Blut, Schweiß und Strähnen: Unser Autor trinkt Cola

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Blut, Schweiß und Strähnen: Unser Autor trinkt Cola
Blut, Schweiß und Strähnen: Unser
Autor trinkt Cola, um seinen Kreislauf
vor dem Kollaps zu bewahren.
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Wissen
Aus einem Stück Kopfhaut werden die
Haare für die Transplantation entnommen.
Oben ohne
Text: Felix Hutt
Fotos: Daniel Delang
Wenn der Kopf kahl wird, muss ein Mann mutig sein.
Entweder hat er den Mut zur Lücke. Oder er unterzieht
sich einer blutigen Haarverpflanzung. Unser Autor legte
sich unters Messer.
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Wieso
braucht man
ein neues
Leben, wenn
das alte
doch sehr
schön ist?
Die Linie:
Unser Autor
wollte ohne
Geheimratsecken
heiraten.
Ein halbes Jahr vor meiner Hochzeit schneidet mir der Schönheitschirurg Bruce Reith einen daumendicken Streifen aus meinem Hinterkopf. Das Skalpell fährt über meinen Schädelknochen, ganz langsam,
von Ohr zu Ohr, und macht dabei ein Geräusch wie ein Messer, das Moos
von einem Stein schabt. Ich spüre nichts. Krankenschwestern wuseln
herum. Ich trinke Cola. Auf einem Flatscreen läuft »Fear and Loathing
in Las Vegas«. Den Film durfte ich mir vor der Operation aussuchen.
Johnny Depp ist high auf Meskalin, ich auf Valium, fast habe ich das
Gefühl, mein Trip sei stärker: Am 16. August 2014 werde ich heiraten,
sie ist sieben Jahre jünger. Wenn alles gut geht, wird der Streifen von
meinem Hinterkopf in viele kleine Transplantate zerteilt und auf meinem
Kopf wachsen bald neue Haare. Ich möchte Ja sagen – ohne Geheimratsecken. Aber natürlich geht es auch um mehr.
Es ist gar nicht lange her, dass ich über Schönheitsoperationen gelacht habe, ohne mir Sorgen über Lachfalten zu machen. Mittlerweile
bin ich 35 Jahre alt und das Älterwerden fühlt sich manchmal so schwer
an, als säße ein fauler, fetter Rabe auf meiner Schulter. War ich früher stolz
auf meinen Sportlerkörper, hangle ich mich heute von Übergewicht zu
Low-Carb-Diät zu Rückfall und zurück. Meine Tennismannschaft spielt
in der Kategorie »Jungsenioren«.
Vor ein paar Jahren habe ich über
Schönheitsoperationen noch gelacht
Bruce Reith
empfängt
Patienten
gern in seiner
Luxuswohnung. Hier
schmeißt
er auch
Partys, auf
denen Frauen seine
OP-Kunst
präsentieren.
Wie einst
Siegfried
und Roy:
Der Chirurg
mit seinem
Tiger-Toy.
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Ich weiß nicht mehr genau, wann die Zweifel begannen, den Optimismus abzulösen, und mein Rabe das erste Mal auf mir Rast machte, aber
ich weiß, dass ich zur gleichen Zeit eine körperliche Veränderung bemerkte: Ich verliere seitdem Haare da, wo sie als Ausdruck von Jugend
und Energie gelten (Kopf), stattdessen wachsen mir neue Haare an Stellen, wo ich sie so gut brauchen kann wie Dauerregen im Urlaub (Rücken,
Schultern).
Nun kann so eine Ich-hinterfrage-mich-und-das-Leben-Krise durchaus reinigende Wirkung haben, Stichwort: Perspektivwechsel, Neuordnung der Prioritätenliste. Ich bin mir nicht sicher, ob man wirklich unbedingt Daimler und Toskana-Villa braucht, um von einem gelungenen
Leben sprechen zu können. Aber meinem Spiegelbild und den deutlichen Geheimratsecken kann ich nichts Positives abgewinnen. Anfang
2013 beschließe ich, dass ich mich weder Gott noch den Hormonen –
oder wer auch immer sonst für diese biologische Ungerechtigkeit verantwortlich ist – beugen werde. Ich will neue Haare. Volle Haare. Will
sie mir wachsen lassen und mir einen Pferdeschwanz binden, einfach
so, weil ich es kann.
Als ich den Kampf beginne, trage ich Glatze. Der Look steht Bruce
Willis, Pep Guardiola und Paul Kalkbrenner, bei mir steht er für blanke
Verzweiflung. Im Internet stoße ich auf ein Präparat namens Propecia,
das den Haarausfall aufhalten soll, allerdings gibt es Nebenwirkungen:
Erektionsprobleme. Teuer ist es außerdem. Ich entdecke Pauschalangebote in der Türkei: Urlaub am Meer inklusive Haartransplantation, was
sagenhaft unseriös klingt. Trotzdem beginne ich mich über die Methoden und Erfolgsaussichten einer Haartransplantation zu informieren.
Ich zögere, weil ich Silvio Berlusconi und Wayne Rooney vor Augen
habe, die sich ebenfalls Haare transplantieren ließen und heute aussehen
wie Wachsfiguren, als hätte man ihnen Pudelhaare auf ihre lichten Stellen operiert. Dann lese ich in der Zeitung, dass sich Jürgen Klopp, der
Trainer von Borussia Dortmund, ebenfalls einer Haar-OP unterzogen
hat. Klopp ist zwar Trainer der völlig falschen Mannschaft, aber er hat
nach der OP nicht nur natürliche, volle Haare, sondern scheint mir ein
pragmatischer Typ zu sein, der sich auf so etwas nicht einlassen würde,
Wissen
wenn es Mist wäre. Ich schöpfe Hoffnung und lasse mir meine verbliebenen Haare schon einmal wachsen.
Im Zusammenhang mit dem Eingriff bei Klopp fällt ein mir bekannter Name: Bruce Reith. Der Schönheitschirurg ist in München, wo ich
wohne, eine kleine Berühmtheit, weil er in seiner obszön großen Wohnung gerne Partys veranstaltet, auf denen Frauen tanzen und posieren,
die nicht viel von natürlichem Aussehen und flachen Schuhen halten.
Lothar Matthäus soll auf diesen Partys gleich mehrere Gattinnen gefunden haben. Ich habe ein gutes Gefühl. Vielleicht wegen Klopp, vielleicht,
weil einige Bekannte mir erzählen, dass Bruce Reith zwar ein herausragendes Geltungsbedürfnis habe, jedoch auch ein exzellenter Chirurg
sei. Ich rufe ihn an. Reith hat noch mehr Termine als Mick Jagger Falten. Wenn er nicht in Düsseldorf operiert, dann besucht er Kongresse
oder feiert auf Ibiza. Ich warte. Die Haare wachsen.
Im Herbst 2013, elf Monate vor der Hochzeit, treffe ich Reith in
seiner Münchner Wohnung und merke schnell, dass ich durch meine
Entscheidung für eine Operation einen ziemlich seltsamen Kosmos betreten habe: Die Wohnung geht über drei Stockwerke, die Fernseher
sind mit Schlangenleder verkleidet. Auf dem Bett liegt ein lebensgroßer
Kuscheltiger. Reith bietet mir sofort das Du an. Bruce also erzählt, dass
er am Asperger-Syndrom leidet. Er habe kein Empathievermögen, sei
ein rationaler Mensch, mathematisch extrem begabt. Er redet und redet.
An Selbstzweifeln, das wird sehr schnell klar, leidet er nicht. Aber
einen Chirurg mit Selbstzweifeln brauche ich auch nicht, davon habe
ich selbst genug.
Bruce erklärt, was er mit mir vorhat: An meinem Hinterkopf, wo die
Haare noch dicht wachsen, entnimmt er einen Gewebestreifen, aus dem
er Transplantate gewinnt, sogenannte Grafts, die in meine kahlen Stellen eingesetzt werden. Jedes Graft, erfahre ich, enthält zwischen einem
und drei Haare. Um die kahlen Stellen auf meinem Kopf zu füllen, benötige man ungefähr 2000 Transplantate. Schon nach einem halben Jahr
Vor der
Entnahme
des Haarstreifens
wird das
Areal mit
Jod desinfiziert.
Um der
Wunde die
Spannung
zu nehmen,
fixiert Reith
sie mit
Klemmen.
Erst nach
sechzig Minuten näht
er sie zu.
Einen Chirurg mit Selbstzweifeln kann
ich nicht brauchen
könne man das Ergebnis sehen. Bruce ist ein guter Verkäufer, es gelingt
ihm, meine Zweifel schnell auszuräumen. Das mag daran liegen, dass
er auf jede Frage eine plausible Antwort zu haben scheint. Oder daran,
dass ich so besessen von meinem Wunsch bin, die Zeit zurückzudrehen,
dass ich Verstand und Misstrauen abgestellt habe. Meine Entscheidung
ist eigentlich schon lange gefallen, ich möchte zurück in die Zukunft.
Schmerzen? Klar, ein paar Tage, aber nicht schlimm. Die Narbe am
Hinterkopf? Bald nicht mehr zu sehen. Risiken, Langzeitfolgen? Praktisch keine. Erfolgsaussichten? Fast hundert Prozent. Kosten? 1000 Euro
Grundgebühr und 3,50 Euro pro Graft, aber kein Stress, die 8000 Euro
kann man auch in Raten zahlen. OP-Termin? 16. Februar 2014, Kö-HairKlinik, Düsseldorf.
In den Wochen vor der Operation bin ich zwar aufgeregt, rede mir
aber ein, ich hätte eine Art Zahnarzttermin, ambulante Behandlung,
Routine, oder? Ich erzähle meinen Freunden von dem Projekt. Ich komme mir erst komisch vor, beim Sport oder in der Bar von Grafts und
Haarlinie zu reden, habe Angst, dass mich meine Kumpels als metrosexuelles Opfer verspotten und mir ein »InStyle«-Abo schenken. Stattdessen: Verständnis. Fragen. Neid. Einige meiner Freunde denken selbst
über operative Verschönerungen nach. Aber vielleicht sollte mich das
gar nicht überraschen. Wenn sich sogar in der Fußballszene, die sozialpolitisch immer noch in den 50er Jahren unterwegs ist, Leute wie
Rooney und Klopp neue Haare kaufen, ohne die Schmährufe der
Während
der OP darf
man einen
Film gucken.
Soll von
Spritzen
und Schmerzen ablenken. Hat
nicht funktioniert.
Die Transplantate
werden
unterm
Mikroskop
zugeschnitten und in
Petrischalen
gelagert.
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Tief durchatmen: Unser
Autor genießt die Frischluft in
einer kurzen OP-Pause.
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Wissen
Fankurve fürchten zu müssen, dann scheint die Selbstoptimierung
des Körpers mithilfe der plastischen Chirurgie wirklich in der Mitte der
Gesellschaft angekommen zu sein.
Am Morgen des 16. Februar 2014 nehme ich das erste Flugzeug
nach Düsseldorf und treffe dort zufällig Bruce. Er sitzt auf Platz 1A,
trägt Sonnenbrille und sieht nach schwerer Party aus. Irrtum. Er hatte
sich nur kürzlich die Lider straffen lassen. Nach der Landung fahren
wir zur Königsallee, durch eine Einkaufspassage gelangen wir in die
Klinik. Alles weiß, alles clean. Ich bekomme Valium, Schmerzmittel,
OP-Shirt. Und Panik. Die erste OP meines Lebens. Auch Bruce trägt
nun Kittel und Hornbrille, ein Bilderbucharzt. Ich werde in den OPSaal gebracht, bekomme Cola, die den Kreislauf stabilisieren soll, darf
mir den Film wünschen. Bruce rasiert den Streifen frei, dann setzt er
sechs Spritzen, die meinen Kopf betäuben. Mein Kopf fühlt sich plötzlich so tot an wie ein Stein mit Moos. Was machen die da hinter mir?
Ich höre, wie das Skalpell über den Stein schleift. Mir ist schwindlig.
Ich trinke Cola und schaue Johnny Depp zu, wie er durch Las Vegas
Ich sehe aus wie nach einer Tracht Prügel
von Mike Tyson
torkelt. Zum Glück sehe ich nicht, wie meine Kopfhaut abgelöst wird,
das Blut in meinen Nacken läuft. Als Bruce das Stück Hinterkopf auf
dem OP-Tisch ablegt, kräuselt es sich zusammen wie eine Locke, die
lebt. Vier Schwestern zerteilen das Material unter Mikroskopen. Bruce
fixiert die Wunde mit Klemmen. Ich werde kurz in den Warteraum geschickt, bin total verschwitzt. Ich öffne ein Fenster und atme tief ein.
Frischluft tat noch nie so gut.
Im OP-Saal näht Bruce die Wunde zu. Dann zeichnet er meine neue
Haarlinie auf den Kopf, betäubt die Stellen, an denen die Grafts eingesetzt werden. Um das Gewebe nicht zu verletzten, unterspritzt er die
Haut mit einer Kochsalzlösung. Mir ist das jetzt zu viel Gespritze, zu
viele Nadeln, mir wird schwarz vor Augen. Die Schwestern lagern mich
auf den Rücken, halten meine Beine in die Höhe. Nach dem Blackout
stanzt Bruce gut 2000 Löcher in meine Kopfhaut und verlässt den Raum.
Zwei Stunden lang setzen mir nun zwei OP-Schwestern mit Pinzetten
die Grafts ein. Die beiden kommen aus Kroatien, unterhalten sich, als
wären wir beim Friseur. Entspannte Atmosphäre. Dann sagt mir eine
der Schwestern, dass man sich sicher in der Klinik wiedersehen werde.
Bei meinem Haarausfall reiche eine OP nicht aus.
Zum Abschied bekomme ich eine Tüte mit Schmerzmitteln. Im Taxi
lässt die Betäubung nach. Ich sehe Schmerzen auf mich zukommen.
Zu Hause in München ist an Schlaf nicht zu denken. Schmerzen!
Hölle! Die frisch genähte Wunde pulsiert, droht zu explodieren. Die
Schmerzmittel helfen nicht. Das Kissen ist voller Blut. Liegen geht
nicht. Stehen aber auch nicht. Denn vom Hals über den Hinterkopf, lerne ich bei dieser Gelegenheit, verlaufen Nervenstränge, die nun durchtrennt sind. Gleichgewichtsprobleme! Ein befreundeter Chirurg empfiehlt mir ein Schmerzmittel, das er nach Notoperationen verabreicht.
Ich nehme dreimal täglich die Höchstdosis. Ich kann den Kopf nicht
ablegen. Döse im Sitzen. Nach drei Tagen beginnt mein Kopf anzuschwellen, das Kochsalzwasser läuft über die Stirn ab. Bald sehe ich
aus, als hätte mich Mike Tyson verprügelt. Und fühle mich auch so. Der
einzige Lichtblick in diesen Tagen ist eine Arztpraxis in der Innenstadt.
Engel in weißen Kitteln waschen mir dort den Kopf, salben die Operationsnaht ein. Sie lachen mich nicht aus, sondern trösten mich mit Geschichten von Frauen, die nach einer Brustvergrößerung drei Wochen
vor Schmerzen nicht gehen konnten.
Eine
Schwester
setzt ein
Transplantat ein. Der
Chirurg
stanzte gut
2000
Löcher in
den Kopf
unseres
Autors.
Hoch die
Beine:
Unserem
Autor
wird nach
einer der
vielen
Spritzen
schwarz
vor Augen.
Auf dem
Weg zum
Flughafen
lässt die
Betäubung
langsam
nach. Nicht
gut.
Drei Tage
später
schwillt das
Gesicht an.
Einziger
Lichtblick:
die Engel
aus der
Hautarztpraxis.
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VO RHER
Vorher I:
Unser Autor
leidet unter
Haarausfall
und fühlt
sich alt.
Vorher II:
Aber er will
das nicht
hinnehmen,
entschließt
sich zur OP.
Ich verfluche Bruce, dass er mir diese Körperverletzung als Routine verkauft hat. Noch mehr aber verfluche ich mich und meine
schwachsinnige Idee: Wie konnte ich mich von dem fetten, faulen Raben zu so etwas verleiten lassen? Wie konnte ich daran zweifeln, dass
ich genug bin? Felix Hutt, 35 Jahre alt, ein netter Kerl mit Geheimratsecken, ist doch okay.
Eine Woche später sind die Schwellungen ziemlich abgeklungen.
Bruce zieht mir die Fäden und lobt sein Werk. Meinen Schmerzalbtraum bezeichnet er locker als Einzelfall, meint sogar, meine Unsicherheit sei dafür mitverantwortlich. Ich meine: Bullshit! Er hat mir einen
dicken Streifen aus meinem Hinterkopf geschnitten. Solche Schmerzen
sind da doch die logische Konsequenz. Schönheitsoperationen sind –
trotz der gesellschaftlichen Akzeptanz – eben Operationen. Und keine
Wellnessbehandlung.
Langsam verheilen die roten Flecken auf meinem Kopf, manchmal
jucken die Grafts. In der Öffentlichkeit trage ich eine Mütze. Zu Hause stehe ich vor dem Spiegel und warte. Und tatsächlich, nach drei
Monaten sprießen die ersten Härchen. Sechs Wochen vor meiner Hochzeit stehen in meinen Geheimratsecken viele neue Haare, wachsen aber
Kein Kommentar zu den Haaren – keine
Kritik, keine Komplimente
N AC HHE R
Nachher I:
Ein paar
neue Haare
holen die
Jugend
nicht zurück.
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Nachher II:
Aber das
ist nicht
schlimm.
Sieht doch
trotzdem
gut aus.
leider nicht dicht genug, um die kahlen Stellen ganz aufzufüllen. Ich
bin enttäuscht. Bruce meint, der Prozess sei erst nach einem Jahr abgeschlossen. Meine Traumhochzeit, das steht nun fest, werde ich ohne
Traumfrisur feiern müssen. Was tun, frage ich die Frau meines Lebens,
sie fragt zurück:
»Wieso rasierst du sie dir nicht einfach wieder ab?«
»Abrasieren? Nach den Schmerzen, dem ganzen Aufwand?«
»Steht dir sowieso besser, jetzt im Sommer. Du bist so schön braun.«
»Hättest du das nicht vorher …?«
Ich bin nicht einmal sauer auf sie, sondern erleichtert, froh, dass der
Kampf vorbei ist. In den Monaten nach der Operation wandelte sich
meine Wut auf mich selbst langsam zu funktionaler Selbstironie. »Ja,
schau ihn dir an, den Hutt, jetzt steht er wieder vor dem Spiegel und
hofft auf ein paar neue Haare«, sagte ich zu mir. Es kam mir zunehmend albern vor, mein Glück von der Länge und Dichte meiner Haare
abhängig zu machen. Oberflächlich. Naiv. Ich könnte natürlich auch
sehr gut ohne den Haarausfall leben, habe aber verstanden, dass der
Optimierungswahn, der jeden Mangel ausmerzen will, mich auch nicht
glücklich machen wird. Den Kampf gegen die Zeit, den verlieren wir
am Ende alle. Das Einzige, was man verändern kann, sind Haltung und
Einstellung. Ich habe versucht, die Zeit zurückzudrehen, und bin gescheitert. Na und?
Ich bereue die Operation nicht, bedaure eher, dass ich die Prozedur
gebraucht habe, um zu akzeptieren, wie ich aussehe. Noch mal würde
ich das nicht mit mir machen.
Wenige Tage vor der Hochzeit gehe ich zum Friseur und lasse mir
den Kopf rasieren. Im Spiegel sehe ich die Narbe. Mein Hinterkopf sieht
aus, als hätte man mir eine Stahlplatte eingesetzt. Am 16. August 2014
sage ich Ja, mehr Liebe als an diesem Tag geht nicht. Ich trage Sechstageglatze, auf den Hochzeitsfotos sehe ich aus, als hätte es die Operation nie gegeben. Niemand spricht mich auf die Haare an, keine Kritik,
keine Komplimente. Nur ich erkenne im Spiegel den leicht verschobenen Haaransatz. Ab und zu begrüße ich ein paar neue Freunde auf meinem Kopf. Ich freue mich, aber ich brauche sie nicht für mein Glück.
Vielleicht, weil er weitergezogen ist, mein Rabe. •
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