Später Glanz

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Später Glanz
3|2016
Manierismus · Readymade · Thomas Struth · Der Fall Gurlitt · Rose Wylie · Jochen Zeitz · Mary Mattingly · Meilensteine: Hans Memling
D A S K U N S T M A G A Z I N // M Ä R Z 2 0 1 6
Später Glanz
Das letzte Kapitel der Renaissance: »Maniera« in Frankfurt Die beste Idee der Kunstgeschichte
S T R U T H : Die Politik der Bilder
DAS READYMADE:
THOMAS
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CYRUS KABIRU:
MACHO NNE 12
(VIETNAMESE
MASK) 2015
Jochen Zeitz in
seinem Flugzeug,
das einst Karen
Blixens Liebhaber
gehörte
Skulptur auf Zeitz’
Landsitz in Kenia
WALTER OLTMANN:
SUIT I, 2012
Ein
Plan für
Afrika
Er führte das Sportswear-Unternehmen Puma zum
Erfolg. Jetzt will Topmanager Jochen Zeitz mit
Kunst die Welt verändern. Im Rekordtempo sammelt
er Werke zeitgenössischer afrikanischer Künstler
und baut das Zeitz MOCAA in Kapstadt – das größte
Museum seiner Art in Afrika. Eine Begegnung
TEXT: CAMILLA PÉUS
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I
ch hatte eine Farm in Afrika … So wie
die dänische Baronin Karen Blixen
1937 ihren Roman Out of Africa beginnt, die Vorlage für das gleichnamige Hollywood-Epos, könnte auch Jochen Zeitz einmal seine Memoiren
starten. Denn auch der frühere Vorstandschef des Sportkonzerns Puma besitzt Land in
Kenia – 20 000 Hektar. Selbst der Doppeldecker des Blixen-Liebhabers Denys Finch Hatton steht bereit. Der Hobbypilot Zeitz braucht
nur den Propeller der »Gypsy Moth« von
1929 anzukurbeln, die er für rund 200 000
Euro ersteigert hat, und schon kann er sein
Segera Retreat auf dem Laikipia-Plateau in
Gänze sehen. Doch in die Autobiografie des
52-jährigen Mannheimers gehört noch sein
bisher größtes Projekt auf afrikanischem Boden: In Kapstadt entsteht das ZEITZ MOCAA,
die neue Heimat für seine gigantische Sammlung zeitgenössischer Kunst aus Afrika und
der Diaspora.
Weil die über 1000 Exponate Platz brauchen, höhlt der renommierte Londoner Architekt Thomas Heatherwick ein historisches Getreidesilo an der Touristenmeile V&A Waterfront zum spektakulären Ausstellungshaus
aus – mit 6000 Quadratmeter Fläche auf neun
Etagen und Skulpturengarten auf dem Dach.
Zeitz leiht dem Museum seine Sammlung auf
Dauer, finanziert das »ziemlich hohe« Ankaufsbudget und die laufenden Kosten. Einmal pro Woche soll es freien Eintritt geben.
In den vergangenen acht Jahren hat Jochen Zeitz für sein Museum im großen Stil
eingekauft. Das darf man so formulieren.
Denn er habe von Anfang an nicht um des
Sammelns willen gesammelt, sondern um
anderen die Kunst zugänglich zu machen, erklärt er letzten Herbst bei einem Stopover auf
Zeitz kauft für
sein Museum im
großen Stil ein:
über 1000 Werke
afrikanischer
Künstler in acht
Jahren
der CONTEMPORARY AFRICAN ART FAIR in
London. »Den Anschub gab meine Faszination für den afrikanischen Kontinent«, sagt
Zeitz, der 1989 erstmals nach Kenia reiste.
»Die hat mich dort auch zu beruflichen Engagements inspiriert.« Im Rahmen von Pumas
Creative African Network, einer Plattform,
die Afrikas Kreative förderte, entwarfen 2011
namhafte Künstler wie der Kameruner Barthélémy Toguo Trikots für afrikanische Fußballnationalteams. »Ich war immer der Meinung, dass Afrika weltweit unterrepräsentiert ist«, sagt Zeitz, der im Londoner Kunsttrubel mit Strickpulli und unordentlichem
Haar eher wie ein Aussteiger wirkt, der sich
im Busch wohler fühlt als zwischen Anzugträgern. »Als ich anfing zu sammeln, gab es
auf den großen Messen kaum junge Künstler
aus Afrika. Ich wollte, dass die Kreativität dieses Kontinents gesehen wird.«
Sein Ziel verfolgt er in zackigem Tempo –
genau wie bei Puma, wo er mit 30 der jüngste
Vorstandsvorsitzende eines börsennotierten
deutschen Unternehmens wird: Gemeinsam
mit dem Kapstädter Mark Coetzee, früherer
Kurator der RUBELL FAMILY COLLECTION in
Miami und zukünftiger Direktor des MOCAA,
verblüffte er die Kunstwelt, als er 2013 auf der
VENEDIG-BIENNALE 85 Arbeiten erwarb: zahlreiche Fotografien der Südafrikanerin Zanele
Muholi, drei Skulpturen von Michele Mathison aus Simbabwe und die gesamte Fotoserie
von Edson Chagas aus dem Pavillon des Venedig-Debütanten Angola. »Wir reisen gemeinsam, ich sehe etwas, Mark sieht etwas, wir
mailen uns Fotos, telefonieren kurz und entscheiden innerhalb von Minuten«, so Zeitz.
»Dabei kaufen wir selten direkt vom Künstler,
meist über Galerien und Messen und dann
oft gleich mehrere Werke eines Autors, um
repräsentativ zu sein.«
Zu seinen frühen Erwerbungen gehören
Fotoarbeiten aus der True North-Serie von
Isaac Julien, britischer Filmemacher mit kari-
bischen Wurzeln, sowie die Kuhfell-Installationen von Nandipha Mntambo aus Swaziland, von der er heute 70 Werke besitzt. Etablierte Künstler der Diaspora wie Chris Ofili
und Wangechi Mutu zählen ebenso zu seiner
Auswahl wie die heroischen Porträts schwarzer Gettokids von Kehinde Wiley, die Gummiskulpturen von Nicholas Hlobo und die Installationen des Afroamerikaners Rashid
Johnson. Neuere Ankäufe sind Textilkollagen
und Videos des Performers Athi-Patra Ruga,
die kuriosen Brillengebilde des Kenianers
Cyrus Kabiru und Fotoserien von Leonce
Raphael Agbodjélou aus Benin. Und für
den Skulpturengarten sind neun Glasbodenskulpturen bei dem Togolesen El Loko bestellt. Auf der von Okwui Enwezor kuratierten VENEDIG-BIENNALE 2015 hat er »ausnahmsweise« nichts gekauft. Sein Sammeltempo lasse aber keinesfalls nach, betont er
und erzählt, dass er im Februar schnell mal
zur CAPE TOWN ART FAIR fliegt.
Obwohl Umfang und Namensliste der
Sammlung beeindrucken – geht man ins Detail, bleibt Jochen Zeitz seltsam reserviert:
Welches Werk er als erstes gekauft hat? Wie
groß die Sammlung ist? Kopfschütteln. Da
müsse er in seine Datenbank schauen, in die
er noch nie geschaut hätte. Anekdoten über
Atelierbesuche, Künstlerbegegnungen, die
Begeisterung über eine Neuentdeckung –
kaum etwas ist ihm zu entlocken. Umso erfrischender ist es, wenn er dann doch erzählt.
Etwa vom Transport eines Bronzethrons von
Kudzanai Chiurai aus Simbabwe: »Bei sintflutartigem Regen blieb der Truck mit der
kostbaren Ladung auf dem Weg nach Segera
im Schlamm stecken. 20 Mann zogen ihn
raus, doch die Lehne des Stuhls war verbogen.
Er musste eingeschmolzen und in Südafrika
Blick auf die Baustelle
des Zeitz MOCAA in
Kapstadt, das 
eröffnet werden soll
Zu den Werken, die in
dem Museum gezeigt
werden sollen, gehört
auch die Textilcollage
von Athi-Patra Ruga
(UZUKO, 2013) und die
Skulptur aus Hacken
zur Feldarbeit von
Michele Mathison
(IKHUBA, 2013)
Die fliegende Drachenskulptur von Nicolas
Hlobo kaufte Zeitz auf
der Venedig-Biennale
LIMPUNDULU ZONKE
ZIYANDILANDELA, 2011
Konsumkritik auf
Afrikanisch: Gemälde
des Künstlers Kudzanai
Chiurai aus Simbabwe
STATE OF AFFAIR, 2009
Skulptur aus Kuhfell
von Nandipha Mntambo,
Jochen Zeitz besitzt 
Werke der Künstlerin
aus Swasiland
VELA SIKUBHEKILE, 2011
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79
»Afrika braucht
ein großes
Museum«, sagt
Zeitz. Und das
will er in Kapstadt
bauen
Teure Kunst im
Pferdestall: Werke
von Marlene Dumas
und Penny Siopis
in Zeitz’ Segera
Retreat in Kenia
»Ideale Location«:
Jochen Zeitz vor
der Baustelle
seines Museums
in Kapstadt
Bronze von
Nandipha Mntambo
im Garten des
Segera Retreat
SENGIFIKILE, 2009
Der Bronzethron
von Kudzanai
Chiurai blieb bei
der Anlieferung im
Schlamm stecken
STATE OF THE
NATION, 2011
Segera Retreat
von oben mit Land
Art von Strijdom
van der Merwe
MIGRATION, 2012
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neu gegossen werden.« Normalerweise aber
spricht Jochen Zeitz im Marketing-Jargon,
immer darauf bedacht, bloß nicht emotional
zu wirken: »Das Spannende ist die Vielfalt.
Afrika ist keine homogene Struktur. Zwischen
Kunst und Kultur aus Tunesien, Nigeria und
Kenia liegen Welten. Man versucht, das Kulturschaffen in eine Klammer zu setzen, die es
nicht gibt.« Seine Kunstkäufe sieht er als philanthropischen Akt. Natürlich könnte Zeitz
mit seinem Vermögen auch lokale Institute
und Kunsthochschulen fördern, gibt es doch
in der 3,5-Millionenstadt Nairobi kaum überregional bekannte Galerien für Gegenwartskunst, geschweige denn ein Museum.
»Afrika braucht ein großes Museum mit
Ausstrahlungseffekt«, kontert er auf derartige
Einwände. »Südafrika als Einsteiger-Reiseland des Kontinents und Cape Town als Gateway von und nach Afrika bietet dafür die
ideale Location.« Dabei gibt es auch in anderen Ländern beachtenswerte Projekte, die jedoch kaum bekannt sind: Da ist in Benin das
MUSÉE DE LA FONDATION ZINSOU des gleichnamigen Premierministers sowie das 2014
eröffnete MUSÉE MOHAMMED VI D’ART MODERNE ET CONTEMPORAIN in Rabat, Marokko.
In Luanda, Angola, sitzt die über 5000 Werke
umfassende Stiftung des kongolesischen Geschäftsmanns Sindika Dokolo, der begonnen
hat, Kunst der Kolonialzeit auf Auktionen für
deren Ursprungsländer zurückzukaufen. Die
Kuratorin Koyo Kouoh leistet mit der RAW
MATERIAL COMPANY in Dakar, Senegal, Pionierarbeit, ebenso wie das CENTRE FOR CONTEMPORARY ART, LAGOS, Nigeria. Während
Museumspläne des Johannesburger Investmentbankers Gorden Schachat auf Eis liegen,
suchen andere Superreiche Orte für ihre
Kunstschätze: der tunesische Kapitalgeber
Kamel Lazaar, der ägyptische Telekom-Magnat Naguib Sawiris und der Sohn des früheren nigerianischen Öl-Tycoons und Verteidigungsministers Theo Danjuma.
E
in Denkmal in Afrika, sagt Jochen
Zeitz, wolle er sich nicht setzen. Und
doch gibt es Gegenwind: So bemängelt der Kunstkritiker Matthew Blackman in einem offenen Brief auf der Plattform
»artthrob«, das Ankaufsentscheidungen nur
von zwei Personen getroffen werden, statt
von Komitees. Er kritisierte Schenkungen
von Zeitz an die IZIKO SOUTH AFRICAN NATIONAL GALLERY, deren Budget kaum für eigene
Akquisitionen ausreiche. Zeitz nutze die Situation aus, um seine Künstler in zwei wichtigen
Institutionen zu platzieren und so ihren Wert
zu steigern. Zudem schüre das MOCAA gerade
in Südafrika Ressentiments, da es mit der
Sammlung eines weißen Europäers bestückt,
von einem weißen Briten gebaut und von
einem weißen Südafrikaner kuratiert sei.
Dennoch: Durch Zeitz’ Initiative bleibt
bedeutende afrikanische Kunst in Afrika und
kann dort gesehen werden, statt ins Ausland
abzuwandern. »Ich mache gerne Dinge, von
denen ich hoffe, dass sie einen kleinen positiven Einfluss haben«, sagt Zeitz – und untertreibt maßlos. Denn während er in den Aufsichtsräten von Harley Davidson, dem PinaultKonglomerat Kering und Wilderness Safaris
sitzt, entwickelt er mit dem Milliardär Richard Branson völlig neue Geschäftsmodelle,
bei denen nicht nur Profite, sondern auch die
Menschen und der Planet eine zentrale Rolle
spielen. Ähnlich soll seine »4c-Philosophie«
funktionieren: Mit »conversation, community,
culture, commerce« will er den harten Kapitalismus durch Kulturinitiativen sozialer und
umweltfreundlicher machen. »Ökologische
Nachhaltigkeit liegt mir sehr am Herzen«,
sagt Jochen Zeitz, der auf seinem Land Zäune
niederriss, die übergraste Savanne in einen
fruchtbaren Garten Eden verwandelte und
nun auf sozialen Netzwerken Fotos von Löwenfamilien und Buschbabys postet.
Das Segera Retreat, wo er rund drei Monate im Jahr verbringt, ist sein »ostafrikanischer Satellit« des MOCAA. Nahe der Startbahn wirkt die Land-Art-Auftragsarbeit von
Strijdom van der Merwe aus Felsen mit eingefrästen Stahlwörtern wie ein Leitsystem für
Außerirdische. Walter Oltmanns pieksiger
Metallriese ragt über das Steppengras. In den
Pferdeboxen der früheren Rinderfarm aus
den vierziger Jahren hängt Wertvolles von
Marlene Dumas, Julie Mehretu und Jane
Alexander. Als erste Artists in Residence lud
Zeitz den Kenianer Peterson Kamwathi ein,
bekannt für großflächige Kohlezeichnungen,
sowie anschließend Michele Mathison, der
Skulpturen aus Alltagsobjekten baut.
Und dann, man muss fast zweimal hinsehen, lächelt Jochen Zeitz, als er verrät, was über
seinem Bett hängt: »Da hängt eine Arbeit meines Freundes Peter Beard, den ich in New York
kennengelernt habe«, sagt er und lässt plötzlich seine Begeisterung für die Sache spüren.
Würde er mehr davon offenbaren, würde er
sich weniger angreifbar machen. So wirkt sein
Sammeln wie eine Aufgabe, die es bis zur Eröffnung des MOCAA im Februar 2017 zu erfüllen
gilt. Vielleicht ist diese nach Zeitz-Zeitrechnung aber auch schon zum Greifen nah, sodass er sich bereits anderen Kunstrichtungen
widmet. In Santa Fe, New Mexico, eröffnete er
jüngst die »Rancho Alegre«, eine Luxusherberge, auf deren Gebäude er eine neue Sammlung verteilt hat: Totems, Friedenspfeifen und
andere Artefakte der Native American Art. //
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