Silicon Valley der Logistik
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Silicon Valley der Logistik
TITELSTORY Duisburger Hafen Foto: duisport Silicon Valley der Logistik Eine Reise durch den Wirtschaftsstandort Duisburger Hafen L ena und Martin blicken vom Oberdeck der Weissen Flotte auf die Sportboote, die im Duisburger Innenhafen vor Anker liegen. Lena arbeitet in einer Duisburger Werbegentur und hat am östlichen Ende des Innenhafens, wo einst mit der Tabakwarenfabrik Böninger eines der traditionsreichsten Unternehmen Duisburgs stand, ein Neubau-Appartement bezogen. In den Restaurants und Clubs am Innenhafen sitzt sie häufig. Dort, wo früher Lastkähne ihre Waren löschten, löscht die „Generation Dienstleistung“ heute ihren Durst. Statt Feierabend-Bier gibt’s Happy-Hour-Cocktails. Um die denkmalgeschützten Speicher und Mühlengebäude ist ein modernes Arbeits-, Wohn- und Freizeitviertel entstanden. Jetzt will sie ihrem Freund Martin einen der bedeutendsten Binnenhäfen der Welt zeigen. Martin kannte Duisburg nur aus dem Tatort. „Ich hab´ mir die Stadt trister vorgestellt. Doch Duisburg ist irgendwie kultig, weil sich Ruhrpott-Relikte und Modernes miteinander verbinden.“ Das Wort „Strukturwandel“ fällt nicht bei den beiden 12 REVIER MANAGER 8/08 Endzwanzigern. Wohl zu abgedroschen für eine Generation, die es gewohnt ist, sich alle zwei Jahre durch ein Dutzend neuer Berufsbezeichnungen die aktuelle eigene herauszupicken. Anders Karl-Heinz Rönsch: Der Kapitän des Haferundfahrt-Schiffes „Weisse Flotte“ weiss seit 25 Jahren wo er hingehört – nämlich hier auf das Wasser. Die Weisse Flotte setzt sich in Bewegung lässt den Innenhafen hinter sich, samt Blick auf die Berliner Brücke, mit 1,8 Kilometern eine der längsten Flussbrücken Deutschlands. Vorbei am Kontorhaus, das im Jahr 1889 vom Unternehmer Carl Lehnkering als Speicher für seine Getreidevorräte errichtet wurde und heute rund 8.000 Quadratmeter Bürofläche beeinhaltet, schippern wir Richtung Außenhafen. „Am linken Ufer befindet sich die ThyssenKokerei, die modernste der Welt“, informiert Kapitän Rönsch die an der Schwanentorbrücke an Innenhafen zugestiegenen Fahrgäste. Rund 800 Millionen Euro hat sie gekostet und stellt rund 70 Prozent des gesamten Koksbedarfs der beiden Großhochöfen von ThyssenKrupp Stahl in Du- isburg Schwelgern sicher. Es geht vorbei an der Schiffswerft Heinrich Harbisch, einem Duisburger Familienunternehmen, das in den Siebzigern den geschweißten „HADU Schiffsanker“ erfand und in diesem Jahr 100-jähriges Jubiläum feiert. „Und rechts das Duisburg Bulk Terminal, wo Manganerze zur Edelstahlverarbeitung gelagert und auch bearbeitet werden können“, tönt es aus dem Lautsprecher. „Der Duisburger Hafen schlägt über 50 Millionen Tonnen Schiffsgüter um“, sagt der Schiffsführer durch. „Längst sind diese Güter nicht mehr nur Kohle und Stahl, sondern Handys, Kosmetik, Gartenmöbel oder Autos. Aus den Welthäfen Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen bringen die Binnenschiffer die Konsumgüter aus China und dem Rest der Welt hierher, von wo aus sie per Zug oder Lkw ihren Weg in den Rest Europas finden.“ Was Rönsch beschreibt ist eine logistische Meisterleistung der rund 250 Logistikunternehmen und der hochmodernen Containerterminals, die die Schiffe und den Warenumschlag zeitgenau steuern. Insgesamt 36.000 Menschen Duisburger Hafen Kohleumschlag kurz nach dem 2. Weltkrieg mit Blick auf Speditionsinsel (heute Mercatorinsel) und Homberg, und Containerumschlag am DIT-Terminal heute. Foto: duisport „Vom Duisburger Hafen aus können innerhalb fast 50 Millionen Menschen mit der Eisenbahn erreicht werden. Über die Straße sind es in gleicher Zeit sogar rund 63 Millionen. Mehr als die Hälfte der Binnenschifffahrt und das Gros der Fluss-See-Schifffahrt in Europa laufen über den Rhein“, hören wir Kapitän Rönsch erzählen. Der „duisport“ – so der Markenname des Hafens – ist aber nicht nur der größte Binnenhafen der Welt, im vergangenen Jahr schaffte er es auch erstmals unter die 100 größten Containerumschlaghäfen weltweit. Der Hafen erreichte in den vergangenen Jahren Steigerungsraten beim Containerumschlag von bis zu 37 Prozent jährlich. Der Warenumschlag wuchs alleine im vergangenen Jahr um elf Prozent. Der Umsatz verdoppelte sich gar fast auf knapp 130 Millionen Euro. Vorbei an rostigen Kränen, stillgelegten Kohlenkippern und fensterlosen Bürogebäuden, können Lena und Martin kaum glauben, dass hier der Rubel rollt. „Früher hat sich viel mehr auf dem Wasser abgespielt. Jetzt findet ein gro- sorgen in und um den Hafen dafür, dass die Geschäfte in ganz Europa ihre Regale füllen können. Der Duisburger Hafen ist aber mehr als nur ein großer Arbeitgeber, er steht auch für den Aufbruch im Zeitalter der Globalisierung. Mitten im Ruhrgebiet entwickelt sich das Zentrum einer florierenden Branche, ohne die das konsumorientierte Leben so kaum möglich wäre. „Logistik statt Stahl“ – so lautet deshalb auch das neue Motto, das der Stadt neue Hoffnung auf eine Zukunft ohne Schwerindustrie ermöglicht. Am Fuße der alten Krupp-Fabrik wird Hafenfest gefeiert. TITELSTORY XXXXX ßer Teil der Arbeitsprozesse in den Lagerhallen statt“, erklärt Kapitän Rönsch seinen Fahrgästen. Im einst reinen Transportsektor werden Dienstleistungen immer wichtiger. Neben dem Untergang der Montanindustrie war eine der Ursachen die Stilllegung der Kohleproduktion der Dortmunder Hoesch Werke. Dadurch brach der Kohleverkehr von dort nach Duisburg ab – ein Desaster für den Hafen. Seinen Ausweg fand er in neuen Serviceangeboten. Mittlerweile verpachtet die Duisburger Hafen AG Grundstücke, betreibt eine eigene Eisenbahngesellschaft mit lokalen und regionalen Verbindungen und übernimmt den Bau und die Instandhaltung von Lagerhallen. So nutzt zum Beispiel die Edeka-Gruppe das Logistikcenter der niederländischen Seacon Logistics für den Import von Konserven und Nonfood-Artikel. Mit dem E.H. Harms AutoTerminal gibt es in Duisburg-Rheinhausen ein Technikzentrum, was mit 4.500 Quadratmetern neben Werkstatt und Lackiererei eine auto- REVIER MANAGER 8/08 13 TITELSTORY Duisburger Hafen Kapitän Karl-Heinz Rönsch und Steuermann Andreas Hermann. matische Entwachsungs- und Waschanlage bietet. Zu den Leistungen zählen neben der ersten Inspektion auch Umrüstungen, der Einbau von Sonderausstattungen wie Sonnendächern oder Sportfelgen und die Aufbereitung von jungen Gebrauchtwagen. Die Weisse Flotte erreicht das Ende des Außenhafens. An der Gabelung geht es links stromaufwärts Richtung Basel und es spannt sich die Brücke der Solidarität über den Rhein. Ihren Namen erhielt die Brücke in Gedenken an den Kampf der Kruppschen Arbeiter um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze, die die Brücke während des Arbeitskampfes komplett besetzten und unbefahrbar machten. Wir biegen nach rechts ab und fahren stromabwärts Richtung Rotterdam. Bei Rheinkilometer 780 erreichen wir die Stelle, an der die Ruhr – nach 160 Brücken und 219 Kilometern – in den Rhein mündet. Die Mündung wird durch die Landmarke Rhein-Orange markiert, einer 25 Meter hohe Stahlbramme des Kölner Bildhauers Lutz Fritsch. Der Name ist angelehnt an die Farbe Orange mit der Farbnummer RAL 2004, und der Bezeichnung „Reinorange“. Kurz vor der Friedrich-Ebert-Brücke biegt die „Weisse Flotte“ in den nördlichen Arm des Hafens, vorbei an der Speditionsinsel, der Ölund der Kohleinsel. Auf diesen Landzungen zwischen den drei Hafenbecken A, B und C werden die Hauptumschlaggüter getrennt abgefertigt. Bereits Ende der Fünfziger Jahre verdrängten die ersten Tankanlagen auf der Ölinsel den bisherigen Kohleumschlag, Rohöl-Pipelines verbinden die Tanks mit den Raffinerien des Ruhrgebiets. Die Umstellung auf eine neue Energiebasis kündigte sich an. Bereits 1965 rangierte Mineralöl bei den Hafenumschlaggütern hinter Erz an zweiter Stelle. Auf der Kohleinsel schuf 1984 eine neue Kohlemisch- und Verladeanlage die Voraussetzungen dafür, dass trotz rückläufiger Umsätze bei der deutschen Steinkohle die Umschlagszahlen für Kohle im Hafen deutliche Zuwächse verzeichneten. Ging es früher noch überwiegend um das Verladen von Ruhrkohle und die Versorgung der zahlreichen Hüttenwerke u.a. in Laar und Hamborn, so überwiegt heute der Import. An den fünf Importkohle-Terminals wurden im Jahr 2007 rund sieben Millionen Tonnen Importkohle umgeschlagen. Wir passieren die Schrottinsel, auf der sich der größte Schrottplatz Europas befindet,. Auf einer Fläche etwa so groß wie 18 Fußballfelder türmen sich die Schrottberge meterhoch. Kurz vor der Schleuse Meiderich, der Verbindung zum Rhein-Herne-Kanal, kehren wir um. Hier befindet sich die Hebestelle für die Kanalgebühren, wo die Schiffe und Frachten registriert werden. Kurz hinter der Friedrich-Ebert-Brücke biegen wir in den Hafenmund Richtung Duisburg-Ruhrort. Wir passieren die Anlegestelle Steiger Schifferbörse. Dort wo heute die Hafenrundfahrtschiffe anlegen, befand sich 1753 eine Schiffswerft in der Ruhrmündung. Im Hafenmund vor der Schifferbörse liegt der Radschleppdampfer Oscar Huber. Er gehört heute zur Flotte des Museums der Deutschen Binnenschifffahrt. Wir erreichen den Vinckekanal, der im Zuge der Hafenumstrukturierungen vor dem Ersten Weltkrieg angelegt wurde. Der Kaiserhafen wurde ab 1968 zusammen mit dem Zollhafen zu zwei Dritteln zugeschüttet, das letzte Drittel folgte ab 1996. Dadurch entstand zwischen Vinckekanal und Hafenkanal eine breite Landzunge, die heute für Neuansiedlungen von Gewerbe aufbereitet ist. Eine neue LKW-Zufahrtstraße führt von der Karl-Lehr-Brücke aus bis zum Freihafen. Am Ende des Vinckekanals befindet sich ein Hafenbecken, der Bunkerhafen, dessen Südkai als Anleger und Verladeanlage für den Containerumschlag genutzt wird. Seit 1984 gibt es hier die erste Roll on – Roll off-Anlage von DeCeTe für den kombinierten Straßen- und Seeverkehr. Am Vinckekanal befindet sich auch das neue Verwaltungsgebäude der Duisburger Hafen AG. Duisburger Hafen Von hier aus werden die Geschicke des Hafens men ist, sollen dort rund 4000 zusätzliche Argelenkt, dessen Gebiet sich mittlerweile von beitsplätze entstanden sein – und damit VollbeMeiderich im Nordosten bis an die Grenze Frie- schäftigung erreicht werden. Doch das ist noch mersheim im Südwesten auf der anderen Rhein- nicht alles: Im Februar 2006 hat die Hafen AG das Gelände der früheren Metallseite erstreckt. hütte im Süden der Stadt gekauft. Unter dem Logo logport verDirekt gegenüber vom neuen logmarktet die Duisburger Hafen AG port entsteht logport II. Auch hier Flächen an international operiesoll es ein eigenes Schienennetz rende Logistik-Dienstleister, die geben – und eine neue Uferwand. Waren aus aller Welt computergeDas kostet das Land NRW und stützt lagern, konfektionieren und die EU noch einmal 40 Millionen bearbeiten. Mittlerweile werden Euro. im Hafen auch empfindliche Güter In den vergangenen Jahren wie Papier oder hochwertige Stahlhat der Duisburger Hafen die produkte hochseefest verpackt. Von den rund 25.000 Schiffen, die Königin Elisabeth II. von Großbritan- Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von europäischen Seehäfen hier jährlich andocken, sind rund nien bei einer Hafenrundfahrt am 25. Mai 1965 mit dem damaligen intensiviert und ausgebaut, ins2.000 seetauglich und können im Oberbürgermeister von duisburg besondere mit Rotterdam, Amssogenannten „Short-Sea-Verkehr“ August Seeling. terdam, Antwerpen und neuerin küstennahen Gewässern mehr Foto: duisport dings Le Havre in Frankreich. als hundert Seehäfen in Europa und Westafrika auf direktem Wege anlaufen. Aber auch mit Hafen- und LogistikstandorDie Hafen AG hat das Gebiet samt Straßen- und ten in Übersee wie Memphis und Pittsburgh Schienennetz komplett neu erschlossen. Auch in den USA und Nantong in China wurden eine neue Verladeanlage für den Autotransport Kooperationsvereinbarungen getroffen. Ziel gehört dazu, genauso wie das Containerterminal ist es jeweils, die Güterströme und die damit DIT Duisburg Intermodal Terminal, von wo aus verbundenen logistischen Prozessketten zu regelmäßige Zugverbindungen im kombinier- optimieren. Auch unter dem Aspekt des Umten Verkehr zu den Nordseehäfen sowie nach weltschutzes gelte es, den Warentransport von Süd- und Südosteuropa starten. Das Projekt kostete insgesamt 800 Millionen Euro. Hundert Millionen kamen als Subvention von der Europäischen Union und vom Land NRW, den Rest zahlten die Duisburger Hafen AG und beteiligte Logistikunternehmen wie die Schweizer Kühne + Nagel-Gruppe, die britische Wincanton Trans European, die japanische NYK Logistics, die niederländische Vos Logistics oder auch die Schenker Deutschland AG. 85 Prozent der Fläche sind schon jetzt verpachtet oder verkauft – in der Hälfte der vorgesehenen Zeit. Wenn 2010 die Schon Ende der Fünfziger Jahre verdrängten die ersten gesamte Fläche des logports in Betrieb genom- Tankanlagen auf der Ölinsel den bisherigen Kohleumschlag. TITELSTORY XXXXX der Straße auf die Schiene und den Wasserweg umzuleiten, heißt es von der Hafenleitung. Ein Beispiel für das Umweltbewusstsein ist auch Deutschlands drittgrößte „Aufdach-Solaranlage“ auf den Dächern des Logistikzentrums logport I in Duisburg-Rheinhausen. Die Anlage erzeugt 2,6 Millionen Kilowattstunden elektrische Energie – genug, um annähernd 700 Vier-Personen-Haushalte ein Jahr mit Strom zu beliefern. Lena und Martin staunen nicht nur über den Hafen, sondern auch über die vielen Touristen an Bord. Ob sich seit der Ernennung zur Kulturhaupstadt 2010 auch hier in Duisburg das Touristenaufkommen erhöht hätte, wollen wir von Steuermann Andreas Hermann wissen. „Nein, es waren schon vorher viele Touristen an Bord. Wir hatten auch schon Gäste aus Bangkok, die nach Duisburg gekommen sind, um sich den Hafen anzusehen“, erinnert sich Hermann. Und Kapitän Rönsch ergänzt: „Vor zwanzig Jahren haben hauptsächlich die Duisburger mit ihrem Besuch eine Hafenrundfahrt gemacht, heute kommen die Touristen von alleine hierher. Und es werden immer mehr junge Leute.“ So strahlt der Erfolg des größten europäischen Binnenhafens offensichtlich auch auf das Image der Stadt Duisburg ab. REVIER MANAGER 8/08 15