten Qualifikationsspiele für
die Europameisterschaft vor der Tür standen, rekrutierte er
fast die gesamte Mannschaft vom damaligen Branchenführer
Bergisch Gladbach. Die Trainerin von Bergisch Gladbach,
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Anne Trabant-Haarbach, machte er praktischerweise zu
seiner Co-Trainerin. Dazu kamen ein paar Talente und Spielerinnen aus anderen Mannschaften.
Nach einigen Trainingseinheiten stand im November 1982
das erste offizielle Länderspiel der deutschen Frauennationalmannschaft an, und zwar gegen die Schweiz im Stadion
Oberwerth in Koblenz. Am Spieltag selbst machte sich
Hannelore Ratzeburg mit dem Zug von Hamburg auf den
Weg nach Koblenz, in einem kleinen abgetrennten Abteil.
Ein Bummelzug, der an jeder Milchkanne hielt. ICEs gab es
noch nicht. Kurz vor Koblenz kam sie mit einer älteren
Dame ins Gespräch, die sagte: »Sie sind ja ganz blass, geht’s
Ihnen nicht gut?« Ratzeburg erzählte der Dame von dem
bevorstehenden Ereignis, dass sie aufgeregt sei wegen des
ersten Länderspiels, wegen der Presse, die sich angekündigt
hatte, wegen der ganzen DFB-Bosse, die kommen wollten,
wegen der über 5000 Zuschauer, die erwartet wurden. Nie
im Leben hatte sie damit gerechnet, dass jemals so viele
Menschen ein Frauenfußballspiel schauen wollten.
Dieser 10. November 1982 sollte ein Meilenstein des
Frauenfußballs werden, und Hannelore Ratzeburg hatte
kräftig daran mitgemeißelt. Trotzdem war sie sich nicht sicher, ob wirklich alle den deutschen Mädels die Daumen
drücken würden. Sollte es ein Fiasko werden, würden sich
die Kritiker wieder laut zu Wort melden. Die Schweiz als
Gegner – das war fast schon Tradition, denn auch die Männer hatten ihr erstes Spiel nach dem Zweiten Weltkrieg gegen
die Schweiz bestritten. Zum Glück waren die Eidgenossen
sehr fortschrittlich und hatten bereits ein Frauenteam. Im
Stadion sah Hannelore Ratzeburg dann Präsident Neuberger und die Crème de la Crème des DFB. »Ich war ein klei24
nes Würstchen und kannte die ja alle gar nicht!« 5 : 2 siegte
die deutsche Mannschaft, aber Hannelore Ratzeburg war
immer noch schlecht. Die Aufregung. Vielleicht ist deshalb
auch ihre Erinnerung an das, was nach dem Spiel geschah,
sehr lückenhaft. Ob und wie sie noch gefeiert haben, das
weiß sie nicht mehr. Die Frauen haben sich umgezogen, und
es gab auch irgendwo was zu essen, meint sie sich zu erinnern. Doch die meisten Spielerinnen sind dann auch abgerauscht, weil sie am nächsten Tag ganz normal arbeiten
mussten. Der historische 10. November 1982 war ein Mittwoch.
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