20160228_Colombia_Interview mit Juanes

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20160228_Colombia_Interview mit Juanes
Zermatt Unplugged
sonntagszeitung.ch | 28. Februar 2016
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«Ich bin richtig aufgeregt. Zermatt ist
eine grossartige Herausforderung»
Der Weltstar Juanes über die Liebe zur Schweiz und seine Heimat Kolumbien
«Es ist immer
wieder schwer,
einen neuen Song
zu schreiben.»
Musiker Juanes
Foto: Paul Natkin
Helge von Giese
Song «A Dios le pido» und dem
Album «Un dia normal».
Wann haben Sie das letzte Mal
ein so intimes Set gespielt, wie
es jetzt am Zermatt Unplugged
ansteht?
Ich bin dankbar, wenn ich an das
Schweizer Publikum denke, denn
sie akzeptieren meine spanische
Musik. Als ich das erste Mal in der
Schweiz auftrat, konnte ich nicht
glauben, dass die Leute meine
Musik mögen – wegen der Sprache, weil es ja nicht ihre Landessprache ist. Aber die Menschen
sind überaus freundlich. Das Land
ist wunderschön, und deshalb geniesse ich es jedes Mal sehr, in die
Schweiz zu fahren. Immer!
Das ist jetzt drei Jahre her, als ich
das Livealbum «Juanes MTV Unplugged» veröffentlichte und ein
solches Set gespielt habe. Aber ich
liebe diese Art zu performen. Es
ist sehr intim und zeigt einen Song
so, wie er ist, in seiner Essenz. Das
geniesse ich richtig.
Was war der Grund für diese
Unplugged-Produktion?
Ich hatte bis dahin schon fünf Studioalben veröffentlicht. Ein Livealbum, das gab mit die Möglichkeit, mit neuen, grossartigen Musikern zusammenzuarbeiten.
Die Zuhörer werden in Zermatt
ein Revival dieser Aufnahme
erleben. Diesmal spielen Sie
allerdings nicht in einer
Konzerthalle wie in Miami,
sondern im Schweizer Hochgebirge auf 1620 Metern über
Meer. Wie bereiten Sie sich auf
diese Performance vor?
Wir werden in den nächsten Wochen sehr viele Proben haben. Ich
bin richtig aufgeregt, denn ich war
ja noch nie in Zermatt. Das ist eine
grossartige Herausforderung. Aber
ich bin bereit!
Und ausserhalb der Bühne –
kennen Sie die Berge? Sind Sie
Skifahrer?
Ich war noch nie da, aber ich habe
Fotos gesehen. Wirklich stark. Und
ich möchte unbedingt snowboarden, entweder am Tag vor oder
nach dem Konzert.
Sie sind gern in der Schweiz,
und die Schweizer lieben Sie
schon seit 2002, seit Ihrem
Sie betonen immer wieder, dass
Sie unpolitisch seien. Auf der
anderen Seite gaben Sie kürzlich in Arizona vor einem Gefängnis ein Konzert zusammen
mit John Legend, um auf die
Situation von inhaftierten
Migranten hinzuweisen. Was ist
für Sie politisches Handeln?
Es geht nicht um Politik, es geht
um die humane Seite der menschlichen Realität. Manchmal ist
Musik eine grosse Hilfe, auf Din-
ge hinzuweisen, die gern vergessen werden. Wir haben diese Aktion gemacht, um aufmerksam zu
machen, dass Menschen dort zu
Unrecht inhaftiert sind. Wir wollen, dass man über Migration nachdenkt und darüber spricht.
USA in der Mehrheit ist und auch
einen Präsidenten stellen wird.
Vielleicht wird der nächste Präsident der USA eine Frau, aber danach ist es ein Latino. Ganz sicher.
Konnten Sie mit den Inhaftierten in Kontakt treten?
Mehr oder weniger zwölf Jahre.
Leider wurde uns nicht erlaubt,
mit Häftlingen zu sprechen. Es
war sehr traurig für mich und auch
hart, dass wir nicht ins Gefängnis
hineingehen konnten. Einfach nur
schrecklich. Ich verstehe nicht,
warum Amerika so funktioniert,
wie es funktioniert.
Wenn wir das Jahr 2055 und
nicht 2015 schreiben würden,
hätten Sie wahrscheinlich gute
Chancen, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden.
Wegen der spanischsprachigen
Minderheit? Das glaube ich kaum.
Aber der Tag wird ganz sicher kommen, in vielleicht zwanzig oder
dreissig Jahren, an dem die spanischsprachige Bevölkerung in den
Von «La Camisa Negra» zum Friedensbotschafter
Der 1972 im kolumbianischen Medellín geborene Sänger, Songschreiber
und Gitarrist Juan Esteban Aristizábal Vázquez, genannt Juanes, gilt als
wichtigster Repräsentant der spanischsprachigen Musik. Seit 2001
hat er bereits sechs Studioalben veröffentlicht und 2012 das akustische
Livealbum «Juanes MTV Unplugged». Juanes gewann zwei Grammys und
zwanzig Latin Grammys und hat weltweit über zwanzig Millionen Fans.
Seit dem 2005 veröffentlichen Song «La Camisa Negra» liegt ihm auch
die nicht spanischsprachige Welt zu Füssen. Juanes zeichnet eine tief
gefühlte, philanthropische Haltung aus, weshalb er bis er in die höchsten
politischen und geistlichen Ebenen hinein geschätzt wird – von den Repräsentanten der Vereinten Nationen bis zu Papst Franziskus, der ihn
letztes Jahr an den Weltfamilientag nach Philadelphia einlud. Am 6. April
2016 tritt der Musiker und Friedensbotschafter Juanes auf der Zeltbühne des Zermatt Unplugged auf.
www.juanes.net
Wie lange leben Sie schon in
Florida?
Wie eng sind Ihre Kontakte
nach Kolumbien und zu Ihrer
Heimatstadt Medellín – der in
den 90er-Jahren gefährlichsten
Stadt der Welt?
Sehr eng und intensiv. Übermorgen bin ich schon wieder da. Es ist
essenziell für mich, dass ich meine Wurzeln spüre.
Politisch kommen derzeit, nach
Jahrzehnten des Bürgerkriegs,
positive Zeichen aus Kolumbien. Auch wirtschaftlich wendet
sich einiges zum Guten, wie es
scheint. Teilen Sie diese
Einschätzung?
Ich bin optimistisch, aber auch
Realist. Der Friedensprozess wird
schwierig werden, denn er versetzt
uns in den Zustand, vergeben zu
müssen. Und das ist hart, Kolumbien ist in den vergangenen fünfzig Jahren durch so viel Leid und
Schmerz gegangen. Es gab viele
schwere Momente. Das Land ist
gespalten. Die einen wollen Frieden, aber die anderen sind mit dem
Prozess nicht einverstanden. Ich
fühle, es ist ein historischer Augenblick für uns. Es ist nicht der Frieden für Kolumbien, es ist der Frieden mit der Farc, der linken Guerillabewegung.
Sie haben in Kolumbien die
«Fundación Mi Sangre»
gegründet. Was bezwecken
Sie mit dieser Stiftung?
Wir leisten damit einen Teil für
den Friedensprozess, machen etwa
Bildungsarbeit mit Kindern und
Jugendlichen, die Opfer des Bürgerkriegs wurden.
Die Wirkung Ihrer Musik und
Ihrer Persönlichkeit als Friedensbotschafter auf die spanischsprachige Welt ist beeindruckend. Gleichzeitig produzieren Sie seit 15 Jahren in sehr
dichter Frequenz Alben und
Songs. Ist das nicht ein ungeheuer grosser Druck?
Ja. Es ist richtig harte Arbeit. Jedes
Mal ist es schwer, einen neuen
Song zu schreiben und ihn besonders zu machen. Aber ich liebe,
was ich tue. Musik ist die wichtigste Sache für mich – nach meiner
Familie. Ich liebe die Musik, ich
lebe sie. Aber manchmal ... Es ist
schwer, wenn du tust, was du liebst.
Wie tanken Sie auf, damit Ihre
Kreativität nicht versiegt?
Mir geht es momentan sehr gut,
und es fliesst. Vor fünf Jahren zum
Beispiel, da war ich irgendwie blockiert. Aber ich arbeite jetzt an einem neuen Album und geniesse
diesen Prozess. Noch dieses Jahr
werde ich einen neuen Song veröffentlichen. Ich bin sehr glücklich.
Werden Sie die neuen Songs
am Zermatt Unplugged spielen?
Klar. Ich möchte ja sehen, wie die
Leute darauf reagieren.
Wie wird das neue Album?
Ich bin sehr auf meine Stimme und
die Gitarre konzentriert. Auf dem
Album kombiniere ich elektronische und organische Elemente. Das
gibt einen neuen, frischen Sound.
Wissen Sie, dass die Leute im
grossen Rundzelt in Zermatt
sitzen werden?
Ja, das hab ich gesehen. Aber das
spielt keine Rolle. Ich freue mich
so auf dieses Konzert.