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08/16
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11. Juli 2013 // HORIZONT 28/2013
Acht Seiten Kreation in HORIZONT /
Wroooooooooooooom.
Tankstellen-Talk: Die Designexperten Paolo Tumminelli und Lutz Fügener diskutieren über unsere automobile Zukunft.
zwei / 08/16 / Die Design-Seiten in HORIZONT
11. Juli 2013 / HORIZONT 28/2013
FOTO: ANTON WATTS / GALLERY STOCK / LAIF
in
halt
spekulativ
FOTO: MARA MONETTI / FESETTI FOTOGRAFIE FÜR HORIZONT
Debatte. Lutz Fügener und Paolo Tumminelli
diskutieren über unsere mobile Zukunft.
04
geländegängig
Souverän oder megapeinlich? Über das
Design des SUV wird heftig gestritten.
06
maßgeschneidert
Rustikal
Den einen gelten sie als Statussymbol, den anderen als Klimakiller: Beim Thema Sport Utility
Vehicle (SUV) hört der Spaß auf. Zoff ist programmiert. Im SUV sitze man sicher und bequem,
loben seine Verfechter, er sei ein idealer Zugwagen; cooler als ein Kombi, praktisch allemal. Alles
Angabe, monieren die Verächter, die Geländewagen verstopften zunehmend unsere Städte.
Gerade im urbanen Raum wirke sich die Invasion der Mehr-Schein-als-Sein-Vehikel katastrophal aus. Ihre Rechnung ist simpel: Ein Range Rover mit fünf Sitzplätzen beispielsweise ist knapp
fünf Meter lang und beinahe zwei Meter breit. Damit beansprucht er eine Grundfläche von
10 Quadratmetern des knappen städtischen Raums – was exakt der durchschnittlichen Größe
eines Kinderzimmers im geförderten Wohnungsbau entspricht.
Sind SUV-Fahrer also reine Egomanen? So einfach liegen die Dinge freilich nicht. „Die
Käufer“, weiß Designexperte Paolo Tumminelli, „sind fasziniert von einem Gefährt mit martialischem Outfit, weil er es ihnen ermöglicht, zumindest in Gedanken dem urbanen Alltag zu
entfliehen.“ Dass ihre Wagen in den meisten Fällen gar nicht querfeldeintauglich seien, tue ihrem
Erfolg keinen Abbruch. Viele Fahrer wollten sich ohnehin nicht abseits der Straße bewegen. „Es
ist eine Suggestion von ungebremster Freiheit, die der SUV-Faszination zugrunde liegt“, analysiert Tumminelli in dieser Ausgabe (S.5). „Bezeichnend ist ja, dass weder Landwirte noch
Förster das Gros der Käufer ausmachen, auch nicht Aristokraten und Exzentriker mit Haus in
London und Hof im Engadin.“ Die waren es einst, die treu ihren Range Rover kauften. Heute ist
es eine breit gefächerte Klientel. „Der SUV“, das sieht auch Tumminellis
Diskussionspartner, der renommierte Transportation Designer Lutz
Fügener, nicht anders, „ist ein schönes Beispiel dafür, wie ein Wagen, der
zunächst für ganz spezielle Märkte entwickelt wurde, alles überrollt.“
(S. 4) Erstaunlich dabei: Gerade in der Großstadt sind SUVs gefragt,
gerade hier wird der rustikale Lifestyle gefeiert, das rurale Idyll
beschworen. Landlust lautet die Devise.
FABIAN WURM
Mass Customization. Autobauer folgen
dem Magatrend Individualisierung.
08
im
print
08/16 //
Sechzehn Seiten Kreation in HORIZONT
Gesamtverantwortung: Markus Gotta
Chefredaktion: Volker Schütz (v.i.S.d.P.);
Anja Sturm (stv.)
Redaktion: Fabian Wurm
Pop-Designer Jeremy
Scott verleiht dem Smart
Flügel: „Ich wollte etwas
entwerfen, was meine Idee von
Mode auf Automobildesign
überträgt”, erläutert der US-Couturier, der gern die 80er Jahre
aufleben lässt. „Ich sehe meine
Freunde dieses Auto fahren, coole
Menschen in der ganzen Welt, die
das einzigartige Design dieses
Smart lieben.“ Seit April ist seine
Kreation lieferbar. Kein Scherz.
Autodesigner J Mays übt sich in Bescheidenheit. „Die Medien
haben uns zu Rockstars gemacht. Das sind wir nicht“, wiegelt der
Chefgestalter von Ford gekonnt ab. „Designer sind einfach Typen
mit Bleistiften.“ Und doch weit mehr. Das zeigen die Portraits von
neun der international einflussreichsten Autodesigner, die Journalist
Bart Lenaerts und Fotografin Lies de Mol, beide aus Antwerpen,
in ihrem Buch versammeln: Vorgestellt werden Walter de Silva
(VW-Konzern), Gorden Wagener (Mercedes-Benz), J Mays (FordKonzern), Lorenzo Ramaciotti (Fiat), Laurens van den Acker
(Renault), Ed Welburn (General Motors), Peter Schreyer (HyundaiKia), Jean-Pierre Ploué (PSA) und Adrian van Hooydonk (BMW
Group). Entstanden ist ein fein typographiertes Kompendium der
maßgeblichen Automobilkreateure. Der Buchtipp von 08/16.
Mitarbeit: Christoph M. Schwarzer,
Michael Rehm
Gestaltung: Andreas Liedtke
Fotos: Mara Monetti (S.1,2,4,5);
Anton Watts / Gallery Stock / Laif (S.2)
Verlagsleitung: Peter Gerich
Media Service: Timo Liebe
Verlag: Deutscher Fachverlag,
Mainzer Landstraße 251, 60326 Frankfurt
Geschäftsführung: Angela Wisken (Sprecherin),
Peter Esser, Markus Gotta, Peter Kley,
Holger Knapp, Sönke Reimers
Aufsichtsrat: Klaus Kottmeier,
Andreas Lorch, Catrin Lorch, Peter Ruß
Produktion: Printmedien-Services dfv
Druck: Dierichs Druck + Media
Diese Publikation wurde ermöglicht durch
das Engagement der Deutschen Post AG
vier / 08/16 / Die Design-Seiten in HORIZONT
11. Juli 2013 / HORIZONT 28/2013
„Mobilität
findet im
Kopf statt“
Paolo Tumminelli trifft Lutz Fügener: An der Autobahnraststätte
Taunusblick diskutieren die beiden Designprofessoren
über die Formensprache der SUVs, die allgegenwärtige
Retro-Welle und über unsere mobile Zukunft. INTERVIEW FABIAN WURM
Wenn Sie auf die Autobahn schauen,
was geht Ihnen durch den Kopf?
Paolo Tumminelli: Ich denke, dass zu vie-
Was nützt Ihnen das, wenn Sie im
Stau auf der Autobahn stecken?
Tumminelli: Dann schalten Sie in den
Bereits der Ur-Käfer war technisch
nicht ganz auf der Höhe der Zeit.
Tumminelli: Ja, die Briten haben nach
le Menschen ganz allein isoliert in ihrer
Kiste sitzen. Ob sie glücklich sind? Passt
der Mensch zum Auto?
Automatikmodus, drehen Ihren Sitz, lesen Zeitung oder arbeiten am Laptop.
Fügener: So eine erzwungene Entschleunigung würde dann nicht als Unglück
empfunden werden. Im Zusammenwirken mit intelligenten Verkehrsleitsystemen sollte mit autonom fahrenden Fahrzeugen aller Art in Ballungsräumen wieder eine recht genaue Prognose der Fahrtzeit möglich sein.
dem Krieg den Deutschen das VW-Werk
rasch wieder überlassen, weil sie den
Volkswagen für Schrott hielten. Dass der
spartanische Käfer ein internationaler Erfolg wurde, hing auch mit dessen Alleinstellung in den USA zusammen. Dort reüssierte der Käfer nach der Suez-Krise
Ende der 50er Jahre. Da waren Cadillacs
mit Heckflossen plötzlich weniger gefragt. „Think small“: Die VW-Kampagne
war schon clever.
Fügener: Einspruch. So schlecht war die
Technik des Käfers gar nicht. Sie war solide und einfach zu bedienen. Kein Wunder. Als Kübelwagen hatte der Käfer im
Krieg die längste und härteste Testphase
hinter sich, die denkbar ist. Nach dem
Krieg wusste man in Wolfsburg ganz genau, welche Teile funktionieren.
Haben Sie eine Antwort, Herr Fügener?
Lutz Fügener: Unsere Umwelt ist mit gro-
ßem Aufwand dem Auto angepasst worden. Nun aber gilt: Das Auto muss sich
anpassen – an ökologische Erfordernisse,
auch an digitale Technik.
An Design denken Sie nicht?
Fügener: Doch. Vieles, was hier vorbei-
rollt, ist aufgeblasen und schwülstig. Nehmen Sie die Geländewagen oder die vielen Autos im Retro-Style. Der Philosoph
Paul Virilio hat einmal von „rasendem
Stillstand“ gesprochen. Das charakterisiert die Situation ganz gut.
Meinen Sie, dass die Autobahnen
künftig noch voller sein werden?
Fügener: Bislang können wir uns auf der
Autobahn einigermaßen schnell bewegen. Ob Stop-and-go künftig die Regel
sein wird, halte ich nicht für ausgemacht.
Viele meiner Studenten beispielsweise
sind gar nicht mehr so aufs Auto fixiert.
Obwohl sie im Automotive-Bereich arbeiten, nutzen sie sehr intelligent unterschiedliche Verkehrsmittel. Für sie ist das
Auto kein Statussymbol mehr.
Tumminelli: Ich vermute eher, dass wir
mehr Autos haben werden, aber der
einzelne Wagen wird weit weniger Energie verbrauchen. Wir werden langsamer
fahren, kontrollierter. Firmen wie Microsoft und Google arbeiten derzeit an Systemen, die Autobahnen, Landstraßen und
Stadtverkehr so verwalten wie die Datenströme im Internet. Die kontrollierte
Fortbewegung bis hin zum selbstfahrenden Auto ist heute schon möglich – dank
Vernetzung.
Warum wird dann die Vernetzung
von Verkehrssystemen und Fahrzeugen nicht energischer vorangetrieben?
Fügener: Innovationen werden zunächst
in teuren Autos der Oberklasse ausprobiert. Deren Käufer aber kommen in der
Regel aus einer Generation, die mit moderner Kommunikationstechnik nicht so
vertraut ist oder sich damit kaum auseinandersetzen will. Einem 20-Jährigen
hingegen müssten Sie ein vernetztes Auto
kaum erklären. Aber der wird nicht gefragt. Folglich hält der Stillstand an.
Was macht Sie so pessimistisch?
Fügener: Ich bin nicht pessimistisch,
doch realistisch genug, um zu erkennen,
dass jede Änderung, die das Auto betrifft,
evolutionär sein wird. Unser Verkehrssystem verträgt keine Revolution. Für die
Industrie ist jede Zäsur mit enormem Risiko verbunden. Die Entwicklungsphasen
dauern Jahre, die Kosten sind gigantisch,
die Angst vor einem Flop sitzt tief.
Kommt hinzu: Käufer scheinen heute
Modelle zu bevorzugen, die alles andere
als futuristisch daherkommen.
Ist das der Grund, warum Automobildesigner mit ihren RetroEntwürfen die automobile Vergangenheit beschwören?
Tumminelli: Nein, das kann nicht der al-
leinige Grund sein. Designer mit zu viel
Benzin im Blut versuchen sich gern an
alten Mythen: Mini, Käfer und der Fiat
500 sind vor ihnen nicht sicher. RetroDesignelemente früherer Auto-Epochen
werden heute allenthalben zitiert. Mit geteiltem Erfolg. Die Chromverzierungen
auf der Motorhaube des neuen Fiat Panda
und die schwungvollen Kotflügel der EKlasse sind dafür ein Beispiel. Solche Elemente waren in den fünfziger Jahren beliebt. An einem zeitgenössischen Auto haben sie allerdings nichts zu suchen.
Ist der Retro-Style bloße Mode?
Tumminelli: Automobildesign lebt von
Moden, keine Frage.
Fügener: Eines kommt hinzu: Je älter wir
werden, desto mehr neigen wir dazu, die
Vergangenheit zu verklären. Nehmen wir
den Beetle: Der ist ja keineswegs die Reinkarnation des technischen Konzepts
des Ur-VW. Nein, die Form folgt hier
nicht der Technik: Ein Design für einen
Wagen mit Heckmotor wurde auf ein Auto gepfropft, das von einem Frontmotor
angetrieben wird. Absurd!
Sie meinen, Form und Inhalt fallen
auseinander?
Fügener: Das ist bei vielen Retro-Produk-
ten der Fall. Da sind wir dann ganz rasch
wieder beim Ornament, beim Kitsch, bei
der Blumenvase im Käfer beispielsweise –
und landen beim Zitat des Zitats.
Warum ist der Käfer heute überhaupt noch ein Thema?
Fügener: Er hat die halbe Nation motori-
siert. Er steht für den Erfolg der deutschen Automobilindustrie. Deshalb existieren nach wie vor positive Emotionen.
Liegt das nicht auch an seinem knuffigen Design?
Fügener: Sicher. Was man dem Käfer auf
keinen Fall absprechen kann, ist die unglaublich prägnante, stets erkennbare
Form. Die aerodynamische Anmutung
steht zwar im Widerspruch zu seinem
mäßigen cw-Wert. Doch der Käfer hat
eine ikonische Form. Vollkommen eigenständig.
So wie der Mini – auch eine Designikone.
Fügener: Ja, und der Ur-Mini ist weit
mehr: ein revolutionärer Kleinwagen, der
bezeichnenderweise gänzlich von einem
Konstrukteur entworfen wurde. Der
Quereinbau des Frontmotors – das war
die geniale Idee von Alec Issigonis. Dadurch konnte er ein so enorm kurzes Auto realisieren. Unglaublich.
Tumminelli: Der BMW Mini allerdings
hat mit Issigonis’ Konzept nichts mehr zu
tun: 80 Prozent Platz für Menschen, 20
Prozent für Technik – heute ist das Verhältnis beinahe umgekehrt. Interessant
ist, dass der Ur-Mini und der Fiat
Cinquecento, diese Superkompaktfahrzeuge, anfangs nicht wirklich angenommen wurden.
Haben Sie eine Erklärung dafür?
Tumminelli: Der Mini war zu komplex,
zu innovativ für die breite Masse. Innovation braucht Zeit, um sich allgemein
durchzusetzen. Auch der Audi A2, das
erste Voll-Alu-Kompaktfahrzeug mit aerodynamischer Form, wurde leider viel
zu schnell zurückgenommen, obwohl
seine Gestalter Peter Schreyer und Gerd
Pfefferle für ihren Entwurf 2002 mit
dem Designpreis der Bundesrepublik
Deutschland ausgezeichnet wurden.
Fügener: Ja, der A2 hätte sich nach der
Benzinkrise in den USA sicher prima verkaufen lassen – der passte absolut in jene
Zeit. Aber da wurde er bereits nicht mehr
produziert. Schade! Heute zahlen Sie auf
dem Gebrauchtwagenmarkt enorm viel
Geld für einen A2 – kein Wunder. Ein
tolles Auto. Ein Indiz dafür ist die Tatsache, dass man nie einen A2 in schlechtem
Zustand sieht. Wer einen hat, passt auf.
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FOTOS: MARA MONETTI / FESETTI FOTOGRAFIE FÜR HORIZONT
Tankstellen-Talk: Paolo Tumminelli und Lutz Fügener (v.l.)
Tumminelli: Häufig haben Kleinwagen in
kein Markenkonzept gepasst. Der erste
Twingo beispielsweise war ein Gewaltakt
für Renault. Der Entwurf von Patrick Le
Quément hätte das Zeug gehabt, die Ente
zu beerben. Man hätte den Twingo – so
wie Mini – zur Marke machen können.
Eine verpasste Chance. Das größte Risiko
sei es, kein Risiko einzugehen, hat Le
Quément einmal gesagt. Für die Autoindustrie scheint das nicht zu gelten.
Fügener: Das letzte radikal neue Konzept
war der Smart – lang ist’s her.
Große Erwartungen soll der kleine
Adam erfüllen: Kann er Opel retten?
Tumminelli: Das wäre ein bisschen viel
verlangt. Noch sehe ich den Adam eher
beim Händler als auf der Straße. Vielleicht überlegen die Leute noch, welche
der rund 61000 angebotenen Kombinationen sie bestellen wollen.
Fügener: Mir ist der Adam sympathisch.
Opel macht deutlich: Ein Auto, das Spaß
macht, muss keineswegs groß sein. Die
Italiener haben das schon früh begriffen:
Da gab es den Lancia Y. Und es zeigte sich,
dass ein Kleinstauto durchaus repräsentativ sein kann.
Zu Zeiten der Abwrackprämie erlebten Kleinwagen einen wahren
Boom. Dann ließ das Interesse nach.
Das einzige Segment, das unabhängig von Krisen wächst, ist das der
Geländewagen, der SUVs. Warum?
Tumminelli: Erstaunlich, in der Tat.
Denn obwohl das Auto nicht länger alleiniges Statussymbol ist, versucht man es
– im Wortsinn – zu überhöhen. Hier
noch ein breiterer Reifen, dort eine kürzere Rückleuchte und überall Chromleisten. Doch irgendwann ist die Grenze definitiv erreicht. Die Formen des Automobils sind explodiert. Wir erleben die Deformation des Autokörpers. Es entsteht
eine Karosserie, die der Fassade einer Ba-
rockkirche gleicht: unten breit, oben filigran. Es gibt keine Vernunft mehr.
Fügener: Exakt, die übertriebene Komplexität der Formen tut keinem Auto gut.
VW-Chefdesigner Walter de’Silva sagt:
„Ich liebe es, wenn ein Auto mit nur zwei
Linien gezeichnet werden kann.“ Wunderbar! Allerdings frage ich mich, wo diese zwei Linien bei seinem Lamborghini
Egoista zu finden sind. Da sehe ich ein
Liniengewirr. Sicher – ein reines Showcar.
Aber was ist die Nachricht an den
Lamborghini-Kunden? Man will sich
einfach abheben. Dieser Wunsch treibt
mitunter bizarre Blüten.
Erklärt dieser Trend auch den immensen Erfolg der SUVs?
Fügener: Ja. Was soll zum Beispiel ein
Porsche Cayenne, der getunt über 300
Stundenkilometer schnell ist. Die volle
Kraft, die in einem SUV steckt, nutzt
kaum jemand. Es gibt ohnehin wunderbare Sportwagen, die das besser können.
Aber eines ist schon interessant und auch
bemerkenswert: Wir sind technisch in der
Lage, mit einem Zweieinhalb-TonnenAuto über 300 Stundenkilometer zu fahren. Der SUV ist ein schönes Beispiel dafür, wie ein Wagen, der zunächst für ganz
spezielle Märkte entwickelt wurde, irgendwann alles überrollt.
Welche Märkte meinen Sie?
Fügener: Die Ost-Märkte und die Märkte
in Mittel-Ost und Fernost. Als sich die
Grenzen öffneten, wurden Autos verlangt, die repräsentativ sind, groß, wehrhaft, verchromt. Gefragt war Old School
Chic. In die Moskauer Realität passte der
SUV optimal: Die Straßen waren
schlecht, man musste sich verteidigen.
Warum aber haben die SUVs hierzulande diesen immensen Erfolg?
Tummenielli: Wir wollen Kontrolle über
alles haben. Für alles brauchen wir eine
Versicherung. Der SUV könnte eine Versicherung dafür sein, dass wir im Fall der
Fälle ungehindert wegfahren können.
Fügener: Vielen gefällt es, weit über Straßenniveau zu sitzen. Das suggeriert absolute Unangreifbarkeit. Besonders Frauen fühlen sich und ihre Kinder geschützt.
Das haben bereits die Verkäufe des SUVVorläufers, des Jeeps Grand Cherokee, in
den 90er Jahren gezeigt: Er wurde mehr
als erwartet von Frauen gekauft. Als dann
die ersten SUVs auf den östlichen Märkten gewaltig reüssierten, war natürlich
das Bestreben der Hersteller, sie überall zu
verkaufen. Dann wurde die Marketingmaschine angeworfen.
Kann die Marketingmaschine denn
so ohne Weiteres Autos verkaufen?
Tumminelli: Heute können Kunden viele
Details einfach nicht mehr richtig würdigen, daher meinen viele, alle Autos sähen
gleich aus. Den meisten fehlt die Erfahrung und die Kompetenz, um die Gesamtqualität eines Automobildesigns zu
bewerten. Davon profitiert das Marketing
gewaltig.
Fügener: Die Kosten für Marketing eines
einzelnen Autos betragen das Acht- bis
Zehnfache der Designkosten. Viel Geld.
Management, Marktforschung und Marketing sind immer mehr involviert.
Werden Marketingexperten zu Mitdesignern?
Fügener: Das ist längst der Fall. Ich halte
das für eine äußerst fragwürdige Entwicklung. Denn aus verständlichen
Gründen versucht man, das neue Produkt aus dem alten abzuleiten. Das erlaubt jedoch nie einen kühnen Sprung.
Nach dem Käfer hat man versucht, diesem Ansatz folgend durch Evolution zum
neuen Produkt zu gelangen. Erst Mut und
Verzweiflung haben dann den Sprung
zum Golf ermöglicht. Keine Kundenbefragung hätte zu diesem Ergebnis geführt.
Wer kann die notwendigen Veränderungen vorantreiben?
Fügener: Um beim Beispiel Golf zu blei-
ben: Veränderungen kann es geben, wenn
in einem Unternehmen ein zielstrebiger
Ingenieur oder ein kenntnisreicher Patriarch das Sagen haben. Heute nehmen
aber auch Politiker massiv Einfluss – mit
ihrer Gesetzgebung. Die Legislative ist
nicht zu unterschätzen, einerlei ob auf
deutscher oder europäischer Ebene.
Welchen Einfluss haben die Käufer?
Fügener: Mit der Kraft ihres Geldes und
über ihr Votum bei politischen Wahlen –
also nur mittelbar.
Tumminelli: Trotzdem sagen die Akteure:
Es wird gemacht, was der Käufer will. So
wird uns immer wieder versichert, es gäbe keinen Markt für Elektroautos. Es
kommt aber darauf an, wie man fragt und
agiert. Wenn man keine Alternativen auf
die Straße bringt, dann bestätigt sich immer nur das bereits Bekannte.
Von den Retro-Moden einmal abgesehen: Welchen Trends folgt das Automobildesign gegenwärtig?
Fügener: Ich beobachte zwei gegenläufige
Trends: einerseits Downsizing, andererseits Gigantismus. Deutschland ist ein
Flächenland mit Autobahnen, auf denen
man sich – immer noch – schnell bewegen kann. Das erzeugt das Bedürfnis nach
großen Automobilen. In den Städten dagegen werden sie immer unpraktischer.
Tumminelli: Ja, mit großen Wagen kann
man sich dort kaum fortbewegen. Folglich sind Alternativen gesucht.
Fügener: Das Elektromobil hätte Potential, wenn da nicht eine Sperre im Kopf
wäre: die Angst, nach 150 Kilometern ohne Saft dazustehen. Völlig irrational. Solche Touren sind statistisch die Ausnahme.
Das zeigt: Mobilität findet zuvorderst im
Kopf statt. Es ist an der Zeit, vollkommen
neue Bilder für das Auto zu finden.
Designexperten
Dass Pforzheim weltweit zu einer
der ersten Adressen für angehende
Autodesigner zählt, ist nicht zuletzt
sein Verdienst: Lutz Fügener, 46,
lehrt in der Schmuckstadt seit
13 Jahren Transportation Design.
Zudem betreibt der vielgefragte
Professor, der studierter Maschinenbauer und diplomierter Designer ist, das Studio FT in Berlin.
Auch Paolo Tumminelli, 48,
weiß Theorie und Praxis zu verbinden. Der studierte Architekt arbeitete als Designer im „Centro Stile“ von
Alfa Romeo, war Marketingleiter
von Rosenthal und gründete 2002
Goodbrands, ein Unternehmen für
strategische Marken- und Designberatung mit Sitz in Düsseldorf. An
der Kölner KISD lehrt Tumminelli als
Professor für Design-Konzepte.
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VW Taigun soll ab 2016 die
SUV-Familie von VW bereichern: Nachdem der Wolfsburger Konzern angekündigt
hat, sein Angebot oberhalb des
Tiguan auszubauen, steht nun
offenbar auch unterhalb des
Kompakt-Modells Nachwuchs
ins Haus. Geplant ist ein MiniSUV. Der kleine Bruder des
Tiguan soll – so wird vermutet –
Taigun heißen und für rund
15000 Euro angeboten werden.
Mit einer Länge von rund
3,86 Metern soll er deutlich
kürzer als Konkurrenten wie
Opel Mokka, Mini Countryman
oder Peugeot 2008 sein. Vorbild des Neuen ist die Studie
Taigun Concept, die Ende 2012
auf der Messe in São Paulo
vorgestellt wurde.
Landlust
Sie gelten als sicher und geländetauglich. Oder sind sie einfach nur großspurig und peinlich?
Über das Design der Sport Utility Vehicles (SUVs) wird heftig gestritten. VON CHRISTOPH M. SCHWARZER
Willys MB von 1940 gilt als
Urahn aller SUVs. Das geländegängige Fahrzeug war eine
Entwicklung von Willys-Overland Motors in Elisabeth für die
US-amerikanischen Streitkräfte. Die Willys-Story hat viele
Kapitel: Als ziviles Nutzfahrzeug
wurde der Jeep CJ-2A in der
Nachkriegszeit angeboten: ein
Willys MB ohne militärtypische
Details, wie die Tarnleuchten,
dafür mit einer Hecktür.
Mit dem Concept Car Willys 2,
das 2001 auf der Autoshow
in Detroit vorgestellt wurde,
wollte der Chrysler-Konzern
die Tradition wiederbeleben.
Der Porsche Cayenne am Klosterstern
in Hamburg ist blind. Diebe haben die
Frontscheinwerfer ausgebaut. Geblieben
sind leere Höhlen, stumme Zeugen der
rasant wachsenden Beliebtheit der SUVs:
Will ich auch haben! Ein Stück SUV, eine
Trophäe zumindest. Außenspiegel, Alufelgen, selbst ganze Sitzbänke sind vor
Räubern nicht mehr sicher.
Große Vehikel mit Geländeoptik finden mehr und mehr Fans, das Segment
boomt. SUV – für viele sind die drei
Buchstaben eine Chiffre für automobile
Freiheit. Genau genommen aber stehen
sie für „Sport Utility Vehicle“, was „sportliches Nutzfahrzeug“ bedeutet. Eine
Übersetzung ist kaum nötig, das Kürzel
hat sich etabliert.
Gegner freilich folgen einer anderen
Lesart: „Super Unnötiges Vehikel“
unken sie. Dem Erfolg der keineswegs immer geländegängigen
Wagen können sie nichts
anhaben. So, wie das
Smartphone das Mobiltelefon mit Tasten abgelöst hat,
könnte das SUV zur neuen
Norm des Autos werden,
davon zeigen sich Designer
und Verkehrsexperten überzeugt. Das
Center Automotive Research (CAR) der
Universität Duisburg-Essen unter Leitung von Professor Ferdinand Dudenhöffer hat die Zulassungszahlen analysiert.
Bestellten 2002 lediglich 4 Prozent aller
Autokäufer einen SUV (was 128836 Autos entspricht), waren es 2012 mit 15,9
Prozent (491119) bereits fast viermal so
viele. Seit der Jahrtausendwende wächst
der Marktanteil jährlich um stolze 15 Prozent. Würde das Wachstum ungebremst
anhalten, wären 2020 die Hälfte aller
Neuwagen SUVs. Die Prognosen des
CAR sind zurückhaltend: Für 2015 werden 22 Prozent und für 2020 ein Marktanteil von 33 Prozent erwartet.
„Der Trend ist nicht umkehrbar“, da
ist sich Ferdinand Dudenhöffer sicher. Zu
viel spreche für die großspurige Karosse:
Ein Wagen, der Sicherheit, Bequemlichkeit und Sportlichkeit zugleich ausstrahle, sagt der vielgefragte Experte, komme
gut an. Zudem zeige sich sein Design so
vielfältig, dass sich eine trennscharfe Abgrenzung zu anderen Fahrzeugklassen
nicht ziehen lässt. Was also macht einen
SUV aus? Lutz Fügener, Professor für
Transportation Design an der Hochschu-
le Pforzheim, stellt festgefügte Definitionen infrage. Das Design der SUVs, erläutert er, habe sich historisch aus zwei Linien entwickelt. Der eine Ursprung sind
die echten Geländewagen, die wiederum
auf Militärfahrzeuge wie den Jeep Willys
und den Mercedes G zurückgehen, der
noch heute von der Bundeswehr genutzt
wird. Die Off-Road-Fähigkeit spiegele
sich im Design wider: Die Autos liegen
hoch, die Räder sind groß, die Karosserieüberhänge kurz. Die Grundform ist von
einem Kasten abgeleitet.
Den Wechsel zum luxuriösen SUV
vollzog der Range Rover, der 1970 vorgestellt wurde. Weil Queen Elizabeth II.
gern selbst am Volant drehte, war der
Range plötzlich geadelt. Er bleibt der Urvater der edlen Full-Size-SUVs vom
Schlag eines BMW X5 oder Mercedes GL.
Plakative und einstmals provozierende
Autos, deren Zulassungszahlen aber insgesamt nicht ins Gewicht fallen.
Für die breite Masse der GegenwartsSUVs scheint die zweite historische Wurzel relevanter. Kleintransporter und
Nutzfahrzeuge wie Pick-ups stehen am
Beginn der Entwicklung. Es gibt ein Auto,
das mit Design und Konzept der Zeit er-
staunlich weit voraus war: der TalbotMatra Rancho, der 1977 auf den Markt
kam. „Er nimmt vorweg, was die Kompakt-SUVs heute ausmacht.“
In der Tat: Wie viele neue SUVs verzichtete der Talbot Rancho auf den
schweren, teuren und verbrauchstreibenden Allradantrieb. Seine Motorentechnik
stammte aus dem Standardregal von
Simca. Er glich mehr einem mild höhergelegten Kastenwagen. Um optisch den
Charme von Verwegenheit und Abenteuer zu transportieren, zierten den Talbot
Rancho eine schwarze umlaufende Plastikbordüre sowie Schutzelemente an den
Kotflügeln. Zusätzliche Frontscheinwerfer und eine massive Dachreling kamen
hinzu; die Farbpalette mit Wüstenbeige
und Waldgrün rundete das Bild ab. Fertig. Das Erfolgsrezept war erfunden.
Es ist, als sei der Talbot Rancho in Gestalt des Škoda Yeti wiedererschienen.
Der Škoda verkörpert all das, was die Zulassungszahlen nach oben schnellen lässt.
Eben das, was mittlerweile viele Kunden
attraktiv finden: „Es lässt sich nicht leugnen, dass diese Autos einen hohen praktischen Nutzwert haben“, erklärt Fügener
ein wichtiges Kaufmotiv. Mindestens ge-
08/16 / Die Design-Seiten in HORIZONT
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/ sieben
Mercedes GL Klasse
wird seit 2012 in der zweiten
Generation angeboten. In
der Länge misst das luxuriöse
Fullsize Sport Utility Vehicle
mit Offroad-Eignung mehr
als 5, in der Breite mehr als
2 Meter. Die SUV-typische
hohe Bordkante wird mit
einem Chromzierstab, die
dynamische Linienführung
mit der Chromeinfassung
der Fensterflächen deutlich
unterstrichen. Serienmäßig
steht der Mercedes GL auf
18-Zoll-Leichtmetallrädern
im 10-Speichen-Design,
optional sind Räder bis
53,3 Zentimetern lieferbar.
Porsche Cayenne ist –
folgt man der Einschätzung des
Herstellers – „der Sportwagen
unter den SUVs“. Dicker Auftritt,
großer Erfolg: Seit 2002 mischt
der schwäbische Autobauer
mit seinem wuchtigen Allrader
das Segment der Sport Utility
Vehicles auf. Der Cayenne ist
der erste Fünftürer der Marke
und der erste Porsche, für
den es ab Werk eine Anhängerkupplung gibt. Mit dem großspurigen Vehikel gelang es der
Zuffenhausener Edelmarke,
ihren Kundenkreis erheblich zu
erweitern. Nach beinahe elf
Jahren kommt der Cayenne
auf circa 450000 Verkäufe.
nauso relevant ist die erhöhte Sitzposition, die zu einer besseren Übersicht führt
und den Einstieg erleichtert. Das ist bequem für Ältere. Der Eindruck von Sicherheit und Solidität paart sich mit
Pragmatismus.
Während der Yeti aber noch mit Allradantrieb zu haben ist, gibt es den Peugeot 2008 ausschließlich mit Frontantrieb. Seine Technik hat er vom Kleinwagen 208 geerbt, ist aber 20 Zentimeter
länger und 10 Zentimeter höher. So machen die Autohersteller Stückzahl: Von
den obersten Fahrzeugklassen angefangen, wandert das SUV immer weiter runter in die übrigen Segmente.
Die nächste Stufe dieser Entwicklung
wird VW mit der Serienversion des Taigun nehmen. Der Name ist kein Schreibfehler des auf dem Golf basierenden Tiguan, sondern ein Mini-SUV auf Basis
des Stadtautos Up. Volkswagen hatte 2012
auf der São Paulo Motorshow in Brasilien
eine Studie vorgestellt, um die Reaktionen zu testen. Obwohl es keine offizielle
Bestätigung aus Wolfsburg gibt, gilt als
sicher, dass der Taigun in die Verkaufsräume kommt. Mit Dreizylindermotor
und weit ausgestellten Kotflügeln.
Panzerartig und respekteinflößend?
SUVs haben einen Imagewechsel vollzogen, sie sind Alltag geworden. Dennoch
wird erbittert gestritten. Gerd Lottsiepen,
verkehrspolitischer Sprecher beim ökologisch
orientierten
Verkehrsclub
Deutschland (VCD), weist auf die Risiken
des Phänomens hin: „Das Sicherheitsgefühl in diesen Autos kann zu einer leichtsinnigeren Fahrweise führen.“ Kritisch
bewertet er das Unfallrisiko für andere:
„Der Aufprallpunkt bei Fußgängern ist
höher, was zu schwereren Verletzungen
führt. Und wenn ein Auto mit hohem
Gewicht gegen ein leichtes prallt, zieht
Letzteres den Kürzeren.“
Anders als der ADAC versteht sich der
VCD nicht als Automobilclub, sondern
als Anwalt aller Verkehrsteilnehmer, also
auch der Radfahrer und Fußgänger vom
Kind bis zum alten Menschen. Folglich
setzt sich Lottsiepen auch für jene ein,
denen die SUVs Angst machen. „Mannshohe Autos“, sagt er, „flößen Respekt
ein.“ Letzteres aber macht offenbar auch
ihren Reiz aus. Wiebke Brauer, Redakteurin beim Magazin „Auto, Motor und
Sport“, bringt es in einem Selbstversuch
auf den Punkt: „Verkehrsteilnehmer wei-
chen vor der schieren Masse des Wagens
aus, mein zweiter Name lautet Gelassenheit. Das schafft kein Kleinwagen.“ Wohl
wahr. Auto-Experte Paolo Tumminelli,
Direktor am Goodbrands Institute und
Professor an der International School of
Design in Köln, beschreibt das Phänomen
aus der Perspektive eines Golf-Fahrers:
Wer aus dessen Seitenfenster ein SUV auf
der Nebenspur betrachtet, sehe nur die
Tür. „SUV-Fahrer neigen dazu, riskanter
zu fahren, weil sie das Gefühl haben, in
einem Gefährt zu sitzen, das sicherer ist
als eine Blechbüchse.“
Für Tumminelli sind SUVs aber nicht
einfach ein Zeitgeistphänomen. Nachdem bereits in den neunziger Jahren das
aufsteigende urbane Bürgertum das
Sport Utility Vehicle entdeckt habe, sei
inzwischen die breite Masse von dem Wagen im Geländelook fasziniert.
„SUVs sind die neue Norm des Autos“, sagt Tumminelli. Es handele sich
hier um das neue Automobil, das uns
bald genauso selbstverständlich erscheinen werde wie ein Smartphone. Weg von
den flachen, breiten und schnittigen Formen der Nachkriegszeit, hinauf nach
oben – ein Paradigmenwechsel. „Am
Dachverlauf sehen Sie alles, was wir bisher kannten“, erklärt er, „Coupés, Kombis und perspektivisch sogar Sportwagen.“ So entstünden rustikale Autos wie
der Chevrolet Traxx, der auf dem Opel
Mokka basiert.
Ein Fan dieser Autos ist Paolo Tumminelli mitnichten. „SUVs sind Fahrzeuge
des Eskapismus“, gab er 2012 der „Zeit“
zu Protokoll, „ein Designverbrechen!“ Im
Gespräch mit HORIZONT gibt er sich moderater: „Die Botschaft ist: Ich sehe dich
von oben nach unten. Ich kontrolliere
dich.“ Es gehe darum, die eigene Präsenz
zu stärken und Macht zu demonstrieren.
Wer dagegen ein herkömmliches Auto
fahre wie einen Golf, der getrost als goldener Schnitt bezeichnet werden darf, weil
er die Mitte markiert und die meisten
Bedürfnisse optimal erfüllt, der sei „nicht
mehr en vogue“.
Vogue, der französische Begriff für
Mode oder Beliebtheit, inspirierte Range
Rover zum Namen des Kompakt-SUV
Evoque. Exemplarisch zeigt er einen weiteren Nachteil: Die Fensterflächen sind
im Vergleich zur Karosserie sehr klein.
„Die Menschen tun sich keinen Gefallen
mit Autos, die einmauern“, so Tummi-
nelli, denn zu viel Schutz wie in einer
Burg bedeute immer auch einen deutlichen Verlust an Freiheit.
Dem Verkaufserfolg zum Trotz könnte
der SUV-Boom die Autohersteller in eine
ökologische und finanzielle Bredouille
bringen. Denn die Europäische Union
hat gesetzliche Verbrauchsvorschriften
erlassen. Der Durchschnitt aller tatsächlich verkauften Autos darf eine bestimmte
Höhe nicht überschreiten, sonst drohen
saftige Strafzahlungen.
Obwohl moderne SUVs in den kleineren Klassen keine Allradtechnik und konventionelle Motoren haben, behalten sie
einen Verbrauchsmalus, der prinzipbedingt ist: Aufgrund der größeren Stirnfläche ist ihr Luftwiderstand hoch, was
den Treibstoffkonsum „um mindestens
25 Prozent gegenüber konventionellen
Fahrzeugen“ erhöht, weiß Professor Ferdinand Dudenhöffer vom CAR. „An einer Technik- und Designoffensive führt
darum kein Weg vorbei.“
Christoph M. Schwarzer ist freier Journalist in
Hamburg und berichtet über alles, was sich bewegen
lässt, unter anderem für „Die Zeit“ und Spiegel Online.
acht / 08/16 / Die Design-Seiten in HORIZONT
11. Juli 2013 / HORIZONT 28/2013
Unikate,
massenweise
Der Megatrend Individualisierung hat auch die Autohersteller erfasst.
Die Farbe spielt dabei eine wichtige Rolle. VON MICHAEL REHM
Welche Farbe hat eigentlich eine Fahrradkette? Stahlgrau, würden wohl die
meisten sagen, beim Gedanken an das eigene Rad vielleicht auch schmierigschwarz oder rostrot – womit man bis vor
einiger Zeit die farbliche Bandbreite einer
Fahrradkette ziemlich umfassend beschrieben hätte.
Hätte, hätte, Fahrradkette ... Wer sich
heute im Internet bei Anbietern wie
Urbike oder Myownbike ein hippes Singlespeed-Bike konfiguriert, hat die Wahl
zwischen sieben Farben – allein für die
Kette. Bereits das Kettenblatt gibt es in 18
Farben, ebenso Rahmen, Lenker und Vorbau; selbst bei den Reifen sind zwölf Farbtöne in der Auswahl – für jeden einzelnen,
wohlgemerkt, man will ja vorn nicht unbedingt dieselbe Farbe wie hinten haben.
So ergeben sich unzählige Kombinationsmöglichkeiten, je nach individuellem
Geschmack der Käufer. „Du bist Dein
Fahrrad“, lautet folgerichtig der Slogan,
mit dem die Firma Urbike ihre Kunden zu
Individualisten und ihre Produkte zu
Unikaten macht. Dabei sind – abgesehen
von der Farbe – die Fahrräder weitgehend
standardisiert: Drei Rahmenhöhen, ein
paar Sattel-Varianten, zwei Lenkerformen, eine Gangschaltung. Aber wen stört
das schon bei diesem Farbfeuerwerk?
„Mass customization“ nennt man das im
Fachjargon. Ob „massenhafte Individualisierung“ oder „individualisierte Massenproduktion“; einerlei wie man den Begriff übersetzt, er bleibt widersprüchlich,
denn natürlich schließen sich Massenproduktion und individuelle Anpassung an
Kundenwünsche im Grunde aus – es sei
denn, man findet einen Weg, größtmögliche Unterscheidbarkeit mit geringstmöglichem Aufwand zu erzeugen. Farbe ist da
ein perfektes Mittel. Das Internet ist Motor und Voraussetzung für solch eine massenhafte Individualisierung von Produkten. Der Kunde formt sich mit ein paar
Klicks nach einem Baukastensystem sein
Wunschprodukt und lässt sich seine persönliche Kreation nach Hause liefern.
Unternehmen wie Mymuesli, Allmyteas oder Chocri haben es erfolgreich vorgemacht und lassen ihre Kunden am
Computer ihre eigenen Müslis, Teemischungen oder Schokoladen kreieren. Bei
NikeiD oder Miadidas kann man zum Gestalter seines eigenen Schuhwerks werden.
Und die Automobilbranche? Die fährt
ganz vorn mit, wenn es ums Individualisieren geht. Jüngstes Beispiel: Der Opel
Adam. „Der Lifestyle-Flitzer bietet mit
seinen fast unzähligen Kombinationsmöglichkeiten außen und innen mehr Potenzial zur Individualisierung als jedes andere Auto in seinem Segment“, freute sich
Opel Design-Chef Mark Adams bei der
Einführung des Wagens im Herbst letzten
Jahres. „Ziemlich unwahrscheinlich“ sei
es daher, „dass man zwei identische Exemplare zu Gesicht bekommt.“ Technisch
sind alle Möglichkeiten zur kundenspezifischen Individualisierung beim Auto
längst vorhanden, schließlich ist das Konfigurieren des künftigen Fahrzeugs am
Computer mittlerweile beinahe ein fester
Bestandteil des Autokaufs.
Wer einmal den Konfigurator des Opel
Adam angeworfen hat, muss Mark Adams
schnell Recht geben. Mit den Motorenund Getriebevarianten ist man zwar zügig
durch, doch wenn es an die Farben geht,
fängt der Spaß erst richtig an. Ein Mausklick, und das Wägelchen in „Guacamole
White“ erhält „Okapi-braune“ Außen-
spiegel. Dazu noch eine Grillspange in
„Mojito Green“, das könnte doch ganz gut
aussehen. Dekore im „Chic-Design“ auf
die B-Säulen – fertig. Oder doch nicht?
Einen Klick weiter finden sich, um das
Bild abzurunden, kontrastfarbene Zierclips für Felgen; ein komplett neues, eigens für den Opel Adam entwickeltes Gestaltungsmittel. Sehr bald stellt sich so der
Eindruck ein: Das ist kein Auto-Konfigurator, das ist eine Gestaltungssoftware!
Opels Adam ist beileibe nicht das einzige
Fahrzeug, bei dem die Hersteller auf Individualisierung durch Farbe setzen. Ein
Vorreiter in dieser Hinsicht war der
Smart. Ganz zu Beginn wurde der Wagen
noch getreu dem Motto „reduced to the
max“ mit eher begrenztem Farbtonspektrum angeboten. Heute kann sich, wer
möchte, einen „Tailor made“-Smart zusammenstellen, der, wie der Hersteller
verspricht, „bis ins letzte Detail individuell“ ist – unter anderem, weil im Konfiguratur für beinahe jede Außen- und
Innenfläche ein eigener Farbton – dem
Wunsch folgend – vergeben werden kann.
Auch Mini und Fiat 500 haben gezeigt,
wie man mit einem riesigen Farbtonspektrum, unzähligen Kombinationsmöglichkeiten, ausgefallenen Interieurs und zahlreichen Dekorelementen – sogar der gute
alte Rallyestreifen ist wieder zu Ehren gekommen – den Appetit der Kunden auf
Individualität und eine gewisse Extravaganz wecken kann. Beim Fiat 500 der „Fuoriserie“ will Haus-Tuner Abarth den Ideen sogar noch freieren Lauf lassen. Kunden können das Karosseriestyling komplett nach ihren Vorlagen vornehmen lassen. Das gewünschte Design wird dann –
egal, ob das die Farbe des Lieblingskleids
oder die Zeichnung des Juniors betrifft –
von Hand bei Abarth in Turin aufgebracht
und lackiert – ein ebenso individuelles wie
exklusives Vergnügen.
Es ist kein Zufall, dass all diese Fahrzeuge ganz ähnlichen Fahrzeugsegmenten angehören, denen der modischen
oder luxusorientierten Kleinwagen. Es
handelt sich dabei um einen echten
Wachstumsmarkt. So steigerte sich der
Absatz bei den modischen Kleinwagen
mit rund 3,70 Meter Länge seit 2000 in
Europa um rund 30 Prozent, bei den
„luxusorientierten“ Kleinen bis 4 Meter
Länge sogar um mehr als 110 Prozent.
Gemeinsam haben die feinen Kleinen,
dass sie sich nicht primär über den Preis,
sondern über Lifestyle und Emotion verkaufen. Wer sich ein solches Fahrzeug zulegt, hat meist noch ein paar Scheine übrig
für Ausstattung oder Individualisierung.
Den Herstellern kommt das extrem gelegen, denn bei den Basisversionen sind in
diesem Segment die Margen schmal.
So ist es höchst attraktiv, per Sonderausstattungen, und dazu zählen auch
farbliche Individualisierungen, ein wenig
dazuzuverdienen. Wer sich beim Konfigurieren nicht komplett durch die Farben
ablenken lässt, wird ab und zu bemerken,
dass durch eine farblich abgesetzte Spiegelschale hier, eine Dachvariante und eine
Dekorfolie dort der Gesamtpreis für die
getroffene Konfiguration sachte, aber stetig ansteigt. Es gibt noch einen weiteren
Grund, weshalb die Hersteller speziell in
diesem Segment auf Individualisierung
setzen: In anderen Bereichen funktioniert
die Methode nicht so recht. Opel rechnet
damit, dass knapp 80 Prozent der AdamKunden Privatkäufer sein werden – ein
Wert, der auch für andere Wagen dieser
Klasse realistisch sein dürfte. Zum Vergleich: Insgesamt wurden in Deutschland
2012 weit über 60 Prozent aller Fahrzeuge
gewerblich zugelassen. Bei üblichen
Dienstwagen wie dem VW Passat oder
dem Audi A6 liegt die Quote sogar deutlich über 80 Prozent.
Erst ein hoher Privatkäuferanteil
macht aber Individualisierungsprogramme und Wunschfarben interessant. Zwar
zeichnen sich Privatkäufer nicht zwangsläufig durch Wagemut bei der Farbwahl
aus. Umgekehrt ist es allerdings nach wie
vor so, dass gewerblich zugelassene Fahrzeuge durch die Notwendigkeit einer guten Wiederverkäuflichkeit einem regelrechten Uniformitäts-Diktat unterliegen.
Gefragt, weil entweder vom Arbeitgeber
vorgeschrieben oder per Leasingrate begünstigt, ist das, was sich nach den üblichen drei Jahren Leasingvertrag-Laufzeit
garantiert wieder verkauft. Das gilt für
Motorisierung, Ausstattung – und natürlich für die Farbe. So kommt es, dass in der
Mittel- und Oberklasse alles Mögliche
zu finden ist – nur keine wirklich ausgefallenen Farben oder gar Farbkombinationen. Dass es auf deutschen Straßen
also durch den Trend zur Individualisierung generell bunter zugehen wird, lässt
sich schlecht sagen: Als Korrektiv gibt
es schließlich den riesigen gewerblichen
Bereich. Doch in der Klasse der feinen
Kleinen dürfte der Trend zum individuellen Fahrzeug, zum massenhaften Unikat,
noch eine ganze Weile anhalten.
Michael Rehm beschäftigt sich als Chefredakteur der
Fachzeitschrift „Lackiererblatt“ und Buchautor mit
Themen rund um Autolack und Lackdesign.

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