Im Visier: leergut- Sortierkonzepte (teil 2)

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Im Visier: leergut- Sortierkonzepte (teil 2)
BRAUWELT | WISSEN | Abfüllung
Im Visier: LeergutSortierkonzepte (Teil 2)
Gut sortiert | Die Mehrweg-Gebinde für Getränke stehen
in Gestaltungs- und Kostenkonkurrenz zu den trendigen
Einweggebinden. Der Gebindevielfalt steht ein erheblicher
Sortieraufwand entgegen, dem die Industrie aus Effektivitäts- und
Kostengründen mit Automatisierungslösungen beizukommen
bemüht ist. Im Teil 1 dieses Beitrages in BRAUWELT Nr. 24-25,
2012, S. 702-704, wurden die allgemeinen Grundlagen und
Voraussetzungen für eine Flaschen- und Kastenerkennung erklärt.
Lesen Sie hier mehr über die Erkennungskonzepte, ihre Vor- und
Nachteile sowie Automatisierungslösungen.
Die heute vorwiegend verwendeten Erkennungstechnologien sind in Tabelle 1 zusammengestellt und hinsichtlich
erzielbarer Erkennungssicherheiten in der
Praxis beurteilt.
Dabei wird deutlich, dass für die
Flaschen­
identifikation im Kasteninneren
bei ungünstigen Bedingungen wesentlich
geringere Erkennungssicherheiten einkalkuliert werden müssen als bei in der freien
Seitenansicht erfassten Flaschen. Dennoch
wurde in den letzten Jahren intensive Forschungs- und Entwicklungsarbeit geleistet,
Autor: Prof. Dr.-Ing. Kurt Spiegelmacher, Syscona Kontrollsysteme GmbH, Freudenberg,
und Dozent für Automatisierungstechnik,
Fertigungstechnik und Qualitätsmanagement, FH Kaiserslautern/ Zweibrücken, Studienbereich Technische Betriebswirtschaft,
Zweibrücken
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um die Erkennungsqualität von Flaschen
im Leergutkasten zu steigern. Beispielhaft
sei hier die Firma Syscona Kontrollsysteme GmbH in Freudenberg genannt, die mit
neuen beleuchtungs- und kameratechnischen Lösungswegen eine Verbesserung
der Primärbildqualität und mit neu verfügbaren Bildverarbeitungswerkzeugen in Verbindung mit messenden Bildauswertungsmethoden und multivariater Klassifikation
von Flaschen im Kasten eine erhöhte Identifikationssicherheit erzielen konnte. Gleichwohl sind Erkennungssicherheiten wie bei
Abb. 1
Neues Beleuch­
tungsverfahren von
Flaschen im Kasten,
Syscona Kontroll­
systeme GmbH (4)
der Seitenansicht von Flaschen nach wie
vor nicht erreichbar.
lSortierkonzepte
Die manuelle Sortierleistung ist nur in gewissen Grenzen durch Investition in Transportlinien- und Regaltechnik steigerbar,
Lohnkosten sind kaum weiter zu senken,
umso mehr, als die laufenden Diskussionen um Mindestlöhne eher in die andere
Richtung weisen. Demgegenüber können
Sortierkonzepte mit automatisierten Prozessen weitere Kostensenkungspotenziale
erschließen. So liefert bei gängigen automatischen Sortieranlagen ein Robotersystem
umgerechnet in etwa die vierfache Leistung
eines Menschen (rund 400 Kästen/h) und
kann dies bis zu drei Schichten/Tag tun.
Bei Automatisierungslösungen sind in die
Wirtschaftlichkeitsbetrachtung allerdings
erhebliche Investitionskosten in Anlagentechnik und mitunter in Gebäude einzubeziehen. Allein daraus ergibt sich als Anhaltspunkt aus der Praxis, dass sich Automatisierungslösungen erst ab einem Sortier­
leistungsbedarf von rund 1000 Kästen/h
bei mindestens zwei Schichten/Tag zu
rechnen beginnen. Es müssen dabei, je nach
Automatisierungsgrad, nicht unerhebliche
Betriebs-, Wartungs- und Personalqualifi-
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Übersicht zur Messtechnik für die Mehrweg-Leergut-Inspektion
Pos.
Objekt
Messmittel
Kameras
US-Sensoren
Scanner/Lese-Unit
Kameras
US-Sensoren
Farbsensor
Lichttaster
Kameras
US-Sensoren
Metalldetektoren
Zweck
Beurteilung *)
Palettenidentität
Bestückung
hohe Erkennungssicherheit (>>99%)
A
LG**-Palette
B
LG**-Kästen
C
Kasteninhalt
D
Einzelflasche
Kamera
Flaschenmerkmale
E
Palette
Sensoren
mechanische Mittel
RFID-Reader
Palettenidentität
Palettenzustand
*) Werte aus Anwenderangaben
Kastentyp
Rahmenzustand
Auspackbarkeit
Leergefache
Flaschenmerkmale
Kronkorkdetektion
Kastenidentität sicher erkennbar (>>99%)
Auspackbarkeit überwiegend gut erkennbar, kritisch z.B. klemmende
Flaschen (typisch: >98%)
Feinrisse/-brüche schwierig
Leergefache sicher erkennbar (>>99%)
Flaschenidentitäten mäßig bis sehr gut bestimmbar
(75% bis >99% in der Praxis)
hohe Erkennungssicherheit (typisch: >99%)
zusätzlich Schadenserkennung (Risse etc.) schon vor dem
Waschprozess
hohe Bestimmungssicherheit (>99%)
** LG = Leergut
Tab. 1
Merkmale der wichtigsten Konzepte zur automatischen Sortierung von
Mehrweg-Getränkekästen
Systemprinzip
Kastensortierung
automatisch
Tiefensortierung
mit selektivem
Auspacken
Tiefensortierung
mit Vollentpackung
Tiefensortierung
mit Umpackroboter
Leistungsabhängig­
keit vom Durchmi­
schungsgrad
gering
mittel
gering
hoch
Erkenn­
sicherheit *)
>99
>80
>99
>80
Vorteile
wirtschaftlich im Bereich GFGH
sichere Sortenerkennung
einfache Technik, hohe Verfügbarkeit
mäßige Abhängigkeit der Leistung von Sortenzahl und Durchmischung q
sichere Separation nur bei guter
Erkennbarkeit im Kasten
relativ kompakte Anlage
geringe Abhängigkeit der Leistung von Sortenzahl und Durchmischung q
sichere Sortenerkennung
gute Wirtschaftlichkeit erzielbar
sehr kompakte Bauweise
hohe Leistung bei geringem q
Nachteile
Investauf­
wand
hoher Platzbedarf
keine Tiefensortierung
mittel
erhöhte Fehlsortierung möglich
hoher Automatisierungsaufwand
hoher Qualifizierungs- und Wartungsbedarf
hoch
konv. System: erhöhter Platzbedarf
Direkt-Inspektionsprinzip: hohe
Investiton und Mechanisierungs­
aufwand
hohe Investition
hoher Qualifizierungs- und Wartungsbedarf
erhöhte Fehlsortierung möglich
mittel
(bis hoch)
hoch
*) nach heutigem Stand der Technik; Werte sind Abschätzungen aus der Praxis und abhängig von den zu sortierenden Flaschensorten
Tab. 2
zierungskosten sowie Kosten für manuelle
Nachsortieraufwendungen berücksichtigt
werden. Die messtechnischen Grenzen der
heute verwendeten Erkennungstechnik,
welche möglicherweise Fehlsortierströme
und Nachsortierungsaufwendungen zur
Folge haben, bedingen letztlich die Wahl des
geeignetsten Automatisierungskonzeptes.
Welches Sortierkonzept aber ist das
geeignetste? Um diese Frage zu beantworten, sollte jedem Investitionsvorhaben in
Sortieranlagentechnik eine differenzierte
Datenerhebung hinsichtlich des bestehenden bzw. zu erwartenden Leergut-Aufkommens vorangehen. Welche Flaschensorten
treten in welchen Mengen miteinander auf
und sind sortenrein zu separieren? Unter
anderem folgende Kriterien sollten bei der
Erstellung von Pflichtenheften zur Anlagenauslegung betrachtet werden:
■■ Unternehmensprozesse:
Leergutaufkommen, Anlieferungsqualität, Sortiergut-Spektrum, Lohnkosten, räumliche
Verhältnisse;
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EINFACHE WIRTSCHAFTLICHKEITSBETRACHTUNG
ZUR INVESTITION …
… in eine Sortieranlage eines Sortier-Dienstleisters
Angabe *)
Investition
Umsatz
Personen
Betriebs- und Personalkosten
Speditierungs- + sonstige Kosten
Summe laufende Kosten
Operativer Gewinn
Amortisation **)
Manuelle
Tiefensortierung
0,2 Mio EUR
2x 25 á 12 EUR/h
1,6 Mio EUR
2 Mio EUR
0,4 Mio EUR/a
0,5 Jahre
Automatische
Automatische
Sortierung mit
Sortierung mit
Umpackroboter Vollentpackung
7 Mio EUR
4 Mio EUR
2,4 Mio
2x 5 á 30T EUR/a
0,9 Mio EUR
0,4 Mio EUR
1,3 Mio EUR
1,1 Mio EUR/a
6,4 Jahre
3,6 Jahre
*) Angaben aus Interviews mit Anwendern und Projekten
**) Angaben bei voller Zuordnung des erzielten Gewinns auf die Investition
Tab. 3
Logistik: Materialflussdaten zum Kastenaufkommen, Durchmischungsgrad d,
Fehlflaschenanteil, Sortiergut-Bedarfsprofil;
Erkennungstechnik:
Kastenvarianz,
Störeinflusshäufigkeit durch Kastenzustand, Flaschenzustand und -position
sowie Fremdkörper im Kasten, Unterscheidbarkeit vorkommender Flaschensorten nach Form, Materialien und Ausstattung.
lAutomatisierungskonzepte
Automatisierungskonzepte zur LeergutSortierung können wie folgt untergliedert
werden.
Automatische Kastensortierung mit
nachfolgender manueller Tiefensortierung
Anlagen dieser Art sind von hohen Erkennungssicherheiten geprägt, weil die Kastenidentität aus der Seitenansicht und weitere Merkmale, wie die Fehlflaschenanzahl
aus der Draufsicht, unproblematisch bestimmt werden können.
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Tiefensortierung mit selektivem
Auspackprozess
Sehr häufig wird nach zwei Hauptfraktionen selektiv ausgepackt, nämlich die
Gutflaschen und die Fremd- oder Sortenflaschen. Letztere werden bei geringen
Fremdflaschenanteilen und Fremdsortenzahlen nachfolgend manuell sortiert,
bei größeren Fremdflaschenanteilen und
Fremdsortenzahlen vorzugsweise mittels
einer automatischen Flaschensortierlinie.
Die gute Unterscheidbarkeit von Gut- und
Fremdflaschen muss bei dieser Lösung gewährleistet sein.
Tiefensortierung mit Vollentpackung
und anschließender automatischer
Flaschensortierung
Dieses Sortierkonzept ist erkennungstechnisch unkritisch und ermöglicht hohe
Sortierleistungen selbst bei hoher Volatilität der Flaschensortenanteile. Die vergleichsweise einfache Handhabungstechnik dämpft die Investitions- wie auch die
Betriebskosten. Eine Variante mit sofortiger
Flaschenerkennung in einem „Auspackrondell“ baut kompakter, ist jedoch mechanisch aufwändiger.
Tiefensortierung mit Umpackrobotersystemen
Dieses Prinzip bietet einen sehr kompakten Anlagenaufbau und hohe Sortierleistungen bei geringeren Sortenzahlen.
Typisch für dieses Handhabungsprinzip
ist die deutliche Abhängigkeit der Sortierleistung vom Durchmischungsgrad d, also
dem Fremdflaschenanteil q und der Sortenzahl s.
In der Tabelle 2 sind die wichtigsten
Merkmale zu den untergliederten automatischen Sortierkonzepten zusammengefasst.
lWirtschaftlichkeit
Mit entscheidend für die Wahl eines Leergut-Sortierkonzeptes ist deren Wirtschaftlichkeit. Mit den Falldaten zum Investitionsvorhaben eines Sortierdienstleisters
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(Tab. 3) sollen verschiedene Sortierkonzepte beispielhaft in einer stark vereinfachten
Wirtschaftlichkeitsbetrachtung verglichen
werden.
Ansatz: 8 Mio Kästen/a, 2000 Kästen/h
(≈ 1 Lastzug/h), 2 Schichten, 250 d/a,
Ø Fremdflaschenanteil q = 50 %, Sortierpreis inkl. Zustellung: 30 ct/Kasten
In diesem Beispiel kann durch Automatisierung eine Einsparung von rund 0,7
Mio EUR/a insbesondere bei den Betriebsund Personalkosten gegenüber einer manuell betriebenen Tiefensortieranlage eingespart werden. Bezieht man nur diese Einsparung auf die Mehr-Investition für die
betrachteten Automatisierungskonzepte,
so ergibt sich für die Lösung „Umpackroboter“ hier eine Amortisation von knapp zehn
Jahren, für die „Vollentpackung“ von rund
5,5 Jahren. Etwaige Unterschiede in den
Nachsortieraufwendungen, bedingt durch
die erzielbare Erkennungssicherheit, bleiben hier ebenso unberücksichtigt wie etwaige Investitionskosten in bauliche Maßnahmen. Das Zahlenbeispiel zeigt jedoch
recht deutlich den Grund für das Zögern
vieler mittelständischer Unternehmen,
in eigene automatische Sortieranlagen zu
investieren. Und es zeigt die Notwendigkeit
eines möglichst hohen Auslastungs- und
Verfügbarkeitsgrades automatischer Sortieranlagen. Dies begünstigt Anlagen mit
unkomplizierterer und wartungsärmerer
Technik.
lFazit
Zieht man ein Resümee aus den Betrachtungen zu den verschiedenen Aspekten,
4500
ken
4000
3500
bedarf
Kästen/h
-
3000
Umpackroboter
2500
2000
Vollentpackung „kon
1500
l“
1000
system
500
0
re
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Durchmischungsgrad %
*) Abschätzung aus Anwenderinf
eitsbetrachtungen
ojekten sowie überschlägigen
Abb. 2 Eignungsfelder für Sortierverfahren *)
insbesondere Investitionskosten, Anlagenleistung in Abhängigkeit von Kenndaten des Kasteninhalts (Durchmischungsgrad d), Sortierqualität in Abhängigkeit
von der Erkennungssicherheit und die aus
allem resultierende Wirtschaftlichkeit, so
lässt sich das in Abbildung 2 dargestellte
Schaubild skizzieren, das nicht mehr als eine Orientierungshilfe bei der Auswahl eines passenden Sortierkonzeptes darstellen
soll. Erst Sortierprojekt-erfahrene Fachunternehmen bieten zum individuellen
Investitionsvorhaben kundenorientierte
und systematische Planungsunterstützung zur Ermittlung und Auslegung des
jeweils am besten geeigneten und insbesondere wirtschaftlichen Sortieranlagenkonzeptes an.
lQuellen
1. Fontaine, J.: „Quo Vadis Mehrweg“,
Handout zum Vortrag, 15. VLB LogistikFachtagung, 2012.
2. Prüfung der Optimierungsmöglichkeiten des Mehrwegsystems…, VLB-Studie, Berlin, 2003.
3. Das große Sortieren, Fachartikel FZ Logistik heute, 11/2011.
4. Bildmaterial Firma Syscona Kontrollsysteme GmbH, Freudenberg, 2011/2012.
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