Die Erinnerung an die Maueropfer wach halten

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Die Erinnerung an die Maueropfer wach halten
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N D E S TA G S A B G E O R D N E T E N
Die Erinnerung an die Maueropfer wach halten
von Arnold Vaatz MdB
S
eit Jahren tobt der Streit um eine angemessene Gedenkstätte für die Opfer,
die an der innerdeutschen Grenze verstarben. Eine nüchterne Bauzaun-Galerie am
legendären Checkpoint Charlie soll es nun
zum 45-Jahrestag der Berliner Mauer sein.
Diese „Bildergalerie zur Mauergeschichte“
sei emotionslos, provisorisch und streckenweise langweilig, kritisieren ehemalige Betroffene. Sie empfinden diese Bretterschau
als Hohn. Die Grausamkeit der Teilung mit
all ihrem menschlichen Leid würde nicht
deutlich und die Verantwortung der SEDDiktatur für das Grenzregime verniedlicht.
Im vergangenen Jahr standen an gleicher
Stelle noch 1065 schwarze Holzkreuze, die
an die Maueropfer erinnerten, aber wieder
abgebaut werden mussten.
Warum fällt es den Verantwortlichen in
Berlin, die in Geschichts- und Kunstfragen
als kompetent gelten wollen, so schwer, den
Mauertoten würdig zu gedenken? Liegt es
daran, dass wir als Deutsche immer noch
erhebliche Probleme mit dem Gedenken
an die eigenen Opfer des 20. Jahrhunderts
haben? Oder daran, dass der Berliner Wissenschaftssenator von der PDS lieber alte
Stasioffiziere als Zeitzeugen agieren lässt
als sich mit den Opfern der DDR-Diktatur zu
beschäftigen? Vielleicht liegt es aber auch
daran, dass es mehr als anderthalb Jahrzehnte nach Mauerfall und Einheit immer
noch keine genauen Zahlen über die Toten
an dieser absurden Grenze gibt.
Je nachdem, welche Definition des Begriffs
„Republikflucht mit Todesfolge“ gewählt
wird, gehen die Zahlen weit auseinander.
So rechnet die AG „13. August“ nicht nur
Maueropfer sondern auch etwa 200 DDRGrenzsoldaten, die durch Selbstmord und
Schusswaffenunfälle im Grenzdienst starben, unbekannte Wasserleichen im Grenzbereich der Spree, der Elbe und der Ostsee
sowie DDR-Bürger, die an außerdeutschen
Grenzen ums Leben kamen mit ein und
nennt 1 135 Todesopfer. Die zentrale Ermittlungsgruppe für Regierungs- und
Vereinigungskriminalität kommt auf 421
Todesopfer, ohne diejenigen mit einzubeziehen, die während der Flucht durch Unfälle
verstarben, etwa abstürzten, ertranken oder
erstickten. Die Berliner Staatsanwaltschaft
recherchierte mindestens 270 Todesopfer,
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die an der Berliner Mauer durch Schusswaffen oder Minen getötet wurden. Über
71 000 kamen aufgrund von Fluchtversuchen ins Gefängnis.
ihrer Flucht verhaftet und dafür lange Gefängnisstrafen verbüßten. Die Statistik der
DDR-Generalstaatsanwaltschaft listet ca.
110 000 Verfahren wegen Republikflucht
Dem gegenüber stehen bisher 125 wissenschaftlich dokumentierte Todesopfer an der
Berliner Mauer. Über 80 Fälle müssen noch
geprüft werden. Unter diesen Opfern waren
acht Frauen und 80 % der Toten waren jünger als 30 Jahre. 70 DDR-Bürger wurden direkt beim Fluchtversuch gezielt erschossen,
21 verunglückten tödlich. 14 Menschen aus
dem Westen wurden an der Mauer erschossen, fünf verunglückten. Darunter waren
auch Fluchthelfer und zwei Menschen,
die versehentlich mit einem Boot auf dem
Teltow-Kanal auf DDR-Gebiet gerieten. Vier
DDR-Bürger wurden versehentlich erschossen, ein Bundesbürger starb bei Kontrollen.
Auch die Frage nach dem ersten und dem
letzten Berliner Maueropfer scheint geklärt. Viele kennen Chris Gueffroy, der am
‚
5. Februar 89 an der Berliner Mauer durch
Grenzsoldaten der NVA erschossen wurde.
Wohl kaum jemand aber Winfried Freuden‚
berg, der vier Wochen später am 8. März 89
mit einem selbst gebastelten Ballon über
Westberlin als wohl letztes Maueropfer zu
Tode stürzte.
auf. Auch die Zwangsausgesiedelten, die
aufgrund der innerdeutschen Grenzziehung
ihrer Heimat beraubt wurden, sollten nicht
in Vergessenheit geraten. Wenn die Mauer
in diesem Monat ihren 45-jährigen Jahrestag hat, sollte nicht das Bauwerk, sondern
die Opfer im Mittelpunkt stehen. Das bleibt
leider auch 17 Jahre nach dem Sturz der
Berliner Mauer eine Notwendigkeit. Im
Dezember wollen ehemalige DDR-Grenzsoldaten den 60. Jahrestag der Grenztruppen
der DDR feierlich begehen. Nach ihrer Logik
hätten all jene, die wegen ihres Wunsches
nach Freiheit und Demokratie ihr Leben
verloren doch gewusst, dass das Eindringen
in den Grenzbereich illegal war. Illegal aber
waren Gesetze, die unter Aufhebung der
Demokratie entstanden sind.
Das wichtigste an solch einem Jahrestag
bleibt jedoch das stete Gedenken an die
Opfer, die von Berlin nach Berlin wollten
und dafür mit ihrem Leben oder ihrer Gesundheit bezahlen mussten. Das Gedenken
an jene, die bereits bei der Vorbereitung
Die Opfer der SED-Diktatur brauchen deshalb die Gewissheit, dass die CDU sich für
sie einsetzt. Ganz gleich, ob es sich dabei
um die Forderung einer verbesserten Aufarbeitung im Geschichtsunterreicht sowie
einer besseren Rente durch Einführung der
SED-Opferpension handelt. Wir als Union
sind dazu verpflichtet, dem Geschichtsrevisionismus der Linken entschieden entgegen
zu treten.
Die DRESDNER UNION · September 2006