Frauen im Militär. Zur (De) Konstruktion pseudofeminist
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Frauen im Militär. Zur (De) Konstruktion pseudofeminist
Manfred Lauermann / Nadja Meisterhans Abstract Momentum (Sept/Okt 2010) Frauen im Militär. Zur (De) Konstruktion pseudofeministischer Emanzipationsideen. 1. Einleitung Im Jahre 1978 sprach sich die nicht nur in Deutschland bekannte, durchaus streitbare Alice Schwarzer als erste deutsche Feministin für den Einbezug von Frauen in die Bundeswehr aus. Das Argument war, dass Frauen in alle Machtbereiche1 - also auch im Militär inkludiert werden müssten2. Im Anschluss an Schwarzers Forderung folgte eine heftige Kritik aus den Reihen der damals noch explizit pazifistisch ausgerichteten feministischen sozialen Bewegung. Heute scheint das pazifistische Motiv im Feminismus hingegen kaum noch eine Rolle zu spielen. Denn seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vor 10 Jahren, werden Frauen im aktiven Militärdienst bei der Bundeswehr einbezogen, was auch in Teilen der feministischen Bewegung als Akt der Gleichstellung gefeiert wird. Auf der anderen Seite verdeutlicht die Skandalisierung des Todesfalls einer Soldatin auf dem Ausbildungsschiff der deutschen Bundeswehr Gorch Fock eine ungelöste Genderproblematik im militärischen Alltags-Betrieb, soweit nicht Schreibtisch- oder Sanitätsdienste „in der Heimat“ verlangt werden. Wir wollen in unserem Vortrag folgende Fragen aufwerfen: Kann der Einbezug von Frauen in das Militär damit als Ausdruck einer gelungen Emanzipation gewertet werden? Wenn die Empirie nahezu lückenlos den engen Zusammenhang von männerbündlerischen Kampfeinheiten mit (sie) konstituierender Misogynie aufzeigt, werden dann Frauen gezwungen, sich selbst zu entfremden, wenn sie militärischen Ritualen und Praktiken sich unterwerfen? Da historisch Frauen im Wesentlichen dann zu militärischen Formationen zugelassen werden, wenn Ersatz für fehlendes männliches Personal benötigt wird, kann diese soziale Zweitcodierung strukturell aufgehoben werden? Geraten nicht Männer in eine psychotische Identitätsdiffusion, wenn Frauen Teil des Militärs werden, ohne dass Frauen einen psychischen Gewinn deshalb erlangen können? 1 http://www.aliceschwarzer.de/publikationen/texte-von-alice/70er-jahre/frauen-ins-militaer-1978/ Darin folgt sie einem großen Vorbild: Emmeline Pankhurst. Vor 1914 hielt sie Frauen für weniger kriegswütig als Männer und hielt die Einführung eines Frauenwahlrechtes für den Garanten einer friedlicheren Welt, nach dem August 1914 änderte sie den Namen ihrer Zeitschrift von The Suffragette in Britannia und schlossen pazifistische Mitglieder aus ihrer WSPU aus. 2 1 Gegen diese Annahme spricht die hier zu diskutierende These, wonach sich Frauen möglicherweise auf unbewusste Weise mit einem Konzept androzentrischer Hegemonie identifizieren, was einen Ursprung in entfremdeten Anerkennungsbedürfnissen hat. Wir werden deshalb den Gedanken formulieren, dass die bloße Forderung nach Gleichberechtigung von weiblicher und männlicher Arbeit die besondere Form der hierarchischen Logik in der militärischen Arbeitsorganisation unterschätzt. Problematisch scheint hier insbesondere, dass Geschlechtsstereotypen nicht überwunden, sondern auf neue Weise normativ fixiert werden. Die Integration der weiblichen Arbeitskräfte wird nach der Überwindung der biologischen Naturalisierung des Sozialen allgemein als unproblematisch gesehen, die im common sense vorhandene, aber auch von bestimmten feministischen Diskurse gestützte Plausibiltät ist hier, das weibliches Verhalten auf produktive Weise männliches ergänzen könne. Möglicherweise wird dabei jedoch die Gefahr übersehen, dass das neue weibliche Geschlechtsmodell einer differenzeinebnende Kategorie entspricht, die weiterhin einer männlich-hegemonialen Logik insofern entspricht, als die Frau nur als das spiegelbildlich Andere fixiert wird3. Es scheint an dieser Stelle die Vorstellung nicht abwegig, dass das neue Frauenbild der Soldatin letztlich nur eine (schlechte) Kopie des männlichen Pendants sein könnte. Auffällig ist zunächst, dass die Inklusion von Frauen in das deutsche Militär, als institutioneller Unfall betrachtet werden muss. Auschlaggebend hierfür waren einerseits die Gerichtsurteile des Europäischen Gerichtshofs4, die das Gebot der Antidiskriminierung herausstellten und andererseits die Angebotsverknappung an männlichem Personal (ergo funktionale Notwendigkeiten). Vor dem Hintergrund dieses Umstands werden wir im folgendem in Perspektive der feministischen Psychoanalyse5 mit diesem Phänomen befassen und entgegen der Annahme einer geglückten Gleichstellungspolitik die durchaus provokative These formulieren, dass es sich an diesem Punkt um einen feministischen Phyrussieg handeln könnte, der verschleiert, dass die Motivation von Frauen sich an dem Militär zu beteiligen nicht etwa einer Emanzipation von der hegemonialen Männlichkeit entspricht. Vielmehr – so unsere Überlegung – könnte es sich um ein Phänomen der unbewussten Identifikation (mit der männlichen Hegemonie) handeln, die von dem Impuls getrieben ist, die über Generationen 3 Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Reinbek 1992 Urteil des EuGH in der Rechtssache C-285/98 5 : J. Benjamin: Fesseln der Liebe, Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht, Frankfurt am Main sowie Im Schatten des Anderen, Frankfurt a. Main/Basel; N. Chodorow, The reproduction of Mothering, Berkerly, 1978; J. Butler: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, 2001, Frankfurt a. Main 4 2 antrainierten weibliche Ohnmachtsgefühle auf selbst- bzw. autonomienegierende Weise zu kompensieren. So betrachtet emanzipieren sich Frauen nicht von, sondern verschmelzen sich mit androzentrisch verkürzten hierarchischen Vorstellungen von Macht und Herrschaft. Diese Annahme werden wir zunächst mit einer prima facie sicherlich ungewöhnlichen Analogie verdeutlichen, nämlich der Inklusion und vermeintlichen Aufwertung von Frauen in im Kontext der Mafia. Es handelt sich hier um eine systembedingte funktionale Notwendigkeit aufgrund der weibliches „Personal“ inkludiert wird. Im Anschluss wenden wir uns der Bundeswehr zu und formulieren die These, dass die Inklusion von Frauen wie in der Mafia nicht aus einer intrinsischen Anerkennungsbereitschaft resultiert, sondern weibliche Anerkennungsbedürfnisse im Sinne der Funktionslogik des jeweiligen Systems instrumentalisiert werden. In diesem Zusammenhang überlegen wir, warum Frauen zu engagierten Mittäterinnen werden. In einem weiteren Schritt werden wir die Frage der stereotypisierten Geschlechterrollen diskutieren. Beide Geschlechterbilder verfügen über einen Rollenset: weiblich = schwach, klein, sanft, passiv; männlich: stark, groß, aggressiv, aktiv. Diese Rollen können angenommen oder abgelehnt werden, sie können als Selbstbeschreibung oder als Fremdbeschreibung fungieren. Wir werden in diesem Zusammenhang einen Exkurs in die Kulturindustrie des Hollywoods vornehmen und verdeutlichen, wie neue Rollenbilder fixiert werden, die auch zu einer gesellschaftlichen Akzeptanz weiblicher Soldatinnen beitragen. In einem weiteren Schritt wenden wir uns der Bundeswehr zu und verdeutlichen wie der Genderdiskurs instrumentalisiert wird. Im Anschluss wenden wir uns einer psychoanalytischen Dekonstruktion zu, die zum Ziel hat das Andere der Frau als einen emanzipierten und subversiv angelegten Gegenentwurf zu diskutieren, der durch einen grundlegenden Abstand zu narzisstisch infiltrierten Größenphantasien gekennzeichnet ist. Diese entspräche dem Entwurf einer sozialen Gegenlogik, der mit Blick auf unsere Beispiele Ideen gewalt- und hierarchiebezogenen Anerkennungsgenese sabotiert. Wie plädieren damit für eine Konzeption des Anderen, die einen kollektiv imaginierten, aber differenzwürdigenden Code der Anerkennung in Aussicht stellt. 3 Beginnen wir also mit unseren ersten These: Phänomene der Pseudoemanzipation entstehen, wenn pathologische Anerkennungsbedürfnisse bestehen, die instrumentalisiert werden. 2. Die Mafia als System der Pseudoemanzipation (Nadja Meisterhans) Die Mafia ist das Paradebeispiel chauvinistisch organisierter, Ressentiment beladener Männerbünde. Bedenkt man etwa, dass Frauen in den Mafiaerzählungen nur als passive Elemente auftauchen, nämlich als Entweder als Objekt oder als Opfer6, wird die Exklusion und Geringschätzung von Frauen schnell deutlich. Frauen stehen im Verdacht labil und nicht belastbar zu sein, was im ideologischen Selbstverständnis androzentrischer Macht als Hinweis auf die Notwendigkeit besonderer sozialer Kontrolle bewertet wird. Diese Kontrolle wird aber nicht nur in Form brutaler Unterdrückung vollzogen, sondern durchaus paternalistisch gerahmt und als Schutzfunktion gerechtfertigt. Zugleich treffen Männer (nicht nur in der Mafia) auf weibliche Ermöglichungsstrukturen, auf die wir gleich noch zu sprechen kommen. Das Postulat eines besonderen Schutzbedürfnisses der Frauen ist somit nicht Ausdruck der Wertschätzung den man(n) der Frau als Ehefrau, Freundinnen oder Tochter entgegen bringt, sondern dient der Rechtfertigung männlicher Hegemonie. Die männliche Hegemonie manifestiert sich hier insbesondere in den in Macho-Erzählungen auf narzisstische Weise zelebrierten Omnipotenzinszenierungen, die gleichsam essenzieller Teil von metaphorisch ausgelebten Männlichkeitsphantasien sind7. Diese Erzählungen verschleiern jedoch, dass Frauen durchaus aktiv an Gewalthandlungen beteiligt werden. Die Beteiligung von Frauen ist wiederum das Resultat der spezifischen Anforderung im kriminellen System. Denn Frauen arbeiten in der Mafia als Informantinnen, Kommando-Übermittlerinnen und sind Mitwisserinnen. Frauen agieren als Zentrum in der Mafiafamilie, etwa, wenn der Ehemann oder Sohn im Gefängnis sitzt: Sie rufen zur Denunziation auf, veranlassen Tötungen, sühnen auf Rache – etwa, wenn die Tochter in der Folge von Ausschreitungen im Kontext von rivalisierenden Mafiabanden vergewaltigt wurde. Hier haben sie durchaus eine treibende, motivierende, und auch gewalttätige Rolle. Frauen sind damit aktive Mittäterinnen im 6 Renate Siebert: Donnedi mafia. Affermazione di un pseudo-soggetto femminile. Il caso della ‘ndrangheta. Giovanni Fiandaca (Hg.): Donne e mafia. Il ruolo delle donne nelle organizzazioni criminali. (engl. Berlin 2007; cap.2) 7 N. Meisterhans: Perspektiven einer geschlechter- und kultursensiblen Theorie? Zum Zusammenhang von phantasievoller Narration und konkreter Utopie, Beitrag auf der Konferenz Re-imaging Gender and Politics: Transnational Feminist Interventions am 27.-28. November 2010 an der Goethe Universität in Frankfurt, unveröff. Manuskritpt 4 System. Und dennoch werden sie auch hier nur als Objekte wahrgenommen, in denen die Ehre des Klans, des Mafiaboss, des Ehemanns usw. im Vordergrund steht8. Frauen sind aktiv, aber sie sind nicht autonom, denn sie agieren nur im Rahmen festgelegter und fremdbestimmter Rollen. Die Frage, die sich im Anschluss an diese Ausführungen stellt ist: Wodurch entsteht die weibliche Motivation zur Mittäterschaft? Insbesondere in einem System, in dem Frauen über Generationen mit brutaler – häufig sexueller Gewalt gefügig gemacht wurden und es immer noch werden? Unsere Antwort lautet: Frauen werden Mittäterinnen, um sich aufzuwerten. Eine neue empirische Arbeit zu Gewalt von „Mädchen“, die trotzdem kategorisch und faktisch von der Gewalt der männlichen Jugendlichen unterschieden werden muss, spricht treffend von einem „Kampf um Anerkennung“. 9 Damit lässt sich folgendes Bild zeichnen: Gerade, weil Frauen über Generationen unterdrückt wurden, sind sie auf besondere Weise anerkennungsbedürftig und lassen sich instrumentalisieren. Vereinfacht formuliert ist die Überlegung hier, dass aus Opfer Täter werden, bzw. die Grenze zwischen Opfer und Täterrollen, das gilt übrigens auch für Männer, in solchen Fällen nicht trennscharf ist. Das heißt genauer, dass die Opfer, um den eigenen Unterdrückungszustand besser ertragen zu können, ihn verdrängen. Die Verdrängung gelingt durch die Abspaltung der Ohnmachtsängste und dadurch, dass sie sich mit den unterdrückenden Strukturen zu verschmelzen. Bevor wir mit dieser gedanklichen Bewegung fortschreiten, soll das Phänomen der Verschmelzung kurz erläutert werden: Die Verschmelzung kann grundsätzlich in zweierlei Hinsicht vollzogen werden. Im einen Fall wird die Opferrolle resignativ-depressiv angenommen und Ohnmachtsängste masochistisch ausgelebt. In diesem Zusammenhang kann von Unterdrückung ermöglichenden Strukturen ausgegangen werden, da der Unterdrücker/der unterdrückte Zustand in Perspektive einer Ausweglosigkeit akzeptiert wird.10 Ausschlaggebend sind hier sozial erlernte Opferrollen und nicht selten über Generationen tradierte Erfahrungen der Hilflosigkeit und/oder Traumatisierungen. 8 Renate Siebert: Donnedi mafia. Affermazione di un pseudo-soggetto femminile. Il caso della ‘ndrangheta. Giovanni Fiandaca (Hg.): Donne e mafia. Il ruolo delle donne nelle organizzazioni criminali. (engl. Berlin 2007; cap.2) 9 Claudia Equit: Gewaltkarrieren von Mädchen : der "Kampf um Anerkennung" in biografischen Lebensverläufen . Wiesbaden 2011 10 An dieser Stelle wäre auf Helene Deutsch zu verweisen, die Frauen in (militärischen) Gewaltverhältnisse als Perversionsmodi wahrnahm und in diesem Zusammenhang ein eigenständige These vom weiblichen Masochismus entwickelt hat, heute wunderlicherweise weitgehend in Vergessenheit geraten ist vgl. Helene Deutsch: Psychologie der Frau; 1. Band Bern 1948. In der aktuellen Diskussion wird diese These insofern relativiert als von tradierten Ermöglichungsstrukturen gesprochen wird. 5 Im anderen Fall werden Ohnmachtsängste wiederum abgespalten. Dies gelingt, indem der Unterdrückungszustand/der Unterdrücker idealisiert wird (Stockholm Syndrom11) oder aber die Opferrolle – wie unsere Beispiele nahelegen – durch die Mittäterrolle “kompensiert“ wird. Motiviert ist die Teilnahme an der Gewalthandlung also durch das Bedürfnis, die eigene Position (scheinbar) aufzuwerten. In diesem Fall ist der weibliche (wie auch der männliche) Masochismus nicht als statisches Phänomen zu betrachten, denn Frauen handeln als Mittäterinnen (wie gerade auch Studien zum Phänomen der KZ-Wärterin eindrücklich illustrieren) nicht weniger sadistisch als Männer.12 Halten wir also fest: Ausschlagegebend für das Ausleben von Gewaltexzessen sind nicht biologisch codierte Ermöglichungsstrukturen Geschlechtseigenschaften, der sondern machtasymmetrischen, sozial praktizierte hegemoniekonstitutiven und Machtverhältnisse reprozierenden Anerkennungsgenese: Die Frau ist in der traditionellen Sichtweise (wohlbemerkt nicht nur in der Mafia) durch Klischees der Mütterlichkeit und Friedfertigkeit auf die Rolle des Opfers fixiert, in denen weibliches Gewalthandeln schlicht nicht vorstellbar ist und, wenn es doch auftaucht, wird es pathologisiert und auf besondere Weise skandalisiert13. Dies ändert sich jedoch schlagartig, wenn systemfunktionale Engpässe entstehen (etwa weil der Ehemann und Mafiaboss in das Gefängnis kommt, oder zu wenig männliches Personal auf dem Arbeitsmarkt ist). Nun „dürfen“14 Frauen gewalttätig werden aufgrund spezieller machtsystemisch und funktional bedingter Lücken und nicht selten erleben Frauen dies vordergründig als Chance, ihr „Können“ unter Beweis zu stellen oder als Verpflichtung der Familie des Klans gegenüber. Analog dazu wird im Militär das Vaterland als Familie imaginiert. Frauen agieren dann nicht weniger sadistisch und gewalttätig als Männer. Es gibt Fälle in denen Frauen an Vergewaltigungen aktiv beteiligt werden, entweder indem sie die Vergewaltigung rechtfertigen oder sie gar mit initiieren (im Sinne eines Aufrufs zur Vernichtung des Feinds. (Ein Beispiel ist hier die ruandische Ministerin, die zur Massenvergewaltigung aufgerufen hat). Die aus dem Schuldgefühl des Opfers entstehende Auto-Aggression (Selbstvorwurf) sich 11 Bekannt ist das Stockholm-Syndrom als Phänomen, bei dem Opfer von Geiselnahmen Ohnmachstängste dadurch abspalten, indem sie den Entführer idealistisch verklären. Das Opfer kooperiert dann mit dem Täter. 12 C. Thürmer-Rohr: Frauen in Gewaltverhältnissen – Zur Generalisierung des Opferbegriffs, in: Studienschwerpunkt Frauenforschung am Institut für Sozialpädagogik der TU Berlin (Hrsg.), Mittäterschaft und Entdeckungslust,1988 , Berlin, S. 22-36; F. Haugg: Opfer oder Täter. Über das Verhalten von Frauen, In: Opfer oder Täter? Berlin, ArgumentStudienhefte 46, 1981, S. 4-12 13 Hierzu erneut Renate Siebert: Donnedi mafia. Affermazione di un pseudo-soggetto femminile. Il caso della ‘ndrangheta. Giovanni Fiandaca (Hg.): Donne e mafia. Il ruolo delle donne nelle organizzazioni criminali. (engl. Berlin 2007; cap.2) 14 Vielmehr müssen sie es… 6 nicht gewehrt zu haben wird nun umgeleitet in eine Fremdaggression, die nicht zufällig an anderen Frauen ausgelebt wird. Zusammengefasst kommen wir damit zu folgendem Ergebnis: Frauen werden erstens aufgrund systemischer Lücken und Anforderungen instrumentalisiert und lassen sich zweitens aufgrund pathologischer Anerkennungsbedürfnisse instrumentalisieren. Und um hier nicht missverstanden zu werden. Das gilt freilich auch für Männer, die sich mit Männlichkeitsideologien identifizieren. Auch sie sind von Ohnmachtsängsten geplagt und neigen deshalb zu Omnipotenzinszenierungen, die mit dem Bedürfnis einhergehen, Frauen zu degradieren.15 Wir kommen auf diesen Zusammenhang am Beispiel sexueller Belästigungen in der Bundeswehr zurück. Psychoanalytisch betrachtet kann an dieser Stelle zunächst gefolgert werden: Männliche wie weibliche Omnipotenzinszenierungen dienen grundsätzlich dazu, Ohnmachtsängste abzuspalten. Ohnmachtsängste werden wie gerade unser Mafiabeispiel zeigt in RetterHelden- und Schützerphantasien16 verkleidet oder in diesem Zusammenhang in Männerbünden im Rahmen von Initiationsriten (die von kollektiven sexuellen Belästigungen bis hin zu Massenvergewaltigungen reichen) ausgelebt. . 3. Differenznegierung auch im Militär (Nadja Meisterhans) Die Diskussionen über das neue Frauenbild auch im Kontext des Militärs verschleiern damit, dass es sich hier nicht um Alternativentwurf zu Stereotypen handelt, sondern stattdessen um die Konstruktion einer neuen Stereotypie. Es wird also eine differenznegierende Konzeption des Anderen formuliert, in der, um es mit Simone de Beauvoir zu formulieren17, der soldatische Mann als das absolute Subjekt gesetzt ist, während der Frau die Rolle der statischen Anderen, des Objekts zugewiesen wird. Zwar ist die Frau nun nicht mehr nur Sanitäterin und Bürokraft, gleichwohl wird die Konzeption der Soldatin weiterhin in Abhängigkeit zum Soldaten definiert. Wir argumentieren, dass diese Konzeption des Anderen affirmativ ist und damit von einem offenen Begriff des Anderen, der als Projektionsfläche für vielfältige Selbstkreationen Emanzipationsforderungen fungieren kann, unterschieden werden muss18. 15 Rolf Pohl: Feindbild Frau, Hannover, 2004 Man denke hier an den Mafiaboss, der seiner Frau empfiehlt, ihm widerstandslos zu folgen, da es in ihrem eigenen Interesse sei. Ähnlich verhält es sich mit Erzählungen, in denen herausgestellt wir, was aus ihr werden würde, wenn er sie nicht schützen würde. 17 Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Reinbek 1992 18 So auch eine Idee in: Nadja Meisterhans: Emanzipationserzählung und Anerkennung. Perspektiven einer feministischen kritischen Theorie, Habilitationsprojekt 16 7 Unsere These ist also, dass Emanzipation und Autonomie gerade bedeuten, aus der Masochismus- Sadismus- Dialektik auszusteigen. D.h.: Autonomie bedeutet gerade bestehende Hegemonien zu sabotieren und nicht etwa sie aufgrund von pathologischen Anerkennungsbedürfnissen zu stabilisieren und wieder in die Rolle des Opfers/Masochist oder des Täters/Sadist zurück zu verfallen. In diesem Lichte ist die Annahme zu verstehen, dass das Bestreben Soldatin (wie auch Soldat zu werden), aus Anerkennungsbedürfnissen entsteht, die gerade nicht Ausdruck von Autonomie sind. Frauen passen sich vielmehr aus tradierten Ohnmachtsängsten an männliche Hegemonievorstellungen (und Omnipotenzinszenierungen) im Kontext des Militärs an. Die Frau als Soldatin sucht damit ähnlich wie der Soldat unter dem Postulat der Selbstverwirklichung Anerkennung in der Hierarchie, anstatt das System hierarchischer (und damit autonomienegierender) Anerkennungszuweisung grundlegend zu hinterfragen. Dies scheint gerade ein Problem in der militärischen Hierarchie zu sein, gerade weil die militärische Disziplin die In-Fragestellung von zugewiesenen Rollen kategorisch verbietet. 4. Exkurs: Zur Konstruktion der Soldatin in der Kulturindustrie (Manfred Lauermann) Hier wollen wir erneut eine ungewöhnliche Analogie herstellen, die verdeutlicht wie neue Stereotypen auch in der Filmindustrie hergestellt werden, die in einem breiteren gesellschaftlichen Diskurs das Genderanliegen einer Gleichberechtigung pervertieren. Damit wollen wir verdeutlichen, wie Bilder von Soldatinnen konstruiert werden, die androzentrische Ressentiments reproduzieren. Um diese Bilder, die eine schlichte Identitätsbehauptung suggerieren – weibliche Folterinnen = männliche Folterinnen – einordnen zu können, soll nun also die Bilderwelt rekonstruiert werden, die amerikanische TV-Serien und B-Pictures kulturindustriell erzeugen. Das Argument ist hier, dass mit der medialen Normalisierung fiction as reality und umgekehrt, eine erwartbare Verzerrung feministischer Anliegen einhergeht. Das Beispiel ist hier der Hollywood Film die Akte Jane. Zum Plot: Die Erzählung ist die von einem weiblichen Leutnant (Demi Moore), der durch eine amerikanische Senatorin protegiert als erste Frau an einem brutalen Ausbildungsprogramm einer amerikanischen Einheit teilnimmt. Dabei trifft sie auf massiven Widerstand und kann sich aber doch bewähren als sie ihrem Ausbilder heldenhaft das Leben rettet. 8 Auf die Akte Jane (Scott 1997) ist auch, wie die meisten (männlichen) Filmkritiker, van Creveld schlecht zu sprechen: Trash & Hollywood. Warum Demi Moore in ihrer Rolle als G.I. Jane zur schlechtesten Schauspielerin des Jahres gewählt wurde, stimmt nachdenklich bei dem Überangebot grottenschlechter Hollywood-Darstellerinnen 1997. Der Punkt ist, dass der Film die unausweichliche Vermännlichung einer Frau als deren Selbstprogramm demonstriert: Sie protestiert, nachdem sie erfährt, dass ihre sportliche Leistungsnormen für sie heimlich herunter gesetzt wurden; sie emanzipiert sich, indem sie einen Schleifer anbrüllt: Lutsch mir meinen Schwanz; sie modelliert sich durch radikale Abschneiden ihrer weiblichen langen Haare – als Kastration zelebriert, sie unterwirft sich einem männlichen Muskeltraining in Richtung Bodybuilding. Ein irritierende Körperelement bleibt: Anders als die Köpermaße der Fußballerinnen, die neuerdings stolz sind, von den Medien den Männern gleichgestellt zu werden, anders als die der Leistungssportlerinnen (Leichtathletik z. B.) dem Augenschein nach, wird in Moore eine Schauspielerin mit für sportliche Frauen ungewöhnlich sehr großer Oberweite ausgewählt. Vermutlich wie bei Angelina Jolie in Lara Croft, die zudem noch einen Push-Up BH anziehen muss, - was Jolie im Interview als großes Bewegungsproblem in ihren Kampfszenen reflektiert - ,vergleichbar mit dem legendären BH von Jane Russell aus den 40ern, wird hier auf männlichen Voyeurismus spekuliert: Trotzdem wird ein grundlegendes Faktum einer explizit nichtmännlichen Körperlichkeit 19umcodiert in ein Feld, welches sonst einzig männliche Geschlechtskonstruktionen anerkennt, dem die Frauen sich zu unterwerfen haben. Die Künstlichkeit dieser Kombination: weiblicher Busen und männlicher Körper, ist noch sinnfälliger in dem der Verfilmung um Jahre vorausgehenden Videospiele, die durchaus den busenbetonten Körper in Akte Jane stimuliert haben könnten. Verstärkt das nicht den Eindruck einer Paradoxie, dass weibliche Körper nicht männlich normalisierbar sind? Anders wird in Luc Bessons Nikita (1990) diese Paradoxie entfaltet: Nikita (gespielt von Anne Parillaud) scheint eine kriminelle männliche Aggressivität einzuwohnen, was den Staat, nachdem sie Polizisten ermordet hat, reizt, sie zu einer ProfiKillerin auszubilden. Kein weibliches Attribut stört ihre Ausbildung zur Kampfmaschine, obwohl sich herausstellt, dass ihre schwerste Aufgabe nicht das Verprügeln von Kampfsporttrainern oder das Abknallen von Menschen ist, sondern das Erlernen vom Schminken und gehen auf hohen Schuhen, was sie als Tarnung sich antrainieren muss, um als 19 9 Fatum und oder Symbol? Vgl. Helene Deutsch: Psychologie der Frau; 2. Band. Basel 2005, Abs. VIII. Frauenrolle unauffällig ihrer Profession als Killerin nachgehen zu können, weil der Gemeinverstand sich gewöhnlich nur Männer in diesem Beruf vorzustellen vermag. Doch kaum funktioniert ihre Vermännlichung perfekt, stößt sie Besson in den Kitsch einer „Liebe auf den ersten Blick“, die schwerste Symptome einer vorpubertären Symbiose aufweist, vollständig einem sie in jeder Beziehung als dominierend dargestellten Manne hingegeben, der selbstredend auch in seinen „weiblichen“ Eigenschaften (Einfühlung, Empathie, Mitleiden – kein Klischee wird ausgelassen) ihr mannshoch überlegen ist. Was die Filme eint ist ein ideologisches Projekt; dass sie in die in das Paradoxien der Geschlechtszuweisungen stecken bleiben liegt an ihrem Gegenstand: Militär und Gewalt, die männlich/weibliche Codierung, die sie auf der Oberfläche unterlaufen wollen, wird im Zuschauer bestärkt, statt irritiert. Mit Oppenheimer darf als Hypothesen angenommen werden: • „Das Militär als patriarchale Institution stützt sich auf eine bestimmte Position für Männlichkeit, ist somit als Konstitutionsrahmen für männliche Identität zu denken, Frauen werden als internes Feindbild missbraucht.“ • „Für die Produktion des Kriegerisch-Männlichen ist das Friedvoll-Weibliche unabdingbares Korrelat.“ • „Der Grundgehalt jeder militärischen Ideologie arbeitet mit Sexismen, Rassismen und abwertenden Obszönitäten.“ • „Krieg sind sexualisiert und basieren auf einer Verknüpfung mit Heterosexualität, die sich sprachlich und materiell in Handlungen formiert.“ • „Abwertung erfährt der Soldat, indem er für Versagen, Angast, schwäche, leiden direkt selbst feminisiert wird.“ (171)20 Soweit die Kino-Bilderwelt von bewaffneten Elitekämpferinnen, die ambivalente Signifikanten als Angebote zur Vermännlichung offerieren. Zurück zur Realität und ihren symbolischen Prägemustern im Kontext des Tokenism. 20 Aus dem Fazit des Kapitels VII, in: Christa Oppenheimer: Anerkennung, Missachtung und Gewalt. Anerkennungstheoretische Reflexionen am Beispiel Frauen- und Heiratshandel sowie Vergewaltigung als Kriegspraxis. Königstein/Taubus 2006, S. 186. 10 5. Zur Bedeutung des Tokenism (Manfred Lauermann) Im alten chinesischen Denken aus der Zhou-Zeit [I Ging] wird der sinnlich wahrgenommene Gegensatz bereits abstrakter als Naturmodell behandelt: beide Elemente können nur als Einheit bestehen, würde die eine Seite die andere vernichten, verfiele sie somit ebenso dem Nichts. Als Einheit wirken sie grundsätzlich als Widerspruch, was bedeuten kann, dass die eine Seite die Stärken der anderen in sich aufnimmt oder umgekehrt von den Schwächen affiziert wird. Systemtheoretisch lässt sich dies wie folgt beschreiben: Da selbstredend in der Moderne die „doppelte Kontingenz“ (Parsons) unhintergehbar ist, kann/muss frau sich in mann hineincopieren, sich selbst mit den Augen des anderen, quasi verfremdet spiegeln. In Großorganisationen wird auf das erzwungene Nachziehen eines Subsystems unter die Imperative der Moderne (Gleichberechtigung) mit manifester oder latenter Abwehr reagiert. In militärischen Befehlshierarchien darf sich männliche Verweigerung gegenüber einer befohlenen Gleichberechtigung, welche als Ideologie empfunden wird, nur entstellt geschehen. Die Reaktion der überwältigten Institution ist „Tokenism“ (= manipulierte und anerkannte Sonderrollen) und eine systemspezifische Pädagogik (Gender-Training). Die Funktionszuschreibungen der Institution, die klassische Dienstleistungsrollen generieren, die Reproduktion von Karrieren, die höhere Dienstgrade nur einem verschwindend kleinen Teil der Soldatinnen mehr symbolisch gestattet, werden ebenso wie der sehr geringe quantitative Anteil von Frauen in kämpfenden Einheiten bewusst verdunkelt. Soziologisch wird diese Faktizität also unter dem Stichwort Tokenism21 analysiert. „So könne schon anhand der quantitativen Zusammensetzung einer Organisation die Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen analysiert werden. Der Hintergrund des Tokenism ist wiederum, dass bei einem Anteil einer spezifischen Gruppe innerhalb einer Organisation unter 15 Prozent nicht von einer Integration gesprochen werden kann. Die Voraussetzung des Tokenism ist beispielsweise dann gegeben, wenn ein System aufgrund äußeren Drucks die Aufnahme einiger weniger Vertreter einer bisher ausgeschlossenen Schicht zulässt. Diese werden als „Token" bezeichnet, „because they are often treated as representatives of their category, as Symbols rather than individuals". (Kanter 1977: 966) Die zahlenmäßig dominante Gruppe verbleibt aber weiterhin in der Situation, den Gesamtkontext und die Organisationskultur nach seinen Maßstäben zu gestalten. [...] Als Minderheit können Token bestimmten Konstellationen ausgesetzt sein, die durch folgende Merkmale gekennzeichnet sind: 21 Gerhard Kümmel/Ines-Jacqueline Werkner (Hg): Soldat, weiblich, Jahrgang 2001(Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr ) Strausberg 2003, bes. 82.ff. ; Rosabeth Moss Kanter: Some Effects of Proportions on Group Life: Skewed Sex Ratios and Responses to Token Women. American Journal of Sociology. S.965-990. 11 (1) Visibilität: Frauen in Männerberufen erfahren als Minderheit eine höhere Aufmerksamkeit. Jeder ihrer Schritte wird in ungleich intensiverer Weise registriert und kommentiert. Und das erhöht den Leistungsdruck, der auf den Token lastet. (2) Polarisierung: Die geschlechtlich dominante Gruppe neigt dazu, Unterschiede zu akzentuieren, Abgrenzungen aufrechtzuerhalten und Distanzen zu schaffen, auch dort, wo an sich Gemeinsamkeiten überwiegen. (3) Assimilation: Anhand stereotyper Bilder werden die Token in erster Linie nicht als Individuum, sondern als Vertreter ihrer Kategorie gesehen. „The characteristics of a token tend to be distorted to fit the generalization." (Kanter 1977: 971) Assimilierung wird hier im Sinne einer Rollenfestschreibung verstanden“.22 Die Token – hier die Frauen in den Armeen – können diese Muster beginnen zu durchschauen und sie dann paradox imitieren (eine interessante Erkenntnis der postcolonial studies besonders von Gayatri C. Spivak). Da sie als Frauen beobachtet werden, können sie weibliche Ausdrucksformen übertreiben, um Männer in die falle zu locken, entweder ihnen zu helfen oder sie als frauen verbal zu attackieren, was ihnen befehlsmäßig verboten ist. Im Gemeinschaftserlebnis können Männer in eine psychotische Schieflage getrieben werden, weil sie die Männlichkeitsrituale verstecken müssen oder noch schlimmer: verwässern und weil permanent Überläufer entstehen, die wegen des Angebots einer geschlechtsneutraleren Vergemeinschaftung abtrünnig werden. (Eine vorgreifende Nebenbemerkung sei an dieser Stelle gestattet: Dieses ist der Hauptplot der Filme mit Polizeirevieren). Weil sie entindividualisiert werden, können sie Individualismusstrategien praktizieren, indem sie es Männer mit gleicher Münze “heimzahlen“. Sie können das Andere als entfremdet Andere vorführen, während sie den offiziellen Machtdiskurs der Gleichberechtigung gegen ihre Zuschreibung als Nicht-Männer einsetzen. Entziehen ihnen die Soldaten ihre Individualität, so können sie sie als das behandeln, was sie nach Befehl und Eigeneinbildung nicht mehr sein dürfen: Männer, die ihr Ich gegen Frauen zwanghaft stabilisieren, um nicht in eine Identitätsdiffusion zu geraten. Ob aber Frau ihre Rolle aus Provokation spielt, um stereotype Männerrollen zu generieren, oder ob sie so „minderwertig“, aus der Optik der Männer gesehen, wie eben Frauen ihrer Fremdzuschreibung normativ zu sein haben , dieses bleibt ein agonales Kampffeld unterschiedlicher politischen Geschlechterpraktiken. Damit ergibt sich ein Programm, das unsere weitere Argumentation untergründig determiniert. Ein roter Faden ist hier die Metapher eines umkämpften, nichtnivellierte Anderen. Bevor wir diesen Gedanken ausführen zunächst zurück zu Bundeswehr. 22 Ines-Jacqueline Werkner: Warum geht Frau zur Bundeswehr? In. Kümmel/Werkner ebd. S.82/83. 12 6. Die Bundeswehr als Arena der instrumentalisierten Genderdebatte (Nadja Meisterhans) Der nichtnivellierte Andere oder auch das projektierte Selbst und das Andere als autonomiekonstitutive Konfliktbeziehung23 etwa im Sinne des agonalen Widerstreits24 bildet den Kontrast zu dem ideologischen Konstrukt der Soldatin. Denn letzteres ist in der Folge einer Entfremdung produzierenden Logik entstanden und findet im Hollywood typischen Entwurf der Rambosoldatin einen vorläufigen Höhepunkt. Zwar erscheint die Rambosoldatin als Extrem, das vor allem in der US-Army virulent zu sein scheint und zu mancher Perversion anregt. Man denke hier an die sadistischen Entwürdigungen und Folter durch weibliches Militärpersonal in Abu-Ghuraib, in denen beispielsweise die Soldatin Linndie England einen irakischen Soldaten an der Hundeleine führte und sich dabei fotografieren ließ. Dennoch sind Stereotypisierungsprozesse auch in der Bundeswehr wahrnehmbar. Bekanntlich ist die deutsche Bundeswehr25 und auch das österreichische Herr sehr bemüht, sich von solchen Erscheinungsbildern wie sie Abu-Ghuraib entstanden sind zu distanzieren. Beide Institutionen sind von dem Anspruch geleitet, dem Militär einen humanitären und modernen Anstrich zu geben, in dessen Rahmen das Töten tabuisiert wird (allenfalls als Kollateralschaden auftaucht). Zu dieser Strategie gehört dann auch den Dienst an der Waffe nicht nur als Karrierechance zu verkaufen, sondern als Ausdruck gelungener Emanzipation. Ganz frauenfreundlich gibt sich die Bundeswehr übrigens auf ihrer Homepage unter der Rubrik Mutterschutz und Elternzeit.26 Problematisch ist jedoch, dass im Rahmen der pseudofeministischen Inklusionsstrategie neue Dichotomien im Geschlechterverhältnis konstruiert werden, in denen nun das Weibliche als Ausweis besonderer sozialer Kompetenz aufgewertet wird. Das stereotypisierte Konstrukt des Männlichen als Kontrastideologie wird dabei wiederum (vermeintlich?) abgewertet. 6. a) Was heißt das für die Rolle der Frau in der Bundeswehr? Soziale Kompetenzen werden hier als weiblich deklariert und gezielt als zivile PromotionKampagne zur Imageverbesserung und Erhöhung der gesellschaftlichen Akzeptanz der Bundeswehr in dem seit dem Zweiten Weltkrieg tendenziell pazifistisch geprägten Deutschland herangezogen. Das Gender-issue dient hier vor allem der Tabuisierung von 23 Nadja Meisterhans: Emanzipationserzählung und Anerkennung. Perspektiven einer feministischen kritischen Theorie, Habilitationsprojekt 24 Chantal Mouffe: Über das Politische. Frankfurt a. Main 2007, z.B. S.30. 25 http://mil.bundeswehr-karriere.de/portal/a/milkarriere 26 Ebd. 13 Gewalthandlungen. Militärische Interventionen wird der Anschein gegeben, dass es sich hier um eine international organisierte Sozialarbeit und Entwicklungspolitik handele, in der weibliche Kompetenzen besonders gefragt sind. Damit findet jedoch ähnlich wie im Fall unseres Mafiabeispiels eine ausschließlich instrumentelle und geschlechtsstereotypisch geframte, nicht aber intrinsische Anerkennung von Frauen statt. 6. b) Welche konkreten Formen gibt es hier: (Manfred Lauermann) Vor dem Afghanistan-Einsatz müssen die Soldatinnen und Soldaten einen Kurzlehrgang durchlaufen, der zum Ziel hat, interkulturelle Kompetenz zu vermitteln. Die politische Bildung hat hier durchaus oberflächige Bezüge zu postkolonialen Diskursen27 - und auch herrschaftsfreien Menschenrechtsnormativen in der Fasson von Jürgen Habermas. Das es sich hier um ein intrinsisches Aufklärungsmotiv handelt darf bezweifelt werden, denn Ziel der im Namen der interkulturellen Kompetenz vollzogenen Didaktisierung und Pädagogisierung ist vor allem, das die militärische Logik konstituierende Freund-Feind–Schema zu verschleiern. Kurz Gewalthandlungen werden so auf geschickte Weise tabuisiert. 7. Zum Zusammenhang von männerbündlerischen Kampfeinheiten mit (sie) konstituierender Misogynie (Nadja Meisterhans) Die Überakzentuierung des Emanzipationsgedankens für den (pseudo-)humanitären Anstrich der Bundeswehr, wird wiederum und das sicherlich nicht zufällig durch die offene Abwehr von Frauen, wie Beispiele der sexuellen Diskriminierung im Bundeswehralltag zeigen, konterkariert. So wird in dem Forschungsbericht "Truppenbild mit Dame" des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr von 2008 davon berichtet, dass 58% er Soldatinnen Opfer von sexuellen Anspielungen und Belästigungen wurden28. Diese Ambivalenz wiederum wird von rechtskonservativer Seite genutzt, um alte Ressentiments wiederzubeleben. So heißt es eine Frau, Hildegard Stemberg, zitierend: „Bei aller Bejahung der Emanzipation und der Umsetzung von Geschlechtergerechtigkeit frage ich mich ernsthaft, ob die letzten Ereignisse auf der “Gorch Fock“ nicht ein Signal dafür sein sollten, das Diktat einer sexuellen Gleichstellung zu überdenken29“ Später dann: Es besteht (...) die Gefahr, 27 Benita Parry: Postcolonial Studies. London/NY 2004, die kastrierte Kurzform wird von der Bundeswehr als „Interkulturelle Ausbildung“ Pflichtstoff. Bernhard Chiari / Magnus Pahl (im Aufrag MGFA): Auslandseinsätze der Bundeswehr. Paderborn et.al. 2010, S. 271ff. 28 Gerhard Kümmel 2008: Truppenbild mit Dame, in: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr (Hrsg.) zu finden unter: www.sowi.bundeswehr.de. 29 vgl. Frau als Soldat, S. 16 mit Bezug auf Welt Online 14 biologische und soziologische Sachverhalte zu bagatellisieren, zu ignorieren (…) Auch hier erscheint die Frau als Opfer der Geister, die sie (oder die radikalen Feministinnen) rief, als das Opfer einer Ideologie“. Die Bundeswehr gilt als „Experimentierfeld einer Gleichheitsideologie“30. Es wird doppelte Instrumentalisierung der Frauenemanzipation im Rahmen der Gleichstellungspolitik vollzogen! Einerseits wird sie als Promotionskampagne für Bundeswehr missbraucht, die jedoch nicht über Praxen der androzentrischen Abwehr und Abwertung von Frauen in der Bundeswehr im Kontext sexueller Diskriminierung hinwegtäuschen kann. Werden Frauen im Männerbund Bundeswehr gemobbt und sexuell belästigt, dann wird dies skandalisiert, jedoch nicht immer im Sinne der Frauen. Vielmehr wird dies umgemünzt als eine Exklusion (rechtfertigende) Erzählung mit der prätendiert wird, dass Frauen aufgrund ihres aufgeklärten Eigeninteresses endlich (an)erkennen sollten, wohin anerkennungsbasierte Emanzipationswünsche und feministische Ideologinnen frau hintreiben31… Nicht widersprochen muss hier leider auch der These des Rechtsintellektuellen Lehnert im Marine-Forum, dass selbst der Tod von Sarah Lena Seele am 7.11. 2010 nicht zu einer Thematisierung der Genderproblematik, weil diese systematisch geleugnet wird, führte (31). 8. Elemente von Pseudoemanzipation in der Perspektive der Dekonstruktion (Nadja Meisterhans) So betrachtet widerspricht das Konzept der Soldatin dem Ziel einer Emanzipation zutiefst, da hier hegemonialen Strukturen (nicht in Form eines autonomen Selbstentwurfs) widersprochen wird, sondern diese aufgrund von fremdbestimmten Anerkennungsbedürfnissen bestätigt werden. Denn die Frau als Soldatin wird nun zur Mittäterin in einem System hierarchischer Subordination und zum Werbebanner. Der militärische Genderdiskurs kann in diesem Sinne als eine Debatte verstanden werden, in der das Geschlechterverhältnis als anerkennungsbasiertes Macht- und Herrschaftsverhältnis konzipiert und auch analysiert werden kann. Prinzipiell werden Machtverhältnisse durch die Inszenierung von Anerkennungsverhältnissen verschleiert. Die Autonomie negierenden Machtverhältnisse im Rahmen von Anerkennungsversprechen bleiben unbewusst und finden schließlich einen Nährboden, da sie von weiblichen und männlichen Aufwertungsbedürfnissen begleitet werden. Phantasien wie: endlich mal den Männern zeigen, 30 Erik Lehnert: Experimentierfeld einer Gleichheitsideologie“. Marine-Forum 7/8 2011, S. 19-31. 31 Frei nach dem Motto: Ziehe den kurzen Rock nicht an, sonst wirst Du vergewaltigt… und wenn es dann passiert, selbst schuld… 15 dass Frau genau so tough oder sogar besser wie die Männer sein können - scheinen hier eine wesentliche Motivation zu sein. Die Urszene wird plastisch von Deutsch erzählt, die Umwandlung zur jungenhaften in masochistisches verhalten: „Die aggressiven Jungen lassen das Mädchen als ihresgleichen zum Spiele zu, unter der Bedingung, dass es sich von zeit zu zeit durchprügeln lässt, und das es auf exhibitionistische, es demütigende Spiele eingeht.“32 Und zuletzt bleibt natürlich zu erwähnen, dass es hier eine weitere Analogie gibt: Die abgespaltene Bewunderung für den omnipotent erscheinenden Täter (Siehe die ähnliche Struktur des Stockholm-Syndroms). Ausgelebt wird diese als Liebe zum Mafiaboss oder als Attraktion gegenüber Hierarchien, die wiederum zur freiwilligen Subordination führen. Denn das Subjekt nimmt sich hier als autonom agierendes wahr. Autonomie wird hier aber mit Selbstkontrolle und (Selbst)Normierung gleichgesetzt und nicht mit Formen der Selbstnegation in Verbindung gebracht. Frau und Mann möchte dem Boss in der Mafia oder im Bund zu gefallen oder gar selbst BossIn werden. Damit aber erfolgt gerade keine Abweisung der zugewiesenen Rolle, sondern diese wird affirmativ angenommen und das Macht/Herrschaftssystem damit stabilisiert. Eine Motivation zur Emanzipation kann in asymmetrischen deshalb nicht entstehen, da eine auf Widerspruchspraxen basierende Emanzipation nicht notwendig erscheint und oder verdrängt wird. Dass eine solche Emanzipation nicht gedacht werden kann, unterliegt einer systemischen Verleugnung, die bekanntlich Grundelement des weiblichen Masochismus ist. D.h. Das Anerkennungsversprechen verschleiert, dass Frauen nur dann akzeptiert werden, wenn sie (weiterhin fremdbestimmten und) vorgegebenen Normierung militärischer Hierarchie und männlicher Hegemonie fügen, was in Perspektive abgespaltener Ohnmachtsgefühle aber als gelungene Selbstverwirklichung erscheint. Die Resultate sind auf Seiten der Soldatin Formen der verschmelzenden Identifikation mit Autonomie verhindernden Selbst- und Fremdbildern, die dann zur weiblichen Mittäterschaft an hegemonialen Praxen führen können. Die Rhetorik und Praxis der Gleichberechtigung in der Armee führt also gerade nicht zu einer gleichberechtigten Anerkennung von vielfältigen Kooperations- und Arbeitsmodi jenseits von stereotypisch imprägnierten Geschlechterrollen, wie sie etwa in Rahmen von offen imaginierten Visionen des nicht festgestellten Anderen (Nietzsche) möglich wären. Stattdessen werden durch die spezifische Logik hierarchischer Systeme (zu denen das Militär gezählt werden muss; ja, welches sich als ein solches affirmativ versteht) erneut differenznegierende Rollenbilder kreiert/projektiert, die dem Ziel der Emanzipation, 32 Deutsch, a.a.O., S. 228 16 nämlich eine Vielfalt von nichtentfremdeten arbeitsbezogenen Selbstentwürfen zu ermöglichen, zutiefst widersprechen. Das Bild von der engelartigen zur Gewalt nicht fähigen Frau wird nun durch die militärisch normierte Version der Rambo-Soldatin oder Soft-SkillSoldatin ersetzt, deren Entscheidung in die Arme zu gehen, als Ausdruck einer souveränen Wahrnehmung ihrer grundlegenden Rechte ausgelegt wird. Kurz: Der Militärdienst wird hier zum guten Recht aller Frauen und Kriterium gelungener Emanzipation. Das feministische Emanzipationsideal (so vielfältig es in seiner konkreten Ausprägung) zweifelsohne ist, wird so seiner ursprünglich Intuitionen beraubt: Das ist neben der Anerkennung des nichtfestgestellten Anderen immer auch auf auch eine auf gesellschaftliche Konfliktlösung jenseits von Befriedung ausgerichtete Omnipotenzinszenierungen und Vernichtungsandrohung ausgerichtet war. 9. Supplement: Zum psychoanalytischen Hintergrund unserer Konstruktion (Nadja Meisterhans) Als Ergebnis der Dekonstruktion schlagen wir vor, das Andere der Frau als einen emanzipierten Gegenentwurf zu diskutieren, was durch Abstand von männlich dominierten Größenphantasien ermöglicht wird, sowie eine soziale Gegenlogik zu Gewaltapparaten zu plausibilisieren oder eben: kollektiv imaginierte Visionen Gleichwohl zeigt gerade der historische Blick auf die Vielfalt feministischer Emanzipationsbewegungen33, dass Anerkennungsverhältnisse keine statische Konstrukte sind, sondern unter bestimmten Voraussetzungen verändert werden können. Damit ist der Aspekt der Autonomie (des Selbst) angesprochen. 9. a) Die Herr-Knecht-Dialektik revisited aus feministischer Perspektive Es soll nun auf die hegelsche Herr-Knecht-Dialektik Bezug genommen werden, die hier als feministisches Metanarrativ neu formuliert wird und ein als Kriterium gelungener Emanzipation in Aussicht gestellt werden34: In der Herr-Knecht-Dialektik, liegt das Kriterium für die Emanzipation in der Selbstorganisation der knechtischen Arbeit, mittels derer der bäuerliche Knecht Selbstbewusstsein gegenüber dem Herrn gewinnt. Hegel bezeichnet dies als Verinnerlichung der Herrschaft. Wir wollen diesen Prozess stattdessen als Autonomiesierung oder frei nach Nietzsche als Wille zur Autonomie bezeichnen, der gerade 33 Barbara Holland-Cunz: Die neue alte Frauenfrage, Frankfurt a. Main, 2003. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Nadja Meisterhans: Emanzipationserzählung und Anerkennung. Perspektiven einer feministischen kritischen Theorie, Habilitationsprojekt 34 17 dadurch gekennzeichnet ist, dass frau sich dagegen wehrt, dass ihr Herrschaft einfach aufgezwungen wird. Emanzipation wäre so als Haltung zu kennzeichnen, in der zugewiesene Herrschaftsvorstellungen zurückgewiesen (negiert) werden. Auf autonome Weise anerkannt sein, hieße dann einen Selbstentwurf zu formulieren, der durchaus als Arbeit an der Beziehung zu sich selbst sich selbst und dem Anderen (hier sind wir wieder ganz bei Hegel) vollzogen wird. Im gelungen Fall der Anerkennungskonfliktbearbeitung entsteht so etwas Neues, das Andere wird kreiert, indem es den Status Quo von Herrschaft dementiert und transzendiert. Der Knecht arbeitete sich also gerade nicht frei, weil wie Hegel behauptet, weil Herrschaft verinnerlicht wird und dann der Aufstand geprobt wird, sondern weil sie als Akt der Entfremdung von vorneherein zurückgewiesen wird. Das hegelsche Konzept kann als helfen, ein Verständnis dafür zu entwickeln, wann Emanzipationserzählungen von regressiven, d. h. insbesondere von Ohnmachts- und Omnipotenzphantasien infiltrierten Anerkennungserzählungen unterschieden werden können. Die These ist hier: Gelungene Emanzipationspraxen sind in diesem Licht vor allem dadurch gekennzeichnet sein, dass sie narrativ konstituierte Heils- und Ohnmachts- und Omnipotenzphantasien dekonstruieren und so hegemoniekonstitutive Erzählung metaphorisch umarbeiten und eine neue Form der Anerkennung entwerfen: die der Selbstanerkennung auf Grundlage der Dekonstruktion des Anderen und Negation des fremdbestimmten Selbst. D. h. also: Autonomie ermöglichende Emanzipation (von Männern und Frauen) hängt im entscheidendem Sinne von der (narrativ-imaginativ vermittelten und vermittelnden) Fähigkeit ab, sich an den Anderen anerkennend binden zu können, ohne im Sinne einer selbst- und fremdnegierenden (idealisierenden) Verschmelzung symbiotisch zu werden. Das Selbst und das Andere können damit als dynamische, narrativ konstituierte Konstrukte verstanden werden, die intersubjektiv vermittelt werden. Voraussetzung eines emanzipationsermöglichenden und autonomiekonstitutiven Anerkennungsverhältnis ist, dass die Beziehung zum Selbst und zum Anderen in einem dekonstruktiven Verhältnis steht und sich Verhältnis vom Modus der Destruktion (hegelianischen Metapher des Kampfes und der freudschen der Kastration) unterscheidet. Der Figur des Herren stehen damit prototypisch für die Unfähigkeit einer emanzipationsermöglichenden Dekonstruktion des symbiotischen (differenznegierenden) Ichs, welches durch den Modus der Fremd- und Selbst-Destruktion (scheinbar) kompensiert wird. In diesem Sinne können mit Bezug auf die revidierte hegelsche Herr-Knecht-Dialektik35 und Ansätzen aus der feministischen Psychoanalyse36 35 Zum Original: G.W.F. Hegel: Phänomenologie des Geistes, A., Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit des Selbstbewußtseins; Herrschaft und Knecht, Werkausgaben von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, 18 Überlegungen zur macht- und anerkennungsbezogenen Genese von autonomer Subjektivität angestellt werden. Es kann in Verbindung zur feministischen Psychoanalyse plausibilisiert werden, dass die Dekonstruktion des symbiotischen Ichs symbolisch für die Fähigkeit steht, sich aus dem ozeanischen Gefühl einer Allmacht zu lösen, d. h. anerkennungsbezogene und identitätsstiftende Krisen selbstrelativ (und nicht selbstabsolut), zu verarbeiten. Die fremdund selbstanerkennende und damit autonome Identität – so die einfache Formel – ist also von der Fähigkeit gekennzeichnet, die Spannung, die aus der Dialektik der macht- und herrschaftsbezogenen und grundsätzlich konfliktbearbeitenden Identitätsbildung resultiert, auszuhalten und den (imaginierten, projektierten37) Anderen anzuerkennen, ohne sich anzupassen. Ein auf autonome Anerkennung ausgerichtetes Geschlechterverhältnis wäre dann im Ergebnis Ausdruck eines Differenz würdigenden (und nicht aufzulösenden) Paradoxiemanagements, das die Einsicht nicht omnipotent sein zu können, aushält, ohne in Ohnmachtsängste zu verfallen. Versagt dieses onto- wie phylogenetisch relevante Paradoxiemanagement jedoch, ist es in psychoanalytischer Perspektive plausibel, dass es zu Formen der (auto)aggressiven Selbst-(und Fremd-)missachtung kommt, in denen sich ein selbstzerstörerischer Überlebenswille (Wille zur absoluten Macht/Angst vor Ohnmacht) artikuliert. Auf Seiten des Herren wird die aus Ohnmachtsängsten resultierende Paranoia abgewehrt und als paternalistische oder repressive Omnipotenzinszenierung externalisiert. Beim Knecht wird sie hingegen internalisiert und als idealisierte Verschmelzung melancholisch38 und d.h. als umgeleitete Aggression und permanente Anklage (als Anstiftung zur Rache) oder Mittäterschaft ausgelebt. In diesem Lichte kann auch beurteilt werden, ob konfliktbezogene Anerkennungsverhältnisse die Grundlage für emanzipatives, d.h. konkret utopisches Handeln bilden oder ob sie pathologische Anerkennungsbedürfnisse und Machtstrukturen reproduzieren. Unser Argument verharrt hier allerdings nicht nur auf der Ebene von Unterwerfungsphänomenen und akzentuiert die Notwendigkeit einer narrativen Loslösung von Opferperspektiven, sondern legt ein Augenmerk auf metaphorisch verkleidete (Ohnmachtsängste abspaltende) Narzissmen der Macht im Rahmen von militärischen Männlichkeitsideologien. Omnipotenzinszenierungen sollen hier als Abwehr Frankfurt a. Main, 1979 und Alexandre Kojève: Hegel. Eine Vergegenwärtigung seines Denkens, Kommentar zur Phänomenologie des Geistes, herausgegeben von Iring Fetscher, Frankfurt a. Main 1988. 36 Jessica Benjamin: Im Schatten des Anderen, Frankfurt a. Main/Basel. Durch Benjamin ist die Neuauflage der Herr-Knecht-Dialektik in meinem Habilitationsprojekt inspiriert. 37 Zur imaginären Struktur des Ich als Begehren des Anderen, vgl. Jacques Lacan: Seminar XX, Encore, Berlin/Weinheim 1991, S. 77. 38 Zum Konzept der Melancholie Sigmund Freud: Das Ich und das Es. Metapsychologische Schriften. Frankfurt, Kapitel: Trauer und Melancholie 2000, (1917); 171-191. 19 nichtnormierter Weiblichkeits- und auch Männlichkeitsvorstellungen dekonstruiert werden, die ebenfalls auf Ängste (vor dem nichtkontrollierbaren Anderen) zurückgeführt werden.39 Die These ist also, dass sich nicht nur die unmittelbaren Opfer von Gewalt und Normierungen sich von Opfer-Täterperspektiven bzw. Aufwertungsbedürfnissen lösen müssen, sondern ebenso die sich häufig omnipotent inszenierenden Mächtigen. Dies – so die Anschlussthese – wiederum kann gelingen, wenn die narrative Konfliktlösung einer metaphorischen Umarbeitung der bisherigen Erzählung entspricht, in der eine neue Erzählungen kreiert werden kann, in der a) bisher abgespaltenen Elemente (Ängste, Abwehrverhalten, Verschmelzungs- und Aufwertungsbedürfnisse) bewusst gemacht werden und b) eine neue Anerkennungsbeziehung zu einander geknüpft wird, die sich von Momenten der Fremdbestimmung und Resignation (Ohnmacht) befreit. 39 Hans-Jürgen Wirth: Narzissmus der Macht: Zur Psychoanalyse seelischer Störungen in der Politik, Gießen, 2002, S. 74 , 91ff. 20 21