Arbeitsanregungen zu Mimik
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Arbeitsanregungen zu Mimik
Charakterköpfe, mimische und physiognomische Studien Leonardo da Vinci, Rembrandt van Rijn. William Hogarth und Franz Xaver Messerschmidt Die Kunst der Renaissance ist gekennzeichnet durch die Hinwendung der Künstler zur Wirklichkeit. Dazu gehört das genaue zeichnerische Studium des menschlichen Körpers sowie das Interesse für Mimik und Physiognomie, das Bestreben, die individuelle Mimik eines Menschen möglichst naturgetreu wiederzugeben und die Wesenszüge eines Menschen nach seinem Äußeren zu interpretieren. Eines der bekanntesten frühen Beispiele für diese Entwicklung ist Leonardo da Vincis Zeichnung „Fünf groteske Köpfe“ aus dem Jahr 1488 (Abbildung 1). Grotesk bedeutet übersteigert, verzerrt, absonderlich und fantastisch wirkend. Wen Leonardo (1452-1519), der seine Modelle in allen gesellschaftlichen Bereichen und Gruppen suchte, mit diesen fünf Köpfen dargestellt hat, wissen wir heute nicht. Die von ihm gestalteten Gesichter spiegeln ganz unterschiedliche emotionale Reaktionen wieder, wirken derb-komisch und teilweise närrisch. Leonardo ist es gelungen, die Mimik (die sichtbaren Bewegungen der Gesichtsoberfläche), genau und differenziert zu erfassen. Mund, Auge, Augenbrauen und Nase sind die beweglichsten Teile des Gesichts. Mimik beruht z. B. auf der Kontraktion der Muskulatur dieser Gesichtsteile, wodurch unbewusst und bewusst Gefühle ausgedrückt werden. Die Unterlippe nach vorne schieben, die Gesichtszüge versteinern lassen, die Stirn runzeln, die Nase rümpfen – all das sind mimische Zeichen in der zwischenmenschlichen, nonverbalen Kommunikation. In der Folge der Renaissance waren mimische und später physiognomische Studien von Künstlern ein wichtiger Teil ihrer Arbeit. Dabei wurde der Künstler zunehmend sein eigenes Studienobjekt in Form von Selbstbildnissen. Rembrandt van Rijn (1606-1669) hat insgesamt 85 Selbstbildnisse in Form von Zeichnungen, Druckgrafiken (Abbildung 2 und 3) und Gemälden hinterlassen. Seit seinem 24 Lebensjahr fertigte der berühmte holländische Maler eine Serie kleinformatiger Selbstporträts als Radierungen an, die ihn mit unterschiedlichsten Gesichtsausdrücken und in verschiedenen Kostümen zeigen. Lange Zeit galten diese Radierungen als eine persönliche Form der Selbsterforschung, als Auseinandersetzung mit der eigenen Individualität, als persönliche Seelenbildnisse in einem bestimmten Moment. Tatsächlich gaben diese virtuos radierten Studien aber einige Rätsel auf, denn den Begriff „Selbstporträt“ gab es zu Rembrandts Lebzeiten noch gar nicht. Er wird erst seit dem späten 18. Jahrhundert gebraucht. Als junger, aufstrebender Maler wollte Rembrandt vor allem mit der damals am meisten bewunderten Gemäldegattung Berühmtheit erlangen, dem Historienbild. Das erforderte nicht nur, innerhalb der Bilder Geschichten darzustellen, sondern die handelnden Figuren in möglichst realistischen Gefühlszuständen zu zeigen, die der Szene auch entsprachen. Von Rembrandts Schüler Samuel van Hoogstraeten (1627-1678), der ein Buch über die Kunst der Malerei verfasst hat, wissen wir, dass die damaligen Künstler die Emotionen der Figuren in Historienbildern an sich selbst studierten. Hoogstraeten empfahl den Künstlern: „So muss man sich selbst ganz und gar in einen Schauspieler umbilden... vor einem Spiegel, um zugleich Darsteller und Zuschauer zu sein.“ Solche Studien von Gemütszuständen dienten dann als Skizzen und als Vorlageblätter für Historiengemälde. Bei der Variation von Grimassen, wie sie Rembrandt in seinen kleinen Radierungen schuf, ging es nicht um die spezifische Physiognomie, das äußere Erscheinungsbild des betreffenden Malers, sondern um die Möglichkeit, eine bestimmte Verformung des Gesichts unter dem Einfluss einer gespielten Emotion zu studieren. Rembrandt interessierte sich in seinen Radierungen für den Ausdruck des Erstaunens, des Grübelns und Nachdenkens, des Lachens und Entsetzens. Innerhalb der damaligen Lehre über die Affekte, die Gefühlsreaktionen von Menschen, die heute als Vorgeschichte der Psychologie gilt, ging man davon aus, dass sich in der Mimik des Gesichts die momentane seelische Befindlichkeit widerspiegelt. Durch die Darstellung von möglichst realistischen Emotionen sollte die Malerei bei den Betrachtern also Gefühle auslösen, sollte sie emotional so bewegen, als wären sie selbst an der Bildhandlung beteiligt. Dieses Auslösen von Mitgefühl praktizierte man damals auch im Theater, heute kennen wir es vom Film oder aus der Werbung. In seinen Radierungen versuchte Rembrandt jedoch nicht nur, echte Gefühle festzuhalten, sondern untersuchte auch die angemessenen Darstellungsmittel, vor allem eine bewusst eingesetzte Licht-Schatten-Modulation, mit der die Emotionen gesteigert werden konnten. Der englische Künstler William Hogarth (1697 – 1764) gilt mit seinen sozialkritischen und satirischen Grafiken, die die Sitten und Gebräuche seiner Zeit schonungslos und mit beißender Ironie darstellen, als einer der Vorläufer der modernen ein Angebot des SCHROEDEL-Verlages Karikatur, die ihren Ursprung in England des 18. Jahrhundert und dann in Frankreich um Mitte des19. Jahrhunderts hatte. Der Begriff Karikatur leitet sich vom italienischen caricare ab, was überladen, übertreiben bedeutet. Die Karikatur lebt u. A. von der Übertreibung und Verzerrung mimischer Merkmale des Dargestellten. In der Regel werden Kopfform, Augen, Nase, Mund, Kinn und Ohren verzerrt, um eine Person der Öffentlichkeit - Politiker, Schauspieler u. A. - der Lächerlichkeit preiszugeben und sie zur Zielscheibe von Kritik, Spott und Ironie zu machen. Hogarth vereinte in einem seiner Kupferstiche mit dem Titel „Charakter und Karikatur“ (Abbildung 4) zahlreiche Porträts als Studienblatt, dem auch die Funktion eines „Musterblattes“ zukommt. Kein anderer Bildhauer hat es so vermocht, menschliche Gefühle und Leidenschaften in Porträtplastiken, die uns wie realistische Momentaufnahmen erscheinen, darzustellen wie Franz Xaver Messerschmidt (1736-1783). Messerschmidt machte zunächst eine glänzende Karriere als Bildhauer am österreichischen Hof in Wien unter Kaiserin Maria Theresia, bevor sich sein Werdegang um 1770 jäh veränderte. Intrigen von Bildhauerkollegen, ausbleibende Aufträge, eine Erkrankung waren Gründe für ihn, Wien zu verlassen und sich in der Nähe von Pressburg (Tschechien) niederzulassen. Seit dieser Zeit ist er für die Kunstgeschichte eine eher rätselhafte Figur, die von Zeitgenossen als „außerordentliches Genie“, aber auch als „Narr“ eingestuft wurde. Ab 1770 schuf er seine berühmten „Charakterköpfe“ (Abbildungen 5 und 6), die er selbst nur als „Köpfe“ oder „Kopf-Stücke“ bezeichnete. Sie tragen Titel wie „Innerlich verschlossener Gram“, „Künstler, so wie er sich lachend vorstellt“, „Ein Erzbösewicht“, „Der Melancholiker“, „Der Gähner“, „Ein mit Verstopfung Behafteter“, „Ein kraftvoller Mann“ u. A. Messerschmidt lebte in der Epoche der Aufklärung. Seine schreienden, lachenden, starrenden, verschlossenen, Grimassen schneidenden, exzentrischen Köpfe sind den Idealen der Aufklärung verpflichtet. Das wahre Wesen des Menschen, losgelöst von allen gesellschaftlichen Konventionen steht im Mittelpunkt von Wissenschaften wie Medizin und Philosophie. Künstlern wie Franz Xaver Messerschmidt, der auch an wissenschaftlichen Studien interessiert war, gelingt es, durch die Mimik emotionale Regungen und seelische Bewegungen in Porträtbüsten darzustellen: „Messerschmidts Charakterköpfe sind damit Instrumente der Erkenntnis und lassen sich als Kunstwerke im modernen Sinne verstehen“, heißt es in einem Ausstellungskatalog. Die aktuelle Kunstkritik nennt sie „gnadenlos realistisch“, „lebensprall“ und „hochexpressiv“. Anregungen: Informiert euch über die Bedeutung der menschlichen Mimik im Kontext der nonverbalen Kommunikation im Internet unter http://www.payer.de/kommkulturen/kultur041.htm Wodurch unterscheiden sich die Zeichnungen und Grafiken von Leonardo, Rembrandt und Hogarth (Abbildungen 1-3) in Hinblick auf die künstlerische Absicht? Warum werden die „Charakterköpfe“ von Franz Xaver Messerschmidt als „modern“ bezeichnet? Im Internet findet Ihr in Bildersuchmaschinen, etwa von Google, unter dem Stichwort „Franz Xaver Messerschmidt“ weitere Beispiele der „Charakterköpfe“ des Künstlers. Druckt ein Beispiel, das Euch besonders interessant erscheint, aus und analysiert es. Recherchiert eines der berühmten Historienbilder Rembrandts, „Die Nachtwache“, im Internet und analysiert den mimischen Ausdruck der dargestellten Figuren. Sammelt Beispiele aus Werbeanzeigen, bei denen die Mimik der dargestellten Personen darauf angelegt, Emotionen im Betrachter wachzurufen. Beschreibt und analysiert diese Emotionen und die damit verbundene Absicht. Sammelt Beispiele von Karikaturen zeitgenössischer Politiker und vergleicht ihre Porträts in der Karikatur mit fotografischen Abbildungen. Fotografiert und porträtiert euch gegenseitig in Situationen, in denen ihr euer Gesicht bewusst verzerrt und dabei unterschiedlich beleuchtet. Wählt Fotografien als Grundlage zeichnerischer Studien oder für Kleinplastiken (Ton) zum Thema „Selbstporträt“ aus. ein Angebot des SCHROEDEL-Verlages Abbildungen 1. Leonardo da Vinci Fünf groteske Köpfe, um 1488 Feder und Tinte 26 x 21 cm Windsor Castle Royal Library/akg-images, Berlin 2. Rembrandt van Rijn - Selbstporträt mit lockigem Haar, 1630, Radierung, 56 x 49 mm - Selbstporträt mit lockigem Haar, 1631, Radierung, 63 x 66 mm - Selbstporträt mit Mütze, 1630, Radierung, 62 x 52 cm - Selbstporträt mit Mütze, 1634, Radierung, 49 x 44 mm - Selbstporträt mit Mütze, 1642, Radierung, 93 x 62 mm 3. Rembrandt van Rijn Selbstbildnis mit offenem Mund, um 1629 Feder mit brauner Tusche und Pinsel in Grau auf Papier 127 x 95 mm British Museum London/akg-images, Berlin/Erich Lessing 4. William Hogarth Charaktere und Karikaturen, 1743 Radierung 158 x 178 cm British Museum London/Bridgeman Art Library 5. Franz Xaver Messerschmidt Ein düsterer, finsterer Mann, nach 1770 Blei-Zinn-Legierung Höhe 43,5 cm 6. Mathias Rudolph Thoma Messerschmidts Charakterköpfe aus: Der Adler, Wien 1839 ein Angebot des SCHROEDEL-Verlages