Bilder in der Haut - cu
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JUGEND SPEZIAL Samstag, 28. März 2009 37 Bilder in der Haut Thomas Raddatz sticht Erinnerungen für die Ewigkeit Leidenschaft und Spaß verbindet Thomas Raddatz mit der Arbeit als Tätowierer. In seinem Königshöfer Studio „Colors unlimited“ verschönert er die Haut seiner Kunden. Heute ist Simone dran. Sie will Sterne. schaft. Sein Grundsatz: „Ein guter Tätowierer hat nichts zu verbergen.“ Das Desinfektionsmittel ist eingezogen, jetzt platziert Raddatz die Sterne. Er nimmt sich Zeit, verrückt den Stern noch mal nach oben, den anderen weiter nach rechts. „Ich FRANZISKA GABEL U Tätowierer Thomas Raddatz sticht Simone ihr erstes Tattoo – Stich für Stich kommt sie ihren Sternen näher. Fotos: Benedict Pannwitz nermüdlich sticht die Nadel in die nackte Haut. In dem gefliesten Raum ist es still, einzig ein Surren durchbricht die Stille. Langsam tropft Blut aus der frischen Wunde. „Geht’s noch oder soll'n wir ’ne Pause machen?“, fragt Thomas Raddatz seine Kundin auf dem Tätowierstuhl. Simone aus Bad Mergentheim bekommt heute ihr erstes Tattoo. „Nee, geht schon“, meint sie tapfer. „Man stellt es sich schlimmer vor, als es ist“, findet sie. Schon seit einer halben Stunde ist die 19-Jährige auf dem Weg zu ihrem gestochenen Wunschbild. Sterne sollten es sein. Sechs Stück. Aber nicht ohne Grund: „Jeder Stern steht für einen besonderen Menschen in meinem Leben.“ Diese will sie symbolisch bei sich tragen – auf dem Schulterblatt. „Damit es nicht gleich jeder sieht.“ Eine halbe Stunde früher: Das Desinfektionsmittel hat einen Hauch von Zitronenduft im Raum zurückgelassen, Raddatz geht ans Werk. Sorgfältig rasiert er die Haare an der Stelle weg, in die er sein Kunstwerk stechen wird. Blonder Flaum fällt zu Boden. „Das ist wichtig, sonst kann es passieren, dass beim Tätowieren kleine Haare mit eingestochen werden, die sich dann entzünden“, erklärt der Profi. Anschließend wird die Haut desinfiziert. Hygiene ist sehr wichtig. Vor allem für Raddatz – einen Tätowierer aus Leiden- Farbe, die unter die Haut geht. achte nur darauf, dass es zum Körper passt. Die Sterne sollten auf dem Schulterblatt sein, sonst können sie sich später bei Bewegungen verziehen.“ Aus vielen verschiedenen Nadeln wählt er die, die das Tattoo am besten zur Geltung bringt. Raddatz ist ein alter Hase im Geschäft. Wo er gelernt hat, mit Nadel und Tinte umzugehen, ist kein Geheimnis. „Learning by doing“, grinst er verschmitzt. Seinen linken Arm hat er sich selbst gestochen. „Ich hatte von früher noch ein paar Überbleibsel. Die habe ich überstochen“, erklärt er. Jetzt sind seine Lieblingsmotive auf seinem linken Unterarm. Ein Koi, ein Drache und Hanya, ein japanischer Dämon. Sein Studio in Königshofen „Colors unlimited“ hat Raddatz schon seit 13 Jahren. Der kleine, kräftige Mann mit den kurzen Haaren ist Tätowierer aus Passion. Tattoos abkopieren kommt für ihn nicht in Frage. „Man hat das Ding doch sein Leben lang, da muss schon eine persönliche Note dabei sein.“ Aber das klärt er im Beratungsgespräch. „Alles klar bei dir?“ fragt Thomas Raddatz, bevor er die Nadel ansetzt. Der Auszubildenden geht es gut, sie ist gespannt. Raddatz hat schwarze Gummihandschuhe an, spannt mit der linken Hand die Haut und sticht mit der Tätowiermaschine den ersten Stern. Auf seinem rechten Unterarm ist ein altes, verschwommenes Tattoo. Ein Löwenkopf mit einem Schwert. „Das hab’ ich mir in Hamburg stechen lassen“, erzählt er. Aber seit damals hat sich viel verändert. „Die Farben sind heute viel besser und sie unterliegen strengen EU-Richtlinien. Durch die große Auswahl an Nadeln kann man heute viel besser und feiner arbeiten als früher.“ Nach eineinhalb Stunden ist das Kunstwerk fertig. Die Haut ist leicht gerötet und Simone glücklich. Eine Klarsichtfolie schützt das Tattoo. „Man kann das Tattoo mit einer leichten Schürfwunde vergleichen, aus der Brandwasser austritt. Damit sich kein Schorf bildet, der die „Ein guter Tätowierer hat nichts zu verbergen“ Farbe wieder nach außen transportiert, kommt die Folie drauf“, schildert Raddatz. Nach ein paar Stunden kann die aber wieder ab. Wichtig ist jetzt die Pflege mit einer Wund- und Heilsalbe. „Nach ein bis zwei Wochen kommst du noch mal zur Nachsorge, wenn du Fragen hast, kannst du immer vorbei kommen oder anrufen“, gibt er Simone mit auf den Weg. Zurück bleiben zwei glückliche Menschen – Simone freut sich über ihr Tattoo. Raddatz über seine Arbeit. Mit dem Kaktus gestochen Selbst Ötzi war tätowiert – nicht nur eine reine Modeerscheinung Tattoos sind nicht nur eine Modeerscheinung. Schon in der Frühzeit schmückten sich Menschen mit den Bildern auf der Haut. W enn man sich über die Geschichte von Tattoos Gedanken macht, kommen den meisten wohl Bilder von Seeräubern, „Knackis“ und anderen Gestalten in den Sinn. Doch die Herkunft der Hautbilder reicht viele Jahrtausende zurück. Auf der Internetseite von Planet Wissen wird die Entwick- lung der Körperkunst beschrieben. Sogar auf dem ältesten erhaltenen Körper, nämlich den 5300 Jahre alten Körper des Steinzeitmenschens Ötzi seien Tattoos gefunden worden. Er habe – neben 15 anderen Tätowierungen – in der Innenseite seines rechten Knies ein Kreuz-Motiv eingraviert. Heute schmerzt ein frisch gestochenes Tattoo nicht mehr als ein Sonnenbrand oder eine leichte Schürfwunde. Ganz anders muss es im alten Ägypten, bei den Mayas, Inuits oder Azteken gewesen sein. Dort waren Nadel und geprüfte Far- ben noch lange nicht erfunden, und so behalf man sich mit Kaktusstacheln, rußigen Fäden oder Haifischzähnen. Der Sinn des Tätowierens sei hierbei immer unterschiedlich. „Bei frühzeitlichen Tätowierungen geht man von einem Stammesritual oder von einem kultischen Hintergrund aus.“ Um Zugehörigkeit ginge es auch bei den Mafia-Kennzeichen der Yakuza in Japan, als Statussymbol oder als kraftspendendes Zeichen gelte es in Afrika oder Ägypten. Die Farbe unter der Haut sei oft auch als Gegenkult zu dem „Normalen“ zu sehen. fag Vor einigen Jahren waren sie total in: Tattoos über dem Hintern. Die Mode hat sich mittlerweile geändert, doch ein Tattoo bleibt. Foto: TZ-Archiv G L O SS E Aufs Motiv kommt’s an Dem Arsch geweiht O Vanessa Weiß (16) Hamide Mermer (20) Sophie Schmitt (22) Marktgraitz Ein Tattoo hat Vanessa nicht. „Das würden meine Eltern nie erlauben.“ Doch die 16-Jährige möchte sich sowieso keines stechen lassen. Prinzipiell findet sie Tattoos zwar schön, doch sie kennt auch die Gefahren. Am besten gefallen der 16-Jährigen Blumen als Motive. „Eine kleine Rose auf der Schulter sieht bestimmt gut aus“, sagt sie. Schrozberg Hamide hat viele Freunde, die Tattoos haben. Dennoch möchte sie selbst keines. „Kleine Tattoos find’ ich okay, aber mit einem großen sieht man nicht mehr natürlich aus.“ Am schönsten findet Hamide chinesische Schriftzeichen. „So ein paar kleine Zeichen sehen gut aus.“ Dass eine gewisse Gefahr besteht, weiß sie. „Aber eigentlich ist doch fast alles gefährlich.“ Wertheim „Ein Tattoo möchte ich auf jeden Fall“, sagt Sophie. Die Stelle am Bein hat sie schon ausgewählt, nur das Motiv fehlt noch. „Ich kann mich nicht entscheiden, aber wenn, dann will ich mich beraten lassen.“ Ihre Eltern sind von der Idee zwar nicht begeistert, doch davon lässt Sophie sich nicht abhalten. „Den Wunsch habe ich nun schon seit drei Jahren.“ D. Schneider h, die hat ein ’Arschgeweih’“ ist nicht gleich „Oh, die hat ein ’Arschgeweih’“ – erstes sollte man sich den Satz einmal in begeistertem und einmal im abwertenden, nahezu mitleidigen Tonfall vorstellen. Außerdem unterscheiden sich die Aussagen in ihrer Aktualität: Heute spricht die Allgemeinheit meistens schlecht vom sogenannten „Arschgeweih“ – wenn sie überhaupt noch davon spricht. Das horizontal gestreckte Tribal im Steißbereich ist so „out“, wie nur irgend vorstellbar. Noch vor einigen Jahren waren eine Menge Leute dieser Modeerscheinung verfallen. Tätowierte Rücken sah man, soweit das Auge reichte. Dies hielt an, bis sich im 21. Jahrhundert die Erkenntnis verbreitete, dass der Modetrend eigentlich mehr ein Mode-Fauxpas war. Gut für die Allgemeinheit, schlecht für all jene, die im Angesicht eines „Arschgeweihs“ nicht bei den neidischen Blicken geblieben waren, sondern ebensolche auf sich ziehen wollten. Jene, die in Tattoo-Studios strömten und sich den unteren Rücken brandmarken ließen. Was soll man letztendlich sagen, außer: das „Arsch-Geweih“ war offensichtlich genau diesem geweiht. Tröstlich ist hier nur Einsteins Erkenntnis: Irren ist menschlich. Sie gilt wohl auch in Trendfragen. Claudia Weidenmüller