Zitierhinweis copyright Willemsen, Heinz: Rezension über: Merle
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Zitierhinweis copyright Willemsen, Heinz: Rezension über: Merle
Zitierhinweis Willemsen, Heinz: Rezension über: Merle Vetterlein, Konfliktregulierung durch power-sharing-Modelle. Das Fallbeispiel der Republik Makedonien, Baden-Baden: Nomos-Verl.-Ges., 2010, in: Südosteuropa, 59 (2011), H. 3, S. 384-387, http://recensio.net/r/708e6303728f3e16a1adc85f7b0251a8 First published: Südosteuropa, 59 (2011), H. 3 copyright Dieser Beitrag kann vom Nutzer zu eigenen nicht-kommerziellen Zwecken heruntergeladen und/oder ausgedruckt werden. Darüber hinaus gehende Nutzungen sind ohne weitere Genehmigung der Rechteinhaber nur im Rahmen der gesetzlichen Schrankenbestimmungen (§§ 44a-63a UrhG) zulässig. 384 Buchbesprechungen Es reicht deshalb nicht aus, festzustellen: „Genozid verhindern zu wollen ist die eine Sache, umfassendes Statebuilding zu betreiben eine ganz andere.“ So mangelhaft das vom Westen betriebene state building auch sein mag – gibt es praktikable und ethisch zu verantwortende Alternativen? Die Autoren werfen diese Frage nicht auf. Es ist aber durchaus denkbar, dass das Bemühen, nach humanitären Interventionen mittels demokratischer Institutionen ein Minimum an legitimer Staatlichkeit (wieder) aufzubauen, trotz aller Defizite diejenige Option ist, die am ehesten imstande ist, dem betroffenen Land eine neue Perspektive aufzuzeigen. Ein zweiter Einwand betrifft die Zeitdimension. Berit Bliesemann und Florian Kühn betonen am Anfang ihrer Studie die historisch-gesellschaftlichen Voraussetzungen für die langwierige Herausbildung der europäischen Nationalstaaten und konfrontieren diese mit historisch gänzlich anderen Entwicklungsprozessen nichtwestlicher Gesellschaften. Umso mehr verwundert, dass ihr harsches Verdikt über das externe state bulding die Zeitdimen sion ausblendet. Das verzerrt die Maßstäbe. Das Friedensabkommen von Dayton wurde 1995 geschlossen, die AfghanistanIntervention fand Ende 2001 statt – wie viel legitime Staatlichkeit aber ist in 15 oder gar 9 Jahren zu erreichen, unter welchen Bedingungen auch immer? Kurzum: Das Urteil von Bliesemann und Kühn, state building sei nichts als eine Illusion, erscheint als zu grob. Gleichwohl lohnt es sich, sich mit ihrer kritischen und detaillierten Analyse der vielfältigen Fehler, die dabei gemacht wurden und werden, auseinanderzusetzen. Zumal das Thema aller Voraussicht nach längst noch nicht abgehakt ist. Bruno Schoch (Frankfurt/M.) Merle Vetterlein, Konfliktregulierung durch Power-Sharing-Modelle: das Fallbeispiel der Republik Makedonien. Baden-Baden: Nomos 2010. 270 S., ISBN 978-3-8329-5381-2, € 49,00 Vor gut zehn Jahren brach in der Republik Makedonien ein bürgerkriegsartiger Konflikt zwischen der albanischen „Natio nalen Befreiungsarmee“ (UÇK) und dem von slawischen Makedoniern dominierten Staat aus. Damit wurde die Republik, der es als einziger 1992 gelungen war, sich auf friedlichem Wege vom jugoslawischen Bundesstaat zu trennen, doch noch vom Virus der jugoslawischen Auflösungskriege befallen. Unter massivem Druck von NATO und EU kam es danach zu einem Umbau des politischen Systems. Mit dem Ohrid Framework Agreement vom 13. August 2001 wurden für den Bereich der minderheitenpolitisch relevanten Fragen konsensdemokratische Verfahrensformen in das politische System integriert. Und durch Maßnahmen nach Art der affirmative action wurde der Anteil der ethnischen Minderheiten in Verwaltung, Polizei und Militär so lange erhöht, bis er heute in etwa ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht. Schließlich ist seit 2005 die in Ohrid beschlossene Aufwertung der kommunalen Ebene umgesetzt geworden. Damit soll die Partizipation der gesamten Bevölkerung, ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit, verbessert werden. Der militärische Konflikt wurde damit wieder in politische Bahnen umgeleitet. Merle Vetterlein untersucht am makedonischen Fallbeispiel, ob Modelle der Konkordanzdemokratie geeignet sind, fragmentierte Nationalitätenstaaten politisch zu stabilisieren. Sie stützt sich dabei auf das Konzept der consociational democracy von Arend Lijphart und auf das integrative Modell von Donald L. Horowitz. Die Vorstellung dieser Theorien nimmt breiten Raum ein, inklusive zahlreicher Wiederho- Buchbesprechungen lungen. Eine Straffung und bessere Gliederung dieser Abschnitte hätte den Nutzen für den Leser deutlich erhöht, geht es doch im Grunde um zwei recht einfache Hypothesen: Können politische Modelle wie das von Lijphart derart zur Anwendung gebracht werden, dass sie die Eskalation ethnischer Konflikte tatsächlich verhindern? Oder gelingt die Deeskalation nur vorübergehend, während langfristig die ethnischen Gräben noch vertieft werden? Schon eingangs gibt die Autorin zu verstehen, dass sie nicht davon ausgeht, dass Lijpharts Modell zu einer Entschärfung der interethnischen Spannungen in der makedonischen Gesellschaft beitragen könne. Es bleibt also die zweite Hypothese, die sich auf den Politologen Horowitz stützt: Das Konfliktpotential, das sich aus der ethnischen Segregation ergibt, kann demnach nur dann langfristig aufgehoben werden, wenn es gelingt, Interessen(gruppen) zu stärken, die quer zu den bestehenden Lagern verlaufen. Wer nun erwartet, dass die Autorin solche, von ihr als Cross-Cutting-Komponente bezeichneten Verfahrensweisen im neuen politischen System Makedoniens identifiziert und analysiert, wird enttäuscht. Vielmehr tauchen solche Komponenten eher beiläufig und am Rande auf. Die Wahl des Präsidenten, die von den Ohrider Reformen nicht berührt wird, hält sie irrtümlicherweise für eine solche, weil hier „eine Stimmabgabe über ethnische Gruppengrenzen hinweg“ erfolgt sei (140). Tatsächlich führt eine genauere Analyse des Wahlverhaltens zu einem ganz anderen Ergebnis. In den Augen der meisten albanischen Wähler ist die Präsidentenwahl durchaus eine Angelegenheit der slawischen Makedonier, also eine, die die Albaner nichts angeht. Kiro Gligorov erhielt 1994 kaum albanische Stimmen. Seit der gestiegenen Integration der Albaner in das politische System versuchen die albanischen Parteien, ihr Wählerpotential als 385 Gewicht für koalitionsinterne Absprachen in die Waagschale zu werfen – häufig gegen den Willen ihrer Wähler. Dies war die Ursache für Wählereinschüchterungen, massive Manipulationen und teilweise Gewaltanwendung in Westmakedonien bei den Präsidentschaftswahlen 1998 und 2004. Die Autorin verlässt sich in ihrer Analyse zu stark auf mangelhafte und fehlerhafte Angaben in der Sekundärliteratur. Die gut dokumentierten Wahlergebnisse der Präsidentschaftswahlen 2004 zeigen, wie stark die Wahlbeteiligung im entscheidenden zweiten Wahlgang, bei dem es keinen albanischen Kandidaten mehr gab, in Tetovo, Gostivar und Debar zurückging. Die Aufwertung der kommunalen Ebene, das zeigt Vetterlein richtig, kann aufgrund der geringen materiellen Ressourcen kaum die erhoffte Interessenbildung quer zu dem dominierenden ethnischen Konflikt fördern (202-208). Der historische Rückblick ist stellenweise überfrachtet mit exotischen Details und auch nicht frei von den nationalistischen Diskursen in Makedonien. Während darauf verwiesen wird, dass die Albaner angeblich im 16. Jahrhundert zugewandert sind, fehlt ein Rückblick auf den unmittelbaren Vorläufer des unabhängigen Makedonien, das sozialistische Jugoslawien. Für ein Verständnis des politischen Systems der Gegenwart wären Informationen zu Letzterem ungleich wichtiger gewesen, zumal es gerade in dieser Zeit zu dem gravierenden Modernisierungsgefälle zwischen Makedoniern und Albanern gekommen ist. Und nicht zuletzt basierte auch das titoistische Jugoslawien auf einem ethnischen Proporzsystem, wenn auch zu den Bedingungen eines Ein-Parteien-Systems. Das politische System vor dem Reformabkommen von Ohrid nimmt mit 100 Seiten den größten Teil der Darstellung ein, bleibt aufgrund der zu anekdotenhaften Darstellung jedoch in seinen Grundlinien eher unklar. Dass in Makedonien bis 1998 386 Buchbesprechungen eine nur eingeschränkte Pluralisierung und eine Transformation im Zeitlupentempo herrschten, erfährt der Leser nicht. Dem Verständnis diente dies aber wohl eher als die Betonung der unterschiedlichen Alphabete für die makedonische und albanische Sprache als gesellschaftliches Fragmentierungselement (92). Für die im Widerspruch zur Verfassung stehende starke Rolle des Präsidenten Gligorov (1990-1998) gibt die Autorin eine erstaunliche Erklärung: „[…] die Regierung konnte mit Hilfe der Erfahrung des Präsidenten langsam an ihre Aufgabe herangeführt werden“ ( 140). Die Information, 1990 habe es eine Wahlbeteiligung von nur 20 % gegeben (142), ist schlicht falsch, hatte Makedonien doch bis 2002 eine verglichen mit anderen osteuropäischen Transformationsstaaten äußerst rege Wählerschaft. Die Angaben über die enormen Unterschiede in der Größe der Wahlbezirke halten einer genaueren Überprüfung nicht stand. 25 albanische Abgeordnete 1990 gegenüber 27 2006 (197) bestätigen gerade nicht die behauptete Benachteiligung der Albaner durch das Mehrheitswahlrecht (144). Die Probleme eines Mehrheitswahlrechts in ethnisch segregierten Gesellschaften liegen gänzlich woanders. Dem „verspäteten Systemwechsel“ mit der Machtübernahme durch die VMRO-DPMNE 1998 scheint die Autorin keine Bedeutung für den Ausbruch des Konflikts beizumessen. Die Ursachen der bewaffneten Auseinandersetzung werden nicht erklärt: „Warum der Konflikt gerade zu diesem Zeitpunkt ausbrach, ist ebenso wenig geklärt wie die Frage nach dem eigentlichen Grund für die Eskalation“ (160). Intraethnische Konflikte existieren laut Vetterlein nur im albanischen Lager. Wer die ungebremste Polemik und den teilweise offen zur Schau getragenen Hass in der politischen Auseinandersetzung zwischen den beiden starken Männern im makedonischen Parteienspektrum, Crvenkovski (SDSM) und Georgievski (VMRO- DPMNE), die mehr als ein Jahrzehnt die politische Szene beherrschten, mitverfolgt hat, wird dem kaum zustimmen können. Die Analyse des Ohrider Reformprozesses – eigentlich das Kernstück des Bandes – nimmt nur einen vergleichsweise geringen Raum (70 Seiten) ein. Mit Ausnahme der gestiegenen Beteiligung der Albaner hat sich im Grunde an den Mängeln des makedonischen politischen Systems wenig geändert. Es ist aber zweifelhaft, ob das allein daran liegt, dass das Rahmenabkommen wichtige gesellschaftspolitische Bereiche nur unzureichend thematisierte – Vetterlein verweist vor allem auf die inneralbanischen Konflikte und die Identitäts- und Nationsbildungsprobleme der Makedonier. Auch ist die dominierende Stellung der VMRO-DPMNE seit 2006 sicher keine Folge des Ohrider Abkommens, wie die Autorin nahelegt (236). Eher noch könnte man die zwischenzeitliche Rückkehr des SDSM an die Macht als eine solche bezeichnen. Vetterlein beklagt zu Recht fehlende CrossCutting-Elemente in der makedonischen Politik. Ob solche jedoch einfach über ein neues Design des politischen Systems, wie sich die Autorin ausdrückt, von oben eingeführt werden könnten, bleibt ungeklärt. Dass ein Aufbrechen der starren ethnischen Barrieren durchaus auch unter den makedonischen Bedingungen möglich ist, zeigte die Protestwelle in Skopje im Sommer 2011. Als Reaktion auf den gewaltsamen Tod eines Jugendlichen bei einer Wahlparty der regierenden VMRO-DPMNE protestierten erstmals slawische und albanische Makedonier gemeinsam gegen die Übergriffe der Polizei. Nun konnte Vetterlein diese Entwicklungen in ihrer 2010 in Druck gegangenen Arbeit kaum berücksichtigen. Dennoch erscheint ihre Perspektive als viel zu sehr auf die Schaffung von Anreizen für die Elite des Landes konzentriert. Ansätze gesellschaftlicher Bewegung, welche die regierenden Eliten in Frage stellen, wie etwa die Studentenbewegung „Sloboden Buchbesprechungen Indeks“, finden indes keinerlei Beachtung. So fällt das Fazit der Arbeit entsprechend mager aus: Es erschöpft sich in einem Appell nach stärkerer internationaler Aufsicht und der Eröffnung einer EU-Beitrittsperspektive. Angesichts der dramatischen weltwirtschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre hört sich dieser Vorschlag doch seltsam zeitlos an. Heinz Willemsen (Bielefeld) Dareg A. Zabarah, Nation- and Statehood in Moldova. Ideological and Political Dynamics since the 1980s (Balkanologische Veröffentlichungen des OsteuropaInstituts an der Freien Universität Berlin, 53). Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2011. xii, 212 S., ISBN 978-3-447-064729, € 48,00 Bis zur Perestrojka-Zeit wurde Moldova in der Forschung vernachlässigt wie kaum eine andere Sowjetrepublik. Seitdem ist es aber ein beliebtes Fallbeispiel für späte Nationsbildung und für frozen conflicts geworden. Die Bevölkerung bzw. die Elite der kleinen ehemaligen Sowjetrepublik hat sich 1991 wider Erwarten nicht für die Wiedervereinigung mit dem rumänischen „Mutterland“, sondern für einen eigenen Staat und sogar eine eigene Nation entschieden. Ad absurdum geführt wurde dieser Vorgang dann auf dem linken Dnjestrufer, das sich abspaltete, eine eigene Republik proklamierte und ansatzweise sogar eine neue „transnistrische“ Nation angedacht hat. Gleichzeitig festigte sich in Tiraspol ein nicht anerkannter Staat mit einer autoritären Führung und einem bürokratischen Apparat. Der Erhalt der sowjetischen Wirtschaftsstrukturen und die Angst vor einer Marginalisierung nach einer möglichen Wiedervereinigung mit Rumänien sind als wichtigste Triebfeder der Sezessionsbewegung heute kaum noch relevant, aber der 387 Konflikt ist zum Selbstläufer geworden. Die OSZE ist bei der Lösung keinen Schritt weiter als bei ihrem ersten Statusvorschlag im Dezember 1993 – ein mustergültiger frozen conflict. Da Moldova somit in der Literatur alles andere als eine Tabula rasa ist, versteht es sich, dass Dareg Zabarah in seiner Dissertation einen neuen Ansatz präsentiert, mit dem er sich von früheren Studien, wie jenen von Charles King, Claus Neukirch, Pål Kolstø, Stefan Ihrig und dem Rezensenten, abgrenzen möchte. Was er versucht, so der Autor, sei ein Brückenschlag zwischen Nationalismusforschung und new institutionalism, insbesondere „discursive institutionalism“ (1-9). Konkret bedeutet dies, dass er sich die Frage nach dem Angebot an Staatsund Nationskonzepten stellt und nicht die nach der Nachfrage bzw. dem Erfolg einzelner Konzepte. Vorannahme dieser an Eliten und Ideen orientierten Herangehensweise ist, dass alle konkurrierenden Ansätze auf „the Soviet worldview on nationand state-building“ (5, 192) rekurrierten und kaum von westlichen Vorbildern geprägt worden seien. Im nächsten Satz wird jedoch behauptet, dass durch die Diskreditierung der Sowjetideologie gleichzeitig deren institutionelles, auf diesem Weltbild und einer Staatsbürgernation basierendes Erbe ausrangiert wurde. Zu Recht nennt Zabarah die baltischen Nationalbewegungen als wichtige Ideengeber für Moldova. Dies jedoch wirft Fragen auf: Wenn für den Neoinstitutionalismus die Beharrlichkeit von Institutionen ein zentraler Punkt ist (21), warum wurden in Moldova (und anderswo) dann diejenigen Institutionen abserviert, die zu einem laut Zabarah weiterhin einflussreichen Weltbild gehörten? Und warum kannte das Baltikum dann mit Blick auf die neuen Institutionen große Unterschiede zwischen Lettland und Litauen sowie kleinere zwischen Lettland und Estland? Gab es diesbezüglich überhaupt eine sowjetische Weltsicht, oder haben sich