Produkthaftung - US Product Liability Overview in German

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Produkthaftung - US Product Liability Overview in German
Einführung in das US-Produkthaftungsrecht
von Attorney-at-Law und Rechtsanwalt Stefan-M. Tiessen, J.D
Smith, Gambrell & Russell
Atlanta, Wiesbaden
1. Einleitung
Die amerikanische Produkthaftung umfasst verschiedene Regelungen der Schadensersatzhaftung für das Herstellen
und Inverkehrbringen fehlerhafter Produkte, die im deutschen Recht dem Produkthaftungsgesetz, aber auch der
vertraglichen Garantiehaftung, dem Gewährleistungsrecht und der deliktischen Produzentenhaftung des BGB
vergleichbar sind.
Das Produkthaftungsrecht regelt die Voraussetzungen und den Umfang von Schadensersatzansprüchen, die
demjenigen zustehen, der durch die Verwendung oder den Kontakt mit einem Produkt geschädigt worden ist. Zu den
Beklagten in Produkthaftungsfällen gehören Hersteller von Produkten, Hersteller von Bauteilen von Produkten,
Fertigungsunternehmen, Exporteure, Importeure, Zwischenhändler und i.d.R. auch Einzelhändler (im Folgenden
gemeinsam als „Hersteller“ bezeichnet). Als Produkt kommt dabei fast jede hergestellte Ware in Frage.
Investitionsgüter wie schwere Maschinen oder Flugzeuge oder Konsumgüter wie Autos, Küchengeräte oder
Heimelektronik.
Ein auch in Deutschland bekannter amerikanischer Produkthaftungsprozess ist Liebeck v. McDonald’s Restaurants,
bei dem die Klägerin, die sich mit heißem Kaffee verbrüht hatte, den Verkäufer des Kaffees in Anspruch nahm. Der
Fall wird in der Debatte um die Deliktsrechtsreform in den USA immer wieder aufgegriffen, denn die Jury hatte der
Klägerin zunächst 2,86 Millionen Dollar Schadensersatz zuerkannt. Die Befürworter einer Reform des Deliktsrechts
sehen diesen Fall als Paradebeispiel überzogener Schadensersatzsummen aus geringem Anlass (frivolous claims).
Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass die Klägerin sehr schwere und großflächige Verbrennungen erlitten hat.
Zudem war der Beklagten bekannt, dass die vorgeschriebene Temperatur des Kaffees geeignet war, in kurzer Zeit
schwere Verbrennungen zu verursachen, denn es hatte in den Jahren zuvor hunderte ähnlicher Unfälle gegeben.
Das Unternehmen hatte sich jedoch stets geweigert, seine Vorgaben zur Temperatur anzupassen. Auch hatte die
Beklagte zuvor mehrere Angebote, sich mit der Klägerin zu deutlich niedrigeren Beträgen zu vergleichen,
ausgeschlagen. Außerdem war der ursprünglich von der Jury zugesprochene hohe Strafschadensersatz auch nicht
aus der Luft gegriffen, sondern sollte der Höhe der Einnahmen zweier Tage aus dem Kaffeeverkauf der Beklagten
entprechen, auch ein 20-prozentiges Mitverschulden der Klägerin war berücksichtigt. Schließlich erhielt die Klägerin
nicht die aus den Nachrichten bekannte Summe von 2,86 Millionen Dollar, sondern noch in der ersten Instanz setzte
der Richter die Summe auf 640.000 Dollar herab und die Parteien schlossen anschließend einen Vergleich über eine
vermutlich niedrigere Summe.
An diesem Fall lässt sich also zeigen, dass Urteile in Produkthaftungsfällen in den USA nicht ganz so irrational und
unvorhersehbar sind, wie oft vermutet wird. Andererseits ist das Risiko auch nicht zu vernachlässigen und die
Komplexität der Materie macht eine sorgfältige Herangehensweise erforderlich, um dieses Risiko im Vorfeld
einschätzen und minimieren zu können.
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2. Produktfehler
Ein Produkt kann auf verschiedene Weise mangelhaft sein. Im Produkthaftungsrecht werden gewöhnlich drei
verschiedenen Kategorien von Mängeln unterschieden:
Fabrikationsfehler (manufacturing defects) sind einzelne Abweichungen von der Produktionslinie („Ausreißer“);
Konstruktionsfehler (design defects) liegen vor, wenn das Produkt grundsätzlich allgemeinen Qualitätsanforderungen
nicht gerecht wird, wobei im Gegensatz zu Fabrikationsfehlern i.d.R. nicht nur einzelne Produkte, sondern die
gesamte Produktionslinie betroffen ist;
Instruktionsfehler (warning defects) bedeuten, dass vor Gefahren des Produkts nicht hinreichend gewarnt wurde,
bzw. Bedienungsanleitungen oder andere Instruktionen unzureichend sind.
Um festzustellen, ob ein Fabrikationsfehler vorliegt, wird das Produkt i.d.R. mit ähnlichen Produkten oder anderen
Produkten derselben Produktionslinie verglichen („deviation from the norm“ test). Der Beurteilung von Konstruktionsund Instruktionsfehlern legt die gängige Rechtsprechung die Verbrauchererwartung (customer expectations) oder
eine Kosten-Nutzen-Analyse (risk-benefit test) zugrunde.
Nach der Verbrauchererwartungsanalyse ist ein Produkt fehlerhaft, wenn es nicht den vernünftigen
Sicherheitsanforderungen eines durchschnittlichen Verbrauchers entspricht. Bei der Kosten-Nutzen-Analyse werden
hingegen die mit dem Produkt verbundenen Gefahren gegen dessen Vorteile abgewogen. So werden zur Bewertung
des Nutzens für den einzelnen Verbraucher die Wahrscheinlichkeit eines Schadens sowie dessen mögliches
Ausmaß, die Möglichkeit der Nutzung einer vergleichbaren, weniger gefährlichen Produktes, die Gelegenheit zur
Nachbesserung, die Kenntnis der Gefährlichkeit des Produkts und die Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit von
Versicherungen in die Kosten-Nutzen Analyse einbezogen. Häufig beurteilen Gerichte Haftungsansprüche sowohl
nach Verbrauchererwartungen als auch nach einer Kosten-Nutzen-Analyse des Produktes. Eine übliche Möglichkeit
zur Bestimmung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses ist der Angemessenheitstest (reasonableness test). Danach haftet
der Hersteller, wenn vorhersehbare Risiken durch ein alternatives Design oder vernünftige Warnungen und
Instruktionen hätten verringert oder vermieden werden können.
Zu beachten ist außerdem, dass die vorgenannten allgemeinen Regeln für bestimmte Konstellationen abgewandelt
oder ergänzt werden können. Nach der learned intermediary doctrine beispielsweise hat ein Hersteller seine
Warnpflicht bei bestimmten Produkten erfüllt, wenn er die Warnhinweise nicht dem Käufer des Produkts, sondern
einer dritten Person, wie z.B. einem Arzt oder Apotheker übermittelt.
3. Die Haftungsgrundlagen und ihre Voraussetzungen
Klagen in Produkthaftungsfällen in den USA können auf verschiedene Haftungstheorien gestützt werden, die sich vor
allem in der jeweiligen Haftungsgrundlage, zum Teil aber auch in ihren Voraussetzungen für einen Erfolg des Klägers
und möglichen Verteidigungsmitteln des Beklagten unterscheiden. Die wichtigsten sind die Haftung für die
Verletzung einer vertraglichen Zusicherung (breach of warranty), die deliktische Haftung für fahrlässiges Verhalten
(negligence) und die deliktische verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung (strict liability).
Die aus dem englischen Recht stammende Haftung aus vertraglicher Zusicherung ist die älteste dieser
Anspruchsgrundlagen. Die Pflicht zur Herstellung fehlerfreier Produkte wurde durch den zwischen den Parteien
geschlossenen Vertrag begründet und bestand zunächst nur gegenüber der unmittelbaren Vertragspartei, später um
bestimmte Personen, z.B. Familienangehörige, erweitert. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde die deliktische
Haftung für fahrlässiges Verhalten entwickelt. Damit war es möglich, auch in Schadensfällen, in denen es keine
vertragliche Grundlage gab, zu einem gerechten Ausgleich zu kommen, denn wegen der zunehmenden Komplexität
der Handelsstrukturen wurden Vertragsbeziehungen zwischen Verantwortlichem und Geschädigtem immer seltener.
Vor allem in Fällen, in denen fahrlässiges Verhalten nicht nachweisbar war, kam die vertragliche Haftung daneben
weiterhin zur Anwendung. Verbraucher haben aber bei der Haftung für Fahrlässigkeit oft erhebliche
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Beweisschwierigkeiten, da relevante Vorgänge in der Produkthaftung ausschließlich in der Sphäre des Herstellers zu
finden sind. Deswegen wurde schließlich das Konzept einer Gefährdungshaftung als außervertraglicher
verschuldensunabhängiger Haftungsgrundlage entwickelt, die unter bestimmten Voraussetzungen Ersatz für durch
ein mangelhaftes Produkt verursachte Schäden gewährt. Alle drei Haftungsgrundlagen kommen in unterschiedlichen
Konstellationen auch heute noch zur Anwendung.
Es gibt in den USA kein einheitliches Produkthaftungsgesetz. Die Mehrheit der amerikanischen Bundesstaaten
haben Produkthaftungsgesetze erlassen, die die Vorgaben des Common Law-Richterrechts und des Second
Restatement of Torts kodifizieren. In einigen Bundesstaaten gibt es Ansätze zur Reform des Produkthaftungsrechts
mit dem Ziel, vereinfachte Produkthaftungsgesetze zu erlassen. Die bestehenden Produkthaftungsgesetze der
einzelnen Bundesstaaten sehen unterschiedliche Regelungen vor, so dass die Bundesregierung durch das USHandelsministerium einen Gesetzesvorschlag für ein einheitliches Produkthaftungsgesetz (Model Uniform Products
Liability Act) erarbeitet hat. Der Entwurf bindet die Bundesstaaten aber nicht und hat bisher keine große Zustimmung
gefunden. Auch die dritte Auflage des Restatement of Torts wurde bislang nur zögerlich umgesetzt.
3.1 Verletzung einer Zusicherung (breach of warranty)
Die Haftung aus der Verletzung einer Zusicherung unterscheidet sich von den beiden deliktischen
Haftungsgrundlagen dadurch, dass der Kreis möglicher Kläger begrenzt ist. Es kann nicht jeder Verletzte klagen,
sondern nur derjenige, der mit dem Beklagten in einer unmittelbaren Vertragsbeziehung (privity) steht. Das kann bei
Konsumgütern unter Umständen neben dem tatsächlichen Käufer auch unmittelbare Familienangehörige des
Käufers einschließen. Das genaue Konzept dieser Vertragsbeziehung variiert stark von Bundesstaat zu Bundesstaat.
Im Produkthaftungsrecht sind drei Arten der Verletzung einer Zusicherung relevant: Die Verletzung einer
ausdrücklichen Zusicherung (express warranty), die Verletzung einer konkludenten Zusicherung der allgemeinen
Gebrauchstauglichkeit (implied warranty of merchantability) und die Verletzung einer konkludenten Zusicherung der
Eignung für einen bestimmten Zweck (implied warranty of fitness for a particular purpose).
Für die Geltendmachung der Verletzung einer ausdrücklichen Zusicherung muss der Käufer nachweisen, dass eine
solche Zusicherung des Verkäufers bestand, der Verkäufer sie verletzt hat und er aufgrund dieser Verletzung
geschädigt worden ist.
Bei einer Verletzung einer konkludenten Zusicherung der allgemeinen Gebrauchstauglichkeit muss der Kläger
beweisen, dass das Produkt im Vergleich zu anderen Produkten der gleichen Gattung durchschnittlichen
Qualitätsanforderungen nicht entspricht bzw. seinen bestimmungsgemäßen Gebrauchszweck nicht erfüllt
(beispielsweise dadurch, dass ein Konstruktionsfehler, Fabrikationsfehler oder Instruktionsfehler besteht) und ihm
deswegen ein Schaden entstanden ist.
Beruft sich der Kläger schließlich auf eine Verletzung der konkludenten Zusicherung der Eignung für einen
bestimmten Zweck, muss er als Schadensursache nachweisen, dass der Beklagte seine besonderen Bedürfnisse in
Bezug auf das Produkt (wie Größe, Gewicht oder Haltbarkeit) kannte und der Kläger davon ausgehen durfte, dass
der Beklagte diese Anforderungen bei der Auswahl des Produktes berücksichtigen würde, das Produkt tatsächlich
aber davon abweicht.
Die Vorschriften des amerikanischen Handelsgesetzbuches, Art. 2 UCC (anwendbar auf Verträge über bewegliche
Gegenstände) regeln ausdrückliche oder stillschweigende Zusicherungen, die Grundlage eines vertraglichen
Produkthaftungsanspruchs sein können. So gilt jede Zusicherung des Verkäufers hinsichtlich der Eigenschaften des
Verkaufsgegenstandes als Zusicherung bezüglich der zugesicherten Eigenschaft. Stellt der Verkäufer z.B. während
der Vertragsverhandlungen ein Produktmuster vor, ist darin die Zusicherung zu sehen, dass alle Produkte, die er
liefert, der Qualität des Produktmusters entsprechen.
Zusicherungen nach Art. 2 UCC sind allerdings abdingbar. Die Zusicherung der allgemeinen Gebrauchstauglichkeit
und der Zweckdienlichkeit können durch folgende Formulierung wirksam ausgeschlossen werden: „Warranty for
merchantability and fitness for a particular purpose is excluded.“ Außerdem ist es möglich, die Haftung bei der
vertraglichen Zusicherungshaftung auf bestimmte Schadenskategorien oder Schadenshöhen zu beschränken. So
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werden regelmäßig Folgeschäden ausgeschlossen und die Schadenshöhe auf den Wert des Kaufsgegenstandes
beschränkt. Beschränkungen der Haftung für die Verletzung von Personen sind allerdings als Verstoß gegen Treu
und Glauben generell unwirksam.
Der Kläger muss in allen drei Fällen nachweisen, dass er einen Schaden erlitten hat (eine bloße Verletzung seiner
Interessen reicht nicht aus) und dass die Verletzung der Zusicherung ursächlich für diesen Schaden war.
Die Kausalität des Haftungsgrundes für die Schadensverursachung wird – wie auch bei den deliktsrechtlichen
Haftungsgrundlagen – auf zwei Ebenen bestimmt: Sie wird zunächst nach der weiten factual causation bestimmt und
dann durch die wertende legal causation eingeschränkt. Die factual causation wird mit Hilfe der conditio-sine-quanon-Formel (but for causation) und dem „substantial factor“ test ermittelt. Kausalität ist dann gegeben, wenn der
Schaden ohne Zutun des Beklagten nicht eingetreten wäre. Dafür ist es normalerweise ausreichend, wenn der
Kläger nachweist, dass das Produkt mit einem vernünftigen Grad an Wahrscheinlichkeit den Schaden verursacht
oder wesentlich zur Schadensentstehung beigetragen hat. Die legal causation wird in den USA nach der doctrine of
proximate cause bestimmt, nach der bestimmte tatsächlich kausale Ursachen aus wertenden Gründen nicht
berücksichtigt werden, beispielsweise weil der Schaden eine unvorhersehbare Konsequenz dieser Ursache ist. Der
Kläger muss in der Regel beweisen, dass der Schaden eine natürliche und wahrscheinliche Folge des Verhaltens
des Beklagten war.
3.2 Fahrlässigkeit (negligence)
Die auf Fahrlässigkeit gestützte Produkthaftungsklage ist wie die Gefährdungshaftung eine Haftung nach den
Grundsätzen des Deliktsrechts (law of torts). Der Unterschied zwischen den beiden Haftungsmodellen liegt zum
einen darin, dass die Gefährdungshaftung im Gegensatz zur Fahrlässigkeitshaftung verschuldensunabhängig ist,
zum anderen darin, dass der Fokus der Aufmerksamkeit bei der Fahrlässigkeitsklage auf dem Verhalten des
Beklagten liegt, bei der Gefährdungshaftung hingegen auf dem Produkt des Beklagten.
Um mit einer auf Fahrlässigkeit des Beklagten gestützten Klage Erfolg zu haben, muss ein Kläger drei
Voraussetzungen nachweisen: (a) Gegenüber dem Kläger muss eine rechtlich anerkannte Sorgfaltspflicht des
Beklagten bestanden haben, die der Beklagte verletzt hat (breach of duty of reasonable care), (b) durch die
Verletzung der Pflicht muss dem Kläger ein Schaden entstanden sein und (c) der Wert der Verletzung bzw. die Höhe
des Schadensersatzes muss nachgewiesen werden.
Die Sorgfaltspflicht ist verletzt, wenn eine Handlung nicht so vorgenommen wurde, wie eine vernünftig handelnde
Person sie in derselben Situation vorgenommen hätte. Bei dieser Bewertung werden die besonderen Kenntnisse und
Fähigkeiten des Betroffenen berücksichtigt. Für die Bestimmung der Sorgfaltspflicht wird i.d.R. die Learned-HandFormel herangezogen, die im Jahr 1947 durch den bekannten Richter Learned Hand anhand einer wirtschaftlichen
Erwägungsanalyse definiert wurde: Was als vernünftige Sorgfalt gilt, ergibt sich aus einer Abwägung zwischen
Risiko, d.h. Wahrscheinlichkeit (P) und Ausmaß des Verlustes (L), und dem Aufwand für adäquate
Vorsichtsmaßnahmen (B). Eine Haftung is demnach zu bejahen, wenn B kleiner als PL ist.
Anspruchsberechtigt sind die Personen, gegenüber denen die Sorgfaltspflicht besteht, im Falle von
Personenschäden auch deren unmittelbare Angehörige.
3.3 Gefährdungshaftung (strict liability)
Gefährdungshaftung ist die am häufigsten verwendete Haftungsgrundlage. Dabei handelt es sich um ein
verhältnismäßig neues Rechtskonzept, das in den USA als Teil des Deliktsrechts (law of torts) angesehen wird. Das
Deliktsrecht gewährt dem Geschädigten einen Anspruch gegen den Schädiger, ohne dass vertragliche Beziehungen
zwischen den beiden bestehen. Anders als bei auf Fahrlässigkeit gestützten Klagen steht bei Klagen aus
Gefährdungshaftung nicht das Verhalten des Beklagten im Mittelpunkt, sondern das mangelhafte Produkt. Die
Voraussetzungen für eine Gefährdungshaftung sind in den einzelnen Bundesstaaten der USA unterschiedlich und
einige Staaten erkennen überhaupt keine Gefährdungshaftung an.
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Die Gefährdungshaftung besteht bei Vorliegen folgender Tatsachen: (a) Der Beklagte hat ein Produkt hergestellt
oder verkauft, das (b) zu dem Zeitpunkt mangelhaft war, als der Beklagte es aus den Händen gegeben hat, und (c)
bei dem Kläger durch seine Fehlerhaftigkeit einen Schaden verursacht hat.
Eine Haftung auf dieser Grundlage entsteht immer dann, wenn jemand durch ein fehlerhaftes und unangemessen
gefährliches Produkt Schaden erlitten hat, unabhängig davon, ob der Beklagte Sorgfaltspflichten verletzt hat. Diese
verschuldensunabhängige Haftung wird damit begründet, dass der Hersteller mögliche Gefahren seines Produktes
besser einschätzen und kontrollieren kann als der Verbraucher, zudem in der Lage sei, sich gegen eventuelle
Schäden durch Versicherungen abzusichern und über den Preis das Risiko auf die Kunden abwälzen kann, die somit
gemeinschaftlich den Schaden des einzelnen Verletzten tragen.
Zudem ist bei der Gefährdungshaftung keine direkte Vertragsbeziehung zwischen dem Kläger und dem Beklagten
erforderlich, der Kreis möglicher Kläger ist also anders als bei der vertraglichen Haftung nicht auf die Käufer als
Vertragspartner und ggf. deren enge Angehörige Endabnehmer beschränkt.
Die Haftung bei Instruktionsfehlern und z.T. bei Konstruktionsfehlern wird auch im Rahmen der Gefährdungshaftung
nach dem aus dem Bereich der Fahrlässigkeitstheorie übernommenen Angemessenheitstest (reasonableness test)
beurteilt – wegen der Berücksichtigung der Angemessenheit handelt es sich dabei demnach strenggenommen nicht
mehr um eine klassische Gefährdungshaftung, in der die Sorgfalt des Beklagten keine Rolle spielt.
4. Haftung mehrerer Beklagter
Mehrere Beklagte haften i.d.R. nach der joint and several liability Doktrin, einer Art gesamtschuldnerischer Haftung,
d.h. sie können einzeln oder gemeinsam für die gesamte Schadenshöhe in Anspruch genommen werden und haben
dann im Innenverhältnis einen Ausgleichsanspruch. Die Regelung soll den Kläger vor dem Risiko eines insolventen
oder nicht auffindbaren Beklagten schützen.
Die Anwendung der Doktrin der joint and several liability kann allerdings dazu führen, dass ein Beklagter trotz
minimalem Anteil an der Verursachung den gesamten Schaden zu tragen hat, beispielsweise wenn von anderen
Verursachern nichts erlangt werden kann. Aus diesem Grund kommt immer häufiger die comparative negligence
Doktrin zum Einsatz, wonach ein Anspruch anteilig nach Ausmaß der Verursachung gekürzt wird.
In einigen Staaten wird eine Mischform zwischen gesamtschuldnerischer Haftung (joint and several liability) und
prozentual vergleichender Fahrlässigkeit (comparative negligence) angewendet. In diesem Fall hat der Kläger nur
einen Schadenersatzanspruch, wenn er für weniger als 50% seines Schadens selbst verantwortlich ist.
5. Art und Höhe des Schadensersatzes
Zu den verschiedenen Formen von Schadensersatz gehören der Ersatz des tatsächlich entstandenen materiellen
Schadens (special damages), immaterieller Schadensersatz (general damages), Strafschadensersatz (punitive
damages) und symbolischer Schadensersatz (positiv nominal damages oder negativ contemptuous damages).
Special damages und general damages werden gemeinsam auch als compensatory damages bezeichnet und
können je nach Situation und Haftungsgrundlage Personenschäden, einschließlich Schmerz und Leid, Tod,
Behandlungskosten, Einkommensverlust, Verlust von finanzieller Unterstützung oder Unterhalt, sowie Schäden an
Eigentum (dem Produkt selbst oder an anderem Eigentum) umfassen.
Die Höhe des Schadensersatzes wird grundsätzlich von einer aus Laienrichtern bestehenden Jury festgelegt, doch
seitens des Gerichts bestehen Kontrollmöglichkeiten durch Schadensminderung (remittitur) und Schadenserhöhung
(additur).
Symbolischer Schadensersatz ist selten. Dabei handelt es sich um Schadensersatz in sehr geringer Höhe, der nur
der Tatsache Ausdruck verleiht, dass der Kläger einen Schaden erlitten hat. Um die Höhe des bei einem Prozess zu
erwartenden immateriellen Schadensersatzes einzuschätzen, wurde in der Vergangenheit oftmals einfach das
Dreifache des tatsächlich entstandenen materiellen Schadens berechnet. Verlässlicher ist die Schätzung mit Hilfe
einer sog. jury verdict survey, bei der ähnliche Fälle derselben Gerichtsbarkeit untersucht werden.
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Anders als in Deutschland wird in den USA in bestimmten schwerwiegenden Fällen auch Strafschadensersatz
zuerkannt, der den Täter bestrafen und Dritte von ähnlichen Taten abhalten soll. Strafschadensersatz ist in den USA
Sache der Bundesstaaten, die Voraussetzungen unter denen er gewährt wird und die Handhabung unterscheiden
sich also von Staat zu Staat. Dieser Schadensersatz kann zum Teil sehr hoch sein und ist in der Regel für die aus
der deutschen Presse bekannten hohen Schadenssummen in den USA verantwortlich. Die Höhe hängt von der Art
der unerlaubten Handlung, dem Ausmaß des entstandenen Schadens und den Vermögensverhältnissen des
Beklagten ab, muss aber nach der Rechtsprechung in einem vernünftigen Verhältnis zum tatsächlichen Schaden
stehen. Einige Staaten haben zudem Höchstgrenzen für den Strafschadensersatz oder erkennen nur einen Teil der
Summe dem Kläger zu, in Georgia behält der Staat beispielsweise 75% des Strafschadensersatzes ein. Die
Begrenzung des Strafschadensersatzes ist ein Hauptziel der Befürworter einer Deliktsrechtsreform in den USA.
6. Verteidigungsmöglichkeiten
Zunächst ist bei allen Klagearten zu beachten, dass der Kläger grundsätzlich die Beweislast für alle
Tatbestandsvoraussetzungen trägt, wobei die Zahl dieser Voraussetzungen und damit auch der Beweisaufwand je
nach Haftungsgrundlage unterschiedlich ist. Wenn es dem Beklagten gelingt, den Beweis des Klägers für auch nur
eine der Voraussetzungen zu erschüttern, wird die Klage abgewiesen. Daneben gibt es eine Reihe weiterer
Verteidigungsmittel gegen eine Produkthaftungsklage, die zum Teil von der Haftungsgrundlage abhängen (u.U. aber
in den zugrundeliegenden Fakten ähnlich sind) und zum Teil bei allen Haftungsgrundlagen gleich sind.
6.1 Gefährdungshaftung (strict liability)
Es gibt zwei Arten von Verteidigungsmitteln gegen Klagen aus Gefährdungshaftung: Auf dem Produkt basierende
Verteidigungsmittel, wie Veränderung (modification) oder Fehlgebrauch (misuse), und auf einem Verhalten des
Klägers basierende, z.B. Risikoübernahme.
Eine Veränderung des Produkts (z.B. durch Entfernen von Schutzvorrichtungen oder Verbindung mit nicht
vorgesehenen Bauteilen) lässt sich der Klage dann entgegenhalten, wenn sie Ursache des Schadens ist und an dem
Produkt vorgenommen wurde, nachdem es den Kontrollbereich des Beklagten verlassen hat.
Fehlgebrauch ist eine sachfremde Nutzung des Produkts zu einem nicht dafür vorgesehenen Zweck und kann
vorhersehbar oder unvorhersehbar sein. Vorhersehbarer Fehlgebrauch (z.B. mit einem Auto zu schnell fahren) bietet
dem Hersteller keine Verteidigungsmöglichkeit, aber unvorhersehbarer Fehlgebrauch (z.B. eine als Hammer
benutzte geladene Pistole), kann den Hersteller von der Haftung befreien. Diese Einrede steht nicht nur bei der
Gefährdungshaftung, sondern auch bei der vertraglichen Haftung zur Verfügung.
Die wichtigste auf dem Klägerverhalten basierende Verteidigungsmöglicheit gegen Gefährdungshaftung ist die
Risikoübernahme. Um sie zu beweisen muss der Beklagte nachweisen, dass der Kläger das Risiko kannte, das sich
letztlich in seinem Schaden verwirklicht hat und dieses Risiko freiwillig eingegangen ist. Wenn beispielsweise ein
Schlachter weiß, dass ein Fleischschneidegerät ihn verletzen kann, wenn er die Klinge berührt und die
Schutzvorrichtung entfernt, um das Gerät zu reinigen während es in Betrieb ist und dabei einen Finger verliert,
handelt es sich um eine Risikoübernahme.
6.2 Fahrlässigkeit (negligence)
Die wichtigste Verteidigungsmöglichkeit gegen eine auf Fahrlässigkeit gestützte Produkthaftungsklage ist, dass auch
der Kläger fahrlässig zur Verursachung des Schadens beigetragen hat (Mitverschulden).
Es gibt zwei verschiedene Arten dieser Verteidigungsmöglichkeit. Die erste und älteste ist contributory negligence.
Nach dieser Doktrin hat der Kläger überhaupt keinen Anspruch, wenn er auch nur ein bisschen Schuld an seiner
Verletzung trägt. Wenn also der Beklagte den Schaden zu 99% verursacht hat, der Kläger zu 1%, verliert er
dennoch.
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Wegen der offensichtlichen Ungerechtigkeit dieser Doktrin wurde die Lehre der comparative negligence geschaffen.
Danach hängt die Höhe des zuerkannten Schadensersatzes von dem Anteil an der Schadensverursachung ab.
Diese Lehre oder eine Abwandlung davon wird inzwischen überwiegend angewendet, allerdings gibt es immer noch
eine Reihe von Staaten, die contributory negligence verwenden.
Mitverschulden ist von der Risikoübernahme bei der Gefährdungshaftung zu unterscheiden, denn Mitverschulden
bezieht sich auf den Grad der Fahrlässigkeit, die bei Gefährdungshaftung nicht relevant ist.
6.3 Verletzung einer Zusicherung (breach of warranty)
Gegen eine auf die Verletzung einer vertraglichen Zusicherung gestützte Produkthaftungsklage kommen eine Reihe
von Verteidigungmöglichkeiten in Betracht.
Voraussetzung für eine solche Klage ist ein Schuldverhältnis. Ohne ein Schuldverhältnis hat also die Klage keine
Aussicht auf Erfolg (lack of privity).
Zwischen den Parteien kann vertraglich vereinbart sein, dass ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz oder beseitigung von bestimmten Handlungen des Klägers abhängt, oftmals muss er innerhalb einer gewissen Zeit nach
dem Schadensfall den Beklagten benachrichtigen. Wenn er dies nicht getan hat, hat seine Klage keinen Erfolg
(failure to give timely notice).
Die Zusicherung ist häufig auf die Reparatur oder den Ersatz des fehlerhaften Produkts beschränkt. Solche
Beschränkungen sind wirksam, wenn sie den allgemeinen Anforderungen entsprechen (genaue Formulierungen
sollten mit einem Anwalt abgesprochen werden), ein Ausschluss der Haftung für Personenschäden ist allerdings
nicht möglich (limitation of remedies).
Auch der Einwand der Veränderung (modification) ist wie bei der Gefährdungshaftung möglich, denn sowohl bei
einer auf Gefährdungshaftung wie auch bei einer auf eine Verletzung der Zusicherung allgemeiner
Gebrauchstauglichkeit gestützten Produkthaftungsklage muss der Kläger beweisen, dass das Produkt des Beklagten
nicht merchantable war, also mangelhaft. Um eine Veränderung nachzuweisen muss der Beklagte das ursprüngliche
Design nachweisen, wie das Produkt verändert wurde und dass die Veränderung ursächlich für den Schaden des
Klägers ist.
Ebenfalls wie bei der Gefährdungshaftung ist der Nachweis einer Schadensverursachung durch unvorhersehbaren
Fehlgebrauch (unforseeable misuse) auch bei der Verletzung einer Zusicherung eine Verteidigungsmöglichkeit.
6.4 Weitere Verteidigungsmöglichkeiten
Auch wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der drei Haftungsgrundlagen gegeben sind, können einer Klage
verschiedene andere Verteidigungsmittel entgegengehalten werden.
Verjährungsregelungen legen fest, dass der Verletzte nach einer bestimmten auf den Zeitpunkt der Verletzung
folgenden Zeit nicht mehr klagen kann (statutes of limitation). Die Verjährung der Schadensersatzansprüche ist in
den Bundestaaten unterschiedlich geregelt und hängt auch von der Haftungsgrundlage ab. So verjähren z.B. im
Bundesstaat Georgia die Ansprüche aus unerlaubter Handlung in zwei Jahren und Ansprüche aus
Vertragsverletzung vier Jahren. In den meisten Staaten richtet sich der Beginn der Verjährungsfrist nach der sog.
discovery rule, nach der die Verjährung zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem der Kläger entweder wusste oder hätte
wissen sollen, dass er durch das betreffende Produkt einen Schaden erlitten hat.
Neben den Verjährungfristen gibt es noch weitere Fristen, die die Geltendmachung eines Anspruchs begrenzen, die
sog. statutes of repose (entsprechend § 13 des deutschen ProdHaftG). Anders als die Verjährungsfristen beginnt der
in den statutes of repose festgelegte Zeitraum mit der Herstellung oder dem Verkauf des Produktes und ist
unabhängig von dem Zeitpunkt einer möglichen Verletzung. Dieser Zeitraum ist normalerweise länger als der in den
Verjährungsregeln bestimmte und legt eine absolute Grenze für Produkthaftungsklagen fest.
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Auch eine fehlende Zuständigkeit (jurisdiction) des angerufenen Gerichts kann einer erfolgreichen
Produkthaftungsklage im Wege stehen. Um den Beklagten zu verurteilen, muss das angerufene Gericht sowohl für
die Materie (subject matter jurisdiction) als auch für den Beklagten (in personam jurisdiction) zuständig sein. Wenn
eine dieser beiden Zuständigkeiten nicht gegeben ist, kann vor diesem Gericht nicht gegen den Beklagten
vorgegangen werden. Um die Zuständigkeit des Gerichts für den Beklagten zu erreichen, muss der Kläger unter
anderem die Klageschrift zustellen (service of process).
Selbst wenn der ausländische Hersteller in den USA keinen Produktionsstandort oder kein Vertriebsbüro hat und
Waren „nur“ in die USA exportiert, kann dieses Geschäft des deutschen Unternehmens der amerikanischen
Gerichtsbarkeit unterliegen und in den USA verklagt werden. Denn nach dem Prozessrecht der meisten USBundesstaaten können ausländische Hersteller und Verkäufer auch dann in den USA verklagt werden, wenn sie
durch den Produktvertrieb in einem der Bundesstaaten geschäftlich tätig geworden sind.
7. Möglichkeiten der Verringerung des Haftungsrisikos im Vorfeld
Das beste Mittel, einer Produkthaftungsklage vorzubeugen ist natürlich, ein möglichst sicheres Produkt zu entwickeln
und herzustellen. In den USA sind Beratungsfirmen darauf spezialisiert, das Produkthaftungsrisiko durch
verschiedene produktorientierte Maßnahmen zu verringern.
Die Haftung für Sachschäden lässt sich weitestgehend vertraglich ausschließen (s.o. 3.1). Der Ausschluss von
Personenschäden ist jedoch sittenwidrig. Auch die Gefährdungshaftung lässt sich nicht ausschließen. Das
Herstellungsverfahren sollte überprüft werden und laufende Qualitätskontrollen durchgeführt werden, außerdem
sollten dem Produkt ausreichende und an den amerikanischen Verbraucher gerichtete ausdrückliche Warnungen,
Bedienungsanleitungen, Benutzerhinweise und Risikohinweise beigefügt werden. Die Einhaltung von gesetzlichen
Produktsicherheitsrichtlinien schließt eine Haftung nicht unbedingt aus, der Nachweis eines Verstoßes gegen solche
Richtlinien kann jedoch auf einen Produktmangel hinweisen. Dokumente und Materialien, die in einem
Produkthaftungsprozess relevant werden könnten, sollten sorgfältig aufbewahrt werden. Eine eigene
Tochtergesellschaft in den USA kann das Risiko einer Klage gegen das Mutterunternehmen in Deutschland
reduzieren, aber nicht ausschließen.
Eine Versicherungspflicht besteht nicht. Dennoch sollte eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen werden, die an
die speziellen Bedürfnisse und Risiken des amerikanischen Marktes angepasst ist. Sollte ein Schadensfall eintreten,
empfiehlt sich die sofortige Einschaltung des Versicherers und Rechtsberaters.
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