Ansehen - Berliner Dom

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Ansehen - Berliner Dom
Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
P farre r Alexander Höner
7. Sonntag nach Trinitatis, 07. August 2011
Predigt über Johannes 6,30-35 („Jesus das Brot des Lebens“)
>> Von welchem Brot wollen wir uns ernähren? <<
„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns
allen.“ (2.Kor 13,13) Amen.
Liebe Mitbürger der Heiligen, liebe Hausgenossen Gottes,
der Predigttext:
„Da sprachen sie zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du?
Unsre Väter haben in der Wüste das Manna gegessen, wie geschrieben steht (Psalm 78,24): »Er gab ihnen Brot vom
Himmel zu essen.«
Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben,
sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn Gottes Brot ist das, das vom Himmel kommt und
gibt der Welt das Leben.
Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot.
Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an
mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“
Ich erzähle eine zweite Brotgeschichte. Von Linde Harttmann. Sie ist einem Aufruf der VELKD – der Vereinigten
Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, also dem lutherischem Dachverband – gefolgt. Diese hatten im
vergangenen Jahr aufgefordert, Kurzgeschichten zur Vaterunser-Bitte „Unser tägliches Brot gib uns heute.“ zu
schreiben. Das ist eine schöne Sammlung. Schnell zu finden im Internet unter dem Stichwort „Brotgeschichten“
(http://www.velkd.de/brotgeschichten.php).
„Weil Krieg ist, auch weil unsere Oma keine Reichtümer besitzt, gibt es zum Frühstück Marmeladenbrot. Dazu
Malzkaffee aus einer blanken Aluminiumkanne. Die steht auf dem Herdrand für den ganzen Tag, falls jemand durstig
wird. Oma schneidet Brotscheiben vom großen runden Laib ab. Sie hält ihn mit einer Hand gegen ihre Brust, mit der
andern Hand zeichnet sie mit der Messerspitze drei Kreuze auf die Unterseite des Brotlaibs. Dazu flüstert sie wortlos:
‚Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.’ Dann schneidet sie schweigend rund um den Laib
die Scheiben ab. Teilt sie aus. Für uns protestantische Kinder ein geheimnisvolles Ritual. Omas Segen auf jedem Laib
Brot. Nach dem Frühstück schiebt unsere Oma die verstreuten Brotkrumen mit der Handkante zum Tischrand, nimmt
sie auf, trägt sie in den Garten. Für die Vögel. Sie bleibt dort noch eine Zeitlang stehen, blinzelt in die Sonne. ‚Ihr
Kinder habt heut' einen schönen Tag.’ meint sie.“
Jesus Christus spricht: „Ich bin das Brot des Lebens.“ Ein Bild, das jede, jeder versteht. Brot ist ein
Grundnahrungsmittel, ein Symbol fürs Überleben. Die Großmutter dankt mit drei Kreuzeszeichen für das
nichtselbstverständliche tägliche Brot. „Ich bin das Brot des Lebens.“ Warum sagt Jesus diese Analogie? Vor dem
heutigen Predigttext steht die „Speisung der Fünftausend“. Wir haben dieses Wunder vorhin in der Lesung gehört.
Die beteiligten Menschen sind bewegt von dem Ereignis und wollen mehr von dem Mann wissen, der sie satt
gemacht hat. Sie fragen: „Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du?
Unsre Väter haben in der Wüste das Manna gegessen, wie geschrieben steht (Psalm 78,24): »Er gab ihnen Brot vom
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Himmel zu essen.«“ Jesus sättigte mit fünf Gerstenbroten und zwei Fischen fünftausend Menschen und die
Gesättigten fragen ihn tatsächlich immer noch: „Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben?“
Sind die Fragenden unverschämt, maßlos? „Mach’ noch mehr, dann glauben wir dir! Ernähre uns jeden Tag, dann
folgen wir dir?“
Den Glauben an Quantitäten zu knüpfen, ist keine gute Idee. Das haben wir selber spätestens dann gemerkt, wenn
wir als Schüler für eine Klausur in der Schule gebetet und trotzdem eine „5“ geschrieben haben. Da entstehen die
ersten Brüche in der Glaubensbiografie. Gott, wo sind deine Zeichen? Eine „4“ hätte es doch mindestens sein
können. Auch wenn Jesus damals 10.000 Menschen satt gemacht hätte, sie hätten immer noch gefragt: „Was tust
du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben?“ Vier Verse vor unserem Predigttext stellt Jesus klar: „Ihr sucht
mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von dem Brot gegessen habt und satt geworden seid.
Schafft euch Speise, die nicht vergänglich ist, sondern die bleibt zum ewigen Leben.“
Jesus stellt der Quantität die Qualität gegenüber. Brot der Erde und Brot des Himmels. Die Fragenden wollen eine
Wiederholung des Wunders. „Wir folgen dir, wenn du uns jeden Tag satt machst.“ Sie sehen das Brot als Brot, nicht
als Zeichen, als Bild. Es gibt zu diesem eindimensionalen Blick eine eindrückliche, verstörende Passage bei der
Theologin Dorothee Sölle: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, er stirbt sogar am Brot allein, einen
allgegenwärtigen, schrecklichen Tod, den Tod am Brot allein. Den Tod, bei dem wir noch eine Weile weitervegetieren
können, weil die Maschine noch läuft, den furchtbaren Tod der Beziehungslosigkeit: Wir atmen noch, konsumieren
weiter, wir scheiden aus, wir erledigen, wir produzieren, wir reden noch vor uns hin und leben doch nicht. Alleinsein
und dann alleingelassen werden wollen; keine Freunde haben und dann den Menschen misstrauen und sie verachten;
die anderen vergessen und dann vergessen werden; für niemanden da sein und von niemandem gebraucht werden;
um niemanden Angst haben und nicht wollen, dass einer sich Sorgen um einen macht; nicht mehr lachen und nicht
mehr angelacht werden; nicht mehr weinen und nicht mehr beweint werden: der schreckliche Tod am Brot allein.“
(Dorothee Sölle, Die Hinreise, 7f)
„Schafft euch Speise, die nicht vergänglich ist, sondern die bleibt zum ewigen Leben.“ Qualität statt Quantität. Das
Erdenbrot macht satt für eine gewisse Zeit. Das Himmelsbrot hält vor – eine Ewigkeit. Was hat Dauer in unserem
Leben, was ist beständig? Dominiert die kurzfristige Sicht oder die langfristige Perspektive? Wovon lassen wir uns
leiten? Wonach sehnen wir uns?
Ich habe momentan das Gefühl, dass unendlich viele kurzfristige Botschaften auf uns einströmen. Und da geht es
meistens um das Brot allein, wie es Sölle beschrieben hat. Materielle Botschaften: Lege dein Geld an, dass es sich in
einem Jahr verdoppelt; mache dir keine Illusionen über das Gesundheitssystem, versichere dich privat; siehe zu, dass
du so viele Vorteile wie möglich für dich selber ausschöpfst. Denke schnell, denke kurzfristig, vergiss die anderen,
denke an dich. Es ist kein nachhaltiges Brot, wenn Milliarden sofort versprochen werden, sobald ein europäischer
Staat droht, zahlungsunfähig zu werden und gleichzeitig im ersten Schritt nur 5 Millionen Hilfe zugesagt werden,
wenn Tausende drohen an Hunger zu sterben. Das Verhältnis stimmt nicht mehr. Wenn Aktienkurse nicht mehr den
wirklichen Wert von Unternehmen wiedergeben, sondern nur noch willkürliche Spekulationsmasse sind. Das ist kein
nachhaltiges Brot. Der Blick für das Ganze, das Zusammenleben geht verloren. Und was ist das eigentlich alles wert,
wenn man in der Dimension der Ewigkeit denkt? Nichts. Nichts, ein kurzes Rauschen im Universum, ein kleiner
Punkt auf der unendlichen Zeitschiene.
Wenn ich mir gerade selber zuhöre, merke ich, was für ein düsteres Bild der Gegenwart ich zeichne. Ich mache das
nicht, um Ihnen Ihre Sonntagslaune zu verderben. Ich bin kein Apokalyptiker, ich bin ein hoffnungsvoller Mensch.
Ich spreche von diesen nicht nachhaltigen Broten, weil ich glaube, dass es Alternativen gibt. Von welchem Brot
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wollen wir uns ernähren? Von dem, das nur einen Tag satt macht und die anderen Hungernden vergisst? Oder von
dem Brot, das bleibt und alle Menschen im Blick hat?
„Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an
mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ Wie lesen die Menschen in Ostafrika diese Worte? Wie lese ich den
Text, wenn ich seit Tagen nichts mehr gegessen habe, wenn meine Tochter neben mir liegt mit aufgeblähtem
Hungerbauch und meiner Frau die Tränen über die Wangen rennen? „Ihr werdet nicht hungern noch dürsten“ Kann
man das hören ohne zynisch zu werden? „Ihr habt doch das himmlische Brot, das euch in die Ewigkeit führt, das ist
viel mehr wert.“
Nun könnte man mir entgegnen: Ja, aber sie haben doch eben selber gesagt, Herr Höner, dass es nicht um das
tatsächliche Brot allein geht, dass es ein Bild für etwas größeres Ganzes ist. Ja, das stimmt, ich muss meine Deutung
erweitern: Was heißt es, wenn Jesus sagt: „Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt,
den wird nimmermehr dürsten.“? Das heißt doch auch, dass wenn wir Jesus folgen, unser Durst und unser Hunger
nach Gerechtigkeit und Frieden für alle, nach Heilung des Lebens sich in seiner Botschaft wieder findet: Geht hin zu
denen, die euch brauchen. Schaut in ihre Gesichter. Es bedeutet, dass wir Schwestern und Brüder haben, die uns
nicht verlachen, wenn wir nicht schlafen können, weil die Bilder von hungernden Kindern nicht aus unsern Köpfen
verschwinden. „Wer zu mir kommt und die Menschen so behandelt, wie ich sie behandelt habe, der hat ein
Lebenskonzept gefunden, das Raum gibt für diese Unruhe, für diese Sehnsucht nach Leben für alle. Meine Botschaft
macht euch aufmerksam füreinander. Meine Botschaft findet sich nicht ab mit dem Hunger der anderen, sondern
widersteht der Teilnahmslosigkeit.“ Der Hunger und der Durst nach himmlischem dauerhaft sättigendem Brot ist
nicht zu trennen von dem Hunger und dem Durst nach der Sättigung aller mit irdischem Brot.
Davon erzählt meine letzte Brotgeschichte: „Einmal war Franziskus von Assisi am Sonntag Laetare in der Fastenzeit
in Rom beim Kardinal Orsini an der Piazza Navona zum Essen eingeladen. Als er auf die Piazza kam, stauten sich
schon die Wagen der Fürsten und Bischöfe. Ein Diener führte ihn an seinen Platz an der Tafel, die sich bog bei der
Menge der Speisen und des Weins. Franziskus sah dies, verließ die Tafel und ging mit seinem Bettelsack nach
Trastevere, wo die Armen wohnten. Er bettelte wie gewöhnlich, und von einem bekam er einen Kanten Brot, hart,
wie das Brot der Armen ist. Von einem anderen bekam er einen Knochen mit Fleischresten und von einem dritten
einen Strunk alten Gemüses. Mit den geringen Gaben der Armen ging er zurück zum Tisch des Kardinals. Eben war
die Krebssuppe aufgegessen, da kam Franziskus und verteilte die Gaben der Armen unter die Prälaten und Fürsten.
Und so konnten alle das Brot der Armen mit dem Brot der Prälaten vergleichen.“ (Steffensky, Das Haus, das die
Träume verwaltet, 81)
Von welchem Brot wollen wir uns ernähren? Von dem, das nur einen Tag satt macht und die anderen Hungernden
vergisst? Oder von dem Brot, das bleibt und alle Menschen im Blick hat? „Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot
des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“
Amen.
„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“ (Phil 4,7)
Amen.
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