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08/16 POWERED BY 11. Juli 2013 // HORIZONT 28/2013 Acht Seiten Kreation in HORIZONT / Wroooooooooooooom. Tankstellen-Talk: Die Designexperten Paolo Tumminelli und Lutz Fügener diskutieren über unsere automobile Zukunft. zwei / 08/16 / Die Design-Seiten in HORIZONT 11. Juli 2013 / HORIZONT 28/2013 FOTO: ANTON WATTS / GALLERY STOCK / LAIF in halt spekulativ FOTO: MARA MONETTI / FESETTI FOTOGRAFIE FÜR HORIZONT Debatte. Lutz Fügener und Paolo Tumminelli diskutieren über unsere mobile Zukunft. 04 geländegängig Souverän oder megapeinlich? Über das Design des SUV wird heftig gestritten. 06 maßgeschneidert Rustikal Den einen gelten sie als Statussymbol, den anderen als Klimakiller: Beim Thema Sport Utility Vehicle (SUV) hört der Spaß auf. Zoff ist programmiert. Im SUV sitze man sicher und bequem, loben seine Verfechter, er sei ein idealer Zugwagen; cooler als ein Kombi, praktisch allemal. Alles Angabe, monieren die Verächter, die Geländewagen verstopften zunehmend unsere Städte. Gerade im urbanen Raum wirke sich die Invasion der Mehr-Schein-als-Sein-Vehikel katastrophal aus. Ihre Rechnung ist simpel: Ein Range Rover mit fünf Sitzplätzen beispielsweise ist knapp fünf Meter lang und beinahe zwei Meter breit. Damit beansprucht er eine Grundfläche von 10 Quadratmetern des knappen städtischen Raums – was exakt der durchschnittlichen Größe eines Kinderzimmers im geförderten Wohnungsbau entspricht. Sind SUV-Fahrer also reine Egomanen? So einfach liegen die Dinge freilich nicht. „Die Käufer“, weiß Designexperte Paolo Tumminelli, „sind fasziniert von einem Gefährt mit martialischem Outfit, weil er es ihnen ermöglicht, zumindest in Gedanken dem urbanen Alltag zu entfliehen.“ Dass ihre Wagen in den meisten Fällen gar nicht querfeldeintauglich seien, tue ihrem Erfolg keinen Abbruch. Viele Fahrer wollten sich ohnehin nicht abseits der Straße bewegen. „Es ist eine Suggestion von ungebremster Freiheit, die der SUV-Faszination zugrunde liegt“, analysiert Tumminelli in dieser Ausgabe (S.5). „Bezeichnend ist ja, dass weder Landwirte noch Förster das Gros der Käufer ausmachen, auch nicht Aristokraten und Exzentriker mit Haus in London und Hof im Engadin.“ Die waren es einst, die treu ihren Range Rover kauften. Heute ist es eine breit gefächerte Klientel. „Der SUV“, das sieht auch Tumminellis Diskussionspartner, der renommierte Transportation Designer Lutz Fügener, nicht anders, „ist ein schönes Beispiel dafür, wie ein Wagen, der zunächst für ganz spezielle Märkte entwickelt wurde, alles überrollt.“ (S. 4) Erstaunlich dabei: Gerade in der Großstadt sind SUVs gefragt, gerade hier wird der rustikale Lifestyle gefeiert, das rurale Idyll beschworen. Landlust lautet die Devise. FABIAN WURM Mass Customization. Autobauer folgen dem Magatrend Individualisierung. 08 im print 08/16 // Sechzehn Seiten Kreation in HORIZONT Gesamtverantwortung: Markus Gotta Chefredaktion: Volker Schütz (v.i.S.d.P.); Anja Sturm (stv.) Redaktion: Fabian Wurm Pop-Designer Jeremy Scott verleiht dem Smart Flügel: „Ich wollte etwas entwerfen, was meine Idee von Mode auf Automobildesign überträgt”, erläutert der US-Couturier, der gern die 80er Jahre aufleben lässt. „Ich sehe meine Freunde dieses Auto fahren, coole Menschen in der ganzen Welt, die das einzigartige Design dieses Smart lieben.“ Seit April ist seine Kreation lieferbar. Kein Scherz. Autodesigner J Mays übt sich in Bescheidenheit. „Die Medien haben uns zu Rockstars gemacht. Das sind wir nicht“, wiegelt der Chefgestalter von Ford gekonnt ab. „Designer sind einfach Typen mit Bleistiften.“ Und doch weit mehr. Das zeigen die Portraits von neun der international einflussreichsten Autodesigner, die Journalist Bart Lenaerts und Fotografin Lies de Mol, beide aus Antwerpen, in ihrem Buch versammeln: Vorgestellt werden Walter de Silva (VW-Konzern), Gorden Wagener (Mercedes-Benz), J Mays (FordKonzern), Lorenzo Ramaciotti (Fiat), Laurens van den Acker (Renault), Ed Welburn (General Motors), Peter Schreyer (HyundaiKia), Jean-Pierre Ploué (PSA) und Adrian van Hooydonk (BMW Group). Entstanden ist ein fein typographiertes Kompendium der maßgeblichen Automobilkreateure. Der Buchtipp von 08/16. Mitarbeit: Christoph M. Schwarzer, Michael Rehm Gestaltung: Andreas Liedtke Fotos: Mara Monetti (S.1,2,4,5); Anton Watts / Gallery Stock / Laif (S.2) Verlagsleitung: Peter Gerich Media Service: Timo Liebe Verlag: Deutscher Fachverlag, Mainzer Landstraße 251, 60326 Frankfurt Geschäftsführung: Angela Wisken (Sprecherin), Peter Esser, Markus Gotta, Peter Kley, Holger Knapp, Sönke Reimers Aufsichtsrat: Klaus Kottmeier, Andreas Lorch, Catrin Lorch, Peter Ruß Produktion: Printmedien-Services dfv Druck: Dierichs Druck + Media Diese Publikation wurde ermöglicht durch das Engagement der Deutschen Post AG vier / 08/16 / Die Design-Seiten in HORIZONT 11. Juli 2013 / HORIZONT 28/2013 „Mobilität findet im Kopf statt“ Paolo Tumminelli trifft Lutz Fügener: An der Autobahnraststätte Taunusblick diskutieren die beiden Designprofessoren über die Formensprache der SUVs, die allgegenwärtige Retro-Welle und über unsere mobile Zukunft. INTERVIEW FABIAN WURM Wenn Sie auf die Autobahn schauen, was geht Ihnen durch den Kopf? Paolo Tumminelli: Ich denke, dass zu vie- Was nützt Ihnen das, wenn Sie im Stau auf der Autobahn stecken? Tumminelli: Dann schalten Sie in den Bereits der Ur-Käfer war technisch nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Tumminelli: Ja, die Briten haben nach le Menschen ganz allein isoliert in ihrer Kiste sitzen. Ob sie glücklich sind? Passt der Mensch zum Auto? Automatikmodus, drehen Ihren Sitz, lesen Zeitung oder arbeiten am Laptop. Fügener: So eine erzwungene Entschleunigung würde dann nicht als Unglück empfunden werden. Im Zusammenwirken mit intelligenten Verkehrsleitsystemen sollte mit autonom fahrenden Fahrzeugen aller Art in Ballungsräumen wieder eine recht genaue Prognose der Fahrtzeit möglich sein. dem Krieg den Deutschen das VW-Werk rasch wieder überlassen, weil sie den Volkswagen für Schrott hielten. Dass der spartanische Käfer ein internationaler Erfolg wurde, hing auch mit dessen Alleinstellung in den USA zusammen. Dort reüssierte der Käfer nach der Suez-Krise Ende der 50er Jahre. Da waren Cadillacs mit Heckflossen plötzlich weniger gefragt. „Think small“: Die VW-Kampagne war schon clever. Fügener: Einspruch. So schlecht war die Technik des Käfers gar nicht. Sie war solide und einfach zu bedienen. Kein Wunder. Als Kübelwagen hatte der Käfer im Krieg die längste und härteste Testphase hinter sich, die denkbar ist. Nach dem Krieg wusste man in Wolfsburg ganz genau, welche Teile funktionieren. Haben Sie eine Antwort, Herr Fügener? Lutz Fügener: Unsere Umwelt ist mit gro- ßem Aufwand dem Auto angepasst worden. Nun aber gilt: Das Auto muss sich anpassen – an ökologische Erfordernisse, auch an digitale Technik. An Design denken Sie nicht? Fügener: Doch. Vieles, was hier vorbei- rollt, ist aufgeblasen und schwülstig. Nehmen Sie die Geländewagen oder die vielen Autos im Retro-Style. Der Philosoph Paul Virilio hat einmal von „rasendem Stillstand“ gesprochen. Das charakterisiert die Situation ganz gut. Meinen Sie, dass die Autobahnen künftig noch voller sein werden? Fügener: Bislang können wir uns auf der Autobahn einigermaßen schnell bewegen. Ob Stop-and-go künftig die Regel sein wird, halte ich nicht für ausgemacht. Viele meiner Studenten beispielsweise sind gar nicht mehr so aufs Auto fixiert. Obwohl sie im Automotive-Bereich arbeiten, nutzen sie sehr intelligent unterschiedliche Verkehrsmittel. Für sie ist das Auto kein Statussymbol mehr. Tumminelli: Ich vermute eher, dass wir mehr Autos haben werden, aber der einzelne Wagen wird weit weniger Energie verbrauchen. Wir werden langsamer fahren, kontrollierter. Firmen wie Microsoft und Google arbeiten derzeit an Systemen, die Autobahnen, Landstraßen und Stadtverkehr so verwalten wie die Datenströme im Internet. Die kontrollierte Fortbewegung bis hin zum selbstfahrenden Auto ist heute schon möglich – dank Vernetzung. Warum wird dann die Vernetzung von Verkehrssystemen und Fahrzeugen nicht energischer vorangetrieben? Fügener: Innovationen werden zunächst in teuren Autos der Oberklasse ausprobiert. Deren Käufer aber kommen in der Regel aus einer Generation, die mit moderner Kommunikationstechnik nicht so vertraut ist oder sich damit kaum auseinandersetzen will. Einem 20-Jährigen hingegen müssten Sie ein vernetztes Auto kaum erklären. Aber der wird nicht gefragt. Folglich hält der Stillstand an. Was macht Sie so pessimistisch? Fügener: Ich bin nicht pessimistisch, doch realistisch genug, um zu erkennen, dass jede Änderung, die das Auto betrifft, evolutionär sein wird. Unser Verkehrssystem verträgt keine Revolution. Für die Industrie ist jede Zäsur mit enormem Risiko verbunden. Die Entwicklungsphasen dauern Jahre, die Kosten sind gigantisch, die Angst vor einem Flop sitzt tief. Kommt hinzu: Käufer scheinen heute Modelle zu bevorzugen, die alles andere als futuristisch daherkommen. Ist das der Grund, warum Automobildesigner mit ihren RetroEntwürfen die automobile Vergangenheit beschwören? Tumminelli: Nein, das kann nicht der al- leinige Grund sein. Designer mit zu viel Benzin im Blut versuchen sich gern an alten Mythen: Mini, Käfer und der Fiat 500 sind vor ihnen nicht sicher. RetroDesignelemente früherer Auto-Epochen werden heute allenthalben zitiert. Mit geteiltem Erfolg. Die Chromverzierungen auf der Motorhaube des neuen Fiat Panda und die schwungvollen Kotflügel der EKlasse sind dafür ein Beispiel. Solche Elemente waren in den fünfziger Jahren beliebt. An einem zeitgenössischen Auto haben sie allerdings nichts zu suchen. Ist der Retro-Style bloße Mode? Tumminelli: Automobildesign lebt von Moden, keine Frage. Fügener: Eines kommt hinzu: Je älter wir werden, desto mehr neigen wir dazu, die Vergangenheit zu verklären. Nehmen wir den Beetle: Der ist ja keineswegs die Reinkarnation des technischen Konzepts des Ur-VW. Nein, die Form folgt hier nicht der Technik: Ein Design für einen Wagen mit Heckmotor wurde auf ein Auto gepfropft, das von einem Frontmotor angetrieben wird. Absurd! Sie meinen, Form und Inhalt fallen auseinander? Fügener: Das ist bei vielen Retro-Produk- ten der Fall. Da sind wir dann ganz rasch wieder beim Ornament, beim Kitsch, bei der Blumenvase im Käfer beispielsweise – und landen beim Zitat des Zitats. Warum ist der Käfer heute überhaupt noch ein Thema? Fügener: Er hat die halbe Nation motori- siert. Er steht für den Erfolg der deutschen Automobilindustrie. Deshalb existieren nach wie vor positive Emotionen. Liegt das nicht auch an seinem knuffigen Design? Fügener: Sicher. Was man dem Käfer auf keinen Fall absprechen kann, ist die unglaublich prägnante, stets erkennbare Form. Die aerodynamische Anmutung steht zwar im Widerspruch zu seinem mäßigen cw-Wert. Doch der Käfer hat eine ikonische Form. Vollkommen eigenständig. So wie der Mini – auch eine Designikone. Fügener: Ja, und der Ur-Mini ist weit mehr: ein revolutionärer Kleinwagen, der bezeichnenderweise gänzlich von einem Konstrukteur entworfen wurde. Der Quereinbau des Frontmotors – das war die geniale Idee von Alec Issigonis. Dadurch konnte er ein so enorm kurzes Auto realisieren. Unglaublich. Tumminelli: Der BMW Mini allerdings hat mit Issigonis’ Konzept nichts mehr zu tun: 80 Prozent Platz für Menschen, 20 Prozent für Technik – heute ist das Verhältnis beinahe umgekehrt. Interessant ist, dass der Ur-Mini und der Fiat Cinquecento, diese Superkompaktfahrzeuge, anfangs nicht wirklich angenommen wurden. Haben Sie eine Erklärung dafür? Tumminelli: Der Mini war zu komplex, zu innovativ für die breite Masse. Innovation braucht Zeit, um sich allgemein durchzusetzen. Auch der Audi A2, das erste Voll-Alu-Kompaktfahrzeug mit aerodynamischer Form, wurde leider viel zu schnell zurückgenommen, obwohl seine Gestalter Peter Schreyer und Gerd Pfefferle für ihren Entwurf 2002 mit dem Designpreis der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet wurden. Fügener: Ja, der A2 hätte sich nach der Benzinkrise in den USA sicher prima verkaufen lassen – der passte absolut in jene Zeit. Aber da wurde er bereits nicht mehr produziert. Schade! Heute zahlen Sie auf dem Gebrauchtwagenmarkt enorm viel Geld für einen A2 – kein Wunder. Ein tolles Auto. Ein Indiz dafür ist die Tatsache, dass man nie einen A2 in schlechtem Zustand sieht. Wer einen hat, passt auf. 08/16 / Die Design-Seiten in HORIZONT 11. Juli 2013 / HORIZONT 28/2013 / fünf FOTOS: MARA MONETTI / FESETTI FOTOGRAFIE FÜR HORIZONT Tankstellen-Talk: Paolo Tumminelli und Lutz Fügener (v.l.) Tumminelli: Häufig haben Kleinwagen in kein Markenkonzept gepasst. Der erste Twingo beispielsweise war ein Gewaltakt für Renault. Der Entwurf von Patrick Le Quément hätte das Zeug gehabt, die Ente zu beerben. Man hätte den Twingo – so wie Mini – zur Marke machen können. Eine verpasste Chance. Das größte Risiko sei es, kein Risiko einzugehen, hat Le Quément einmal gesagt. Für die Autoindustrie scheint das nicht zu gelten. Fügener: Das letzte radikal neue Konzept war der Smart – lang ist’s her. Große Erwartungen soll der kleine Adam erfüllen: Kann er Opel retten? Tumminelli: Das wäre ein bisschen viel verlangt. Noch sehe ich den Adam eher beim Händler als auf der Straße. Vielleicht überlegen die Leute noch, welche der rund 61000 angebotenen Kombinationen sie bestellen wollen. Fügener: Mir ist der Adam sympathisch. Opel macht deutlich: Ein Auto, das Spaß macht, muss keineswegs groß sein. Die Italiener haben das schon früh begriffen: Da gab es den Lancia Y. Und es zeigte sich, dass ein Kleinstauto durchaus repräsentativ sein kann. Zu Zeiten der Abwrackprämie erlebten Kleinwagen einen wahren Boom. Dann ließ das Interesse nach. Das einzige Segment, das unabhängig von Krisen wächst, ist das der Geländewagen, der SUVs. Warum? Tumminelli: Erstaunlich, in der Tat. Denn obwohl das Auto nicht länger alleiniges Statussymbol ist, versucht man es – im Wortsinn – zu überhöhen. Hier noch ein breiterer Reifen, dort eine kürzere Rückleuchte und überall Chromleisten. Doch irgendwann ist die Grenze definitiv erreicht. Die Formen des Automobils sind explodiert. Wir erleben die Deformation des Autokörpers. Es entsteht eine Karosserie, die der Fassade einer Ba- rockkirche gleicht: unten breit, oben filigran. Es gibt keine Vernunft mehr. Fügener: Exakt, die übertriebene Komplexität der Formen tut keinem Auto gut. VW-Chefdesigner Walter de’Silva sagt: „Ich liebe es, wenn ein Auto mit nur zwei Linien gezeichnet werden kann.“ Wunderbar! Allerdings frage ich mich, wo diese zwei Linien bei seinem Lamborghini Egoista zu finden sind. Da sehe ich ein Liniengewirr. Sicher – ein reines Showcar. Aber was ist die Nachricht an den Lamborghini-Kunden? Man will sich einfach abheben. Dieser Wunsch treibt mitunter bizarre Blüten. Erklärt dieser Trend auch den immensen Erfolg der SUVs? Fügener: Ja. Was soll zum Beispiel ein Porsche Cayenne, der getunt über 300 Stundenkilometer schnell ist. Die volle Kraft, die in einem SUV steckt, nutzt kaum jemand. Es gibt ohnehin wunderbare Sportwagen, die das besser können. Aber eines ist schon interessant und auch bemerkenswert: Wir sind technisch in der Lage, mit einem Zweieinhalb-TonnenAuto über 300 Stundenkilometer zu fahren. Der SUV ist ein schönes Beispiel dafür, wie ein Wagen, der zunächst für ganz spezielle Märkte entwickelt wurde, irgendwann alles überrollt. Welche Märkte meinen Sie? Fügener: Die Ost-Märkte und die Märkte in Mittel-Ost und Fernost. Als sich die Grenzen öffneten, wurden Autos verlangt, die repräsentativ sind, groß, wehrhaft, verchromt. Gefragt war Old School Chic. In die Moskauer Realität passte der SUV optimal: Die Straßen waren schlecht, man musste sich verteidigen. Warum aber haben die SUVs hierzulande diesen immensen Erfolg? Tummenielli: Wir wollen Kontrolle über alles haben. Für alles brauchen wir eine Versicherung. Der SUV könnte eine Versicherung dafür sein, dass wir im Fall der Fälle ungehindert wegfahren können. Fügener: Vielen gefällt es, weit über Straßenniveau zu sitzen. Das suggeriert absolute Unangreifbarkeit. Besonders Frauen fühlen sich und ihre Kinder geschützt. Das haben bereits die Verkäufe des SUVVorläufers, des Jeeps Grand Cherokee, in den 90er Jahren gezeigt: Er wurde mehr als erwartet von Frauen gekauft. Als dann die ersten SUVs auf den östlichen Märkten gewaltig reüssierten, war natürlich das Bestreben der Hersteller, sie überall zu verkaufen. Dann wurde die Marketingmaschine angeworfen. Kann die Marketingmaschine denn so ohne Weiteres Autos verkaufen? Tumminelli: Heute können Kunden viele Details einfach nicht mehr richtig würdigen, daher meinen viele, alle Autos sähen gleich aus. Den meisten fehlt die Erfahrung und die Kompetenz, um die Gesamtqualität eines Automobildesigns zu bewerten. Davon profitiert das Marketing gewaltig. Fügener: Die Kosten für Marketing eines einzelnen Autos betragen das Acht- bis Zehnfache der Designkosten. Viel Geld. Management, Marktforschung und Marketing sind immer mehr involviert. Werden Marketingexperten zu Mitdesignern? Fügener: Das ist längst der Fall. Ich halte das für eine äußerst fragwürdige Entwicklung. Denn aus verständlichen Gründen versucht man, das neue Produkt aus dem alten abzuleiten. Das erlaubt jedoch nie einen kühnen Sprung. Nach dem Käfer hat man versucht, diesem Ansatz folgend durch Evolution zum neuen Produkt zu gelangen. Erst Mut und Verzweiflung haben dann den Sprung zum Golf ermöglicht. Keine Kundenbefragung hätte zu diesem Ergebnis geführt. Wer kann die notwendigen Veränderungen vorantreiben? Fügener: Um beim Beispiel Golf zu blei- ben: Veränderungen kann es geben, wenn in einem Unternehmen ein zielstrebiger Ingenieur oder ein kenntnisreicher Patriarch das Sagen haben. Heute nehmen aber auch Politiker massiv Einfluss – mit ihrer Gesetzgebung. Die Legislative ist nicht zu unterschätzen, einerlei ob auf deutscher oder europäischer Ebene. Welchen Einfluss haben die Käufer? Fügener: Mit der Kraft ihres Geldes und über ihr Votum bei politischen Wahlen – also nur mittelbar. Tumminelli: Trotzdem sagen die Akteure: Es wird gemacht, was der Käufer will. So wird uns immer wieder versichert, es gäbe keinen Markt für Elektroautos. Es kommt aber darauf an, wie man fragt und agiert. Wenn man keine Alternativen auf die Straße bringt, dann bestätigt sich immer nur das bereits Bekannte. Von den Retro-Moden einmal abgesehen: Welchen Trends folgt das Automobildesign gegenwärtig? Fügener: Ich beobachte zwei gegenläufige Trends: einerseits Downsizing, andererseits Gigantismus. Deutschland ist ein Flächenland mit Autobahnen, auf denen man sich – immer noch – schnell bewegen kann. Das erzeugt das Bedürfnis nach großen Automobilen. In den Städten dagegen werden sie immer unpraktischer. Tumminelli: Ja, mit großen Wagen kann man sich dort kaum fortbewegen. Folglich sind Alternativen gesucht. Fügener: Das Elektromobil hätte Potential, wenn da nicht eine Sperre im Kopf wäre: die Angst, nach 150 Kilometern ohne Saft dazustehen. Völlig irrational. Solche Touren sind statistisch die Ausnahme. Das zeigt: Mobilität findet zuvorderst im Kopf statt. Es ist an der Zeit, vollkommen neue Bilder für das Auto zu finden. Designexperten Dass Pforzheim weltweit zu einer der ersten Adressen für angehende Autodesigner zählt, ist nicht zuletzt sein Verdienst: Lutz Fügener, 46, lehrt in der Schmuckstadt seit 13 Jahren Transportation Design. Zudem betreibt der vielgefragte Professor, der studierter Maschinenbauer und diplomierter Designer ist, das Studio FT in Berlin. Auch Paolo Tumminelli, 48, weiß Theorie und Praxis zu verbinden. Der studierte Architekt arbeitete als Designer im „Centro Stile“ von Alfa Romeo, war Marketingleiter von Rosenthal und gründete 2002 Goodbrands, ein Unternehmen für strategische Marken- und Designberatung mit Sitz in Düsseldorf. An der Kölner KISD lehrt Tumminelli als Professor für Design-Konzepte. sechs / 08/16 / Die Design-Seiten in HORIZONT 11. Juli 2013 / HORIZONT 28/2013 VW Taigun soll ab 2016 die SUV-Familie von VW bereichern: Nachdem der Wolfsburger Konzern angekündigt hat, sein Angebot oberhalb des Tiguan auszubauen, steht nun offenbar auch unterhalb des Kompakt-Modells Nachwuchs ins Haus. Geplant ist ein MiniSUV. Der kleine Bruder des Tiguan soll – so wird vermutet – Taigun heißen und für rund 15000 Euro angeboten werden. Mit einer Länge von rund 3,86 Metern soll er deutlich kürzer als Konkurrenten wie Opel Mokka, Mini Countryman oder Peugeot 2008 sein. Vorbild des Neuen ist die Studie Taigun Concept, die Ende 2012 auf der Messe in São Paulo vorgestellt wurde. Landlust Sie gelten als sicher und geländetauglich. Oder sind sie einfach nur großspurig und peinlich? Über das Design der Sport Utility Vehicles (SUVs) wird heftig gestritten. VON CHRISTOPH M. SCHWARZER Willys MB von 1940 gilt als Urahn aller SUVs. Das geländegängige Fahrzeug war eine Entwicklung von Willys-Overland Motors in Elisabeth für die US-amerikanischen Streitkräfte. Die Willys-Story hat viele Kapitel: Als ziviles Nutzfahrzeug wurde der Jeep CJ-2A in der Nachkriegszeit angeboten: ein Willys MB ohne militärtypische Details, wie die Tarnleuchten, dafür mit einer Hecktür. Mit dem Concept Car Willys 2, das 2001 auf der Autoshow in Detroit vorgestellt wurde, wollte der Chrysler-Konzern die Tradition wiederbeleben. Der Porsche Cayenne am Klosterstern in Hamburg ist blind. Diebe haben die Frontscheinwerfer ausgebaut. Geblieben sind leere Höhlen, stumme Zeugen der rasant wachsenden Beliebtheit der SUVs: Will ich auch haben! Ein Stück SUV, eine Trophäe zumindest. Außenspiegel, Alufelgen, selbst ganze Sitzbänke sind vor Räubern nicht mehr sicher. Große Vehikel mit Geländeoptik finden mehr und mehr Fans, das Segment boomt. SUV – für viele sind die drei Buchstaben eine Chiffre für automobile Freiheit. Genau genommen aber stehen sie für „Sport Utility Vehicle“, was „sportliches Nutzfahrzeug“ bedeutet. Eine Übersetzung ist kaum nötig, das Kürzel hat sich etabliert. Gegner freilich folgen einer anderen Lesart: „Super Unnötiges Vehikel“ unken sie. Dem Erfolg der keineswegs immer geländegängigen Wagen können sie nichts anhaben. So, wie das Smartphone das Mobiltelefon mit Tasten abgelöst hat, könnte das SUV zur neuen Norm des Autos werden, davon zeigen sich Designer und Verkehrsexperten überzeugt. Das Center Automotive Research (CAR) der Universität Duisburg-Essen unter Leitung von Professor Ferdinand Dudenhöffer hat die Zulassungszahlen analysiert. Bestellten 2002 lediglich 4 Prozent aller Autokäufer einen SUV (was 128836 Autos entspricht), waren es 2012 mit 15,9 Prozent (491119) bereits fast viermal so viele. Seit der Jahrtausendwende wächst der Marktanteil jährlich um stolze 15 Prozent. Würde das Wachstum ungebremst anhalten, wären 2020 die Hälfte aller Neuwagen SUVs. Die Prognosen des CAR sind zurückhaltend: Für 2015 werden 22 Prozent und für 2020 ein Marktanteil von 33 Prozent erwartet. „Der Trend ist nicht umkehrbar“, da ist sich Ferdinand Dudenhöffer sicher. Zu viel spreche für die großspurige Karosse: Ein Wagen, der Sicherheit, Bequemlichkeit und Sportlichkeit zugleich ausstrahle, sagt der vielgefragte Experte, komme gut an. Zudem zeige sich sein Design so vielfältig, dass sich eine trennscharfe Abgrenzung zu anderen Fahrzeugklassen nicht ziehen lässt. Was also macht einen SUV aus? Lutz Fügener, Professor für Transportation Design an der Hochschu- le Pforzheim, stellt festgefügte Definitionen infrage. Das Design der SUVs, erläutert er, habe sich historisch aus zwei Linien entwickelt. Der eine Ursprung sind die echten Geländewagen, die wiederum auf Militärfahrzeuge wie den Jeep Willys und den Mercedes G zurückgehen, der noch heute von der Bundeswehr genutzt wird. Die Off-Road-Fähigkeit spiegele sich im Design wider: Die Autos liegen hoch, die Räder sind groß, die Karosserieüberhänge kurz. Die Grundform ist von einem Kasten abgeleitet. Den Wechsel zum luxuriösen SUV vollzog der Range Rover, der 1970 vorgestellt wurde. Weil Queen Elizabeth II. gern selbst am Volant drehte, war der Range plötzlich geadelt. Er bleibt der Urvater der edlen Full-Size-SUVs vom Schlag eines BMW X5 oder Mercedes GL. Plakative und einstmals provozierende Autos, deren Zulassungszahlen aber insgesamt nicht ins Gewicht fallen. Für die breite Masse der GegenwartsSUVs scheint die zweite historische Wurzel relevanter. Kleintransporter und Nutzfahrzeuge wie Pick-ups stehen am Beginn der Entwicklung. Es gibt ein Auto, das mit Design und Konzept der Zeit er- staunlich weit voraus war: der TalbotMatra Rancho, der 1977 auf den Markt kam. „Er nimmt vorweg, was die Kompakt-SUVs heute ausmacht.“ In der Tat: Wie viele neue SUVs verzichtete der Talbot Rancho auf den schweren, teuren und verbrauchstreibenden Allradantrieb. Seine Motorentechnik stammte aus dem Standardregal von Simca. Er glich mehr einem mild höhergelegten Kastenwagen. Um optisch den Charme von Verwegenheit und Abenteuer zu transportieren, zierten den Talbot Rancho eine schwarze umlaufende Plastikbordüre sowie Schutzelemente an den Kotflügeln. Zusätzliche Frontscheinwerfer und eine massive Dachreling kamen hinzu; die Farbpalette mit Wüstenbeige und Waldgrün rundete das Bild ab. Fertig. Das Erfolgsrezept war erfunden. Es ist, als sei der Talbot Rancho in Gestalt des Škoda Yeti wiedererschienen. Der Škoda verkörpert all das, was die Zulassungszahlen nach oben schnellen lässt. Eben das, was mittlerweile viele Kunden attraktiv finden: „Es lässt sich nicht leugnen, dass diese Autos einen hohen praktischen Nutzwert haben“, erklärt Fügener ein wichtiges Kaufmotiv. Mindestens ge- 08/16 / Die Design-Seiten in HORIZONT 11. Juli 2013 / HORIZONT 28/2013 / sieben Mercedes GL Klasse wird seit 2012 in der zweiten Generation angeboten. In der Länge misst das luxuriöse Fullsize Sport Utility Vehicle mit Offroad-Eignung mehr als 5, in der Breite mehr als 2 Meter. Die SUV-typische hohe Bordkante wird mit einem Chromzierstab, die dynamische Linienführung mit der Chromeinfassung der Fensterflächen deutlich unterstrichen. Serienmäßig steht der Mercedes GL auf 18-Zoll-Leichtmetallrädern im 10-Speichen-Design, optional sind Räder bis 53,3 Zentimetern lieferbar. Porsche Cayenne ist – folgt man der Einschätzung des Herstellers – „der Sportwagen unter den SUVs“. Dicker Auftritt, großer Erfolg: Seit 2002 mischt der schwäbische Autobauer mit seinem wuchtigen Allrader das Segment der Sport Utility Vehicles auf. Der Cayenne ist der erste Fünftürer der Marke und der erste Porsche, für den es ab Werk eine Anhängerkupplung gibt. Mit dem großspurigen Vehikel gelang es der Zuffenhausener Edelmarke, ihren Kundenkreis erheblich zu erweitern. Nach beinahe elf Jahren kommt der Cayenne auf circa 450000 Verkäufe. nauso relevant ist die erhöhte Sitzposition, die zu einer besseren Übersicht führt und den Einstieg erleichtert. Das ist bequem für Ältere. Der Eindruck von Sicherheit und Solidität paart sich mit Pragmatismus. Während der Yeti aber noch mit Allradantrieb zu haben ist, gibt es den Peugeot 2008 ausschließlich mit Frontantrieb. Seine Technik hat er vom Kleinwagen 208 geerbt, ist aber 20 Zentimeter länger und 10 Zentimeter höher. So machen die Autohersteller Stückzahl: Von den obersten Fahrzeugklassen angefangen, wandert das SUV immer weiter runter in die übrigen Segmente. Die nächste Stufe dieser Entwicklung wird VW mit der Serienversion des Taigun nehmen. Der Name ist kein Schreibfehler des auf dem Golf basierenden Tiguan, sondern ein Mini-SUV auf Basis des Stadtautos Up. Volkswagen hatte 2012 auf der São Paulo Motorshow in Brasilien eine Studie vorgestellt, um die Reaktionen zu testen. Obwohl es keine offizielle Bestätigung aus Wolfsburg gibt, gilt als sicher, dass der Taigun in die Verkaufsräume kommt. Mit Dreizylindermotor und weit ausgestellten Kotflügeln. Panzerartig und respekteinflößend? SUVs haben einen Imagewechsel vollzogen, sie sind Alltag geworden. Dennoch wird erbittert gestritten. Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher beim ökologisch orientierten Verkehrsclub Deutschland (VCD), weist auf die Risiken des Phänomens hin: „Das Sicherheitsgefühl in diesen Autos kann zu einer leichtsinnigeren Fahrweise führen.“ Kritisch bewertet er das Unfallrisiko für andere: „Der Aufprallpunkt bei Fußgängern ist höher, was zu schwereren Verletzungen führt. Und wenn ein Auto mit hohem Gewicht gegen ein leichtes prallt, zieht Letzteres den Kürzeren.“ Anders als der ADAC versteht sich der VCD nicht als Automobilclub, sondern als Anwalt aller Verkehrsteilnehmer, also auch der Radfahrer und Fußgänger vom Kind bis zum alten Menschen. Folglich setzt sich Lottsiepen auch für jene ein, denen die SUVs Angst machen. „Mannshohe Autos“, sagt er, „flößen Respekt ein.“ Letzteres aber macht offenbar auch ihren Reiz aus. Wiebke Brauer, Redakteurin beim Magazin „Auto, Motor und Sport“, bringt es in einem Selbstversuch auf den Punkt: „Verkehrsteilnehmer wei- chen vor der schieren Masse des Wagens aus, mein zweiter Name lautet Gelassenheit. Das schafft kein Kleinwagen.“ Wohl wahr. Auto-Experte Paolo Tumminelli, Direktor am Goodbrands Institute und Professor an der International School of Design in Köln, beschreibt das Phänomen aus der Perspektive eines Golf-Fahrers: Wer aus dessen Seitenfenster ein SUV auf der Nebenspur betrachtet, sehe nur die Tür. „SUV-Fahrer neigen dazu, riskanter zu fahren, weil sie das Gefühl haben, in einem Gefährt zu sitzen, das sicherer ist als eine Blechbüchse.“ Für Tumminelli sind SUVs aber nicht einfach ein Zeitgeistphänomen. Nachdem bereits in den neunziger Jahren das aufsteigende urbane Bürgertum das Sport Utility Vehicle entdeckt habe, sei inzwischen die breite Masse von dem Wagen im Geländelook fasziniert. „SUVs sind die neue Norm des Autos“, sagt Tumminelli. Es handele sich hier um das neue Automobil, das uns bald genauso selbstverständlich erscheinen werde wie ein Smartphone. Weg von den flachen, breiten und schnittigen Formen der Nachkriegszeit, hinauf nach oben – ein Paradigmenwechsel. „Am Dachverlauf sehen Sie alles, was wir bisher kannten“, erklärt er, „Coupés, Kombis und perspektivisch sogar Sportwagen.“ So entstünden rustikale Autos wie der Chevrolet Traxx, der auf dem Opel Mokka basiert. Ein Fan dieser Autos ist Paolo Tumminelli mitnichten. „SUVs sind Fahrzeuge des Eskapismus“, gab er 2012 der „Zeit“ zu Protokoll, „ein Designverbrechen!“ Im Gespräch mit HORIZONT gibt er sich moderater: „Die Botschaft ist: Ich sehe dich von oben nach unten. Ich kontrolliere dich.“ Es gehe darum, die eigene Präsenz zu stärken und Macht zu demonstrieren. Wer dagegen ein herkömmliches Auto fahre wie einen Golf, der getrost als goldener Schnitt bezeichnet werden darf, weil er die Mitte markiert und die meisten Bedürfnisse optimal erfüllt, der sei „nicht mehr en vogue“. Vogue, der französische Begriff für Mode oder Beliebtheit, inspirierte Range Rover zum Namen des Kompakt-SUV Evoque. Exemplarisch zeigt er einen weiteren Nachteil: Die Fensterflächen sind im Vergleich zur Karosserie sehr klein. „Die Menschen tun sich keinen Gefallen mit Autos, die einmauern“, so Tummi- nelli, denn zu viel Schutz wie in einer Burg bedeute immer auch einen deutlichen Verlust an Freiheit. Dem Verkaufserfolg zum Trotz könnte der SUV-Boom die Autohersteller in eine ökologische und finanzielle Bredouille bringen. Denn die Europäische Union hat gesetzliche Verbrauchsvorschriften erlassen. Der Durchschnitt aller tatsächlich verkauften Autos darf eine bestimmte Höhe nicht überschreiten, sonst drohen saftige Strafzahlungen. Obwohl moderne SUVs in den kleineren Klassen keine Allradtechnik und konventionelle Motoren haben, behalten sie einen Verbrauchsmalus, der prinzipbedingt ist: Aufgrund der größeren Stirnfläche ist ihr Luftwiderstand hoch, was den Treibstoffkonsum „um mindestens 25 Prozent gegenüber konventionellen Fahrzeugen“ erhöht, weiß Professor Ferdinand Dudenhöffer vom CAR. „An einer Technik- und Designoffensive führt darum kein Weg vorbei.“ Christoph M. Schwarzer ist freier Journalist in Hamburg und berichtet über alles, was sich bewegen lässt, unter anderem für „Die Zeit“ und Spiegel Online. acht / 08/16 / Die Design-Seiten in HORIZONT 11. Juli 2013 / HORIZONT 28/2013 Unikate, massenweise Der Megatrend Individualisierung hat auch die Autohersteller erfasst. Die Farbe spielt dabei eine wichtige Rolle. VON MICHAEL REHM Welche Farbe hat eigentlich eine Fahrradkette? Stahlgrau, würden wohl die meisten sagen, beim Gedanken an das eigene Rad vielleicht auch schmierigschwarz oder rostrot – womit man bis vor einiger Zeit die farbliche Bandbreite einer Fahrradkette ziemlich umfassend beschrieben hätte. Hätte, hätte, Fahrradkette ... Wer sich heute im Internet bei Anbietern wie Urbike oder Myownbike ein hippes Singlespeed-Bike konfiguriert, hat die Wahl zwischen sieben Farben – allein für die Kette. Bereits das Kettenblatt gibt es in 18 Farben, ebenso Rahmen, Lenker und Vorbau; selbst bei den Reifen sind zwölf Farbtöne in der Auswahl – für jeden einzelnen, wohlgemerkt, man will ja vorn nicht unbedingt dieselbe Farbe wie hinten haben. So ergeben sich unzählige Kombinationsmöglichkeiten, je nach individuellem Geschmack der Käufer. „Du bist Dein Fahrrad“, lautet folgerichtig der Slogan, mit dem die Firma Urbike ihre Kunden zu Individualisten und ihre Produkte zu Unikaten macht. Dabei sind – abgesehen von der Farbe – die Fahrräder weitgehend standardisiert: Drei Rahmenhöhen, ein paar Sattel-Varianten, zwei Lenkerformen, eine Gangschaltung. Aber wen stört das schon bei diesem Farbfeuerwerk? „Mass customization“ nennt man das im Fachjargon. Ob „massenhafte Individualisierung“ oder „individualisierte Massenproduktion“; einerlei wie man den Begriff übersetzt, er bleibt widersprüchlich, denn natürlich schließen sich Massenproduktion und individuelle Anpassung an Kundenwünsche im Grunde aus – es sei denn, man findet einen Weg, größtmögliche Unterscheidbarkeit mit geringstmöglichem Aufwand zu erzeugen. Farbe ist da ein perfektes Mittel. Das Internet ist Motor und Voraussetzung für solch eine massenhafte Individualisierung von Produkten. Der Kunde formt sich mit ein paar Klicks nach einem Baukastensystem sein Wunschprodukt und lässt sich seine persönliche Kreation nach Hause liefern. Unternehmen wie Mymuesli, Allmyteas oder Chocri haben es erfolgreich vorgemacht und lassen ihre Kunden am Computer ihre eigenen Müslis, Teemischungen oder Schokoladen kreieren. Bei NikeiD oder Miadidas kann man zum Gestalter seines eigenen Schuhwerks werden. Und die Automobilbranche? Die fährt ganz vorn mit, wenn es ums Individualisieren geht. Jüngstes Beispiel: Der Opel Adam. „Der Lifestyle-Flitzer bietet mit seinen fast unzähligen Kombinationsmöglichkeiten außen und innen mehr Potenzial zur Individualisierung als jedes andere Auto in seinem Segment“, freute sich Opel Design-Chef Mark Adams bei der Einführung des Wagens im Herbst letzten Jahres. „Ziemlich unwahrscheinlich“ sei es daher, „dass man zwei identische Exemplare zu Gesicht bekommt.“ Technisch sind alle Möglichkeiten zur kundenspezifischen Individualisierung beim Auto längst vorhanden, schließlich ist das Konfigurieren des künftigen Fahrzeugs am Computer mittlerweile beinahe ein fester Bestandteil des Autokaufs. Wer einmal den Konfigurator des Opel Adam angeworfen hat, muss Mark Adams schnell Recht geben. Mit den Motorenund Getriebevarianten ist man zwar zügig durch, doch wenn es an die Farben geht, fängt der Spaß erst richtig an. Ein Mausklick, und das Wägelchen in „Guacamole White“ erhält „Okapi-braune“ Außen- spiegel. Dazu noch eine Grillspange in „Mojito Green“, das könnte doch ganz gut aussehen. Dekore im „Chic-Design“ auf die B-Säulen – fertig. Oder doch nicht? Einen Klick weiter finden sich, um das Bild abzurunden, kontrastfarbene Zierclips für Felgen; ein komplett neues, eigens für den Opel Adam entwickeltes Gestaltungsmittel. Sehr bald stellt sich so der Eindruck ein: Das ist kein Auto-Konfigurator, das ist eine Gestaltungssoftware! Opels Adam ist beileibe nicht das einzige Fahrzeug, bei dem die Hersteller auf Individualisierung durch Farbe setzen. Ein Vorreiter in dieser Hinsicht war der Smart. Ganz zu Beginn wurde der Wagen noch getreu dem Motto „reduced to the max“ mit eher begrenztem Farbtonspektrum angeboten. Heute kann sich, wer möchte, einen „Tailor made“-Smart zusammenstellen, der, wie der Hersteller verspricht, „bis ins letzte Detail individuell“ ist – unter anderem, weil im Konfiguratur für beinahe jede Außen- und Innenfläche ein eigener Farbton – dem Wunsch folgend – vergeben werden kann. Auch Mini und Fiat 500 haben gezeigt, wie man mit einem riesigen Farbtonspektrum, unzähligen Kombinationsmöglichkeiten, ausgefallenen Interieurs und zahlreichen Dekorelementen – sogar der gute alte Rallyestreifen ist wieder zu Ehren gekommen – den Appetit der Kunden auf Individualität und eine gewisse Extravaganz wecken kann. Beim Fiat 500 der „Fuoriserie“ will Haus-Tuner Abarth den Ideen sogar noch freieren Lauf lassen. Kunden können das Karosseriestyling komplett nach ihren Vorlagen vornehmen lassen. Das gewünschte Design wird dann – egal, ob das die Farbe des Lieblingskleids oder die Zeichnung des Juniors betrifft – von Hand bei Abarth in Turin aufgebracht und lackiert – ein ebenso individuelles wie exklusives Vergnügen. Es ist kein Zufall, dass all diese Fahrzeuge ganz ähnlichen Fahrzeugsegmenten angehören, denen der modischen oder luxusorientierten Kleinwagen. Es handelt sich dabei um einen echten Wachstumsmarkt. So steigerte sich der Absatz bei den modischen Kleinwagen mit rund 3,70 Meter Länge seit 2000 in Europa um rund 30 Prozent, bei den „luxusorientierten“ Kleinen bis 4 Meter Länge sogar um mehr als 110 Prozent. Gemeinsam haben die feinen Kleinen, dass sie sich nicht primär über den Preis, sondern über Lifestyle und Emotion verkaufen. Wer sich ein solches Fahrzeug zulegt, hat meist noch ein paar Scheine übrig für Ausstattung oder Individualisierung. Den Herstellern kommt das extrem gelegen, denn bei den Basisversionen sind in diesem Segment die Margen schmal. So ist es höchst attraktiv, per Sonderausstattungen, und dazu zählen auch farbliche Individualisierungen, ein wenig dazuzuverdienen. Wer sich beim Konfigurieren nicht komplett durch die Farben ablenken lässt, wird ab und zu bemerken, dass durch eine farblich abgesetzte Spiegelschale hier, eine Dachvariante und eine Dekorfolie dort der Gesamtpreis für die getroffene Konfiguration sachte, aber stetig ansteigt. Es gibt noch einen weiteren Grund, weshalb die Hersteller speziell in diesem Segment auf Individualisierung setzen: In anderen Bereichen funktioniert die Methode nicht so recht. Opel rechnet damit, dass knapp 80 Prozent der AdamKunden Privatkäufer sein werden – ein Wert, der auch für andere Wagen dieser Klasse realistisch sein dürfte. Zum Vergleich: Insgesamt wurden in Deutschland 2012 weit über 60 Prozent aller Fahrzeuge gewerblich zugelassen. Bei üblichen Dienstwagen wie dem VW Passat oder dem Audi A6 liegt die Quote sogar deutlich über 80 Prozent. Erst ein hoher Privatkäuferanteil macht aber Individualisierungsprogramme und Wunschfarben interessant. Zwar zeichnen sich Privatkäufer nicht zwangsläufig durch Wagemut bei der Farbwahl aus. Umgekehrt ist es allerdings nach wie vor so, dass gewerblich zugelassene Fahrzeuge durch die Notwendigkeit einer guten Wiederverkäuflichkeit einem regelrechten Uniformitäts-Diktat unterliegen. Gefragt, weil entweder vom Arbeitgeber vorgeschrieben oder per Leasingrate begünstigt, ist das, was sich nach den üblichen drei Jahren Leasingvertrag-Laufzeit garantiert wieder verkauft. Das gilt für Motorisierung, Ausstattung – und natürlich für die Farbe. So kommt es, dass in der Mittel- und Oberklasse alles Mögliche zu finden ist – nur keine wirklich ausgefallenen Farben oder gar Farbkombinationen. Dass es auf deutschen Straßen also durch den Trend zur Individualisierung generell bunter zugehen wird, lässt sich schlecht sagen: Als Korrektiv gibt es schließlich den riesigen gewerblichen Bereich. Doch in der Klasse der feinen Kleinen dürfte der Trend zum individuellen Fahrzeug, zum massenhaften Unikat, noch eine ganze Weile anhalten. Michael Rehm beschäftigt sich als Chefredakteur der Fachzeitschrift „Lackiererblatt“ und Buchautor mit Themen rund um Autolack und Lackdesign.